DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 01.02.2011 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 ? 20.00 Uhr Falsche Heimat Die Abschiebung der Roma in den Kosovo Von Dirk Auer URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo: Hotellobby O-Ton: Abazi Eldin, Papa ist hier! Eldin? Ich bin Papa, Eldin. Kannst Du mich hören? Papi, ich bin Papa, Jakso. Eldin, ich bins. Ich bin Papi. Ich bin jetzt in Prishtina gelandet. Mach Dir keine Sorgen. Wie geht's euch? Was macht ihr? Wie geht's Deinem Bruder, geht's ihm gut? Ich hol Dir Deine Mama ganz kurz und Deine Schwester. Sprecher Falsche Heimat. Die Abschiebung der Roma in den Kosovo. Ein Feature von Dirk Auer. Atmo: Weinen im Hintergrund, redet weiter Musik Abazi singt Erzähler Ich treffe Familie Abazi zum ersten Mal am 20. Mai 2010. Mit ihrem Gepäckwagen sind sie durch die Glasschiebetür des Flughafens von Prishtina auf die Straße gerollt und sind einfach stehen geblieben ? auch dann noch, als sich der Vorplatz längst schon wieder geleert hat. Zwei Stunden später sitzen sie in einem Hotel, das die kosovarische Regierung für eine Woche als Notunterkunft zur Verfügung stellt. Für alle diejenigen, die weder Haus noch Verwandte haben. In Gruppen sitzen sie zusammen, umgeben von ihren Taschen und Koffern. Atmo: gibt Telefonnummer durch Erzähler Vor 20 Jahren war Jaksaman Abazi mit seiner Frau Niki nach Deutschland geflohen. Die Familie gehört zu den ersten Roma, die zur Abschiebung in das Kosovo freigegeben wurden. O-Ton: Abazi An diesem Tag sollte ich um sechs Uhr operiert werden. Die sind um drei Uhr abends gekommen. Ich konnte denen nicht beweisen, ich habe sämtliche Unterlagen denen gezeigt, dass ich dringend die Operation brauche. Nein. Der angebliche Arzt hat mich angeblich untersucht, der hat mich sogar richtig vorgenommen, als wäre ich so ein richtig guter Sportler, und hin und her mit meiner Hand. Ich habe gesagt, bitte lassen sie sein, ich hab Schmerzen! Ich habe sogar Narkose bekommen, Sie sind kein Arzt, Sie sind ein Beamter. Bitte können sie sich ausweisen, damit ich sehe, dass Sie Arzt sind? Er konnte sich nicht ausweisen. Der hat nur richtig gegrinst. Da konnte man von der Lippe lesen, ihr seid jetzt dran, endlich, ne? Erzähler Eldin und Ismael, ihre beiden Söhne, 19 Jahre, Zwillinge, haben noch ein befristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland, weil sie auf eine berufsbildende Schule gehen. Sie mussten zusehen, wie ihre Eltern und ihre 16-jährige Schwester Sevketa von den Polizisten zur Eile angetrieben wurden. O-Ton: Abazi Und die Kinder standen weinend und die Frau, die Schwester konnte sich gar nicht von dem Bruder trennen. Umarmt, was ich sie nie gesehen habe, dass sie so den Bruder umarmt hat. Die konnte man gar nicht trennen. Weine bitte Niki nicht, sonst wein ich auch. Ich hab auch ein Herz, das ist nicht aus Stahl. Erzähler Eine halbe Stunde hatten sie, um das Nötigste zusammenzupacken. O-Ton: Abazi Kann die Seele das alles verkraften? Nach 20 Jahren. Wie verwehtes Wind, durch die Straßen, der hin- und herzieht. So sind wir auch hin- und hergezogen worden. Einmal waren wir da, jetzt sind wir hier. Wo werden wir zunächst sein? Werden wir überhaupt irgendwo sein, wo man sagen kann, wir sind in Sicherheit? Musikakzent Erzähler Rückblende: In den 1990er-Jahren beginnt der Zerfall Jugoslawiens. Hunderttausende fliehen vor den Kriegen nach Westeuropa, darunter auch viele Roma. 1999: Der Kosovo-Krieg ist beendet. Um ihre Rückkehr zu verhindern, beginnen nationalistische Albaner damit, die Häuser und Stadtviertel der Roma zu zerstören. Schätzungen zufolge wurden von den ehemals 150 000 im Kosovo lebenden Roma insgesamt zwei Drittel aus dem Land getrieben, zusammen mit Serben und anderen ethnischen Minderheiten. Das European Roma Rights Centre in Budapest sprach von der größten Katastrophe für Roma seit dem Zweiten Weltkrieg. O-Ton Gesang Jaksaman Abazi Dieses Lied spricht von Roma, die ständig auf dem Weg waren. fängt an zu singen, unterbricht ... Das ist schwer. Wenn man an ihn denkt, ist sehr schwer. Erzähler Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 24. November 2009: SPRECHER Wie ist die Tatsache, dass seit 2004 die Zahl der Abschiebungen in den Kosovo diejenige der "freiwilligen" Rückkehr bei Weitem übersteigt, vereinbar mit den Empfehlungen der Expertengruppe des Europarats vom 1. Juli 2009, wonach eine Rückkehr von Roma vor allem auf freiwilliger Basis und unter würdigen und geordneten Bedingungen erfolgen soll? Erzähler Antwort der Bundesregierung vom 12. Januar 2010: Sprecher Bund und Länder räumen einer freiwilligen Ausreise der hierzu verpflichteten Personen stets Priorität gegenüber ihrer zwangsweisen Rückführung