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CD: Jeff Buckley Hallelujah kurz freistehend Autor: Die US-Propagandasender mussten eine Warnung verlesen: Sprecher: Bitte, bitte passen Sie auf, wenn Sie sich unidentifizierten gelben Objekten in Gebieten nähern, die bombardiert wurden. CD: Jeff Buckley Hallelujah kurz freistehend 5' Autor: Und immer taten die Streubomben das, wo für sie erdacht und gebaut wurden. CD: Bombenexplosion CD: Jeff Buckley Hallelujah kurz freistehend 5' Spr. v. D: Verblutende Rüstungsindustrie? Deutschlands Streubomben und ihre Lobby Spr. v. D: Ein Feature von Thomas Klug CD: Jeff Buckley Hallelujah kurz freistehend, dann im Hintergrund Autor: Die Farben sind wichtig. Und die Form natürlich. Klein, handlich. Take 01 Diese Bomben werden auch mit einer gewissen Ästhetik produziert, komischerweise. Collage Musik , O-Töne, Bombenexplosion (bei O-Tönen müssen nur einige Schlüsselworte verständlich sein) Take 02 Diesem Jungen wurden beide Unterschenkel sofort weggerissen und durch ein Splittertstück wurde ihm der Dickdarm zerrissen, er hat also eine dicke Bauchwunde gehabt, wo ihm praktisch der Darm zerfetzt wurde. Take 03 Bauchverletzungen, Arme, Hände werden abgerissen, Beine aber vor allem der Oberkörper ist betroffen von Kindern, weil sie damit spielen, wenn sie es in der Hand haben. Take 04 Die Narbe die quer vom unteren Bauchbeginn senkrecht nach oben läuft Richtung Brustbein und an der linken Seite direkt über der Beckenschaufel halt diesen künstlichen Darmausgang und auch da sieht man, dass die senkrechte Bauchwunde, die direkt über den Bauchnabel führt stark entzündet ist (Collage Ende) Take 05 Die Tatsache, dass Streumunitionen eine hohe Sprengkraft haben, ist der Grund, warum so viele Menschen sterben, mehr als durch Minen. Effekt: Jingle Sprecher: Streubomben und die Opfer Take 06 Die Minen sind vor allem zum Verletzen gedacht. Streumunition ist oft zum Zerstören von Panzern, Fahrzeugen, deshalb ist die Sprengkraft höher, deshalb sind viele Opfer sofort tot. Sprecher: Francois de Keersmaeker von Handicap international CD: Jeff Buckley Hallelujah kurz freistehend, dann im Hintergrund Take 07 Wenn man die meist verbreitete Streumunition nimmt, das sind kleine Kugeln, die man in Laos zu Millionen findet. Die schauen aus wie ein Bällchen, natürlich ist das für die Kinder sehr verführerisch und schaut absolut harmlos aus. Es schaut überhaupt nicht wie eine Bombe aus. Deshalb regt das an, damit zu spielen oder Männer, die ihre Felder wieder beleben wollen, die die einfach auf die Seite schieben ohne zu wissen, dass das eine Bombe ist. Die Folgen sind natürlich dramatisch. CD: Jeff Buckley Hallelujah kurz freistehend, dann im Hintergrund Take 08 Diese drei Kinder, die haben kurz vor dem Foto ihren Freund verloren dadurch, dass eine Streumunition im Libanon sich in den Zweigen verfangen hatte. Sprecher: Oliver Jungjohann von Jutecmedia care. Take 09 (Fortsetzung) Und zwar ist das so gewesen, dass sich diese Streumunition durch die Bänder verfangen in den Ästen und dann kommt einfach ein kleiner Windstoß, die sitzen darunter, die spielen, die sehen die Streumunition nicht, die da vor ihnen explodiert und reißt einen von ihnen einfach in den Tod. Autor: Oliver Jungjohann hat mit seiner Frau Birgit die kleine Hilfsorganisation jutecmedia care gegründet und sie betreuen Kinder, die