Deutschlandradio Kultur Länderreport Ländersache Kultur (5b) Die Kulturpolitik der Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern Autor Marx, Peter Redaktion Stucke, Julius Sendung 02.03.12 - 13.07 Uhr Regie Klaus-Michael Klinsporn Sprecher Thomas Holländer - M A N U S K R I P T B E I T R A G - Staatskanzlei Schwerin: Trotz eisiger Kälte harren über 200 Musiker, Sängerinnen, Schauspieler, Bühnenarbeiter und Ballett-Tänzerinnen vor dem Amtssitz von Ministerpräsident Erwin Sellerring aus, sie singen und tanzen gegen die Kälte, buhen und pfeifen den neuen Kultusminister des Landes Mathias Brodkorb von der SPD aus: (Brodkorb) Meine sehr verehrten Damen und Herren... als Verdimitglied sage ich auch, liebe Kollegen, ich gehe davon aus, ich bin der einzige der keinen Applaus für seine Rede erhält. Es ist Brodkorbs erster öffentlicher Auftritt in seinem neuen Amt und einer, der im gar nicht passt. Er muss jetzt für die politischen Sünden seiner Vorgänger gerade stehen Die haben jahrelang die katastrophale Finanzsituation der sechs Theater im Land unterschätzt, verdrängt, ignoriert, so dass Brodkorb nun vor einem Scherbenhaufen steht und ganz gleich was er macht, schon jetzt weiß, dass er Prügel einstecken wird. Also am liebsten wäre es mir, ich könnte als Kultusminister hier ins Mikrophon sprechen und sagen: Also, liebe Leute, wir verdoppeln die Ausgaben für Theater, wir bauen auch noch ein paar neue Häuser und lassen es richtig krachen im Bereich Kunst und Kultur. Das würde man liebsten sagen. Das geht deshalb nicht, weil schon seit Jahren absehbar ist, dass wir Strukturentscheidungen vor uns stehen haben. Im Moment gibt das Land 35,8 Millionen. Das ist ein Gesetz. Daran bin ich gebunden als Minister. Das ist das, was zur Verfügung steht. Und wen man dies und die Zuwendungen der Kommunen zusammenrechnet, dann ist klar, dass die Theater, jedenfalls einige, kurz vor dem Kollaps stehen. Das Volkstheater in Rostock wurde wegen fehlenden Brandschutzes von der Feuerwehr geschlossen. Dem Theater Schwerin droht die Pleite. Das Theater Vorpommern in Greifswald und Stralsund versucht gerade einen Neustart. Die Orchester- und Theatergemeinschaft in Neubrandenburg-Neustrelitz zerfällt zusehends in ihre Einzelteile. Die kommunalen Träger des Anklamer Theaters erwogen sogar eine Untätigkeitsklage gegen Kultusminister Brodkorb, weil die Fördermittel nicht rechtzeitig überwiesen wurden. Das ist - grob gezeichnet - die Lage der Theaterlandschaft in Mecklenburg- Vorpommern. 35,8 Millionen Euro jährlicher Zuschuss für die Theater des Landes sind rund 53 Prozent gesamten Kulturetats des Landes. Aus Sicht beispielsweise der bildenden Künstler zuviel, aus Sicht der Intendanten zuwenig. Brodkorb spricht von einer "einfachen mathematischen Aufgabe." Im Finanzausgleichsgesetz steht eine Summe drin, die das Land bereitstellt. Dieser Betrag ist nicht dynamisiert, der ist konstant. Die Kommunen wollen ihre Finanzierungsanteile auch reduzieren. Und unter diesen Bedingungen gibt es ein zuviel an Theater. Gemessen an dem was man sich wünschen kann, würde ich das nicht unterschreiben oder unterstreichen. Nur, das ist das Problem der Politik, dass das was man sich wünscht und das unter den gegebenen Bedingungen möglichst ist, nicht immer deckungsgleich ist. So bleibt es den Intendanten überlassen, die Löcher zu stopfen - oder mit einem immer größeren Etatloch zu leben - bis der Insolvenzverwalter kommt. Auf diesem Weg sieht sich der Intendant des Schweriner Staatstheaters Joachim Kümmritz, der seit Jahren die drohende Pleite seines Theaters mit allen Kunst- und Finanztricks vermeidet. Doch mit einem aktuellen Etatloch von 1,4 Millionen Euro ist er am Ende seines Lateins angelangt. Die Lage brennt seit 20 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern. Im Augenblick ein bisschen besonders. Da wir bereits im letzen Jahr einen Wirtschaftsplan vorlegen mussten und vom Aufsichtsrat bestätigt bekommen haben, der ein Minus ausweißt, das bilanziell aber noch darstellbar war. Und wir werden nach dem Entwurf des Wirtschaftsplanes für die Spielzeit 2011/12 wieder ein Minus ausweisen müssen, welches dann bilanziell nicht mehr darstellbar ist. Und dann kann man auch keinen Wirtschaftsplan beschließen vom Aufsichtsrat und dann kann man als Theater nicht mehr arbeiten. Kümmritz droht nun mit der Schließung der Fritz-Reuter-Bühne, der einzigen plattdeutschen Bühne im Bundesland. Einsparpotential rund 500 000 Euro, verbunden mit der Kündigung von sieben festangestellten Mitarbeitern des Hauses. Der Intendant und Geschäftsführer erreichte damit, was er wohl einkalkuliert hatte: Mit Vehemenz traten die Vertreter der plattdeutschen Sprache für die Erhaltung ihrer Bühne ein und erinnerten die Regierung