COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Ansporn oder Bürde? Kinder prominenter Sportler Von Gerd Michalek für Dradio-Kultur NACHSPIEL am 29.8.10 BEITRAG Musik 1: 70er-Jahre-Hymne: Fußball ist unser Leben O-Ton 1 Carsten Cullmann Fußball war schon immer meine Sportart Nummer 1. Ich glaube, Das hat in den Kindheitstagen weniger mit meinem Vater zu tun, sondern weil es auch das Interesse meiner Freunde war. Wir sind nach der Schule auf den Spielplatz gegangen und haben da gekickt. Ich hatte damals noch nicht im Kopf, Fußballprofi zu werden. Das hat sich erst entwickelt. SPRECHER Carsten Cullmann ist nicht irgendein Fußballer. Er ist Sohn des Kölners Bernd Cullmann. Der stand 40mal im Nationalteam und wurde 1974 sogar Weltmeister. Zwei Jahre vor der Geburt seines Sohnes Carsten: O-Ton 2 (Carsten C.) Mein Vater war auch defensives Mittelfeld, ich bin jetzt Manndecker. Von der Veranlagung sind wird uns wohl ähnlich. SPRECHER Carsten Cullmann, inzwischen 34, spielt in der zweiten Mannschaft des 1. FC Köln, in der Regionalliga. Vereinzelt kommt er auch zu ein paar Bundesliga-Einsätzen. Musik 2: "Impressions Nordique" : St. 1: Edvard Grieg "Peer Gint", (ca. 30 Sekunden), GEMA: LC 7776, SPRECHER Auch Falk Cierpinski hat einen berühmten Vater: Olympia- sieger Waldemar Cierpinski. Die Langlauf-Legende der DDR holte zweimal - 1976 und 1980 - Gold im Marathonlauf. Dennoch trieb es seinen Sohn Falk als Kind eher zur Musik: O-TON 3 (Falk C.) Ich war im Stadtsinger-Chor, der älteste Knabenchor in Deutschland, das war wie ein Schulcampus: Früh in der Schule, nachmittags Chorprobe oder Klavierunterricht, so dass ich eigentlich den ganzen Tag ausgefüllt hatte. Als ich im Stimmbruch war, wurde die Stimme geschont. Da hatte ich auf einmal zuviel Freizeit, die ich gar nicht kannte. SPRECHER Falk nutzte die freien Nachmittage zum Mountainbike-Fahren. Mehr zufällig stieß der Hallenser zum Triathlon. Von Druck zum Leistungssport war keine Spur. Allerdings musste sich Falk in der Schule ähnlich lästige Bemerkungen zum Vorzeige- Vater anhören wie Carsten Cullmann auf dem Fußballplatz. O-Ton 4 a+b (Carsten C.) Ich bin natürlich oft auf meinen Vater angesprochen worden. Er ist auch in dem gleichen Verein groß geworden wie ich: bei der Sportvereinigung Porz. (.) Leute sehen das als selbstverständlich an und vermuten, dass man den Sprung in den Profibereich schaffen könnte. (Falk C.) In der Schule wurde man schon drauf hingewiesen, wenn man mal keine Lust hatte: "Der Vater musste sich auch anstrengen, um gut zu werden!" SPRECHER Ob Neid oder erhöhter Leistungsdruck von außen - Kind promi- nenter Sporteltern zu sein, ist nicht einfach. Atmo 1: Stadion und Applaus Das bestätigt Ulrike Nasse-Meyfarth - Doppel-Olympiasiegerin von 1972 und 1984 im Hochsprung: O-Ton 5 Wenn man erfolgreich gewesen ist, haben es die Kinder eigentlich schwer, das zu bestätigen und gleichzuziehen. Da weichen die aus, das wollten die gar nicht. SPRECHER Ulrike Nasse-Meyfarth weiß, wovon sie spricht: Sie hat zwei Töchter, die keine so große Leidenschaft für den Hochsprung zeigten. O-Ton 6 Nasse-Meyfarth Die größere hat Leichtathletik gemacht, die sind beide mit 14 deutsche Meister in der Mannschaft gewesen. Die größere ist mittlerweile zum Tanzen übergewechselt, die kleinere ist immer noch in der Leichtathletik, will aber nichts mit Hochsprung zu tun haben. SPRECHER Sport treiben hat immer auch mit subjektiven