aus Krisengebieten nach Deutschland kommen, um hier medizinische Hilfe zu erhalten. Birgit Jungjohann, die hauptberuflich als Röntgenassistentin auf der Rettungsstation eines Bochumer Krankenhauses arbeitet, kennt die Verletzungen, die durch Streubomben hervorgerufen werden: CD: Jeff Buckley Hallelujah im Hintergrund Take 10 Die typischen Verletzungsmuster sind Amputationsverletzungen, dass Gliedmaßen fehlen, dass einem unsaubere Verletzungen zugeführt werden durch herumfliegende Splitter, Bauchwunden, die sehr tief gehen können, Zerfetzungswunden im Gesicht, im Bereich der Augen, im Bereich der Nase, des Mundes. Das können Kopfverletzungen sein, Schädel- Hirn-Verletzungen durch herum fliegende Metallteile. Das sind halt, abgesehen von Dreck, der in die Wunden kommt, schlimme Verletzungen, die man als hochdramatisch bezeichnen würde. CD: Jeff Buckley Hallelujah kurz freistehend, dann im Hintergrund Take 11 Heute ist z.B. eine Sache gewesen, dass ich bei einem Kind war, das hat eine Brandverletzung am Kopf, es wird gesagt, es sei eine Brandbombe gewesen. Es ist aber die Frage, ob es wirklich eine Brandbombe war oder eine Streumunition. Denn so genau kann man das nicht unbedingt sagen. Die Familien kommen mit ihren verletzten Kindern nach Kabul und da weiß man eben nicht so genau, wie das gekommen ist. Es kann aber sein, dass man sich längere Zeit um Kinder kümmert und merkt erst hinterher, es war doch eine Brandbombe oder doch eine Streumunition oder eben eine Landmine. CD: Jeff Buckley Hallelujah kurz freistehend, dann im Hintergrund Take 12 Die Leute, die damit leben müssen sind selber sowieso traumatisiert. Oft sind sie auch in ihrem Leben als Behinderte abgestoßen. Sie sind ein Faktor für Armut in ihrer Gemeinschaft, deshalb werden sie zum Problem in ihrer Gemeinschaft, für ihre Familie. Und das ist oft auch ein Trauma für die Familie, für die Hinterbliebenen, die manchmal auch sich Vorwürfe machen, warum habe ich mein Kind da auf dem Feld laufen lassen, jetzt ist es verletzt. Diese Traumaerlebnisse sind sehr stark und beschäftigen auch unsere Teams vor Ort. Sprecher: Francois de Keersmaeker von Handicap international CD: Jeff Buckley Hallelujah kurz freistehend, dann im Hintergrund Take 13 Die Haupterkenntnis von unserer Studie über die Opfer von Streumunition ist offensichtlich, dass 98 Prozent der Opfer Zivilisten sind, was für uns ein absolut unbestreitbarer Beweis ist, dass der militärische Nutzen dieser Waffen extrem gering ist und extrem marginal ist, was nicht zu rechtfertigen ist. Effect: Jingle Sprecher: Streubomben und ihre Wirkung Take 14 Küchenmeister Streumunition ist ja eine Kalte-Kriegs-Waffe. Sie ist erstmals eingesetzt worden im II. Weltkrieg, übrigens von Deutschland gegen England. Die erste Form der Streubomben, der Streumunition ist so konzipiert gewesen, dass diese Waffe eingesetzt werden sollte gegen große, mechanisierte Heere, gegen große Panzerheere z.B. CD: dramatisch Autor: Streumunition besteht aus einem Behälter, der eine große Mengen so genannter Submunitionen oder Bomblets enthält. CD: dramatisch Autor: Die Menge der Submunitionen variiert je nach Art des Abwurfes. CD: dramatisch Autor: Aus Flugzeugen können Bombenbehälter abgeworfen werden, die bis zu eintausend Submunitionen enthalten. CD: dramatisch Autor: Ein Raketenwerfer kann mit einem einzigen Behälter bis zu 8000 Stück