DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 22.09.2015 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr Artek reloaded Das traditionsreiche russische Ferienlager auf der Krim soll wiederbelebt werden Von Suzanne Bontemps und Sophie Panzer URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - O-TON / ATMO Medwedew: Artek klassnoje mesto! On byl takim! I on takim budet! (Gejohle) Ansage: ARTEK reloaded Das traditionsreiche russische Ferienlager auf der Krim soll wiederbelebt werden Ein Feature von Suzanne Bontemps und Sophie Panzer ATMO Grillen O-TON /ATMO: ????? ??? ??????? ! ?????! ???! Sprecher Keine Politik in Artek! Punkt. Schluss! ATMO: Applaus, Schreien O-TON: ???????????? ???????????? ?????????? ????????? ?????? ??????????? ???????? Sprecher: Der Vorsitzende der Regierung der Russischen Föderation Dmítri Anátoljewitsch Medwédew. ATMO Grillen Autorin: Unter tosendem Applaus empfangen tausende Kinder, Erzieher und ehemalige Artékovzy Dmitri Medwedew, den russischen Ministerpräsidenten. Er ist zur großen 90 Jahrfeier und Wiederöffnung des internationalen Jugendlagers Artek von Moskau auf die Krim geflogen. Offener Kragen und rotes Pionierhalstuch. Locker, in zwei Sätzen springt Medwedew auf die Bühne. O-TON Medwedew Sprecher: ?????? ?????! Hallo Artek! ?? ??? ???? Nun wie geht´s euch hier? ????????? ? Gefällt es euch? ?? ???????? Hat euch der Regen erwischt? ?utorin: Nein! Nein! ruft eine jubelnde Menge zurück. O-TON Medwedew: ?????? ???????? ????? - ?? ????? ?????/ Gejohle Sprecher: Artek ist ein Klasse Ort! Er war es! Er wird es wieder werden. Autorin: Medwedew redet frei, kurze Sätze, spricht die Kinder und Jugendlichen direkt an. Er kann sie begeistern. Sie seien glücklicher dran als er selbst, denn als Schüler hat es der Ministerpräsident nicht nach Artek geschafft. O-TON Medwedew: ????? ??? ????? ? ?? ???? ??????????? ??????? Sprecher: Ich war genau vor einem Jahr hier, habe mir das Lager angeschaut. Nun, es sah hier nicht besonders gut aus. Aber ich will nicht über die Vergangenheit sprechen. Autorin: Nichts über die Vergangenheit, und er verliert auch kein Wort über die Annexion der Krim. Die politische Lage in der Ukraine, Moskaus Standpunkt in der Sache, alles hier kein Thema. Nach seinem Besuch im Mai 2014 hat Medwedew die Renovierung des Artek-Ferienlagers zur Chefsache gemacht. ATMO Grillen Sprecher: ?Unsere Aufgabe ist es, Artek wieder zu einem komfortablen ganzjährigen Lager, zu einem internationalen Kinderzentrum zu machen, so wie es in der Sowjetunion gewesen ist, unter Berücksichtigung moderner Anforderungen.? O-TON: Aleksej Kasprzhák Autorin: Aleksej Kasprzhák hat in Aberdeen Education and Management studiert. Er wusste, dass ihm nicht noch einmal eine solche Chance geboten würde. Der 34-jährige Moskauer wurde 2014 Generaldirektor des größten Ferienlagers Russlands. Mit Frau und Kindern zog er auf die Krim und hat an der neuen Konzeption Artek 2.0 mitgearbeitet. Bis 2020 soll alles umgesetzt sein. Sprecher / Zitat: Artek reloaded bedeutet, dass man das Ferienlager mit neuer Energie aufladen will. Der IT-Begriff 2.0 soll den prinzipiellen Wandel des Ferienlagers markieren. Hier sollen die Jugendlichen lernen, ihre besonderen Fähigkeiten und Neigungen zu erkennen und die der anderen wertzuschätzen. Autorin: Im Gespräch mit dem Direktor klingt der ?prinzipielle Wandel? dann schon nicht mehr so radikal. O-TON Aleksej Kasprzhak Sprecher: Artek muss auf den vorhandenen Traditionen aufbauen. Die Vergangenheit auszuradieren macht keinen Sinn. Bewährtes werden wir übernehmen, aber neue Inhalte und Technologien hinzufügen. An erster Stelle ist Artek eine normale Einrichtung, die zeigt, dass man sich anstrengen muss. Wir unterstützen keine Wunderkinder, wollen keine Hochbegabten. Artek bietet vielmehr Platz für jene, die sich über ein paar Jahre angestrengt haben und jetzt belohnt werden. Mir scheint, dass das heute das Problem eines jeden Landes ist, nämlich seinen Bürgern zu sagen, dass sie nur durch eigene Kraft und Mühen glücklich werden können. Und für diese Idee steht Artek. Autorin: Fast vier Milliarden Rubel, 65 Millionen Euro, wurden für die Renovierung bereitgestellt. Moskau lässt sich das Ferienlager etwas kosten. 