ein. Allerdings liegt die Entscheidung, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, in ausschließlicher Verantwortung der Ausreisepflichtigen selbst. Erzähler Der Kosovo: Ein Flecken im Südosten Europas, in dem neben der Organisierten Kriminalität die Bauwirtschaft der einzige prosperierende Wirtschaftszweig ist. 10 Jahre nach Kriegsende sind 40 Prozent der Bevölkerung arbeitslos, ein Drittel lebt unter der Armutsgrenze. Das Zusammenleben zwischen Albanern und Serben jedoch, so ist allenthalben zu hören, habe sich inzwischen weitgehend normalisiert. Gewalttätige ethnische Auseinandersetzungen gibt es nur noch wenige. Auch die Roma trauen sich inzwischen wieder in die Städte, um zu betteln oder in den Mülltonnen nach Verwertbarem zu suchen. Auch eine Art der Normalisierung. Ich bereise diese Region seit sechs Jahren ? und immer häufiger begegne ich Kindern und Jugendlichen, die eigentlich aus einem ganz anderen Land kommen. Ihre Muttersprache ist Deutsch, ihre Geburtsorte heißen Münster, Weinheim, Heek, Markgröningen. Ihr Trauma: Der Tag, an dem "sie" kamen, in den frühen Morgenstunden, um drei, vier oder fünf Uhr. "Sie": Das sind die "Transportkommandos" - so heißen sie tatsächlich - der Ausländerbehörde, zusammen mit etwa einem Dutzend Polizisten und Hunden. O-Ton: Qelebije Wir haben alle gezittert und so, meine Mutter ist umgefallen. Irgendwie haben die meine Mutter angezogen. Ich hab Sachen gepackt, Schuhe, Kleidung. Zeugnisse hab ich mitgenommen, meine Zeugnisse. O-Ton: Nazife Dann hat meine Mutter gesagt, ja, wir können das machen, aber meine Kinder und so. Wir haben alles noch mal nachgefragt, ob wir bleiben dürfen, dann hab ich gesagt, aber ich bin hier geboren. Dann haben die gesagt, das interessiert uns nicht, das ist unser Gesetz. Erzähler: Qelebije Gashi und Nazife Shabanaj habe ich bereits im Sommer 2007 kennen gelernt, zwei Jahre nach ihrer Abschiebung. Beide sind Ashkali ? eine ethnische Minderheit, für die schon seit einigen Jahren gilt: Wer nicht freiwillig geht, wird abgeschoben. Qelebije hatte die Hauptschule als Klassenbeste abgeschlossen, dann kam die Berufsschule. Später wollte sie Chemielaborantin werden. O-Ton: Qelebije Und dann haben die uns in so einen hingebracht - wie ne Fabrik war das! Da waren Polizisten drin. Und da waren alle die Leute, wo die abgeschoben haben, und dann mussten wir da rein. Die haben alle geweint und gezittert und so. Wie psychisch krank sind alle geworden! O-Ton: Nazife Voll viele. Voll, voll, voll. Das war alles voll. Du konntest nicht mal atmen. Und dann waren da auch so Behinderte, die sollten auch abgeschoben werden. O-Ton: Qelebije Die haben uns ausgezogen in so einem Zimmer, für Männer und für Frauen. Getrennt. Die Polizisten haben uns abgetastet, haben geguckt, was wir haben. Gold mussten wir wegmachen, Ohrringe und so. Handys mussten wir weg - die ganzen Handys haben geklingelt, geklingelt, geklingelt, geklingelt! Alle haben gemerkt, die Familien und so, dass irgendwas läuft nicht gut. Ich hab sehr viel geredet, geweint, ich wusste nicht, was ich machen soll. O-Ton: Nazife Und dann haben die mit Mikrofon gesprochen - jetzt geht das Flugzeug los. Und dann hat mich mein Vater an die Hand genommen, die Kleinen auch. Und dann sind wir im Flugzeug reingegangen und auf einmal ist das Flugzeug ja nach hoch gegangen. Ich so: Scheiße, warum muss das sein? Musikakzent Erzähler Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 22.1.2010: Sprecher: Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Menschenrechtskommissars des Europarates in seinem Schreiben vom 25. November 2009 an die Bundeskanzlerin, wonach "die Zeit schlicht noch nicht reif ist für zwangsweise Rückführungen in den Kosovo, insbesondere von Angehörigen der Roma", und welche Konsequenzen zieht sie daraus? Erzähler Antwort der Bundesregierung vom 11. Februar 2010: Sprecher Nein. Vor Beginn der Rückführungen von Angehörigen der Kosovo-Roma im Frühjahr 2009 hat sich die Bundesregierung auf der Grundlage eigener Erkenntnisse und unter Berücksichtigung von Berichten der einschlägigen internationalen Organisationen ein Bild von der Sicherheitslage im Kosovo verschafft und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass derzeit keine unmittelbare Gefährdung für Rückkehrer nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie besteht. Musikakzent O-Ton: Lüthke Was jetzt die Innenminister angeht, die haben sich nur sehr selten von uns Informationen abgeholt über die tatsächliche Lage vor Ort. Erzähler Karsten Lüthke. Von 2004 bis 2006 für die Vereinten Nationen als Repatriation Adviser im Kosovo. O-Ton: Lüthke Ich erinnere mich an einen Fall, da haben wir gesagt, wir wollen, dass die Delegation vor Eintritt