Deutschlandfunk Hörspiel/Hintergrund Kultur Redaktion: Marcus Heumann SD.: 09.11.2009, 22.05 Uhr Wiederholung: 03.10.2014, 11.05 Uhr "Wo sind wir bloß hingekommen?" Die letzten Monate der DDR-Staatssicherheit im Originalton. Feature von Elke Kimmel und Marcus Heumann URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Sprecherin: Kerstin Fischer Regie: Marcus Heumann O-Ton Stasimitarbeiter in Hoyerswerda: Ich sitz hier völlig deprimiert hinterm Schreibtisch, von Feinden umgeben. Ach hört doch uff, ihr alten Schweine, hey. Schnitt." Sprecher: "Wo sind wir bloß hingekommen?" Die letzten Monate der DDR-Staatssicherheit im Originalton. O-Ton Diensthabender: "Hallo, Hallo?" Leitungsgeräusch Sprecher: Ein Feature von Elke Kimmel und Marcus Heumann O-Ton Stasimitarbeiter aus Hoyerswerda: Aus dem Ministerium für Staatssicherheit, Kreisdienststelle Hoyerswerda. Wir sind hier versammelt zu fünft, halten noch lange durch, und vernichten gerade das Archiv des Todes. Sprecherin: Noch bis Mitte Januar 1990 hofften die Mitarbeiter des DDR-Überwachungsapparates darauf, zumindest Teile des ehemals allmächtigen Ministeriums für Staatssicherheit in die neue Zeit hinüber retten zu können. Gedeckt von der letzten Modrow-Regierung sammelte die Zentrale in Berlin noch bis Dezember 1989 Informationen - auch wenn diese immer spärlicher flossen. Denn zu dieser Zeit wurden die MfS-Bezirks- und Kreisdienstellen bereits nahezu vollständig von oppositionellen Bürgerkomitees kontrolliert, die die ersatzlose Auflösung des einstigen Mielke-Ministeriums verlangten. Währenddessen waren die Mitarbeiter der erodierenden Staatssicherheit zunehmend damit beschäftigt, die eigene Haut zu retten. Besonders plastisch wird dies in Tonaufnahmen aus den Archiven der Stasi dokumentiert. Diese Dokumente lagern heute in der Zentrale der Birthler-Behörde in Berlin-Lichtenberg. Silvia Oberhack: Anfang der 90er Jahre wurden in den so genannten ersten Bündelaktionen, d. h. also nach der Besetzung wurden ja in den einzelnen Diensträumen Bündel erstellt von den Archivaren - also alles Material, was gefunden wurde, wurde zusammengeschnürt und erst mal auf nen Haufen gelegt, damit man weiß, wo kommt´s her, in welchem Zimmer war das, zu welcher Diensteinheit gehörte das Zimmer... Sprecherin: Silvia Oberhack ist in der Birthler-Behörde für die Erschließung und Sicherung von speziellen Informationsträgern zuständig. Das sind Videos, Fotografien und alle Arten von Tonaufzeichnungen. Silvia Oberhack: Die Provenienzen, also die Herkunft dieser Medien, wurde von dem Schriftgut mit übernommen, aber wenn so Tonbänder im Dienstzimmer herum gelegen haben, können wir zwar sagen, das gehört jetzt beispielsweise zur Hauptabteilung VIII - aber warum es da lag, der gesamte Kontext zu diesem Tonträger, der ist in aller Regel nicht mit überliefert. O-Ton Zeitansage: 15 Uhr 02. Diensthabender: Ja, Dost. Offizier vom Dienst: Ja, der OvD, Hauptmann Fritsche noch mal. Jetzt muss ich noch mal von nem Anruf berichten, einer männlichen Person, die sich als (Name anonymisiert) aus Leipzig vorstellt. Weitere Angaben wollte er nicht machen. Und er wollte wissen, was wir wieder für Dummheiten in Leipzig und in Ost-Berlin machen. Und dass da laufend die Bürger geschlagen und abgeführt werden. Auf die Frage, wo er diese Information her hat, sagt er, das erlebt man doch selber da. Und er ist der Meinung, dass wir unsere Politik ändern müssten und das sollen wir der Partei sagen. Und die soll auch mit ihrer Hetzerei gegen Ungarn aufhören: "Sagen Sie das der SED oder müssen Sie auch das ausführen, was Sie sagen?" So, naja gut, dann habe ich das Gespräch beendet. Sprecherin: Ein Anruf im ZOS - Zentralen Operativstab des MfS - in Berlin-Lichtenberg vom 12. September 1989. Zu dieser Zeit verlassen Tausende von Menschen die DDR über Ungarn, die CSSR und Polen. O-Ton Zeitansage: 23 Uhr 07. Anrufer: So, dann haben wir auch eine Festnahme eines DDR-Bürgers, der war schon in die Volksrepublik Polen gelangt und wurde auf polnischem Gebiet festgenommen. Hat das Ziel gehabt, dort in Warschau die BRD-Vertretung aufzusuchen, wa, aber dazu ist es nicht gekommen, aber das war seine Zielstellung, um in die BRD zu gelangen. Wollt ihr das haben oder reicht das auch an die ZKG? Diensthabender ZOS: Das ist auch ZKG. Die machen das denn. Sprecherin: Das Kürzel ZKG steht für Zentrale Koordinierungsgruppe, jene Abteilung des MfS, die bei Fluchtversuchen von DDR-Bürgern eingeschaltet wurde. Anrufer: So und Zivilbeschäftigte haben wir heute schon, NVA, die auch nicht von Ungarn usw. zurückkommen, macht alles ZKG? Diensthabender ZOS: Das macht alles ZKG. Anrufer: Das braucht ihr nicht? Diensthabender ZOS: Ist klar. Sprecherin: Gleichzeitig formiert sich die Opposition im Land, wenn auch noch im Verborgenen. Im Ministerium treffen beunruhigende Informationen aus den Kreisen und Bezirken ein. Mitschnitte des ZOS vom September 1989: O-Ton-Collage: Bei euch sollen heute in Gera nen Betrieb für Zulieferung für´n VEB Carl-Zeiss Jena Zettel aufgefunden worden sein? - Ja, ja. Inhalt: Es lebe Ungarn. Der zweite Zettel: Wann können wir endlich frei über unsere Zukunft entscheiden? --- Ich hatte 12 Uhr 36 nen Anruf ner männlichen Person, die in unserer S-Bahn in Berlin Hetzlosungen festgestellt hat. Der Text: Weg mit den Kommunisten. Freiheit für alle Menschen. Wir kriegen euch alle. Scheiß-Kommunisten. Freie Wahlen. --- Rowdytum und Schmiererei - Automobilwerke Zwickau. "Neues Forum" mit Kreide an die Wand geschmiert. --- 27.9.,14 Uhr 51: Über Notruf 110 aufgelaufen. Anrufer weiblich. Text: Am 7. Oktober wird die Mauer gesprengt. - Hm. O-Ton Zeitansage: 18 Uhr 10. Diensthabender: Du hast doch mir den 40-Mark-Schein rübergeschickt. Kannst du mir zufällig sagen, was da draufsteht? Informant: Das ist ein ... na ja .. so´n Computerdruck. Und der ist rot gestaltet, so ungefähr wie ein 50-Mark-Schein, nur ist .. statt Engels ist da ein Stalin-Bildnis drauf und dann sind da im Text sind da drinne hier: Für diesen Schein kriegen Sie nichts, aber für den echten auch nichts. Und dann sind da noch solche grafischen Darstellungen wie zum Beispiel Industrieanlage und daneben absterbender Wald. So und dann Banknotennummer, da steht denn bloß druff die Nummer 49 - 53 - 61 - 89, da musste ich selbst mal stutzen, was das war .... O-Ton Anrufer: Wir haben bei einem DDR-Ehepaar fünf dieser 40-Mark-Scheine festgestellt. Diese Hetzgeldscheine im Zusammenhang mit unserem 40. Jahrestag, Hetze gegen die DDR. Das DDR-Ehepaar wollte ausreisen über den Flughafen Schönefeld nach Budapest mit ordnungsgemäßen Grenzübertrittsdokumenten. Und hatte dann auch noch zwei - sieht aus wie selbst gefertigte - Hetzzettel, die sich hetzerisch gegen Äußerungen des Genossen Honeckers wenden, bei sich. Er sagt, er hätte die Unterlagen heute in der S-Bahn gefunden. In Abstimmung mit der IX Übergabe