2000 Bauarbeiter haben ein Jahr lang Tag und Nacht abgerissen, gebaut und saniert, um Artek pünktlich zum Jubiläum wieder in eine moderne Ferienanlage zu verwandeln, erzählt man uns. Wir dürfen uns überall umsehen. ATMO: Tanzen draußen Autorin: Der riesige Komplex, 216 Hektar groß, ist in 10 Lager aufgeteilt. In jedem Lager gibt es verschieden große Wohnhäuser und immer eine Kantine. Sechs sind schon renoviert. Betten für 2000 Gäste stehen jetzt zur Verfügung, am Ende sollen es 4000 sein. Alle Sportplätze, Freiluftbühnen, das Schwimmbad mit Wasserrutsche und das Stadion wurden erneuert. Das Gelände liegt am südlichen Ufer der Krim, verfügt über 7 Kilometer Küste direkt am Schwarzen Meer. Demnächst soll der eigene Hafen in eine moderne Marina verwandelt werden. Und bis 2020 sollen noch weitere 300 Millionen Euro fließen. ATMO Grillen ATMO: Morgenbesprechung der Gruppenleiter und Erzieher Autorin: Im Parterre der Wohnhäuser gibt es großzügige Gruppenräume für Erzieher. Dort werden zwei Mal am Tag Programm und besondere Ereignisse besprochen. Die Zimmer der Jugendlichen im zweiten Stock sind neu möbliert ? keine Pritschen mehr, dafür verschieden hohe, helle Holzbetten mit bunten Decken. Der Seeblick direkt vom Bett aus schien den Planern erhaltenswert. Jedes Zimmer hat ein Bad. Und W-LAN funktioniert einwandfrei. Der Platz vor dem Sportkomplex ähnelt einer mediterranen Plaza: 25-Meter Becken, eine Rund-um- verglaste Sporthalle mit geschwungenen Natursteinplatten, Palmenbeete, moderne Leuchten und Bänke. Von Appellplatz, wie das früher üblich war, keine Spur. Früher hing über dem Platz ein Relief auf dem Schwimmer abgebildet waren, heute prangt dort eine große LED-Anzeige. Auch die Kantine ist saniert, in himmelblau und erinnert jetzt an einen italienischen Renaissancepalast. Auf der Terrasse speisen die jungen Gäste an runden Tischen mit Blick auf das Schwarze Meer. O-Ton: Medwedew: ? ????? ??? ?????????? ? ????? ??????? ??????? Sprecher: Ich habe gerade einen Rundgang durch das neu geborene Artek gemacht. Es sieht fantastisch aus. Ich beneide euch ganz aufrichtig. Hier kann man sich großartig erholen. / Klatschen O-TON Medwedew: ????? ??????? ??????e???? ?????? ? ???????? ??????. Geklatsche Sprecher: Aber das Wichtigste: schließt Freundschaften, weil unser Leben von Freundschaften getragen wird. Und Artek-Freundschaften sind ganz besonders fest. ATMO: Party Autorin: Medwedew tritt ab. Und jetzt kann die große Show beginnen. 90 Minuten wird sie dauern. Keine triumphale Siegesfeier über die Annexion der Krim. Cheergirls und ?boys heizen zu russischer Popmusik die Stimmung auf den Rängen an. Zauberer und Feuerwerker treten auf. Zehn von Gasprom gesponserte Elektroautos steuern im waghalsigen Kurs durch die Arena. Ein fröhliches Fest in einer subtropischen Sommernacht. Die rund fünftausend Besucher sind ein dankbares Publikum, sie klatschen, lachen und freuen sich über die perfekte Inszenierung. Manchmal tanzen hunderte Jungen und Mädchen gleichzeitig auf der Bühne, turnen und schlagen Rad. Keine Fahnen und Fanfaren. Keine Putin-Plakate und Parolen. Die großen Aufmärsche und Paraden, mit denen sich der russische Präsident in jüngerer Zeit der Welt präsentiert, finden hier nicht statt. Und außer uns sind auch keine ausländischen Journalisten da. Atmo ??????? ??????? ??????, ??????: ??????! Antwort: ??????!! Morgengymnastik Autorin: ´Seid ihr fertig?, fragt der Trainer die rund 360 Jungen und Mädchen, die sich am Morgen nach dem Fest auf dem Sportplatz eingefunden haben. ?Sagt es ganz, ganz laut!? ´Wir sind bereit´ - schallt es zurück. Zu Elektrobeats tanzen die Jugendlichen in den Tag. Keine kräftezehrenden Liegestütze und Kniebeugen, sondern ein flottes Aerobic-Training. Die Mädchen in den vorderen Reihen sind etwas eifriger dabei, werfen die Arme höher in die Luft, kreisen die Hüften schwungvoller, drehen sich schneller als die Jungen. Die schieben weiter hinten eine eher ruhige Kugel. Schweißtreibend ist diese Morgengymnastik für keinen, aber sie tut ihre Wirkung: spätestens nach fünf Minuten sind alle wach. Mit einem freundlichen Morgengruß werden die Kinder zum Frühstück entlassen. O-TON ????, ???? ?????? ???? unterlegen ATMO: Kantine, Frühstück Autorin: Wecken, Morgengymnastik, Frühstück. Seit 1925 das gleiche Ritual in Artek. Nicht ganz! Der Tag beginnen seit der Wiedereröffnung entspannter, nicht mehr um sieben. Früher waren die jungen Pioniere selbst für Ordnung und Sauberkeit im Speisesaal verantwortlich und saßen zum Essen an festen Plätzen. Die Gruppenleiter sorgten für Ruhe und Disziplin. Lautes Reden oder gar Gelächter waren verboten. Heute: Im Eingang ein Waschraum mit Seifenspendern, auf Flachbildschirmen steht das Tagesmenu. Ein bunter Haufen junger Leute strömt schwatzend in die