Vorlieben zu tun: Insofern muss es nicht allein an den Erfolgen der Eltern liegen, wenn sich die Kinder anderen Sportarten zuwenden. Tochter Alexandra Nasse kann sich einfach mehr fürs Tanzen begeistern als für Laufen und Springen. O-Ton 7 (Alexandra) Man sieht direkt, was man kann. Bei Leichtathletik muss man erst mal stundenlang Aufbautraining machen. Beim Tanzen sieht man im Spiegel, okay, den Schritt hast du nicht richtig drauf, den musst du noch üben, dann hat man ihn einigermaßen drin. SPRECHER Ob man auf andere Sportarten ausweicht, den Fußstapfen der Eltern folgt oder gar nichts Sportliches im Sinn hat: Kinder gehen sehr unterschiedlich damit um, wenn ihre Eltern im Sport eine Art Denkmal gesetzt haben. Je nach Naturell und sozialem Umfeld mag es der eine mehr als Ansporn, der andere eher als Last empfinden. MUSIK 3: : Pigor & Eichhorn, 2002; "Pigoretten", St. 8. "Aquarium", 2002, GEMA: LC 02831 SPRECHER Gerade in den Anfangsjahren prägen Eltern ihre Kinder beson- ders stark. Sie nehmen die Sprösslinge mit zum Fußballplatz oder auf die Aschenbahn - dem Lebensraum, der so etwas wie ihr Lebenstraum war. Sport als dieser Mittelpunkt schafft neben Erwartungen - auch Leistungsdruck. Wie stark der ist, kann man nicht losgelöst von der jeweiligen Sportart sehen: Wer in Einzelsportarten Karriere machen will, wird unmittelbarer mit den erfolgreichen Eltern verglichen, sagt Michael Scharf, Leiter des Olympiastützpunktes Rheinland: O-Ton 8 In Mannschaftssportarten bspw. kann man viel besser untertauchen, als wenn man im Einzel verglichen wird. Ich mache das an dem Beispiel der Familie Keller im Hockey, da gibt es ne ganze Dynastie von Kellers, die über drei Hockeygenerationen, die alle Nationalspieler waren, die alle mit einander verglichen werden, aber ich glaube, im täglichen Training macht sich das gar nicht so in der Mannschaftssportart bemerkbar. Beim Einzelsportler ist es ganz klar, da sagt man: "Mensch, dein Vater ist 5,80 m Stabhoch gesprungen, du bist bei 5,50 m - was ist denn los?" SPRECHER Die These vom geringeren Erwartungsdruck im Mannschaftssport ist allerdings mit Vorsicht zu genießen: man denke an König Fußball. Dort hat das mediale Interesse enormen Einfluss. Musik 4: "Fußball ist unser Leben" SPRECHER Carsten Cullmann, der Sohn des früheren Nationalspielers Bernd Cullmann weiß, wovon er spricht. Neid und Missgunst sind in Deutschlands Sportart Nummer Eins nicht selten: O-Ton 9 Es gab Situation, wo Spieler, die mich nicht leiden konnten, damals gesagt haben: "Du spielst ja nur hier, weil du der Sohn von dem Cullmann bist." Im Großen und Ganzen konnte ich gut damit umgehen. SPRECHER Von vornherein steht Cullmann Junior stärker im Blickpunkt als zum Beispiel Kinder eines Hockey-Olympiasiegers. Auf Schlag-zeilen legt Cullmann wenig Wert. O-Ton 10 Natürlich liest man in der Zeitung von anderen Kindern, die einen prominenten Vater haben. Was mich an der ganzen Sache stört, wenn die Eltern Kommentare in der Öffentlichkeit zu ihren Kindern abgeben, besonders loben oder besonders hervorheben. Wenn der Sohn mal nicht von Anfang an spielt, dass sich der Vater direkt beschwert, dass sein Sohn eigentlich spielen müsste. So etwas finde ich eigentlich peinlich. Und ich bin froh, dass ich nie in der Situation war, dass mein Vater sich so über mich geäußert hat. SPRECHER Wer eine andere Sportart wählt als die Eltern, entgeht etwas dem direkten Vergleich! So