COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 2. Juli 2009 Redaktion: Peter Kirsten Intelligent ohne Gehirn Die Neurobiologie der Pflanzen Von Falk Fischer Regie: Minimalmusik kurz anspielen. Drüber: Zitatorin: Im Wissen darum, dass alle Lebewesen eine gemeinsame Herkunft haben, in Erwägung, dass uns Pflanzen in ihrer Andersartigkeit letztlich immer ein Geheimnis bleiben werden, im Bestreben, das Wesen der Pflanze tiefer zu ergründen und sie in ihrer Einzigartigkeit zu schützen, formulieren wir die folgenden Thesen mit dem Ziel, die Pflanze um ihrer selbst willen zur Sprache zu bringen und Anspruchsrechte für sie geltend zu machen. (Musik weg) ... 1. These: Pflanzen sind Lebewesen. OT 1: Umfrage (Reporter) "Was denken Sie: Sind Pflanzen eher Lebewesen oder biochemische Apparate?" (1. Mann) "Biochemische Apparate". Lebewesen haben meiner Meinung nach Gefühle, Emotionen, und das haben ja Pflanzen nicht." (Reporter) "Haben Sie Pflanzen zuhause?" (1. Mann) "Eher Plastikpflanzen. Die sind definitiv keine Lebewesen". - (1. Frau) "Eine Pflanze? Natürlich ein Lebewesen." Reporter "Was macht Sie da so sicher?" (1. Frau) Na ja, man sieht ja, wie sie wachsen, oder? Der Rasen muss ja auch gemäht werden, oder?" (2. Mann) "Ganz schwierig zu beantworten." (2. Frau) Für mich eher Lebewesen, aber schwierige Frage. OT 2: Boland Apparat ist sicher nicht das richtige Wort. Eine Pflanze ist eine intelligent programmierte, biologische Maschine, die auf Reize von außen, die sie wahrnehmen kann - und zwar auf überaus viele - in einer angemessenen Art und Weise programmiert zu reagieren hat. OT 3: Koechlin Also Pflanzen machen nicht nur Signalaustausch, sondern nach meiner Meinung wirklich Kommunikation. Zitatorin: 2. These: Pflanzen sind Tieren und Menschen verwandt. Alle haben wir unseren gemeinsamen Ursprung in einzelligen Lebewesen, die sich in einer fast drei Milliarden Jahre dauernden Evolution zu einer einzigartigen Vielfalt an Lebensformen differenziert haben. OT 4: Koechlin Und Kommunikation ist etwas, was in einer Gemeinschaft passiert, das ist soziales Handeln quasi, dass verschiedene Individuen ein Set an Zeichen und deren Bedeutungen untereinander teilen und auch neue immer wieder entwickeln. Und der Punkt ist, dass sie auch auf ganz unvorhergesehene, nicht berechenbare Situationen reagieren können. Das unterscheidet, also grob gesehen, Pflanzen von Automaten. Zitatorin: 10. These: Pflanzen erleben die Welt auf ihre eigene Art. Sie haben ein Eigensein. Sie leben als ein Selbst. Regie: Akzent Sprecher: Vor 100 Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, Pflanzen als Automaten zu begreifen. Die Perspektive der Gentechnik und Molekularbiologie hat dieses Bild zum neuen Wirklichkeitsstandard befördert, zumindest in Wissenschaftskreisen. Sprecherin: Um Pflanzen aus wissenschaftlicher Perspektive Leben zuzusprechen, müssten sie mindestens unterscheiden können zwischen eigen und fremd oder über eine Form von Selbstwahrnehmung verfügen, weil das eine Qualität ist, die kein Apparat der Welt nachstellen kann und die Grundvoraussetzung für Intelligenz darstellt. Mangels Selbstwahrnehmung weiß ein Computer nichts von der Welt. Er spult allenfalls Programme ab, die vereinzelt herausgegriffene, isoliert bearbeitete und als intelligent bewertete