Wenn sie lachte, bebte der ganze Körper Eine Lange Nacht über Käthe Kollwitz Autor: Berit Hempel Regie: Burkhard Reinartz Redaktion: Dr. Monika Künzel SprecherInnen: ERZÄHLERIN: Rebecca Madita Hundt KÄTHE KOLLWITZ: Andrea Wolf ANDERE: Edda Fischer ERZÄHLER: Jean Paul Baeck ANDERE: Jochen Langner Sendetermine: 8. Juli 2017 Deutschlandfunk Kultur 8./9. Juli 2017 Deutschlandfunk __________________________________________________________________________ Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - insofern zutreffend. 1. Stunde MUSIK SPRECHERIN 1 AUF MUSIK Käthe Kollwitz – die Künstlerin, die Grafikerin. Die Kommunistin? Die Sozialistin? Die Feministin? Die Pazifistin? Die Tochter, die Ehefrau, die Mutter, die Großmutter, die Frau. Die Privatperson! SPRECHER 1 AUF MUSIK Käthe Kollwitz auf einem schwarz-weiß Foto von 1932: Zusammen mit ihrer Freundin Beate verlässt sie gerade ein Schloss. Den Mantel lässig über den linken Arm geworfen, ein Hütchen auf dem Kopf steht sie vor einer doppelflügeligen Tür und lacht breit! MUSIK WEG SPRECHERIN 1 Enkel Arne Kollwitz: 001 O-TON ARNE KOLLWITZ 3´12 Sie konnte herzlich lachen. 002 O-TON HANNELORE FISCHER, 9´34 Sie konnte ja amüsant sein, sie konnte auch laut lachen und hat gerne gelacht. SPRECHERIN 1 Hannelore Fischer, Direktorin des Käthe Kollwitz Museums in Köln. 003 O-TON IRIS BERNDT Sie wollte hinaus in Leben SPRECHERIN 1 Iris Bernd, Käthe-Kollwitz-Museum in Berlin. SPRCHERIN 2 KÄTHE Von meiner ersten Verliebtheit an bin ich immer verliebt gewesen, SPRECHERIN 1 Käthe Kollwitz in ihren Erinnerungen: SPRECHERIN 2 Es war ein chronischer Zustand, mal war es nur ein leiser Unterton, mal ergriff es mich stärker. In den Objekten war ich nicht wählerisch. Mal waren es Frauen, die ich liebte. Gemerkt haben es die, in welche ich verliebt war, selten. SPRECHERIN 1 Die Schweizer Malerin Rosa Pfaffinger notiert 1889 zum Fest des Münchner Künstlerinnenvereins und zum Tanz der Käthe Kollwitz: SPRECHERIN 3 Wir tanzten nicht mit Männern oder vor Männern. Nein, wir tanzten befreit von der männerrechtlichen Konvention. SPRECHERIN 1 Und eine Kollegin raunt ihr zu: SPRECHERIN 3 Sieht sie nicht wie ein junger lachender Seehund aus? 004 O-TON HANNELORE FISCHER 48´55 Käthe hatte einen großen Mund, wenn sie lachte. 9´40 Diese fröhlichen Geschichten, danach werde ich eigentlich fast nie gefragt.// Man bezieht sich meistens auf das Dunkle, was sie aufgeschrieben hat. SPRECHERIN 3 Wie sie aussah, als wir einander zuerst unter die Augen kamen? SPRECHERIN 1 Die langjährige Freundin Beate Bonus-Jeep erinnert sich: SPRECHERIN 3 Eigentlich sah sie aus wie eins von den ganz jungen barfüßigen Mädchen aus den Albaner Bergen, die mit dem hohen Kupferkrug auf dem Kopf steil hinansteigen zum laufenden Brunnen und wieder hinunter, ohne einen Tropfen zu verschütten oder die Hand zu heben, um die Conca zu stützen; immer in der gleichen ruhigen Haltung. // Was sie anhatte, war bescheidentlich (steht so im Text) aus einem ungebleichten Wollfaden gewoben. Es legte sich weich um die kindhaft dünnen Arme und war vom Hals bis zu den Füßen farblos. Farbig wurde die Sache erst durch ihren Kopf.// Erst einmal das steile Hälschen und das leicht erhobene Kinn, das denen eigentümlich ist, die von Geschlechtern her gewohnt sind, jede Last der Wirbelsäule zuzumuten – dann die sehr dunklen Augen, die nicht auf den Weg vor sich niederschauten, sondern ins Weite und alles widerspiegelten, was an ihnen vorübergezogen wurde. Dazu kamen die schlicht gescheitelten Haare, die den Kopf schon von Ferne als dunkles, glattes Rund hervorhoben. Im Nacken gaben sie ein geflochtenes Knötchen her, aber um die Stirn drängten sich klein und seidig die jungen Härchen vor, unregelmäßig, aber mit verstohlener Anmut. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Annäherung an eine Person: Ein undatiertes Foto einer jungen Käthe Kollwitz. Die blonden Haare locker im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden, glatte, freundliche Gesichtszüge, gerade, edle Nase. Ein sinnlicher Mund; die Augen, umrahmt von dunklen, schön geschwungenen Brauen und mit offenem, aufgewecktem Blick, richten sich direkt auf den Betrachter, 005 O-TON ARNE KOLLWITZ 1´00 Ich habe natürlich ein Bild von ihr, aber wieweit das wirklich noch das Bild von damals ist oder wieweit es eigentlich geformt ist durch die vielen Fotografien und Filmaufnahmen, die ich inzwischen von ihr gesehen habe, das kann ich nicht unterscheiden. // 2´05 Das fließt dann alles zusammen in das Bild, das ich jetzt von ihr in mir habe. 2´20 Das einer weißhaarigen Frau mit einem doch schweren Körperbau und eben einem sehr ostpreußischem Gesicht, ein bisschen breiter und sehr wache Augen. Und auch einem sehr schönen Lächeln, das sie haben konnte. 3´12 Sie konnte herzlich lachen und ich meine, ich habe sie ja damals als Enkel erlebt, wenn sie entweder meine Eltern und meine Geschwister in der Weißenburger Straße, wo sie 50 Jahre gewohnt am Prenzlauer Berg, Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg in Berlin besucht haben oder wenn sie uns in unserem Siedlungshaus in Lichtenrade, das ist ein südlicher Stadtteil von Berlin, besucht haben. 006 O-TON HANNELORE FISCHER 0´35 Ich habe in einem Bildband geblättert und sah eine Zeichnung von Käthe Kollwitz und die hat mich sehr stark berührt. 1´22 Es ist eine Mutter mit ihren beiden Kindern, es ist eine Vorarbeit, // eine in keiner Weise rührselige aber sehr innige Umarmung dieser beiden unterschiedlich alten Kinder der Mutter. 0´50 und wenige Jahre später, als ich in Köln studierte, fuhr ich mit meinem uralten Käfer an der Gedenkstätte vorbei und sah die trauernden Eltern und das war mehr ein Reflex, weil die beiden beleuchtet waren. Ich guckte so rüber und dachte, Donnerwetter. Es hatte mich also mitten ins Herz getroffen. 008 O-TON IRIS BERNDT bis 1´00 Ich bin ihr begegnet in der Kindheit durch das Buch von Brigitte Birnbaum: SPRECHERIN 3 Kathusch wusste, was sie wollte. Was Kathusch nicht mochte, zeichnete sie nicht. Und Hähne mochte sie tatsächlich nicht. Schon gar nicht so ein langbeiniges, triefnasses Ungeheuer, wie es mit vorgereckter Gurgel über den Hof rannte und, durch die Pfützen platschend, einer ebenso pliesrigen Henne nachjagte. Kathusch schüttelte sich. Das nachdenkliche Gesicht zum Fenster gewandt, hockte sie auf dem Schemel und befingerte den Stift. Sie wollte alles zeichnen können, dass es wie lebendig wirkte, wie auf jenen Bildern, von denen der Großvater Rupp eine Mappe voll besaß und die sie nur an Sonntagen ansehen durfte. Das Zeichnen und Malen muss sich doch erlernen lassen. 008 O-TON IRIS BERNDT ab 1´00 ... und dann in einem sehr guten Kunstunterricht. Wir haben uns dort mit ihren Holzschnitten beschäftigt. Ich erinnere mich, dass wir auch differenziert über den Bauernkrieg und die verschiedenen Entwürfe, die sie machte, wie sie um Eindringlichkeit rang, gesprochen haben. Und dieses Ringen um Eindringlichkeit und dieses, dass sie sich mal die Moderne beguckt, aber verstanden werden möchte und deshalb dann auch, wenn sie merkt, ah, ich werde nicht verstanden, wie bei der Plastik Liebespaar, Wege zurückgeht. Das finde ich alles so menschlich, so nah, so ehrlich und da wüsste ich nicht, wen ich ihr da an die Seite stellen konnte. 009 O-TON HANNELORE FISCHER 3´25 Käthe Kollwitz ist ja in einem unfassbaren Rahmen geboren und gestorben. Sie hat den 70er Krieg nicht bewusst erlebt, 1870er Krieg. Sie hat die ganze Kaiserzeit erlebt, den 1. Weltkrieg, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, den 2. Weltkrieg, // und ist Ende des 2. Weltkriegs gestorben. Was für eine Dichte in knapp 78 Lebensjahren MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Die Kindheit der Käthe SPRECHERIN 1 Käthe Kollwitz kommt 1867 als Käthe Schmidt in der ostpreußischen Stadt Königsberg zur Welt, in einer Großstadt, die zu dieser Zeit zum Deutschen Reich gehört und die mit dem Fluss Pregel über das Frische Haff hinweg mit der Ostsee verbunden ist. SPRECHERIN 2 Ich bin als fünftes Kind der Eltern geboren. Wir lebten auf dem Weidendamm Nr. 9 in Königsberg. Ich erinnere mich dunkel an eine Stube, in der ich tuschte, deutlich aber besinne ich mich auf Höfe und Gärten. Durch einen kleinen Vorgarten kamen wir auf einen großen Hof, der bis zum Pregel reichte. Dort hielten die flachen Ziegelkähne, und die Ziegel wurden auf dem Hof abgeladen und geschichtet, so dass Hohlräume blieben, in denen wir Kind und Mutter spielten. In den niederen langgestreckten Gebäuden, die die beiden Höfe trennten, wohnte ein Gipsabgießer. Da stand ich oft und sah zu, wie er formte. Ich rieche noch die feuchte Gipsluft. Es gab unendliche Spielgelegenheiten und viele Abenteuer auf den Höfen. Dann gab es die Lehmhaufen, aus welchen Burgen gebaut wurden, eine hüben im Hof, eine drüben; die Angreifer schmissen mit Lehmkugeln. Das tat gehörig weh. MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Käthe Schmidt im Alter von ungefähr fünf Jahren auf einer Aufnahme in einem Fotoatelier. Im weißen Kleidchen mit kurzen Armen sitzt sie dem Betrachter zugewandt. Das Köpfchen leicht nach links geneigt, den Block offen, aber etwas zaudernd auf den Betrachter gerichtet, die Lippen leicht zusammengepresst. SPRECHERIN 1 Käthe Schmidt wächst in einer starken Familie heran. Der Großvater Julius Rupp gründet die erste „Freie evangelische Gemeinde“ in Deutschland und ist ein Mann mit Grundsätzen. Der Vater Carl Schmidt muss seine Tätigkeit als Jurist aufgeben, weil auch er Mitglied eben jener „Freien evangelischen Gemeinde“ ist. Aus dem Jurist wird zuerst ein Maurer, dann ein Bauunternehmer und nach dem Tod von Julius Rupp ein Prediger. Die Familie kennt Widerstände und Probleme und stellt sich ihnen, insbesondere der Vater und der Großvater: 010 O-TON IRIS BERNDT 14´20 (später) Julius Rupp ist als evangelischer Prediger rausgeflogen, Carl Schmidt, der Vater, ist als juristischer Beamter rausgeflogen und Julius Rupp hat dann als Prediger diese freie Gemeinde gegründet und dass das dann mal die größte Deutschlands war und dass sie wöchentlich dort hin ging, dass sie zwar eher eine Furcht vor der Strenge des Großvaters hatte und vor der Lehre, dass sie sich aber später im Leben auch unter dem Eindruck der Entwicklung Russlands eine Tochter des Kants bezeichnet hat. Denn letztlich haben Rupp und Schmidt Kant gelesen, in Königsberg, wollten ihn auf die evangelische Theologie anwenden oder auf ihre berufliche Tätigkeit und sind gescheitert, haben zu ihren Überzeugungen gestanden, das muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen, wenn man ermessen will, in welcher freisinnigen Atmosphäre sie dort aufwächst. SPRECHERIN 1 Trotz freigeistiger Atmosphäre gibt es schwarze Tage in dem Leben des Kindes Käthe. SPRECHERIN 2 Mein neunter Geburtstag zum Beispiel, weiß ich, war ein schwarzer Tag. Von vornherein liebte ich die Zahl 9 nicht. Dann bekam ich ein Kegelspiel geschenkt. Am Nachmittag, als alle Kinder damit spielten, ließen sie mich – ich weiß nicht warum – nicht mitspielen. Da hatte ich wieder Bauchschmerzen. Diese Bauchschmerzen waren ein Sammelbecken für körperliche und seelische Schmerzen. Damals begann wohl schon mein Gallenleiden. Ich ging tagelang elend und gelb im Gesicht herum und legte mich mit dem Bauch platt auf einen Stuhl, weil mir das wohl tat. Die Mutter wusste, dass ich unter Bauchschmerzen auch Kummer versteckte. Sie ließ mich dann neben sich sitzen, ganz dicht. SPRECHERIN 1 Auch in ihrer jüngeren Schwester Lise, mit der Käthe Zeit ihres Lebens eng verbunden ist, findet sie eine Unterstützerin. Lise erinnert sich an Käthe: SPRECHERIN 3 LISE KOLLWITZ Ein schlechter Schläfer und litt nachts an bösen Albträumen. Ich weiß noch zu gut, wie sie nachts im Schlaf des Öfteren schrie und wie dann der Vater mit der Kerze hereinkam, um sie aufzuwecken – und hinter ihm die Mutter für Käthe warmes Zuckerwasser brachte. SPRECHERIN 2 Die Mutter schickte mich und Julie einmal zur Ernestine Castell. Als sie mit mir fortging, steckte sie aus der Dose ein Stück Zucker zu sich. „Warum?“, fragte Tante Tina. „Es der Käthe in den Mund zu werfen, wenn sie brüllen wird.