Deutschlandradio Kultur Zeitfragen Kultur und Geschichte 26. November 2016 (Wiederholung Musikfeuilleton 10.11.2013) Ruhm, Schande und hehre Kunst Das Budge-Palais in Hamburg Von Elke Pressler Atmo Musik aus 2. Salon Klatschen 1. O-Ton B. Borchard im Salon Letztes Mal haben wir angefangen mit unserem Haus hier, mit dem Budge-Palais und mit der Rolle des jüdischen Bürgertums für das Schaffen von Zwischenräumen, ab hier unterlegen (für das Öffnen der Türen von Bürgerhäusern, um Menschen einzuladen zu Konzertveranstaltungen, zum geistigen Austausch, zum Gespräch, so, wie wir es heute ja überhaupt nicht mehr kennen.) (Atmo Lachen, Getuschel ... Zustimmung) Musik 2. O-Ton B. Borchard Interv. and. Raum Diese wunderbaren Räume, keiner hat sie gesehen, sie waren vollgestopft mit Büchern und Noten, auch als ich an die Hochschule kam. Ich habe immer gedacht: was sind das eigentlich für Räume ?! SalonAtmo/Musik hält an Musik > Ottilie Metzger-Lattermann 3. O-Ton Livia Gleiß Atmo innen Man konnte von dem Raum nicht mehr viel erkennen, auch seine Höhe und seine Größe kamen nicht zur Geltung, da einfach dicht an dicht die Regalreihen reingestellt waren. Man war einfach froh, so'n großen Raum zu haben und hat ihn halt genutzt als Bücherei. wieder Atmo / im Salon Musik aus 2. Salon weiter oder Klatschen 4. O-Ton Student Ein kleines Begrüßungsgedicht ... ab hier unterlegen (die Alster wird fotografiert, und alle Menschen sind zufrieden ... Musik, Musik, wir lieben dich, gesprochen, rezitiert ... von Frau Borchard -Lachen - Willkommen also hier im Saal, pardon: Salon - viel Spaß nun im Konzert.) Autorin Hochschule für Musik und Theater Hamburg, Frühjahr 2012. Es ist die zweite öffentliche Veranstaltung im frisch renovierten, wiederhergestellten sogenannten "Salon", im neu getauften sogenannten "Fanny Hensel - Saal". 6. O-Ton B. Borchard Das war ja meine Initiative, dass das Ganze überhaupt einen Namen ... Autorin Beatrix Borchard, seit 2002 hier an der Hochschule, Professorin für Musikwissen- schaften und engagierte Forscherin zum Thema Musikvermittlung und Gender, in ihrem Element. 6a. O-Ton B. Borchard ... meine Initiative, dass das Ganze überhaupt einen Namen kriegt: wir haben einen Mendelssohn-Saal, d.h. der Parallelsaal, der ja bis dahin nur Raum 12 hieß oder Alte Bibliothek, und für mich stand einfach im Vordergrund diese Geschwister-Konstellation, die was mit der Musikstadt Hamburg zu tun hat - auch wenn die beiden Kinder waren, und dann ( ) die Familie nach Berlin gegangen ist. Atmo hält an wieder Ottilie Metzger-Lattermann, dazu gesellt sich Caruso 7. O-Ton Livia Gleiß Atmo innen Das war - jetzt habe ich den Grundriss nicht vor mir - ein Salon ... das ist so etwas wie ein großer Empfangssaal. Die waren wirklich reich, das muss man sagen. 9. O-Ton Livia Gleiß Und dieser Mendelssohn-Saal, der riesige, schöne, wo wir kleine Konzerte haben oder auch Prüfungen ablegen, da steht in dem alten Grundriss zwar: Esszimmer, aber das war ein Speisesaal für festliche Anlässe. Da wird nicht das Ehepaar Budge gefrühstückt haben. wieder Klatschen, Murmeln, Musik etc.... 8a. O-Ton B. Borchard Es war mir natürlich ein Anliegen, dass er nach einer Frau benannt wird ... Atmo hält an 11. O-Ton Livia Gleiß Atmo innen Mir wäre auch z.B. Ella Budge - Saal sehr recht gewesen. Ich habe mich auch gewundert: warum werden die Namen der Mendelssohns genannt, die ja nun dem Vergessen entrissen sind. Gott sei Dank! Man könnte auch das Parkgelände, das sich um das Budge- Palais erstreckt, den Emma-Budge-Park nennen. wieder Klatschen, Murmeln, Musik etc.... 8b. O-Ton B. Borchard ... und die Art meiner Veranstaltung - "Thema Salon" - ist eben mit Frauen verbunden, und Fanny Hensel hat ja einen Gegenraum zur Öffentlichkeit selber geprägt. Mir ist wichtig, deutlich zu machen, dass Judentum nicht gleich Holocaust heißt. Ich möchte auch an das Positive anknüpfen, an das, was alles möglich war. Und da muss man einfach in die Zeit vor 1933 gehen und vor allem ins 19. Jahrhundert, wo es ja eine unglaubliche Aufbruchsstimmung gegeben hat, Man hat ja geglaubt, dass man Teil der Gesellschaft werden kann, und Musik war eine unglaublich wichtige Möglichkeit, sich einzuschreiben in die dominante Gesellschaft. Atmo/ Musik von Telemann: " ... geht schlafen, ihr Sorgen ..." Lachen und Klatschen gegenschneiden > Nazi-Soldatengestampfe = Judenverfolgung - bleibt bedrohlich drunter liegen ! + wieder Salon-Musik 12. O-Ton B. Borchard In dieser Salon-Reihe, die ja diesen Obertitel: "Musikstadt Hamburg jenseits von Hochglanzbroschüren" hat - das war mir ganz wichtig, da wollte ich unbedingt dieses Haus als Ausgangspunkt nehmen. 13. O-Ton B. Borchard Was ist das überhaupt für ein Palais, in dem wir uns mit der Hochschule befinden? 14. O-Ton B. Borchard Was ist das hier für'n Haus? Ortswechsel Außenatmo Vor dem Eingang des Palais' Autorin Eine kleine Tafel am Eingang zum strahlend-weißen, klassizistischen Altbau der Musikhochschule im noblen Hamburger Stadtteil Harvestehude an der malerischen Außen-Alster, genauer: Harvestehuder Weg 12, verzeichnet: Sprecher Budge-Palais, ... 15. O-Ton Livia Gleiß Außenatmo Ja, man kann die groben Fakten der Gebäudegeschichte darauf lesen. Sprecher ... als Villa 1883/84 erbaut und 1903 - 1908 zum Palais umgebaut von Martin Haller 16. O-Ton Livia Gleiß Außenatmo Martin Haller, ja, der war damals der Stararchitekt, und er war jüdisch. Es gibt ja hier in der Nähe den Hallerplatz, und er war sozusagen der Mit-Architekt des Hamburger Rathauses. Sprecher Von 1900 - 1937 im Besitze des jüdischen Ehepaares Emma und Henry Budge. 17. O-Ton Livia Gleiß Außenatmo ... die hier lebten. Die haben das Gebäude gekauft. Und dann ab 1938 plötzlich ... Sprecher Von 1938 - 1945 Sitz des Reichsstatthalters und Gauleiters der NSDAP 18. O-Ton Livia Gleiß Außenatmo Als Studentin, weiß ich noch, wie ich hier oft langgegangen bin und diese Buchstaben N S D A P las und mich gefragt hab: das kann doch nicht sein, dass man da mehr nicht weiß! Das war ein großes Fragezeichen für mich. Sprecher Von 1945 - 1955 Nutzung durch die Britischen Besatzungsbehörden. 