Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 29. April 2013, 19.30 Uhr Die Wolkenarbeiter Cloud Computing, die nächste Revolution der Arbeitswelt Von Peter Kessen Ausschnitt: "Wetten Das" (Cindy aus Marzahn):Dann sag ich herzlich willkommen und einen Riesen Applaus für die Chippendales und Markus Lanz (Musik) Sprecher: Wenn der Showmaster Markus Lanz in der ZDF Sendung "Wetten Das!" mit den Strippern Chippendales tanzt, dann rattern im Rechenzentrum der Technischen Universität Berlin 216 Festplatten. Rechenzentrum Rauschen Unternehmensberater Budak Was wir eben gemacht haben, testweise, als Showcase, ist "Wetten Dass". Es gab ja einen Wechsel der Moderatoren von Thomas Gottschalk zu Markus Lanz. Und wir haben im Vorfeld geschaut: Wie kommt das bei den Konsumenten, bei den Zuschauern an? Das heißt: Wir müssen identifizieren, wo findet die relevante Kommunikation im Internet statt? Sprecher: Der Stuttgarter Unternehmensberater Yasan Budak erklärt das Projekt Mia, eine Kooperation zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, der Technischen Universität Berlin und der Unternehmensberatung Vico Research. Das Projekt Mia basiert auf der Technologie des Cloudcomputing: Sprecherin: Cloudcomputing bezeichnet die Auslagerung von eigentlich firmeninternen Aufgaben in Rechenzentren. Dabei helfen große Kapazitäten der Datenverarbeitung, das ermöglicht neue und kostengünstige Effizienz. Im konkreten Fall dienen die Zuschauerbewertungen von Wetten Dass, beurteilt im Internet, als Material für eine umfassende Datensichtung. Sprecher: Das Projekt Mia will der mittelständischen Wirtschaft helfen, ihre Märkte zu erforschen. Gerade für kleinere Firmen ist eine umfangreiche Marktforschung eigentlich zu teuer. Darum möchte Mia für diese Firmen eine preisgünstige Möglichkeit schaffen, um per Datensichtung im Internet die eigenen Marktchancen zu erkunden. Das Projekt Mia ist ein Beispiel für die Technologie des Cloudcomputing, die unsere Arbeitswelt radikal verändern wird. Musik Sprecher/in vom Dienst: Die Wolkenarbeiter. Über die nächste Revolution in der Arbeitswelt. Von Peter Kessen Sprecher: Unter Cloud Computing versteht man die Auslagerung von Daten, Software und Dienstleistungen über ein externes Rechenzentrum. Sprecherin: Der Nutzer speichert seine Daten nicht mehr auf dem eigenen Computer, auch die Software muss er nicht mehr erwerben. Daten, Software und Dienstleistungen werden über externe Rechenzentren bezogen. Sprecher: So sinken die Kosten für die IT Technologie um mehr als fünfzig Prozent, weltweit können externe Dienstleistungen nach Bedarf geordert werden, alle Endgeräte können rund um den Globus in Echtzeit Daten abrufen und gleichzeitig bearbeiten. Sprecher: Die EU Kommission verkündet am 27.9.2012, das Cloud Computing bis zum Jahr 2020 rund 160 Milliarden Euro jährlich zum Bruttoinlandsprodukt in den EU Ländern beitragen soll. Dieses europäische Projekt soll so 3,8 Millionen neue Jobs schaffen. Die Studie der Unternehmensberatung Roland Berger zum Cloud Computing heißt "Survival of the Fittest". Verfasst hat die Berger Studie Carsten Rossbach, der Cloud Computing als radikale Wende auf dem Arbeitsmarkt beschreibt: O-Ton: Unternehmensberater Rossbach, D Berger Ich glaube, dass in der Cloud Economy viele neue Spielregeln gelten, die Anpassungsbedarf auslösen, bei existierenden Anbietern - und das gilt jetzt quer über alle Industrien. Fakt ist, dass wir alle erleben werden, wie sich unsere Arbeitswelt und auch die Werkzeuge, die