Zeitfragen vom 17.10.2011 Schwärmt aus! Chinesische Unternehmen in Deutschland von Caspar Dohmen Musik Atmo Funkausstellung O-Ton: Gezockt wird hier an den Medion Eracer X 71 Gaming PC`s. Gezockt wird hier den ganzen Tag. Zurück zum Spiel. Es steht noch Null Null. Ecke gerade für Madrid und da war die Chance. Sprecher: Berlin. Funkausstellung. Halle 8. Stand des Elektronikherstellers Medion. Hier sieht man die neueste Generation von Computern und Notebooks. Mehrere Jugendliche sitzen vor einem Bildschirm und spielen virtuell Fußball. Solche Computerspieler geben viel Geld für Technik aus. Medion kennen sie fast alle. Die Geräte des Hoflieferanten von Aldi gelten als günstig und gut ausgestattet. Seit Juli gehört Medion der chinesischen Firma Lenovo. Damit sind die Chinesen der drittgrößte Computerbauer der Welt. 35 Millionen Computer oder Notebooks gehen jährlich in Europa über die Ladentheke. Bislang war der Marktanteil von Lenovo gering. Mit der Kultmarke Medion soll das nun anders werden. Der Niederländer Milko van Duijl, der die Geschäfte von Lenovo in Deutschland führt: O-Ton: Milko van Duijl Für uns ist die Übernahme unglaublich wichtig, weil für uns ist das eine Möglichkeit, um ganz schnell und mit viel Erfahrung, um in den Konsumentenmarkt herein zu gehen, und im Speziellen Deutschland, den das ist der größte Markt in Europa. Sprecher: Medion ist kein Einzelfall. Nur kurz hatten chinesische Manager während der Finanzkrise ihren Vorstoß nach Europa gebremst. Inzwischen sind die Unternehmen wieder aktiver und halten Ausschau nach interessanten Übernahmekandidaten. Martin Schwarzer, Partner bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers in Frankfurt begleitet große Übernahmen und sitzt dabei immer öfter mit chinesischen Geschäftsleuten am Tisch: O-Ton: Martin Schwarzer Aktuell in den letzten Monaten haben wir vier Transaktionen gesehen, die erfolgreich umgesetzt worden sind und wir gehen aktuell davon aus, dass auch in den nächsten Monaten die ein oder andere noch erfolgreich abgeschlossen wird. Sprecher: Januar 2011 Sprecherin: Das Textilunternehmen Jiangsu Jinsheng steigt bei dem Werkzeugmaschinenhersteller Emag im baden-württembergischen Salach ein. Sprecher: April 2011 Sprecherin: Der staatseigene Mischkonzern Chongqing beschließt den Kauf des insolventen Dichtungshersteller Saargummi. Sprecher: Juni 2011 Sprecherin: Die chinesische Investment-Holding Joyson Automotive kauft den unterfränkischen Autoelektronikhersteller Preh. Sprecher: Juli 2011 Sprecherin: Das staatliche Konglomerat CITIC kauft den HildesheimerAutozulieferer KSM Castings. Sprecher: In Deutschland gibt es gute Kaufgelegenheiten, erklärt der Finanzjournalist Ulf Sommer, der für die Wirtschaftszeitung Handelsblatt seit Jahren Unternehmensübernahmen beobachtet. O-Ton: Ulf Sommer Deutsche Unternehmen sind extrem niedrig bewertet. Niedrig bewertet, das heißt konkret, die Unternehmen sind gemessen an allen wichtigen Kennzahlen, die man so aus der Bilanz kennt, günstig bewertet, also beispielsweise Verschuldung, Barmittelbestände. Das ist der Cash Flow, da sind sie niedrig bewertet und ganz besonders, wenn man den Aktienkurs im Verhältnis zum Nettogewinn oder zum bilanziell ausgewiesenen Eigenkapital setzt. Sprecher: Trotz voller Kassen und sprudelnder Gewinne sind Aktien deutscher Unternehmen vergleichsweise günstig. Denn wenn die die weltweite Wirtschaft in eine Rezession stürzt, dann trifft es die im Deutschen Aktienindex zusammengefassten Unternehmen besonders. Hier fallen die Aktienkurse dann