19. O-Ton Livia Gleiß Außenatmo Und seit 1959 Sitz der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Wir gehen hier tagtäglich als Angehörige der Musikhoch- schule in das Gebäude, - aber es ist gar nicht normal, an so einem wunderbaren Ort studieren zu können -, man kann diese Tafel durchlesen, und man könnte denken: na gut, dann ist ja alles glattgegangen. Aber wenn man sich ein bisschen auskennt, was geschehen ist in der NS-Zeit mit den jüdischen Vermögen, dann kann man sich bei so einem Prachtbau hier an der Alster schon denken, dass das nicht so ohne weiteres als Repräsentativsitz für den wichtigsten Mann unter den Nationalsozialisten gewählt wurde. Spätestens ab dem Moment, als ich gelesen habe, dass Ella Budge, die letzte rechtmäßige Bewohnerin mit ihrem Mann Siegfried Budge direktes Opfer der Nationalsozialisten wurde, indem sie im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert und Monate später dann deportiert wurde nach Theresienstadt, da war mir klar: diese Tafel sagt gar nichts aus! Da kann man noch nicht mal zwischen den Zeilen lesen, dass was passiert ist. Und dann habe ich halt angefangen, ausgiebig zu recherchieren. Autorin 2008 - rund 50 Jahre nach Übernahme des Budge-Palais' durch die Hochschule für Musik und Theater Hamburg - erscheint eine Broschüre über die Geschichte dieses Hauses und seine ehemaligen Besitzer und Bewohner. Verfasst von, einer Studentin (!) 1. Auflage: 1000 Exemplare, umsonst erhältlich. 2. Auflage: erst vier Jahre später, 2012. 21. O-Ton Livia Gleiß Außenatmo Anstoß war ein Seminar bei Frau Professor Borchard über die zu Opfern gewordenen jüdischen Künstler, Sänger oder auch Komponisten. Musik von (> Ottilie Metzger-Lattermann s.o.) 22. O-Ton B. Borchard Es ist ein Projekt gewesen, es ist eine Autorin, eine Studentin: Livia Gleiß hat das gemacht, und es muss möglich sein, das auch aus ner persönlichen Perspektive zu formulieren. Es ist keine öffentliche Verlautbarung der Hochschule - das wäre natürlich eine vollkommen andere Textsorte!! Musik von (> Ottilie Metzger-Lattermann s.o.) 25. O-Ton B. Borchard Ich glaube, dass das möglich sein muss aus einer studentischen Perspektive, die natürlich auch von einem gewissen ja moralischen, aber das ist ja klar bei dem Thema, moralischen Fragezeichen - natürlich ganz, ganz stark spürt man das in der Formulierung der Texte, was eben den Umgang mit dem Budge-Erbe betrifft. Ich meine, mit Kollegen - es hat keinerlei Gespräch darüber stattgefunden! 26. O-Ton Livia Gleiß Außenatmo Dann habe ich das tatsächlich alleine gemacht! Atmo Blättern Sprecher Aus der Broschüre: Autorin "Die Familie Budge in Hamburg und ihr Palais an der Alster", S. 12 Sprecher "Henry, eigentlich Heinrich, Budge, 1840 geboren, entstammte der Familie eines wohlhabenden jüdischen Frankfurter Wertpapierhändlers. 26jährig wanderte er in die USA aus, wo er über viele Jahre zu einem hochrangigen Finanzierungsexperten im expandierenden amerikanischen Eisenbahnbau aufstieg. 1879 lernte er während eines Deutschlandaufenthaltes Emma Lazarus kennen. Sie war 1852 in Hamburg als Tochter einer alteingesessenen ebenfalls jüdischen Kaufmannsfamilie geboren worden. Sie heirateten und nahmen 1882 die amerikanische Staatsbürgerschaft an, die sie niemals aufgaben. Doch betrachteten sie Deutschland offensichtlich immer noch als ihre Heimat. Nachdem Henry Budge sich 1903 als Multimillionär von seinen aktiven Geschäften zurückgezogen hatte, verließ das kinderlose Ehepaar Amerika, um sich in Hamburg, der Heimatstadt Emma Budges, zur Ruhe zu setzen. Als Wohnsitz wählten sie die Villa an der Alster." 