wir nutzen, dass die sich sehr schnell und dramatisch ändern. Sprecher: Am 6.Februar 2012 meldet das Nachrichtenmagazin "Spiegel" das der Software Konzern IBM eine "Radikalreform seiner Belegschaft" plant. Bis zu 8000 der 24000 Arbeitsplätze in Deutschland könnten verschwinden. Statt der Angestellten mit sicheren Arbeitsverträgen und sozialer Absicherung sollen vor allem freie Mitarbeiter in einer sogenannten Talent Cloud die Aufgaben bewältigen. Sprecherin: Cloud Working, das Arbeiten in einer virtuellen Datenwolke, wird unsere Arbeitswelt radikal verändert. IBM ist der Vorreiter dieses Wandels. Sprecher: Das Unternehmen IBM kommentiert lediglich, dass keine konkreten Schritte bevorstünden. Im Oktober 2012 treffen sich die Betriebsräte der führenden IT Firmen, darunter finden sich SAP, IBM, Hewlett Packard und T-Systems, in der Bundesgeschäftsstelle der Gewerkschaft Verdi. Die Gewerkschafter verabschieden gemeinsam das Berliner Cloudworking-Papier "Gute Arbeit muss möglich bleiben". Sprecherin: Die Gewerkschaft befürchtet gigantische Risken, eine gravierende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für ein Großteil der 900000 Beschäftigten in der deutschen Informationsbranche und große Teile des Dienstleistungssektors. Als Beispiel gelten die rund 5,8 Millionen Menschen, die weltweit auf Internet Plattformen wie Freelancer, Topcoder, Mechanical Turk oder guru schon zu häufig viel schlechteren Lohn und Gehaltsbedingungen arbeiteten. O-Ton: Bert Stach, Verdi Die Entwicklungen die wir momentan sehen sind eher besorgniserregend, beziehungsweise, ja dramatisch, Sprecher: Bert Stach, bei Verdi Konzernbetreuer für IBM und im Aufsichtsrat bei IBM. O-Ton: 29.20 Bert Stach, Verdi: Wenn diese Entwicklungen, die sich momentan abzeichnen, nicht in irgendeiner Weise gesteuert werden, muss man letztendlich die düstere Prognose zeichnen, dass wir uns immer auf ein " Ebay für Arbeitskräfte" zu bewegen, bei der letztendlich Arbeit entwertet wird, in der Menschen keine Absicherung, keine Sicherheit mehr haben und eine verheerende internationale Konkurrenz von Individuen entstehen wird. Sprecher: Verdi befürchtet, dass feste Arbeitsplätzen verschwinden. Zugunsten weltweiter Konkurrenz von freien Belegschaften, die unter Lohndumping leiden und keinerlei Sozial-, Renten-, Krankenversicherung mehr haben. Atmo:Film/Verdi Video Das bin ich, Klaus der Cloudworker. Um genau zu sein ein frustrierter Cloudworker. Wir schreiben das Jahr 2020. Ich bin vierzig Jahre alt und Informatiker. Vor Jahren hatte ich mal kurz eine feste Anstellung. Ich bin wie fast jeder Freiberufler. Die ganze Welt ist zu meiner Konkurrenz geworden. O-Ton: Bert Stach Nun, das kann nicht nur verschiedene Dienstleistungsbereiche betreffen, das tut es jetzt schon. Es gibt verschiedene Freelancer Plattformen, die mit genau diesen Arbeitsformen bereits arbeiten. Und dort wird letztlich alles angeboten, was unabhängig von Raum und Zeit erbracht werden kann. Da geht es genauso um die Logoentwicklung für Grafikerinnen und Grafikern, da geht es natürlich um Programmiertätigkeiten, Übersetzungstätigkeiten kommen darin vor, journalistische Beiträge werden da eingebunden. Buchhaltung und Maschinenbau sind mit Sicherheit Bereiche, die genauso über die Cloud dargestellt werden können. Und wenn man dieses Vorgehen auch noch so strukturiert, möglichst viele Akteure ungeschützt gegeneinander konkurrieren zu lassen. Dann ist natürlich das Ziel zum einen, möglichst gute Arbeitsergebnisse zu erzielen. Dann