“ Dieses bockige Brüllen war gefürchtet. Ich konnte brüllen, dass es unerträglich war. Einmal muss es auch nachts gewesen sein, denn der Nachtwächter kam, um nachzusehen, was los sei. Ging die Mutter mit mir aus, war sie froh, wenn ich nicht auf der Straße den Bock bekam und durch nichts zu bewegen war, weiterzugehen. Kam der Bock zu Hause über mich, so hatten die Eltern die Methode, mich allein in eine Stube zu sperren, bis ich mich ausgebrüllt hatte. Geschlagen wurden wir nie. MUSIKAKZENT SPRECHERIN 2 Das Bild der Eltern aus jener Zeit ist mir nur dunkel. Der Vater war wohl sehr viel in der Arbeit. Wahrscheinlich hatten wir schon damals den Baukasten, den Vater uns hatte machen lassen. Es waren große, solide Klötze, und wir bauten viel damit. Von seinen gezeichneten Bauplänen in seiner Arbeitsstube fielen lange Streifen Papier ab. Die bekamen wir zum Bezeichnen. Konrads Phantasie ließ darauf immer Verfolgungen von Schlittenfahrern durch Wölfe oder ähnliches entstehen. Der Vater ließ alles dies nicht unbemerkt. Er hob sich bald manche Streifen auf, die wir bekritzelten. Auf die Mutter besinne ich mich aus jener Zeit gar nicht. Sie war da, und das war gut. In ihrer Luft wuchsen wir Kinder auf. Die Mutter hatte zwei Kinder vor Konrad verloren. Es gibt ein Bild von ihr mit dem ersten Kind, das nach meinem Großvater Julius genannt war, auf dem Schoß. Es war das „Erstlings-kind, das heil´ge“. Das Kind verlor sie und das zweite danach. Wer das Bild ansieht, erkennt, dass sie als Rupps Tochter nie fassungslos im Schmerz gewesen ist. SPRECHERIN 1 Die Familie Schmidt zog um, in ein Haus weg vom Fluss Pregel. Die Liebe und die Fürsorge der Eltern kann Käthe vor der Realität des Lebens auch dort nicht schützen. SPRECHERIN 2 In diesem Haus bekam meine Mutter unter großen Schmerzen ihr letztes geliebtes Kind, das auf Vaters Wunsch Benjamin genannt wurde. Auch dieses Kind wurde nur ein Jahr alt und starb wie das älteste an Meningitis. Ganz starke Eindrücke habe ich aus dieser Zeit behalten. Es war kurz vor dem Tode gewesen, wir saßen um den Esstisch, und die Mutter war gerade beim Suppeeinschöpfen, als die alte Kinderfrau die Tür aufriss und laut rief: Er bricht wieder, er bricht wieder. Die Mutter blieb still stehen und schöpfte weiter auf. Dass sie nicht vor uns weinte und aufgeregt war, empfand ich sehr, denn dass sie litt fühlte ich deutlich. Für mich war Benjamins Tod noch mit besonderen bedrückenden Seelenumständen verbunden. Ich hatte von den Eltern sehr früh die Schwabschen Sagen geschenkt bekommen, und ich glaubte an die griechischen Götter. Ich wusste sehr wohl, es gibt einen christlichen „lieben“ Gott, aber ich liebte ihn nicht, er war mir ganz fremd. Meine Schwester Lise und ich waren aus der Kinderstube geschickt, // ich saß auf dem Boden, hatte mir mit Klötzchen einen Tempel gebaut und war dabei, der Venus zu opfern. Da ging die Tür auf und der Vater und die Mutter kamen herein. Der Vater hatte mit dem Arm die Mutter umfasst, sie kamen zu uns und der Vater sagt, dass unser kleiner Bruder gestorben sei (Wahrscheinlich sagte er, dass Gott ihn zu sich genommen hätte.) Sofort wusste ich: Das ist die Strafe für meine Ungläubigkeit, jetzt rächt sich der Gott dafür, dass ich der Venus opfere. So wie ich zu den Eltern stand sagte ich kein Wort, aber welch ein Druck war auf meiner Seele, dass ich an des Bruders Tod schuldig sei. Dann lag der kleine Benjamin in der Vorderstube aufgebahrt und sah so weiß und schön aus, ich dachte mir: Nur die Augen aufmachen, dann lebt er vielleicht doch. Aber ich traute mich nicht, die Mutter aufzufordern, dass sie die Augen des Kindchens aufmachen möge und das dann alles gut sein. Ob ich gewagt habe, die kleine Leiche anzufassen, weiß ich nicht. MUSIKAKZENT SPRECHERIN 2 Meine Liebe für die Mutter war in jenen Jahren besorgt und zärtlich. Immer fürchtete ich, sie könnte verunglücken. Badete sie, auch nur in der Wanne, so fürchtete ich, sie könnte ertrinken. Einmal stand ich am Fenster, es war die Zeit als die Mutter zurückkommen sollte, ich sah sie auf jener Seite der Straße kommen, aber ohne nach unserem Haus hinzusehen, mit dem ferngerichteten Blick, den sie hatte, ruhig weitergehen die Königsstraße herunter. Wieder diese schwere Angst im Innern, sie könnte sich verirrt haben und nicht mehr zurückfinden! Dann Angst davor, die Mutter könnte wahnsinnig werden. Vor allem aber Angst um den Schmerz, den ich haben würde, wenn Vater und Mutter stürben. Manchmal war die so groß, dass ich wünschte, sie wären erst tot und ich hätte es hinter mir. SPRECHERIN 1 Als der Großvater stirbt, übernimmt der Vater die Rolle des Predigers der Freien evangelischen Gemeinde. Die Eltern ziehen erneut zusammen mit Käthe, ihren Schwestern Lise und Julie sowie dem älteren Bruder Konrad um, in die Prinzenstraße in Königsberg. SPRECHERIN 2 Nachts quälten mich entsetzliche Träume. Der schlimmste, der mir in Erinnerung geblieben ist, ist dieser: ich liege in der halbdunklen Kinderstube in meinem Bett. Nebenan sitzt die Mutter am Tisch bei der Hängelampe und liest. Ich sehe nur den Rücken durch die angelehnte Tür. In der Ecke der Kinderstube liegt ein großes zusammengerolltes Schiffstau. Es fängt an, sich auszudehnen, aufzurollen und lautlos die ganze Stube zu füllen. Ich will die Mutter rufen und kann nicht. Das graue Seil füllt alles aus. Dann war ein schlimmer Zustand, wenn die Gegenstände anfingen, kleiner zu werden. Wenn sie wuchsen war es schon schlimm, wenn sie aber kleiner wurden, war es grauenvoll. Zustände gegenstandsloser Angst habe ich durch viele Jahre noch gekannt, sogar in München traten sie, aber geschwächt, noch auf. Ich hatte dauernd ein Gefühl, etwa als ob ich im luftleeren Raum wäre, oder als sänke ich oder schwinde hin. Ob diese Zustände so schlimm zu deuten warten, wie die Eltern es taten, weiß ich nicht. Damals sorgten sie sich sehr um mich. Später bin ich von den Geschwistern die leistungsfähigste gewesen. SPRECHERIN 1 Die junge Käthe erlebt neben Ängsten und Sorgen auch viel Schönes - Sommerferien in Rauschen an der Ostseeküste, Familienfeiern und Schmetterlinge im Bauch: SPRECHERIN 2 In unserem Haus oben wohnte ein Junge, Otto Kunzemüller, der war meine erste Liebe. Wir spielten unten im Hof und Garten mit anderen Hauskindern in ziemlicher Freiheit. Die Julie hatte entdeckt, dass ich und der Otto manchmal in den Keller gingen, um uns zu küssen, und sie sagte es der Mutter, nicht um zu petzen sondern weil sie sich sorgte. Ich hatte damals die Befürchtung, dass ich nun nicht mehr mit Otto würde spielen dürfen, aber die Mutter in ihrem wortlosen Vertrauen sagte mir nichts und verbot mir nichts. Das Küssen war kindlich und feierlich. Außer Julie ist uns wohl niemand auf die Spur gekommen, denn wir kletterten über den Zaun in den verwilderten Nachbarsgarten oder gingen in den Keller. Ich weiß, dass es wundervoll war. Ich liebte den Otto tatsächlich so stark, dass ich ganz ausgefüllt war davon. Weil ich aber in Liebessachen ganz unwissend war und er, will mir jetzt scheinen, auch, so blieb es bei diesem Erfrischungskuß. Er war ein reizender Junge, gewandt und hübsch. Er räuberte mir die wahnsinnigsten Erzählungen aus seinem früheren Leben vor, die ich alle glaubte. Diese Liebe hatte ein Ende, weil Kunzenmüllers wegzogen. Aller Reiz war weg. Ich empfand Sehnsuchtsschmerz und alle Spiele mit anderen waren schal und leer. An die Innenfläche meines linken Handgelenks hatte ich mir ein O eingeritzt, das ich immer, wenn es vernarben wollte, wieder vertiefte. MUSIKAKZENT SPRECHERIN 1 Käthe verbringt viel Zeit mit ihrer jüngeren Schwester Lise. Sie streifen durch die Gegend, lesen, basteln und zeichnen. Beide Mädchen, Lise und Käthe, zeichnen gerne und zeigen Talent darin, vor allem Käthe. Das bleibt nicht unbemerkt. Die langjährige Freundin Beate Bonus-Jeep: SPRECHERIN 3 Wenn Käthe als Kind mit dem Stift nach Ausdruck suchte, fand sie das fördernde Echo bei ihrem Vater. – „Schade, dass Katuschchen kein Junge ist“, sagte er gelegentlich. Zu jener Zeit war das hervortreten einer Frau schwer denkbar, Die Ausbildung sparte er aber nicht an seiner Tochter, und mit politischen Bindungen beschwerte er sie nie. SPRECHERIN 2 Jetzt war es dem Vater lange klar, dass ich zeichnerisch beanlagt (beanlagt steht so im Original) war, er hatte große Freude darüber und wollte mich ganz zur Künstlerin ausbilden. Leider war ich ein Mädchen, aber auch so wollte er alles dransetzen. Er rechnete damit, dass, da ich kein hübsches Mädchen war, mir Liebessachen nicht sehr hinderlich in den Weg kommen würden; und darum war er wohl auch so enttäuscht und aufgebracht, als ich mich bereits mit 17 Jahren an Kollwitz band. Fürs erste bekam ich Unterricht bei dem Kupferstecher Mauer. Es waren wohl noch ein oder zwei andere Mädchen dabei. Wir zeichneten Köpfe nach Gips und nach Vorlagen. Es war Sommer, wir saßen in der Vorderstube. Unten auf der Straße hörte ich die Steinsetzer rhythmisch stampfen, über den großen Bäumen des Gartens gegenüber brütete heiße, unbewegliche Stadtluft. SPRECHERIN 1 Die Eltern Schmidt fördern ihre Kinder, mal direkt durch gezielten Unterricht, mal indirekt durch ihre Offenheit. SPRECHERIN 2 In den Entwicklungsjahren nährt sich das Talent von dem, was von allen Seiten zuströmt. Fast jeder Mensch ist in dieser Zeit begabt, weil er empfänglich ist. Die Eltern verfolgen die Methode, uns Gelegenheit zur Weiterentwicklung zu geben, ohne uns mit der Nase darauf zu stoßen. Zum Beispiel stand der Bücherschrank uns Kindern offen, und es wurde nicht nachgeforscht, was wir uns daraus holten. Es waren alles gute Bücher. Ich las Schiller in einer großen, schönen Ausgabe mit Stichen von Kaulbach und ich las Goethe. Goethe hatte sehr früh bei mir Wurzel gefasst. Ich habe ihn mein ganzes Leben lang nicht mehr gelassen. Wofür ich den Eltern immer sehr dankbar gewesen bin, das ist, dass sie Lise und mich stundenlang nachmittags in der Stadt herumstreifen ließen. Auch hier wieder großzügiges Vertrauen und keine Nachspürerei. Nur wünschten die Eltern, dass wir nicht auf Königsgarten promenierten. Königsgarten entsprach etwa der Tauentzienstraße. Wir durften ihn nur überqueren, wenn der Weg so führte. Wir legten ihn meistens so. Dann standen wir wieder und sahen den Sackträgern zu, dem Auf- und Abladen der Schiffe, // Wir wussten, wo die Witinnen, die Getreideschiffe, lagen mit den Jimkies drauf in Schafspelzen und mit lappenumwickelten Füßen. Russen oder Litauer waren das, gutmütige Leute. Abends spielten sie auf den flachen Schiffen die Ziehharmonika und tanzten dazu. Dieses scheinbar planlose Bummeln war der künstlerischen Entwicklung sicher förderlich. Wenn meine späteren Arbeiten durch eine ganze Periode nur aus der Arbeiterwelt schöpften, so liegt der Grund dazu in jenen Streifereien durch die enge, arbeiterreiche Handelsstadt. Der Arbeitertypus zog mich, besonders später, mächtig an. Die erste Zeichnung, die ganz deutlich Arbeitertypen hatte, machte ich freilich mit etwa sechszehn Jahren, es war eine Zeichnung aus dem Gedicht „Die Auswanderer“ von Freiligrath. SPRECHER 2 Die Auswanderer Sommer 1832 Ich kann den Blick nicht von euch wenden Ich muss euch anschauen immerdar: Wie reicht ihr mit geschäft'gen Händen Dem Schiffer eure Habe dar! Ihr Männer, die ihr von dem Nachen Die Körbe langt, mit Brot beschwert, Das ihr aus deutschem Korn gebacken, Geröstet habt auf deutschem Herd; Und ihr, im Schmuck der langen Zöpfe, Ihr Schwarzwaldmädchen, braun und schlank, Wie sorgsam stellt ihr Krüg und Töpfe Auf der Schaluppe grüne Bank! Das sind dieselben Töpf und Krüge, Oft an der Heimath Born gefüllt! Wenn am Missouri Alles schwiege, Sie malten euch der Heimath Bild; Des Dorfes steingefaßte Quelle, Zu der ihr schöpfend euch gebückt, Des Herdes traute Feuerstelle, Das Wandgesims, das sie geschmückt. Bald zieren sie im fernen Westen Des leichten Bretterhauses Wand; Bald reicht sie müden, braunen Gästen, Voll frischen Trunkes, eure Hand. Es trinkt daraus der Tscherokese, Ermattet, von der Jagd bestaubt; Nicht mehr von deutscher Rebenlese Tragt ihr sie heim, mit Grün belaubt. O sprecht! Warum zogt ihr von dannen! Das Neckarthal hat Wein und Korn; Der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen, Im Spessart klingt des Älplers Horn. Wie wird es in den fremden Wäldern Euch nach der Heimathberge Grün, Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern, Nach seinen Rebenhügeln ziehn! Wie wird das Bild der alten Tage Durch eure Träume glänzend wehn! Gleich einer stillen, frommen Sage Wird es euch vor der Seele stehn. Der Bootsmann winkt! – Zieht hin in Frieden: Gott schütz euch, Mann und Weib und Greis! Sei Freude eurer Brust beschieden, Und euren Feldern Reis und Mais! MUSIKAKZENT SPRECHERIN 1 Bereits in Königsberg lernt die junge Käthe Schmidt ihren späteren Gatten Karl Kollwitz kennen, einen jungen Mann, den seine verwitwete Mutter mit neun Jahren ins Waisenhaus gebracht hatte. SPRECHERIN 2 In der Zeit, als Karl zum ersten Mal das Wilhelmsgymnasium aufsuchte, berührte er auf wunderliche Weise meine Familie. In der Klasse lernte er meinen älteren Bruder Konrad kennen. Die Jungen rangten sich, wobei Konrad so zu Fall kam, dass er sich einen Arm ausrenkte und nach Hause musste, auch mehrere Tage der Schule fernblieb. Der alte Böhm, bei dem Karl damals in Pension war und der meine Eltern kannte, sagte Karl, er müsse jetzt mal zu Schmidts gehen und fragen, wie es dem Konrad ginge, da er ihm Schaden zugefügt hätte. Karl tat es ungern. Als er an der Haustür die Klingel zog, machte meine Mutter ihm die Türe auf und sagte, er solle nur hinten in den Garten gehen, da wäre Konrad. So fand er Konrad Lanzen werfend, ziemlich wiederhergestellt, im Garten und beide spielten zusammen weiter. Als er endlich wieder nach Hause ging, schenkte ihm Mutter noch eine wunderschöne Birne anstatt ihn zu schelten. Charakteristisch für sie und charakteristisch für Karls Leben, der solche Freundlichkeit nicht viel erfuhr. SPRECHERIN 1 Der Tod der Geschwister, die Fürsorge der Eltern, die Freiheit, Emanuel Kant – das sind Erlebnisse, Ereignisse und Erfahrungen, die Käthe Kollwitz, geborene Schmidt, prägen werden: 011 O-TON ARNE 17´34, 18´00 Das ist ganz faszinierend zu sehen, dass Eindrücke ihrer Kindheit sie in ihrem ganzen Leben späteren Leben begleitet haben //. Und dann kam noch dazu, dass es die Zeit war, wo die Sozialdemokratie aktiv wurde und ich sehe, ihr Bruder Konrad, der auch später enger Sekretär von Engels in London war, war Journalist und war also von Anfang an von sozialdemokratischen Idealen begeistert. Der hat sie auch in dieser Weise stark beeinflusst und dann auch die Todesthematik, die später in ihrem Werk so eine große Rolle spielte, die ist sicherlich auch irgendwie schon in der Kindheit angelegt. Da ist ja ihr drei ihre Geschwister gestorben und auch ihr jüngster Bruder Benjamin, dessen Tod hat sie sehr stark miterlebt und hat sich auch mit dem Gedanken rumgeschlagen, sie könne an seinem Tod nicht schuldig geworden sein, aber sie könnte ihn nicht genügend bewusst erlebt haben. Und sie hat ja schon im Alter von 36 Jahren, als junge Frau, hat sie die erste große Arbeit gemacht, Frau mit totem Kind im Schoß. Also ich meine, das sind alles die Dinge, die später auch in ihrer Kunst, in ihrer Arbeit immer wieder auftauchen. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Ausbildungsjahre und Lebenslust. SPRECHERIN 2 In Berlin lebte mein Bruder Konrad als junger Student. Ich kam dort als 17jährige in eine Pension und besuchte die Künstlerinnenschule mit Stauffer-Bern als Lehrer. Sein Unterricht war für meine Weiterentwicklung sehr wertvoll. Ich wollte malen, aber er wies mich immer wieder auf die Zeichnung zurück. Er sah meine noch in Königsberg entstandenen Zeichnungen zu Gedichten, wie zum Beispiel zu den „Auswanderern“ von Freiligrath. Und sprach damals zum ersten Mal über Max Klinger, der sein Freund war und mir dahin unbekannt. Die Folge „Ein Leben“ von Klinger sah ich auf einer Berliner Ausstellung, schlecht gehängt. Es war das erste, was ich von ihm sah, und es erregte mich ungeheuer. In meinem 17. Jahr hatte ich mich durch Verlöbnis an den noch im Medizinstudium befindlichen Karl Kollwitz gebunden. Mein Vater, der seine Pläne mit mir dadurch gefährdet sah, beschloss, mich noch einmal fortzugeben, und zwar diesmal statt Berlin nach München, im Jahre 1887. SPRECHERIN 1 In München, fernab des Elternhauses, blüht das Mädchen aus Ostpreußen auf, unternimmt mit ihren Kommilitoninnen Reisen nach Italien: 011 O-TON IRIS BERNDT 11´34 Die Reise nach Venedig, die sie mit wenig Geld, immer mit Regionalzügen Tag und Nacht unterwegs immer gemeinsam machten und wie die große Marianne Fiedler, schön und groß und blond in Venedig also so Aufsehen erregte und wie sie sich alle einen Spaß machten , hier jung und frei sich die Stadt erobern. Das ist so eine andere Kollwitz. SPRECHERIN 2 Der freie Ton der „Malweiber“ entzückte mich. // Ich gebrauchte einen Trick, um unter die Geachteteren der Klasse zu kommen: ich malte so, wie ich wusste, dass der Lehrer wünschte, dass ich malen sollte. Erst später entschloss sich mir ein richtiges Verhältnis für seinen Kolorismus. In München habe ich viel gelernt. Der Tag war besetzt mit Arbeit, abends genoss man, ging auf Bierkeller, machte Ausflüge in die Umgebung und fühlte sich frei, weil man seinen eigenen Hausschlüssel hatte 012 O-TON HANNELORE FISCHER NACH 48´55 Sie konnte sehr gut feiern, das wird immer wieder betont. SPRECHERIN 1 Käthe Schmidt geht gerne auf Maskenbälle. MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Ein schwarz-weiß Foto: Käthe Schmidt als Gänseliesel, klobige Holzschuhe an den Füßen, ein weiter wollener Rock mit grober Schürze und weißer, kurzärmeliger Bluse. Den rechten Arm in die Hüfte gestemmt, in der linken Hand ein dünner Stock zum Antreiben der Gänse. Die Haare, dunkel, zusammengebunden, den Blick in die Ferne gerichtet. MUSIK WEG SPRECHERIN 1 Die Freundin Helene Bloch erinnert sich an eine lebensfrohe, junge Frau: SPRECHERIN 3 Wie sie als bayrisches Mädel mit dem Bierseidel in der Hand ihre Rolle, die ganze Nacht hindurch spielte, ohne auch nur einen Moment aus ihrer Rolle zu fallen. Auf einem solchen Ball trat sie zum Erstaunen und zur Begeisterung aller Anwesenden als Bacchantin auf, wo sie mit einem Kranz im Haar mit unglaublicher Leidenschaft sang und tanzte. 013 O-TON IRIS BERNDT 9´33 Das zeigt diese Neugierde, die sie hatte, auch in viele andere Lebensbereiche hinein zu gucken. Und das ließe sich in ihrer Begeisterung für Musik, fürs Theater finden und wenn Sie diese wunderbare Szene nehmen, wie sie in München bei einem Kostümball getanzt hat ganz selbstvergessen, ganz bewundernd standen da die Kommilitonen um sie herum, wer ist denn das da? MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Selbstbildnisse MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Ein frühes Selbstbildnis der Käthe Schmidt aus den Jahren 1888/89 – die unvollendete Tuschezeichnung einer lachenden jungen Frau. Die Haare, vielleicht kurz geschnitten oder nach hinten zusammengebunden, den Oberkörper etwas nach rechts gedreht, den Kopf dem Betrachter zugewandt und den Blick direkt auf ihn gerichtet. Der Mund – geöffnet zu einem breiten Lächeln, das die Zähne sichtbar werden lässt. Kein Vordergrund, kein Hintergrund, nur das Gesicht mit dem Lächeln. MUSIK WEG 014 O-TON ARNE 29´00 Das ist das Selbstbildnis lachend. Sehr, sehr schönes Bild. // Es hat sie ihr Gesichtsausdruck interessiert und // ja manchmal wirken ja solche Bilder viel intensiver, weil sie ja auch auf alles unnötige Beiwerk verzichten. Es ging ihr einfach um ihren Gesichtsausdruck. Und gerade skizzenhafte Sachen sind bei Künstlern manchmal schöner als die dann bis ins letzte Detail ausgearbeitete Arbeit. SPRECHERIN 1 Iris Berndt vom Käthe-Kollwitz-Museum Berlin: 015 O-TON IRIS BERNDT7´04 Sie sehen, wie fein, mit Feder, das Gesicht plastisch modelliert ist, so das Lachen heraustritt aus dem Dunkeln, Licht und Schatten, das ist kein Grinsen, das ist ein fröhliches Lachen, eine Schulter etwas vor. Das Unvollendete unterstreicht ja noch so das Freche und dann hier Schmidt, ihr Mädchenname, was das Blatt auf die Vor-Berliner Zeit weist. SPRECHERIN Hannelore Fischer vom Käthe Kollwitz Museum in Köln beurteilt das Portrait der lachenden Käthe anders: 016 O-TON HANNELORE FISCHER 11´14 Also sie muss zeichnen und sie muss sich selber zeichnen und das ist ein Versuch, sich selber zu zeichnen und bei bestimmten Regungen. // Es ist einfach der Versuch, wie wirke ich, wenn ich lache. Man muss ja sehr angestrengt in den Spiegel gucken. Sie ist ja sehr jung auf dieser Zeichnung und dieser Versuch, sich lachend zu zeichnen, ist ja gar nicht einfach. Und das sieht man einfach, dass das zu diesen experimentellen frühen Versuchen gehört, wo sie verschiedene Gemütsverfassungen zu zeichnen versucht. 017 O-TON ARNE KOLLWITZ 30´02 Ich kenne dieses Bild natürlich, aber da sind wir wieder bei dem Punkt: // ich kann nicht sagen oder glaubhaft versichern, dass ich in mir das Bild trage, was ich von ihr als 13jähriger bekommen habe. Sondern das ist alles in vielerlei Hinsicht erweitert und vertieft worden durch Fotografien und Arbeiten von ihr und so. Sie hat ja eine große Zahl von Selbstportraits gemacht. Das ist ja wieder ein ganz interessanter Aspekt ihrer künstlerischen Arbeit. Denn ein Selbstportrait ist ja dauernd im Grunde immer eine kritische Beschäftigung mit sich selbst. Und dass man wirklich sieht, was hat sich in dem Gesicht getan, // das ist ähnlich wie ein Tagebuch, wo man seine Stimmungen und seine Fehlschläge oder seine schlechten Phasen schreibt. So ist das mit Selbstbildnissen. Das ist eine ungeheuer ehrliche Art, sich zu sich selber zu verhalten. Musik 2. STUNDE MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Zweifel: Die Künstlerin als Verlobte 018 O-TON IRIS BERNDT 16´03 Das war ja eine doppelschneidige Sache und sie ist ja auch ein bisschen gehänselt worden von ihren Kommilitonen als sie in München plötzlich mit einem Verlobungsring ankam. Denn Künstlertum und Ehe, das schloss sich in der Vorstellung der angehenden Künstlerinnen aus. SPRECHERIN 2 Das freie, mir sehr wohl gefallende Leben in München erweckte Zweifel in mir, ob ich wohlgetan hätte, mich so frühzeitig durch Verlöbnis zu binden. Die freie Künstlerschaft lockt sehr. Als dann im nächsten Jahr von neuem die Frage auftauchte, ob ich wieder nach München gehen sollte und mein Vater es mir freistellte, tat ich es gern. Es schien mir ein gutes Omen, dass ich in München zuerst Herterich auf der Straße traf. Dass ich wieder in seine Schule eintrat, war selbstverständlich. Vater hatte nur noch dieses Semester mir zugesagt, und obwohl die Möglichkeit bestanden hatte, dass ich damals statt nach München nach Berlin ging, hatte ich München gewählt. Dieser Aufenthalt wurde nicht so fruchtbringend, wie ich es angenommen hatte. Später habe ich es oft bedauert, nicht stattdessen nach Berlin gegangen zu sein. In Berlin war unterdes vielerlei vorgegangen. Hauptmann hatte „Vor Sonnenaufgang“ aufführen lassen, die junge in- und außerdeutsche Literatur entwickelte sich jählings. Auch mein Verlobter war bereits nach Berlin übergesiedelt, um dort sein halbes Jahr als Arzt abzudienen. 019 O-TON IRIS BERNDT 16´30 Karl hat sehr ums sie geworben, er war ja ein Freund ihres älteren Bruders Konrad. Er war dann mit in die Familie gekommen, man ist gemeinsam nach Rauschen an die Ostsee, wo Käthe Kollwitz mit der Familie die Sommerferien verbracht hat, gefahren und so hat Karl Käthe schon zeitig kennengelernt und die lange Verlobungszeit hat sie auch manchmal durchaus als Last empfunden, doch je älter sie wurde wirklich auch als Rückenstärkung. Weil, Karl hat ihr eben nicht reingeredet, Karl hat sie nicht bedrängt, Karl hat die finanzielle Sicherheit erwirtschaftet und durch Karl hat sie Einblicke in soziale Verhältnisse gewonnen. SPRECHERIN 2 Mein Vater beobachtete meine Arbeit nicht mehr mit so fraglosem Glauben an mein Vorwärtskommen. Er hatte viel rascher einen Abschluss meiner Studienzeit erwartet, Ausstellungen und Erfolge. Außerdem war er, wie gesagt, sehr skeptisch gegen die Tatsache eingestellt, dass ich zwei Berufe vereinigen wollte, den künstlerischen und das bürgerliche Leben in der Ehe. Mein Verlobter hatte, dadurch, dass er in Berlin die Krankenkasse der Schneider bekam, die Möglichkeit der Existenz und so beschlossen wir, den Sprung zu wagen. Mein Vater sagte mir kurz vor der Eheschließung: „Du hast nun gewählt. Beides wirst du schwerlich vereinigen können. So sei das, was du gewählt hast, ganz!“ SPRECHERIN 1 Am 13. Juni 1891 heiratet Käthe Schmidt Karl Kollwitz und heißt fortan Käthe Kollwitz. Sie geht nach Berlin. Ein Jahr später kommt Sohn Hans auf die Welt, 1896 folgt Peter. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Künstlerische Selbstfindung SPRECHERIN 1 Noch vor Berlin und der Heirat, in Königsberg, liest Käthe Schmidt den Roman „Germinal“ von Emile Zola über die Bergarbeiter Frankreichs und ihre unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Die Künstlerin will die Motive von Germinal auf die Leinwand bringen SPRECHERIN 2 Zu diesem Zweck brauchte ich Studien. Königsberg hatte damals in den alten Pregelgegenden eine Reihe von Matrosenkneipen, welche am Abend zu besuchen mit Lebensgefahr verbunden war. Es war mir nicht möglich, anders als am Vormittag dort Studien zu machen. Am interessantesten war mir das „Schiffchen“, ein Lokal mit doppelten Ausgängen. Wüster Lärm war drin zu hören, Messerstechereien waren an der Tagesordnung. MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Eine Radierung auf dunklem Papier im länglichen Format: Eine Art Kneipenraum mit niedriger Decke, die auf die gesamte Szene drückt. Ein Stuhl umgeschmissen, Tische zur Seite gerückt. Auf der linken Bildseite zwei Männer, die miteinander ringen. Rechts betritt eine Frau den Raum und hält sich - erschrocken oder nachdenklich? - eine Hand vor dem Mund. MUSIK WEG SPRECHERIN 2 Ein großes Erlebnis fiel in diese Zeit: Die Uraufführung der Hauptmannschen Weber in der „Freien Bühne“. Es war eine Vormittagsaufführung. Wer mir eine Karte verschafft hatte, weiß ich leider nicht mehr. Mein Mann war durch Arbeit abgehalten, aber ich war dort, brennend vor Vorfreude und Interesse. Der Eindruck war gewaltig. Die besten Schauspieler wirkten mit. // Am Abend war ein festliches Zusammensein in großem Kreise, wo Hauptmann als Führer der Jugend auf den Schild gehoben wurde. Diese Aufführung bedeutete einen Markstein in meiner Arbeit. Die begonnene Folge um Germinal ließ ich liegen und machte mich an die Weber MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Der „Weberaufstand“ – ein Zyklus aus sechs Blättern. Angefangen mit der Verzweiflung einer Mutter über ihr todkrankes Kind und einer Mutter, die der Tod holt, über gemeinschaftliche Beratungen der Weber und ihr Demonstrationszug zum Fabrikanten. Vor dessen herrschaftlichem Haus und einem hohen, verziertem Tor sammeln sie Steine. Das letzte Blatt zeigt das Ende des misslungenen Aufstand: Zwei Frauen tragen gefallenen Weber in eine niedrige, dunkle Kammer, während von außen noch der Pulverdampf der andauernden Kämpfe mit dem Militär hineinweht. MUSIK WEG SPRECHERIN 2 Später hörte ich, dass der Vorstand, dem auch Menzel angehörte, für die Weber die kleine goldene Medaille beantragt hatte. Der Kaiser lehnte sie ab. Aber von da an zählte ich mit einem Schlag in die vorderen Reihen der Künstler. 