DEUTSCHLANDFUNK – Köln im Deutschlandradio Redaktion Hintergrund Kultur Essay & Diskurs Dr. Norbert Seitz/Dr. Matthias Sträßner Essay & Diskurs Widerstand und Anpassung Dietrich Bonhoeffer und die Schule der Empörung Von Peter Steinbach Sprecherin: Kerstin Fischer Sprecher: Bernt Hahn Zitator: Hendrik Stickan Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Sonntag, 1. Dezember 2013, 09:30 – 10:00 Uhr Zitator: „Es ist unendlich viel leichter, in Gehorsam gegen einen menschlichen Befehl zu leiden als in der Freiheit eigenster verantwortlicher Tat. Es ist unendlich viel leichter, in Gemeinschaft zu leiden als in Einsamkeit. Es ist unendlich viel leichter, öffentlich und unter Ehren zu leiden als abseits und in Schanden.“ Sprecher: Dies schrieb Dietrich Bonhoeffer zum Jahreswechsel 1942/43 für seine Freunde in dem vielleicht geschlossensten Entwurf einer Kritik des NS-Staates aus der Feder eines Theologen, in seinem Bericht Nach zehn Jahren. Eberhard Bethge, der wie kein Zweiter Bonhoeffers Bild in der Nachkriegszeit prägte, leitete mit diesem Text die Tegler Haftaufzeichnungen Bonhoeffers ein. Sie sind erstmals 1951 unter dem Titel Widerstand und Ergebung erschienen und haben seitdem ganze Theologengenerationen in aller Welt beeinflusst. Sprecherin: Bonhoeffer war seit 1933 ein sehr reflektierter Begleiter der nationalsozialistischen Epoche. Theologisch und auch publizistisch stets aktiv schuf er sich im Laufe einiger Jahre einen Kommunikationsraum, der sich in totalitären Diktaturen wohl nur auf freundschaftlicher Basis und der Grundlage einer Gemeinsamkeit von zuverlässigen und zusammenhaltenden Gleichgesinnten schaffen lässt. Innerhalb dieses Kreises wurde nicht nur reine Theologie betrieben, sondern die Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes erfolgte in der ständigen Konfrontation mit einer feindlicher werdenden Umwelt. Sprecher: Niedergeschlagen hat sich diese Verschränkung von der Auseinandersetzung mit dem Jetzt und dem Danach in Bonhoeffers ethischen Ansätzen, die wiederum Eberhard Bethge erstmals zusammenführte. Dabei wird deutlich, wie sehr die Auseinandersetzung mit seiner Zeit, mit den moralischen und ethischen Herausforderungen Bonhoeffers Beurteilung der NS-Herrschaft prägte. Im Zeitalter der Weltanschauungskämpfe und der totalitären Bewegungen, in einer „Welt der Konflikte“, müsse das „Wissen um Gut und Böse […] das Ziel aller ethischen Besinnung“ sein. Zitator: „Die große Maskerade des Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinander gewirbelt. Dass das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten ethischen Begriffswelt Kommenden schlechthin verwirrend.“ Sprecher: Bonhoeffer wusste: Wer über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und überhaupt gegen diktatorische Systeme redet, muss zunächst über die Anpassung der Menschen sprechen. Widerständigkeit ohne eine Auseinandersetzung mit der Anpassung an diktatorische Systeme ist überhaupt nicht zu verstehen. Anpassung bleibt das eigentliche Kennzeichen einer Epoche, in der Diktaturen das Verhalten des Menschen prägen und Widerständigkeit das Besondere bleibt. Zitator: „Offenkundig ist das Versagen der ‚Vernünftigen‘, die in bester Absicht und naiver Verkennung der Wirklichkeit das aus den Fugen gegangene Gebälk mit etwas Vernunft wieder zusammenbiegen zu können meinen. In ihrem mangelnden Sehvermögen wollen sie allen Seiten Recht widerfahren lassen und werden so durch die aufeinanderprallenden Gewalten zerrieben, ohne das Geringste angerichtet zu haben. Enttäuscht über die Unvernünftigkeit der Welt sehen sie sich zur Unfruchtbarkeit verurteilt, treten sie resigniert zur Seite oder verfallen haltlos dem Stärkeren.