in die Gespräche am Freitag Nachmittag, sich zumindest einen rudimentären Eindruck verschafft von den Lebensverhältnissen im Kosovo. Wir wollten sie nach Fushe Kosova/Kosovo Polje bringen, um ihnen ein Roma-Wohngebiet zu zeigen. Und da hat sich die Delegation des Bundesministerium des Inneren und des Landesinnenministerium Baden Württemberg vehement geweigert, sich mit der Realität auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen. Und das führte dann natürlich auch dazu, dass die anschließenden Gespräche in ziemlich eisiger Atmosphäre verliefen und auch für die deutsche Seite nicht erfolgreich waren. Erzähler Von Anfang an knirschte es gewaltig in der Beziehung zwischen den deutschen Behörden und der UN-Verwaltung des Kosovo. Sieben Monate zuvor, im April 2005, hatte in Berlin ein Treffen stattgefunden, bei dem das Bundesinnenministerium darauf drängte, mit der Abschiebung von ethnischen Minderheiten beginnen zu können. O-Ton: Lüthke Wir haben dann weiterhin darauf bestanden, Roma und Serben überhaupt nicht. Und bei Ashkali haben wir uns auf eine Einzelfallprüfung eingelassen. Das heißt faktisch lief das so ab, dass die deutsche Seite lange, lange, lange Listen von Personen bei uns eingereicht haben, getrennt nach ethnischen Albanern, wo wir wenig oder gar nicht geprüft haben, und eben Ashkali, wo wir in jedem Einzelfall dann geprüft haben, ob aus unserer Sicht, nach unseren Kriterien und denen des UNHCR eine Lebensperspektive im Kosovo bestand oder auch nicht. Erzähler Die UN-Verwaltung lehnte regelmäßig etwa 60 Prozent der aus Deutschland zur Abschiebung anmeldeten Personen ab. Aus immer den gleichen Gründen: Keine Unterkunft, keine Verwandten, was bedeutet hätte, mittellos auf der Straße zu stehen. Bis 2006 ist es der UN-Verwaltung dadurch weitgehend gelungen, Abschiebungen zahlenmäßig zu begrenzen und besondere Härtefälle zu verhindern. O-Ton: Lüthke Aber ab dem Sommer 2006 wurde uns sehr deutlich gemacht, dass die Übergabe auch dieses Verantwortungsbereichs - es war ja einer der letzten Bereiche, in denen die Unmik exekutive Gewalt ausgeübt hat - auch dieser Verantwortungsbereich soll jetzt in den Zuständigkeitsbereich der kosovarischen Institutionen übergehen. Erzähler Und von da an hatten die deutschen Behörden plötzlich leichtes Spiel: Das Verfahren der individuellen Prüfung entfiel noch im selben Jahr. Vier Jahre später ? Kosovo hatte inzwischen seine Unabhängigkeit erklärt ? konnte Vollzug gemeldet werden. Am 14. April 2010 unterzeichneten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und sein kosovarischer Amtskollege Bajram Rexhepi in Berlin ein sogenanntes Rücknahmeabkommen für alle ausreisepflichtigen Kosovo-Flüchtlinge - ungeachtet ihrer Volkszugehörigkeit. Mitte 2010 waren das 14 399 Menschen. Darunter 9842 Roma und 1755 Ashkali. Musik: Abazi singt Erzähler Wenige Stunden nach ihrer Abschiebung steht Qelebije mit ihrer Familie vor dem Haus ihrer Eltern in Prizren. Fenster und Türen sind heraus gebrochen, die Möbel gestohlen. Selbst Dusche und Klo sind abmontiert worden. Die erste Nacht schläft die Familie auf dem nackten Betonboden. Das Haus steht im Minderheitenviertel von Prizren, direkt an einer der Ausfallstraßen. Mehrere Hundert Roma und Ashkali wohnen hier. Die Straßen sind unbefestigt und verwandeln sich bei Regen in Schlammfelder. Musik: Abazi singt O-Ton: Qelebije Hier ist das Leben so, man muss in Mülltonnen schauen, sodass man Metall, Eisen und so Sachen findet, dass man verkauft, drei, vier Euro für 20 Kilo oder was weiß ich kriegt. Und macht die Hände kaputt. Erzähler: Enis, Qelebijes Bruder, ist 15 Jahre alt. Die Nägel seiner Daumen und Zeigefinger sind zerfetzt, darunter ist das rohe Fleisch zu sehen. Enis hat sich auf die Suche nach Kabeln spezialisiert. Die zieht er aus dem Müll, schält mit seinen bloßen Fingern die Umschalung ab und verkauft dann das Kupfer. O-Ton: Qelebije Und es ist schlimm für einen, der wo in Deutschland gelebt hat und man sieht ihn dann bei den Mülltonnen. Es ist schlimm. Das Geld reicht nicht aus. Manchmal haben wir gar nichts zum Essen. Paprika nur und Öl oder Salz und Öl. Wenn wir nichts haben manchmal, meine Mutter macht das Wasser mit Salz und dann, wenn wir Brot haben, tut sie Brot in Wasser rein und so, leert sie das Wasser ein bisschen aus, und dann essen wir das so mit Löffeln. Erzähler Manche Familien besuche ich mehrmals, an ihrer Situation hatte sich nichts geändert. Überall erschütternde Armut, zerstörte Biografien, verlorene Hoffnungen. Andere Familien sind nicht mehr aufzufinden. Von Nachbarn erfahre ich, sie seien wieder illegal zurück nach Deutschland. Dafür gibt es Neuankömmlinge. Zum Beispiel Arsim und Resni Iseni: 2005 starb ihr Vater, ein