wie zunächst bei den Cierpinskis: Sohn Falk wurde - nach seiner Zeit als Chorknabe in Halle - zunächst Triathlet. Seine Stärke lag allerdings von Anfang an im Laufen. Das entging auch seinem Vater, dem Olympiasieger Waldemar Cierpinski, nicht: O-Ton 11 Man sollte sich Gedanken machen, dass das, was Kinder interessiert, wo man spürt, dass sie Entwicklungsmöglich- keiten haben, dass man sie da unterstützt. Das ist doch egal, ob es in der Musik ist oder in der Mathematik oder sonst wo. Falk hat mich mal bei einem kleinen Trainingslauf im Harz begleitet, da wollte er mal mitlaufen. Ich habe gesehen, dass er ein talentierter Läufer war, dass er das koordinativ sehr gut hinkriegt. Da wusste ich schon, dass er ne gute Entwicklung machen könnte, aber ich habe ihn nicht gedrängelt. Das war für mich Wesentliche war zu sehen, dass einer meiner drei Söhne auf dem Gebiet Spaß daran hat, und dass er engagiert arbeitet. SPRECHER Sein Sohn Falk fand schließlich über Umwege zum Marathonlauf. O-Ton 12 Vor vier Jahren 2006 - am Ende der Triathlonsaison - bin ich erst zum Marathon geraten, indem ich mal den Marathon ausprobiert habe und bin dabei geblieben. Es war einfach so, dass ich im Triathlon das Laufen am besten beherrscht habe. Ich war relativ gut unterwegs und bin gleich Vierter geworden, und dann bin ich dabei geblieben, weil ich dachte: "Da schaffst Du es eher zu Olympia als im Triathlon." MUSIK 5: The Best of Emerson, Lake & Palmer: St. 4, "Fanfare for the Common Man", London 1995; GEMA: LC 6448 SPRECHER Der 32jährige Falk ist derzeit bester deutscher Marathoni. Mit seinem Vater bildet er das schnellste Vater-Sohn-Duo im Marathonlauf - weltweit, addiert man ihre Topleistungen. Allerdings liegt Falks Bestzeit von 2:13:30 knapp vier Minuten über der seines Vaters. Ein beträchtlicher Unterschied! Von daher ist Falks persönliches Ziel, bei Olympischen Spielen anzutreten - noch in einiger Ferne. Atmo 2: Stabhochsprung mit Beifall SPRECHER Immerhin Rang Fünf im Olympischen Wettbewerb hat Stabhochspringer Danny Ecker erzielt. Seine Sportleidenschaft verdanke er rundum den Eltern, sagt der Leverkusener: O-Ton 13 Das kann ich im Grunde nicht von mir weisen, dass die Begeisterungsfähigkeit für die Leichtathletik und auch das Basketballspiel von meinen Eltern ausging. Obwohl wir da nie in irgendeine Rolle schlüpfen mussten, unsere Eltern haben uns - meinen Bruder und mich - da nie gezwungen: Mein Bruder hat auch Handball nachher gespielt und hat sich relativ früh fürs Programmieren entschieden und nicht für den Leistungssport. Das war alles gar kein Problem. SPRECHER Danny Ecker, inzwischen 33 Jahre alt, hat die berühmte Heide Rosendahl zur Mutter - und den einstigen Basketballprofi John Ecker zum Vater. Rosendahl gewann 1972 Olympisches Gold in München im Weitsprung und in der 4-mal 100 Meter-Staffel. Trotzdem war für ihren Sohn die Leichtathletik überhaupt kein Muss! Hinzu kam: Als Kind der 80er Jahre hatte Danny Ecker viel größere Wahlmöglichkeiten im Sport als seine in den 60ern aufgewachsenen Eltern. Ganz normal war für den späteren Sechs- Meter-Stabhochspringer, dass er seinen Vorlieben folgte. O-Ton 14 Ich habe relativ früh mit Leichtathletik und mit Basketball spielen angefangen. Mit 13, 14 kam dann das Skateboardfahren dazu. Und hab dann verletzungsbedingt nicht mehr so viel Leichtathletik machen können, und bin dann eher jeden Tag Skateboard gefahren, aber ich glaube in