“ Sprecherin: Dietrich Bonhoeffer wird heute als Märtyrer, also als „Blutzeuge“ seines Glaubens, empfunden. Er wurde seit den 1950er/60er Jahren konsequent zu einem evangelischen Heiligen stilisiert. Dabei löste man ihn zunehmend aus den Zusammenhängen seiner Zeit, die ihn prägte und die er überwinden musste. Dies hat sich seit den achtziger Jahren durch Spielfilme noch verstärkt, die auch das Verhältnis zu Maria von Wedemeyer, seiner Verlobten, ins Bild setzten. Bonhoeffer wurde nun endgültig vereinnahmt - nicht nur von der evangelischen Kirche, sondern auch von konfessionellen Gemeinschaften, die im gemeinschaftlichen Leben nicht nur Ziel, sondern Bestätigung ihres Glaubens sehen wollten. Dabei war Bonhoeffers Selbstverständnis durch die Erfahrung der Einsamkeit geprägt. Sprecher: Deutlich wird dies in der fragmentarisch hinterlassenen Ethik, an der er immer wieder arbeitete und deren Teile er niemals zu einem in sich geschlossenen Werk fügen konnte. Die Ethik Bonhoeffers ist ein Zeugnis der Auseinandersetzung mit seinen politischen Erfahrungen, seinen Beobachtungen des menschlichen Verhaltens, der Auseinandersetzung mit Unsicherheit und Angst, mit theologischer, aber auch realer Existenz. Sprecherin: Bonhoeffer war aber niemals nur Mann der Kirche. Er wurde im Laufe der späten dreißiger Jahre zum Mann der Abwehr, zum Mitarbeiter des Amtes Canaris. Er war ein Mann des Apparates, der nun vor einer neuen Herausforderung stand: Konfrontation mit dem Regime und seiner Politik in Einklang zu bringen mit der Kooperation. Geprägt hatte ihn dabei ohne Zweifel der Konflikt mit seiner Kirche und vielen ihrer Pfarrer, von denen manche, deutschnational geprägt, schweigend oder predigend mitmachten, und manche sich sogar als Teil der sogenannten „SA Christi“ verstanden. Sprecher: So nah wie Bonhoeffer kam kaum einer von ihnen dem Zentrum der Macht, aus dem heraus, so dachten die Regimegegner um Tresckow, Stauffenberg und Beck, der Umsturz des Regimes erfolgen sollte. Bonhoeffer unterschied sich von den meisten Geistlichen, weil er auch in seinen dienstlichen Tätigkeiten als Abwehrmann im Amt Canaris bestehen musste. Sprecherin: Der Kampf der Bekennenden Kirche wurde seit den fünfziger Jahren als Bewährung des Protestantismus im Angesicht der NS-Diktatur gedeutet. Dass es sich beim „Kirchenkampf“ nicht nur um einen Konflikt zwischen „Deutschen Christen“ und bekenntnistreuen Pfarrern und Gemeinden gehandelt hatte, macht Bonhoeffers Stellung innerhalb seiner Kirche deutlich. Zu viele Pastoren waren den deutschnationalen Vorstellungen verhaftet, die auch Bonhoeffer zunächst nicht fremd waren. Sprecher: Aber er hatte einen starken sind für den Kern des protestantischen, des auf das Evangelium bezogenen Glaubens. Deshalb ging es niemals um den Gegensatz von Kreuz und Hakenkreuz allein, wie spätere kirchliche Zeitgeschichtsschreibung suggerierte, sondern es ging um die Neigung zu vieler Kirchenbediensteter und Gemeindeglieder, Kreuz und Hakenkreuz in Deckung zu bringen und den Sogströmen der nationalsozialistischen Weltanschauung mit ihrem Führungsanspruch entgegenzukommen. Zitator: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich bloßstellen, es lässt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurücklässt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos.“ Sprecherin: Hier setzte Bonhoeffer an. Entschieden sprach er sich gegen Christen aus, die eine „Verhakenkreuzung“ des Kreuzes betrieben, wie Eberhard Bethge bezeugt. Bonhoeffer widersetzte sich so innerhalb der Kirche einer Selbstgleichschaltung, die niemals kritisch reflektiert wurde, weil die Geschichte des Kirchenkampfes als erfolgreiche Selbstbehauptung gegen eine deutsch-christliche Infiltration gedeutet wurde. Sprecher: Wenn Bonhoeffer betont, „die Macht der einen brauche die Dummheit der anderen“, wird verständlich, dass er nicht immer verehrt wurde. Er galt seiner Kirche lange Zeit vor allem als politischer Regimegegner, nicht als Glaubenszeuge. Seine Lebensgeschichte, die in den sechziger Jahren von seinem Freund Eberhard Bethge in einer überwältigenden Biografie beschrieben wird, verkörpert keine Heldengeschichte von Anfang an, sondern ihr Ausgangspunkt ist markiert durch eine Erfahrung Bonhoeffers mit seinem eigenen, ganz persönlichen und sehr tiefen menschlichen Versagen im April 1933. Sprecherin: Bonhoeffer hatte eine Zwillingsschwester, Sabine, die er sehr liebte. Sie war verheiratet mit Gerhard Leibholz, einem der begabtesten Juristen seiner Zeit. Leibholz war jüdischer Herkunft und wurde später, nach der Rückkehr aus der Emigration, einer der führenden Verfassungsrichter der Bundesrepublik nach der Einrichtung des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtes. Er war konvertierter Jude. Dadurch wurden Sabine und die Familie Bonhoeffer schon zeitig konfrontiert mit der frühen Erfahrung der Judenverfolgung im Dritten Reich. Sprecher: Ende April starb der Schwiegervater Leibholz. Sabine wünschte sich, dass ihr Bruder Dietrich die Beerdigungsrede auf ihren Schwiegervater halten sollte. In diesem Augenblick wurde Bonhoeffer unsicher und beging einen Fehler. Er fragte seine kirchlichen Vorgesetzten, ob es opportun sei, bei einem Beerdigungsgottesdienst für einen Juden zu reden, und erhielt von seiner Kirchenleitung den Ratschlag, dies nicht zu tun. Sprecherin: Bonhoeffer gehorchte und erfüllte seiner Schwester und seinem Schwager ihre Bitte nicht. Man merkt es seinen Briefen und Reflexionen dieser Zeit und auch den Briefen aus einer späteren Zeit an, dass ihn dieses persönliche Versagen nicht mehr losließ. Bonhoeffer hat damals kapituliert: vor sich, vor der Stimmung der Öffentlichkeit, vor den Vorgesetzten. Aber er beließ es nicht dabei. Bereits wenige Tage später machte er sich Gedanken über die „Judenfrage“, die er nicht mehr verstand als Frage der Gesellschaft an die Juden, sondern als Befragung der deutschen Gesellschaft durch die Juden selbst. Sprecher: Wir kennen Aufsatzmanuskripte aus dem Nachlass, der sich jetzt in Berlin in der Staatsbibliothek befindet. Zitator: „Der Staat, der die christliche Verkündigung gefährdet, verneint sich selbst. Das bedeutet eine dreifache Möglichkeit kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber: erstens […] die an den Staat gerichtete Frage nach dem legitim staatlichen Charakter seines Handelns, d.h. die Verantwortlichmachung des Staates. Zweitens der Dienst an den Opfern des Staatshandelns. Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch, wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören […] Die dritte Möglichkeit besteht darin, nicht nur die Opfern unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.“ Sprecher: Das persönliche Versagen Bonhoeffers, die Kapitulation vor sich selbst, vor den Zwängen und dem Zeitgeist, über den wir uns gern mokieren, von dem wir jedoch unendlich abhängig zu sein scheinen, gehört zu seiner Biografie und markiert einen Ausgangspunkt des Weges, der in den Widerstand führt. Er hatte selbst erlebt, dass erst die Überwindung der Anpassungszwänge ein Handeln ermöglichte, dass sich von demonstrativer Gleichgültigkeit einer sich immer weiter verirrenden und verlierende Gesellschaft unterschied. Sprecherin: Im kritischen Entsetzen über sein Versagen findet er eine unbeirrbare Position. Er wollte seitdem seine Haltung nicht vor anderen rechtfertigen und sie schon gar nicht von anderen legitimieren lassen, sondern machte seinen Glauben zum Bezugspunkt seiner Gewissensentscheidung. Das Versagen angesichts der Bitte seiner Schwester markiert den Punkt, an dem Bonhoeffer ganz bewusst geworden ist, dass er an der Seite der Machthaber seinen weiteren Weg nicht werde gehen können. Zehn Jahre später schrieb er: Zitator: „Man muss damit rechnen, dass die meisten Menschen nur durch Erfahrungen am eigenen Leibe klug werden. So erklärt sich erstens die erstaunliche Unfähigkeit der meisten Menschen zu präventivem Handeln jeder Art - man glaubt eben immer noch, um die Gefahr herumzukommen, bis es schließlich zu spät ist; zweitens die Stumpfheit gegenüber fremden Leiden.“ Sprecher: Was dann sein weiteres Leben prägte, war zunächst seine Suche. Soll man gehen oder in Deutschland bleiben? Und wenn man bleibt: Wie hält man stand? Er ging als Auslandspfarrer nach London und griff von dort in den Bekenntniskampf ein. Er übernahm eine Kirchengemeinde und wurde als entschiedener Anhänger einer Ökumene, die politisch auf Frieden, nicht jedoch auf Appeasement zielte, unendlich wichtig. Sprecherin: Die Zahl seiner Gegner wuchs, weil Bonhoeffer von außen, aus London, versuchte, den Widerstand in Deutschland im Kampf der Bekennenden Kirche zu beeinflussen. Er kehrte später nach anderen Zwischenstationen nach Deutschland zurück, angetrieben vom Gefühl, die verhassten Nationalsozialisten von innen zu bekämpfen. Und er engagierte sich entscheidend am Aufbau der Predigerseminare der Bekennenden Kirche, einer Art untergründiger Kirche, die in der „Nachfolge“ ein „gemeinsames Leben“ verwirklichte. Sprecher: Bonhoeffer wurde politisch. Niemals aber diffamierte er diejenigen, die hinausgingen, denn sein eigenes Verhalten markierte nur eine Möglichkeit neben anderen. Kein negatives Wort finden wir über diejenigen, die emigrierten. Dietrich Bonhoeffer selbst aber entschied sich für den Kampf im Innern. Das war ein Kampf, der ihn letztlich bis ins Mark berührte und der ihn, den sich nicht auf das Regime einlassenden Theologen, als Abwehrmann nach seinem Verständnis schuldig werden ließ. Diese Mitschuld hatte der Kreisauer Moltke, wahrhaftig ein Unschuldiger, einmal als „Schuld an der Schuld der Verbrecher“ beschrieben. Sprecherin: Zunächst konzentrierte sich Bonhoeffer auf die innerkirchlichen Konflikte und auf seine seelsorgerliche Arbeit. Mit seinen Schülern bildete er eine Art Untergrundgemeinde. Nach seinem Beamtenverhältnis und seiner Versorgungssicherheit fragte er nicht. Er lebte nach 1933 nicht in den gesicherten