Kantine, greift nach Tablett und Besteck und stellt sich aus einem vielseitigen Angebot das eigene Frühstück zusammen. Man setzt sich hin, wo Platz ist, am liebsten neben die beste Freundin, den besten Freund. Die Jugendlichen sehen hier aus wie bei uns. Die Mädchen haben lange Haare, zum Zopf gebunden oder auch blaue Afrozöpfe. Auch die Jungen tragen lange oder wenigstens mittellange Haare, Dreadlocks oder Undercut, die Erzieher oft gepflegte Hipster-Bärte. Sonnenbrille ist bei allen ein Muss. Wenn sie nicht im weiß-blauen T-Shirt mit Artek-Logo, dunkelblauen Bermudas und Käppi unterwegs sind, ist der Kleidungsstil global: Röhrenhose, lockere Hemden und Sneakers. Bei den Jungen stehen Trikots der FC-Barcelona-Stars Lionel Messi und Neymar hoch im Kurs. Alle sind mit Smartphone und/oder Tablett angereist, die sie auch augenblicklich nach dem Frühstück einschalten. Doch dann geht es zu den ersten Tagesaktivitäten. O-TON Tanja Sprecherin 1: Heute sind wir endlich vollständig.- Aus den verschiedenen Ecken unserer Heimat seid ihr angereist. Nun ist es Zeit, dass wir uns kennenlernen. Es ist ein Spiel. ATMO: Gemurmel der Jugendlichen, die sich gegenseitig befragen Autorin: Tanja ist die Leiterin der Gruppe. Sie erklärt erstmal die Regeln. Immer zwei spielen zusammen, fragen ihr Gegenüber: Wer bist du, woher kommst du und welche Interessen hast du? Mit diesen Kenntnissen schlüpft der Frager dann in die Rolle des Befragten und stellt sich der ganzen Gruppe vor. O-TON Tanja Sprecherin: Und zu allererst die Handys ausschalten! Geht das in Ordnung? O-TON Iwan Sprecher Ich bin Arina. Autorin: Iwan versucht hell und klar wie ein Mädchen zu sprechen. O-Ton Iwan Sprecher: Ich bin 16 Jahre alt, komme aus Tschuwáschien. Ich gehe auf eine Dorfschule. Früher habe ich getanzt, Showtänze, aber auch tschuwaschische Volkstänze. Ich tanze sehr gut. In diesem Jahr bin ich als beste Schülerin des Jahres ausgezeichnet worden und habe den 2. Platz unter den Leadern gemacht. Ich helfe meinen Eltern bei der Gartenarbeit. Das freut sie natürlich. Sie lieben mich sehr. Klatschen Autorin: Die Jugendlichen klatschen eifrig nach jedem Beitrag. Die Hobbys wiederholen sich: Tanzen, aber auch Musik und Sport in allen Disziplinen. Nach einem Interesse an Politik ist offenbar nicht gefragt worden. ATMO: Trommler Autorin: In einiger Entfernung ziehen die jüngsten Gäste mit fröhlichem Trommeln durch die Anlage. Rücksicht müssen sie nicht nehmen, hier verhallt noch der lauteste Trommelwirbel. Artek ist immerhin größer als Monaco. Kleine Strände und Klippen, ein Yachthafen. Weiter oben am Hang das Stadion mit 7000 Plätzen, eine Schule ? die in den drei Monate dauernden Sommerferien geschlossen bleibt - , ein Hallenbad, Sportplätze, ein Krankenhaus. Lenin hat auf seinem Sockel in 20 Metern Höhe hat einen guten Blick über Meer und Hubschrauberlandeplatz - nur die 10 einzelnen Jugendlager, die sich im subtropischen Wald zwischen den Bäumen verstecken, kann er nicht sehen. Der Ursprung des Namens Artek ist nicht eindeutig. ?Orteki? sind auf Griechisch ?Wachteln?, und auf tatarisch heißt Artek ?der Beste?. Zu den Lagern ?Zypresse?, ?Bernstein?, ?Himmelblau? und den sieben anderen schlängeln sich zahlreiche Wege. Eine subtropische Idylle: Treppchen, hier und da ein Springbrunnen, Aussichtsterrassen, Pavillons und Bänke. Uralte Zedern, Oliven und Magnolienbäume und immer wieder Zypressen. ATMO: Vogelgezwitscher Autorin: Ein junges Mädchen eilt atemlos den Hang hinauf zu seiner Wohnung. Salimát ist erst seit gestern hier und hat für ihren ersten Einsatz die Gitarre vergessen. Die 18-jährige Studentin studiert englisch und französisch in Pjatogorsk, will Lehrerin werden. An der Universität hatten Vertreter von Artek ihr Programm vorgestellt. O-TON Salimat Sprecherin: Ich hab davon gehört, hab mich interessiert. Ich habe nicht wirklich geglaubt, dass es klappt. Aber man hat mich genommen und nun bin ich hier. Autorin: Salimát beschreibt sich als schüchternes Kind, das meist abseits gestanden habe. Gefällt ihr der andere, aufmerksame Blick auf die Kinder hier in Artek deshalb besonders gut? O-Ton Salimat Sprecherin: Hier soll jedes Kind spüren und lernen, dass es einmalig und wichtig ist. Autorin: Und dann ist da noch etwas: O-TON Salimat Sprecherin: Wir werden hier übrigens gar nicht schlecht bezahlt. Und obendrauf dann noch diese einmalige Gegend, diese vielen wunderschönen Plätze. Autorin: Diese üppige Kulturlandschaft des Geländes wurde im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts angelegt, als der russische Hochadel auf der Krim seine Sommerhäuser erbaute. Vor dieser Zeit lebten hier Griechen und später Tataren. Wo damals die Grafen Jusúpow und Potjómkin die Seeluft und das milde Klima genossen, wo sie zu festlichen Soireen und Dichterlesungen luden, entstand wenige Jahre nach der Revolution 1925 das sowjetische Ferienlager Artek. Die Sommerhäuser der meist geflohenen Reichen wurden nun als Heime für tuberkulosekranke Kinder genutzt. Doch nach wenigen Jahren übernahm die Pionierorganisation Wladimir llítsch das Gelände. Das zentrale Pionierlager Artek wurde gebaut. Begünstigt durch das warme, feuchte Klima und die See-Lage wurde es bald zum Aushängeschild. Hochrangige Politiker und Schriftsteller haben Artek besucht. Clara Zetkin und Henri Barbusse, Haile Selassie, Ho Chi Minh, Nehru und Indira Ghandi, Willi Bredel und Walter Ulbricht, und, und, und. Kinder aus 60 Nationen haben hier Urlaub gemacht. ATMO alte Musik-Aufnahme ?Burjaten, Neger, ??????, ?????, ??????? Russen In einer Schar. ? ????? ????? Hier werden unsere Muskeln gestärkt, für den gemeinsamen Kampf. Wir erinnern uns immer an Artek! Artek!? Autorin: Einmal nach Artek ? davon träumte jedes Kind in der Sowjetunion, und mancher ärgert sich noch Jahrzehnte später, dass er nicht reisen durfte. O-TON Flughafen Sprecher: Artek ist das beste Ferienlager für Kinder auf der Welt. Nein, ich war nicht dort, dahin kamen die Besten und ich gehörte zu den Zweitbesten. Autorin: Nur die Otlítschniki, die Besten der Besten, wurden eingeladen: Belohnt wurden schulische und künstlerische Leistungen oder soziales Engagement in Pioniergruppen oder beim Ernteeinsatz. Und Artek ist heute stolz, dass viele Artékovzy später berühmt geworden sind wie der Schachweltmeister Anatoli Kárpov, die Operndiva Anna Netrebko, Nadezhda Pávlova, Prima Ballerina am Bolschoi Theater und der Schriftsteller Viktor Jeroféjew. Aber auch Politiker wie Michail Sáakaschwíli, Ex-Präsident von Georgien und heute Gouverneur von Odessa. Und gleich zweimal besuchte Arcénij Jazenjúk Artek, heute Premierminister der Ukraine. Aber auch ohne besondere Verdienste konnten Kinder von Parteifunktionären und anderen Privilegierten an der Schwarzmeerküste Urlaub machen. Sprecherin: ?Mir brachte Papa einen Reisescheck nach Artek in das Allunionspionierlager für alle möglichen Kinderhelden, die Baumwolle pflückten, Spione fingen und für `Budjonijs Reiterarmee` Pferde züchteten?, Autorin: spottete die Dissidentin und Menschenrechtlerin Elena Bonner. Ihr Stiefvater Gework Alichánow, führender armenischer Kommunist und Sekretär der Komintern hatte ihr in den 30er-Jahren die Reise organisiert. Als Chruschtschow die Krim 1954 an die Ukraine verschenkte ? was das Ausland damals nicht besonders erregte - änderte sich für Artek und seine Feriengäste wenig. Es wurde noch mehr investiert, neue Anlagen wurden gebaut, die Kapazität stieg zu Beginn der 60er-Jahre auf 4.500 Betten. Auch als die Sowjetunion zerfiel und die Ukraine unabhängig wurde, flossen in das Vorzeigelager weiterhin viele Millionen Rubel. Der allmähliche Niedergang des Lagers setzte erst mit der Orangenen Revolution ein, als Russland den Geldhahn zudrehte und die ukrainische Regierung Artek nicht auf ihre Prioritätenliste setzte. Statt Stipendien für die Besten der Besten, setzte man nun auf zahlende Feriengäste. Wohlhabende Russen, die im Ausland arbeiteten, buchten gern für ihre Kinder eine Reise ins Ferienlager, damit sie dort ihr Russisch aufbesserten. Ljudmila Wagner hat in diesen Jahren als Ärztin im Ferienlager gearbeitet: O-TON Ljudmila Sprecherin: Unter ukrainischer Regierung war die Krim, nun das südliche Ufer, praktisch zerschnitten und verteilt. Das war natürlich entsetzlich. Autorin: Verteilt? Oligarchen wie Rinát Achmétow und Viktor Medwedtschúk, aber auch Politiker wie der Gouverneur der Donbass-Region Ìgor Kolomòiskij und der ehemalige Premierminister Nikolai Azárov haben für wenig Geld riesige Grundstücke erworben: in bester Lage ? Seeblick garantiert. Ferienlager für Kinder, Sanatorien für Werktätige, Kuranlagen und öffentliche Zugänge zum Meer wurden dicht gemacht. O-TON Ljudmila Sprecherin: Die Lager Zypresse und Himmelblau hat man vorsätzlich zerfallen lassen, um später die Grundstücke zu verkaufen. So jedenfalls das Gerücht. (Pause) Ja, und Janukówitsch`s Söhnchen wollte auf dem Ajú Dag, dem Hausberg von Artek, einen Fasanen-Safaripark einrichten. Leitungen und Rohre, alles war schon verlegt. Aber