an die VP. O-Ton-Collage Hettstedt, Jugendclubhaus Willy Kaiser: Verlesung einer Resolution zur Bildung einer Vereinigung Neues Forum im Rahmen eines Kabarettprogrammes. --- Ca. 150 Personen von dieser sogenannten Neuen Forum im Waldstück, Nähe der F-Straße 150. Mehr weiß ich dazu nicht. Musik O-Ton Erich Honecker: Ich bitte Sie, mit mir das Glas zu erheben und zu trinken auf den 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik. Sprecherin: Waren es zuvor Hunderte gewesen, die ihren Unmut öffentlich bekundet hatten, so gehen zum 40. Jahrestag der DDR Tausende auf die Straße. In Berlin, Leipzig, Dresden und anderen Städten und Gemeinden der DDR reagiert die Staatsmacht mit Gewalt. Nach den Unruhen in Ost-Berlin am 7. Oktober erkundigen sich besorgte Angehörige im Büro der Leitung nach dem Verbleib von Vermissten. Silvia Oberhack: Das Büro der Leitung war direkt beim Minister für Staatssicherheit angesiedelt, ebenso wie die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe... Das Büro der Leitung, also das heißt der Offizier vom Dienst, die waren zuständig die Anrufer von extern entgegen zu nehmen, also Bürgerbeschwerden oder manchmal haben auch Betriebe angerufen, die da irgendwelche Fragen hatten, oder Hilfestellungen oder Kontakt gesucht haben. O-Ton Zeitansage: 12 Uhr 07. Vermittlung: Hier der OvD, Amtsvermittlung. Eine Teilnehmerin über die 55009991, stellt sich vor mit (Name anonymisiert) und sagt, ihr Sohn ist seit gestern Abend weg. Sprechen Sie mal bitte an, ja. Diensthabender: Teilnehmer? Teilnehmer? Anruferin: Hallo? Diensthabender: Ja, der Offizier vom Dienst. Anruferin: Ja, guten Tag, hier ist Frau (Name anonymisiert), mein Sohn ist seit gestern Abend um 10 weg. Der ist bis jetzt noch nicht zu Hause aufgetaucht. Was mach ich denn nun? Keiner sagt mir was. Sie sind überall ... alle Reviere ... keiner gibt uns .. jeder sagt keine Auskunft und ich weiß, dass mein Junge ein herzensguter Mensch ist. Der hat nichts gemacht. Aber ich muss doch ... Sie können doch nicht sagen, dass ich einfach nirgends rankomme. Ich bin so verzweifelt, glauben Sie mir das. Sind Sie überhaupt noch dran? Diensthabender: Na, freilich bin ich noch dran. Anruferin: Naja, das weiß man alles nicht. Diensthabender: Warum wissen Sie das nicht. Ich bin doch dran gegangen. Anruferin: Wissen Sie, wen ich nur wüsste, dass es ihm gut geht, und dass er irgendwo ist, aber ich weiß gar nichts. Das kann man doch nicht machen. Das kann man doch einfach nicht machen. Diensthabender: Das tut mir furchtbar Leid, äh, falls sich eben der (Name anonymisiert) unter den zugeführten Personen befindet, da wird geprüft, inwieweit eine strafrechtliche Verantwortlichkeit vorliegt und dann zu gegebener Zeit durch die zuständigen Organe eine Information erfolgen. Anruferin: Zu gegebener Zeit. Und da ist ... Diensthabender: Sie wissen ja auch, ja, dass das nicht innerhalb von vier Stunden manchmal möglich ist. Anruferin: Nee, das sind ja 16 Stunden jetzt. Diensthabender: Na, da müssen Sie sich schon mal 24 Stunden gedulden. In der Zeit werden Sie Bescheid erhalten. Anruferin: Also, sehen Sie, das ist doch nun wenigstens ne Antwort. Also 24 Stunden muss ich mich gedulden. Gut, ich bedanke mich. Silvia Oberhack: Es sind schon wirklich auf den Punkt gebrachte Fragen, und auch sehr genau gestellte Fragen, die die Bürger dann vielleicht auch ermutigt haben, dann eben auch beim MfS anzurufen. Ich denk mal, der normale Bürger hat das auch nicht getan. Das waren dann doch auch Leute, die vielleicht auch aus der Not heraus, weil sie irgendwo möglicherweise sich vielleicht auch Hilfe erhofft haben... Dieses Nachfragen, wo ist jetzt zum Beispiel mein Mann geblieben, wo ist mein Sohn geblieben, als so´ne Verhaftungswelle da zu dem Jahrestag, zu dem 40., war ... ich mein, das ist schon auffällig. Das hat sicherlich häufiger zu dem Zeitpunkt stattgefunden, als ein Jahr zuvor. Sprecherin: In Dresden hatten am 3. Oktober hunderte Ausreisewillige versucht, den Hauptbahnhof zu stürmen, um auf die durchfahrenden Züge mit Prager Botschaftsflüchtlingen aufzuspringen. Es kommt zu regelrechten Straßenschlachten mit der Volkspolizei. Drei so genannten "Randalierern" wird 10 Tage darauf der Prozess gemacht - die Stasi schneidet mit und dokumentiert auch auf diese Weise die gewachsene Zivilcourage der Bürger. O-Ton: Angeklagter: Ich stehe zu meiner Tat, die ich gemacht habe, voll und ganz ein. Ich wollte den Zug erreichen, das gebe ich unumwunden zu, und ich will auch weiter mein Ziel erreichen, ich will weiterhin auch in die BRD. Ich habe die Tür zerstört, gut, dafür steh ich ein. Ich habe die Losung gerufen, dafür steh ich auch ein. Sie können mich jetzt bestrafen, aber ich bleibe bei meinem Ziel: Ich will in die BRD, ganz klipp und klar. Musik O-Ton Egon Krenz: Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten, werden wir vor allem die politische und ideologische Offensive wieder erlangen. Sprecherin: Am 18. Oktober folgt Egon Krenz Erich Honecker als Generalsekretär der SED. Doch die von ihm proklamierte Wende kann die explosive Stimmung im Lande nicht mehr besänftigen. Wenn auch teilweise noch unter dem schützendem Dach der Kirche, rühren die mündig gewordenen Bürger an historische Tabus. Bericht eines inoffiziellen Mitarbeiters: O-Ton: Erste Information über die Gründung des Neuen Forums in der Kirche Sankt Petri in Thale am 31.10., 19 Uhr 30. Zuerst ergriff das Mitglied des Gemeindekirchenrates (Name anonymisiert) das Wort. Er stellte die Forderung auf, die führende Rolle der SED abzuschaffen, die Kampfgruften. Kampfgruppen abzuschaffen und brachte unter riesigem Beifall zum Ausdruck, dass gestern Abend eine Sendereihe des DDR-Fernsehens zu Ende ging - alle wussten, was gemeint war. Sprecherin: Gemeint ist Karl-Eduard von Schnitzlers "Schwarzer Kanal", der am Vorabend zum letzten Mal ausgestrahlt worden war. O-Ton: Dann sprach ein Bürger (Name anonymisiert). Dieser Bürger ist um die 60, etwa 1 Meter 60 groß, und schilderte seine persönlichen Ereignisse am 17. Juni 1953. Und verglich diese mit der Gegenwart. Er forderte unter anderem Abschaffung des MfS und Abschaffung der Wahlen, so wie sie bei uns praktiziert. Auch dieser Bürger erntete frenetischen Beifall. Zum Abschluss der kurzen Diskussion forderte - Name anonymisiert - noch mal die Versammelten auf, keine Gewalt anzuwenden, keinen Hass zu entwickeln, auch jetzt bei der Demonstration. O-Ton Offizier: So, Genossinnen und Genossen - mit "Grüß Gott" werd ich euch nicht begrüßen, ich denke, das werden wir wohl nie tun, und entschuldigen, dass ich Angehöriger der Sicherheitsorgane bin, werde ich mich auch nicht. Wir leben in ner komplizierten Situation, es gibt viele Fragen, wir haben unsere klare strategische Linie: Wir verteidigen den Sozialismus - mit allen Mitteln. Sprecherin: Rotlicht-Bestrahlung bei einer Polit-Schulung