Submunition verteilen. CD: dramatisch Autor: Die Submunitionen sind in ihrer Wirkung nicht berechenbar. Take 15 Das ist nicht zielgerichtet, das ist ein wahlloser Splittereffekt. Sprecher: Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de Take 16 Wenn man sich diese Munition anguckt: Das ist auch gewollt. Die ist perforiert, d.h., dieser Splittereffekt soll möglichst umfassend und in großer Anzahl entstehen. Und das führt zu sehr grausamen Verletzungen. Das ist, denke ich, intendiert. Take 17 Man hat festgestellt, dass vor allem Männer betroffen sind, was die Konsequenz ist, dass die meisten Flächen, die verseucht sind, landwirtschaftliche Flächen sind, d.h., die Männer gehen arbeiten oder sehr oft junge Männer oder kleine Jungen als Hirten arbeiten und dann besonders exponiert sind. Über 30 Prozent der Betroffenen sind Kinder, d.h., dass die neugierig sind und gerne mit solchen Objekten spielen. Effekt: Schrei o.ä. CD: Jeff Buckley Hallelujah kurz freistehend, dann im Hintergrund Effekt: Jingle Sprecher: Streubomben und ihr Einsatz Autor: In 33 Ländern der Welt wird Streumunition hergestellt. Darunter sind Deutschland und Frankreich, der Irak und der Iran, Israel und Nordkorea, Russland und die Schweiz, Südafrika und die USA. Effekt Autor: Die Sowjetunion und die USA haben Streumunition in Afghanistan eingesetzt. Die USA haben Streumunition eingesetzt in Laos, in Vietnam, im Irak. Großbritannien hat Streumunition auf den Falklandinseln eingesetzt. Israel hat Streumunition im Libanon eingesetzt. Take 18 Es gibt immer noch Staaten und Militär, die daran glauben, dass diese Waffe notwendig ist für den Krieg, d.h. aus strategischen Gründen wird immer noch daran geglaubt, dass militärische Erfolge mit diesen Waffen erzielt werden können. Und die zweite Tatsache ist, dass die Industrie ein Interesse daran hat, diese Produkte weiter zu verwenden oder wenn nicht diese Produkte dann zumindest Alternativen, die auch gewinnbringend produziert und verkauft werden können. Effekt: Jingle Sprecher: Streubomben und ihre Produzenten Autor: Nach Informationen der Frankfurter Rundschau sind die größten Produzenten von Streumunition in Deutschland die Konzerne Rheinmetall, EADS und Diehl bzw. deren Tochterfirmen. Effekt: Drama Autor: Die Firma Diehl in Nürnberg, eine Firma, die 1902 als Kunstschmiede gegründet wurde. Später, als der Sohn Karl Diehl die Firma übernahm, wurde sie von einer Kunst- zur Waffenschmiede, die von der Kriegsrüstung der Nazis enorm profitierte. Der Betrieb erhielt 1943 die Auszeichnung "Kriegsmusterbetrieb". Karl Diehl beschäftigte in dieser Zeit auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Dennoch erhielt Diehl einen bayerischen und einen saarländischen Verdienstorden und wurde geschmückt mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Seinen Wohnsitz freilich hatte er da schon längst in die Steueroase Schweiz verlegt. Diehl wurde Ehrenbürger von Nürnberg. Die Wochenzeitung "Die Zeit" titelte: Sprecher: Per Kampfpanzer zum Ehrenbürger Autor: Und die taz: Sprecher: Nürnberg ehrt KZ-Profiteur Autor: Als Bündnis 90/ Die Grünen im Nürnberger Stadtparlament versuchten, Diehl die Ehrenbürgerwürde wieder abzuerkennen, scheiterte das 1997 an der gemeinsamen Ablehnung von der Christlich Sozialen Union und den Republikanern. Effekt: Drama Autor: Die Firma Diehl und die Streumunition. Um ein