der Aufschrei in den Medien war riesig ? es gibt viele Journalisten unter den ehemaligen Artékovzy - und das hat Janukówitsch senior gestört. Deshalb wurde das Unternehmen abgeblasen, Gott sei Dank. Autorin: Nicht beigelegt ist der Rechtstreit zwischen dem angrenzenden Kurort Gursuf und dem Ferienlager: Illegal habe sich Artek nach dem Management-Wechsel im vergangenen Jahr einen 10 Hektar großen Küstenstreifen einverleibt und den Bewohnern von Gursuf dann den Zugang verwehrt ? angeblich zum Schutz der Artékovzy. Keine Immobiliengeschäfte, keine Sprachreisen für zahlende Feriengäste. Nur die Besten der Besten sollen wieder in Artek Urlaub machen. ATMO Kindergesang der otlitschniki Autorin: Können wir den Jugendlichen Fragen stellen? Kein Problem. Die 11-Jährigen erzählen gern. O-TÖNE verschiedener Kinder Sprecherin: Ich komme aus Sarátow, und bin hier wegen meiner schulischen Leistungen, habe gut gelernt. Sprecher: Ich bin Milan, komme vom Ural, aus der Stadt Tjumén. Ich habe gut gelernt und auch in verschiedenen anderen Gruppen Preise gewonnen. Sprecherin: Ich komme aus Omsk und bin hier wegen meiner künstlerischen Leistungen. Meine Arbeiten sind im Moment in Budapest ausgestellt. Sprecher: Ich bin Nikita, komme aus der Nähe von Moskau. Ich bin hier wegen meiner Leistungen im Fußball, ich spiele im Sturm auf der Position von Müller. Autorin: Vor unserem Mikrofon haben sie keine Scheu und ihr Selbstbewusstsein ist wahrlich nicht verkümmert. Salimát muss nicht eingreifen. Lied (????? ?????? ??? ?????? ) Autorin: Krim, Artek, Russland gehören zusammen. An dieser Einheit zweifelt hier niemand, mit dem wir gesprochen haben, auch die Ukrainer nicht, die auf der Krim leben. Pjotr Nikolájewitsch, mit prächtigem Bart und weißer Schlägermütze, ist 80 Jahre alt. Zu den Jubiläumsfeierlichkeiten ist er gerne angereist. Die Fahrt auf der Barkasse und den Blick auf das Lager am Meer genießt er. Vor Jahrzehnten hat er hier sechs Wochen lang gelebt. Anfang 1945, da war er gerade 10. Mit zwei anderen Waisen-kindern hatte man ihn hierher geschickt, aus der Kursker Region, einem der grauen-vollsten Schauplätze des 2. Weltkriegs. Dieser Krieg hatte auch Artek nicht verschont. Fast zweieinhalb Jahre hielten deutsche Truppen das Lager besetzt, mussten es erst im März 44 räumen. Pjotr Nikolájewitsch war einer der ersten, der in das noch notdürftig renovierte Ferienlager reisen durfte. O-Ton Pjotr Nikolajewitsch Sprecher: Es war im Januar, Winter, als wir aus Mittelrussland hier ankamen und die grüne Welt, das grüne Paradies sahen, aus dem Winter direkt ins Paradies, da waren wir natürlich begeistert. Das war was. Cool! Um es im Slang der heutigen Jugend zu sagen. Wir lebten in Baracken, aber sie waren sauber, die Zimmer ordentlich. Das Essen war gut. Buchweizengrütze, Butter und Kaffee. Es gab sogar Apfelsinen und Mandarinen, Herrlichkeiten, von denen wir in jenen Jahren noch nichts gehört hatten. Autorin: Der alte Herr gerät ins Schwärmen, kämpft mit seiner Fassung. O-TON Pjotr Nikolajewitsch Sprecher: Der Krieg war noch nicht zu Ende. Aber unser Staat und unsere Führung haben sich schon um uns gekümmert. Sie sorgten sich um uns Waisenkinder, dass wir groß werden und etwas lernten, damit wir später das durch den Krieg zerstörte Land wieder aufbauen konnten. Ein Land, in dem jeder Mensch glücklich ist. Dank dem teuren Genossen Molotow. Dank dem verehrten Genossen Stalin. Danke Artek. Autorin: Wenig später am Kai will Pjotr Nikolájewitsch unbedingt noch etwas loswerden, will uns, den Gästen aus Deutschland, noch etwas Grundsätzliches sagen. O-TON Pjotr Nikolajewitsch Sprecher: Ein paradiesisches Stückchen Erde, paradiesisch. Die Krim ist für Russland sehr wichtig. Über Politik will ich nicht reden. Das werden Sie verstehen. Russland ist groß, riesig, Russland ist ein kaltes Land. Jetzt mal ganz ohne Politik. Es ist ein großes Glück, dass die Krim wieder zu Russland gehört. Autorin: Anstelle des Barackenlagers, wo Pjotr Nikolajewitsch vor 70 Jahren mit anderen Waisenkindern untergebracht war, stehen heute viele kleinere, zweistöckige Wohneinheiten für die ca. 350 Kinder und Jugendliche. Und weiter unten am Hafen liegen Ruderboote, kleine Segelboote, die Optimisten, und zwei brandneue Katamaran- Rettungsboote. Hier bringt Nikitia den Neulingen die Grundbegriffe des Ruderns bei. Segeln und Rudern sind besonders beliebte Lehrgänge in Artek. Jedes Mal nach drei Wochen Theorie und Training gibt es eine Regatta für die Besten der Besten. O-TON Nikita