Jahr später wurden sie abgeschoben: Das Flugzeug war in Prishtina gelandet, aber die UN-Verwaltung verweigerte die Einreise. O-Ton Arsim Dann haben uns die nach Mazedonien gefahren. In Mazedonien mussten wir dort in Polizeigewahrsam blieben, mit Angst. Und dann haben die uns wieder nach Deutschland gebracht. Erzähler Drei Monate später der nächste Versuch. In letzter Sekunde intervenierte die Caritas, wieder durfte die Familie in ihre Wohnung zurückkehren. Dann, am 28. März 2008, klopfte die Polizei das nächste Mal an die Tür. O-Ton: Arsim Ich hab beim dritten Mal auch gedacht, sodass wir wie beim ersten Mal wieder zurückgebracht werden. Aber als wir dann wirklich von der Tür rausgehen mussten, da hab ich schon meine ersten Träne bekommen. Da hab ich schon gedacht, hab ich gesagt, jetzt sind wir verloren. Erzähler Nur noch drei Monate und Arsim wäre mit der Schule fertig gewesen. Er hätte einen Abschluss gehabt und eine Lehrstelle als Fliesenleger angetreten. O-Ton: Arsim Nicht mal mehr als 100 Meter war die Stelle von meinen Haus. Und die Frau hab ich auch gut gekannt. Und die wollt mich unbedingt nehmen, und die hat auch gewusst, wie meine Situation ist, mit meinen Vater. Die hat's genau gewusst, hat gesagt, gut, bist echt fleißig, hast gut gearbeitet. Als ich Praktikum, meine Bewertung war auch sehr gut. Meine Lehrerin hat sogar gestaunt. Und dann wegen zwei bis drei Monaten konnte ich nicht. Ich hätte mich auch sehr darauf gefreut, aber ... Erzähler Jetzt versucht er jeden Tag sein Glück auf dem Tagelöhnermarkt. Oft steht er den ganzen Tag umsonst in der Kälte ? dann gibt es plötzlich wieder etwas: Holz hacken oder irgendwo Schutt abladen. Nach einem Tag Arbeit bringt er zehn Euro nach Hause. O-Ton: Resni Auch ich versuche machmal zu gucken, ja, ich mach jetzt was draus, aber man sitzt hier ja nur daheim, weil es eigentlich gar nichts gibt. Für mich gar nichts. Das ist schwer. Da hab ich hab immer gedacht, ich will Kindergartenerzieherin werden. Erzähler Menschenrechtsorganisationen machen seit Jahren auf die deprimierende Situation der Roma im Kosovo aufmerksam. Im Oktober 2010 hieß es in einem Bericht von Human Rights Watch: Sprecher dass Roma und die verwandten Minderheiten, die aus Westeuropa in den Kosovo abgeschoben werden, sich Diskriminierung und ernsthaften Benachteiligungen gegenüber sehen, die zusammen genommen Menschenrechtsverletzungen gleichkommen. Erzähler Auch Amnesty International hat wiederholt einen Abschiebestopp für Roma aus dem Kosovo gefordert. O-Ton: Dierßen Unsere Recherchen führen uns zu dem Schluss, Roma sind vielfach diskriminiert, also nicht nur in einzelnen Lebensbereichen, sondern in sehr vielen Lebensbereichen: Gesundheitsversorgung, Zugang zu Wohnung, zu Arbeit. Überhaupt eine Registrierung zu bekommen, um all seine Rechte dann auch wahrnehmen zu können. Erzähler Imke Dierßen, Länderbeauftragte für Europa und Zentralasien. O-Ton: Dierßen Und aufgrund des Zusammentreffens all dieser Elemente sind wir der Auffassung, dass es da ein Schutzbedürfnis gibt und man sagen kann, dass Diskriminierung da wirklich zur Verfolgung wird und wir dann eben meinen, man darf sie nicht abschieben. Musikakzent Erzähler Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 2. September 2010 Sprecher Wie erklärt sich die Bundesregierung den Widerspruch, dass sie selbst keine Diskriminierung der Roma im Kosovo sieht und deren wirtschaftliche und soziale Situation vor allem mit dem "niedrigen Bildungsniveau vieler arbeitsloser Roma" erklärt, während zum Beispiel das Europäische Parlament auf die schwierige Lage und Diskriminierung insbesondere der Roma im Kosovo hinweist und eine solche Diskriminierung auch von allen anderen wichtigen nationalen und internationalen Organisationen gesehen wird? Erzähler Antwort der Bundesregierung vom 19. Oktober 2010: Sprecher Es liegen der Bundesregierung keine belastbaren Hinweise für eine Diskriminierung oder Ausgrenzung von Roma-Angehörigen durch staatliche Institutionen vor. Musikakzent O-Ton: Dierßen Aus Sicht von Amnesty liegt da ein Missverständnis vor beim Begriff Diskriminierung. Denn man redet nicht nur dann von Diskriminierung, wenn der Staat die Diskriminierung intendiert, sondern wichtig ist wie eine bestimmte Politik wirkt. Und es kommt auf die Wirkung und nicht auf die Intention an. Wir würden sagen, egal ob nun der kosovarische Staat beabsichtigt hat, dass Roma in Slums leben oder nur in irgendwelchen heruntergekommenen kaputten Häusern ? Fakt ist, dass sie es tun, weil sie woanders keine Wohnung finden, auch wenn der Staat es gar nicht will, führt die Politik dazu, dass es so ist. Also Kosovo stellt das Problem nicht ab. Erzähler Tatsächlich hat die kosovarische Regierung