Interview gebeten schickt die Firma eine vorbereitete Stellungnahme, in der flotte Behauptungen aufgestellt werden: Sprecher: Alle vom Unternehmen aktuell produzierten Systeme oder Subsysteme fallen aufgrund ihrer Konstruktionsweise nicht unter die Beschränkungen des Ottawa-Abkommens und sind auch nicht vom geplanten Verbot der Clustermunition durch die Bundesregierung bzw. das Europäische Parlament betroffen. Autor: Noch kurz zuvor warb die Firma Diehl im Internet für den Raketenwerfer RM 70 mit Streumunitionsraketen - plakatiert und angeboten z.B. auf Rüstungsmessen in Tschechien und in der Slowakei. Der Raketenwerfer wurde auch auf anderen, vorwiegend osteuropäischen Waffenmessen angeboten. Die mitgelieferte Streumunition kann einen Blindgängeranteil von bis zu 40 Prozent haben. CD: Wecker: Waffenhändlertango Take 19 Es gibt verblüffende Werbeprospekte, die die Effizienz der Waffe loben. Sprecher: Francois de Keersmaeker von Handicap international Take 19 Fortsetzung Es ist immer erschreckend zu sehen, die Anzahl der Toten und wie viel kaputt gemacht werden kann mit einer bestimmten Waffe. Die Werbung ist manchmal sehr überzeugend und es gibt sehr viele Details über die Effizienz der Waffe. Solange wir das nicht öffentlich kritisieren, sind diese Prospekte sehr oft auch im Internet zu finden. Autor: Die Werbung erfüllt ihren Zweck. Im Jahr 2005 hat die Firma Diehl die Raketenwerfer mit entsprechenden Raketen einschließlich der Streumunition in die Slowakei geliefert. Effekt Autor: Auf eine zweite Interviewanfrage antwortet die Firma Diehl: Sprecher: Wir stehen für ein Interview in dieser Thematik nicht zur Verfügung. CD: Wecker: Waffenhändlertango Collage: Opfer von Streumunition (vom Anfang) Effekt Sprecher: Streumunition und die Politik Autor: Streumunition soll verboten werden. Die Staaten können sich nicht auf ein Verbot einigen. Die Nichtregierungsorganisationen lassen nicht locker. Sie agieren weltweit. Bei den Landminen hat dieses Engagement zum Erfolg geführt. Landminen sind geächtet. Die nächste Aufgabe ist die Abschaffung von Streubomben. Ein Verbot wäre zwecklos, da sich wichtige Herstellerländer ohnehin nicht am internationalen Dialog beteiligen. Die Bomben würden dennoch produziert und abgeworfen. Eine einseitige Ächtung bringe nichts - das war auch die Position der Bundesregierung. Aber: Wer über die Gefährlichkeit von Streubomben für Unschuldige öffentlich nachdenkt, sensibilisiert auch die Öffentlichkeit. Die Militärs wissen: Gegen den aktiven Widerstand der eigenen Bevölkerung lässt sich kein Krieg auf Dauer führen. Militärs lieben ein gutes Image. Fast überall auf der Welt versuchen sie immer wieder das Märchen zu verbreiten, ein Krieg lasse sich sauber und mit wenigen Opfern führen. Streubomben beflecken die mühsam weiß gefärbte Weste. Sprecher: Februar 2007: In Oslo fordern 46 Staaten ein Verbot von Streumunition. Autor: Dies ist der Anfang vom so genannten Oslo-Prozess, an dessen Ende ein weltweites, vollständiges Verbot von Streumunition stehen soll. Ein Ergebnis stand sofort fest: Sprecher: Die USA lehnen die Forderung strikt ab und nehmen an dem Treffen gar nicht erst teil, genau wie China, Russland und Israel. Autor: Die Bundesregierung stellt sich gegen ein vollständiges Verbot von Streumunition. Und das Bundesministerium für Verteidigung erklärt: Sprecher: Streumunition ist ein