stärker als in New York oder Tokio. Drei Mal sind die Börsen im letzten Jahrzehnt eingebrochen, jedes Mal fiel der Dax besonders stark und damit sank der Wert darin enthaltener Unternehmen wie Siemens, Bayer oder VW. Finanzjournalist Sommer erklärt dieses Phänomen mit der Skepsis der Deutschen gegenüber Aktien. O-Ton: Ulf Sommer Wir erleben seit nunmehr einem Jahrzehnt einen dramatischen Schwund an Kleinanlegern in Deutschland. Das heißt, die Anleger ziehen sich zurück aus den deutschen Unternehmen. Gleichzeitig hat sich die Deutschland AG aufgelöst. Das heißt, die Unternehmen halten keine gegenseitigen Beteiligungen mehr. Das ist genau das, was man früher die Deutschland AG nannte. In diese Bresche springen und sprangen zwar ausländische Investoren, aber, die Unternehmen bieten so jetzt eine offene Flanke. Das heißt sie haben weder die deutschen Kleinanleger auf die sie sich verlassen können, die praktisch immer, auch in der Krise zu den Unternehmen stehen, noch haben sie einen strategischen Ankeraktionär, der auch auf Gedeih und Verderben an diesem Unternehmen beteiligt bleibt. Sprecher: Beim Kauf deutscher Unternehmen spielt der Preis für die Chinesen eine wichtige Rolle. Entscheidender ist jedoch die verkehrsgünstige Lage von Deutschland inmitten Europas und die chinesische Wertschätzung deutscher Ingenieurkunst. Das jedenfalls sagt die Rechtsanwältin Meiting Zhu, Chinaexpertin bei der Frankfurter Anwaltskanzlei Schilling, Zutt & Anschütz: O-Ton: Meiting Zhu Beim Unternehmenskauf für ein chinesisches Unternehmen, spielt in der Regel die Technologie und die Verkaufskanäle spielen eigentlich eine sehr wichtige Rolle bei den meisten, bei den uns bekannten Übernahmen, die dieses Jahr stattgefunden haben. Sprecher: Seit neun Jahren geben die chinesischen Firmen für direkte Investitionen wie die Gründung ausländischer Werke oder Niederlassungen immer mehr Geld aus: 50 Prozent betrug die jährliche Steigerungsrate durchschnittlich. 2010 hat sich China an Japan und Großbritannien vorbei auf den fünften Platz im Ranking der Direktinvestitionen geschoben. Dies meldete vor wenigen Wochen das chinesische Handelsministerium und bezifferte die weltweiten Direktinvestitionen des Landes auf 68,81 Milliarden Dollar. Etwa ein Sechstel davon floss in die Europäische Union. Davon profitiert auch Deutschland. So baut der Maschinenkonzern Sany, der in 120 Ländern 60.000 Mitarbeiter beschäftigt, für etwa 100 Millionen Euro ein Werk für Betonpumpen im rheinischen Bedburg aus. Ganz in der Nähe, in Düsseldorf, hat der chinesische Telekommunikationsausrüster Huawei, der insgesamt 110.000 Menschen beschäftigt, seine Europazentrale eingerichtet und ein Entwicklungszentrum für neue Mobilfunktechnologien aufgebaut. Sprecherin: Immer mehr chinesische Unternehmen kürzen den Weg ab: Sie kaufen sich direkt in die deutsche Industrie ein. Es gibt keine offiziellen Zahlen über die Anzahl chinesischer Firmenbeteiligungen in Deutschland. Die Schätzungen schwanken zwischen hundert und 2000 Beteiligungen, letzteres gilt als realistischer. Denn wenn die Chinesen nur eine Minderheitsbeteiligung übernehmen, dann erfährt die Öffentlichkeit nur selten etwas von den neuen Eigentümern, weil der Verkauf von Minderheitsanteilen nicht veröffentlicht werden muss. Sprecher: Seit drei Jahren fallen immer wieder Namen potenzieller chinesischer Investoren, wenn es großen Unternehmen hier zu Lande schlecht geht. Chinesen scheinen den reichen Onkel aus Amerika abzulösen. Sprecherin: Dresdner Bank: Betriebsräte wollen Chinesen statt