der motorischen Entwicklung schadet das auch nicht. Im Gegenteil, das schult einen vielseitig. MUSIK 6: Hoop Dreams, 1994, St. 7. "Low Post" (ca. 30 Sek.), GEMA: LC 6713 SPRECHER So locker und unbeschwert wie bei Danny Ecker ging es in der Kindheit von Deutschlands derzeit schnellstem 800-Meter- Läufer nicht zu: Der 21jährige Robin Schembera hat Antje Schembera zur Mutter. Die Hallenserin wurde 1983 unter ihrem Mädchennamen Schröder Weltmeisterschafts-Achte über 800 Meter. Später trainierte sie ihren Sohn bis zu dessen 14. Lebensjahr: O-Ton 15 (Robin S.) Meine Mutter hat dann oftmals alle Rollen miteinander vermischt. Da ist dann die Mutter, da ist die Trainerin und dann kam oft noch dazu, und ich damals noch in Halle gewohnt habe, und wir auf der Sportschule waren und einige in meiner Trainingsgruppe waren auch auf meiner Schule. Und meine Mutter hat natürlich dann immer Wind mitbekommen und sie hat immer gehört: "In der Schule lief es nicht so gut, er musste zur Direktorin. Er hat ne schlechte Note geschrieben." Ich konnte nichts verheimlichen. Also sie hatte mich eigentlich 24 Stunden unter ihren Fittichen, unter Beobachtung, sage ich mal. Das war doch ganz schön anstrengend. SPRECHER Anders als bei Robin Schembera, der viel Energie brauchte, um den eigenen Weg zu finden, lief es bei Falk Cierpinski: Er war immerhin schon 27, als sein Vater die Trainerrolle übernahm. Die Doppelrolle des Vaters störte den jungen Cierpinski überhaupt nicht. O-Ton 16 Im Gegenteil: Das ist eigentlich optimal, wenn man sich schon so lange kennt und weiß, worauf man sich verlassen kann und worauf vielleicht nicht. Dass man zusammen als Team alles macht und sich besser mit dem Trainer versteht, als wenn man einen Trainer vorgesetzt kriegt. SPRECHER Robin Schembera wollte jedoch - ohne den Leistungsport an den Nagel zu hängen - raus aus den Fittichen seiner Mutter. Neuer Trainer wurde der Leverkusener Adi Zaar, für den Robin natürlich kein unbeschriebenes Blatt war: O-Ton 17 Wichtig ist sicher, wenn man weiß, aus welchem Elternhaus die Kinder kommen und welche genetischen Veranlagungen vielleicht weitergegeben werden. Es ist sicher von Vorteil, wenn die Eltern Leistungssportler waren. Aber es ist nicht der Umkehrschluss automatisch zu meinen, dann sind die Kinder auch gut. Für mich ist immer wichtig, dass die Kinder ihren eigenen Weg gehen können. SPRECHER Robin Schembera scheint es geglückt zu sein. Der extro- vertierte Läufer ist auf dem besten Weg, an die Erfolge seiner Mutter anzuknüpfen. Hofft auch sein Trainer: O-Ton 18 Bei Robin ging das ziemlich schnell, dass er mit 15, 16 angefangen hat, seinen Weg zu gehen - sich durch die Situation von zuhause abzunabeln. Er hat ja schon mit 14 ein halb seinen eigenen Haushalt geschmissen, als seine Mutter wieder zurück nach Halle gegangen ist, die vorher beruflich im Rheinland war. Und Robin sein Statement ganz klar abgegeben hat: Er will hier bleiben und seinen Weg hier gehen, und wir unterstützen das. Das Ergebnis sieht man jetzt, praktisch acht Jahre später: Er hat sich etabliert in der deutschen, der europäischen Spitze und ist schon angekommen auch an der Tür zur Weltspitze. SPRECHER Wenn sportliche Kinder sich mit den erfolgreichen Eltern messen, fällt ihnen auf, dass die Zeit im Leistungssport nicht stehen geblieben ist. Von daher verbietet sich der "Eins-zu-eins-Vergleich" mit seiner Mutter, sagt 800-Meter- Läufer Robin Schembera: O-Ton 19 Ganz schwarz und weiß geht das gar nicht zu unterteilen, das ist eher oft so ein Grau. Ich orientiere mich gewissermaßen schon daran, allein um meiner Mutter irgendwann am Essens-tisch zu sagen: "Ätsch, war ich aber doch besser!" (Lachen) Aber ich weiß schon, dass das ne andere Zeit war. Das war die erste WM damals und da haben noch nicht so viele Länder dran teilgenommen, vor allem nicht so viele afrikanische Länder, die Zeiten haben sich schon geändert, das weiß meine Mutter auch. Von daher ist das eher im Graubereich. Aber ein bisschen orientiert man sich schon dran, weil einen allein der Ehrgeiz anspornt, weil man besser sein will als die eigene Mutter! MUSIK 7: Pigor & Eichhorn, 2002; "Pigoretten", St. 8. "Aquarium", 2002, GEMA: LC 02831 SPRECHER Selbst wenn Kinder sehr talentiert und ehrgeizig sind - wie Robin Schembera - bedeutet das noch lange nicht, dass sie ihre berühmten Sportlereltern erreichen oder gar überflügeln. Auf dem Weg nach oben spielen derart viele Faktoren in der Erfolgs-Gleichung mit, betont der Sportwissenschaftler Billy Sperlich von der Sporthochschule Köln: O-Ton 20 Wie viel schlussendlich die Gene eine Rolle spielen, ist sehr schwer zu sagen. Später für die sportliche Leistung für das Entwickeln des Talentes spielt eine noch größere Rolle, in welchem Umfeld das Kind aufwächst, welchen Trainer hatte, wann wurde mit dem Training begonnen, wie ist die Ernährung, wie sind die Rahmenbedingungen. Da würde ich, ohne die empirischen Daten zu kennen, darauf schätzen, dass die Gene höchstens 50 Prozent ausmachen, eventuell sogar noch kleinerer Anteil. SPRECHER Genauso wichtig auf dem Weg nach oben: möglichst wenig Ver- letzungen und Rückschläge zu erleben - und eine gute Regene- rationsfähigkeit zu haben. Auch das ganze Trainingsumfeld muss stimmen - selbst in Individualsportarten wie der Leichtath-letik, in der man nur starke Einzelkämpfer vermutet. Dieses Bild ist irreführend bei der Frage, was Elitesportler über Jahre erfolgreich bei der Stange hält, sagt Sportpsychologie-Professor Jens Kleinert von der Deutschen Sporthochschule Köln: O-Ton 21 Leichtathleten sind gar nicht so Einzelkämpfer, wie sie nach außen schauen. Sie trainieren oft in Trainingsgemeinschaften, allein die Beziehung zum Trainer ist ganz wichtig, sie haben häufig Trainingspartner mit denen sie aktiv sind. (...) Und deswegen ist es ganz wichtig, dass auch die Trainingsum-gebung, das Team mit dem Trainer und den Trainingskollegen zusammen funktioniert. Diese Beziehungen prägen ganz deutlich meine Zufriedenheit, meine Stimmungslage mit, und letztlich ist Stimmung der wichtigste Faktor, wenn wir über drop-out bzw. Karriereabbruch reden. Atmo 3: Anfeuerung im Stadion SPRECHER Entscheidend ist ebenfalls der Wille, sich nach Verletzungen wieder heranzukämpfen. Beharrlichkeit und Geduld sind Tugen- den, die Olympiasieger Waldemar Cierpinski als Trainer seinem Sohn vermitteln will. Schließlich soll er die Fehler seines Vaters nicht wiederholen! O-Ton 22 Die Hauptbaustellen sind, dass man unwahrscheinlich diszipliniert und beharrlich arbeiten muss. Die Organsysteme brauchen lange, brauchen mehrere Jahre, und da kann man schnell ungeduldig werden, und dann fängt man an, undiszipli-niert zu trainieren. Dass Falk so schnell zu 2:13:30 kam, ist ein Ergebnis dessen, dass er sehr diszipliniert die Trainingsergebnisse umgesetzt hat und dadurch nicht die vielen Fehler gemacht