ist natürlich auf der anderen Seite das Ziel natürlich mit dabei für diese eingekauften Dienstleistungen möglichst wenig auszugeben. Atmo: Firmenflur Sprecher: In grellen Neonfarben leuchten die blauen, gelben, orangen und violetten Menschensilhouetten aus Holz über dem Firmenschriftzug Clickworker. Entspannt wirkt die Arbeitsatmosphäre in der eleganten Büroetage in einem modernen Bürokomplex in Essen Baldeney. Neben dem Eingang befindet sich eine kleine Nische mit einem großen Flachbildschirm, die eine Weltkarte zeigt. Hier blinken die Aktivitäten der weltweiten Belegschaft. Deutschland leuchtet besonders hell, etwas dunkler glimmt es in Spanien. Auch in den Vereinigten Staaten und Südamerika finden sich Clickworker. Seit Mitternacht sind rund 5948 Jobs erledigt, gestern waren es 17604. Der Geschäftsführer Christian Roszenich erklärt das Geschäftsmodell der Firma: O-Ton: Geschäftsführer Roszenich Ja, was bieten wir an, wir stellen eine Internetplattform bereit, unter der sich Menschen anmelden können, und eben Arbeit gegen Geld machen. Das sind die sogenannten Clickworker, wie wir sie nennen - typischerweise sind das Arbeiten wie, Texte zu bestimmten Themen schreiben, Übersetzungen anfertigen, Recherchen im Internet durchführen, aber auch Tätigkeiten, die nicht unbedingt zu Hause am Computer erledigt werden, sondern wo Clickworker vor Ort Informationen recherchieren. Sprecher: Die Technologie des Cloudcomputing, die Schnelligkeit und Flexibilität, ist dabei für Christian Roszenich essentiell. Die Clickworker arbeiten auch für große Firmen wie Honda oder die Telekom. O-Ton: Roszenich Wir haben aktuell circa 300000 Clickworker, die bei uns auf der Plattform registriert sind. Bezüglich Sprachen, decken wir im Moment ungefähr 18 Sprachen ab, in denen wir Projekte abwickeln können. Unser Schwerpunkt ist nach wie vor Deutschland, wo circa ein Drittel der Clickworker herkommt, und die restlichen zwei Drittel verteilen sich dann auf Europa und die USA. Sprecher: Daniel Marts betreut als Community Manager, die digitale Belegschaft, deren Profil recht genau erfasst ist. O-Ton: Marts Also, wir haben da natürlich auch Auswertungen gemacht, und machen die ab und an, und tendenziell ist der Durchschnittsclickworker so eine mittelalte Frau (lacht), so 35, 40, vielleicht ein bisschen Älter noch, dass kommt am häufigsten vor. O-Ton: Nadine Maske - Clickworkerin Berlin (Klicken am Computer). So, jetzt logg ich mich hier ein mit meinem Künstlernamen (Klicken) So, das ist jetzt mein Arbeitsplatz und das ist jetzt die Auftragsliste. Das sind verfügbare Aufträge. Seit Neuestem steht auch dabei, wie hoch die Anforderungen sind. Also, mein Wert ist jetzt bei 96 Prozent, also kann ich fast alles machen. Sprecher: Nadine Maske sitzt an einem Wintervormittag in ihrer weitläufigen Altbauwohnung in Berlin Wilmersdorf. Die 44 Jährige ist verheiratet, zur Familie gehören drei Kinder, zwei Töchter im Alter von 12 und 14 Jahren und ein vierjähriger Sohn. O-Ton: Nadine Maske - Clickworkerin Berlin Ich bin eigentlich seid die Kinder da sind zuhause, weil da war mein Studium beendet und dadurch hat es nicht so gleich geklappt mit dem Anschluss, weil ich schwanger war, und dann kam das nächste Kind. Und dann war die eine Tochter lange krank. Und dann kam schon wieder der Kleine. Und so habe ich beruflich eigentlich nie wieder richtig Fuß gefasst. Promo Video Clickworker O-Ton: Nadine Maske - Clickworkerin Berlin Von Hause aus habe ich Soziologie und Politikwissenschaft studiert, hab