Commerzbank, Sprecher: schrieb die Welt im August 2008. Sprecherin: Chinesen prüfen den Kauf der gesamten WestLB, Sprecher: so hieß es im Handelsblatt im Dezember 2010 Sprecherin: Ist Opel bald ein Chinese? Sprecher: fragte der Nachrichtensender N24 im Juni 2011. Sprecherin: In diesen Fällen blieben die Chinesen noch außen vor. Aber wie ist es, wenn ein deutsches Traditionsunternehmen tatsächlich übernommen wird? Wer das erfahren will, der kann nach Bielefeld zu dem Nähmaschinenfabrikanten Dürkopp Adler fahren. Vor der Fabrik am Stadtrand weht hier seit sechs Jahren die rote chinesische Flagge. Atmo Sirene, Fabrikhalle Sprecher: Die Firma produziert schon lange keine Nähmaschinen mehr für den Hausgebrauch. Gefertigt werden hier Spezialmaschinen: Abnehmer sind Modehäuser wie Zegna, Boss oder Joop: Sie setzten die Nähmaschinen bei der Verarbeitung hochwertiger und feiner Stoffe ein. Gefragt sind die Nähwerkzeuge auch in der Automobilindustrie, etwa bei der Fabrikation von Sitzen oder zur Herstellung von Ziernähten. Dürkopp Adler gilt in diesem Segment als weltweit führend. Jede dieser Spezialmaschinen wird von einem Mitarbeiter im Stammwerk individuell auf die Belange des Käufers eingestellt. Atmo kurz frei Sirene, Fabrikhalle O-Ton: Jörg Bunte Es ist so, dass die Maschine praktisch vorher eingestellt wird, justiert wird, die ganzen Greifer-Spreizer-Geschichten, so dass der Faden nachher über einen gewissen Weg, den der Faden über die Greifer und Spreizer macht, zu einem Dreieck gebildet wird, worein die Nadel nachher taucht und daraus den Stich bildet. Sprecher: Die Mittagspause ist vorbei. Jörg Bunte faltet seine Zeitung zusammen und stellt sich an eine Nähmaschine. Der gelernte Nähmaschinentechniker legt ein Stück Stoff an: O-Ton: Jörg Bunte /Atmo 7 Und wenn wir die Maschine soweit einjustiert haben, können wir verschiedene Arten von Knopflöchern nähen, wobei wir unterscheiden von vorher schneidend und nachher schneidend, das bedeutet folgendes: Das erst genäht wird bei dem Nachschneider und dann geschnitten und wir dann die Maschine auch umstellen können auf ein vorher schneiden, dass heißt die Maschine schneidet vorher und umsäubert dann das Geschnittene, so dass wir eigentlich ein sauber umnähtes Knopfloch vorholen. Sprecherin: Solche Nähmaschinen können nur wenige bauen. Deswegen interessierten sich die Chinesen für die westfälische Traditionsfirma. Werner Herr war bereits damals Vorstandssprecher bei Dürkopp Adler. Er erinnert sich an die damaligen Beratungen des Managements: O-Ton: Werner Herr Es mag erstaunlich klingen, aber haben wir uns hier selber verkauft. Es war damals so, dass FAG von Schaeffler übernommen wurde und klar was, dass die Nähmaschinen in diesem Konglomerat keinen Platz mehr finden würden. Da haben wir uns gemeinsam Gedanken zu gemacht und sind zu einer relativ einfachen Einschätzung gekommen: Das 60 Prozent der nähenden Industrie eben in China sitzen und das es doch wohl durchaus opportun wäre erst mal zu gucken, wo im Hauptmarkt ein möglicher potenzieller Erwerber sitzen könnte. Sprecher: Im Juli 2005 übernahm dann die Shanghaier Shangdong Group die Aktienmehrheit. Der Staatskonzern, der mehrheitlich der Shanghaier Stadtverwaltung gehöret, steckte damals selbst in wirtschaftlichen Schwierigkeiten: Der bisher im Massenmarkt für Nähmaschinen aktive Hersteller hatte daheim Marktanteile verloren und machte Verlust. Lösen wollten die Chinesen ihr Problem mit Technologie "Made in Germany". Sie zahlten einen Kaufpreis von einer Millionen Euro und sicherten