völkerrechtlich zulässiges Verteidigungsmittel. Autor: und führt nur ein paar allgemeine Beschränkungen für den Einsatz auf. Aber nicht einmal an diese Einschränkungen, obwohl vom Bundestag bereits beschlossen, hält sich die Bundeswehr. Im Mai 2008 musste das Verteidigungsministerium einräumen, über Streumunition zu verfügen, deren Blindgängerrate über ein Vielfaches dessen liegt, was der Bundestag für zulässig erklärte. Wer also stellt sich gegen ein Verbot von Streumunition? Take 20 Das sind zum einen die Herstellerländer, die Anwenderländer. Und das sind natürlich die Hersteller selber, die Firmen und die politischen Entscheidungsträger, die die Interessen der jeweiligen Länder repräsentieren, sei es die Abgeordneten oder die Regierung. Und die sind es in der Regel die, die größten Widerstände aufbauen. Sprecher: Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de Take 21 (Fortsetzung) Also, es gibt eine Gruppe von europäischen Ländern, Deutschland, Frankreich, England, die sich mit allem Nachdruck gegen ein vollständiges Verbot aussprechen von Streumunition. Da werden natürlich bestimmte Interessen bedient. Man hat Rüstungsindustrie, die involviert ist in die Produktion von Streumunition verschiedenster Art. Und die militärische Sichtweise vertritt man dort, dass der Einsatz von Streumunition noch einen militärischen Sinn macht. Und diese beiden Komponenten wirken dann dahingehend, dass man eine Minderheitenposition in diesem Oslo-Prozess einnimmt. Man sieht sich dann doch einer sehr großen anderen Gruppe gegenüber, die eben einen Verzicht auf Streumunition erreichen möchte, die nicht zu den Einsatzländern und nicht zu den Produzentenländern gehört. CD: Wecker: Waffenhändlertango Autor: Hans Raidel, CSU ist Mitglied des Bundestagsunterausschusses Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung. Er ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter. In seinem Wahlkreis Donau-Ries ist die Firma Eurocopter angesiedelt, die auch Militärhubschrauber produziert - eine hundertprozentige Tochter des Rüstungskonzerns EADS. In der Rechtsaußenpostille "Junge Freiheit" spricht Hans Raidel im April 2003 vom "Ausbluten der deutschen Rüstungsindustrie". Auf die Frage, ob es einer Regierungsinitiative zum Schutz des deutschen Rüstungswissens bedarf, antwortet Raidel: Sprecher: Natürlich, das Problem dabei ist nur, dass solche Eingriffe im System der freien Marktwirtschaft schwierig sind. Wir müssen also anders ansetzen: Wann ist eine Firma gezwungen, sogar ihr Know-how zu veräußern? Wenn sie nicht mehr werthaltig ist! Das heißt für Deutschland, durch Förderung von Forschung und Entwicklung, aber auch durch entsprechende Produktabnahme unseren wehrtechnischen Firmen das nötige Polster zu verschaffen. Tatsächlich aber läuft die deutsche Rüstungsindustrie Gefahr, auszubluten. Obendrein heißt es dann künftig für die Bundeswehr: "Buy american!", "Kaufe amerikanisch!". Effekt Autor: Im September 2006 bringt Hans Raidel im Bundestag einen Antrag ein unter der Überschrift: Sprecher: Gefährliche Streumunition verbieten - Das humanitäre Völkerrecht weiter entwickeln. Autor: Die Irreführung liegt schon im Titel - wenn es gefährliche Streumunition gibt, dann muss es ja auch ungefährliche Streumunition geben. Dies allerdings ist Unsinn. Raidels Antrag, der ganz auf der Linie des Verteidigungsministeriums liegt, versucht