an die Landesverfassung. In Artikel 16 Absatz 2 steht unmissverständlich "Das Land schützt und fördert die niederdeutsche Sprache." Wie zu erwarten war, ging der Kultusminister gar nicht erst auf das Ränke-Spiel des Intendanten ein. Brodkorb wusste als er sein Amt antrat, dass in der Theater- und Orchesterpolitik des Landes schnell etwas passieren muss, wenn er nicht - wie sein Vorgänger - als "Fehlbesetzung" bezeichnet werden wollte. Er verweist auf die "Eigenheiten" der Kultur im Land. Wir sind das dünnbesiedelteste Land der Republik und wir müssen an vielen Standorten Kultur vorhalten. Und wenn sie relativ viel Geld in die Hand nehmen und das auf viele Standorte verteilen müssen, dann führt das natürlich auch zu Problemen. Man verkleckert das unter Anführungszeichen notwendigerweise, wenn sie in der Breite Kultur absichern wollen. Ministeriums-Vorgänger Henry Tesch, CDU, hatte vor zwei Jahren versucht, die Theater zu Reformen und Fusionen zu zwingen. Sein Konzept: das Geld des Landes fliest an die großen Häuser und die geben es durch Kooperationen oder gar Fusionen anteilmäßig an die kleinen Häuser weiter. Tesch scheiterte kläglich: einmal am Widerstand der Intendanten und durch die Intrigen des SPD- Ministerpräsidenten Erwin Sellerring, der Teschs Pläne während des Landtagswahlkampfes regelmäßig öffentlich zerlegte, um dann den Eindruck zu erwecken, sich selbst um die Kultur kümmern zu wollen. Doch bis auf den Besuch des Theaterfestes in Schwerin blieb davon nichts übrig. Sein neuer Kultusminister Mathias Brodkorb - gelernter Philosoph- betreibt vorsichtig Ursachenforschung und kommt dabei zu dem Schluss, den Theatern im Land fehlt es an konzeptioneller Phantasie: Man muss schon die Frage stellen ob die Theater heute noch die Funktion erfüllen können, die sie einmal gesellschaftlich hatten. Also nehme ich zur Kenntnis in der größten Stadt des Landes erreicht das Theater lediglich eine Finanzierungsquote von unter 10 Prozent. Das Kinder und Jugendtheater in Parchim eine deutlich höhere Finanzierungsquote. Also irgendwo ist da strukturelle etwas brüchig geworden. Und diese Debatten werden von Kulturinteressierten auch vor Ort geführt. Ob sich Theater konzeptionelle nicht völlig anders aufstellen müssen und zukünftig zu den Leuten gehen müssen, wo die sind und nicht umgekehrt. Also diese Frage ist sehr berechtigt und muss auch in dieser Reform auf die Tagesordnung gesetzt werden. Der Spielraum des Kultusministers wird zusehends enger. Erst mischte sich der Landesrechnungshof in die Debatte ein und forderte künftig statt vier Orchester nur noch zwei zu unterhalten. Dann organisierten Theaterfreunde im Land die Volksinitiative "Theater und Orchester sind unverzichtbar" und sammelten in wenigen Wochen über 50 000 Unterschriften. Den Rest erledigen die Oppositionsparteien im Landtag, allen voran Grüne und Linke Partei. Sie nutzen die Chance, der neuen rotschwarzen Landesregierung zu schaden. Allerdings: ohne selbst eigene Ideen zu haben, wie etwas der Fraktionschef der Grünen Jürgen Suhr. Das ist einfach nur desatrös im Augenblick. Zuschüsse erfolgen dort, wo Theater kurz vor der Insolvenz stehen. Das ist die Theaterpolitik des Landes, völlig konzeptionslos. Es wird sehenden Auges in Kauf genommen, dass die Theater in extrem wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, weil der Landeszuschuss seit Jahren eingefroren ist und letztendlich die Anpassung die erforderlich sind aufgrund von Tarifsteigerungen und Inflationszuschlägen an den Kommunen hängen bleiben, die selber mit ihren Finanzen nicht mehr weiter können. Die Situation der Kultur in Mecklenburg-Vorpommern ist nicht einmal ein Partythema. Wer sich im Land für Kultur einsetzt, zählt zu den Außenseitern, vor allem wenn er jünger als 50 Jahre ist. Die Bildungsbürgerschicht ist im Vergleich zu anderen Bundesländern dünn. Literaten und bildende Künstler treten kaum in Erscheinung. Eine Ausnahme: Die Festspiele von Mecklenburg-Vorpommern. 125 klassische Konzerte stehen dieses Jahr auf dem Programm. Die Festspiele sind die einzige Kultur-Erfolgsgeschichte des Landes. Das aber nur weil jeder zweite der insgesamt 70 000 Konzert-Besucher aus Hamburg oder Berlin kommt. Resignierend kommt der Kultusminister deshalb zu diesem Fazit: (Brodkorb) Und das ist unser Problem, das man sich nicht für Kunst und Kultur interessiert. Doch das sagt Mathias Brodkorb den Demonstranten vor der Staatskanzlei nicht. Stattdessen fordert er von den Theater neue Konzepte und erntet wieder nur wütende Pfiffe. Während der Minister kopfschüttelnd die Rednerbühne verlässt, stimmen die Demonstranten den Gefangenenchor aus der Verdi-Oper Nabucco an: Die Erinn'rung allein gibt uns Stärke zu erdulden, was uns hier bedroht. - E N D E -