mit einem langfristigen Konzerndarlehen die Zahlungsfähigkeit ihrer neuen Tochterfirma. Dafür erhielten sie Zugang zu Wissen und Patenten, die die Ingenieure bei dem westfälischen Mittelständler über mehr als ein Jahrhundert entwickelt hatten. Die Übernahme war kein Selbstläufer und es gab einige Meinungsverschiedenheiten. Deshalb hatte Vorstandschef Werner Heer zwischenzeitlich seinen Hut genommen. Erst während der schweren Wirtschaftskrise des Jahres 2009 kam er wieder zurück an Bord. Binnen zwölf Monaten war damals der Weltmarkt für Textilnähmaschinen um 60 Prozent eingebrochen. Bei Dürkopp Adler bedeutete dies Werkschließungen, Entlassungen und Kurzarbeit. Für die deutsch-chinesische Beziehung war es ein Belastungstest. Hätte die Firma ohne die neuen Hausherren überlebt? O-Ton: Werner Heer Nein, eindeutig nicht. Wenn wir nicht volle Unterstützung von der Seite bekommen hätten, hätten wir das nicht schaffen können. Sprecher: Die Chinesen verzichteten auf Forderungen und stellten frisches Geld zur Verfügung. Heer spricht von einem zweistelligen Millionenbetrag. Häufig verlaufen die deutsch- chinesischen Firmenehen jedoch weniger harmonisch. Als abschreckendes Beispiel gilt die Übernahme des maroden Unterhaltungselektronikherstellers Schneider durch den chinesischen Konzern The Creative Live, kurz TCL. Die chinesischen Manager scheiterten bei der Sanierung. Allerdings dürfte ihnen die Schließung der Firma leicht gefallen sein: Branchenkennern zufolge ging es TCL ohnehin vor allem um den Abzug von Know-how und die Umgehung von Importbeschränkungen für Fernsehgeräte in die Europäischen Union. Am Ende blieb nur die Auflösung. Im Januar 2005 wurde die Produktion eingestellt und das Gelände an eine Spedition verkauft. Der Chinakenner und Unternehmensberater Jochen Noth zieht bei einem Gespräch in einem Berliner Straßencafé eine ernüchternde Bilanz: O-Ton: Jochen Noth Die Schwierigkeiten sind einfach die, dass sie sich einfach einstellen müssen auf deutsche Gesetze, deutsche Geschäftsmodelle, deutsche Art und Weise Firmen zu führen und damit haben die meisten große Schwierigkeiten, weil sie einen Unternehmensführungsstil gewöhnt sind, der hier nicht funktioniert. Und dann zum Teil auch herbe Schwierigkeiten haben mit den Vorschriften: Umweltvorschriften, Personalvorschriften, Steuervorschriften und so weiter. Ich vermute, dass es mehr Projektleichen gibt, als es erfolgreiche Projekte gibt. Musik Sprecher: VW Sprecherin: Made in China Sprecher: BMW Sprecherin: Made in China Sprecher: Siemens Sprecherin: Made in China Sprecher: BASF Sprecherin: Made in China Sprecher: Viele deutsche Firmen fertigen mittlerweile im Reich der Mitte. Daran haben wir uns gewöhnt. Jetzt sind die chinesischen Firmen soweit, es umgekehrt zu machen. Darauf weist die Rechtsanwältin Meiting Zhu hin. O-Ton: Meiting Zhu Die chinesischen Unternehmen sind eben jetzt, nach 20, 30 Jahren Wirtschaftsentwicklung in der Lage ein deutsches Unternehmen zu übernehmen. Sprecher: Die jetzige Expansion ist vor allem das Resultat einer langfristigen Strategie Chinas. Die kommunistische Regierung schrieb in den 1990er Jahren das Drehbuch für die Schaffung mächtiger Konglomerate: Sie sollten den Konzernen aus dem Westen, Japans und Südkoreas Paroli bieten können. Tatsächlich entstanden mächtige Großkonzerne wie der Fernsehproduzent Haier, der Stahlkocher Baoshan Steel oder die Jiangnan Schiffswerft. Bis heute führen kommunistische Politiker bei vielen wichtigen Schlüsselunternehmen des Landes Regie. 