das auch fertiggemacht. Hab auch in meinem Studium im Max Planck Institut gearbeitet, in der Altersforschung. O-Ton: Geschäftsführer Roszenich Die wesentlichen Vorteile, warum unsere Kunden mit uns arbeiten, sind einerseits, dass wir eine Vielzahl von Sprachen abdecken, dass wir auch eine Vielzahl von kulturellen Hintergründen in unser Clickworker Basis abdecken, und damit auch sehr zielorientiert für viele Märkte die Texte verfassen können. Sprecher: Christian Roszenich, Geschäftsführer Firma Clickworker O-Ton: Geschäftsführer Roszenich Und andererseits, dass natürlich auch eine große Skalierbarkeit und Flexibilität hinsichtlich der Arbeitslast vorhanden ist. Also, speziell in Zeiten wie vor Weihnachten und vor Ostern, wo sie eigene Kampagnen durchführen möchten, wo sie Spitzen in ihrer Arbeitslast haben, können Sie das über die Cloud sehr effizient natürlich abdecken. Atmo: Promo Video Clickworker Als Kunde können Sie bei uns eine Vielzahl von Arbeiten von zehntausenden qualifizierten Mitarbeiter, die wir Clickworker nennen, erledigen lassen. Schnell qualitätsgesichert, in großer Zahl und natürlich günstig! O-Ton: Marts Sowohl Leute, die angestellt sind, selbständig sind, aber auch viele Hausfrauen und Mütter, die die Gelegenheit eben wahrnehmen, zwischen dem Mittagessen kochen und dem Wäschewaschen, da noch ein paar Euro zu verdienen, anstatt eben irgendwo hinzumüssen, wo sie dann einen Teilzeitjob wahrnehmen. Sprecher: Daniel Marts, Community Manager bei Clickworker O-Ton: Marts Das ist für viele auch ein attraktiver Punkt, wo sie sagen, deswegen bin ich bei Clickworker, weil ich es mir selbst komplett einteilen kann. O-Ton: Nadine Maske - Clickworkerin Berlin Da sieht man die Zahl der Aufträge, was man bekommt für jeden Auftrag. Da ist zum Beispiel was, das mach ich ganz gern. Das ist vermutlich so eine Zusammenfassung von einem Börsenbericht. Ja. Da hat man so einen Text, aus dem Handelsblatt in dem Fall. Und den soll man noch mal neu zusammenfassen. Und wenn ich das jetzt machen möchte. Klick ich auf Einverstanden. Atmo Promovideo Clickworker Wer sich bei uns etwas dazuverdienen möchte, kann aus unterschiedlichsten Angeboten auswählen und selbst entscheiden welche Projekte interessant sind. Denn als Clickworker arbeiten Sie freiwillig, ohne jede Verpflichtung oder versteckte Kosten! O-Ton: Nadine Maske - Clickworkerin Berlin Ich hab zum Beispiel Reiseziele beschrieben, ich hab bestimmte Städte beschrieben, in die man reisen kann. Ich hab dadurch auch Städte ganz neu kannengelernt, die mir vorher gar nicht bekannt waren, zum Beispiel kenn ich jetzt die Stadt Erbil im Nordirak, (lacht). Promo Video Clickworker Für jeden erledigten und durch die Qualitätssicherung erledigten Job, wird ein vorher angegebenes Honorar gezahlt! Das ist transparent und fair! Je nach Begabung, Zeit und Lust kommt da schnell eine ansehnliche Summe Extrageld zusammen! O-Ton: Community Manager Marts Wir sagen immer: Jemand, der gut qualifiziert ist, und in seinem Arbeitsbereich immer was zu tun hat, was wir in vielen Bereichen nicht garantieren können, weil es ja immer auftragsabhängig ist. Also, wenn der durcharbeiten kann, in Anführungszeichen, dass der, je nach Erfahrung und Geschwindigkeit so auf zwischen acht, neun Euro kommen kann. O-Ton: Nadine Maske - Clickworkerin Berlin Ich würd sagen, wenn's gut läuft, komm ich etwa auf sechs Euro. Aber dann muss es schon sehr gut laufen. Und wenn's ganz schlecht läuft sind's vielleicht zwei, drei Euro. Sprecher: 