im Bezirk Cottbus, Anfang November 1989. Der Schulungsoffizier bringt die anwesenden Mitarbeiter des MfS auf "Linie" und die ist ganz die alte, gleich ob es um die Wahlfälschungen vom 7. Mai oder die Übergriffe auf friedliche Demonstranten geht. O-Ton Offizier: Es war ja so, dass in den ganzen Wahllokalen nun Beobachter der Kirche erschienen zur Auszählung der Stimmen, ne. Und die haben dann behauptet, es gebe also hier Unstimmigkeiten, Widersprüche. Fünf Mann sagen dann: Wir sind in diesem Wahllokal drin gewesen und wir haben mit "Nein" gestimmt und trotzdem ist hier - als Beispiel bloß mal - hier 100 Prozent gewählt worden, ne. Ja, ich weiß es jetzt nicht: Es ist ja auch möglich, dass diese fünf Mann mit "Ja" gestimmt haben, in die Kabine gegangen sind, mit "Ja" gestimmt haben, um anschließend zu behaupten: Wir haben mit "Nein" gestimmt. Auch an diese Möglichkeit muss man ja denken. Denn, wenn aus diesen Kreisen, aus diesen negativen Kreisen solche Behauptungen also aufgestellt werden, solche Schauermärchen verbreitet werden, ne, wie sie jetzt verbreitet worden sind, dann muss man denen auch das zutrauen, nich. Ich erinnere bloß an dieses Schauermärchen von der Frau, die da angeblich ausgezogen wurde und auf die Geschlechtsteile geschlagen, ne. Das hat man ja sehr schnell wieder zurückgenommen, ne. (...) Also Genossen, wir können sicher sein, dass diese ganzen Untersuchungen, die stattfinden, dass die doch nicht von irgendwelchen neutralen oder gar gegnerisch eingestellten Untersuchungsführenden geführt werden. Das wird doch von unseren Genossen durchgeführt. Und da wird alles getan, um eben auch nachzuweisen, wie viel Lügen hier verbreitet werden, wie hier provoziert wurde. Wenn auch nach außen hin das Ganze so aussieht, als ob unser Staatsanwalt vollkommen neutral wär und sogar noch annimmt anonyme Gedächtnisprotokolle. Das hat doch auch zu tun mit taktischen Überlegungen. Das geht doch nicht darum, dass wir vor diesen Schweinehunden zu Kreuze kriechen. Es geht doch darum, dass wir verhindern, dass die mit ihren Schauermärchen unsere Volksmassen erreichen, ne. Und Genossen, ich kann ehrlich gesagt, durchaus Genossen verstehen - das ist meine persönliche Meinung - die von diesen Schweinehunden, die uns anspucken, die "Kommunistenschwein" rufen usw. - wenn dann einem Genossen die Nerven durchgehen und der haut dem ein paar über, obwohl es nun nicht in der Dienstvorschrift so drinsteht, da kann ich das gefühlsmäßig verstehen. Ne, und wahrscheinlich Klaus, hätten wir auch zugehaun, weil wir ja auch nicht sozusagen die Zahmsten sind und ein bisserl cholerisch auch veranlagt. Musik O-Ton Heym: Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stagnation, der geistigen, wirtschaftlichen und politischen. Den Jahren von Dumpfheit und Mief. O-Ton Zeitansage: 8 Uhr 56. Diensthabender: Zitlow, ich grüße dich. Informant: 8 Uhr 49, anonymer Anruf, männliche Person über die Vermittlung. Text: Staatssicherheit - Staatsgefängnis. Ihr Hunde kommt raus, heute Morgen zur Demonstration. Wir machen euch alle, ihr blöden Hunde, ihr. Da war er weg - Rückverfolgung, SWFV. Sprecherin: Am 4. November demonstrieren rund eine halbe Million Menschen auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz - legal, aber nicht staatlich organisiert. Die Staatsführung verweigert Wolf Biermann, der sein Kommen am 24. Oktober im Deutschlandfunk angekündigt hatte, die Einreise. Der Politiker Christian Ströbele von der Alternativen Liste hingegen darf nach Ost-Berlin einreisen, wird aber observiert. O-Ton: So, folgendes: im Bereich der Spitze des Demonstrationszuges Palasthotel, Spandauer Straße wird eine Kabeltrommel von Demonstranten mitgeführt mit der Aufschrift "Volkswalze" und "Das Rad der Geschichte kann man nicht zurückdrehen". So, des Weiteren haben wir noch Informationen von unserer VI, von dem Anfall Biermann am Bahnhof Friedrichstraße. Der ist 9 Uhr 13 fahndungsmäßig angefallen. Biermann und Hirsch wollten zum Tagesaufenthalt einreisen, der ist 9 Uhr 25 zurückgetreten mit den Worten: "Wir kommen wieder. Möglicherweise ändert sich noch was". Und sind dann zur Güst Heinrich-Heine-Straße und dort ist von der anderen Seite ... steht von der anderen Seite drinne an der Güst die Bärbel Bohley, die den abholen wollte. O-Ton Zeitansage: 10 Uhr 05. Diensthabender: Ja bitte, Baumann. Informant: Ja, Bolt. 10 Uhr 08 wurde am Amtssitz des Staatsrates ein Plakat angeklebt mit Aufschrift: 130.000 Stasiknechte haben keine Sonderrechte. O-Ton: Zeitansage: 10 Uhr 30. Informant: Und dann hatten wir noch ne Einreise gehabt. Der Ströbele, Mitglied Vorstand AL in West-Berlin-West. Ströbele, Hans-Christian, Einreise war 9 Uhr 50, Bahnhof Friedrichstraße mit Beobachtung. Diensthabender: Ja. O-Ton: Zeitansage: 17 Uhr 22. Informant: Du, der OvD von Nachrichten MfS hat mich gerade informiert, dass um 17 Uhr einer seiner lieben Mitarbeiter in der Gaststätte Hopfenstube auf der Karl-Marx-Allee, das ist neben dem Kino Kosmos, ein Gespräch zwischen Wirt und Gästen mitbekommen hat, dass eine Gruppe Jugendlicher zum Staatsratsgebäude will, um dort Fensterscheiben einzuwerfen. O-Ton: Die Stimmung im Demonstrationszug war gelöst, locker, fast volksfestartig. Einfallsreiche oder besonders originelle Plakate wurden mit spontanem Beifall begrüßt. Insbesondere ein Plakat, das Egon Krenz in der Rolle der Großmutter aus "Rotkäppchen und der Wolf" zeigte mit der bekannten Zeile: Großmutter, warum hast du so große Zähne? erhielt stehende Ovationen. Man äußerte frei seine Meinung durch Beifall oder Pfiffe, worunter insbesondere Schabowski sehr zu leiden hatte. Sprecherin: Aus dem Bericht eines IM über die Großdemonstration am 4. November. Doch nicht nur in Ost-Berlin - landauf, landab gehen Tausende von Menschen auf die Straße, so auch in Magdeburg. O-Ton Diensthabender: Ist es zur Demonstration gekommen? 1. Informant: Ja, klar, die sind noch dabei. Und da ist zur Zeit am Alten Markt bei uns eine Kundgebung, die vom Oberbürgermeister und vom Leiter des VPKA dabei sind und die die Fragen jetzt beantworten unter anderen sind vom Neuen Forum da auch noch, aber Veranstalter ist sozusagen der Oberbürgermeister. So, da waren 18.000 hatten sich versammelt .... Augenblick mal .. 2. Informant: Hallo? Diensthabender: Ja. 2. Informant: Damit da kein falsches Bild rauskommt: Die 18.000 sind nicht zum Oberbürgermeister gegangen. ja die sind hier vorher ... haben sich versammelt in und um den Dom - passen ja nicht alle rein - Diensthabender: Ja. Ja. 2. Informant: So und da wurde ein Gebet abgehalten und dann haben sie sich formiert und sind zum Alten Markt gezogen. Und da machen die die Kundgebung. Diensthabender: Gut, Danke. Und sonst gibts nichts Wesentliches im Bezirk, was? 2. Informant: Na ja, in Stendal war ne Veranstaltung, da waren so etwa 3.000 Leute, die da auch durch die Stadt gezogen sind. Diensthabender: Nicht genehmigt? 