bei Streubomben zu differenzieren. Die gefährlichen, also die schlechten Streubomben, das sind die, die die Bundeswehr ohnehin ausmustert. Und die guten Streubomben, das sind die, von denen sich die Bundeswehr nicht trennen will und die von deutschen Rüstungsfirmen nach wie vor hergestellt werden. Es ist die Position der Bundesregierung, festgehalten im so genannten 8-Punkte-Plan. Punkt 7 lautet z.B.: Sprecher: Der Einsatz von Streumunition ist nur dann vorgesehen, wenn geeignete alternative Wirkmittel nicht verfügbar sind. Take 22 Die Streumunition ist ein so kleiner Bestandteil im gesamten Munitionsregister, was man braucht von Panzer, Gewehr und allem möglichen und jeder Art von Munition. Sprecher: Der CSU-Abgeordnete Hans Raidel, Mitglied im Bundestags-Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung: Take 23 (Fortsetzung) Die Frage ist ja nicht, ob die Rüstungsindustrie dabei kaputt geht, sondern die Frage ist, ob man sie zur Verteidigungsfähigkeit braucht. Bis dahin ist man immer davon ausgegangen, man braucht Minen und man braucht Streumunition, um einen Gegner auf Abstand zu halten. Dass der Einsatz auch immer Menschenleben kostet, das weiß man. Deshalb muss man da eine moralische Kategorie eigentlich irgendwo zusätzlich haben. Dass man da keine Rambo-Leute braucht, auch nicht in den Militärs, sondern eher feinfühlige Leute. Effekt Autor: Punkt 6 des 8-Punkte Plans der Bundesregierung lautet: Sprecher: Das Heer verzichtet ab sofort auf die Einsatzoption für die Streumunitionsmodelle DM 602 und DM 612, da sie über eine für Personen gefährliche Blindgängerrate von über ein Prozent verfügen und wirtschaftlich vertretbar nicht nachgerüstet werden können. Take 24 Die älteren, auf die auch die Bundesregierung bereit ist, zu verzichten, die 30, 40 Jahre alt sind, die wahrscheinlich eh nicht mehr funktionieren und im normalen Zyklus ausgemustert werden, die werden natürlich nicht mehr hergestellt. Völlig veraltete Systeme. Aber die, die derzeitig noch hergestellt werden, sind Systeme, mit denen man noch viel Geld verdienen kann und die nicht verboten werden können. Sprecher: Die guten und die bösen Streubomben Autor: An der Streumunition wird festgehalten - obwohl die allermeisten Opfer Zivilisten sind. Obwohl die Opfer häufig Kinder sind. Obwohl großflächige Schäden gerade in den Ländern angerichtet werden, die wirtschaftlich ohnehin in Schwierigkeiten sind. Weshalb also will Deutschland nicht auf solche Waffe verzichten? Sprecher: Thomas Küchenmeister von Aktionsbündnis Landmine.de Take 25 Es gibt Firmen, die diese Munition herstellen und die natürlich an die Bundeswehr liefern. Und da sind Munitionen bei, von denen die Bundeswehr glaubt, auch zukünftig, z.B. die Munitionen, die auf keinen Fall verboten werden soll, nämlich Streumunitionen der neueren Art, die man sich gerade beschafft hat. Darauf will man auf keinen Fall verzichten. Das sind Munitionen, die sehr viel Geld kosten. Take 26 Das Versprechen der Bundesregierung ist ja wohl auch, dass sie für die Ächtung von Streumunition sich einsetzen will, aber man will es zunächst einmal mit Streumunition unter einer Blindgängerquote von einem Prozent dann machen. Sprecher: Winfried Nachtwei, Bündnis 90 / Die Grünen, Mitglied im Bundestags-Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung: Take 27 (Fortsetzung) Das ist allerdings meiner