300 Wörter bringen rund drei Euro, aber technische Texte sind besser bezahlt. Mitunter steigt auch das Honorar, wenn sich kein Bearbeiter für die Aufgabe findet. Nadine Lange glaubt, dass jüngere Clickworker vielleicht auch etwas schneller arbeiten. Aber reich werden könne man hier nicht, erzählt sie. Dabei tauchen ihre Texte durchaus an prominenter Stelle im Internet auf. O-Ton: Nadine Maske - Clickworkerin Berlin Es sind ganz viele große Auftragsmengen von großen Firmen, die jeder kennen würde Sprecher: Manche Konzerne wollen nicht genannt werden, dazu gehört einer der größten deutschen Medienkonzerne und eine große deutsche Fluglinie. Es scheint als ob die Unternehmen nicht so gerne eingestehen würden, ihre Arbeit so kostengünstig auszulagern. Vor allem wenn die Texte von Hochqualifizierten verfasst werden. Das hat Nadine Lange beim Chat mit anderen Clickworkern und Clickworkerinnen, in dem viele Akademiker aus aller Welt ihre Arbeit besprechen. Vieles, abgesehen vom Stundenlohn, gefällt Nadine Lange. Dazu gehört auch die technische Unterstützung durch die Firma, die Arbeit der Lektoren. O-Ton: Nadine Maske - Clickworkerin Berlin Na ja, auf lange Sicht würde ich lieber eine ganz normale Arbeit haben, aber im Moment bietet sich das halt so an, weil es so eine Lückenfüllersache ist O-Ton: Geschäftsführer Roszenich Für einen Text, der einen journalistischen Qualitätsanspruch hat, auch der ist in der Cloud nicht unbedingt günstiger zu produzieren. Aber im Bereich Texte mittlerer Qualität, da haben wir mit Sicherheit ein Einsparungspotential für unsere Kunden - also, wir schätzen: Größenordnung zwischen dreißig und fünfzig Prozent. Sprecher: Cloudworking steht in einer Tradition. Unternehmen der Kommunikationsbranche begannen seit Anfang der 90er Jahre bestimmte Jobs auszulagern. Zuerst wanderte die Arbeit per Outsourcing an andere Unternehmen im Inland, zur Jahrtausendwende sorgte das sogenannte Offshoring dafür, dass ausländische Firmen die Arbeit per Internet erledigten. Das Cloudworking ist eine neue Stufe: Jetzt gehen die Jobs direkt an die einzelnen Mitarbeiterinnen auf der ganzen Welt. O-Ton: Verdi - Stach Und das für Unternehmen interessante, aber man muss auch ganz klar sagen, verwerflich interessante ist, dass man sich hier aus bestimmten Teilen der solidarischen Finanzierung komplett verabschieden kann: Sprecher: Bert Stach von der Gewerkschaft Verdi O-Ton: Verdi - Stach Für Freelancer braucht man keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, für Freelancer braucht man sich nicht um deren Rente zu kümmern, für Freelancer brauch man sich um letztlich nichts zu kümmern, sondern, nur dass die Arbeit, die man von Ihnen verlangt, möglichst optimal ist, und möglichst wenig kostet. O-Ton: Wedde - Uni Frankfurt Ich glaube, es gibt für Cloud Working mittelfristig keine Grenzen mehr. Sprecher: Prof. Peter Wedde, Uni Frankfurt, Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft und Direktor der europäischen Akademie der Arbeit. O-Ton: Wedde - Uni Frankfurt Ich kenne aber auch schon Fälle, wo beispielsweise komplizierte Ingenieursaufgaben fraktioniert werden und weltweit vergeben werden. Da hat man noch ein Problem mit dem Qualitätsmanagement, derzeit noch. Aber da wird gesagt, wir vergeben, dass an zwei, drei verschiedene Cloudworker, machen dann hinterher eine Qualitätskontrolle, und dass ist unterm Strich sehr viel günstiger betriebswirtschaftlich, als wenn das hier ein Entwicklungs-Team macht. O-Ton: Trusted Cloud - Pechardscheck