Prozesse simulieren. Solche Vereinzelung gibt es bei Pflanzen nicht. In der Art ihres Wachstums, ihrer Reviereroberung, ihres Selbstschutzes, ihrer Anpassungsflexibilität zeigen sie offenkundig ein echtes, sinnvolles, in diesem Sinne auch intelligentes Verhalten. Keinem Apparat hingegen würde man ernsthaft wirkliches Verhalten zubilligen. Sprecher: Mangels eines Gehirns und schnellerer Ausdrucksmöglichkeiten weigern sich viele Wissenschaftler, Pflanzen als intelligent zu bezeichnen - und nicht nur als intelligent programmiert. Allerdings mehren sich in jüngerer Zeit Hinweise, dass auch Pflanzen etwas Ähnliches wie ein Nervensystem besitzen und zum Teil Fähigkeiten zeigen, wie sie gewöhnlich nur dem Tierreich zugeordnet werden. Sprecherin: Die Baseler Biologin Florianne Koechlin ist diesen Hinweisen nachgegangen, hat etliche Wissenschaftler und Pflanzenkundler besucht und schließlich die so genannten Rheinauer Thesen initiiert. Eine der augenfälligsten Lebensäußerungen von Pflanzen ist für sie die Kommunikation. OT 5: Koechlin Schon nur die Forschungen aus der Zell- und Molekularbiologie der letzten paar Jahre, die zeigen, dass Pflanzen miteinander kommunizieren, und zwar sehr differenziert. Also kommunizieren heißt, dass sie die Duftstoffzeichen, die sie empfangen zuerst einmal überhaupt erkennen können, dann interpretieren und dann darauf antworten und reagieren. Also das braucht alles etwas wie fast Entscheidungsfähigkeit. Regie: Akzent (evtl. Atmo aus dem Laborflur unterlegen) Sprecher: Ort: Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena. Hier wird die Duftkommunikation erforscht. OT 6: Boland: Man kann die Düfte im Grunde genommen als eine Sprache auf Molekülebene bezeichnen. Sprecher: sagt Institutsdirektor Wilhelm Boland. Den Begriff "Sprache" gebraucht er nur ungern, da Pflanzen für ihn tatsächlich "Maschinen" sind. Einer Faszination kann er sich dennoch nicht entziehen. OT 7: Boland Was man sehen kann ist, dass Pflanzen, wenn sie befallen werden von Insekten, mitunter aber auch von Mikroorganismen, letztendlich beginnen, eine gewisse Folge von Duftsignalen zu machen. Sie haben schon im Sekundenbereich die typischen Verletzungssignale, die sie alle kennen, wenn man ein Blatt nimmt und zerreibt es zwischen den Fingern, dann gibt es diesen so genannten grünen Blattduft. Aber das wird schon von Nachbarpflanzen verstanden. Schon dafür gibt es Rezeptoren, und das kann dann in benachbarten Blättern derselben oder anderer Pflanzen schon so etwas wie eine Hab-Acht-Stellung auf genetischer Ebene hervorrufen. Sprecher: Das allein ließe sich noch als bloße Reiz-Reaktionsfolge begreifen. Tatsächlich aber reagiert eine Pflanze sehr viel differenzierter. Je nach Art der Verletzung synthetisiert sie andere Duftstoffe. Auf Insektenbefall beispielsweise antwortet sie deutlich anders als auf eine zufällige mechanische Verletzung. Und sogar die Art des Schädlings weiß sie zu unterscheiden. Wird beispielsweise der Wilde Tabak von Käfern oder Raupen angegriffen, steigert er seine Nikotinproduktion. Da Nikotin ein Nervengift ist, lassen die Insekten nach kurzer Zeit von ihm ab. Sprecherin: Das gilt nicht für die Raupe des Tabakschwärmers. Sie ist resistent gegen Nikotin und speichert es sogar, um selbst ungenießbar zu werden. Sprecher: Dies scheint