2. Informant: Nein. Das war ne genehmigte. Da hatten sie dann unter anderem so´ne Dinge hier: Reisefreiheit. Freie Wahlen noch in diesem Jahr. Auflösung der Stasi - mit starkem Beifall begleitet. Egon Krenz muss gesagt werden, dass die Wende das Volk eingeleitet hat und nicht die Partei. Teilweise Ablehnung des Entwurfs des neuen Reisegesetzes und: Es müssen sich die politischen Parteien etablieren - erst dann Wahlen. O-Ton Informant: Ich kann dir nur mal summarische Sachen sagen. Wenn wir das noch im Einzelnen sagen wollen, dann werde ich bis Morgen früh nicht fertig und geschrieben habe ich noch keine Zeile. Wir haben fünf Fahnenfluchten, darunter ein Oberleutnant, Militärarzt von der Volksmarine, Fähnrich, Feldwebel, Unterfeldwebel, Unteroffizier, Soldat. Diensthabender: Über die grüne Grenze? Informant: Ne. Über die Botschaften natürlich. Diensthabender: Über die Botschaften? Informant: Oder auch. Was weiß ich. Diensthabender: Über die CSSR ...Und Ungarn? Informant: Natürlich. Also fünfe haben sich von drüben gemeldet. Diensthabender: Ja. Informant: Dann haben wir Zehne, wo der Verdacht ist, dass sie wahrscheinlich weg sind. Dann haben wir Zehne plus drei Kinder, Zivilbeschäftigte, wo der Verdacht ist, dass sie weg sind. Diensthabender: Ja. Informant: Und zwölf Zivilbeschäftigte, wo wir wissen, dass sie drüben sind. Diensthabender: Ja. Das werden noch mehr, ist klar - tschüss. Sprecherin: Eine Meldung an den Zentralen Operativstab vom 6. November. Diejenigen, die sich nicht auf die Wendeversprechen der SED verlassen, flüchten in immer größerer Zahl aus der DDR, darunter auch immer mehr Volksarmisten. Auch im Stasiapparat machen sich erste Auflösungserscheinungen bemerkbar; das Informationsnetz zeigt Löcher. 7. November 1989: O-Ton: Anrufer: Wenn jetzt ganz konkret was ist - du kannst ganz beruhigt sein - deine obersten Genossen werden vom General verständigt. Diensthabender: Na das ist ja .. und bei uns kommen dann die Anfragen an, das ist .. das begreift ja kein Mensch mehr. Anrufer: Ja, das begreift auch keiner. Weißte mir wird immer gesagt: Ist schon bekannt, wir haben das schon rüber gegeben an die Leitung des MfS und dann frage ich mich natürlich immer, wenn wir dazwischen klemmen, was der Quatsch soll. Diensthabender: Ja genau. Du weißt doch - ich steh doch genauso unter Druck wie du, weißte. Anrufer: Ja, bloß .. mich interessiert das nun ... mich haut das nicht vom Ast, weißte, weil ich immer an meinen Chef verweise. O-Ton: Zeitansage: 18 Uhr 06. Informant: Über Rias-TV ist ne Aufforderung gekommen, dass die Regierung der DDR zurückgetreten ist. Diensthabender: Ist soeben in unserem Fernsehen auch gekommen. Informant: Aha. Gut. Dann hat´s sich erledigt. Diensthabender: Gut. Tschüss Sprecherin: Mit der Regierung tritt auch der Chef des MfS, Erich Mielke, zurück. Bis zur offiziellen Einsetzung seines Nachfolgers Wolfgang Schwanitz, übernimmt Rudi Mittig kommissarisch die Leitung. Der Volkszorn wird dadurch nicht gemindert. Zunehmend richten sich Kritik und Wut der Demonstranten gegen Stasi, Staatsgrenze und alte SED-Kader. O-Ton: Informant: Von 20 Uhr 48 bis 21 Uhr 20, ja, eine nicht genehmigte Demonstration ca. 5.000 Teilnehmer vor Kreisdienststelle, sind da zügig vorbei gelaufen, also haben sich nicht groß aufgehalten. 250 bis 300 Kerzen auf die Objektmauer gestellt, dann Rufe: Stasi raus! Stasi in die Volkswirtschaft! Kommt raus! Wir verdienen euer Geld! Und sind dann zur Kreisleitung und dort ebenfalls ca. 300 Kerzen abgestellt. Diensthabender: Bad Langensalza? Informant: Bad Salzungen! Diensthabender: Ach, Bad Salzungen. Informant: Kreisstadt, ja. O-Ton: Zeitansage: 21 Uhr 42. Informant: BV Suhl noch mal, Menge. Diensthabender: Genosse Menge? Informant: Es gab da 20 Uhr 08 eine Information vom Bezirkskommando Grenztruppen. Und zwar hatten sich nach denen ihren Angaben 200 Personen vor der Grenzkompanie Veilsdorf zusammengefunden. Diensthabender: 200 Personen? Informant: Ja, pass auf. So, die riefen in Sprechchören: "Freiheit!" "Grenzgebiet weg!", "Schließt euch uns an!" So und 20 Uhr 30 hat sich das aufgelöst, nachdem durch den Politstellvertreter der Kompanie mit denen gesprochen wurde. O-Ton: Zeitansage: 18 Uhr 54. Informant: Transparent in Lichtenberg, Robert-Ury-Straße 5, oberhalb des Hauseinganges. Grünes Tuch, Größe 1,70 m mal 50 cm, weiße Druckbuchstaben. Text: "Rechtssicherheit statt Staatssicherheit". Die Volkspolizei wird jetzt zum Einsatz kommen und wird dann dementsprechend darauf dringen, dass das entfernt wird. Das Transparent muss irgendwie schon mal gehangen haben, aber nun gut, das ist ja unerheblich. Diensthabender: Auf alle Fälle haben wir solche Transparente in den letzten Tagen Hunderte gesehen. Informant: Na siehste. O-Ton: Zeitansage: 21 Uhr 42. Anrufer HVA: Groth, HVA, ja. Wir kriegen hier nen Bericht aus Halle, seid ihr da informiert? Diensthabender: Worum geht´s denn? Anrufer HVA: In Halle eskaliert die Lage nach Aussage unseres IM von Stunde zu Stunde. Die Bezirksleitung versucht die Dinge da zu unterdrücken, Proteste gegen die Wahl von Böhme ... Sprecherin: Hans-Joachim Böhme, Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle und langjähriges Politbüro-Mitglied, war von Krenz erneut in das oberste Gremium der SED berufen worden. O-Ton: Anrufer HVA: Ja, das ist ja ne Sache, die nach Einschätzung unseres IM also auch sofort der Parteiführung zur Kenntnis kommen müsste. Denn das eskaliert bis zu Hunderten von Parteiaustritten. Sprecher: Infolge der Proteste von Parteibasis und Hallenser Bevölkerung tritt Böhme einen Tag später wieder zurück. Es ist der 9. November 1989. Musik O-Ton Günter Schabowski: Also Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse beantragt werden. Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. ... Das tritt ... nach meiner Kenntnis ist das sofort. O-Ton: Zeitansage 0 Uhr 01. Sprecherin: Die Staatssicherheit wird von den Ereignissen am Abend des 9. November ebenso überrascht wie die SED-Führung. Die Konfusion im Ministerium ist einer der Gründe für die überstürzte Grenzöffnung. O-Ton Zeitansage: 21 Uhr 54. Informant: Wir haben hier mal ne Information aus den Westmedien. 21 Uhr 45 über Heute Journal und in den Nachrichten 100,6 über ne Ansammlung von bisher ca. 200 Personen auf West-Berliner Seite vorm Brandenburger Tor. Sprechchöre in Richtung: "Macht die Tore auf!" Fahrzeuge kommen hinzu und es wird damit gerechnet, laut Nachrichten, dass es noch mehr Personen werden. Habt ihr da schon was von der Hauptabteilung I dazu gekriegt? Diensthabender: Dazu nicht. Wir wissen bloß, dass die an der Güst stehen, also auf unserm Gebiet. Und da stehen ... also Ansammlungen sind. Informant: Ach da sind auch welche, ja? Diensthabender: Ja,ja, die wollen alle rüber. Und die tun laufend bei uns das Programm unterbrechen und machen das mit der Reiseregelung bekannt. Informant: Ach, die stehen auf unserer Seite auch? Diensthabender: Ja, ja, die stehen an allen Güsten stehen die schon. Zeitansage: 22 Uhr 53. 