Es gibt auch den Begriff Business "Process as a Service", was bedeutet, den gesamten Geschäftsprozess in die Cloud zu verlagern, Sprecher: Stefan Pechardscheck, Leiter des Kompetenzzentrum Trusted Cloud des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. O-Ton: Trusted Cloud - Pechardscheck. Das heißt ich rede nicht mehr davon, bestimmte Rechnerkapazitäten oder Software aus der Cloud zu beziehen, sondern meine gesamte Lohn- und Gehaltsabrechnung beispielsweise von einem darauf spezialisierten Cloudanbieter erledigen zu lassen. Ich denke mal, dass durch die Skalierbarkeit, die Einsparung von Fachkräften etc. man sicherlich über Einsparpotentiale von dreißig bis fünfzig Prozent reden kann. O-Ton: Leihmeister Ein ganz bekanntes Beispiel ist die Community "Topcoder", auf der Programmierwettbewerbe eingesetzt werden für Firmenzwecke. Sprecher: Marco Leihmeister , Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Kassel. O-Ton: Leihmeister Immer mehr IT-Firmen aus dem deutschen Umfeld bekommen den Druck aus ihren amerikanischen Headquarters, wo diese Sachen schon teilweise umgesetzt werden, und das schwappt jetzt nach Deutschland über. Was wir sagen können ist, dass wesentlich mehr geht, also wir noch vor zwei, drei Jahren angenommen haben. Was wir allerdings aus der Forschung wissen, dass es vielen Kollegen schon gelungen ist, vermeintlich nicht zerlegbare Aufgaben, wie zum Beispiel das Übersetzen von Patenttexten, so intelligent in kleine Pakete zu zerlegen, dass nichtqualifizierte Menschen in der Lage waren, hochwertige Übersetzungen von solchen Texten zu machen. Sprecher: Cloud Computing ist eine hochmoderne IT Technologie - und erinnert an Prinzipien aus dem späten 19.Jahrhundert. Anfang des 20.Jahrhunderts veröffentlichte der Ingenieur Frederick W. Taylor seine Studien zum wissenschaftlichen Management. Dabei entwickelte der US-Amerikaner eine Fabrikorganisation, die bald als Taylorismus bekannt werden sollten: Die Arbeit wird genau kontrolliert und in kleinste Schritte aufgeteilt, die immer effektiver und kostengünstiger erledigt werden sollen. Am Ende steht das Fließband. Diese kleinteilige, kostengünstige Fließbandarbeit taucht auch bei den Cloudworkern von heute wieder auf. O-Ton: Wedde Man kann durchaus drüber nachdenken, ob es nicht ein tayloristisches Modell in der digitalen Welt ist, mit der wir es zu tun haben. Und es funktioniert ja sehr gut, weil die Vernetzung sehr umfassend ist und natürlich auch die Kontrolle sehr umfassend möglich ist. Arbeitgebern ist es möglich jederzeit die Arbeitserbringung genau zu kontrollieren, wenn dann auch von den Menschen verlangt wird, die Arbeitsergebnisse nicht mehr auf dem heimischen Rechner, sondern auf einem zentralen Server des Unternehmens, wo man jederzeit sehen kann, wie sind die Fortschritte, wo man jederzeit auch andere Leute mit dransetzen kann. Dann wird das für die Auftraggeber sehr gut, man kann jederzeit tayloristische Prinzipien etablieren. Sprecher: Für die Cloudwerker gelten keine einheitlichen Tarifverträge. Die weltweit Beschäftigten müssen im Land des Firmensitzes ihre Rechte einklagen. O-Ton: Wedde: Man muss ganz denn ganz ehrlich sagen, wenn denn der Cloudworker so kommt, als Mensch, der völlig frei im Netz seine Dienste anbietet, dann wird man auch feststellen müssen, dass er völlig rechtlos ist. Man müsste eigentlich für Cloudworker Mindeststandards haben. Das fängt natürlich, das ist die Traumvorstellung von Gewerkschaften, bei bestimmten einheitlichen Mindestlöhnen