27. O-Ton Livia Gleiß Außenatmo Also Henry und seine Frau Emma Budge, die sind ganz wichtige Förderer der Stadt Hamburg gewesen in ihrer Zeit. 27a. + 1h 12'28" Atmo drinnen Ohne die jüdischen Mäzene hätten diese Universitäten Frankfurt/Main und Hamburg gar nicht eröffnet werden können und dann - zack! kam die national-sozialistische Machtergreifung und --- Schockierend! Die alten Budges Henry und Emma, die mussten gar nicht mehr arbeiten, eigentlich ihr Vermögen verwalten, aber die haben so viele Stiftungen ins Leben gerufen. Das war die Zeit nach dem 1. Weltkrieg, als es viele bedürftige Menschen gab, Frauen, die früh Witwen geworden waren und die Unterstützung brauchten - für arme Familien, für Frauen, Kinder, für die Säuglingspflege und dann wieder für die Versorgung alter Menschen haben sie viele Gelder zur Verfügung gestellt. Und in diesen Stiftungsgeldern heißt es immer: die Mittel seien ausdrücklich für jüdische, christliche und andere Personen zur Verfügung zu stellen. Das habe ich sehr bewundert. Es wurde ihnen nichts gedankt! 28. O-Ton Silke Wenzel Die Broschüre lag schon lange Zeit im Ständer der Ankündigungen, und die Resonanz von außen war sehr positiv. Autorin Silke Wenzel, Musikwissenschaftlerin und -historikerin 28. O-Ton Silke Wenzel Im Haus gab es doch immer wieder Vorbehalte. Ich könnte keine genaue Begründung nennen, ohne Menschen etwas zu unterstellen, was ich nicht weiß. Es ist sicherlich bis heute so, dass nicht zuletzt durch die jüngsten Entwicklungen, wo es noch mal Versuche gab, bestimmte Entschädigungsansprüche - in diesem Zusammenhang war oder ist vermutlich so eine Broschüre dann doch etwas, was diffuse Ängste schürt. 29. O-Ton Livia Gleiß Ich kann's nicht begreifen! 31. O-Ton Silke Wenzel Wenn man z. B. an die Stolpersteine denkt, die dann doch in etlichen Straßen Hamburgs von den Hausbesitzern persönlich wieder ausgegraben wurden, weil eben Ängste bestanden, dass man ihnen vorwerfen könnte, dass ihre Familie unrechtmäßig dieses Haus erworben habe - also gerade bei den Stadtvillen z.B., da merkt man, niemand weiß so ganz genau: wie ist eigentlich deine Familie an dieses Haus gekommen, aber in dem Moment, wo so ein Stolperstein davor liegt, liegt die Vermutung nahe. Ob das nachher tatsächlich so ist, ob dieses Haus wiederum von Nachkommen der ehemals Ermordeten oder Vertriebenen bewohnt wird, ist quasi nichts, was man genau weiß. Aber die Vermutung ist da. 30a. O-Ton B. Borchard Ein Hauptpunkt war die ungeklärte Rechtssituation, weil natürlich ganz klar war, dass es zwar juristisch so ist, dass die Stadt das gekauft hat von der Budge-Familie, nur wir wissen alle, wie die Bedingungen ausgesehen haben - oder wir wissen es halt nicht im Detail -, zumindest konnte jeder ahnen, dass das für'n Appel und nen Ei verkauft werden musste und dass da noch ziemlich viel Klärungsbedarf bestand. 32. O-Ton Livia Gleiß Die ganzen Jahrzehnte wurde immer nur gesagt: die Stadt Hamburg hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, unter damaliger Rechtsprechung hat die Stadt Hamburg ja bezahlt, und unter damaliger Rechtsprechung ist das alles erledigt, und ich hab' mir an den Kopf gefasst: wie kann man sich denn heute auf die damalige Rechtsprechung, die ja auf Unrecht basierte, berufen! 34. O-Ton Silke Wenzel Ich bin mit Empörung immer sehr vorsichtig. 