2. Informant: So, habt ihr das schon mitbekommen, dass jetzt die ersten DDR-Bürger rüber sind? Diensthabender: Ja. Die machen rüber. Zeitansage: 23 Uhr 34. 3. Informant: Habt ihr das von der Hauptstadt schon gekriegt? Analog ist es bei uns Drewitz, Staaken, Stolpe, ja. Die Entscheidung wird jetzt gefällt. Wir haben vom Genossen Oberst Ziegenhorn, Hauptabteilung VI, grünes Licht gekriegt auf PA-Abfertigung. Diensthabender: Ja. 3. Informant: Wir können´s auch nicht mehr halten. Diensthabender: Ja. Machen wir auch in Berlin. Gut. Tschüss. 3. Informant: Tschüss. O-Ton: Zeitansage: 3 Uhr 29. Anrufer: Genosse Irmler ruft mich jetzt gerade an. Er möchte darüber immer informiert werden, ob überhaupt Kenntnisse darüber bei euch vorliegen - auf welcher Grundlage DDR-Bürger ausreisen dürfen. Also, wie es jetzt hier gehandhabt wird. Diensthabender: Du, das sag ich dir: Keiner weiß hier, was hinten und vorne ist. So langsam habe ich die Schnauze voll, du. Anrufer: Schnauze halten, weiter dienen. Diensthabender: Ja, ach Mensch, hör doch auf Mensch. Anrufer: Bleib stark. Halt durch. Diensthabender: Mach´s gut. Diensthabender: Mach´s gut. O-Ton Zeitansage: 5 Uhr 22. Informant: Sag mal, willste mal die Situation an den Grenzen haben? Bornholmer Straße - Ausreise 3-400 pro Minute. Diensthabender: (lacht) Ach, jetzt wird schon nach Minuten gerechnet? Informant: Ja, so ungefähr. Diensthabender: 3-400 .. Informant: .. pro Minute. Diensthabender: Pro mi... Informant: Hm. Invalidenstraße, ca. 3.000 pro Stunde. So, Friedrich starker Verkehr... Ja, äh, hier Checkpoint. Starker Reiseverkehr, aber Zahlen können Sie da nicht geben. So Heinrich-Heine-Straße, sehr sehr starker Verkehr - in den letzten zwei Stunden ca. 14.000 Personen und 2.500 PKWs. Sprecherin: Die Tage nach dem Mauerfall stehen im Zeichen eines nahezu unbehinderten Grenzverkehrs zwischen Ost und West. Einzelne Vorfälle, prominente Einreisende und Zahlen werden notiert - mehr nicht. Die von der Hauptabteilung VI geführten Passkontrolleinheiten kapitulieren vor dem Ansturm auf die Grenzübergangsstellen - im Stasi- und Grenztruppenjargon "Güsten" genannt. Informant: Zur Zeit wird nicht gestempelt. Diensthabender: Ach, zur Zeit wieder nicht gestempelt. Informant: Ja, ne, das schaffen sie gar nicht. Und die Einreise ist normal. O-Ton: Zeitansage: 13 Uhr 13. Informant: Zur Lage am Brandenburger Tor: Es wird eingeschätzt, dass die Panzermauer voll ist, sich ca. 1.000 Personen dort befinden, auf DDR-Territorium ca. 200 Personen. Es wurden sieben Fernsehteams gezählt, darunter auch NSW. Zur Zeit relative Ruhe, es wird eine Abwartposition eingeschätzt. Vor Ort vorwiegend ältere Bürger bzw. Touristen, bisher keine negativen Reaktionen wie Sprechchöre etc. Westliche Seite mehr als 10.000 Personen, darunter Diepgen und Momper. Willy Brandt, vor ca. 20 Minuten gelandet, will sich zum Ort begeben. Das war´s. Diensthabender: Danke dir. Informant: Bitteschön. Diensthabender: Tschüss. O-Ton: Zeitansage: 14 Uhr .. Informant: Ich hab hier ne heiße Meldung für dich, mein Lieber. Diensthabender: Ne heiße? Informant: Ja. Diensthabender: Na denn. Informant: So es ist bekannt geworden, dass gegen 14 02 in 1171, Helmut-Just-Brücke, ne Gruppe Jugendlicher angekommen ist an der Hinterlandmauer. So, ca. 200 Personen haben das in der Hinterlandmauer befindliche Tor aufgedrückt und sind nach West-Berlin - geflüchtet, gelaufen, gegangen, gezogen - wer weiß, wie du´s nennen willst. So, ca. 2-300 befinden sich noch im Handlungsraum der Grenztruppen. Es wird versucht von den Grenztruppen, die Leute zurück zu zerr... aufs Territorium zurück zu schieben ... zu bringen. Diensthabender: Scheiße. O-Ton Zeitansage: 16 Uhr 26. Diensthabender: Ja bitte, Baumann? Informant HA I: Ja, guten Tag, hier ist die Hauptabteilung I, Kommando Grenztruppen, Major Lassmann. Wir haben in einer operativen Sache ne Frage: Ist euch bekannt, ob heute im Laufe des Tages im Rundfunk der DDR ne Meldung kam, dass ab heute eben diese Grenzgebiete nicht mehr existieren und vor allen Dingen, dass dieser Satz in der Meldung drin war, dass der grenzüberschreitende Verkehr ausschließlich über die Güsten zu erfolgen hat. Diensthabender: Also im Rundfunk habe ich auch nichts gehört. Ich kann jetzt mal sagen, was ich gehört hab - oder was ich gesehen hab im Fernsehen: Da hab ich eben auch bloß das gesehen, dass eben die Grenzgebiete wegfallen, dass die nicht mehr existieren. O-Ton Zeitansage: 15 Uhr 34. Informant: Nun ich tu euch mal verraten, warum das so schwierig ist, von der Westgrenze die Zahlen zu kriegen. Da setzen sich an einigen Güsten - an den neuen - einer aufs Fahrrad und radelt zur Kreisdienstelle und dann hat er nen Telefon. So sieht die Sachlage aus. Diensthabender: Ach, das gibts doch nicht. Informant: Doch, das gibt´s! Glaub´ mir das. Ich habs ja auch nicht geglaubt. Diensthabender: Das ist ja wie `45. Informant: Noch schlimmer. Diensthabender: Ach du Scheiße. O-Ton Zeitansage: 16 Uhr 35. Informant: Pass mal auf, ja. Wir haben doch gestern gemeldet Aktivitäten an der Staatsgrenze, Verletzung von DDR-Territorium Sicherungsabschnitt ehemalige Ortsverbindungsstraße Ifta, Kreis Eisenach, Wittmannshausen - BRD Werra-Meißnerkreis, ja? So, pass auf. Dazu haben wir ne Meldung bekommen: Es herrscht zur Zeit im Raum Ifta eine sehr gespannte Lage. Diensthabender: Ja. Informant: Diese gespannte Lage geht bis zur Mordandrohung gegenüber der Volkspolizei. Die Kräfte des Zusammenwirkens haben beraten und entschieden, dort am 18.11. 6:00 Uhr eine GüSt zu eröffnen für Fußgänger, eventuell auch für PKWs. Es ist aber fraglich, ob die dort befindlichen Personen mit dieser Entscheidung einverstanden sind, hörst du, dass das Ding erst Morgen eröffnet wird. Sollte die gespannte Lage weiterhin bestehen, wird dort heute noch ein Übergang geöffnet. Diensthabender: Ja. Informant: Junge, die ... die treiben uns, was? Diensthabender: Es ist unmöglich. Unmöglich. Informant: Die treiben uns ... also, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Glaubst das du? Diensthabender: Das ist unmöglich. Die sind zu faul, drei Kilometer zu fahren, oder was? Informant: Ja. Aber das siehst du doch. Der Mob auf der Straße hat das Recht. Und wir haben das Maul zu halten und still zu halten. Das ist ja das Schlimme, weißt du das? Himmel, Arsch und Zwirn - Mensch, wo sind wir bloß gelandet, du. Diensthabender: Junge, Junge, Junge. Informant: So man wird die Verantwortlichen mal zur Kasse bitten. Die haben uns total fertig gemacht, du. Was? Diensthabender: Die machen uns weiterhin fertig. Informant: Na, das geht doch weiter, was denkst denn du. Das geht ja ganz gezielt gegen uns vor hier. Mensch, hör doch auf, du. Musik