020 O-TON IRIS BERNDT 23´30 Das ist die abfällige wilhelminische kaiserliche Sicht, als Liebermann dann 1898 Käthe Kollwitz mit ihrem Weberzyklus vorschlug für die Kleine Goldene Medaille sagt der Kaiser, das ist Rinnsteinkunst und Orden und Medaillen gehören an die Brust von Männern. Und damit war der Eklat da, aber es war auch zugleich, weil die Zeitungen darüber berichteten, der künstlerische Durchbruch der Künstlerin. SPRECHERIN 2 Ich möchte hierbei einiges sagen über die Abstemplung zur „sozialen“ Künstlerin, die mich von da an begleitete. Ganz gewiss ist meine Arbeit schon damals durch die Einstellung meines Vaters, meines Bruders, durch die ganze Literatur jener Zeit auf den Sozialismus hingewiesen. Das eigentliche Motiv aber, warum ich von jetzt an fast nur das Arbeiterleben wählte, war, weil die aus dieser Sphäre gewählten Motive mir einfach und bedingungslos das gaben, was ich als schön empfand. Schön war für mich der Königsberger Lastträger, schön waren die polnischen Jimkies auf ihren Witinnen, schön war die Großzügigkeit der Bewegung im Volke. Erst viel später, als ich, besonders durch meinen Mann, die Schwere und Tragik der proletarischen Lebenstiefe kennenlernte, als ich Frauen kennenlernte, die beistandsuchend zu meinem Mann und nebenbei auch zu mir kamen, erfasste mich mit ganzer Stärke das Schicksal des Proletariats und aller seiner Nebenerscheinungen. Ungelöste Probleme wie Prostitution, Arbeitslosigkeit, quälten und beunruhigten mich und wirkten mit als Ursache dieser meiner Gebundenheit an die Darstellung des niederen Volkes, und ihrer immer wiederholte Darstellung öffnete mir ein Ventil oder eine Möglichkeit, das Leben zu ertragen. Auch mag eine Temperamentsähnlichkeit, die mich mit meinem Vater verband, diese Hinneigung verstärkt zu haben. Mitunter sagten meine Eltern selbst zu mir: „Es gibt doch auch Erfreuliches im Leben. Warum zeigst du nur die düstere Seite?“ Darauf konnte ich nichts antworten. Es reizte mich eben nicht. Nur dies will ich noch einmal betonen, dass anfänglich in sehr geringem Maße Mitleid, Mitempfinden mich zur Darstellung des proletarischen Lebens zog, sondern dass ich es einfach als schön empfand. Wie Zola oder jemand schon sagte „Le beau cést le laid.“ MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Das glückliche Jahrzehnt SPRECHERIN 2 Paris wird Anfang des 20. Jahrhunderts zum Sehnsuchtsort der Künstlerin. Ein Ort, der viele Künstler aus Deutschland anzieht - ein Ort, an dem neue Kunst entsteht, die mit alten Sehgewohnheiten bricht. Die Impressionisten malen in der freien Natur, lösen die Motive in einzelne kleine Punkte auf, der Bildhauer Rodin macht Hafenarbeiter zu den Objekten seiner Skulpturen, zeigt sie ungeschönt mit gebrochener Nase und schiefen Gesicht, zusammengesetzt aus einzelnen kleinen Tonklümpchen. Käthe Kollwitz, Mitte 30, Mutter eines 12 jährigen und eines achtjährigen Sohnes, verfolgt eine Idee: SPRECHERIN 2 Denn das ist in meinem Kopf einmal ausgemachte Sache: nach Paris gehen heißt plastisch arbeiten. Paris hab ich mir überhaupt aufgehoben bis zu dem Zeitpunkt, wo Mann und Kinder mich gar nicht mehr brauchen, dann will ich – aber gründlich! – hingehen und dort arbeiten. Indessen wird mir von halb Jahr zu halb Jahr die Sache fraglicher, wann dieser Zeitpunkt der gänzlichen Freiheit eintreten wird. Mitunter scheint mir, das Ganze ist eine Illusion. Die Kinder freilich werden ja allmählich Männer werden, aber dann ist da immer noch der Mann, und wenn man erst so zwanzig Jahre mit einander gelebt hat, lässt sich nicht so ohne weiteres eines Tages erklären, von nun an ziehe ich meiner Wege. SPRECHERIN 1 Doch Käthe Kollwitz wagt den Schritt, der sie auch künstlerische auf neue Wege führen wird: 021 O-TON ARNE KOLLWITZ23´09 Sie hat ja eigentlich nie farbig gearbeitet. In der Pariser Zeit, sie war ja zweimal zu Studienaufenthalten in Paris, das eine Mal hat sie dort ja dann begonnen, sich in der Bildhauerei ausbilden zu lassen, hat Rodin besucht. Und dann hat sie auch herrliche Farbzeichnungen gemacht von französischen Lokalen oder so etwas. // Mit ihr schönstes Selbstbildnis ist ja eins von 1896, was ja auch in farbiger Kreide gemacht worden ist, wunderbar //. Sie hat ja nie gemalt, außer in der Ausbildungszeit, da gibt es so kleinere Ölmalerei von ihr, aber danach nie wieder. Sie hat im Grunde immer schwarz-weiß gearbeitet. Das allerdings dann auch manchmal etwas farbig aufgelockert. …// Sie hat in dem Bereich der Techniken, die sie interessierten und die sie beherrschte, da hat sie dann auch viel experimentiert. AUF MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Weiblicher Rückenakt auf grünem Tuch, eine Druckgrafik aus dem Jahr 1903: Vor warm-braunem Hintergrund hockt eine nackte Frau auf einem grünen Stoff. Dem Betrachter den Rücken zugewandt, neigt sie den Kopf mit den dunklen Haaren nach unten Richtung Schoß. Von den Schultern bis zum Po ist die Frau nackt. Das Licht spielt mit ihrem Körper, betont die runden Schultern, wirft Schatten auf die Wirbelsäule. MUSIK WEG SPRECHERIN 2 Das Jahrzehnt zwischen dreißig und vierzig war ein sehr glückliches in jeder Beziehung. Wir hatten, was wir zum Leben brauchten, die heranwachsenden Kinder gediehen, Reisen wurden gemacht. So war ich in diesen Jahren zweimal in Paris. Das erste Mal nur für kurz, // das zweite Mal länger. Paris bezauberte mich. An den Vormittagen war ich in der alten Julianschule in der Klasse für Plastik, um mich mit den Grundlagen der Plastik vertraut zu machen. Die Nachmittage und Abende war ich in Museen in der Stadt, die mich entzückten, in den Kellern um die Markthallen herum oder in den Tanzlokalen auf dem Montmarte oder in der Bar Bullier. Eine Kollegin von mir, Ida Gerhardi, war Abend um Abend da, um Skizzen zu machen. Die Kokotten kannten sie und gaben ihr immer ihre Sachen, während sie tanzten, zur Aufbewahrung. // Speisen taten wir abends in einem dieser großen Lokale, wo die Künstler in Masse, nach ihrer Nationalität zusammensitzend, aßen, auf dem Boulevard Montparnasse. // Zweimal war ich bei Rodin. Das erste Mal in der Rue de l´Université, wo ich ihn in seinem Arbeitsatelier antraf. Er fordert mich und Sophie Wolff dann auf, nach Meudon herauszukommen. Dieser Besuch ist mir unvergesslich. Rodin selbst war in Anspruch genommen durch Besucher. Er forderte uns jedoch auf, uns alles im Atelier Befindliche anzuzsehen. In der Mitte seiner großen Plastiken thronte der gewaltige Balzac. In Glaskästen hatte er kleine Gipsskizzen. Sein ganzes Werk war sichtbar, und der alte Meister selbst war anwesend. 022 O-TON IRIS BERNDT 12´12 (später) Da ist eine Kollwitz, die die Kneipen besucht, die die Kunstszene besucht, die Freunde hat // und sie war unendlich glücklich und zugleich war sie, muss man sich vorstellen, Mutter zweier Kinder, lässt die Kinder zurück, bei Mann und Betreuung, ein Kindermädchen, um sich diesen Aufbruch zu gönnen. Da steckt viel Kraft, viel Lebensfreude, aber auch viel künstlerisches Wollen dahinter. 0 23 O-TON ARNE KOLLWITZ25´59 Na, dass sie rauskam und Paris war natürlich sicherlich für sie, wie auch noch heute, ein großes Erlebnis, wo sie mit einer völlig anderen Mentalität und anderen Sprache konfrontiert war. Denn das Leben am Prenzlauer Berg war nun mal alles andere als abwechslungsreich. O-TON ARNE KOLLWITZ 1´01´40 Das war das Wohnzimmer oder eines der Zimmer der Wohnung, // grün bezogene dunkelbraune Möbel. // Es war alles fürchterlich einfach. Es war auch dieses Badezimmer, das in einem fensterlosen Raum eingerichtet war, das war eine Art Durchgangszimmer. O-TON ARNE KOLLWITZ26´41 Sie wohnten im 3. Stock, // das war eine Mietskaserne. Gegenüber war ein kleiner Platz, das war nun wirklich, ich kann mir vorstellen, dass sie vor Freude in Paris ganz beseelt gewesen ist. SPRECHERIN 1 Wenige Jahre nach Paris gewinnt Käthe Kollwitz den Villa Romana-Preis und geht für mehrere Monate nach Florenz, wandert von da aus mit einer Freundin – und einer Pistole im Gepäck – nach Rom. 024 O-TON HANNELORE FISCHER 23´00 Das sind zwei junge Frauen, die gesagt haben, wir machen eine Reise , eine Fußwanderung, eine Pilgerung, egal wie sie das nennen wollen, mit der Pistole in der Tasche, wie sei das so nett beschreibt. Zwei Frauen alleine 1907 auf dem Weg nach Rom, sind dann irgendwie nachts irgendwo untergekommen, sozusagen als Pilgerinnen. Wie sie das beschreibt und wie aufregend das war. Das war natürlich für eine Frau, die gerade um die 40 war total aufregend. Das war ja vor allem auch mal ein Ausbruch aus ihrem Familienleben. Da war sie ja auch vergleichsweise eng getaktet mit ihren zwei Söhnen, ihrem Mann, musste ihre Arbeit einteilen. Das alles spielt ja auch eine Rolle. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Die Liebe, was damit zusammenhängt und die Folgen SPRECHERIN 1 Mit Anfang 40 schafft Käthe Kollwitz eine neue, andere Kunst mit ungewöhnlichen, gewagten Motiven, die die Künstlerin im Verborgenen behält. MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Liebesszene 1, aus den Secreta, um 1909/10 In dicken, schwarzen Kohlestrichen zeichnet Käthe Kollwitz ein nacktes Paar beim Geschlechtsakt: Er drückt ihren Po mit seinen Beinen fest an sich, während er seinen Kopf zwischen ihren Brüsten versenkt. Sie biegt ihren Körper und Kopf nach hinten durch, umschlingt den Mann mit ihren Armen und schließt genussvoll die Augen. MUSIK WEG 025 O-TON HANNELORE FISCHER 48´15 Es waren einfach erotische Zeichnungen, die die Kollwitz gezeichnet hat, die sie immer versteckt hat, wo sie auch im Tagebuch schriebt, sie schreibt ja im Tagebuch darüber zwei Mal, die habe ich niemandem gezeigt und werde das auch nicht tun, hat sie aber zum Teil zu ihren besten Zeichnungen gezählt, hat sie auch immer verwahrt und nicht zerrissen, die gehören zu ihrem Leben dazu und // Kollwitz war durchaus eine sinnliche Person, die gerne gefeiert hat, die gelacht hat. SPRECHERIN 2 Die Zeichnungen entstehen um 1909 – das Jahr, in dem Käthe Kollwitz sich verliebt. Ostern notiert sie nur ein Wort in ihr Tagebuch: SPRECHERIN 2 Heller SPRECHERIN 1 Hugo Heller, ein Journalist, Schriftsteller, Buchhändler und Verleger mit engem Kontakt zu Sigmund Freund – und – wie Käthe – verheiratet. 026 O-TON HANNELORE FISCHER 27´55 Ich bin schon der Meinung, dass sie sehr verliebt war in Hugo Heller, dass er sie begeistert hat mit seiner eleganten und beredten Art, wie er sich ausdrücken konnte, dass man gut mit ihm reden konnte und dieser Wiener Charme. Das fand sie alles spannend. Aber ich glaube nie, dass sie ihren Mann betrogen hat, wie man das heute formulieren würde, dass sie aus dieser Ehe ausgebrochen ist. Obwohl wir wissen, dass sie tatsächlich kurz davor gewesen war, als die Frau von Hugo Heller gestorben ist, ernsthaft überlegt hat, ihre Familie zu verlassen. Zumindest scheint das so zu sein, denn ihr Mann hat ja auch das berühmte Gedicht an den Zugvogel geschrieben, was ja zutiefst rührend ist. SPRECHER 2 EINKÜRZBAR An den Zugvogel Du willst nun weiter wandern – Still bist Du geworden, Niedergeschlagen Sehnsüchtig still Sehnsüchtig unruhig. Der Wanderbetrieb – treibt Mit heimlichen Wünschen Mit schmerzendem Sehnen Das Alte erscheint alt, grau, honett, staubig, verbraucht, wie die Erklärung von Glaubensartikeln oder die Commentare zu Liebesliedern wie eine Chaussee Du siehst weit in die Ferne In Gefilde, in Gegenden der Wärme, in Schönheit, in Lust und in großes Ereignen. Ich wollte Dich lehren, Deine große Kraft arbeiten zu lassen Deine Gedanken, Deine Leistungen Sollten herab fallen auf Die strebende, sehnsüchtige Menschheit Wie labender Regen – Erfüllte Sehnsucht, gebändigte Kraft, beruhigende Ziele, geklärtes Streben – das alles sollte aus Deinen Werken leuchten Du willst – es nicht – Du willst nur fliegen, wohin der Zug der Dich treibt, unendlich – in ungemeine Ferne – Ich bleibe und sehne mich. Du aber fliege. 027 O-TON HANNELORE FISCHER 29´50 Karl war für sie der entscheidende Anlaufpunkt überhaupt. Er war da, er hat sie geliebt, er war einfach ein zuverlässiger Ort für sie. Er war ja auch wahnsinnig beschäftigt. Er hat sie gefördert, wie er konnte. Er hat ja früh verstanden, dass Kollwitz künstlerisch arbeiten musste. Er hat ihre hohe Begabung auch verstanden. /7 Er war ja stolz auf seine Frau. SPRECHERIN 1 Käthe Kollwitz vertraut sich ihrem Tagebuch an. Doch nicht alle Eintragungen sind veröffentlicht worden: 028 O-TON HANNELORE FISCHER 27´10 Wir wissen ja auch, dass Hans, der die Tagebücher veröffentlicht hat, viele Stellen geschwärzt hat. Es gibt da auch den einen oder anderen Skandal, von dem Hans zumindest gedacht hat, ok, das sollte die Öffentlichkeit jetzt nicht wissen und diese Schwärzungen sind auch nicht mehr aufzuheben, selbst wenn wir noch so neugierig wären. SPRECHERIN 2 April 1910 Mitunter träume ich wohl von Heller. Einmal ging die Nachtglocke, so dass ich unmittelbar aus einem Traum geweckt wurde – da hatte ich lebhaft und schön von Heller geträumt. 