Verhältnissen seiner Wohnung, er hatte praktisch gar keine. Er lebte da, wo er mit seinen Vikaren seine Seminararbeit und Kirchenarbeit machen konnte: „Nachfolge“, „gemeinsames Leben“, das blieben die Richtpunkte seines Verhaltens. Sprecher: Er lebte schreibend, lesend, diskutierend, singend und vor allem predigend. Wie er wissenschaftlich-theologisch gearbeitet hat? Wir wissen es nicht genau. Wichtig war der Kontakt mit Gleichgesinnten, das Gespräch, der Gottesdienst, das „gemeinsame Leben“. Wir kennen lediglich die Resultate, insbesondere die Ethik, einen der wichtigsten Texte des 20. Jahrhunderts, dessen Subtext die Auseinandersetzung eines Zeitgenossen mit der NS-Diktatur spiegelt. Es gibt Menschen, die leiden nicht nur unter der Unterdrückung, sie durchleben die Diktatur des 20. Jahrhunderts geradezu existenzerhellend und bewusstseinserweiternd wie Dietrich Bonhoeffer bis 1936/37. Sprecherin: Dann schlug die Gestapo zu, zerstörte seine Predigerseminare. Bonhoeffer wusste nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Seine Habilitation, seine venia legendi et docendi hatte ihm seine Berliner theologische Fakultät längst genommen. Kollegen hatte ihm seine akademische Würde streitig gemacht, darüber redet heute keiner mehr. Seine Fakultät hat sich deshalb nicht entschuldigt. Und man entschuldigt sich heutzutage leichthin für vieles. Pastorenkollegen haben Bonhoeffer karikiert, denn er engagierte sich besonders in einer Pastoren- und Laienbewegung, im Pfarrernotbund und der Bekennenden Kirche. Er kämpfte gegen den weltanschaulichen Führungsanspruch des Staates, dem er später diente, und für die Verantwortung des Einzelnen für die, wie er sagte „freie, verantwortliche Tat auch gegen Beruf und Alltag“: Zitator: „An ihre Stelle trat einerseits verantwortungslose Skrupellosigkeit, andererseits selbstquälerische Skrupelhaftigkeit, die nie zur Tat führte. Civilcourage aber kann nur aus der freien Verantwortlichkeit des freien Mannes erwachsen.“ Sprecher: So hob er den Zwiespalt zwischen Konfrontation und Kooperation, zwischen Mitwirkung im Apparat des Systems und dessen Bekämpfung auf. Selbstgerecht wurde er deshalb nicht, sondern reflektierte die Schuld, die er als Zeitgenosse des Unrechtsstaates auf sich lud. Karl Jaspers sprach später von metaphysischer Schuld, der Kreisauer Helmut James Graf von Moltke sogar wie erwähnt von seiner „Schuld an der Schuld der Verbrecher“. Sprecherin: Dieser Kampf war eindeutig. Bonhoeffer kämpfte gegen nationalsozialistisch und nationalistisch politisierte Gemeindemitglieder, die eine heute kaum mehr vorstellbare und deswegen von uns kaum mehr nachvollziehbare, geradezu irrsinnig anmutende Vorstellung hatten, denn sie meinten, sie könnten „mit Hitler gegen die deutschen Christen“ kämpfen. Das war sogar in Baden der Fall. Als der Hausarrest des Freiburger Bischofs Theophil Wurm aufgehoben wurde und dieser wieder vor das Haus treten konnte, begrüßten ihn seine Gemeindemitglieder mit den zum Hitlergruß erhobenen Armen. Sprecher: „Mit Hitler gegen die deutschen Christen kämpfen“, das hat Bonhoeffer nie mehr für möglich gehalten seit seiner Mai-Erfahrung im Jahre 1933 und der Auseinandersetzung im Pfarrernotbund. In diesem Notbund versuchte er, eine kleine Gemeinschaft zu schmieden, und scheiterte. Protestanten waren angepasster, als sie später zugaben, selbst dann, wenn sie sich den Deutschen Christen, der SA Christi, verweigerten. Bonhoeffer, der entschiedene Bekenner, wurde verlacht. Zitator: „Ob es jemals in der Geschichte Menschen gegeben hat, die in der Gegenwart so wenig Boden unter den Füßen hatten - denen alle im Bereich des Möglichen liegenden Alternativen der Gegenwart gleich unerträglich, lebenswidrig, sinnlos erschienen?