hat. Ich z. B. war drei Jahre hintereinander verletzt, weil ich zu ehrgeizig war, und nicht nach den Vorgaben meine Trainer trainiert habe, sondern heimlich weiter trainiert habe. SPRECHER Ausdauerlaufen klingt nach purem Fleiß und Trainingskunst, hat aber sicher seine genetische Komponente, sagt Talentforscher Billy Sperlich: O-TON 23 In Richtung Ausdauer scheint es so zu sein, dass für die Vererbung der wichtigen Enzyme, die man für die Ausdauerleistung braucht, wahrscheinlich eher die Mutter den entscheidenderen Faktor darstellt als der Vater. Das heißt für eine Talentforschung würde sich eher empfehlen, erst mal die Mutterlinie anzuschauen. SPRECHER Und hier scheint 800m-Laufer Robin Schembera Glück gehabt zu haben. Für andere Disziplinen - wie Sprint und Sprung - müssen Sportler ebenfalls angeborenes Talent - vor allem schnell-kräftige Muskeln - mitbringen. Das ist nicht alles, sagt die langbeinige Hochspringerin Ulrike Nasse-Meyfarth mit Blick auf ihre Töchter: O-Ton 24 Die beiden haben aber nicht meine Statur, sind kleiner und können gar nicht so erfolgreich werden. Da grenzen sie sich schon von der Statur ab, das ist vielleicht ganz gut so. (Lachen) SPRECHER Die landläufige Frage, wie viel der Fleiß und wie viel das Talent ausmacht - ob "fifty-fifty"? - lässt sich kaum entscheiden. Sicher ist: Ein Fußballer erscheint kaum als Produkt seiner Gene. Er braucht neben Schusshärte und Schnelligkeit ein gutes Auge für den Mitspieler und taktisches Verständnis, was jahrelange Schulung erfordert. Dass sich ein Talent ohne Rückschläge entwickelt, ist nicht selbstverständ-lich: Schon die Pubertät kann einen Karriereknick einleiten, sagt Talentforscher Billy Sperlich mit Blick auf Ausdauersportler. O-Ton 25 Es gibt Kinder im Alter von elf/zwölf Jahren, die für ihre Altersklasse sehr gute, wenn nicht herausragende Leistungen bringen. Und sobald die Pubertät kommt, und ein Längenwachstum und auch Organwachstum stattfindet, kann es durchaus sein, dass einer, der mit 11 oder 12 sehr gut war, auf einmal mit 15 oder 16 nicht mehr gut ist, weil sich die anderen vielleicht noch besser entwickelt haben. SPRECHER Gemeint ist vor allem die ungünstige Gewichtszunahme von Läufern: O-Ton 26 (Sperlich) Für den Ausdauerbereich ist das relativ einfach: Wenn ich eine gewisse Sauerstoffmenge aufnehmen kann maximal, dann limitiert mich das. Je schwerer ich werde - im Endeffekt ist die Rechnung ganz einfach: Die Menge von Sauerstoff dividiert durch das Körpergewicht ergibt meine Endleistung. Wenn sich meine maximale Sauerstoff-Aufnahme nicht verbessert, mein Körpergewicht aber zunimmt, dann muss die Ausdauer-Leistung abnehmen. Das ist ein Hauptgrund, weshalb viele dann später wegfallen. MUSIK 8: Go for Gold - The unforgetable Sporthits, 1991, St. 12 "The final countdown", GEMA: LC 7719, SPRECHER Zwischen der sportlichen Laufbahn von Kindern und Eltern liegen oft über 30 Jahre. Folglich haben sich die Rahmen- bedingungen für Erfolge stark verändert. Meist hat sich der Sport erheblich professionalisiert, die Leistungsdichte ist im Topbereich noch höher geworden. Dazu Michael Scharf vom Olympiastützpunkt Rheinland: O-Ton 27 Jede Zeit hat so ihre eigenen Schwierigkeiten, nach oben zu kommen, nur es ist inzwischen so spezialisiert im Leistungs-sport, dass einfach der Zeitaufwand ein anderer ist. Früher gab es Talente, die sich im Sport durchgesetzt haben und auch durchkommen konnten bis zum