35. O-Ton B. Borchard Die Hochschule ist zwar nicht Eignerin des Gebäudes, aber sie nutzt es halt, und ich denke schon, dass das n' wesentlicher Punkt ist, warum das nicht so ganz - ja, das nicht als Aufgabe der Hochschule betrachtet wurde, sondern als Aufgabe der Stadt, diese ganzen Fragen mit der Familie Budge zu klären. 29. O-Ton Livia Gleiß Ich kann's nicht begreifen! Es ist einfach unsere menschliche, unsere ganz normale, ja, unsere ganz normale, menschliche Aufgabe, die Augen aufzumachen, und das zu sehen, was hier war!! Und ich habe dann zu viel zwischen den Zeilen schon erkannt. Atmo Blättern Sprecher Aus der Broschüre: Autorin "Die Familie Budge in Hamburg und ihr Palais an der Alster", S. 16 und 17 Sprecher "Im Februar 1937 starb Emma Budge, drei Tage vor ihrem 86. Geburtstag. Da sich für den Kauf des Budge-Palais in der gebotenen Eile kein privater Interessent hatte finden lassen, traten die Testamentsvollstrecker Emma Budges im Verkaufsverhandlungen mit der Hamburger Finanzverwaltung. Noch im Herbst 1937 machte Karl Kaufmann, seit 1929 Gauleiter und seit 1933 Reichsstatthalter von Hamburg, sein Interesse am Budge-Anwesen geltend als künftigem repräsentativen Hauptsitz für die Hamburgische Staatsverwaltung. Im Dezember 1937 wurde das Budge-Palais mit dem gesamten Alstervorland und den zwei anderen Häusern für den Spottpreis von 305.000 Reichsmark an die Stadt Hamburg verkauft; der Erlös wurde jedoch nicht ausgezahlt, sondern auf ein Sperrkonto überwiesen und den Erben unter der Berufung auf die antijüdische Sondergesetzgebung und die Devisenbestimmungen nahezu vollständig vorenthalten." 36. O-Ton Livia Gleiß Ja, Dr. Siegfried Budge und seine Frau Ella Budge, diese Namen, die waren tatsächlich überhaupt gar nicht bekannt! Atmo Blättern Sprecher Aus der Broschüre: Autorin S. 28 und 31 Sprecher "Siegfried Budge, 1869 in Frankfurt am Main geboren, war ein Neffe von Henry Budge. Siegfried Budge lehrte von 1925 bis 1933 als Professor für Nationalökonomie an der Universität Frankfurt/Main, zwischenzeitlich auch an der Herder-Hochschule in Riga. Er wurde als Fachmann insbesondere auf dem Gebiet der Geldtheorie bekannt. Bereits im März 1933, also noch vor dem Erlass des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", wurde Siegfried Budge, weil er Jude war, die Lehrbefugnis entzogen - "... ausgerechnet von der Universität, die den Budges so viel zu verdanken gehabt hatte." Er bemühte sich erfolglos um eine Anstellung im Ausland. Daher zogen Siegfried und Ella Budge, die er 1897 geheiratet hatte, 1934 auf Einladung Emma Budges zu ihr nach Hamburg in das Palais an der Alster." 37. O-Ton Livia Gleiß Ich weiß noch, wie ich - 2006 - vor dem Gebäude gesagt habe: hier fehlt es an namentlichen Erinnerungen an die letzten Bewohner dieses Gebäudes, nämlich Siegfried und Ella Budge. Und ein Jahr später lagen da diese Steine! 38. O-Ton B. Borchard Als die Stolpersteine verlegt wurden - dafür habe ich ja auch gesorgt ... 