2001 trat China dann der Welthandelsorganisation WTO bei. Nun rief die Regierung eine neue Strategie aus: Sprecherin: "Zou Chu Qu" Sprecher: Schwärmt aus! Sprecherin: Zunächst taten das nur staatliche Firmen. Sie schwärmten aus und kauften oder pachteten weltweit Mienen und landwirtschaftliche Flächen. So sicherten sie dem Land die wichtige Rohstoffzufuhr. Der Staat gab den Firmen Rückendeckung. Offizielles Ziel der Regierung ist, dass bald 50 der 500 weltgrößten Unternehmen aus China kommen sollen. Der aktuelle Plan läuft nun bis 2015. Die Politik hat klare Vorgaben gegeben: Sprecher: Weg vom Massenexport mit geringer Wertschöpfung. Sprecherin: Hin zu neuen Techniken, Qualitätsgütern und Dienstleistungen. Sprecher: Wie man durch Zukauf von Unternehmen und Wissen den technischen Rückstand auf die entwickelten Industrieländer verkürzt, haben die Chinesen bei den Japanern oder den Koreaner studiert, die die darin sehr erfolgreich waren. Sprecherin: 300 Milliarden US-Dollar sollen jährlich in sieben Branchen wie alternative Energien, Automobilindustrie, IT und Umwelttechnologie investiert werden. Sprecherin: Und diese Technologie ist in Europa sehr viel einfacher zu bekommen, als beispielsweise in den Vereinigten Staaten. Darauf weist Hanns Günther Hilpert hin. Er ist Asienexperte bei der unabhängigen Stiftung Wissenschaft und Politik, die auch die Bundesregierung berät. O-Ton: Hanns Günther Hilpert Die EU ist für Chinas wirtschaftliche Entwicklung und Industrialisierung eminent wichtig. Die EU ist seit etwa fünf Jahren der größte Absatzmarkt für chinesische Produkte, vor dem amerikanischen, und die EU hat in der Zusammenarbeit mit China sich immer relativ freigiebig gezeigt, Technologien nach China zu transferieren, um dort Marktzutritt zu bekommen, insbesondere auch die deutsche Seite. Deutschland ist der größte Investor und Deutschland ist auch der wichtigste Technologielieferant. Sprecher: Bei ihrer Einkaufstour dürften die Chinesen schon bald weitere Perlen des deutschen Mittelstands kaufen. Das erwartet Finanzjournalist Ulf Sommer. O-Ton: Ulf Sommer: Wir werden mehr erleben. Das wird keine große Welle sein, weil die Chinesen sehr vorsichtig vorgehen. Sie suchen sich sehr gezielt Unternehmen aus. Wir erleben das bereits seit einiger Zeit; bei Automobilzulieferern beispielsweise. Weil sie da auch sehr an dem Know How interessiert sind. Was wir vermutlich nicht erleben werden, dass sie ganze Dax-Konzerne, große Konzerne übernehmen werden, weil sie da deutsche Tarifpolitik, deutsche Besonderheiten einfach scheuen. Sprecher: Die Bundesregierung unterstützt die Chinesen bei ihrem Engagement in Deutschland. Erst kürzlich haben Wirtschaftsminister Philipp Rösler und der chinesische Handelsminister Chen Deming eine Erklärung unterzeichnet. Gegenseitige Investitionen sollen erleichtert werden. Beim Bundeswirtschaftsministerium heißt es auf die Frage, ob chinesische Investitionen in Deutschland gefördert werden: Zitator: Die chinesische Seite hat Interesse, verstärkt in Deutschland zu investieren. Das Bundeswirtschaftsministerium und Germany Trade and Invest, die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing, unterstützen diese Bestrebungen, insbesondere durch die Vermittlung von Kontakten. Sprecher: Die Einkaufstour fällt den Chinesen leicht, weil das Land aufgrund seines jahrelangen hohen Exportüberschusses über immens hohe Währungsreserven verfügt. Torben Hendricks, der sich in der volkswirtschaftlichen Abteilung der WestLB mit China beschäftigt, setzt sich in seinem Sessel in der Düsseldorfer Bankzentrale zurück. Dann schildert er wie die Währungsreserven der Chinesen von 3,2 Billionen US-Dollar stetig mehr werden. Schon jetzt entsprechen sie dem Zehnfachen des jährlichen Deutschen Bundeshaushalts. O-Ton: Torben Hendricks Man muss die weitere Entwicklung ja sehen, das ist nicht statisch, dieser Stand von 3,2 Billionen. 