“ Sprecherin: Bonhoeffer kämpfte und verzweifelte im Grunde, denn der Kreis der Bekennenden Kirche, der einer Vorstellung der 50er Jahre nach so unendlich groß sein sollte, es waren 1937 etwa 700 Leute. 700 Entschiedene, und die wurden in den Folgejahren zum Teil durch den Nationalsozialismus fast systematisch dezimiert, denn Bekenntnispfarrer mussten sehr oft mit der Einberufung zur Wehrmacht rechnen, sie wurden, wie Bonhoeffer selbst, durch die Drohung gefährdet, als Wehrmachtspfarrer den soldatischen Eid auf Hitler als Führer leisten zu müssen. Viele von ihnen fielen an der Ostfront. Sprecher: 1938/39 musste er befürchten, zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Damals half ihm sein Schwager Hans von Dohnanyi, indem er Bonhoeffer in das Amt Ausland/Abwehr beim Oberkommando der Wehrmacht verpflichtete, in den engsten Kreis der Verschwörer um Hans Oster. Damit war zugleich die Zeit der Unschuld vorbei, denn Bonhoeffer gehörte nun einem staatlichen Apparat an, der auf den Befehl einer verbrecherischen Führung zu hören hatte. Er war gefährdet durch die stets drohende Einberufungsgefahr. Das war ein neuer Hinweis auf eine Schwäche, die er allerdings aktiv und selbstbewusst reflektierte. Das NS-Regime charakterisierte er durch seine „Maskerade des Bösen“ - er hatte es durchschaut. Sprecherin: Bonhoeffer war lange Jahre durchaus unsicher. Sollte er ins Ausland gehen, sich absentieren? Er versuchte es. 1939 befand er sich in den USA, sogar zu dem Zeitpunkt, als der Krieg ausbrach. Er wurde kritisch beobachtet. Manche Amerikaner hielten Bonhoeffer, wie fast zur gleichen Zeit Adam von Trott zu Solz, für einen Agenten der Nationalsozialisten. Bonhoeffer litt unter dem Misstrauen. England konnte er sich vorstellen als Zuflucht, nicht aber die USA, trotz der Unterstützung durch Reinhold Niebuhr. Sprecher: Bonhoeffer wollte in Deutschland selbst und vor Ort den Nationalsozialismus bekämpfen. Er hätte wie andere in Sicherheit bleiben können, aber er entschied sich für die unmittelbare Auseinandersetzung mit dem verhassten Regime, weil er es inzwischen immer besser kennengelernt hatte. Dieses nationalsozialistische System war im Kern korrupt, verrottet, schlecht. Allerding war ihm auch bewusst, dass der Kampf gegen den Staat Hitlers Opfer verlangte. Zitator: „Wenn aber einmal böse Mittel zum Erfolg führen, dann entsteht das Problem. Angesichts solcher Lage erfahren wir, dass weder theoretisch zuschauendes Kritisieren und Rechthabenwollen, also die Weigerung, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen, noch Opportunismus, also die Selbstpreisgabe und Kapitulation angesichts des Erfolges, unserer Aufgabe gerecht werden. Weder beleidigte Kritiker noch Opportunisten wollen und dürfen wir sein, sondern an der geschichtlichen Gestaltung - von Fall zu Fall und in jedem Augenblick, als Sieger oder als Unterlegene - Mitverantwortliche.