die Pflanze irgendwann zu merken. Jedenfalls schaltet sie plötzlich um auf indirekte Verteidigung, indem sie einen Duftstoff produziert, der die Fressfeinde der Tabakschwärmerraupe anlockt und gleichzeitig die Nikotinproduktion drosselt - die genaue Umkehrreaktion zu vorher. Aber nur so werden die Raupen für die Fressfeinde genießbar. Zitatorin: 12. These: Pflanzen sind sehr anpassungsfähig. Sie stehen in einem permanenten Austausch mit der Umwelt. Sie leben in einem dynamischen Netz von Beziehungen und Wechselwirkungen, die sie weit mehr beeinflussen können als etwa Tiere. OT 8: Boland: Pflanzen können ihre Umgebung direkt über Duft strukturieren. Das können Sie deswegen, weil diese Duftstoffe ja Wirkstoffe sind. Sie sind antimikrobiell wirksame Verbindungen. Es sind auch Verbindungen, die das Keimen oder das Wachstum anderer Pflanzen behindern oder auch stimulieren können. Und damit kann letztendlich eine Pflanze sogar kontrollieren, wer da wächst. Sprecherin: Wären die Pflanzen Tiere, würde man von Sozialverhalten sprechen. Auch im tierischen Sozialverhalten spielen Düfte eine zentrale Rolle, und sicher ließen sich auch dort die biochemischen Grundlagen aufklären, aber es geht darin nicht vollständig auf. Sprecher: Wilhelm Boland ist da anderer Überzeugung. OT 9: Boland: Irgendwann ist es vollständig gläsern und verständlich. Und dann haben sie die so genannte gläserne Zelle. Und bei Bakterien sind wir sehr, sehr nahe dran, dass sie jede einzelne Reaktion mit der Genauigkeit eines Computers berechnen können und jede Response dieser Zelle präzisest voraussagen. Sprecher: Ganz ähnliche Hoffnungen beherrschten auch die Physik vor 100 Jahren, bevor sie von der Quantentheorie grundlegend korrigiert wurden. Ein ähnlicher Paradigmenwechsel steht der Biologie aller Voraussicht nach noch bevor. Sprecherin: Die Vorstellung jedenfalls, dass alle Lebensprozesse letztlich von Genen gesteuert würden, wackelt beträchtlich. Wie jüngere Experimente zeigen, können entkernte, also vom Erbgut befreite Zellen noch gut 2 Monate unbeschadet leben und sogar flexibel, lern- und anpassungsfähig auf äußere Umweltreize reagieren. Das Erbgut steuert also nicht, sondern stellt lediglich Baupläne für nachzuliefernde Proteine oder Enzyme bereit. Möglicherweise ist Begriff "Steuerung" auf Zellniveau überhaupt unbrauchbar. Zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle die genau passenden Reaktionen in optimaler Dosierung ablaufen zu lassen, verlangt eine übergreifende Koordination, die nur von der Zelle als Ganzes geleistet werden kann, nicht von einzelnen Bausteinen. Genau diese Koordination unterscheidet eine lebende von einer toten Zelle und macht sie zu einer biologisch intelligent agierenden und reagierenden Einheit. Regie: Akzent Sprecherin: Intelligente Leistungen sind somit nicht notwendig an die Existenz eines Gehirns gebunden. Am eindrucksvollsten beweist dies ein Amöbenschwarm, wo sich Milliarden von Einzellern ganz unvermittelt zu einem Gesamtorganismus zusammenschließen und koordiniert agieren können. Pflanzen sind demgegenüber sehr viel strukturierter und somit der Forschung auch besser zugänglich. Eine übergreifende Koordinationseinheit ist aber auch hier nicht zu finden. OT 10: Volkmann: Das ist die Schwierigkeit, dass wir ein koordinierendes