029 O-TON HANNELORE FISCHER 24´15 Für mich war Käthe Kollwitz durchaus eine sinnliche Person und sie war offen. Sie hat auch mit ihren Söhnen diskutiert über Sexualität. Welche Mutter tat das in dieser Zeit? Vieles, was damals diskutiert wurde, landet bei ihr im Tagebuch und wird von ihr reflektiert. Ob sie jetzt deswegen als offen bezeichnen würde weiß ich nicht, aber sie hat zumindest offen darüber diskutiert und fand es spannend. // Alles was auf sie zukam, hat sie offen wahrgenommen, auch was die Sexualität betrifft und hat es reflektiert, zum Teil auch mit ihren Söhnen. SPRECHERIN 1 Käthe Kollwitz verfolgt aufmerksam die Polygamie eines befreundeten Ehepaares, schreibt über Homosexualität in ihrem Tagebuch, liest zusammen mit Mann und Sohn Freuds Aufsatz über kulturelle Sexualmoral. SPRECHERIN 2 April 1910 Neulich träumte ich aber auch, dass ich mit Hans geschlechtlich verkehre. Es war gar nicht beunruhigend für mich und beunruhigte mich auch nach dem Erwachen nicht. 030 O-TON HANNELORE FISCHER 25´00 Das hat mich sehr erstaunt, weil, für mich als Mutter ist das überhaupt nicht nachvollziehbar. Ich weiß nicht, was damit gemeint ist und wie sie es genau meint, ich will das auch nicht überinterpretieren, aber ich glaube, dass sie sehr offen in viele Richtungen ist. Beate Bonus-Jeep beschreibt ja auch wie die Kollwitz sie beobachtet, als sie sich ausgezogen hat. Sie sagt ja auch, ein bisschen Bi muss jeder Künstler sein, da gibt es ja auch ein Zitat von ihr. Also dieses Interesse an nackten Körpern, wie sie sie gezeichnet hat. Ich glaube sie ist mit allen Fühlern unterwegs, wie man es in ihrem Werk nicht vermutet. SPRECHERIN 2 APRIL 1910 Wenn ich träume, dass ich geschlechtlich verkehre – ich träume es selten – so habe ich ein unerträgliches Gefühl dabei, als ob ich sterben müsste. Mein Geschlechtsleben spielt sich zur Zeit des Unwohlseins fast nur noch in Träumen ab. So selten habe ich im Wachen das Verlangen nach Verkehr und so launisch und gering. Schlimm das. Auch bei Karl abgeschwächt, wünscht er es sich doch noch öfter als ich. 16. Dezember 1910 Diese Liebesempfindungen gegen ihn sind jetzt so selten, oft sehe ich ihn trostlos nüchtern, zum Verzagen gleichgültig an. Nicht dass ich ihn nicht doch lieb hatte – ich weiß, dass ich ihn lieb habe, aber es ist ein Wissen, es ist kein Gefühl für ihn da, dieses himmlische, durchströmende produktive beglückende Liebesgefühl schrumpft immer mehr. 031 O-TON ARNE KOLLWITZ, 8´10 Denn sein Einsatz für Patienten als quasi Armenarzt am Prenzlauer Berg, der war schon wirklich für seine Patienten Tag und Nacht auf den Beinen. // Er war ja in keiner Weise drauf ausgerichtet nur mit seiner Kassenarztpraxis großes Einkommen zu erzielen und sie haben manchmal doch wirtschaftlich sehr große Schwierigkeiten gehabt. SPRECHERIN 2 1.Juli 1918 Räumte auf und nahm das Päckchen Heller-Briefe vor, die ich habe, um sie zu verbrennen. Ich las darin. Was hat mir die Handschrift bedeutet! Ich fand seinen Brief nach Herminens Tod, fand zwei Zettelchen von Karl und noch zwei Bilder von mir und den Jungen an jenem Ostertag aufgenommen. Ich glaubte, ich würde das alles als etwas mich nichts mehr Angehendes wegtun können. Und nun ergreift mich doch die verflossene Zeit. Zwar ist alles vorüber. Die Gefühle sind vorüber, die Schmerzen sind vorüber. Die Sehnsucht ist vorüber. Aber ergriffen hat mich das Rückerinnern jener Jahre. Es waren schmerzhafte Zeiten. Es war kein Spaß. Ergriffen am meisten das Zettelchen von Karl. Wie war mein Leben stark in Leidenschaft, in Lebenskraft, in Schmerz und Freude. SPRECHERIN 1 Wenige Jahre später wendet sich das Blatt. Karl verliebt sich in seine Sprechstunde Else. SPRECHERIN 2 2. Juni 1923 Gespräch mit Karl über Else 032 O-TON HANNELORE FISCHER 28´50 In den 20er Jahren hat Käthe gelitten, weil Karl sich in seine Sprechstundenhilfe Else verliebte und das wird einem sehr deutlich, wenn man die Originaltagebücher // sieht, da steht das Wort Else ganz allein auf einer Seite. Da steht nur Else, was sie so im gedruckten Tagebuch einfach übersehen. SPRECHERIN 2 Johanni 1923 Sonntag, stiller gesammelter Nachmittag. Vormittags war Karl bei mir im Atelier und sah zum ersten Mal die Kriegsfolge und die Zeichnungen dazu. Es ist als ob jetzt noch einmal eine Zeit zwischen uns kommen könnte, die uns wieder so zusammenführt, wie wir zusammen in den Jahren nach Peters Tode. Wir lebten ja ganz gut miteinander, aber doch auseinandergerückter, fremder, kühler. Wie man sich liebte und brauchte wurde in bedeutsamen Momenten klar, wenn Krankheit den einen wegzunehmen drohte. Diesmal war es nicht Krankheit, was Karl von mir zu führen schien. Die Wirkung war dieselbe. Die Gedanken der Möglichkeit seines Verlustes schmerzt mich, er erscheint mir wieder so liebenswert wie in den besten Zeiten. Nun kenne ich das wohl, kenne die Wirkungen der Eifersucht. Es ist möglich, dass Gewöhnung und wieder entstehendes Sicherheitsgefühl auch wieder die neue Liebe dämpfen. Es wäre sehr schade. Sinn hat das Ganze was wir jetzt durchleben doch nur, wenn es auf eine höhere Stufe führt. Wie sehr klein, peinlich und zwackend sind meine eifersüchtigen Gefühle. Dass ich theoretisch frei bin und auch handle ist ja nicht so belangvoll. Ich sage ich handle frei; d.h. ich widerspreche nicht den so oft von mir vertretenen Auffassungen über Freiheit, die ein Ehegatte dem andern geben muss. Das ist ja aber das wenigste und in meinem Alter wahrhaftig als selbstverständlich zu verlangen. Die Gefühle dagegen stecken noch so sehr im alten Gleis. Wo ist das ruhige große Vertrauen, das Karl von mir fordert? Ich alte Frau werde so sehr geplagt von längst überwunden geglaubter Eifersucht- Eifersucht ist ein scheußliches, brennendes, einengendes, niederziehendes und demütigendes Gefühl. 033 O-TON HANNELORE FISCHER 29´17 Es hat sie gequält und das hat sie auch geschrieben, ich sehe mich selber altern und man sieht es auch ihren Selbstbildnissen an, wie sie sich gequält hat, wie sie in den Spiegel guckt mit diesen Tränensäcken und dem grämlichen Zug um den Mund und dieser kritische Blick in den Spiegel. Sie ist ja gnadenlos sich selbst gegenüber. Und wie sehr sie sich für den Karl freut, der blüht so auf, der ist ja so verliebt, es ist ja nicht so, als hätte sie das nicht selber erlebt. Aber ich finde, das sind Dinge, wie man sie in langjährigen Ehen halt erlebt und die zwei sind zusammen alt geworden und waren nachher sehr dankbar, dass sie zusammen geblieben sind. Sie waren ja beide zutiefst dankbar, dass sie das durchgehalten haben. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Käthe, der 1. Weltkrieg und ihr Sohn Peter SPRECHERIN 2 Montag, 10. August 1914 An diesem Tag war es wohl auch, an dem Peter abends Karl bittet, ihn vor Aufgebot des Landsturms mitgehen zu lassen. Karl spricht mit allem dagegen was er kann. Ich habe das Gefühl des Dankes, dass er so um ihn kämpft, aber ich weiß es ändert nichts mehr. Karl: „Das Vaterland braucht dich noch nicht, sonst hätte es dich schon gerufen“: Peter leiser aber fest: „Das Vaterland braucht meinen Jahrgang noch nicht, aber mich braucht es“. Immer wendet er sich stumm mit flehenden Blicken zur mir, dass ich für ihn spreche. Endlich sagt er „Mutter, als du mich umarmtest, sagtest Du: glaube nicht, dass ich feige bin, wir sind bereit“. Ich stehe auf, Peter folgt mir, wir stehen an der Tür und umarmen uns und küssen uns und ich bitte Karl für Peter. – Diese einzige Stunde. Dieses Opfer zu dem er mich hinriß und zu dem wir Karl hinrissen. SPRECHERIN 1 Peter geht als Freiwilliger an die Front. Wenige Wochen später kommt die Nachricht, dass er gefallen ist. Peter Kollwitz stirbt am 22. 10.1914bei Dixmuiden in Belgien. Käthe ist verzweifelt. Das Zimmer des Sohnes bleibt jahrelang unberührt. An Ehrentagen stellt Käthe ihm Blumen hin. Der Tod des Sohnes macht Käthe Kollwitz zur Pazifistin und bringt ihre künstlerische Arbeit nahezu zum Erliegen. Ein Denkmal will sie schaffen zu Ehren der vielen toten Freiwilligen. Rund zwei Jahrzehnte später wird daraus das Denkmal „Trauernde Eltern“. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Die Kunst der Käthe 034 O-TON IRIS BERNDT40´15 Die Käufer der Käthe Kollwitz Blätter waren die Bürgerlichen, nicht der einzelne Arbeiter. Wenn der sich mal per Brief an sie wandte, er hätte auch gerne mal ein Blatt, dann hat sie ihm das billiger überlassen. MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Unterschiedliche Motive der Käthe Kollwitz: Eltern beim Besuch ihres Kindes im Krankenhaus. Eine Mutter, die zärtlich ihr Kleinkind in den Armen hält. Der ermordete Karl Liebknecht auf dem Totenbett. Selbstbildnisse. Die Holzschnittfolge „Der Krieg“, der Zyklus „Der Bauernkrieg“, das Mappenwerk „Abschied und Tod“, politische Plakate. MUSIK WEG 035 O-TON HANNELORE FISCHER 16´48 Kollwitz hat sich immer sehr intensiv damit auseinandergesetzt, hier ist ein Thema, das ich bearbeiten möchte und hat sich dann diesem angenähert, unter anderem auch, indem sie sich mit verschiedenen Techniken auseinandergesetzt hat und das Motiv als Radierung versucht hat, als Lithographie im Frühwerk und dann kommt später noch der Holzschnitt dazu und unter anderem die Frage, wo ist die richtige Technik, für das, was ich erlebt habe, sprich der 1. Weltkrieg hat sie ja zum Holzschnitt gebracht, hat ja nur zehn Jahre in Holz geschnitten, dann hat sie das nie wieder gemacht und gerade in dieser Zeit hat sie sich intensiv damit auseinander gesetzt und war dann auch in der Lage, ihren großen Kriegszyklus in Holz zu schneiden. 036 O-TON IRIS BERNDT 42´49 Sie bleibt bei der traditionelle Malweise, versucht aber durchaus expressionistisch ein bisschen sich diese Richtung anzueignen. Sieht aber auch, dass das eine neue Generation ist von Künstlern, die jünger sind, die von ganz anderen Voraussetzungen herkommen und kehrt in gewisser Weise auch zu sich selbst und zu diesem Stil, den ich weder realistisch noch existentialistisch noch expressiv noch symbolistisch nennen würde sondern in unterschiedlicher Ausprägung ist von allem etwas mal mit drin. Das ist eine große Kunst, bei sich selbst zu bleiben und nicht wie ein Chamäleon sich einen expressionistischen Stil anzueignen. Und sie hat durchaus auch kritisch gesehen bei der Moderne, die malen da in kurzer Zeit, die Blätter hin, halten sich für künftigen Raphaels und Monets. Also das ist doch einfach überbewertet. Und ich denke mal, unser Gefühl heute, haste einen Otto Müller gesehen, haste alle Otto Müller gesehen, weil sie zwar variieren aber nicht im Kern etwas Neues sagen, hat Käthe Kollwitz da schon gespürt. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Großmutter und Reisende Käthe SPRECHERIN 1 Käthe und Karl Kollwitz werden Großeltern. Hans heiratet die Grafikern Ottilie, die zuerst einen Sohn bekommt – die Eltern nennen ihn Peter – und zwei Jahre später Zwillinge, Jördis und Jutta. SPRECHERIN 2 (TB 574) Am 29. Mai 1924, am Himmelfahrtstag, werden Jördis und Jutta ein Jahr alt. Ich fahr schon vormittags raus, treffe Hans im Haus, der für die Kinder Essen holt- Ottilie wartet mit den Kindern im Walde. Peterchen kommt uns unterwegs entgegen. Die Kinder sind dick – zu dick – und riesig nett. Als Ottilie das Essen hat, füttert sie die drei aus einem Napf. Nachher werden alle drei nackt ausgezogen, das ist furchtbar nett. SPRECHERIN 1 Käthe Kollwitz fährt oft raus aus Berlin nach Lichtenrade. In ihr Tagebuch schreibt sie in dieser Zeit über eigene Krankheiten, über die Eheprobleme ihres Sohnes, denkt über die Bockigkeit des Enkels nach und erinnert sich an die Besuche ihrer Freundin Beate Bonus-Jeep, über ihre Arbeit. Mitte der zwanziger Jahre begibt sie sich mit Karl auf eine Schiffsreise zu den Kanarischen Inseln und schreibt der Familie: SPRECHERIN 2 Sonnabend April 1925 Liebe Kinder Jetzt schwimmen wir einen Tag und bald muss Dover in Sicht kommen. Vater hatte seine beiden Zähne, die er sich einsetzt versehentlich in das Loch gelegt durch welches der Wasservorrat in den Waschschrank gegossen werden. Die Zähne klabasterten zu Vaters Entsetzen da herunter und waren trotz aller mitgebrachter Zangen nicht wieder rauszuholen. Wahrscheinlich wird man das ganze Schränkchen auseinander nehmen müssen. Heute stundenlang in noch kalter Sonne und Wind, wie ein Eskimo bekleidet, auf dem Liegestuhl gelegen. Das Schiff macht die Bewegung seitlich, immer auf und ab. Neigt es sich, dann sehe ich einen breiten Streifen stahlblauen Meers mit mäßigen Schaumköpfen, hebt es sich, dann sehe ich nur den blaßblauen Himmel. Jetzt nähert man sich der englischen Küste, die vorüberziehenden Schiffe werden häufiger. Man sagt das Wetter werde umschlagen. Gott sei uns gnädig! Bis jetzt wars herrlich. MUSIK SPRECHERIN 2 Madeira mit Funchal – Teneriffa – die Häfen, das ganze Fremdorientalische in der Farbe – die Schönheit der Menschen – die Vegetation – alles regt sehr auf. Zu Zeiten fühl ich mich wie betrunken. Durchaus. Kommt dann noch dazu der herrliche Wein. Zuhause ist vergessen, man lebt im Neuen. Großer Wunsch, dass aus der Indienfahrt etwas werden möge. Auch Karl ist oft wie betrunken. 