Olympiasieg, die dann auch mit einem relativ intensiven Training durchgekommen sind. Heute muss ich mich erstmal zehn Jahre als Arbeiter betätigen, egal, welches Talent ich habe, um da entsprechend erstmal leistungsmäßig erfolgreich zu sein. Der Aufwand ist erheblich höher. SPRECHER Olympiasieger zu werden ist heute noch unwahrscheinlicher. Wer hat die besseren Umstände als Leistungssportler - Vater oder Sohn? Eine knifflige Frage, wenn man nicht nur an Medaillen, sondern auch an Weltklassezeiten denkt, sagt Marathonläufer Falk Cierpinski: O-Ton 28 Der Sport entwickelt sich weiter, es gibt viel mehr afrika-nische Läufer als damals, was den Konkurrenzdruck höher macht. Andererseits gab es früher nie Rennen mit "Hasen", was vielleicht die Zeiten langsamer gemacht hat als das, was möglich gewesen wäre. Mein Vater konnte damals nie bei einem großen Stadtmarathon mit Tempomachern laufen. Es waren meistens Meisterschaften. Und das sind meistens taktische Rennen gewesen, wo nicht auf die Zeit geschaut wird. SPRECHER Für den Sonderfall der Olympischen Kernsportart gilt: Die Goldenen Zeiten der Leichtathletik sind lange vorbei. Seit den 70er und 80er Jahren hat die Zugkraft für den Nachwuchs erheblich nachgelassen. Von daher bezweifelt der deutsche Rekordhalter im Stabhoch-sprung, Tim Lobinger, dass sein Sohn überhaupt in seine Fußstapfen treten will. O-Ton 29 Ich sehe es an meinem eigenen Sohn. Dem macht die Leichtathletik, so wie sie präsentiert wird, auf jeden Fall keinen Spaß, das ist langweilig, die meisten Kinder wollen eine krasse Abwechslung haben, einen Adrenalin- Kick, das ist wenn, dann nur der Stabhochsprung. Sonst wird es schwer in der LA. Aber der hat mehr Spaß am Snowboarden und Skateboard-Fahren und das kann ich nur unterstützen. Oder er spielt viel Fußball, das ist einfach spannender. SPRECHER Gleichwohl dürfte Lobinger junior gegenüber anderen Kindern einen entscheidenden Vorteil mitbringen: Wer Top-Sportler als Eltern hat, lernt früher den Leistungssport kennen: etwa aus den Erzählungen der Eltern. Sie kennen das System von innen, können Tipps geben und wissen um Fördermöglichkeiten. Und sie haben meist ein realistisches Bild davon, was auf ihre Sprösslinge zukommt, wenn sie eine Sportkarriere beginnen. Deshalb können ihre Kinder in der Regel mit Verständnis und Unterstützung rechnen, meint Michael Scharf: O-Ton 30 Viele Eltern haben die Auffassung, dass sich Kinder heute sportlich betätigen sollen. Was ist der Unterschied zwischen sportlich betätigen und Leistungssport? Diesen Schritt be-greifen Eltern, die aus dem Leistungssport kommen, schon sehr früh, während es bei anderen Eltern eher ein Glücksfall ist. Die sagen dann: "Ne, fünfmal fahre ich dich nicht! Dreimal ist okay." Da kommt es dann zu Karriereabbrüchen, wo ich sage: "Mensch, da hätte aus den Kindern was werden können!" SPRECHER Ein weiterer Vorteil von Kindern berühmter Sportler: mitunter lässt sich doch der gute und etablierte Familien- Name in die Waagschale werfen, glaubt jedenfalls Fußballprofi Carsten Cullmann: O-Ton 31 Mein Vorteil war wahrscheinlich, dass man durch meinen Namen eher auf mich aufmerksam wurde, weil ich in einem kleinen Verein gespielt habe. Der Nachteil ist, dass man oft auf den Vater angesprochen wird, und verglichen wird - und in der Zeitung erwähnt wird "Sohn von... ". Aber damit muss man halt umgehen können. SPRECHER Pauschal kann man nicht sagen, dass Sportprominente