2011 erwirtschaftet China in jedem Quartal 200 Milliarden Dollar an Überschüssen, also rund gerechnet über zwei Milliarden Dollar pro Tag. Sprecher: Auf Befehl der kommunistischen Partei konsumiert China seinen Wohlstand nicht, sondern legt und legt einen Staatsschatz an. Lange Zeit kauften die Chinesen davon vor allem amerikanischen Staatsanleihen. Seit der Wirtschaftskrise sind sie jedoch vorsichtig geworden, noch vorsichtiger seitdem im August die Ratingagentur Standard & Poor`s die Bonität der USA herabgestuft hat. Jetzt legen sie ihr Geld noch stärker in ausländische Unternehmen an. Auf Einkaufstour unterwegs sind verschiedene Akteure: Sprecher: Private Unternehmen. Sprecherin: Staatsunternehmen. Sprecher: Der chinesische Staatsfonds. Sprecherin: Und der Fonds der chinesischen Notenbank. Sprecher: Im August dieses Jahres hat der chinesische Staatsfonds für einen dreistelligen Millionenbetrag einen drei-prozentigen Anteil an der Münchener Rück gekauft, dem weltgrößten Rückversicherer. Bisher beschränken sich die Chinesen häufig bei bedeutenden westlichen Konzernen auf den Kauf einer kleinen Beteiligungen. Darin sieht Hendricks eine Reaktion der Chinesen auf Ängste im Westen. O-Ton: Torben Hendricks Wegen den Befindlichkeiten, insbesondere in der westlichen Welt, doch ein sehr behutsames Verhalten zu sehen ist, sprich die meisten Anteile an größeren Unternehmen, die wir gesehen haben, bewegen sich so im Bereich fünf bis 15 Prozent, also eher darauf ausgerichtet, das man Finanzinvestor ist und eine entsprechende Rendite aus den Reserven erwirtschaftet und nicht so sehr in die täglichen Geschicke eingreift. Sprecherin: Den Westen schüchtern die schiere Größe und das rasante Wachstum der Staatsfonds aus Russland, Singapur, dem Nahen Osten und China ein. 2007 kursierten Gerüchte in Finanzkreisen, ausländische Fonds seien an einer Übernahme von Siemens und der Deutschen Bahn interessiert. Wenig später handelte die Bundesregierung. Für den Fall des Falles sicherte sich die deutsche Politik nun gesetzlich ein Vetorecht. Beteiligt sich ein ausländischer Konzern mit mehr als 25 Prozent an einem deutschen Unternehmen, dann kann die Bundesregierung ein Veto einlegen, wenn sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet sieht. Gezogen hat die Regierung diese Karte bislang noch nicht. Politikberater Hilpert rät sehr wohl zur Wachsamkeit beim Umgang mit den chinesischen Staatsfonds: O-Ton: Hanns Günther Hilpert Das Agieren der Staatsfonds ist aus verschiedenen Gründen kritisch zu sehen. Erstens bestehen eventuell nicht allein kommerzielle Motive, sondern halt auch strategische Motive. Es ist auch keine Wettbewerbsgleichheit gegeben, gerade die chinesischen Staatsfonds können sich sehr günstig refinanzieren, sie arbeiten auch im Benehmen mit der chinesischen Außenpolitik. Ich würde sagen, es ist noch ein weiterer Punkt, weshalb Europa da bestimmte Barrieren aufstellen sollte: Wir haben keine Reziprozität, also so wie die Chinesen in Europa investieren können, so können europäische Unternehmen nicht in China investieren und allein aus diesem Grund ist es wichtig, das Deutschland, Europa sagt: Halt! Ihr seid willkommen als Investoren, aber es gibt hier auch