39. O-Ton Livia Gleiß ... da kam raus: 1937, nach dem Tod Emma Budges, also der Besitzerin, mussten sie sofort das Gebäude verlassen; innerhalb ganz weniger Jahre mussten sie zehn Mal umziehen, und zwar haben sie dann nur Unterschlupf gesucht, da steht dann jedes Mal: wohnhaft bei, wohnhaft bei ... Atmo Blättern Sprecher Aus der Broschüre: Autorin ("Die Familie Budge in Hamburg und ihr Palais an der Alster",) S. 31 und 35 Sprecher "Siegfried Budge starb im September 1941 infolge schwerer Krankheit. Ella Budge wurde im April 1942 durch die Hamburger Gestapo verhaftet. Ein Grund wird durch nichts erkennbar. Dass Ella Budge (1942) ausgerechnet im KZ Fuhlsbüttel eingesperrt wurde, das von demjenigen eingerichtet wurde, der nun die repräsentative Anlage ihres einstigen Hauses für seine Machtausübung missbrauchte, zeigt den Zynismus der nationalsozialistischen Gewaltherrscher." Ottilie Metzger-Lattermann Arie ... geht über > heutiger fröhlicher Salon, Lachen und Klatschen 41. O-Ton Livia Gleiß Ja, ich finde das ganz bemerkenswert, dass bald 70 Jahre später nach diesen finsteren Zeiten Erinnerungsarbeit auch ganz andere Gestalten annimmt und eben man auch der Formen gedenkt: wie wurde die Kultur denn hier eigentlich gepflegt?! 42. O-Ton B. Borchard Wir wissen sehr wenig über die konkrete Musik, die dort erklungen ist. Wir wissen, dass Caruso dort gesungen hat, wir wissen, dass Ottilie Metzger-Lattermann dort gesungen hat, ... Musik kurz aufziehen 42a. O-Ton B. Borchard ... wir wissen, dass Hindemith dort mit seinem Quartett dort gespielt hat. Aber im privaten Bereich schreibt man keine Programme normalerweise auf. Aber allein diese Hinweise reichen mir schon, um ne Vorstellung zu bekommen, dass es für dieses wirklich sehr, sehr reiche Ehepaar Budge ein Anliegen war, die Türen des Palais' zu öffnen, Leute einzuladen und mit den tollsten Künstlern der damaligen Zeit die Gelegenheit zu geben, die in ganz anderer Weise zu hören, als wenn sie in die städtische Oper gegangen sind - nämlich auf Tuchfühlung! Und mit ihnen noch ins Gespräch zu kommen. Musik Ottilie Metzger-Lattermann geht über in Salon-Mitschnitt > Klatschen, Lachen Autorin Ottilie Metzger-Lattermann. Von 1903 bis 1915 erste Altistin des Hamburger Stadttheaters. Auftritte in großen Rollen von 1901 bis 1912 bei den Bayreuther Festspielen. Weltweite Karriere mit Gastspielen in Prag, Zürich, Amsterdam, Wien, St. Petersburg und London. 1922 bis 1923 Gastspiele mit der German Opera Company unter Leo Blech in den USA. Musik 45. O-Ton Livia Gleiß Ottilie Metzger-Lattermann war natürlich eine ganz beliebte Koryphäe, die hier 1913 gesungen haben soll. Von ihr weiß man ja, dass sie lange Zeit noch in Hamburg geblieben ist und in Deutschland, immer in dem Glauben: ‚Solange wir noch singen können, solange man uns noch den Raum gibt, Kunst zu machen, kann's so schlimm nicht sein'. Und hat also ganz spät, bis 1943 noch versucht, zu bleiben und ist erst ganz spät nach Belgien geflohen, wo sie dann auf offener Straße erfasst wurde von SS-Leuten und nach Auschwitz verschleppt wurde und ums Leben kam. Musik Ottilie Metzger-Lattermann 46. O-Ton Livia Gleiß Ich fand das ja gerade so faszinierend, als Studierende hier durch das Haus zu gehen und zu bemerken: das war mal ein privates Haus! Also im Keller neben dem Asta-Raum sah ich dann so blauweiße Kacheln, und dann habe ich rausgefunden: das war damals die große Küche, wo die ganzen Bediensteten des Budge-Paares gekocht haben. Ganz viele Details findet man, und gerade dieser Aspekt, dass ich an manchen Ecken und Stellen ungeahnt solche Spuren des einstigen Privatlebens doch noch fand, das