auf ihre Kinder größeren Leistungsdruck ausüben als andere. Ein Hoch- leistungssportler wie Tim Lobinger jedenfalls scheint seinen Sohn weniger auf die Sportkarriere zu trimmen als manche Eltern, die bloß Hobbysport treiben. Robin Schembera beobachtet häufig im Stadion den "ganz normalen" Ehrgeiz, der unsere Gesellschaft regiert: O-Ton 32 Ich sehe das hier oft im Sport, nicht mit irgendwelchen guten Athleten, sondern mit kleinen Schülern. Man kriegt es oft mit, im Schüleralter sind die Eltern noch mehr hinterher, dass der Junge oder das Mädchen gut werden. Und man sieht oft, dass die Eltern noch mehr Druck machen als der Trainer und Athlet gemeinsam. Sie unterstützen nicht mehr das Kind, sondern versuchen es irgendwie an die Leistungsgrenzen zu pushen, was manchmal nicht so gut ist. Und dadurch, dass ich das aus meiner eigenen Kindheit kenne, gehe ich daran vorbei und sehe das mehr mit einem weinenden als einem lachenden Auge. Weil ich selber weiß, wie schwer das damals für mich war. SPRECHER Wer seine Kinder massiv unter Erfolgsdruck setzt, benutzt sie nicht selten als Stellvertreter für eigene Karrierehoffnungen, die sich nicht erfüllt haben. Dazu der Leiter des Olympiastützpunktes Rheinland, Michael Scharf: O-Ton 33 Das sind die berühmten Eislaufmuttis - oder Schwimm-Muttis und sonstigen. Das sind die Leute, da wird das reinprojiziert in die Kinder, was man selbst nicht erreicht hat im Leben. Man will dann, dass die Kinder unbedingt was machen. Bis zu einem gewissen gerade geht das gut - und wenn das Kind dann seinen eigene Persönlichkeit ausgereift hat, dann gibt es einen Riesenkonfliktpotential mit den Eltern. Das habe ich häufig erlebt, dass dann die Karriere abgebrochen wird. SPRECHER Genauso wenig garantiert das supersportliche Elternhaus, dass aus den Sprösslingen etwas Großes wird: O-Ton 34 (Scharf) Es ist absolut ambivalent: Es kann ein Vorteil sein, aber auch ein Nachteil. Es kommt letztendlich auf die Einzel- situation an. Es gibt Beispiele für beides - wir haben Beispiele, wo Kinder erfolgreicher Leistungssport-Eltern jämmerlich gescheitert sind und Beispiele, wo sie sehr erfolgreich waren. Atmo 4: Kickende Jugendliche auf Fußball-Platz SPRECHER Und: Was heißt überhaupt Scheitern? Carsten Cullmann jedenfalls kann als Regionalliga-Spieler - mit einigen Bundesligaeinsätzen - gut damit leben, dass er die Leistungen des Vaters nicht erreicht hat. O-Ton 35 Das schmerzt mich überhaupt nicht. Ich glaube, ich habe mit meinen Bundesliga-Einsätzen mehr erreicht als mir die meisten zugetraut haben, - und ich mir auch, weil ich aus einem kleinen Verein komme und ich mir das selbst erarbeitet habe. Ich denke, dass ich das Optimale aus mir rausgeholt habe und ich habe gar keinen Neid auf meinen Vater, dass er Nationalspieler war. Und ich habe es nicht erreicht. SPRECHER Auch Stabhochspringer Danny Ecker ist - ohne die Olympiasiege seiner Mutter wiederholt zu haben - ein glücklicher Mensch: O-Ton 36 Meine beste Platzierung bei Olympia war der fünfte Platz und darüber freue ich mich sehr. Ich finde das super. Ich sage, das eigene Glück ist nicht von den Medaillen abhängig. Ich glaube, je älter ich werde, desto eher kann ich schätzen, dass ich irgendetwas außergewöhnlich gut kann. Und das bereitet mir an jedem Tag des Jahres Freude. LÄNGE bis Wortende: 26:27 Minuten ABSPANN-Musik 9: Hoop Dreams, 1994, St. 13. "Sweat Dreams" (ca. 3:30 Sek.), GEMA: LC 6713 1