Regeln. Sprecher: Gegen den Einstieg von Lenovo bei Medion gab es jedenfalls kein Veto der Bundesregierung. Wenn auch sonst alles glatt läuft bei dem Übernahmeprozess, dann wird die Zusammenarbeit nächstes Jahr starten. Medion-Finanzvorstand Christian Eigen schwärmt bereits jetzt von einer Traumhochzeit: O-Ton: Christian Eigen Das war für uns der Idealfall, das wir einen Partner bekommen, wo sich die Stärken und Schwächen auf ideale Art und Weise ausgleichen und deshalb war es für Lenovo ein Einfaches eine Standortgarantie und eine Mitarbeitergarantie zu unterschreiben, weil das eh klar war, dass sie uns so wollen wie wir sind. Sprecher: Was er nicht sagt: Medion kann den gelben Ritter gut gebrauchen. Mit dem Siegeszug von Tabloids und Smartphones sinken die Gewinnmargen mit PC`s und Notebooks, also dem Stammgeschäft von Medion. Anleger waren schon länger skeptisch. Vor dem Bekanntwerden der Übernahme notierte die Medion-Aktie auf einem eher schwachen Niveau. Künftig kauft Medion gemeinsam mit Lenovo ein: das senkt die Einkaufspreise und erhöht die eigenen Gewinne. Anders als Medion verfügen die Chinesen zudem über eine große Entwicklungsabteilung. In China, den USA und Japan tüfteln fast 2000 Mitarbeiter an den Computern von morgen. Und hier kann Medion sich jetzt bedienen. Vorstand Christian Eigen: O-Ton: Christian Eigen An einem ganz kleinen Beispiel kann man das schon hier festmachen, wo wir auch mal von der Entwicklungskompetenz von Lenovo schon partizipieren. Ich sehe das hier gerade in dem Katalog: Documents to go. Das ist also eine Applikation, wo ich meine Microsoftdokumente auf meinen Tabloid laden kann und dann unterwegs anschauen und archivieren kann und diese Applikation werden wir auch für unser Tabloid benutzen. Musik: Sprecher: Vor allem in Deutschland gibt es die Sorge, dass die chinesische Seite nur an deutschen Firmen interessiert sei, um deren technisches Wissen abzuschöpfen Keine Frage: Das Schwellenland will von anderen lernen, wie man Autos oder Maschinen baut. Vor allem vom Ausbau der Automobilindustrie verspricht sich China einen Wirtschaftsschub in den nächsten Jahren. Und deswegen bedienen sich die Chinesen gerne im deutschen Mittelstand. Es gehe ihnen jedoch nicht darum, die Firmen auszuschlachten, sagt Übernahmeberater Schwarz: O-Ton: Martin Schwarz Die Transaktionen, die wir in jüngerer Vergangenheit gesehen haben, waren insbesondere auch abgestellt auf das deutsche Know-how. Das heißt der Chinese, der chinesische Investor , im Grunde auch wie der amerikanische Investor oder wie der japanische Investor kauft ein funktionierendes unternehmerisches Gebilde, das er auch langfristig so im Markt belassen will, weil das Know-how liegt sicherlich im Unternehmen und liegt sicherlich insbesondere in den Mitarbeitern mit der jahrelangen, teilweise jahrzehntelangen technologischen Expertise. Sprecher: China ist die Werkbank der Welt geworden, aber noch lange keine Technologieschmiede,obwohl jedes Jahr zehntausende Ingenieure die technischen Hochschulen verlassen. Politikberater Hilpert weist auf den gravierenden Unterschied zu Japan hin: O-Ton: Hanns Günther Hilpert China ist keine technologische Herausforderung wie es Japan in den 80er, 90er Jahren war, als Japan ja auch die Chipproduktion revolutionierte und die besten Chips der Welt herstellte, die besten Maschinen der Chiperzeugung und Chemikalien. Dieser Herausforderung durch China haben wir heute nicht. Dafür haben wir eine andere Herausforderung, nämlich das China das Potenzial hat, alleine aufgrund ihrer Größe, zur größten Volkswirtschaft der Welt zu werden und damit auch zum Standardsetzer und zu dem wesentlichen Nachfrager und damit auch zum wirklichen Herausforderer des Westens zu werden. Das war ja im Falle Japans nie wirklich da. Sprecher: Als Auslandsinvestor ist China trotz seines enormen Reichtums noch ein Zwerg. 