O-Ton Erich Mielke : Wir haben, Genossen, liebe Abgeordnete, einen außerordentlich hohen Kontakt mit allen werktätigen Menschen. Wir haben hervorragende Informationen geliefert, die die Entwicklung jetzt so weit brachten, wie wir sie heute haben, Genossen. Ich liebe doch alle .. alle Menschen. Ich liebe doch ... ich setze mich doch dafür ein. O-Ton Zeitansage: 19 Uhr 25. Densthabender: Ja bitte? Informant: Ich hatte da noch so´n anonymen Anrufer. Der hat mitgeteilt, mit Fangschaltungen nach´m Westen sollten wir nun endlich aufhören, wär´ne Unhöflichkeit und so. Kann dir auch sagen, dass erste Reaktionen von Mitarbeitern hier sind, die sich für die Rede des Genossen Minister bedanken. Diensthabender: Ja, war nicht so richtig, was? Informant: Haste sie gehört? Diensthabender: Ja. Naja. Informant: Das muss jeder selber einschätzen, wie´s war. Diensthabender: Ja klar. Informant. Also erste Anrufe sind hier und bedanken sich für die Rede des Genossen Minister. Tschüss. Sprecherin: Nach dem blamablen Volkskammer-Auftritt von Ex-Stasi-Chef Erich Mielke am 13. November brechen alle Dämme. 5 Tage später mutiert das Ministerium für Staatssicherheit zum Amt für Nationale Sicherheit. Wolfgang Schwanitz als neuer Leiter soll die Abkehr vom alten Sicherheitsdenken glaubhaft vermitteln. Doch die Rufe nach einer kompletten Auflösung des Ministeriums werden immer lauter, ebenso wie die nach der Inhaftierung Mielkes. O-Ton Zeitansage: 8 Uhr 32. Diensthabender: Ja, Schulze. Anrufer: Ja, Meifahrt. Diensthabender: Guten Morgen. Anrufer: Das Bezirksamt Potsdam grüßt das Amt für Nationale Sicherheit, sag mal gibt´s denn bei euch schon nen Abkürzel? AfNS - Amt für nationale Sicherheit? Diensthabender: Ja. So wird´s geschrieben. O-Ton Informant: Aus der Menge wurde gerufen: Stasi in die Produktion - nicht zum Zoll - ohne Lohnausgleich. O-Ton: Zeitansage: 13 Uhr 53. Informant: Du, Prenzlauer Berg meldet mir gerade: Fund einer Hetzschrift, 19.11.89, gegen 9 Uhr 50 wurde in der U-Bahn, Richtung Pankow-Vinetastraße fahrend, durch einen VP-Angehörigen der VP Prenzlauer Berg eine Hetzschrift A 3 gefunden. Überschrift: Mordverdacht, dadrunter: Gesucht wird Erich Mielke, danach folgt ein Passbild. Also, das musste so sehen, irgendwo aus der Zeitung abgekupfert oder was, weißt du? So, der weitere Text bezieht sich auf seine Aktivitäten in der Zeit des Spanienkampfes und im Widerstand. Schrift mit rotem Filzstift in Schreibschrift gefertigt. Wird dann durch KD übernommen und an unsere XX übergeben, ne? Diensthabender: Klaro. O-Ton: Erster MfS-Mitarbeiter: Zwo, vier, sechs, acht, zehn. Das ist hier die Demo vom 23.11.89. Sprecherin: Von einem Fenster der Rostocker Stasi-Bezirksverwaltung aus observieren Mitarbeiter den vorbeiziehenden Demonstrationszug. Erster MfS-Mitarbeiter: Bei SED und FDJ sitzen Sie in der letzten Reihe. So neues Spruchband: Lasst den Herbst nicht wie den Prager Frühling enden. Tisch und Konsorten vor ein Volksgericht. Neues Spruchband: SED und Stasi lacht, wir haben das Volk durch Reisen besoffen gemacht. So dann rennt hier einer rum mit einem Bild von Günter Mittag, also davor hat er Gitterstäbe gemalt und dadrunter geschrieben: Nicht nur er. Dann nächstes Spruchband. Untersuchung der Stasipraktiken. Zweiter MfS-Mitarbeiter: Bestrafung Partei- und Wirtschaftsmafia. Tisch, Stoph, Mielke, Mittag und Co gehören in Untersuchungshaft oder fehlt uns dazu die Kraft? Losung: Plötzlich sind sie alle krank. Losung. Konföderation Deutschland. Erster MfS-Mitarbeiter: Stasi-Schweine raus hier. Hier läuft `n Spitzenschreier - hellgraue Hose, Turnschuhe, dunkler Mantel -, der die bewusste Losung kräht ... Am Dienstobjekt hoch gehalten in Höhe Kamera wird ein Plakat: We shall overcome. Schon in Höhe erster Stock. Unmittelbar vor die Kamera ... Scheiße .. wird ein Plakat gehalten, Kamera dürfte verdeckt sein .. Musik O-Ton: Anrufer: Grüß dich - noch hier? Diensthabender: Ja, keine Hoffnung, dass du weggehst? Anrufer: Ne, wa? Bin auch noch da, merkste. Diensthabender: Ach was. Wir bleiben uns alle erhalten gegenseitig. Anrufer: Alles klar. Diensthabender: Und wenn wir uns draußen wiedertreffen! Anrufer: Genauso. O-Ton Vermittlung: Ja, die Amtsvermittlung. Teilnehmer 55099991, der stellt sich vor mit Wachregiment und ist irgendwie auf Arbeitssuche und ist letztendlich an uns verwiesen worden vom ZK irgendwie. Bitte mal ansprechen, ja? Sprecherin: Ende November 1989: Es wird immer deutlicher, dass das Amt auch in seiner gewendeten Form kaum überlebensfähig sein wird. Der Ausverkauf der Stasi beginnt. O-Ton-Collage Diensthabender: Teilnehmer? Das Amt für Nationale Sicherheit, der Diensthabende Menzel, guten Tag. Anruferin: Guten Tag. Ich beziehe mich auf einen Artikel im ND vom 24.11., wo einer ihrer Kollegen angeboten hat, die Dienste der Fahrbereitschaft von der Bevölkerung nutzen zu lassen unter anderem Möbeltransporte. Ist da was dran? --- Anrufer: Ich möchte bitte denjenigen haben, der dafür verantwortlich ist, dass frei stehende Wohnungen, die früher von dem Ministerium inne waren, vergeben werden. --- Wir brauchen Arbeitskräfte mit Gabelstaplerpass oder Batterie- und Ladewaren ... ist bei Ihnen sowas möglich? --- Ich wollte mal nachfragen, ob es im Zuge der Auflösung des Ministeriums eventuell die Möglichkeit bestünde, dass man gebrauchte PKWs für´n Betrieb kaufen kann. Sprecherin: Die alten Mechanismen der Abschreckung funktionieren nicht mehr - Mitarbeiter werden tätlich angegriffen, Bürger beschweren sich über erlittenes Unrecht. Anrufe im Büro der Leitung in den ersten Dezembertagen: O-Ton Informant: Vier Angehörige vom Wachregiment sind durch zwei männliche Täter in Mitte verhauen worden. So und nun läuft erst mal gegen die Täter - einer ist ermittelt, der andere kommt auch bald auf den Stuhl - eine Anzeige wegen vorsätzlicher Körperverletzung und gestern Abend um 23:50 Uhr war es, ja. In Mitte, Alexanderplatz, vor dem Pressecafé. Vier Angehörige Wachregiment MfS ... ne, stimmt ja nicht mehr ... was ist das? Amt für Nationale Sicherheit? Diensthabender: Ja, das sage ich dir, ja. Informant: Und in Tatortnähe wurde einer dieser Täter vorläufig festgenommen. Der ist sage und schreibe 43er Baujahr, also der hat sage und schreibe vier Mann aufgehauen, ja? So, und dann läuft das wahrscheinlich dann auf Rowdytum hinaus. So ungefähr geht das. O-Ton Zeitansage: 10 Uhr 45. Anrufer. Ja, sagen Sie mal, ich hätte gerne einen Termin mit dem Herrn Schwanitz. Er hat sich schon öfters verleugnen lassen, weil ihm die Problematik unangenehm ist, ist mir klar. Aber wenn kriminelle Dinge vorliegen, die von seinem Organ und seiner Dienststelle begangen worden sind, sind sie irgendwann auszuräumen. Und nicht hier, dass zu Lasten der Geschädigten die Verscheißerei weitergeht. Diensthabender: Ich gebe ihr Anliegen weiter. Anrufer: Naja, sagen Sie mal, ist nicht besser, wenn