Auffassung nach humanitäre Augenwischerei, eine behauptete Blindgängerquote, das ist aber bisher niemandem in der Öffentlichkeit von entsprechenden Nichtregierungsorganisationen nachvollziehbar, da müssten die Testberichte offen liegen. Außerdem, bei einem Prozent Blindgängerquote ist die Wirkung - Abertausende werden ja von denen geworfen - ist die Wirkung für die Zivilgesellschaft dann immer noch verheerend. Also insofern ist das unserer Auffassung nach ein Irrweg. Autor: Blindgänger. Die neue Generation von Streubomben, nach Lesart der Bundesregierung die weniger gefährliche, habe nur einen Anteil von Blindgängern unter einem Prozent. Bestätigen kann diese Zahl niemand. Einzig die Hersteller behaupten sie. Entsprechende Tests wurden durchgeführt, nur hält das Bundesverteidigungsministerium die Testergebnisse unter Verschluss. Streng vertraulich - nicht einmal die Mitglieder des Verteidigungsausschusses bekommen die Testergebnisse zu sehen. Selbst wenn die Zahlen stimmen - die Tests werden unter Laborbedingungen durchgeführt. Take 28 Wie man im Libanon gesehen hat, es hängt davon ab, wie viele Waffen überhaupt eingesetzt werden. Sprecher: Francois de Keersmaeker von Handicap international Take 29 (Fortsetzung) Ein Prozent von hundert ist nur eine, aber wenn man vier Millionen davon eingesetzt hat, wie im Libanon, im besten Falle hätte man immer noch 40 000 Blindgänger. In dem Fall hat man Fehlerquoten vor Ort für diese Waffe, die laut Hersteller weniger als ein Prozent Fehlerquote hat, hat man eine festgestellte Fehlerquote von über zehn Prozent. Autor: Während des Krieges 2006 hatte Israel noch in den letzten Tagen massiv Streubomben über den Libanon abgeworfen. Take 30 Weil die USA und Israel zu den Staaten gehören, die sich erheblich weniger als andere Staaten an den humanitären Konsequenzen der eigenen Kriegsführung orientieren und sich da auch sehr wenig bis gar nicht reinreden lassen. Sprecher: Winfried Nachtwei. Take 31 (Fortsetzung) Gerade der Einsatz von Streumunition im Libanonkrieg, gerade in der letzten Phase, wo es auch keine "militärische Notwendigkeit" gab - das war ja ein ganz plastisches Terrorinstrument. Effekt Autor: Dennoch kommt etwas in Bewegung. Hans Raidel, der den Antrag auf eine Ächtung der "gefährlichen Streumunition" einbrachte und so zwischen gefährlich und ungefährlich unterscheiden wollte, sieht seine Wortwahl inzwischen kritisch: Take 32 Diese Wortwahl ist natürlich schon zwiespältig, das muss man einräumen, weil entweder ist Streumunition gefährlich oder sie ist nicht gefährlich. Take 33 Wir haben uns immer gewünscht, dass die Bundesregierung ihre Entscheidung über Streumunition an rein humanitären Fragen orientiert und nicht an Fragen, die Industrieinteressen oder militärische Interessen alleine berücksichtigen. Sprecher: Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de Autor: Das Bundespräsidentenehepaar zeichnet Bürger aus, die sich gegen Landminen und Streubomben engagieren. Derweil lässt sich der Bundespräsident ein Sommerfest mit Hilfe auch mit Hilfe von EADS, eines jener Streubombenhersteller finanzieren. 