überhaupt erst auf Druck der Europäischen Union ein Strategiepapier zur Integration der rückkehrenden Roma und Ashkali aufgesetzt. Umgesetzt wurde davon bislang nichts. Aus Deutschland gab es Hilfen lange Zeit nur für freiwillige Rückkehrer, deren Zahlen seit Jahren jedoch drastisch zurückgehen. Abgeschobene dagegen wurden sich selbst überlassen. Erst seit Anfang 2010 können manche von ihnen mit einer Unterstützung rechnen. O-Ton: Qenan Ja, hallo, ich bin der Berisha und würd gern mal bei ihnen vorbeikommen. Atmo: Klingel, Treppe Erzähler Das Rückkehrer-Projekt "URA" - albanisch für "Die Brücke" - liegt in einer ruhigen Seitenstraße im Zentrum von Prishtina. Auf zwei Stockwerken verteilen sich Unterkünfte, Büro- und Beratungsräume. O-Ton: Gashi - Ich bin Debarah Gashi und bin Deine Sozialberaterin von heute an! - Das freut mich Erzähler Qenan Berisha wurde vor zwei Tagen abgeschoben. Er ist 24 Jahre alt, Kategorie "Straffälliger". Weil er sich vor sieben Jahren mit Skinheads geprügelt hatte. Seine Familie lebt in Deutschland und hat dort ein Aufenthaltsrecht. O-Ton: Gashi Qenan Berisha, Karlsruhe. Das heißt Baden-Württemberg. Oder? Erzähler Vier Bundesländer beteiligen sich an dem Projekt: Nordrhein-Westfalen, Baden Württemberg, Niedersachen und Sachsen-Anhalt. Gesamtetat: 600 000 Euro im Jahr. Das Personal besteht aus kosovarischen Sozialarbeitern und Psychologen ? und dem deutschen Beamten Jürgen Kaas, ein ehemaliger Asylentscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. O-Ton: Kaas Unser Projekt URA hilft Rückkehren, unabhängig von der Frage ob sie freiwillig zurückkehren oder abgeschoben sind. URA steht mit seinen Mitarbeitern dirkekt am Flughafen bei den Abschiebeflügen. Wir sprechen direkt mit den Leuten vor Ort: Haben Sie Unterkunft? Haben Sie keine Unterkunft? O-Ton: Gashi Finanzielle Unterstützung können sie von uns kriegen in der Zeit bis sechs Monaten. O-Ton: Kaas URA vermittelt Wohnraum, finanziert auch Wohnraum für ein halbes Jahr. Wir zahlen pro Monat 100 Euro pro Person, sechs Monate maximal. O-Ton: Qenan Ich wusste ja nicht, dass es diese Organisation gibt. Ich bin ganz ehrlich, ich wäre am Flughafen geblieben und hätte mich keinen Meter bewegt, weil ich nicht wüsste wohin und weshalb. Da bin ich ja echt froh, dass ich aus Baden Württemberg komm. Ich weiß nicht, wie es hier ist, aber auf der Straße will kein Mensch leben, das würde ich mehr sehr gerne ersparen. O-Ton: Kaas Wir haben dann die Möglichkeit, denen ein Arbeitsplatz zu finanzieren. Wir finanzieren, bzw. geben einen Zuschuss von 100 Euro bei den Abgeschobenen und 150 paro Monat bei denen, die freiwillig ausreisen. Atmo : Qenan, füllt Formular aus: Roma oder Ashkali? Ashkali. Erzähler Dann gibt es noch 50 Euro Lebensmittelzuschuss. O-Ton: Gashi Wir haben gesehen, dass die Leute manchmal mit gar keinem Geld ankommen, manchmal mit keinem Cent bei uns ins Zentrum. Es ist notwendig natürlich, Geld von Anfang an zu geben. O-Ton: Kaas Ich betone, alles was wir machen, sind Zuschüsse und Hilfen, sie ersetzen nicht das Sozialsystem in Deutschland. Sie sind Hilfe zur Selbsthilfe, dienen zur Überbrückung und sollen lediglich hier den ersten Einstieg erleichtern. Erzähler Ein Einstieg. Doch in was? Die Menschen, die ich treffe, sind bis heute nirgendwo eingestiegen ? selbst wenn die Abschiebung schon drei oder vier Jahre zurück liegt. Einzelfälle vielleicht, nicht repräsentativ. Im vergangenen Sommer erregte ein Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef großes Aufsehen. Über 60 Roma- und Ashkalifamilien wurden interviewt, die aus Deutschland in den Kosovo abgeschoben wurden. Von 14 Familienvorständen, die an dem von URA geförderten Arbeitsvermittlungsprogramm teilgenommen hatten, war nur einer nach dem Förderzeitraum von sechs Monaten noch in Arbeit. Ein weiteres ernüchterndes Ergebnis der Studie: Zwei von drei Kindern gehen nach ihrer Abschiebung nicht mehr in die Schule. O-Ton: Wedenig Sie fühlen sich wie im Exil, sie fühlen sich nicht wie zu Hause. Ihr Zuhause ist Deutschland, ist ganz klar. Es ist erschütternd zu sehen, wie sie sich einkapseln, sie leben dann mit ihrer Familie in ärmlichen Bedingungen und wollen nicht einmal hinausgehen, mit den anderen spielen, wollen gar nicht zur Schule gehen - und da braucht es natürlich einen gewaltigen Druck von Seiten der Eltern, die aber selbst auch in einer Abwehr leben. Das ist für sie nur ein Provisorium. Kosovo ist ein Provisorium, sie wollen zurück. Erzähler Die größte Überraschung für Johannes Wedenig, Leiter von Unicef Kosovo, war jedoch: Die aus Deutschland abgeschobene Familien sind sogar in einer noch verzweifelteren Lage als die, die nicht aus dem Kosovo geflohen waren. O-Ton: Wedenig Das ist so