System fordern, wie es das Gehirn des Menschen ja ist, das verrechnen kann, das Entscheidungen fällen kann. Das ist genau das, was wir mindestens theoretisch fordern müssen bei den Ansprüchen, die an die Pflanze gestellt werden, und die sie auch tatsächlich bewerkstelligen kann. Aber dieses koordinierende Zentrum ist völlig unbekannt. Sprecher: sagt Dieter Volkmann, Emeritus an der Universität Bonn am Institut für zelluläre und molekulare Botanik. Die Vorstellung intelligenter Koordination ohne Gehirn, ohne Zentralorgan, ist noch gewöhnungsbedürftig. Dabei zeigt schon der Einzeller, im Großmaßstab auch das Internet, dass das prinzipiell möglich ist. Sprecherin: Wirklich intelligentes Verhalten setzt eine Art Sinnverständnis der Lebenswelt voraus. Dazu muss das einzelne Subjekt, egal ob Einzeller, Tier oder Pflanze, gewissermaßen durch und durch in das Lebensnetzwerk eingebunden sein. Bei Pflanzen ist das auf eine sehr subtile, für das bloße Auge unsichtbare Weise der Fall. Denn nahezu alle Pflanzen sind über ein gigantisches Pilzgeflecht, Mykhorriza genannt, symbiotisch miteinander verbunden. Fachleute sprechen in Anlehnung an das Internet schon von einem wood wide web. Die Pflanzen beliefern die Pilze mit Photosyntheseprodukten, während die Pilze im Gegenzug vermittels ihrer mikroskopisch feinen Fäden den Boden nach Mineralstoffen absuchen, 100fach effizienter, als Pflanzenwurzeln allein das könnten. Die Symbiose beschränkt sich dabei nicht auf den bloßen Stoffaustausch. Vielmehr muss auch ein noch ungeklärter Informationsaustausch stattfinden, denn noch nie ist es gelungen, Mykhorriza ohne das Beisein von Pflanzen in Petrischalen zu kultivieren. Sprecher: So ist es vielleicht auch kein Zufall, dass Volkmann und sein Kollege Franticek Baluska bei der Untersuchung der Pflanzenwurzel auf Nervenzellen-ähnliche Strukturen gestoßen sind, obgleich sie von einer ganz anderen Fragestellung ausgegangen sind: Nämlich wie stellt es die Pflanzenwurzel an, im Schwerefeld immer nach unten zu wachsen. Das Geheimnis liegt in den letzten 5 Millimetern der Wurzelspitzen. OT 11: Volkmann Könnte sein, dass es dieser ganz kleine Bereich in der Wurzelspitze ist, der besonders ausgestattet ist mit zahlreichen Besonderheiten wie diesem anatomisch morphologischen Bereich, den wir jetzt als Synapse bezeichen, wo bestimmte Signale, man kann auch Transmitter, Übertragungsmoleküle sagen, umgesetzt werden, weitergeleitet werden und zu einem bestimmten Bereich dann geführt werden, wo wieder koordiniertes Wachstum stattfindet. Sprecher: Synapsen bezeichnen normalerweise Kontaktstellen zwischen Nervenzellen. Legt man eine abgeschnittene und mit Farbstoffen geeignet präparierte Wurzelspitze unter ein Fluoreszenzmikroskop, kann man sehen, wie sich binnen Sekunden einige eingefärbte Moleküle genau in Längsrichtung der Wurzel zu den Zellwänden bewegen und wie Wasserträger Botenstoffe von einer Zelle zur nächsten weiterreichen. Genau so verhalten sich auch Nervenzellen. Aber die Analogie geht noch wesentlich weiter. OT 12: Volkmann: Wenn wir jetzt bestimmte Moleküle, die wir aus dem Bereich der menschlich- tierischen Synapsen kennen, wenn man nach den Genen für diese Moleküle sucht, stellt man fest, ach, die gibt es bei den Pflanzen auch. Und wenn wir gegen diese Antikörper