Sprecher: Ich bin krank nach Artek, bin krank vor Sehnsucht nach Wasser und Wellen, bin krank nach dem Wald-Lager. Meine Artek-Geschichte hat 2003 angefangen. Als 12-Jähriger war ich zum ersten Mal hier, ich war gut in Choreographie. Seitdem kreisten meine Gedanken nur noch um Artek. Ich wollte unbedingt wieder dorthin. Da habe ich mit meinen Eltern einen Deal gemacht. All mein Taschengeld habe ich für Artek gespart, und sie waren im Gegenzug bereit, die andere Hälfte zu bezahlen, unter der Voraussetzung, dass ich gut in der Schule bin. Autorin: 15 Mal war der 24-jährige Nikita seitdem in Artek, zuerst als Schüler, dann als Gruppenführer und in den vergangenen Jahren als Kursleiter der Flotille. Nikita ist ein Baum von einem Mann, sehr blond, braun gebrannt mit gestreiftem Matrosenhemd. Er spricht fließend Englisch, hat in England Politische Wissenschaften studiert, in Moskau seinen Master gemacht und arbeitet jetzt bei Russline, der größten innerrussischen Fluggesellschaft. O-TON Nikita Sprecher: Ich verzichte auf viel Geld und nehme unbezahlten Urlaub. Autorin: Von Mai bis Ende Oktober bringt Nikita hunderten Kindern bei, wie man eine Leine auf einer Klampe belegt, wie der einfache oder doppelte Schotstek und ein Kreuzknoten gemacht werden und wofür man sie benötigt. Und er lehrt sie die verschiedenen Seezeichen und Grundkenntnisse der Flaggenkunde. O-TON Nikita Sprecher: Mich treibt die Idee, Kinder für das Meer und das Wasser zu begeistern. Autorin: Bei Alina aus Odessa ist Nikitas Funke übergesprungen. Jeden Fingernagel der 17-Jährigen schmückt ein anderer Seeknoten, Anker zieren ihre Handyhülle. Sie will vielleicht Seerecht studieren. O-TON Alina Sprecherin: Wir lernen hier Dinge, die man sonst nirgendwo lernt. Ein Meer positiver Emotionen! Das kann man mit Worten nicht beschreiben. Diese Erlebnisse vergisst man sein ganzes Leben nicht. Autorin: Alina ist schon zum dritten Mal in Artek. Das erste Mal 2013 als Stipendiatin. Doch damit ist es jetzt vorbei. Nach der Annexion der Krim ist die Ukraine zum Ausland geworden. O-Ton Aleksej Kasprzhák Sprecher: Mehr als 95 Prozent der Plätze in Artek sind kostenlos. Der Rest wird an Kinder aus dem Ausland vergeben. Und wenn sie kommen wollen, dann sollen sie bitte auch dafür zahlen. Autorin: Auch deutsche Kinder und Jugendliche sind willkommen. 6.500 Rubel, ca. 1.060 Euro haben Alinas Eltern für den dreiwöchigen Aufenthalt bezahlt. Unbedingt nur nach Artek, das war ihr Wunsch, nicht nach Deutschland, Polen oder Österreich, Länder, die sie mit ihrer Tanzgruppe schon bereist hat. Und Alinas Eltern in Odessa hatten offenbar nichts gegen diese Reise ins? ?feindliche Ausland?. O-TON Alina Sprecherin: Niemals würde ich einen Urlaub in Artek gegen Ferien auf Mallorca eintauschen. Autorin: Aleksej Kasprzhák und seine Mitarbeiter hätten sich als 17-Jährige wohl anders entschieden als Alina heute. Für sie war Artek in den wilden 90er-Jahren, in denen so vieles erlaubt und möglich war, keine Option. Doch das hat sich geändert. O-TON Aleksej Kasprzhak Sprecher: Wir arbeiten daran, dass jedes Kind vor die Wahl gestellt - die Ferien auf Mallorca, in einem deutschen oder französischen Jugendlager zu verbringen, sich für Artek entscheidet. Autorin: Und dafür tut das Artek-Team viel. Das Angebot in den drei Ferienwochen ist vielseitig und den Interessen der Kinder und Jugendlichen angepasst. Sie können lernen wie eine Zeitung gemacht wird und sich als Journalisten in der Artek-Gazette ausprobieren. Das Filmstudio und Tonstudio wartet auf junge Regisseure. Im Kunstbereich lernen sie neue Materialien und Verfahren kennen, und die Technik-Interessierten können einem Roboter das Laufen beibringen, sie können rudern und segeln, die Flora und Fauna des Küstenstreifens erforschen und noch vieles mehr. ATMO: Musikstunde Autorin: Für einen reibungslosen Ablauf sorgt ein Heer von Mitarbeitern: Techniker, Lehrer, Musiker, Erzieher, Ärzte, Küchen- und Wachpersonal. Die Mehrzahl der Mitarbeiter arbeitet hier schon seit Jahren, nur die Gruppenleiter und ? leiterinnen wechseln häufig. Es sind junge Frauen und Männer, die ein Praktikum absolvieren. Der Andrang ist groß. Für einen Platz gibt es fünf Bewerber. Vier Wochen werden sie geschult, bevor sie in Artek eingesetzt werden. Viele haben ihre Mundharmonika oder Gitarre dabei, denn Musizieren und Singen ist schon seit der Gründung vor 90 Jahren ein ganz wichtiger Bestandteil des Ferienalltags hier. Die Lieder mögen sich geändert haben, doch die Veteranen und