überraschend, weil die Perzeption der Communities ist, dass die was haben - die waren ja die ganze Zeit in Deutschland, in Frankreich, der Schweiz oder sonst wo. Die Wirklichkeit ist, dass die noch weniger haben als die, die hier geblieben sind, und dann gleichzeitig, die Familien, die in großer Armut leben, sie auch noch aufnehmen müssen und das Wenige, dass sie haben, auch noch teilen müssen. Und gleichzeitig das Ressentiment haben, warum seid ihr überhaupt zurückgekommen? Warum belastet ihr uns? Musikakzent ERZÄHLER Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 2. September 2010: Sprecher Wie bewertet es die Bundesregierung und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus, dass nach Einschätzungen und Erkenntnissen von UNICEF viele abgeschobene Roma den Kosovo mangels realistischer Überlebensperspektiven bereits nach wenigen Monaten wieder verlassen und unter anderem versuchen, nach Deutschland (illegal) zurückzukehren? ERZÄHLER Antwort der Bundesregierung vom 19. Oktober 2010: Sprecher Der Bundesregierung liegen zu dieser Einschätzung keine gesicherten Erkenntnisse vor. Sie vermag daher weder eine Bewertung dazu abzugeben noch Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Musikakzent Erzähler Anfang November 2010: Durch einen Anruf erfahre ich, dass Familie Abazi inzwischen in Subotica gestrandet ist, einer Stadt, direkt an der serbisch-ungarischen Grenze. Noch in der Nacht nach ihrer Abschiebung hatten sie sich in einer waghalsigen Aktion über die Grenze nach Südserbien geschmuggelt. Für eine Zeit fanden sie dort Unterschlupf bei entfernten Verwandten, dann standen sie wieder auf der Straße. O-Ton: Abazi Familie wollte uns nicht haben. Die haben kein Geld, die haben selber nichts. Und wieder noch drei. Das kostet zuviel. Wir haben versucht zu überreden. Wir haben weniger gegessen, damit die anderen was zum essen haben. Wir haben uns geschämt. Hat meine Niki alles verkauft, was sie hatte. Dat Besitz, was sie von Hochzeit von meinen Vater geerbt hat und von eigenen Mutter der Ring haben wir einfach in diese Change Office vor Gold abgegeben. Wir haben einfach Fahrkarte genommen, standen wir in Belgrad. Wo sollen wir hin, war die Frage. Dann haben wir nur gesagt, einfach weiter. Orientierungslos. Fahrkarte bis nach Subotica. Erzähler Ich besuche die Familie in ihrer neuen Unterkunft. Ein karger Raum ohne Heizung, die wenigen Habseligkeiten sind in ein paar Tüten verstaut. Die 80 Euro Miete im Monat haben sie mit einer einmaligen Spende aus Deutschland bezahlt. Es gibt weder Arbeit noch Sozialhilfe. O-Ton: Abazi Wir haben nichts. Nach 20 Jahren. Obdachlos. Fünf Monate sind wir nicht zum Arzt gegangen. Weil wir keine gültigen Dokumente haben. Hier interessiert sowieso keinen was, ob Du krepierst oder nicht. Rette sich wer kann. Atmo Demonstration: "Eins, zwei, drei, vier ? alle Roma bleiben hier!" Erzähler Hamburg im November 2010. Die Innenministerkonferenz der Länder, kurz: IMK, ist in Deutschland das zentrale Gremium für flüchtlingspolitische Fragen. Wie immer gibt es auch dieses Mal Proteste. Die zentrale Forderung der Demonstranten: Ein bedingungsloses Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge! Atmo Demonstrationsrede: Wir von Jog, wir sind eine bundesweite, eine selbstorganisierte Flüchtlingsinitiative... Erzähler Auch viele Roma sind dabei. Kinder und Jugendliche mit ihren Familien ? und langjährige Aktivisten wie Djevdet Berisha. O-Ton: Djevdet Seit 99 sind wir sehr aktiv, bei jede Innenministerkonferenz haben wir protestiert gegen die Abschiebung von Roma und andere Minderheiten aus Kosovo und ehemaligen Jugoslawien. Auch für ein Bleiberecht für alle, die ein Leben in Sicherheit und Würde suchen. Atmo Demonstration: "Bleibrecht für alle, jetzt sofort, ..." Erzähler Im November 2006 gab es einen Teilerfolg: Gut integrierten Flüchtlingen sollte ein Bleiberecht gegeben werden. Mindestens acht Jahre müssen sie sich in Deutschland aufgehalten haben. Und: Der Lebensunterhalt muss eigenständig gesichert werden können. Zwei Jahre beträgt die Frist, um diesen Nachweis zu erbringen. Bereits jetzt ist klar: Viele Menschen, insbesondere wenn sie in den vergangenen Jahren keine Arbeitserlaubnis hatten, können diese Anforderung nicht erfüllen. O-Ton: Djevdet Und sind wir bereit auch zu kämpfen, dass in Deutschland bleiben, auch die Alten und Kranken. Die Menschen, die hier seit 10, 15, 20 Jahren leben, die sind auch hier alt geworden und gehören auch hier in Deutschland. Erzähler Mehrfach hat der Menschenrechtskommissar des Europarats an Bundeskanzlerin Merkel appelliert, Roma-Abschiebungen in den Kosovo zu stoppen. Zahlreiche Städte, Gemeinden und Kreistage haben parteiübergreifende Resolutionen verfasst. Berichte