gemacht haben, dann finden wir diese Moleküle genau am sogenannten pflanzlich synaptischen Spalt. Sprecher: Die äußersten Zellen der Wurzelspitzen sind schwerkraftsensitiv. Sie haben ein Sediment eingelagert, das sich immer nach unten absetzt und so das elektrische Membranpotenzial, was jede lebende Zelle umgibt, verändert. Dies löst eine hoch geordnete Zellaktivität aus. Möglich ist diese Ordnung nur, weil Zellen wie Flüssigkristalle arbeiten. In Sekundenbruchteilen können sie innere Skelettstrukturen, das so genannte Cytoskelett, aufbauen, umbauen und auch wieder abbauen. Der dafür ebenfalls notwendige "Muskelapparat" heißt Actomyosinsystem und verwendet dieselben Motormoleküle, die auch in tierischen Muskeln die Bewegung inittieren. OT 13: Volkmann: Das Plasma ist eine wässrige Lösung, die nicht fassbar ist, denn sie ist modifizierbar durch unendlich viele Faktoren, durch mechanische Faktoren, durch Ionen natürlich, durch pH-Wert, durch andere Umweltfaktoren. Das Cytoplasma ist so umbaufähig aufgrund des Actomyosinsystems, dass es eben immer zwischen Gel und wässrig hin und her gehen kann, zwischen Polarisation und Deplarisation, richtunggebend durch richtunggebende Polymerisation usw. usf.. Kann ganz schnell wieder abgebaut werden, und es ist wässrig. Sprecher: Alle Intelligenz im Großen basiert auf diesen hoch geordneten Aktivitäten im Kleinsten. Wie diese so stabil und störungstolerant organisiert sind, bleibt nach wie vor rätselhaft. Beobachten lässt sich nur, dass binnen weniger Sekunden die Information von den äußersten Wurzelspitzen in die Wachstumszone per Botenstoffen übertragen wird, woraufhin die Zellen in diesem Bereich nun so wachsen, dass sich die Wurzelspitze gerade nach unten senkt. Sprecherin: Die Genialität eines so unscheinbaren Prozesses ist kaum hoch genug einzuschätzen. Ein Signal muss erzeugt und losgeschickt werden, weitergeleitet, schließlich interpretiert und in die erforderlichen Wachstumsprozesse umgesetzt werden. Aber das allein reicht noch nicht. Vielmehr nimmt die Wurzelspitze auch noch Nachbarwurzeln sozusagen mit "in den Blick". Dazu gibt es eindrucksvolle Experimente an Erbsenkeimen. Florianne Koechlin hat diese Experimente recherchiert. OT 14: Koechlin: Also normalerweise wachsen Wurzeln der eigenen Pflanze nicht gegeneinander an, sie konkurrenzieren sich nicht, sondern sie gehen auseinander. Diesen Erbsenkeimling haben sie gesplittet, so dass es zwei genetisch gleiche Pflanzen sind. Und innerhalb kurzer Zeit haben die Pflanzen der jeweiligen Klons sich gegenseitig konkurrenziert und sind gegeneinander gegangen, so als wüssten sie, das ist jetzt nicht mehr Selbst, sondern eine andere Pflanze. Und die Forscher meinen, das sei also auf der genetischen Ebene kaum möglich, weil es zu schnell gegangen ist, bis dieser Konkurrenzkampf mit den Wurzeln anfing. Regie: Akzent Sprecher: Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen tierischen und pflanzlichen Lebensformen sind an vielen Stellen deutlich kleiner, an anderen wiederum wesentlich größer, als gemeinhin angenommen. Der vielleicht größte Unterschied zeigt sich bei der Definition des Todes einer Pflanze. Sie stirbt nicht dadurch, dass man sie abschneidet. Aus einzelnen Wurzelstückchen, aus Blättern oder Blattteilen, kann eine komplette neue Pflanze