an. Darüber hinaus ist es eine Frage des Arbeitsschutzes, wo bestimmte Mindeststandards gesichert werden müssten. Arbeitszeit, bestimmte Höchstarbeitszeitgrenzen, die man umsetzen kann. Kündigungsschutz ist ein weiterer wichtiger Punkt. Und darüber hinaus weitere wichtige Aspekte wie Urlaubsanspruch, Entgeldfortzahlung im Krankheitsfall. Das kann man eigentlich nur über Geld machen, dass man Auftraggebern von Cloudworkern verpflichtet in einen Solidartopf einzuzahlen, aus dem dann Zahlungen kommen Atmo: 99 Designs- Telefongespräch, englisch Sprecher: Das Unternehmen 99 Designs gehört zu den vielen jungen, trendbewussten Internetfirmen, die in Kreuzberger Gewerbehöfen, direkt an der Spree siedeln. In einem weißen Altbau Raum sitzen sieben junge Frauen um einen riesigen Schreibtisch vor ihren Computerbildschirmen. Geschäftsführerin des Unternehmen ist Eva Missling. O-Ton: 99 Designs Chefin - Missling Wir sind ja ein Design, Crowdsourcing Marktplatz. Das bedeutet, das wir eine große Crowd an Grafikdesignern haben. Derzeit sind 190 000 Designer registriert, die kommen eigentlich überall aus in der Welt. Natürlich gibt's da Schwerpunkte in Europa, in den USA, wo auch viele Kunden sind, aber am Ende sind aus 190 Ländern Designer dabei. Atmo: 99 Designs Promo Video Herzlich Willkommen bei 99 Designs der Nummer 1 für Grafikdesign Wettbewerbe! Neuer Entwurf für Logo, Website oder Print Design fällig! Mit 99 Designs arbeiten Dutzende Designer an ihrem Projekt! Und nicht nur einer! Sprecher: Das Unternehmen arbeitet in drei Zeitzonen rund um die Uhr, Büros befinden sich in Berlin, Melbourne, San Francisco und Paris. Atmo: 99 Designs- Telefongespräch, spanisch Sprecher: Rund um den Globus können die Kunden hier grafische Aufträge erteilen, beispielsweise das Design von Logos, Schriftzügen und Websites. Rund 180.000 Designwettbewerbe hat die Firma in den letzten fünf Jahren ausgeschrieben. Bei jeder Auftragsauschreibung stehen Designer im Wettbewerb um den Job, erklärt Eva Missling: O-Ton: 99 Designs Chefin - Missling Beim Wettbewerb funktioniert es so, dass derjenige, der vom Auftraggeber dann als Gewinner gewählt wird, der erhält das Preisgeld und auch der hat nur einen neuen Kunden gewonnen. Die anderen gehen leer aus. Sprecherin: Neben dieser Konkurrenz mit nur einem Gewinner, gibt es auch noch Wettbewerbe, die auch den Nicht-Gewinnern ein Honorar zahlen Die Arbeitsweise der Firma basiert auf Cloudcomputing, dabei zählt vor allem die weltweite Schnelligkeit, wenn die großen Datenmengen der Designs hochgeladen werden. In Berlin arbeitet Dagmar Lange für 99 Designs. O-Ton: Lange / Designerin: Ich arbeite einfach sehr gerne alleine, und ich bin nicht so gerne in Großraumbüros. Und dafür nehme ich dann auch gerne weniger Geld in Kauf, aber habe diese Freiheiten, die mir wichtig sind. Sprecher: Eine dreijährige Ausbildung hat sie hinter sich, seit 1998 arbeitet sie in ihrem Beruf, für 99 Designs seit rund drei Jahren. O-Ton: Lange / Designerin: Diese Unabhängigkeit ist, glaub ich, der Hauptpunkt, weswegen ich mich dafür entschieden habe hauptsächlich über diese Plattform zu arbeiten, und dann auch mit dieser Wettbewerbsituation zurechtzukommen und dann eben auch zu akzeptieren, dass man mal nicht gewinnt - oder öfters auch mal nicht gewinnt. O-Ton: Managerin Missling Wenn man gerade diese Freiheit schätzt, dass man beispielsweise ein Kind hat, oder Reisen möchte oder von einem anderen Ort arbeiten möchte, sind das natürlich schon Super Freiheitsgrade. Atmo: 99 Designs Promo Video In nur sieben Tagen stehen Ihnen Dutzende von individuellen Designs zur Auswahl! Zu einem Bruchteil des Preises! 