Ehemalige bemerken vor allem eins: O-TON Aschot Sprecher: Es ist freier geworden. Keine verklemmten Kinder. Jedes Kind kann heute seine Meinung sagen. Das Erziehungssystem hat sich gebessert. Heute wird nicht mehr unter der Knute gelernt. Den Kindern geht es wirklich sehr gut ? Aber wir hatten es auch nicht schlecht. Autorin: Vor fast vierzig Jahren, als 13-Jähriger, wäre Aschot lieber nicht nach Artek gefahren. Man hatte ihn wegen seines unermüdlichen Ernteeinsatzes ausgezeichnet. Aschot hatte Angst vor dem Flug, vor dem Lager, den vielen Menschen. Und heute würde er sich freuen, wenn seine 6-jährige Tochter in ein paar Jahren wegen guter Leistungen mit einer Reise nach Artek belohnt würde. O-Ton Nikita Sprecher: Mit dem Auftauchen von Smartphones und Tablets hat sich vieles verändert. Alles ist schnell, zu schnell zugänglich. Die Kinder fordern mehr. Früher kamen sie mit offenem Mund und staunenden Augen, heute mit einem Rucksack voller Kenntnisse, die eigentlich wir doch vermitteln wollten. Sie sind verwöhnter. Autorin: Oder egoistischer, wie Darja meint. O-TON Darja Sprecherin: Es kommen viele Leader, starke Persönlichkeiten. Jeder möchte sich ins rechte Licht setzen, jeder möchte bei irgendwelchen Aktionen die Hauptrolle spielen, jeder möchte das Drehbuch schreiben. Nach seiner Musik sollen die Tänze eingeübt werden. Ja, das passiert. Diese kleinen Egoisten fordern viel Aufmerksamkeit. Autorin: Von lídery, lídernyje kátschestva, von Führern und Führungsqualitäten hören wir viel in diesem Sommer in Artek. Solche Eigenschaften stehen in der Werteskala ganz oben. Von sozialer Kompetenz wird weniger gesprochen und von Inklusion überhaupt nicht. Aleksej Kasprzhák möchte zwar sein Lager für alle Kinder öffnen können, sagt er uns, aber: O-TON Aleksej Kasprzhak Sprecher: Es sind die Regionen, die die Kinder vorschlagen, und sie arbeiten nur mit Kindern ohne Probleme. Autorin: Und empfehlen eben nur die Gesunden, Erfolgreichen, sagt er. Keines der sechs renovierten Lager wurde an die Bedürfnisse von Behinderten angepasst. ATMO: ????? ??? ????????! ?????. ???! / Keine Politik in Artek! Punk! Schluss! Autorin: Keine Politik in Artek, an diesem verwunschenen Ort ohne Kommandos und Aufmärsche, ohne Parolen und Plakate . Der Krieg im Donbass findet offenbar auf einem anderen Stern und nicht vor der Haustür statt, einem Ort, an dem die sorglosen Jugendlichen in jeder freien Minute an ihren Tabletts hängen und sich für Politik nicht interessieren. Auch die Ukrainerin Alina aus Odessa nicht. O-TON Alina Sprecherin: Ich kann nicht sagen, dass ich mich für Politik interessiere. Und ganz prinzipiell, irgendeinen Unterschied zu früher kann ich nicht feststellen. Denn zwischen uns Jugendlichen wird über die politische Lage nicht diskutiert. Autorin: Aber eins bedauert sie doch ein bisschen: O-TON Alina Sprecherin: Früher gab es viele Lieder auf Ukrainisch. Die hat man jetzt umgeschrieben und nun werden sie auf Russisch gesungen. Lied - Hallo Artek Autorin: Und die Praktikanten und Erzieher, was denken sie? O-TON Grigorij Sprecher: Wenn man jung ist, dann beschäftigt man sich nicht ernsthaft mit Politik. In dieser Zeit sollten die Kinder bolzen oder Frisbee spielen und singen. Artek hat alle Bedingungen dafür geschaffen zu spielen, sich zu vergnügen und Spaß zu haben. Ich habe nicht gemerkt, dass die Kinder und Jugendlichen wegen der Situation auf der Krim in irgendeiner Weise bedrückt sind. Autorin: Grigorij studiert Geschichte, will Lehrer werden. Lied - Hallo Artek ATMO: Offizielle Ankündigung des neuen Programms Autorin: Doch dann scheint ganz plötzlich die heitere Stimmung zu kippen. Gerade vor ein paar Tagen nur hatte Medwedew zum 90-jährigen Geburtstag von Artek eine freundliche, unpolitische Rede unter stürmischen Beifall der Zuschauer gehalten. Nun bitten zwei offizielle Herren aus Moskau um Gehör. Der eine: dunkler Anzug, bei 30 Grad Hitze zugeknöpft, die Inkarnation eines humorlosen Politkaders, Vorsitzender der russischen Jugendverbände, der andere etwas lockerer in weißer Hose und Hemd von der Jugendorganisation ?Junge sozial-ökonomische Initiativen?. Ihr neues Programm heißt nun ?Artek: Territorium der Fortentwicklung?. Das sei von der Regierung zusammen mit der Abteilung Sport und Jugend entwickelt worden. Die Kinder und Jugendlichen sollen im Spiel Artek zu einem unabhängigen, föderalen Staat, der Republik Artek umbauen, mit sechs gewählten Gouverneuren für die sechs Ferienlager, mit gewählten Deputierten, die die Wahlkommission