“ Sprecherin: Als Bonhoeffer dies schrieb, hatte der Kampf der Bekennenden Kirche Menschenleben gekostet. Einer seiner Mitstreiter, Friedrich Weißler, war 1937 zu Tode gekommen. Er gilt als erster Blutzeuge der Bekennenden Kirche. Weißler war Jude, der zum christlichen Glauben konvertierte, ein sehr konservativer Mensch, Jurist aus Magdeburg, der im Februar 1933 in einem Prozess einen Nationalsozialisten verurteilt hatte. Sprecher: Er gehörte zu den ersten Protestanten, die im Zuge des Berufsverbots, das die Nazis mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums verhängt hatten, aus dem Amt gejagt wurde. Er beließ es nicht bei seiner Zwangspensionierung, sondern er reihte sich als Justiziar in die Bekennende Kirche ein. Dabei war er aufgrund seiner Herkunft als deutscher „Rassejude“, wie die Nationalsozialisten sagten, besonders gefährdet. Er selbst empfand sich als Christ. In seiner Funktion als Justiziar war Weißler als Berater an der Bearbeitung einer Denkschrift beteiligt, die die evangelische Kirche für 1936 - das Jahr der Olympiade - zur Eingabe an Hitler selbst vorbereitet hatte. Mit dieser Denkschrift wollte die Kirchenleitung Hitler beeinflussen. Hitler hat die Denkschrift vermutlich nie gesehen. Sie wurde 1936 in der Baseler Zeitung publiziert, im Schweizer Ausland. Sprecherin: Wer hatte der ausländischen Presse diese Denkschrift, die nur für Hitler bestimmt war, in die Hände gespielt? Weil die Gestapo nachforschte, wurde die Bekennende Kirche nervös und gab den Verfolgern einen Tipp. Die Gestapo verhaftete den konvertierten Juden Weißler - dieser befand sich nun in tödlicher Gefahr. Im Rückblick scheint sein Schicksal unausweichlich, Weißler wurde verhaftet, misshandelt, bedroht, er lebte noch vier Monate, dann kam er in Sachsenhausen unter bis heute nicht geklärten Umständen um. Sprecher: Bonhoeffer wusste: Man muss hinschauen und seine Empörungsfähigkeit schulen. Das ist das Wichtigste: Sehen wollen und die eigene Empörungsfähigkeit zu schulen. Die Bereitschaft, sehen zu wollen war eine Folge der moralischen Koordinaten, der Kraft zum stellvertretenden mitmenschlichen Handeln. Hinschauen verlangte Mut, Kraft, Selbstbewusstsein, Konsequenz, das fiel keinem in den Schoß. Empörungsfähigkeit mussten sich die Zeitgenossen erarbeiten. Wenn sie die Fähigkeit dazu mitbrachten, konnten Voraussetzungen wie Distanz zum System und ein fester Maßstab eine Wirkung in der Distanzierung von den Zeitströmungen entfalten. Dann konnte der Einzelne selbst Wahnwitziges wagen, zum Beispiel in den engsten Kreis der Macht treten, um von dort aus den Sturz des Gesamtsystems zu betreiben. Sprecherin: Genau das machte Bonhoeffer. Er wurde mit Kriegsbeginn durch seinen Schwager Hans von Dohnanyi ein Mitarbeiter des Amtes Canaris, des Amtes für Auslandsabwehr, also jenes Amtes, das den NS-Staat gegen Infiltration von außen zu schützen hatte und Leute einsetzen konnte, die Auslandserfahrung hatten und über Auslandskontakte verfügten. Widerstand - das war auch Handeln aus dem Dunst der Geheimdienste heraus. Bonhoeffer bekam, bei aller Zurückhaltung, die er sich zunächst auferlegte, einen wichtigen Posten, der ihm neue Praktiken widerständigen Handelns eröffnete. Als Abwehrmann war er zu einem Agenten geworden, bewegte sich im Zwielicht, trug nunmehr Verantwortung im System und nahm zugleich eine neue Art von Schuld auf sich. Zitator: „Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung misstrauisch gegen die Menschen geworden und mussten ihnen die Wahrheit und das freie Wort schuldig bleiben, wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder vielleicht sogar zynisch geworden - sind wir noch brauchbar?