hervorgehen - unter Laborbedingungen sogar aus jeder beliebigen einzelnen Pflanzenzelle. Sie kann sich ungeschlechtlich fortpflanzen. Und als Samen kann sie schlafend sogar Jahrhunderte überdauern. Sprecherin: Mit der Samenbildung sind Pflanzen auch zur geschlechtlichen Fortpflanzung fähig - und dort beginnen bereits die Gemeinsamkeiten. Wie Tiere bilden Pflanzen Geschlechtsorgane aus. Sie können Eigen- von Fremdpollen unterscheiden und Inzucht auf dem Bestäubungsweg minimieren. Sie verfügen, obwohl ganz anders organisiert, über ein lernfähiges Immunsystem; sie verfügen über ein Hormonsystem. Ihr Zellaufbau ist ähnlich organisiert. Man findet dieselben Strukturen, ähnliche Organelle, eine gleich gebaute Erbsubstanz, gemeinsame Enzyme, Proteine, Vitamine, Opiate, ja selbst übereinstimmende oder zumindest vergleichbare Neurotransmittersubstanzen. Das Chlorophyll, der dominante Zellfarbstoff, ist bis auf ein einziges Atom identisch mit dem roten Blutfarbstoff Hämoglobin. Zitatorin: 21. These: Welche Beziehungen wir mit Pflanzen eingehen, hat Bedeutung für unsere eigene Lebensweise. Wie wir mit Pflanzen umgehen, reflektiert unseren Umgang mit anderen Lebewesen und mit uns selbst. Der Wert, den wir Pflanzen zuweisen, hängt mit unserem Selbstentwurf zusammen. Sprecherin: Auch sind Pflanzen bewegungsfähig - freilich nur durch Wachstum. Sie wachsen aber nicht monoton. In Zeitrafferaufnahmen ist die Vorwärtsbewegung einer Wurzelspitze kaum von der Bewegung eines Regenwurms zu unterscheiden, weil auch sie sich rhythmisch spannt und streckt und spannt und streckt. Bei Tieren vermittelt sich Emotionalität über den Bewegungsausdruck - ex motio. Pflanzliche Bewegungen sind zu langsam, als dass man als Mensch darin emotionale Momente erkennen, geschweige emotional interagieren könnte. Dies ist nicht gleichbedeutend mit prinzipieller Fühllosigkeit. Zitatorin: 24. These: Wir können das Wesen der Pflanze naturwissenschaftlich nicht vollständig erfassen. Erkenntnistheoretisch gibt es Grenzen. Wir stehen der Pflanze als ins Unermessliche Forschende gegenüber. Sprecherin: Zu guter Letzt besitzen Pflanzen auch noch ganz ähnliche Sinnesorgane wie Tiere. Dies spricht eher für eine prinzipielle Fühlfähigkeit. Sie reagieren auf Düfte; die Wurzeln selektieren Nährstoffe zum Teil "nach Geschmack"; Druckschwankungen - eine Art des Hörens - registrieren sie empfindlicher als jedes technische Messgerät; sie sind berührungssensitiv, und sie können unterschiedliche Qualitäten von Licht wahrnehmen, wie Richtung, Farbe, Intensität etc.. OT 15: Wagner: Dafür hat die Pflanze eine ganze Reihe von Pigmenten, mit denen sie Lichtqualitätsänderungen wahrnehmen kann, und so ähnlich wie die Augen der tierischen Systeme. Die hat man genau untersucht und weiß, wie sie die Lichtsignale aufnehmen und wie sie die Signale in der Zelle weitergeben und verarbeiten, um dann Stoffwechselsteuerungen in der Zelle herbeizuführen. Sprecherin: Der Pflanzenforscher Edgar Wagner von der Universität Freiburg interessiert sich vor allem für das rhythmische System von Pflanzen und ihre inneren Uhren, die wie bei Mensch und Tier vornehmlich Tag-Nachwechsel, den Jahreszeiten und überraschenderweise auch vom Schwerkrafteinfluss des Mondes abhängen. Wie die Bonner Forscher nutzt auch er Zeitrafferaufnahmen, um