ernennen und einem gewählten Präsidenten - ein Spiegelbild des russischen Staates. O-TON Kótschnev Sprecher: Wir möchten, dass die Kinder lernen, selbst Entscheidungen zu treffen und dafür Verantwortung zu übernehmen. Denn mir scheint, dass wir alle, Erwachsene und Kinder, Angst haben Verantwortung zu übernehmen. Autorin: Sergej Kótschnev ist der sich locker gebende Direktor der Jugendverbandes ?Junge sozial-Ökonomische Initiativen?. Erziehung zur Verantwortung - die Vermutung drängt sich auf, dass mit diesem Regierungsprogramm ?Artek - Territorium der Fortentwicklung? der ?freie Geist? von Artek manipuliert werden wird. In dem verschwurbelten Begleittext, der von Wladimir Putin selbst im Dezember 2014 vor der Versammlung der Russischen Föderation abgesegnet wurde, heißt es: Sprecher: Jeder, der bereit ist Verantwortung zu übernehmen, muss mitmachen, die Pläne zur Fortentwicklung des Landes, bestimmter Regionen und Gemeinden umzusetzen. Wenn Staat und Gesellschaft vertrauensvoll in einer Richtung zusammenarbeiten, dann wird das Ziel garantiert erreicht. Autorin: Die Gruppenleiter und -leiterinnen wirken nach Bekanntgabe des neuen Programms hilflos, fühlen sich übertölpelt. O-TON Darja Sprecherin: Wir werden uns mit den Kindern reinknien. Wie soll ich das nur beschreiben. O-TON Igor Sprecher: Es sollen Wahlverfahren gelernt werden. Aber wir wissen ja selbst nicht, wie das geht. Das ist kein Artek-Programm! Autorin: Darja, Mitte 20, versucht es nochmal. Die streichholzdünne Designerin aus Iwánosk klappert verzweifelt mit ihren langen künstlichen Wimpern. O-TON Darja Sprecherin: Thema für diese Urlaubsgruppen: ?Artek: Territorium der Fortentwicklung?. In diesem Durchgang werden wir lernen?. Ich kann das nicht formulieren. Ich verstehe überhaupt noch nicht, was das soll. Und natürlich später, wenn die Jugendlichen wieder zu Hause sind, werden sie weiter die Kurse ?Der junge Politiker? besuchen und nach diesem Programm geschult werden. Autorin: Darja liest aus den neuen Unterlagen vor. Artek eine Kaderschmiede für den politischen Nachwuchs? ATMO historischer Gesang Autorin: Sind die schönen, weil unbeschwerten Tage in Artek bald zu Ende? Nicht nur das Regierungsprogramm ?Artek: Territorium der Fortentwicklung? ist in den Ferienablauf integriert, in Kürze sollen die Artékovzy auch noch das im vergangenen Jahr wiederbelebte Regierungsprogramm GTO, Gotóv k Trudú i Oboróne, Bereit zur Arbeit und Verteidigung absolvieren, sagt man uns. Höher, weiter, schneller ? springen, werfen, laufen: das ist die eine Seite des Programms. Die andere: schon die Elfjährigen werden im Stehen und im Liegen üben, mit einem pneumatischen oder elektronischen Gewehr zu schießen und?. zu treffen, sie werden das paramilitärische Spiel Sàrniza spielen, in dem Kriegshandlungen simuliert werden. Es ist ein Spiel, das auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges für die sowjetische Jugend entwickelt wurde. Das wichtigste Erziehungsziel ? so sagt uns Aleksej Kasprzhak? sei es, dass Kinder lernten, Fragen zu stellen. Wir haben später per mail nochmal nachgefragt, der Kalte Krieg ist vorbei, warum also soll GTO jetzt eigentlich wieder eingeführt werden? Auf eine Antwort haben wir lange gewartet - vergeblich. ATMO: Stimmengemurmel bei der Lagerkritik Autorin: Die Jugendlichen plagen in diesem Sommer zum Glück noch ganz andere Sorgen. Um 22 Uhr geht ein ausgefüllter Tag geht zu Ende. Bevor das Bett ruft, versammeln sich die Gruppen mit den Erziehern draußen in einer ruhigen Ecke. Jetzt hat jeder die Chance zu sagen, was heute ganz besonders gut gelaufen ist und was nicht so toll war. Sie loben die Gemeinschaft, den interessanten Ausflug ins Museum, und die Jungen, die endlich etwas gesprächiger geworden seien. Doch eine Frage erweist sich als das brennendste Problem: O-TON Jugendliche Sprecherin 2: Ich bin schockiert. Ich wollte endlich ins Meer oder wenigstens ins Bassin. Zwei Badeanzüge!!!? Habe ich die vielleicht umsonst gekauft?? Hoffentlich wird es morgen in dieser Hinsicht besser. ATMO Grillen Absage: ARTEK reloaded Das traditionsreiche russische Ferienlager auf der Krim soll wiederbelebt werden Ein Feature von Suzanne Bontemps und Sophie Panzer Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. Es sprachen: Frauke Poolman, Anja Bilabel, Jochen Kolenda, Volker Risch, Carl Riemann und Birgit Karla Krause Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Oliver Dannert Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Karin Beindorff 1