“ Sprecher: Kooperation und Konfrontation - dieses Spannungsverhältnis wurde bestimmend. Wer hier im Amt Canaris Dienst tat, konnte sogar mit den gegnerischen Geheimdiensten Kontakt aufnehmen. Bonhoeffer konnte ins Ausland reisen, sogar in die Schweiz zu Karl Barth. Mit Moltke flog er nach Norwegen, den anglikanischen Bischof Bell traf er in Schweden, denn es hieß, er sollte Informationen beschaffen. In Wirklichkeit hatte er über Bischof Bell Kontakt zur britischen Regierung aufnehmen sollen. Die nahmen den deutschen Priester nicht ernst und bekräftigten das Kriegsziel der bedingungslosen deutschen Kapitulation. Sprecherin: Bonhoeffers Wirken endete tragisch, sieht man davon ab, dass er entscheidend im Rahmen des Unternehmens Sieben an der Rettung deutscher Juden beteiligt war. Misstrauen lähmte und beschämte ihn. Ob Barth ihm wirklich voll vertrauen wollte und konnte, wir wissen es bis heute nicht, denn wieso konnte Bonhoeffer aus dem Reich der Nationalsozialisten ausreisen? War er wirklich der Sendbote der Opposition oder nur ein Einflussagent? Bonhoeffer, der aufrechte und wahrhaftige Gläubige - er stand im Zwielicht wie fast alle seiner Freunde im Widerstand. Er wollte die Wahrnehmung der deutschen Opposition durch die Gegner durch unmittelbare Geheimdienstkontakte beeinflussen, aber eben nicht im Dienste des NS-Staates, sondern des „anderen Deutschland“. Sprecher: Das Amt Ausland/Abwehr sollte fremde Mächte beeinflussen. Man traf sich mit Kontaktleuten in Bern, in Madrid und in Stockholm. Besonders wichtig war die Verbindung zu den Alliierten, zu denen mit Hilfe des Vatikans Kontakt geknüpft werden konnte. Bonhoeffer und Dohnanyi gingen aber noch weiter, denn sie halfen vereinzelt Verfolgten, transferierten Geld ins Ausland, um dort das Leben der Geretteten besser sichern zu können. Das geriet ihnen zum Verhängnis. Dohnanyi wurde im Zusammenhang einer SD-Intrige verhaftet, damit war das Schicksal von Bonhoeffer besiegelt. Er wurde am 5. April 1943 verhaftet. Sprecherin: In der Haft entdeckte Bonhoeffer etwas ganz Neues an sich: Eine unendliche Kraft, die aus dem so intensiv durchdachten und so schmerzhaft durchlittenen Zusammenhang von „Widerstand und Ergebung“ erwuchs. Die Haftzeit schreckte ihn deshalb nicht, sondern weitete seinen Blick und verbreiterte seine Empfindungen. Deutlich wird dies an einem Bild aus der Haftanstalt Tegel. Bonhoeffer steht in Tegel im Gefängnis mit einem italienischen und französischen Gefangenen, er in der Mitte. Sprecher: Die Haft in Tegel wurde zu seiner Bestimmung, zum Beweis, dass Widerstand keineswegs nur aus dem Zentrum der Macht heraus, sondern sogar im Gefängnis geleistet werden konnte. Denn Bonhoeffer bewährte sich in der extremen Vereinzelung und Vereinsamung, er blieb mit sich im Einklang. Widerstand als Ergebung - das macht Bonhoeffer zum Exempel individueller Standhaftigkeit im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Diktaturen. Sprecherin: Die Frage, die Bonhoeffer sich und seinen Freunden „nach zehn Jahren“ stellte, fordert bis heute heraus: „Wer hält stand?“ Nicht zuletzt fragte er, welche Menschen nach dem Untergang des NS-Staates gebraucht würden. Seine Antwort war schlicht und klar: Zitator: „Nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker, sondern schlichte, einfache, gerade Menschen werden wir brauchen.“ 14