überhaupt erst mal rhythmische Bewegungen ausfindig zu machen. Sprecher: Das Keimstadium ist dabei besonders interessant. Wenn eine Pflanze aus dem Boden schießt, schlägt sie rhythmisch mit den Blättern. Jeder Blätterschlag ist von einem Wachstumsschub der Sprossachse gefolgt. Beide Rhythmen sind so koordiniert, dass sie wie die Schwimmbewegungen eines Pinguins anmuten, der sich mit jedem Flossenschlag nach vorne stößt. Ab einer bestimmten Tages- oder Nachtlänge bricht dieses Nacheinander der Bewegungen plötzlich um in eine Synchronizität - sicherstes Anzeichen für den Beginn der Blütenbildung. OT 16: Wagner: Wenn die Pflanze zur Blütenbildung umgeschaltet wird, dann ändert sich diese Phasenbeziehung. Das ist ein ganz klarer Marker. Und als wir das gesehen haben, dann wussten wir, jetzt muss es eine ganz präzise Kommunikation zwischen der Rate des Längenwachstums und der Rhythmik der Blattbewegungen geben, und wie kann diese Kommunikation stattfinden, das war dann eine zentrale Frage. Und dann hat sich angeboten aus vielen Überlegungen heraus und Beobachtungen, dass möglicherweise dabei elektrische Signale eine Rolle spielen. Sprecherin: Um diese Spur weiterzuverfolgen, hat Edgar Wagner seine Pflanzen kurzum an EEG- und EKG-Apparate angeschlossen, wie sie normalerweise zur Hirn- und Herzstrommessung verwendet werden. Sprecher: Tatsächlich zeichneten die Schreibgeräte in bestimmten Situationen oder unter bestimmten Bedingungen klare elektrische Pulse auf - relativ selten zwar und auch relativ langsam ausbreitend, aber zur großen Überraschung echten Nervenpulsen auffallend ähnlich. Sie Signalform weist sie eindeutig als Aktionspotenziale aus, die durch ganz bestimmte Eigenschaften gekennzeichnet sind, nämlich ... OT 17: Wagner: ... dass die Dauer des Aktionspotenzials charakteristisch ist und dass Aktionspotenziale so genannte Alles-oder-nichts-Reaktionen sind, dass, wenn sie denn existieren, sie eine bestimmte Dynamik haben und dann wieder eine Zeit verstreichen muss, bis sich die Zelle wieder regeneriert hat, dass wieder ein Aktionspotenzial entstehen kann. Sprecher: Pflanzliche Organe wie Wurzeln, Blüten, Blätter etc. arbeiten in hohem Maße autonom, weit autonomer als die Organe bewegter Lebewesen. Von daher bedarf eine Pflanze viel seltener einer pflanzenübergreifenden, schnellen Kommunikation. Unverzichtbar allerdings wird sie dann, wenn die Pflanze als Gesamtorganismus umkoordiniert werden muss wie im Fall der Blütenbildung oder wenn sie einer Gefahr ausgesetzt ist, die ihr Überleben als Ganzes bedroht. Letzteres ist z.B. der Fall, wenn die Sprosstriebe verletzt werden und die Pflanze dadurch auszutrocknen droht. OT 18: Wagner: Wenn wir die Wurzeln abschneiden und die Pflanze wie eine Blume in das Wasser stecken, dann ist die Wasseraufnahme ganz dramatisch verstärkt, weil eben die Transpiration der Blätter, das ist ein Wassersog, das hinein nimmt. Das ist die schnellste Dynamik, die wir messen konnten. Dann war die Frage, was passiert jetzt, wenn ich die Sprossvegetationspunkte herausschneide. Dann haben wir das gemacht. Und wenn ich bei abgeschnittener Wurzel die Sprossvegetationspunkte herausschneide, dann passiert überhaupt nichts. Aber wenn die Pflanze intakt ist und die Wurzel da ist und die Wurzel die Wasseraufnahme