von gut integrierten Jugendlichen, die in Verbänden und Sportvereinen aktiv sind, die in die Schule gehen und dann plötzlich einfach nicht mehr da sind ? das war nicht länger zu vermitteln. O-Ton: Schwarz-Schilling Ich glaube, wir müssen sehen, dass wir in Deutschland Menschenrechtsverletzungen haben und Behandlungen von Ausländern, insbesondere von Flüchtlingen, die jenseits unserer Erfahrungen aus der Geschichte und jenseits der Gegebenheiten eines Rechtsstaats liegen. Hier wird nicht Leid nicht behoben, sondern hier wird Leid produziert in Deutschland. Und dann müssen die Alarmglocken eigentlich überall aufgehen. Erzähler Christian Schwarz-Schilling. Postminister a.D., von 2006 bis 2007 Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina ? und CDU-Mitglied. Am 8. April 2010 initiierte er zusammen mit anderen prominenten Persönlichkeiten einen Oster-Appell, der die Beendigung der Abschiebungen in den Kosovo fordert. Eine Rückkehr in Sicherheit und Würde sei für Roma nicht möglich O-Ton: Schwarz-Schilling Was heißt das denn, wenn Kinder hier geboren werden oder in ganz früher Jugend hierher kommen und fünf, acht, zehn, zwölf, vierzehn Jahre hier leben ? das ist ihr Leben, was sie hier tun! Und mit einer solchen einzigen Maßnahme einer Ausweisung oder Abschiebung ist die Existenz dieser jungen Menschen praktisch ausgelöscht. O-Ton: Gutzmer Ja, das ist in der Tat das große Problem, das uns auch bewegt hat. Erzähler Hans-Hermann Gutzmer vom Niedersächsischen Innenministerium. O-Ton: Gutzmer Nach unserem Recht ist es so, dass sich das Aufenthaltsrecht der Jugendlichen nach dem Recht der Eltern richtet. Und wenn die Eltern keine Aufenthaltserlaubnis bekommen können, dann können auch die Jugendlichen keine bekommen - das heißt sie müssen mit den Eltern zusammen zurück, obwohl sie inzwischen jahrelang hier gelebt haben, ihre entscheidenden Jahre der Prägung und Sozialisation hier erfahren haben, vielleicht sogar ganz gut in der Schule sind, im Sportverein mitmachen. Erzähler Im Vorfeld der letzten Innenministerkonferenz überraschte der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann mit einem neuen Vorschlag: Gut integrierten Jugendlichen sollte ein elternunabhängiges Bleiberecht gegeben werden. O-Ton: Gutzmer Sie könnten dann hierbleiben und ihre Ausbildung fortsetzen und hier weiter ihren geraden Weg gehen und hier eine Bereicherung für die Gesellschaft darstellen, die wir ja auch gut gebrauchen können, angesichts des demografischen Faktors in einer immer älter werdenden Gesellschaft - auch aus eigenem Interesse dieses Landes heraus. O-Ton: Hügel Ich nenn das ja, wie viele andere meiner Kollegen auch, das ist ein Rentensicherungsprogramm. Für die Alten keine Zuwanderung in die Sozialsysteme und für die, die ne Perspektive haben, für die sogenannten gut Integrierten, die sollen mal meine Rente sichern. Dat is mehr als schäbig. Erzähler Denn die Eltern, so Volker Maria Hügel von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender in Münster, hätten, sobald ihre Kinder volljährig geworden sind, ja weiterhin nur dann einen Chance, wenn sie ihren Lebensunterhalt sichern können. O-Ton: Hügel Und da haben wir wieder das gleiche Problem, wer das dann nicht kann, wer alt ist, wer arbeitsunfähig ist, der müsste dann gehen. Das ist familienfeindlich, integrationsfeindlich und in hohem Maße unanständig, Menschen einem solchen Druck auszusetzen. Man muss sich mal vorstellen: Wenn die Kinder dann ne Chance haben wollen, müssen die Eltern sich entscheiden auszureisen. Und die Kinder werden sich schuldig fühlen, und die Eltern haben natürlich überhaupt keine Chancen, wenn der Rest der Familie nicht da ist, sich nicht drum kümmern kann. Insbesondere wenn sie schon älter sind. Erzähler Von Deutschland aus versuche ich noch einmal mit Familie Abazi Kontakt aufzunehmen. Das Telefon ist tot. Ich schreibe eine Email, warte tagelang. Dann eine Antwort. Sprecher Wir freuen uns, dass wir wieder in Kontakt sind. Wir mussten das Telefon leider verkaufen, da wir nichts zu essen hatten. Wir versuchen jeden Tag zu überleben. Es ist sehr kalt, Nicki und ich sind sehr krank. Wir waren immer noch nicht zum Arzt, da wir kein Geld haben. Wir haben einen Monat lang nur von Brot gelebt und Leitungswasser. Ich kann dir nicht beschreiben wie schwer es ist. Wir sind einfach am Ende, ohne eine Unterstützung von nirgendwo bleibt uns nichts anderes als Beten. Musikakzent O-Ton - Und womit kann ich dir heute helfen? - Ich hab so einen Brief bekommen vom Jugendamt. - Ich kann ja mal gucken. Erzähler Sprechstunde der Sozialarbeiterin Gabriele Hess in einem Stadtteilbüro der Arbeiterwohlfahrt. In Münster-Coerde leben besonders