037 O-TON HANNELORE FISCHER 40´14 Es gibt diese berühmte Künstlerreise in den 20er Jahren wo sie sich ein bisschen geniert hat, weil sie diese Schiffsreise macht, hat sich aber dann doch dazu entschlossen mit ihrem Mann zusammen und hat sie auch sehr genossen. Aber in der Regel fuhr man ins Gebirge und hat Wanderungen gemacht.// 41´30 Hat sie auch sehr begeistert, diese andere Welt, diese Umzüge, diese Farben. // Die Kollwitz war ja so eine sinnliche Person und alles, was sie dann sah, diese Lebensweise und das alles hat sie doch sehr eingesogen, begeistert für alles Neue, was sie sehen konnte. SPRECHERIN 2 30.6. 25 Lieber Peter! Die Großmutter hat eine weite Reise gemacht. Da ist sie an ein Haus gekommen, auf dem ist ein Storchennest gewesen. Und da drin hat der Storch und die Frau Storch gesessen und 4 Kinderchen. Das hat sehr schön ausgesehen. Davon wird die Großmutter dir noch viel erzählen. Grüße Mutti und Vati und Jördis und Jutta. SPRECHERIN 1 Und bald soll er kommen, der vierte Enkel, Arne Kollwitz: SPRECHERIN 2 Zum 29. Mai 30. Meine lieben Mädels Jördis und Jutta Dass wir heute nicht bei euch sein können und all die Geburtstagsfreude miterleben können tut uns sehr leid. Aber bald kommen wir wieder und dann lauft ihr uns entgegen und wir sind alle froh, dass wir uns wiedersehen. Wir schicken Euch hier zwei schöne Halskettchen aus Reichenhall, die Euch hoffentlich gut gefallen werden. Die müsst ihr um den Hals haben, wenn Ihr uns entgegengesprungen kommt. Und auch zwei Ledertäschchen für Federhalter und was Ihr sonst in der Schule braucht, schicken wir Euch. Liebe Kinder, dass Ihr ein Baby geschenkt bekommt von der Mutter ist das Allerschönste! Darauf freu ich mich ja auch schon ganz furchtbar. Aber noch müssen wir lange warten bis zum Herbst und dann ist es ja erst auch noch so ganz klein, aber allmählich wächst es und kann mit Euch mitlaufen. Grüßt die liebe Mutter und den Vater und den Peter und Irmchen und seid sehr froh! Eure liebe Großmutter SPRECHERIN 1 Zu dem Zeitpunkt weiß Käthe Kollwitz nicht, dass sie wieder einen Peter verlieren wird. Ihr Enkel Peter wird in 1942 in Russland fallen. SPRECHERIN 2 22. Oktober 1930 Unterdes ist am 3. September Andreas Kollwitz geboren, Hans und Ottiliens 4. Kind. Lieber kleiner Andreas. SPRECHERIN 1 Andreas Arne Kollwitz - besser bekannt unter Arne Kollwitz - ist der jüngste Enkel der Künstlerin. Mehrere Fotos zeigen ihn gemeinsam mit Käthe Kollwitz in ihrer Rolle als Großmutter. Fast 15 Jahre lang wird er sie begleiten. Musik 3. STUNDE MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Käthe Kollwitz nach dem 1. Weltkrieg. SPRECHERIN 1 Käthe Kollwitz engagiert sich mit ihrer Kunst in der Gesellschaft und in der Politik. Sie entwirft für den Mitteldeutschen Jugendtag der sozialistischen Arbeiterbewegung in Leipzig das Plakat „Nie wieder Krieg“ SPRECHER 1 AUF MUSIK Kraftvoll reckt ein Mann seinen rechten Arm in die Höhe, streckt Zeige- und Mittelfinger in den Himmel und hält den linken Arm vor die Brust. SPRECHERIN 1 Sie gestaltet Plakate für die Internationalen Arbeiterhilfe: SPRECHER 1 AUF MUSIK Eine Mutter wendet sich von ihren kleinen Kindern ab, die an ihr herumzerren und sie mit großen, hungrigen Augen anstarren. Brot, steht darunter in großen Buchstaben und mit Ausrufezeichen. SPRECHERIN 1 Und sie schreibt „Nieder mit den Abtreibungsparagraphen“ auf das Bild einer hochschwangeren, ausgemergelten Mutter mit kleinen Kindern für die KPD, zeichnet ein Blatt für die hungernde Bevölkerung Russlands. 038 O-TON HANNELORE FISCHER 31´13 Käthe Kollwitz war ja vor allem durch den berühmten Brief, den sie am Ende des Krieges geschrieben hat und im Vorwärts veröffentlicht hat, es ist genug gestorben und keiner darf mehr fallen, wenn man dann im Tagebuch sieht, wie sie sich damit auseinandersetzt, ob sie sich jetzt trauen soll oder nicht, diesen öffentlichen Brief zu schreiben. Das kann man nicht genug bewundern, diesen Mut, den sie damals hatte, man muss sich immer wieder in diese Zeit damals versetzen und damit ist sie schlagartig bekannt geworden. Der war ja innerhalb weniger Wochen in ganz Deutschland veröffentlicht in den Zeitungen und der hat ja dazu geführt, sie selber, die den Krieg erlitten hat, vor allem mit dem Tod ihres Sohnes, die Auseinandersetzung mit dem Grabmal. Sie war plötzlich eine gefragte Frau, O-TON HANNELORE FISCHER 32´04 Sie wurde ja nach Kriegsende ziemlich rasch Mitglied der Akademie der Künste, und nicht nur das. Sie hat ja auch gleichzeitig den Professorentitel erhalten. Sie ist ja aber die Jahrzehnte von Liebermann gefördert worden, der sie ja auch direkt in die Akademie aufnahm. Sie war später im Senat der Akademie, hatte ein Meisteratelier übernommen SPRECHERIN 1 An ihre Freundin Beate Bonus-Jeep schreibt die Künstlerin Käthe Kollwitz: SPRECHERIN 2 Falls Du übrigens irgendwie zu hören bekommst, dass ich den Professorentitel bekommen habe, dann wisse auch, dass ich ihn nicht haben wollte, dass aber wegen allen möglichen durch die die Reise verursachten Verzögerungen meine Ablehnung zu spät kam. Die Sache war schon publik geworden, und da wollte ich mit Widerruf und so weiter keine große Geschichte machen. SPRECHERIN 1 1927 reist sich zu einem Zeitpunkt der großen gesellschaftlichen Umbrüche zusammen mit Karl nach Russland. 039 O-TON IRIS BERNDT 54´29 Käthe Kollwitz war neugierig, // dieses Land kennenzulernen, in denen es so viel soziale Erneuerungen gibt // und sie hat 1927 Russland besucht und hat mehrfach in der Sowjetunion ausgestellt. SPRECHERIN 1 Die Künstler sieht aber auch die Kehrseite der russischen Revolution und unterschreibt eine Petition für Inhaftierte und Proteste gegen die Verbannung russischer Wissenschaftler. 040 O-TON HANNELORE FISCHER 32´40 Sie war wer. Nicht nur als Künstlerin, sie wurde auch als Person, als Mensch gehört. Sie war befreundet mit Albert Einstein, sie war aktiv in der Friedensbewegung später, hat viel für die Internationale Arbeiterhilfe, gerade am Anfang gearbeitet, mit der Mappe Krieg, mit der Mappe Hunger, mit den Plakaten, die sie gemacht hat, die haben sie ja auch bekannt gemacht, die haben ja überall geklebt. Das Nie-wieder-Krieg-Plakat ist ja bis heute Deutschlands bekanntestes Anti-Kriegs-Plakat neben dem Französischen von Picasso. Das alles spielt natürliche ein Rolle und das hat ja auch dazu geführt, dass sie nicht nur als Künstlerin sondern auch als die Persönlichkeit, zu der sie dann geworden ist, das hat zu einer hohen Bekanntheit in Deutschland geführt. 33´10 Und das wird auch der Grund gewesen sein, warum sie nie zu den entarteten Künstlern gehört hat. Das haben sie sich dann doch nicht getraut, die Nazis. Sie war dann inzwischen in China berühmt, wurde gesammelt //, sie wurde in Amerika gesammelt, sie war in allen bedeutenden Sammlungen inzwischen vertreten // und hatte tatsächliche ein Bedeutung erlangt. Hitler hat sie kopiert, das Plakat Deutschlands Kinder hungern hat er schon früh kopiert und damit in das Hofbräuhaus eingeladen. Sie hat eine Bedeutung gehabt, die andere Künstler nicht hatten in der Zeit. O-TON HANNELORE FISCHER 34´44 In den 30er Jahren, die hatte ja den dringenden Appell unterschrieben, der klebte ja auch überall, dass die beiden linken Parteien sich vereinigen mögen, das hat sie zusammen mit Albert Einstein getan. Ihr Mann hat auch unterschrieben, der dann erstmal die Kassenberechtigung verlor MUSIKAKZENT SPRECHER 1 Nach 1933 – die Zeit der Stille für Käthe Kollwitz MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Eine Grafik im Querformat: Die Künstlerin von links, zusammengebunden Haare, den rechten Arm zu zeichnen ausstreckt, den Blick zur Seite, auf das Werk vor sich, gerichtet SPRECHERIN 2 Ist die Akademiesache schon zu euch gedrungen? Dass Heinrich Mann und ich, weil wir den Aufruf zur Einigung der Linksparteien unterschrieben haben, aus der Akademie rausmüssen? Der Akademieleitung war es furchtbar unangenehm. Vierzehn Jahre hindurch (genau die vierzehn Jahre von Hitler als die bösen gestempelten) habe ich mit den Leuten friedlich zusammengearbeitet. Jetzt muss mich die Akademieleitung bitten, freiwillig auszutreten. Wäre es nicht zu dieser Lösung gekommen, hätte man gedroht, die ganze Akademie auffliegen zu lassen. Natürlich tat ich es, auch Heinrich Mann. 041 O-TON HANNELORE FISCHER ca 35´30 Sie war mitten in der Arbeit für trauernden Eltern, sie hatte ja ein großes Atelier, das hätte sie sonst ja gar nicht machen können, das sie dann doch behalten durfte und da war man dann doch vergleichsweise großzügig, wo man dann die Trauernden Eltern zu Ende arbeiten konnte und ist dann im Grunde genommen, ohne dass es jetzt in der Öffentlichkeit so publik geworden wäre, immer wieder ihr Werk aus den Ausstellungen entfernt worden. Es gibt ja das berühmte Zitat: So sieht eine deutsche Mutter nicht aus, zum Turm der Mütter. // Und es hat Ausstellungen gegeben zum 70. Geburtstag, die geplant waren und dann wieder abgesagt worden sind. // Sie sagt ja, so etwas von Stille um mich, also dieses große Schweigen, nachdem man vorher immer wieder gehört worden ist und jeder ihr schrieb und jeder Ratschläge von ihr haben wollte und mit ihr gesprochen hat. Und es gibt ja auch viele Zeitungsartikel über sie, war es auf einmal eben, als wäre sie nicht mehr da. Und daran hat sie schon gelitten, aber sie hat im Auge des Sturms standgehalten. Dafür wurde sie auch bewundert. Sie ist als eine der wenigen Mitglieder der Akademie auf der Beerdigung von Liebermann gewesen. Was sich sonst niemand traute außer zwei, drei Kollegen. Sie war bei der Beerdigung von Barlach wie man weiß, auch das traute sich niemand mehr, er war verfemt. Sie ist in die Ausstellung gegangen, die Retrospektive von Liebermann, die nicht mehr in einem Museum stattfinden konnte sondern in einer Synagoge und da stand „Für Arier nicht erlaubt“ und da ist sie als kleine alte Frau durchmarschiert und hat gesagt, das werden wir doch mal sehen. Sie war mutig, sie hat sich was getraut. SPRECHERIN 1 1933 schreibt Käthe Kollwitz an ihre Freundin: SPRECHERIN 2 Hier beginnt ein Judenflüchten vor dem Dritten Reich, das möglicherweise am nächsten Sonntag (Wahlen) reale Form kriegt. SPRECHERIN 1 und erinnert sich Jahre später: SPRECHERIN 2 Es bereitete sich der Umbruch zum Dritten Reich vor. 1933 gingen wir, Karl und ich, für einige Wochen nach Marienbad, wo Wertheimers uns aufnahmen. Wir blieben nicht sehr lange dort, an emigrieren dachten wir aber nicht, wir kamen bald zurück. // Haussuchung ist bei uns nicht gewesen. Die nun kommenden Jahre waren für uns nicht leicht. 042 O-TON IRIS BERNDT 38´35 Ihr Schwager Georg Stern war ja ein Jude, ihre Schwester Lisbeth war ja mit ihm verheiratet. Er ist schon gestorben, 35. Es gab aber Halbjuden nach der offiziellen Auffassung, vier Nichten, vier Töchter von Lisbeth, drei Töchter von Lisbeth waren Halbjuden. Sie hat sie aufgenommen, sie hat sich auch sehr für Marta Liebermann eingesetzt. Als Max Liebermann 1935 starb, blieb Martha schutzlos allein zurück und hat ja dann Gift genommen, als sie abgeholt werden sollte, hat versucht, einen Aufenthalt für sie zu finden, ist aber nicht geglückt. SPRECHERIN 1 Die Lage spitzt sich für Käthe Kollwitz gefährlich zu, als die die sowjetische Zeitung »Iswestija« einen Artikel über sie veröffentlicht und von einer katastrophalen finanziellen und künstlerischen Situation berichtet. SPRECHERIN 2 Juli 1936 Am 13. Juli erschienen zwei Beamte der Gestapo und verhören mich über den Artikel in der Iswestija. Erklären mir, dass auf mein Verhalten Konzentrationslager stünde, in einem Wiederholungsfalle ich unweigerlich ins Konzentrationslager käme, dann schützte mich kein Alter und nichts davor. Am Tage drauf kommt der eine der Beamten ins Atelier in der Klosterstraße, sieht meine Arbeiten an, redet lang und breit (nicht übelwollend), sagt dann, man verlange von mir eine Erklärung für die Zeitungen, in der ich die Behauptung der Iswestija für unwahr erkläre. Ich schreibe diese Erklärung. Die nächsten Tage vergehen in gedrückter und erregter Stimmung. Es quält mich die Vorstellung, dass sie meine Erklärung ungenügend finden werden, dass ich in die Enge getrieben werde und es schließlich doch zu einer Verhaftung kommt. Wir fassen den Entschluss, dem Konzentrationslager, wenn es unvermeidlich scheint, durch Selbsttod zu entziehen. Freilich diesen Entschluss vorher die Gestapo wissen zu lassen. Vorstellung, dass sie dann von einem Konzentrationslager absehen werden. SPRECHERIN 1 Beate Bonus-Jeep erhält Briefe, in denen sich die Freundin, die sie immer noch Schmidt nennt, ihre Lage schildert: SPRECHERIN 3 1936 , November In die Angelegenheiten der Schmidt mischte sich das Dritte Reich mit plumpen Händen ein. Sie hatte mir geschrieben: SPRECHERIN 2 Hier ist unterdes die Akademieausstellung eröffnet, das heißt, sie ist noch nicht eröffnet, aber seit zwei Wochen eröffnungsbereit. Jedoch Göring, der zweite Mann im Staat, hat jetzt keine Zeit, sie zu eröffnen. Am Tage vor der Eröffnung wurden meine beiden Arbeiten, die Mutter aus dem Kronprinzenpalais und das Grabrelief, herausgenommen und zugleich drei Arbeiten von Barlach. Ich konnte hieraus und aus der Rustschen Rede nichts anders schließen, als dass beide Figuren in das Magazin der Nationalgalerie wandern würden. Das ist für überholtes Gerümpel. Als der Pogrom war – im Jahr 1938 – war ich in meinem Atelier in der Klosterstraße. Ich ging von dann aus in die Königstraße, wo das ganze Unheil schon geschehen war. Als ich nach Hause kann, war Karl auch schon fort, er war nach dem jüdischen Viertel gegangen. Es war eine der schlimmsten Sachen, die ich erlebt habe, Karl berichtete mir, was er gesehen hatte. Mitunter konnte er nicht weitersprechen. SPRECHERIN 1 Ans Auswandern dachten Käthe und Karl Kollwitz aber nicht: 043 O-TON IRIS BERNDT 36´20 Karl hatte seine Patienten in Berlin, für die fühlte er sich verantwortlich, das war ein ganz wichtiger Grund für die Familie Kollwitz und 1933 war Käthe Kollwitz // 66 Jahre. Da fängt man nicht mehr neu an. Karl ging es gesundheitlich schlecht, er ist 1940 gestorben und da fängt man nicht noch einmal neu an. Und sie hat bis zu ihrer Flucht 1943 aufgrund der Bombenangriffe auf Berlin über 50 Jahre in dieser Wohnung gelebt. Es sind dort Menschen geboren, Menschen gestorben, die ihr lieb und teuer sind. Es war das Zentrum der Familie Schmidt-Kollwitz, sie wissen ja, die Geschwister waren auch mit in Berlin. Da geht man nicht weg. Aber sie hat viel Emigranten verabschiedet. // 044 O-TON ARNE KOLLWITZ 9´20 In der Nazizeit konnte meine Großmutter nicht mehr irgendetwas verkaufen, es gab keine Ausstellungen mehr. Und das, wovon ein Künstler leben kann, diese Grundlage war ihr entzogen. 