99 Designs ist schnell, erschwinglich und bietet Ihnen eine viel größere Auswahl. O-Ton: Lange / Designerin: Manche haben auch nicht so viel eigene Ideen und bauen dann die Ideen der anderen aus. Und das ist halt immer das Problem bei den offenen Wettbewerben. O-Ton: Missling Wir haben jetzt mal gerade zurückgeguckt und haben gesehen, dass in den letzten hundert Tagen, von den Designern, die in Deutschland teilgenommen haben, haben ungefähr zehn Prozent einen Wettbewerb gewonnen. O-Ton: Lange / Designerin: Man kennt das ja aus dem Arbeitsleben, dass, das so funktioniert: Der Bessere gewinnt! Und da ist es ganz direkt auf dieser Ebene. Ich persönlich, hab da kein Problem mit. Ich hab da eher ein Problem mit, wenn das dann ungerecht behandelt wird, also, wenn der Auftraggeber nicht in der Lage ist, zwischen Kopien und Original zu unterscheiden, dann wird das etwas schwierig. Sprecher: Zum Kundenkreis zählt auch die Berliner Unternehmerin Martina Neef, die seit vier Jahren mit 99 Designs zusammenarbeitet O-Ton: Neef / Kundin: Für mich ist der Vorteil, dass ich mehr Möglichkeiten erhalte zur Auswahl. Und dadurch, dass die Designer nicht in einem Raum sind, sind die Arbeiten sehr, unterschiedlich. Das ist wirklich ein sehr tolles Erlebnis. Ja, ich finde, es geht erheblich schneller, man hat eine Woche, vom Briefing bis zum fertigen Design. Das ist natürlich viel günstiger wie eine Agentur, weil natürlich eine Agentur einen ganz anderen Kostenapparat hat. Ich würd sagen, es ist etwa die Hälfte bis zu einem Drittel eines Designers hier. O-Ton: Lange / Designerin Im Schnitt verdiene ich ungefähr anderthalb bis 2000 Euro mit den Aufträgen. Und davon kann man einigermaßen leben. Man muss halt damit leben können, dass man manchmal auch umsonst Entwürfe anbietet. Sprecher: Dagmar Lange ist bei 99 Designs unter dem Decknamen "Virtual Lies", virtuelle Lügen, registriert. Sie hat an 1704 Projekten teilgenommen und dabei 105 Gewinner- Entwürfe geliefert. O-Ton: Lange / Designerin Es sind circa fünfhundert Euro weniger im Monat, die man verdient. Aber, das ist die Sache auf jeden Fall wert. Ich bin halt eher so ein Einzelgänger und deswegen ist es für mich doch ganz gut. O-Ton: Wedde Ich glaube, da steht eine weitere kleine Revolution auf dem Arbeitsmarkt bevor. Atmo: IBM Video (Fanfare): There is a really interesting Story from the UK about an Problem that had perplexed an entire industry for Centuries. Sprecher: IBM hat das Programm Liquid, das per Cloud Computing weltweit Jobs auch an freie Mitarbeiter auslagern will, bei Facebook mit einer kleinen Animation beworben. Dort wird diese Maßnahme mit der Entdeckung von John Harrison verglichen. IBM stellt den individuellen Cloudworker von heute in die Tradition eines einsamen Erfinders. Im Jahre 1741 schrieb das englische Parlament eine Prämie zur Lösung eines Problems aus: Wie lässt sich die Position von Schiffen genau feststellen? Der Uhrmacher John Harrison fand die Lösung. Was IBM nicht sagt: Fast 33 Jahre kämpfte er um sein Honorar. Harrison erhielt die volle Prämie erst im Alter von 80 Jahren, drei Jahre vor seinem Tod. Sprecher/in vom Dienst: Die Wolkenarbeiter. Über die nächste Revolution in der Arbeitswelt. Ein Feature von Peter Kessen Es sprachen: Bettina Kurt und Thomas Holländer Ton: Ralf Perz Regie: Roswita Graf Redaktion: Martin Hartwig Deutschlandradio 2013 1