fand ich merkwürdig. Andere Institutsgebäude oder Hochschul- gebäude sehen ganz anders aus! Und wenn man dann jetzt eine solche kulturelle Form findet zu sagen: ja, wir können und wollen das ja auch gar nicht mehr hier so einrichten, wie das zu Zeiten der privaten Villa war, aber diese Form des Salons, der ja auch gerade in jüdischen Kreisen gepflegt wurde und in dem Kunst in Freundes- und Bekanntenkreisen und in größerem Kreis gemeinsam geteilt und genossen wurde, das ist eine interessante und schöne Form ! Salon: Gesang + Klatschen 47. O-Ton Livia Gleiß Ich habe ja mit einem der Erben, der war ja 85 schon, vor wenigen Jahren telefonieren können in New York, mit Wolf Kahn; der ist ja berühmt geworden als Landschaftsmaler. Der hat auch Hamburg besucht und Ausstellungen gemacht in mehreren Galerien; das finde ich auch so beachtenswert, dass er mit Bildern zurückgekommen ist und auch hier das Budge-Palais besucht hat. Er hat den schweren Satz gesagt: ‚Vergessen Sie nie, dass das Deutsche waren, die das gemacht haben.' Und dann sitzt man da als eine kleine Person in Deutschland und weiß, er hat recht. Atmo Blättern Sprecher Aus der Broschüre: Autorin (Die Familie Budge in Hamburg und ihr Palais an der Alster,) S. 38 Sprecher "Um Tatbestände von Deportation und Mord abzustreiten und sich damit aus der Verantwortung zu ziehen, beriefen sich die Behörden in der Nachkriegszeit häufig auf "fehlendes Beweismaterial" - dieses war jedoch von den Nazis gezielt vernichtet worden. Durch dieses Verhalten der Behörden wurde vielen Opfern nach der Zeit des Nationalsozialismus erneut Unrecht angetan." Autorin Dann, im Frühjahr 2011, plötzlich der Vergleich. 51. O-Ton Livia Gleiß Das kam ja einem Wunder gleich! Die ganzen Jahrzehnte dazwischen, das war Zement, da wurde gar nicht gesprochen! Atmo Blättern Sprecher Aus der Broschüre: Autorin Nachtrag, S. 51 Sprecher "Nachdem sich die jüdische Erbengemeinschaft mit Forderungen an die Stadt Hamburg gewandt hatte, kam es im April 2011 durch Vermittlung des ehemaligen Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi zu einer beide Seiten zufriedenstellenden Vereinbarung. Der Senat erklärt: "Der Erbengemeinschaft wird durch den Senat das Bedauern über das erlittene Unrecht ausgedrückt sowie eine Entschädigung zugesprochen". 52. O-Ton Livia Gleiß Die Höhe ist nicht bekannt gemacht worden. Sprecher "Das Budge-Palais und auch der im Museum für Kunst und Gewerbe wiedererrichtete Spiegelsaal verbleiben demnach im Eigentum der Stadt Hamburg." wieder Salon-Musik 53. O-Ton Livia Gleiß Es war eben nie irgendein Gebäude! Und es ist ja dann eigentlich ein schöner Teil der Geschichte, wenn es für künstlerische und kulturelle Zwecke genutzt wird, wie sich das Emma Budge ja ursprünglich auch gewünscht hat. Sie hat sich ja im Testament gewünscht, dass es mal, wenn es der Stadt Hamburg als Schenkung übermacht sei, entweder für gemeinnützige oder kulturelle Zwecke, etwa als Museum, hat sie geschrieben. Na, jetzt ist es kein Museum, sondern eine Klangfabrik und mit Bühne für Schauspiel und Musik und Komponisten. Ich finde es interessant, dass es ein öffentliches Gebäude heute ist, und gerade öffentliche Gebäude sollten ja mit ihrer Geschichte verantwortungsvoll umgehen können. Atmo Salon-Musik *** 3