determiniert, dann, in dem Moment, wo man das macht, wird die Wasseraufnahme durch die Wurzel dramatisch reduziert. D.h. es muss eine ganz schnelle Kommunikation zwischen Sprossvegetationspunkten und Wurzel geben. Sprecher: Dass es wirklich die Aktionspotenziale sind, die für dieses Verhalten verantwortlich zeichnen, beweist ein Umkehrexperiment - der messtechnischen Einfachheit wegen am Beispiel der Blütenbildung durchgeführt. Die Signale, die das Umschalten von Wachstum auf Blütenbildung organisieren, sind bekannt. OT 19: Wagner: Wenn wir diese Signale von außen aufspielen, zur richtigen Zeit im richtigen Takt, dann können wird die Pflanze unter Bedingungen, die nicht zur Blütenbildung führen würden, also z.B. unter Dauerlicht halten, zur Blütenbildung induzieren. Sprecher: Edgar Wagner vermutet inzwischen sogar, dass diese Pulse ähnlich wie im menschlichen Gehirn sogar Bahnung machen, also Lernspuren hinterlassen. Denn wenn Pflanzen viele Jahreszyklen durchlaufen haben, sind sie zum Teil in der Lage, anhand eines einzigen Tag-Nacht-Wechsel den optimalen Zeitpunkt für die Blütenbildung zu erkennen und entsprechend umzuschalten, während "Youngster", da noch bis zu fünf solcher Perioden benötigen. Regie: Akzent Sprecher: Inzwischen hat sich diese Art der Pflanzenforschung unter dem Namen "Pflanzenneurobiologie" etabliert und unterstreicht damit, wenn auch noch etwas provokant, die Nähe zu tierischen Organismen. Sprecherin: Immerhin könnte die Pflanzenneurobiologie mit dazu beitragen, das Verhältnis zwischen Mensch und Pflanze neu zu justieren und Pflanzen, ähnlich wie Tieren, bestimmte Lebensrechte zuzugestehen. Dafür vor allem setzt sich Florianne Koechlin ein, die auch Mitglied in der Schweizer Ethikkomission ist. Zitatorin: 25. These: Wenn wir der Pflanze als eigenständigem Wesen begegnen und uns auf sie einlassen, entwickeln wir Sensibilitäten und Fähigkeiten, die es uns erlauben, sie in ihrem Dasein tiefer zu verstehen. In ihr und durch sie erleben wir etwas Umfassendes. OT 20: Koechlin: Wenn wir Pflanzen so als Automaten anschauen, dann ist es völlig lächerlich, von Würde oder von Verpflichtungen zu reden. Habe ich ja einem Kühlschrank gegenüber auch nicht. Aber wenn wir Pflanzen als Individuen, die vielleicht sensibel oder sogar empfindungsfähig sind, anschauen, dann stellt sich die Frage ganz neu und vehement. Zitatorin: 29. These: Pflanzen haben eine enorme Flexibilität und können sich an sehr viele Manipulationen anpassen. Sie vermitteln uns auf den ersten Blick keine offensichtlichen Signale, wo die Grenzen ihrer Verletzbarkeit sind. Um so wichtiger ist, dass wir diese Grenzen gemeinsam finden. Nichtwissen verpflichtet. OT 21: Koechlin: Und wir plädieren stark dafür, dass es auch bei Pflanzen solche Grenzen geben soll, gegen deren totale Instrumentalisierung und Industriealisierung, und dass wir auch Pflanzen gegenüber Verpflichtungen haben. Patentieren kann ich eben einen Kühlschrank oder eine Chemikalie, aber eine Pflanze, das geht nicht, und zwar nicht nur aus sozioökonomischen Gründen nicht, weil die Bauern eben in neue Abhängigkeiten kommen, sondern um der Pflanze selber willen. Oder die Terminatortechnologie, dass man Pflanzen gentechnisch so manipuliert, dass sie steril werden, rein aus wirtschaftlichen Interessen, das geht zu weit. 1