man sich dann ne bessere Arbeit sucht, als weitergeben? Ich hab nichts gegen Sie persönlich ... Diensthabender: Naja... Anrufer: ... aber letztendlich gebe ich euch nicht mehr lange Zeit. O-Ton: Diensthabender: Amt für Nationale Sicherheit, Diensthabender Gehde, guten Tag. Anrufer: Ja, (Name anonymisiert) Transformatorenwerk Oberschöneweide, schönen guten Tag. Diensthabender: Guten Tag, Herr - Name anonymisiert. Anrufer: Ja, mir geht´s eigentlich bloß mal um ne Auskunft. Besteht bei uns die Möglichkeit, dass Telefone abgehört werden? Diensthabender: Wie meinen Sie das: Ne Möglichkeit? Anrufer: Und zwar konkret das Telefon von der Frau Bohley. Diensthabender: Ich glaub das nicht, dass die Möglichkeit besteht. Ich weiß es nicht, ich weiß nicht, warum das einer abhören soll. Anrufer: Naja. Ich hab am 31.10. - also nach der ganzen Aktion, was hier passiert ist, ja - mit der Frau Bohley ein Gespräch gehabt, und zwei Tage später wurde mein Hauptabteilungsleiter und der Parteisekretär zur Parteileitung zitiert und mussten aus dem Stehgreif ne Beurteilung über mich abgeben, was ich für´n Typ bin. Das kann ja wohl nicht normal sein. O-Ton: Diensthabender: Ja, Diensthabender. Vermittlung: Ja hier ist die Amtsvermittlung, guten Abend. Ich hab hier ne Teilnehmerin aus West-Berlin, die will jemanden sprechen, der verantwortlich ist, dass man sie zu ner fünfjährigen Haftstrafe mal verurteilt hat von der Staatssicherheit. Das ist hier über SWFK, da können wir keine Rückverfolgung machen. Diensthabender: Teilnehmer? Anruferin: Ja. Diensthabender: Ja. Hier ist das Amt für Nationale Sicherheit, der Diensthabende Menzel, guten Tag. Anruferin: Ja, schönen guten Tag. Ich möchte gerne wissen, an wen sich mein Rechtsanwalt bitte wenden kann für meine unberechtigte Haft von acht Jahren und zehn Monaten, abgebüßt vier Jahre und zehn Monate, in Hoheneck. Da möchte ich gerne wissen, wer dafür bei Ihnen in der DDR jetzt zuständig ist, also von der Stasi jetzt zuständig ist. Keiner - ich weiß. Diensthabender: Ja, können Sie mir mal sagen, wer Sie sind, ja? Anruferin: Ja, (Name anonymisiert), 1000 Berlin 30. Ganz bekannt bei der Stasi in Magdeburg und Hoheneck. Diensthabender: Was ist Hoheneck? Kenn ich nicht. Anruferin: Naja, ne, wer kennt das schon? Würd´ ich auch nicht kennen, wenn ich Sie wäre. Diensthabender: Was möchten Sie denn nun? Anruferin: Ich möchte ganz einfach wissen, an wen ich meine Klage stellen kann, für Wiedergutmachung für erlittene Haft, U-Haft in Magdeburg Neustadt. Und ich möchte den Kollegen sprechen von Ihnen, der mich in Magdeburg verhört hat. Dazu möchte ich Ihre Telefonnummer zum Magdeburg-Moritzplatz haben, also Umfassungsstraße. Diensthabender: Kenn ich nicht, müssen Sie ich im Telefonbuch nachschauen. Anruferin: Passen Sie mal auf, erzählen Sie mir keine Kacke, Sie wissen ganz genau ... Diensthabender: Bleiben Sie sachlich! Silvia Oberhack: Man ist unmittelbar sofort zwanzig Jahre zurück in dem Geschehen und man wundert sich, wie teilweise ängstlich oder auch manchmal verhalten und auf der anderen Seite, so´n paar gibt´s auch, aggressiv diese so genannten Sicherheitsorgane, also speziell hier das MfS, damit umgegangen sind. Das ist im Ton halt gut dokumentiert. O-Ton Zeitansage: 10 Uhr 59. Anruferin: Meine Name ist (Name anonymisiert) wir wohnen hier in Marzahn und heute Morgen als wir die Wohnungstür aufschlossen, ist quer rüber über in Höhe der Klinke, quer über die Tür geschmiert in roter Farbe, Ölfarbe oder Nitro ... ich weiß nicht wie oder was es ist: "Stasi". Muss ich dazu sagen, weder mein Mann noch ich sind Staatssicherheit ... es ist so ungeheuerlich, wir haben jetzt den ABV her gebeten, die haben sich das angeguckt. Und der hat nun auch, auf Grund dessen, dass es ja wirklich ne schlimme Sache ist, versucht, die Kriminalpolizei herzubitten, dass die mal ne Aufnahme machen. Die Kriminalpolizei zieht sich aber zurück. Die haben gesagt, da würde nichts weiter gemacht - wir sollen das abkratzen und alles entfernen und die Sache wär damit erledigt. Damit sind wir nicht einverstanden, denn das ist ne offizielle Bedrohung - das kann man jetzt nicht einfach so auf sich beruhen lassen. O-Ton Besetztzeichen Wolf Biermann "Ballade von den verdorbenen Greisen" Hey Honni, du gingst aus Gesundheitsgründen Ich glaube dir nichts und auch nicht dies Die schlimmste Krankheit, die hattest du immer: die stalinistische Syphilis. Sprecherin: Am 1. Dezember 1989 gibt Wolf Biermann in Leipzig, erstmals nach seiner Ausbürgerung 13 Jahre zuvor, wieder ein Konzert in der DDR. Das Publikum jubelt, alte Stasikader schäumen. O-Ton: Zeitansage: 20 Uhr 00. Diensthabender: Das Amt für Nationale Sicherheit, Diensthabender Wendt. Anrufer: Ja, hier ist Kroszewski. Diensthabender: Wer spricht? Anrufer: Oberstleutnant Kroszewski. Ich bin seit 1950 Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen. Mir unterstand als Leiter des Büros bei Minister Mielke der OvD. Ist klar, ja? Diensthabender: Ja. Anrufer: Ich höre jetzt den Berliner Rundfunk. Und da dudelt dieser Verbrecher ... der Liedermacher .. wie heißt er? Diensthabender: Biermann. Anrufer. Biermann. Ich möchte bloß, dass Sie ne Eintragung machen: Kroszewski, Gerhard, ist zu jeder Zeit bereit, den Biermann niederzumachen. Und das schaffe ich noch, auch ohne Hilfe. Diensthabender: Ja, in Ordnung. Ich habe Sie verstanden. Anrufer: Halten Sie das fest. Das ist ein abscheuliches Aas, ein Verbrecher. Musik O-Ton: Anrufer: Keiner weiß, wie´s weitergeht. Diensthabender: Ja. Das ist das Schlimme, wa, die Ungewissheit. Anrufer: Und überall wirst du in´n Arsch getreten. Diensthabender: Ja, das ist so. Anrufer: Kein Hund sieht dich an. O-Ton Informant: Schalck hat sich in West-Berlin gestellt, sitzt in Untersuchungshaft. Diensthabender: Das freut mich aber. In West-Berlin sitzt er in Untersuchungshaft? Informant: Ja. Er soll ausgesagt haben, dass er alle in der Schweiz ihm zugänglichen Konten aufgelöst hat und das Geld der DDR zur Verfügung stellt oder zumindest zugänglich macht für die DDR. Diensthabender: Ja, das ehrt ihn doch ... issen Patriot ! Informant: Ja, ich würde sagen: Er hat nen Auftrag gehabt. (Gelächter) Sprecherin: Aufgeschreckt durch die Flucht des Stasimannes und Chef-Devisenbeschaffers Schalck-Golodkowski und Hinweise auf Aktenvernichtungen besetzen Bürgerrechtler vom 4. Dezember an Bezirks- und Kreisdienstellen des AfNS im ganzen Land. O-Ton-Collage Der Militärstaatsanwalt erarbeitet zur Zeit einen Plan zur Versiegelung der gesamten Diensteinheiten der Hauptabteilung I. --- Bei uns im Bezirksamt: Naja, sie waren heute wieder hier, Vertreter des Neuen Forums und auch der Staatsanwaltschaft und haben eine Reihe von Schränken als auch Räumen versiegelt. --- Morgen früh wird der Dienstbetrieb nicht aufgenommen. - Morgen früh nicht aufgenommen? - Alles versiegelt. - Alles? - Alles. Bis auf den