045 O-TON HANNELORE FISCHER 34´00 Die Nazis haben Motive von ihr, wie zum Beispiel das Blatt Hunger, als Flugblattmotiv genutzt und haben die Flugblätter abgeworfen. Das war schon im Spanischen Bürgerkrieg so und auch im 2. Weltkrieg um damit die Bevölkerung zu beeinflussen. // 34´25 Das ist das Thema, wie die Kollwitz von der Politik missbraucht wurde, egal von welcher Seite ist das ja nicht ungefährlich gewesen. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Die Familie SPRECHER 2 Wir liebten vor allem die Mutter. SPRECHER 1 Schreibt der Sohn Hans 1948: SPRECHER 2 aber liebten sie mit dieser Selbstverständlichkeit, mit der die Jungen um Tier- und Menschenreiche nun mal ihre Mutter lieben. // Liebe war eben da, wurde gefühlt, wurde nicht gezeigt; und die Mutter war eine unzärtliche Mutter. SPRECHERIN 1 Jenseits der politischen Entwicklungen geht das Familienleben der Käthe Kollwitz weiter: SPRECHERIN 2 Ich muss Dir noch schreiben, Jeep, dass auch meine drei Enkelchen bei mir im Atelier waren, sie waren viel interessierter dabei, als ich glaubte annehmen zu können, und das frischte mich ordentlich auf Einen Spruch von Rückert las ich heute und schrieb ihn mir hinter die Ohren: Von Deinen Kindern lernst Du mehr Als sie von Dir: Sie lernen eine Welt, die nicht mehr ist; Du lernst von ihnen eine, die nun wird und gilt. Aber was müssen wir erste von den Enkeln lernen. Da trifft das alles doppelt zu. MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Fotos aus dem Familienalbum: Die Großmutter Käthe umrahmt von den kleinen Enkeln Jutta, Jördis und Peter im Grünen vor einem einfachen hölzernen Bauernzaun. Käthe vor einer Mauer sitzend mit einem Buch in der Hand, dem Enkel Arne zulächelt. Der Enkel steht neben ihr, hat seinen Arm auf ihre Schulter gelegt und lächelt zurück. MUSIK WEG SPRECHERIN 1 Der Enkel Arne erinnert sich: 0476O-TON ARNE KOLLWITZ 5´00 Aber es gibt auch noch ein anderes Bild dieser Art, was in einem Lokal in Berlin aufgenommen worden ist, irgendwo im Freien. Meine Großeltern sind viel draußen gewesen, an den Wochenenden auch gewandert und man hat eben auch einfach weil das heutige Leben nicht existierte, vor allem mit dem Fernsehen, was ja so ein Tod ist oder eine starke Gefährdung der interfamiliären Kommunikation, das hat man damals nicht gehabt und daraus ergab sich dann, dass man also zum Beispiel Spiele gespielt hat oder was bei uns zu Hause auch üblich war, dass am Wochenende irgendwelche klassischen Dramen mit verteilten Rollen oder so etwas gelesen haben. Alles Dinge, die zu einer Intensivierung des Familienlebens führten. 6´34 SPRECHERIN 3 Es ist vorgekommen, dass ich bei meinem Auftauchen nach ihrer Arbeit fragte und zur Antwort bekam, dass sie gerade mit den Jungen einen Papierdrachen zu kleben hätte. Wenn ich sie in späterer Zeit daran erinnerte, schüttelte sie den Kopf und wollte nicht glauben, dass der Drachen sich so vorgedrängt hatte. 047 O-TON ARNE KOLLWITZ 6´56 Die hat sich völlig aus der Erziehung rausgehalten. Sie hat an uns Kindern, an der Entwicklung regen Anteil genommen, das sieht man ja, wenn man in die Tagebücher guckt, wie sie die Geburt meiner beiden Zwillingsschwestern begleitet hat und dann auch die Entwicklung. Und dann auch bei mir, ich komme ja mehrfach in den Tagebüchern vor. Nein, nein, das Interesse war groß. Und ich meine, wenn wir mit ihnen zusammen waren, haben sie sich erkundigt, wie es uns in der Schule geht, was wir so machen und so. Es war ein lebhaftes Interesse da, aber sicherlich keine Einmischung. SPRECHERIN 3 Nicht selten übernahm die Großmutter eine Vertretung der jungen Eltern in Lichtenrade. Dabei geschah es, dass das Peterchen ihre Stimme erkannte und vor Freude mit den kleinen Füßen auf der Erde trommelte wie die Studenten, wenn sie Beifall geben. SPRECHERIN 2 Bei einer Auseinandersetzung zwischen mir, der Großmutter, und ihm, dem fünfjährigen Enkel, sagte Arne mir voller Groll: „Hier muss ja alles nach deinem Kopf gehen!“ SPRECHERIN 1 Wenige Jahre später: SRECHERIN 2 Es ist mir so reizend, mir den jungen Arne vorzustellen, wie er immer pfeift, immer lacht, immer guter Laune ist. Es gehören eben seine 13 Jahre dazu, um in dieser Zeit als eine Art Robinson alles zu überstehen. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK 1943 Flucht aus Berlin über Nordhausen nach Moritzburg 048 O-TON HANNELORE FISCHER 37´56 Sie hat ja noch dafür gesorgt, dass die Gipse gerettet wurden von den Plastiken, die ja noch gar nicht gegossen waren, aber da sind wohl viele Zeichnungen, auch viele Grafiken, zerstört worden in der Bombardierung des Eckhauses, was eine typische Bombardierung war für die damalige Zeit, weil man durch die Zerstörung der Eckhäuser in die Innenhöfe kam. SPRECHERIN 3 In Moritzburg bei Dresden, im Rüdenhof, mit weitem Blick auf das Schloss und über den See traf ich sie in einem Lehnstuhl auf dem vorgebauten Balkon in der Abendsonne sitzend, SPRECHERIN 1 Erinnert sich Jutta Bohnke-Kollwitz, eine der beiden Zwillinge. SPRECHERIN 3 mit einem grünen Schirm über den Augen, gebeugt und sichtlich krank, als ich im August 1944 nach Moritzburg kam. Am meisten genoß sie wohl die Abende, wenn wir in dem kleinen Kamin ein Feuer angezündet hatten und ich ihr aus „Dichtung und Wahrheit“ vorlas. Denn Goethe war ihr unendlich lieb; er stand ihr viel näher als irgend ein anderer Dichter, wie ein Freund, wie ein Zielpunkt des eigenen Lebens. Seine Maske hing über ihrem Bett; manchmal musste ich sie ihr herunterreichen, dann tastete sie mit geschlossenen Augen ab „Zur Orientierung“, wie sie sagte. Und sie erinnerte mich an die Aufforderung Goethes an Ottilie: „Komm, laß uns vom Sterben sprechen!“ Und dies ist das Bild des letzten Abschieds: eine kleine alte Frau, auf der Seite liegend, die Hände vor sich übereinandergelegt, umgeben von einer Fülle der schönsten, zartesten weißen und roten Magnolien. 049 O-TON HANNELORE FISCHER 38´55 Die zwei Mädels, gerade mal 22 Jahre alt, wurden dann herbeigeholt, um sich um ihre Großmutter zu kümmern, sie zu pflegen, damit sie da nicht ganz allein war. Ihr Sohn, das war da noch alles möglich, ist kurz vor ihrem Tod noch dagewesen, ist dann aus Berlin noch mal gekommen, hat sein Mutter besucht zwei, drei Mal, aber sie ist dann doch vergleichsweise einsam gestorben. // Da waren die Enkelinnen nicht mehr da, die mussten fliehen, die wollten auch ihr Werk retten und sie war in dem Moment, soweit man es weiß, alleine. SPRECHERIN 1 Am 22. April 1945 stirbt Käthe Kollwitz in Moritzburg MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Die Rolle der Tagebücher 050 O-TON HANNELORE FISCHER 4´36 Sie hat ja selber mal gesagt, ich schreibe immer Tagebuch, wenn es hapert und heddert, heißt, wenn sie sich selbst Gedanken machte über ihr Leben, über bestimmte private Situationen, wenn Sie da an die Auseinandersetzung, ihre eigene Auseinandersetzung über den Krieg bedenken. Sie hat ja eine intensive Tagebuchauseinandersetzung über den 1. Weltkrieg geführt, nachdem ihr Sohn so früh gestorben ist im // Oktober 1914 und das alles spielt eine Rolle. Und diese verdichteten Situationen, die bei ihr immer wieder auftauchen. Sie hat ja nie geplant, ihre Tagebücher zu veröffentlichen. //Man kommt ihr auch als Mensch sehr nahe und dieses Gefühl, da ist jemand, den man schon vergleichsweise gut kennt und mit diesem Bewusstsein, was natürlich auch nicht ungefährlich ist für die Interpretation ihres Werkes. Aber wenn man dann auf Ihr Werk zugeht und diesen biografischen Background schon hat und viel mehr Verständnis für das ein oder andere hat, dann kommt man eben von einer anderen Seite auf sie zu. 051 O-TON ARNE KOLLWITZ 1´12´ 55 Fröhliche Dinge, es sind ja sicher auch Sachen erwähnt wie das Theaterspielen im Hause Kollwitz oder der Umgang mit ihrer wesentlich lebensfroheren Schwester Lise, die dann Theaterspielerin oder Tänzerin waren. So etwas wurde natürlich auch erwähnt. Aber klar, wenn man Tagebuch schreibt, dann schreibt man auch nicht über besonders heitere Sachen sondern man setzt sich vor allem mit den Dingen auseinander, die einem irgendwie nachdenklich machen oder Probleme darstellen. Das andere ist dann ja für ein Tagebuch gar nicht so erwähnenswert, nich. 052 O-TON HANNELORE FISCHER2´35 Ich habe mich über die Tagebücher in Käthe Kollwitz verliebt // 3´10 Diese wunderschöne Sprache, die sie hat, dann diese höchstinteressante Verquickung von höchstpersönlichem zu historischen. SPRECHERIN 1 1989 erscheinen zum ersten Mal die kompletten Tagebücher der Käthe Kollwitz, angereichert mit autobiographischen Aufzeichnungen, anders als die vorherigen Veröffentlichungen: 053 O-TON ARNE KOLLWITZ 1´08´11 Mein Vater hatte ja eine sehr restriktive Einstellung. Das, was er in den drei vier Büchern, die er veröffentlicht hat über seine Großmutter, also an Tagebüchern und Briefe zitiert hat, das waren ja alles Häppchen. Das waren Dinge, die Aussagen waren über Kunst und von allen persönlichem freigehalten wurden. Es gab damals, nach dem Tod meines Vaters, doch eine große Diskussion zwischen uns drei Enkeln, ob man das Recht hat, die Tagebücher in Gänze zu veröffentlichen. Es war aber auch ein ziemlicher Druck in der Öffentlichkeit da.// Und da haben wir uns dann eben entschlossen, das war dann ja nur meine Schwester Jutta, diese Tagebücher in Gänze zu veröffentlichen. Auch sie hat noch ein paar belanglose Dinge herausgenommen. Ob der Hund von irgendwelchen Leuten Durchfall hat oder nicht, das war dann wirklich nicht etwas, was den normalen Leser interessiert. Mein Vater war sehr eigen. Er hat ja sein Leben lang selber Tagebuch geführt, aber in der Kurzschrift Stolze-Schrei, die er selber in vielerlei modifiziert hat, so dass es uns also auch nicht gelungen ist, nach seinem Tod da irgendeins seiner Tagebücher, auch mit Hilfe von Spezialisten entziffern zu können. Also er fand das sehr privat und er hätte sicherlich dieser Gesamtausgabe nicht zugestimmt. Aber die Zeiten hatten sich dann völlig geändert und insofern war es ein guter Entschluss meiner Schwester, die Arbeit auf sich zu nehmen. O-TON ARNE KOLLWITZ 1´11´30 Auf dieser Weise rundet sich auch ihr Bild und das niemand sozusagen frei ist von irgendwelchen speziellen Gefühlen oder Empfindungen, das ist eine allgemeine menschliche Erfahrung. Und dass die Veröffentlichungen ihrer Tagebücher, auch ihrer Rezeption des Gesamtwerkes sicher mehr genützt als geschadet haben. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Die Rezeption der Käthe Kollwitz in Ost- und Westdeutschland 054 O-TON HANNELOR FISCHER6´28 Wenn die Rezeptionsgeschichte betrachtet, dann sieht man, dass die Tagebücher immer missbraucht worden sind, um mit Hilfe der Tagebücher ihr Werk zu interpretieren. Und da muss man natürlich in der Lage sein, das losgelöst von dem einen zu sehen, um das andere für sich selbst stehen zu sehen und von da aus zu interpretieren. Das muss möglich sein. Und wenn das nicht passiert, dann gibt das so Fehlinterpretationen oder Entgleisungen in Richtungen, die dann mit dem Künstler nur bedingt zu tun haben. 