viele Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo. O-Ton Gabriele Hess Das ist von der Stadt. Die wollen, dass Du den Elternbeitrag für Deine beiden Kinder bezahlst. Und dazu brauchen die ganz viele Unterlagen. Und die musst Du zum Jugendamt an der Hafenstraße bringen. Erzähler Rocky ist 23 Jahre alt. Als kleines Kind ist er nach Deutschland gekommen. Jetzt ist er selbst schon Vater, aber er hat keine Arbeit. Und damit ein Problem. O-Ton: Rocky Wenn Du diese zwei Jahre keine Arbeit hast, ja und dann musst du Koffer packen. Erzähler In einem Monat kann Rocky bei einer Zeitarbeitsfirma anfangen. Nichts dauerhaftes, und so bleibt die Unsicherheit, denn der Lebensunterhalt muss überwiegend aus eigenen Mitteln bestritten werden können. O-Ton: Hess Da gibt's keine klare Regelung, das ist auch ein Problem, das heißt, es gibt keinen Katalog von Bedingungen, die man erfüllen muss, um am Schluss so weit zu kommen, seinen Aufenthalt zu verbessern, sondern es wird nach wie vor von Fall zu Fall entschieden. Das heißt der Kontakt zur Ausländerbehörde ist wichtig, da nachzuweisen, dass man sich bemüht. Dann spielen auch noch Sachen eine Rolle wie zum Beispiel die Schulleistungen der Kinder, gehen die Kinder regelmäßig in die Schule usw. Das heißt selbst in dieser Bewährungszeit bleibt diese ständige Unsicherheit, mach ich jetzt alles richtig, ist mein Sachbearbeiter mit mir zufrieden? Man ist schon auch ein bisschen dem Sachbearbeiter ausgeliefert in dem Sinne. O-Ton - Sind jetzt deine beiden Kinder im Kindergarten oder nur eines? - Der Eine ist jetzt im Kindergarten, der andere kommt am 1.1. rein. - Und hat er schon ein bisschen besser Deutsch gelernt? - Ja, super. Die reden jetzt nur Deutsch zu hause. - Ja, dann verbesserst du dein Deutsch auch noch mal. O-Ton: Hess Diese permanente Unsicherheit merkt man vor allem bei den etwas älteren Menschen, dass zeigt sich ganz klar in verschiedenen Krankheitsbildern. Also wir haben hier chronisch Magenkranke usw. Bei den Jugendlichen merke ich, sie versuchen diese Vermeidungsstrategie anzuwenden. Ich rede nicht drüber, ich denke nicht drüber nach. Ich tu so, als gebe es das gar nicht. Damit sie wenigstens ein paar Stunden am Tag angstfrei wie alle anderen jungen Familien, wie alle anderen Jugendlichen leben können. Musikakzent Erzähler 600 000 Euro für das Hilfsprojekt URA 2, die Gehälter von insgesamt drei Bundesbeamten, die allein im Kosovo mit Fragen der Rückführung betraut sind. Kleinere Projekte der Arbeiterwohlfahrt Nürnberg: 100 000 Euro, der Diakonie Trier: 60 000. Jeder Abschiebeflug schlägt mit 28 500 Euro zu Buche. Musikakzent O-Ton: Qelebije Wir denken manchmal, wie konnten die Deutschen uns so was antun. Erzähler In Deutschland: Beamte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, in den Länderministerien, Ausländerbehörden. Beratungsstellen, nächtliche Polizeieinsätze, Gerichts- und Anwaltskosten. O-Ton: Nazife Und dann denke ich an meine Freundinnen. Und was ich gemacht habe. Also das ist schon traurig. Erzähler Der ganze Aufwand, nur um eine entwurzelte Generation von Kindern und Jugendlichen im Kosovo zu produzieren. O-Ton: Resni Mir fehlen einfach meine Freunde, meine Schule und so. Erzähler Letzte Meldung: Im Januar ist eine schwer traumatisierte Roma-Frau einen Monat nach ihrer Abschiebung an einer Hirnblutung gestorben. In Deutschland war sie in fachärztlicher Behandlung. O-Ton: Qelebije Deutschland hat uns groß gezogen, und hierher sind wir gekommen, damit wir hier sterben. Erzähler Über 10 000 Roma droht in den nächsten Jahren die Vertreibung aus Deutschland. O-Ton: Abazi Aber wahrscheinlich läuft es für uns Roma immer wieder was falsch. Erzähler Zur gleichen Zeit werden weitere hunderte Millionen Euro fließen, um den verarmten Balkanstaat an die Europäische Union heranzuführen. O-Ton: Abazi Wieso kann man nicht in irgendein Land leben, wo man schon gelebt hat 20 Jahre. Wieso wird diese Möglichkeit nicht gegeben? Erzähler Ausgerechnet die Abgeschobenen werden jedoch die größten Hürden zu überwinden haben, um wieder nach Deutschland einreisen zu können. Fünf Jahre beträgt die Einreisesperre nach einer Abschiebung. Ist diese Zeit vorüber, müssen die Kosten beglichen werden, die bei der eigenen Abschiebung angefallen sind. Im Schnitt 3000 Euro. O-Ton: Abazi Wieso trennen die? Mutter, Vater und Schwester von eigenen Kindern? Ist das Europa? Soll so Europa gebaut werden? Musik Absage Falsche Heimat Die Abschiebung der Roma in den Kosovo Ein Feature von Dirk Auer Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2011. Es sprachen: Matthias Haase und Simon Roden Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Beate Braun Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Hermann Theißen Musik Ende 28