Diensthabenden hier. --- Sprecherin: 14. Dezember 1989 - der Ministerrat beschließt die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit, jedoch nicht ersatzlos. Bis Mitte Januar 1990 existiert ein personell reduziertes, aber nach wie vor mit den alten Kadern ausgestattetes DDR-Amt für Verfassungsschutz. Doch unter den verbliebenen Mitarbeitern herrscht wenig Optimismus. Einige wechseln zum Zoll, andere in die Privatwirtschaft, wenige setzen ihrem Leben ein Ende. O-Ton Anrufer: Ich hab mal eine Frage oder eine Bitte: Ich hätte Interesse, beim Verfassungsschutz mitzumachen. Kann man sich da irgendwo vorstellen? Diensthabender: Naja, telefonisch können wir das nicht machen. Wenn, dann müssten Sie mal herkommen. O-Ton: Diensthabender: Krause, Untersuchungsorgan. Anrufer: Nur ne Frage. Ich war auch mal 36 Jahre bei euch nun bin ich in Rente. Was soll nun mit uns werden? Diensthabender: Auch mal jetzt dabei gewesen. Anrufer: Naja, 36 Jahre. Diensthabender: 36 Jahre. Anrufer: Ich hab doch die ganze Scheiße mit... - entschuldige den Ausdruck - Diensthabender: Ja, ja, sehr schwierig. Anrufer: Was macht nun Schwanitz mit unsere Rentner? Ich kenn den Wilhelm Pieck noch, ich kenn Grotewohl noch - die drehen sich jetzt im Grab um. Diensthabender: Ja, das stimmt allerdings. Anrufer: Ja - ich sag das, wie´s ist. Bin zwar jetzt zwei Jahre schon raus bei euch, manche haben noch die Kurve gekriegt, ich weiß nicht, bloß wenn ich das so hör ... entschuldige bitte ... Diensthabender: Ja, ja, ganz schwierige depressive Lage, in die man hier gerät, was? Anrufer: Wir haben ja die Scheiße nun mit aufgebaut, dass es nun so gekommen ist, kann ja nun keiner - wir nicht. Wir haben nur unsere Arbeit nur gemacht. Und dann sehe ich auch nicht ein, dass die fordern gestern am Runden Tisch, dass das neue Amt für Sicherheit aufgelöst wird. Das kann nicht sein. Diensthabender: Tja. O-Ton: Anrufer: Der Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit, Genosse Generalleutnant Schwanitz, führt am 10.12.1989 - das ist Morgen, nicht? - 10 Uhr, eine Dienstbesprechung zur Frage der beschleunigten Auflösung der Kreisämter für Nationale Sicherheit durch. O-Ton-Collage 21 Uhr 29. - Schulze. - Darf ich dich mal auch mal ne Fachfrage fragen? Sag mal der KD-Chef von Bad Salzungen hat sich doch erschossen? - Ja, das habe ich auch gehört. - Und der Plauener auch? - Das habe ich nicht gehört. - Das hast du noch nicht gehört, ne? --- Ich muss bloß horchen, ob ihr noch da seid. - Wir sind noch da. - Na gut. - Ihr auch? - Also kann ich euch ganz wichtige Sachen wie Selbsterschießungen noch mitteilen, oder was? - Aber selbstverständlich. - Wichtige Sachen bitte in Anführungsstriche. - Was? - In Anführungsstriche zu setzen, bitte. - Na, hoffentlich. Mensch, mach´mir nicht Angst, du. - Ich sag das bloß, ne. --- Ziehst du mit nach Strausberg? - Ne, nach Hause. - Gehst nach Hause, Rente? - Na, sicher. --- Wollt ihr noch was zur Fahndung? - Nein. Nichts mehr. - Nichts mehr? - Es gibt keinen Rapport mehr. - Und nie wieder? - Nein, ist gut. - Gut, danke dir. - Ich hab jetzt den letzten Rapport gemacht. - Tja Mensch, du hast´s voll gut. Und jetzt bist du auf Hauptzöllner oder was? Zollhauptkommissar. - Ne, Unterkommissar. - Na, sag mal, das ist ja ne Degradierung um drei Dienstgrade. - Was willste machen? Auch das muss man in Kauf nehmen. - Junge, Junge, Junge. --- Musik O-Ton Reporter: Hier wurden also Gegenstände aus den Fenstern geworfen - Möbelstücke, Fahnen, Bücher, Akten - wurden heraus geworfen und im Moment sind die Vertreter des Neuen Forums bemüht, mit diesen Randalen ins Gespräch zu kommen, sie zu überzeugen, dass sie doch bitte das Gelände zu verlassen haben. Sprecherin: Bis Mitte Januar 1990 werden die Außenstellen des ‚Amtes für Verfassungsschutz' fast vollständig abgewickelt. Am 13. Januar ringt sich der Ministerrat schließlich zur ersatzlosen Auflösung dieses Amtes durch. Zwei Tage später übernehmen Bürgerkomitee, Volkspolizei und Militärstaatsanwaltschaft die Kontrolle über die Zentrale in der Normannenstraße. Doch unmittelbar darauf wird das Gebäude von Demonstranten gestürmt und teilweise verwüstet. Die letzten erhaltenen Tonaufzeichnungen des Zentralen Operativstabs stammen aus den ersten Januartagen. Silvia Oberhack: Wie viel Tondokumente in der Wendezeit direkt vernichtet worden sind, das ist ganz einfach nicht belegt. Also zum Beispiel in Leipzig, da wurde uns gesagt, so in den letzten Zuckungen der DDR ist denn eben das MfS mit großen Magneten über die Tonbänder drübergegangen und da das ja magnetisiertes Material ist, da hat man da natürlich auch keine Chance - einmal gelöscht ist gelöscht. Weg ist dann eben weg. O-Ton: Zeitansage: 10 Uhr 30. Diensthabender: Der Diensthabende. Vermittlung: Ja, da kommt einer über die 59 0, der kommt von außerhalb über die Z-Leitung und will wissen, was ich hier noch für ´ne Tätigkeit ausführe. Der wollte wissen, ob ich das ehemalige Ministerium bin. Diensthabender: Wie hast denn du dich gemeldet? Vermittlung: Gar nicht gemeldet. Diensthabender: Gut. Vermittlung: Sprechen an, ja? Diensthabender: Es geht los. Der Diensthabende, guten Tag. Anrufer: Ja, schönen guten Tag, hier ist - Name anonymisiert. Ich hatte eine Frage an Ihre Kollegin gehabt. Mich würde mal interessieren, ob Sie eine zeitliche Begrenzung für den Vorgang der Auflösung Ihres ehemaligen Apparates haben. Direkt, in Ihrem Gebäude. Diensthabender: Konnten Sie doch der Presse entnehmen, das ist bis Ende Juni. O-Ton: Diensthabender: Der Diensthabende, guten Tag. Anrufer: Ja, grüß Gott. Bin ich hier richtig - 1090 Berlin, Normannenstraße ? Diensthabender: Ja. Anrufer: Das ist richtig - weil das war ja früher die Staatssicherheit, nicht? Und jetzt heißt es Amt für Nationale Sicherheit? Diensthabender: Das wurde aufgelöst. Anrufer: Das wurde auch aufgelöst? Diensthabender: Ja. Anrufer: Wie heißt das jetzt bitte, wenn ich fragen darf? Diensthabender: Nichts mehr da. Anrufer: Bitte? Diensthabender: Ist nichts mehr da. Wird aufgelöst. Anrufer: Gar nichts mehr da? Diensthabender: Ne. Zur Zeit ist nichts da. Anrufer: Ach, du liebe Zeit. Diensthabender: Ja. O-Ton 1. AfNS-Mitarbeiter Hoyerswerda: Wir rüsten ab. Hier äußert wieder einer den Traum der Tankstelle, Eisdiele auch nicht, 38 Mann beworben...und was willst du dann machen? Ey- was willst du jetzt machen? 2. AfNS-Mitarbeiter: Ich bleibe in diesem Ministerium. 1. AfNS-Mitarbeiter: Er bleibt in diesem Ministerium. Sprecher: Sie hörten: Wo sind wir bloß hingekommen? Die letzten Monate der DDR-Staatssicherheit im Originalton. Ein Feature von Elke Kimmel und Marcus Heumann. Produktion: Deutschlandfunk 2009. Es sprach Kerstin Fischer. Technische Realisation, Redaktion und Regie: Marcus Heumann. Für ihre freundliche Unterstützung danken wir der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und ihren Mitarbeitern. 1