50 000 Euro sind im Jahr 2007 geflossen, wie der Stern berichtet. Effekt Sprecher: Streubomben und ihr Ende? Autor: Mai 2008 in Dublin. Vertreter von 111 Staaten beraten zwei Wochen lang über das Verbot von Streubomben. Einige wichtige Produzentenländer sind nicht dabei. Aber Deutschland. Bis zuletzt versucht die Bundesregierung die Übergangsfristen zu verlängern. Man denkt eben an die eigenen Streubomben in den Bundeswehrdepots. Das Verteidigungsministerium warnt gar vor einem sofortigen Verbot. Handicap Deutschland spricht von einem Vertrag mit weit offener Hintertür. Im Dezember soll dieser Vertrag in Oslo unterzeichnet werden. Die Bundesregierung macht Zugeständnisse. Die Opfer von Streumunition sollen mehr Hilfe erhalten. Ein paar mehr Streubombenarten sollen von dem Verbot erfasst werden. Vielleicht geht alles gut, vielleicht werden Streubomben weltweit geächtet. Vielleicht sogar von den Weltmächten, vielleicht sogar von der Rüstungsindustrie, die inzwischen ihr Image beschädigt sieht. Mit Streubomben will man nichts zu tun haben. Das Ende der Streubomben eröffnet einen neuen, riesigen Markt. Der schöne, unverfängliche Name für ein neues Produkt: Alternative Munition. Effekt Take 34 Das Neuste, was ja kommt, das steht ja auch im Acht-Punkte-Plan der Koalition drin, dass man dann ab 2015 überlegen will, ob man die so genannte weniger gefährliche Streumunition durch alternative Munition ersetzen könnte. Sprecher: Winfried Nachtwei. CD: Jeff Buckley: Hallelujah - im Hintergrund Take 35 Wenn jetzt die so genannte weniger gefährliche Streumunition ersetzt würde durch so genannte alternative Munition, dann wäre das ein Riesenbatzen an Auftrag. Ich habe ja schon angedeutet, was da für ein Teil technischer Innovationen dabei ist, vier verschiedene Sensorenarten. Das wären Quantitäten, eine Milliardengrößenordnung wäre das. Autor: Die Rüstungsindustrie jedenfalls hat schon ihre Emissäre ausgeschickt. Die Versprechungen können nicht groß genug sein: Take 36 Es sind viel mehr Sensoren dabei, mehr als Selbstzerstörungsmechanismen. Das kann man wohl sagen: Es ist das Konzept alternativer Munition, die Zielsetzung Gefährdung der Zivilbevölkerung noch mal erheblich zu reduzieren. Aber ob das dann wirklich eine Alternative ist, da habe ich meine großen Zweifel. Autor Und Birgit Jungjohann von Jutecmedia care, die den Opfern von Streubomben hilft, fragt sich, wie eigentlich jemand sein muss, der sich neue Waffen ausdenkt. Take 37 Jungjohann Was ich mich einfach frage ist, wenn man sich diese Bomben anschaut und die Funktionsweise dieser Bomben mit diesen Schlaufen, die absichtlich in Bäumen hängen bleiben mit diesen Aufschlagzündern, die ja entsprechend unzuverlässig funktionieren, wie muss dieser Mensch im Herzen beschaffen sein, der diese Munition mit entwickelt, der sich ausdenkt, wie diese Munition funktionieren soll, hat der überhaupt etwas im Herzen oder spielt das Ganze sich nur im Kopf ab? Sprecher: Laut Koalitionsvertrag sollen deutsche Rüstungsexporte restriktiv gehandhabt werden. Tatsächlich aber steigen die Exporte: 2006 wurden Waffen im Wert von 7,7 Milliarden Euro exportiert, 1,5 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor. Deutschland ist in der Europäischen Union der größte, weltweit hinter den USA und Russland der drittgrößte Exporteur von Rüstungsgütern. CD: Jeff Buckley: Hallelujah 5' Spr. vom Dienst: Verblutende Rüstungsindustrie? Deutschlands Streubomben und ihre Lobby Ein Feature von Thomas Klug Es sprachen: Joachim Schönfeld und der Autor Technik: Boris Manych Regie: Gabriele Brennecke Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 1