2009 umfassten die chinesischen Direktinvestitionen in Deutschland 629 Millionen Euro. Nachlesen kann man das in der Statistik der Bundesbank. Damit liegt China lediglich auf Platz 28 der weltweiten Direktinvestitionen in Deutschland. Belgische Firmen investieren zehn Mal mehr hier zu Lande. Und mit 20 Milliarden Euro waren die deutschen Investitionen in China im Jahr 2009 beinahe 30 Mal höher als jene der Chinesen in Deutschland. Musik Sprecherin: China ist eine Marktwirtschaft, aber eben keine Demokratie. Noch ist der Wandel durch den Handel ausgeblieben. Trotz zunehmender wirtschaftlicher Verflechtungen des Westens mit China gibt es Konflikte. Politikberater Hilpert beschreibt die Schwierigkeiten: O-Ton: Hanns Günther Hilpert Europa ist eigentlich nicht in der Lage, sehr wählerisch zu sein. Jeder Renminbi, Dollar oder Euro, der hier in Europa investiert wird, ist willkommen und gerade die südeuropäischen Schuldnerländer, die sind sehr darauf erpicht, das die Chinesen bei Ihnen investieren. In erster Linie ist es natürlich eine sehr geschäftsmäßige, pragmatisch, wirtschaftliche Beziehung in der die Menschenrechtsfragen nicht die große Rolle spielen. Aber natürlich, wir haben als Deutsche, als Europäer auch politische Interessen gegenüber China. Sprecher: Kaum jemand aus der deutschen Wirtschaft kritisiert offen China, beispielsweise bei Verstößen gegen Menschenrechte. Zu den Ausnahmen gehört Jochen Noth. Als der Künstler Ai Wei Wei im Frühling verhaftet wurde, verfasste er gemeinsam mit Hans Olaf Henkel, dem ehemaligen Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, dem Galeristen Alexander Ochs und dem Erfurter Sinologen Michael Lackner den Berliner Appell. Die Festnahme des 53-Jährigen Künstlers ohne Haftbefehl, ohne Unterrichtung seiner Familie und ohne Zugang zu einem Anwalt sowie seine Denunziation in den gelenkten Medien bewerteten sie als Verstoß "nicht nur gegen elementare Menschenrechte, sondern auch gegen chinesisches Recht". Noth hat von 1979 bis 1988 in China gelebt, erst als Journalist, dann als Lehrer. Heute berät der Geschäftsführer des API Asien-Pazifik-Institut für Management GmbH Unternehmen. Noth kennt die Befindlichkeiten auf chinesischer Seite. Er hält selbst wenig von einer Vermischung von Geschäften und Menschenrechten. O-Ton: Jochen Noth Das sind zwei paar verschiedene paar Stiefel. Sehr, sehr viele Konzernführer übertreiben es dann aber und kriechen den chinesischen Gesprächspartnern in den Arsch. Das ist auch nicht notwendig. Sprecher: Ob Handel zu einem gesellschaftlichen Wandel in China führt, dazu möchte Noth keine Prognose abgeben. Trotzdem hält er ihn für immens wichtig. O-Ton: Jochen Noth Die Öffnung ist notwendig, weil es eine Bedingung schafft für Wandel. Abschließende chinesische Mauern sind immer Zeiten der Regression gewesen und zwar durch die ganze chinesische Geschichte, zuletzt in der Kulturrevolution, also unter Mao. Durch die Öffnung besteht überhaupt die Möglichkeit zum Wandel. Musik: Sprecher vom Dienst: Schwärmt aus! Chinesische Unternehmen in Deutschland Eine Sendung von Caspar Dohmen Es sprachen: Marina Behnke und Thomas Holländer Ton: Inge Görkner Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 22