055 O-TON ARNE KOLLWITZ 32´33 später Ihr Werk hat ja immer polarisiert und ist immer ein Tummelplatz gewesen von Interpreten. Es gibt die eine Richtung, die in der DDR gepflegt wurde, wo sie als Klassenkämpferin und proletarische Künstlerin, Streiterin für die Arbeiterklasse interpretiert wurde und wo der Schwerpunkt absolut auf dem Teil ihres Werkes lag. Und das gibt eben andere Interpreten, die gerade die politischen und sozialdemokratischen Zusammenhänge ausblenden und sich nur auf die künstlerischen Qualitäten beziehen oder auf die Todesfolge oder diese andere Thematik und das alles ist immer hin und her gegangen. 056 O-TON HANNELORE FISCHER 42´00 In der DDR gab es die sogenannte Bitterfelder Konferenz 1955, wo man darüber diskutierte, ob die Kollwitz diesen neuen Staat angemessen repräsentiert und den Sozialismus. Man fand, dass das Werk nicht motivierend genug sei, dass es doch immer alles traurig endet, ob dass der Bauernkrieg ist mit den Gefangenen oder das Ende des Weberzyklus und dieses motivierende, was die Kunst haben sollte, doch in ihrem Werk fehlt, das wurde damals diskutiert. Es war doch nur ein relativ kleiner Teil ihres Werkes und zwar der politische wie Solidarität oder Karl Liebknecht oder die beiden Aufstandsthemen bekannt. 057 O-TON IRIS BERNDT 25´45 später Ich bin da immer für Differenzierung. 26´55 Unser Museumsgründer Hans Pels-Leusden hat nicht alle Blätter vom Weberzyklus erworben, die Blätter, wo die Bauern die Steine erheben vor dem Fabriktor und wo sie die Waffen ergreifen und losziehen, weil eben der Abnehmer ihrer Ware sie verhöhnt mit den Worten, dann fresst Gras, wenn ihr nicht genug zu fressen habt und sie diese Situation nicht mehr ertragen konnten und sich bemerkbar machen wollten in ihrer aussichtslosen Lage und sie wissen ja, wurden ein paar Weber zusammengeschossen und die Toten werden dann zusammengetragen, so stellt Käthe Kollwitz auch da, Ursache, Verlauf, Wirkung des Weberaufstands, ja, was ist denn das anderes für eine Instrumentalisierung um auf Hans Pels-Leusden zurückzugreifen, // nur das wunderbare Tod-Blatt etwa aus dem Weberzyklus zu thematisieren. //Also dieses Blatt zu gewichten und das andere nicht zu zeigen ist doch auch inkonsequent. 28´58 Nein, ich bin dafür, wir müssen die ganze Kollwitz kennenlernen, die kennen wir noch viel zu wenig. 058 O-TON ARNE KOLLWITZ 34´08 Ich weiß noch, wie oft mein Vater sich zu seinen Lebzeiten verwahrt hat, dass seine Mutter von der DDR vereinnahmt wurde und ihr Bild praktisch nur auf diese Richtung hin vermittelt wurde. Er hat dann nichts ausrichten können, denn der DDR kam ja die Sache sehr zupass. Obwohl es auch, und das fand ich ganz interessant, in der DDR dann eine Zeit gab, wo man sie dann offiziell kritisch gesehen hat und gesagt hat, sie würde eigentlich eine reine Symbolistin sein und sie würde gar nicht genug aggressiv die Anliegen des Proletariats begleiten sondern das wäre eine larmoyante Beschreibung des Zustandes aber nicht richtig kämpferisches. Also das hat es auch gegeben, selbst in der DDR mit diesem Hintergrund hat es Auseinandersetzungen gegeben, wie man mit ihr Werk interpretieren sollte. 060 O-TON HANNELORE FISCHER 43´00 Der Westen, und das warf der Osten wiederum dem Westen vor, hat im Grunde die Kollwitz erst wiederentdeckt als sie hundert Jahre alt wurde, mit der großen Auktion. Da wurde die Sammlung Schocken veräußert // und hat rasante Preise, es hat einen Knall, gegeben und die Kollwitz ist so hoch gestiegen, wie niemand erwartet hat. // Und das wurde uns immer aus dem Osten vorgeworfen, ihr habt die Kollwitz erst mal wieder über ihren Wert entdeckt. MUSIKAKZENT SPRECHER 1 AUF MUSIK Die zwei großen Museen der Käthe Kollwitz. SPRECHERIN 1 Aufgrund zweier privater Initiativen kommt es fast zeitgleich zu der Gründung zweier Museen: 1985 das Käthe Kollwitz Museum in Köln durch die Enkel, ein Jahr später das Museum in Berlin durch den Sammler Hans Pels-Leusden . Ausgerechnet zum 150. Jubiläumsjahr droht dem Berliner Museum die Kündigung - um Platz zu machen für ein Exilmuseum. Schon die Anfänge waren schwierig - Iris Berndt, Direktorin des Berliner Kollwitz-Museums: 061 O-TON IRIS BERNDT 30´30 Wenn man die Gründungsgeschichte unseres Museums betrachtet, dann muss auch daran erinnert werden, dass in Westberlin Hans Kollwitz, der Sohn von Käthe Kollwitz mit einer großen privaten Kollwitz Sammlung lebte, die er gerne dem Berliner Senat für ein öffentlich betriebenen Käthe Kollwitz-Museum gestiftet hätte. Der Westberliner Senat hatte aber ein Legitimationsproblem mit einer Künstlerin, die im Osten so hoch gefeiert wird, hatte das Gefühl, das ist mehr etwas für den Osten und hat Hans Kollwitz abgesagt. Und so ist eben zu der Gründung von zwei Museen, mit der Familie in Köln und Herrn Pels-Leusden hier in Berlin gekommen. 062 O-TON ARNE KOLLWITZ 35´52 Hier in Berlin, gerade der Westberliner Senat hatte // im Grunde überhaupt kein Interesse daran, etwas für diese große Bürgerin Berlins zu tun. Es hat bis 67 gedauert, bis die erste große Akademieausstellung über Kollwitz war, das war 20 Jahre nach dem Krieg dann. Ich hab ja, als mein Vater starb 71 und ich also einen Teil des Nachlasses erbte, ein Drittel mit Zeichnungen und Grafiken und Plastiken und so, habe ich dann dem Berliner Senat angeboten, ihm dann das zu geben für ein Kollwitz Museum, wenn er bereit wäre, die Räumlichkeiten bereit zu stellen und die Folgekosten zu übernehmen. Und das hat also ein halbes Jahr gedauert, bis ich überhaupt ein Antwort bekam und man meinte, nein, man macht keine Museen in Berlin für einzelne Künstler, obwohl es natürlich das Kolbe-Museum gab, es gab das Brücke-Museum für Schmidt-Rottluff. Also auch dort wurde sie mit spitzen Fingern diese ganze Angelegenheit angefasst. // Es war die Zeit kalten Krieges, des Ost-West Konfliktes. Und wenn sie in Westdeutschland in die Nähe des Kommunismus gerückt wurden, dann war ihre Karriere zu Ende. // Diese Polarisierung kann sich ein heutiger Mensch nicht mehr vorstellen, aber die war enorm tief. O-TON ARNE KOLLWITZ 38´17 Aber Beides private Gründungen. Ich habe das noch mal nachgelesen, als Pels-Leusden sein Kollwitz-Museum in der Fasanenstrasse gründete, dass es auch Kritik gab, wie man diese Künstlerin, die mit dem Arbeitermilieu verbunden wurde, dass man die damals in dem feudalen Westen in einem Palais wieder das Kollwitz Museum reinbringt und man sagt damals schon, man müsste eigentlich im den Prenzlauer Berg, in einem Arbeiterbezirk, was natürlich auch wieder Quatsch ist. Ich meine, Käthe Kollwitz hat ja im Grunde ihre ganzen Werke für die Arbeiter geschaffen sondern an die bürgerliche Welt adressiert, um zu sehen, seht mal zu, was es für Defizite gibt, was für Probleme hier in der Arbeiterschaft bestehen. Das war ihr Anliegen. MUSIKAKZENT SPRECHERIN 1 Was bleibt? Ein großes Museum in Köln, ein von der Existenz bedrohtes Museum in Berlin, ein kleines Kollwitz-Museum mit einer Grafiksammlung in Koekelare in Belgien, ein Museum in Moritzburg, Käthe-Kollwitz-Straßen, Käthe-Kollwitz-Schulen, die Trauernden Eltern in Köln, die Pieta für die Neue Wache in Berlin als zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Das Denkmal der trauernden Eltern aus den 30-er Jahren existiert heute noch. Kopien sind zu sehen in Köln als Gedenkstätte in einer kriegszerstörten Kirche und auf einer Kriegsgräberstätte für die deutschen Gefallenen des Zweiten Weltkrieges 200 Kilometer westlich von Moskau. Das Original steht auf dem Soldatenfriedhof in Belgien, auf dem der Sohn Peter begraben liegt. 065 O-TON HANNELORE FISCHER 59´ Das war eine Entdeckung, // wie sehr dieses überfallene Land an diesem deutschen Kunstwerk hängt und sich damit identifiziert und dass das eben bei der Kollwitz auch möglich ist, dass sie es schafft, Menschen zusammen zu führen, dass sie auch selber immer den Wunsch hatte, sie möchte noch die Bruderschaft der Menschen erleben nach diesen zwei schrecklichen Weltkriegen und dass das doch möglich sein müsste, dass sie sich darum ja auch immer bemüht hat // und das ist an dieser Stelle mit dem Denkmal auch erreicht worden und das fand ich immer besonders schön. 066 O-TON IRIS BERNDT23´15 Ich denke, Käthe Kollwitz ist was fürs Leben O-TON IRIS BERNDT 24´45 Am Ende bleibt es die Intensität ihrer Kunst. Und wenn sie sagt, sie hat nie etwas kalt gemacht in ihrer Kunst, dann kann man das, wenn sich nur ein bisschen Ruhe nimmt, sie zu betrachten, wenn man sich anschaut, wie sie Striche führt, wie sie Kompositionen baut doch ja, nachempfinden. 067 O-TON HANNELORE FISCHER 53´10 Es hat mich zum ersten Mal fasziniert beim ersten Krieg damals im Irak, wo alle schreiben, wie aktuell ist doch die Kollwitz, also zum Kriegsgeschehen. Das erleben wir auch heute. Wir haben Gruppen mit Flüchtlingen, die sich auch getröstet fühlen durch das Werk, wo vieles, was sie selbst erlebt haben, auch wieder auftaucht.// Kollwitz ist so etwas von aktuell, wie es nur wenige Künstler sein können. MUSIK SPRECHER 1 AUF MUSIK Das war „Wenn sie lachte, bebte der ganze Körper – eine Lange Nacht über Käthe Kollwitz“ von Berit Hempel, Redaktion Monika Künzel, Regie Burkhard Reinartz, Technik …. Musik Musikliste 1. Stunde Titel: Bonita rama de sauce Fassung für Viola und Klavier Länge: 03:39 Solist: Kim Kashkashian (Viola) Solist: Robert Levin (Klavier) Komponist: Carlos Guastavino Label: ECM-Records Best.-Nr: ECM 4766149 Titel: Stundenglas Länge: 12:52 Interpret: Michael Wollny Komponist: Michael Wollny Label: ACT Best.-Nr: 9487-2 Plattentitel: Wunderkammer Titel: Canción (Wiegenlied für ein schwarzes Baby) Länge: 01:36 Solist: Kim Kashkashian (Viola) Solist: Robert Levin (Klavier) Komponist: Manuel de Falla Label: ECM-Records Best.-Nr: ECM 4766149 Titel: Mizu no Naka no Bagatelle Länge: 02:10 Interpret und Komponist: Ryûichi Sakamoto Label: Decca Best.-Nr: 4763609 Plattentitel: Playing the piano Titel: Theme from Nocturne Länge: 01:53 Interpret: Nils Økland Komponist: Ole Bull Label: ECM-Records Best.-Nr: 2740246 Plattentitel: Lysoen - Homage à Ole Bull Titel: Jeg har sa lun en hytte Länge: 02:12 Interpret: Nils Økland Komponist: Unbekannt Label: ECM-Records Best.-Nr: 2740246 Plattentitel: Lysoen - Homage à Ole Bull Titel: aus: Vier Impromptus für Klavier, D 899 (op. 90), Nr. 2: Es-Dur. Allegro Länge: 04:45 Solist: Myung Whun Chung (1953-)(Klavier) Komponist: Franz Schubert, Franz Schubert Label: ECM-Records Best.-Nr: ECM 2342 Titel: Monster Länge: 01:53 Interpret: Nils Økland Komponist: Ole Bull Label: ECM-Records Best.-Nr: 179 2432 Plattentitel: Monograph Titel: Death Sentiment III Länge: 02:53 Solist und Komponist: Fumio Yasuda (Klavier) Label: WINTER & WINTER Best.-Nr: 910051-2 Titel: Elegie für Viola und Klavier, op. 30 Länge: 06:59 Solist: Thomas Selditz (Viola) Solist: Vladimir Stoupel (Klavier) Komponist: Henri Vieuxtemps Label: AUDITE Best.-Nr: 97.486 2. Stunde Titel: Love Scenes Länge: 00:53 Solist und Komponist: Fumio Yasuda (Klavier) Label: WINTER & WINTER Best.-Nr: 910051-2 Titel: Canción (Wiegenlied für ein schwarzes Baby) Länge: 01:36 Solist: Kim Kashkashian (Viola) Solist: Robert Levin (Klavier) Komponist: Manuel de Falla Label: ECM-Records Best.-Nr: ECM 4766149 Titel: Duo? o, Du Länge: 04:10 Solist: Patrick Demenga (Violoncello) Solist und Komponist: Thomas Demenga (Violoncello) Label: CLAVES Best.-Nr: CD 50-8909 Titel: Bonita rama de sauce Fassung für Viola und Klavier Länge: 03:39 Solist: Kim Kashkashian (Viola) Solist: Robert Levin (Klavier) Komponist: Carlos Guastavino Label: ECM-Records Best.-Nr: ECM 4766149 Titel: Soleil sous la pluie Länge: 04:41 Interpret: Tarkovsky Quartet Komponist: François Couturier Label: ECM-Records Best.-Nr: ECM 2524 5729067 Plattentitel: Nuit blanche Titel: Hayrapetakan Maghterg (1) Länge: 02:12 Solist: Tigran Hamasyan (1987-)(Klavier) Komponist: Komitas Label: ECM-Records Best.-Nr: 4732383 Titel: Rain choral Länge: 02:32 Orchester: Kammerorchester Basel Komponist: Fumio Yasuda Label: WINTER & WINTER Best.-Nr: 910098-2 Titel: Nuit blanche Länge: 02:38 Interpret: Tarkovsky Quartet Komponist: François Couturier Label: ECM-Records Best.-Nr: ECM 2524 5729067 Plattentitel: Nuit blanche Titel: Si epivoca la paloma Länge: 01:39 Solist: Kim Kashkashian (Viola) Solist: Robert Levin (Klavier) Komponist: Carlos Guastavino Label: ECM-Records Best.-Nr: ECM 4766149 Titel: aus: Adagio Cantabile Länge: 03:52 Ensemble: Orchester: New Yorker Philharmoniker Dirigent: Leonard Bernstein Komponist: Charles Yves Label: Deutsche Grammophon Best.-Nr: 429 220-2 3. Stunde Titel: Still life in a Länge: 01:43 Interpret und Komponist: Ryuichi Sakamoto Label: Decca Best.-Nr: 3736645 Plattentitel: Three Titel: After Celan Länge: 03:46 Interpret: Ketil Bjørnstad Komponist: Ketil Bjørnstad Label: ECM-Records Best.-Nr: 543159-2 Plattentitel: Epigraphs Titel: Death Sentiment IV Länge: 05:30 Solist und Komponist: Fumio Yasuda (Klavier) Label: WINTER & WINTER Best.-Nr: 910051-2 Titel: Ov Zarmanali (1) Länge: 01:26 Interpret: Tigran Hamasyan Komponist: Grigor G. Pahlavuni Label: ECM-Records Best.-Nr: 2447 Plattentitel: Luys i Luso Titel: High heels Länge: 03:46 Interpret und Komponist: Ryuichi Sakamoto Label: Decca Best.-Nr: 3736645 Plattentitel: Three Titel: Tango Länge: 05:27 Interpret und Komponist: Ryuichi Sakamoto Label: Decca Best.-Nr: 3736645 Plattentitel: Three