COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Nachspiel, 1.8.2010 "Nur Fliegen ist schöner" - Bei den Klippenspringern in der Schweiz Autor: Fritz Schütte Redaktion: Sabine Gerlach Was irre ist an dieser Geschichte, sind eigentlich zwei Sachen: erstmal der Flug, der freie Flug und das Eintauchen ist auch unglaublich, weil du in eine vollkommene Ruhe rein kommst. Da unten ist absolute Stille. Du hörst überhaupt nichts. Jeder hat Angst. Aber es geht ja darum, diese Angst zu überwinden im Bewusstsein, dass man das kann. Das nennt man dann Mut. Wenn jemand keine Angst hat und einfach geht, ist es schlicht und einfach Leichtsinn. Tapfer schaut der Junge geradeaus. Zehn Meter unter ihm: das Schwimmbecken. Wie klein die Menschen aussehen von hier oben! Geh nach vorne! Konzentrier dich! Beine zusammen! Nach vorne gucken! Ja, und so lässt du den Kopf auch! Arme nach unten! Bei drei! Guck nach vorne, nicht nach unten! - Ich habe Angst. - Ja, dann komm zurück. Dann hat es keinen Sinn. Du musst Respekt haben, aber keine Angst. Und eins, zwei, drei. Ja, Klasse. Das klatscht auch nicht. Da hört man schon vom Sound her, dass es ein gelungener Sprung war. Besucher, die regelmäßig in der Hamburger Alsterschwimmhalle sind, kennen ihn: Klaus Dultz, stämmig, Anfang fünfzig. "Klippenklaus". Mittlerweile ist es so, dass viele, die hierher kommen und mich kennen, auch von mir trainiert werden, trainiert insofern, dass sie von mir Tipps bekommen, wie man einen Sprung gefahrlos reinkriegt. So jetzt mach ich mal einen Jump. Klaus wischt sich mit einem Tuch die Knie trocken, damit die Hände beim Salto nicht abrutschen, wirft es nach unten an den Beckenrand, stellt sich auf die Zehenspitzen und hebt die Arme. Seine Sprünge sind immer noch eine Attraktion. Bei einem Sprung aus zehn Metern Höhe erreicht der Körper eine Geschwindigkeit von fünfzig Stundenkilometern und wenn er beim Aufprall im Wasser in Sekundenbruchteilen auf Null gebremst wird, lastet das 35fache seines Gewichts auf ihm. Der Junge ist gleich wieder auf den Turm geklettert. Er strahlt über das ganze Gesicht. Gut, dass er beim Aufprall nicht nach unten geschaut hat. Das hat nicht weh getan. Nur ein bisschen am Fuß ... . ... ..Taner, nun trau dich doch ... Die größeren Jungs stürzen sich kopfüber vom Turm. Er versucht jetzt Schraube mit Anlauf mehr oder weniger zu machen. Konzentriere dich ... . Ja ... Jedes Mal, wenn ich springe, habe ich abends Muskelkater im Schulterbereich. Risiko ist bei jedem Sprung dabei. Ein gelungener Kopfsprung aus zehn Metern Höhe sollte nicht übermäßig weh tun. Aber dazu muss der Kopf von den Armen geschützt werden. Klaus weiß, wovon er spricht. Ich habe in früheren Zeiten zehn Jahre hintereinander die Hamburger Meisterschaften im Turmspringen gewonnen, weil es auch keinen Konkurrenten gab. Und dann habe ich aufgehört, weil ich zu alt geworden bin. Schon lange wird in Hamburg kein Meister mehr im Turmspringen ermittelt. Nur ein Sportverein bietet noch Wasserspringen an allerdings nur vom Brett. Klaus hält sich fit für den Sommerurlaub in den Bergen. Dort ist er vor zwölf Jahren zufällig in die Europameisterschaft der Klippenspringer geraten. Ich wusste nicht, dass in der Schweiz das sogenannte Eldorado für diese Sportart ist, habe die dann aber springen sehen und gedacht: "Das kann ich auch," bin mit gesprungen und habe dann an dem Abend den siebten Platz gewonnen. Ich habe einmal den Sprung aus 32 Metern gemacht, was allerdings schon verrückt ist. 32 Meter ist nicht nur grenzgängig, sondern eigentlich schon sehr gefährlich. Unter den Klippenspringern sagt man, man sollte zwischen 26 und 28 Metern bleiben, denn dann wird es gefährlich. Klaus leitet einen Pflegedienst und weiß, wie sehr ein Unfall das Leben verändern kann. Selbst bei Sprüngen aus zehn Meter Höhe ist er lieber vorsichtig. Das ist ein Boxerschutz, eine Schiene für den Oberkiefer. Wenn ich mal hin knalle, dass es mir dann nicht die Zähne wegreißt, sondern dass alles da bleibt, wo es hingehört. ... geh doch runter, wenn du nicht springst ... . Wie alt ist er? ... das hat doch nichts mit Alter zu tun ... Mach deinen Jump! Du bist doch von hier schon gesprungen. Gib deine Kette her! Mach hier keinen Hermann, du musst dich auf dich selber konzentrieren und springen! Nase nach oben! Und mach deinen Jump bei drei! Eins, zwei, drei. Zum Abschluss setzt Klaus zur Freude der Jungs einen Paketsprung, im Volksmund eine Arschbombe, ins Becken, die selbst Badegäste, die auf Liegestühlen vor sich hin dämmern, aufhorchen lässt. Wie unterhaltsam das als eher dröge bekannte Turmspringen sein kann, hat der sportverrückte Showmaster Stefan Raab bewiesen. In der Sendereihe "Raab in Gefahr" trainierte er für einen Kopfsprung vom Zehn-Meter-Turm. So das sind das jetzt zehn Meter. --- Ja Scheiße ist das hoch. ... ... . Du Scheiße.. Der Jugendliche, der damals, - um ihm Mut zu machen- , vor Stefan Raab ins Wasser sprang, war Sascha Klein. Er ist jetzt 24, Sportsoldat bei der Bundeswehr und erinnert sich gut an den mutigen Showmaster. Der hat einmal mit uns "Raab in Gefahr" gedreht. 2002 glaube ich., Und seitdem hat er wohl ein paar Male in der Halle trainiert, aber gesehen habe ich ihn seitdem nicht mehr. Stefan Raab ist dem Wasserspringen treu geblieben. 2005 stürzte er sich im Berliner Europasportpark vor laufenden Kameras aus der sechzehn Meter hohen Dachverstrebung ins Becken. Stefan, wie sieht es aus, kannst du es weiter empfehlen?..... Olli, es tut überhaupt nicht weh. Es muss dann doch länger weh getan haben als erwartet. Beim Röntgen wurde später ein Steißbeinbruch diagnostiziert, der Stefan Raab zwang im darauf folgenden Jahr zu pausieren. Mit dem TV-Total-Prominenten-Turmspringen lockte er fast vier Millionen Zuschauer vor den Bildschirm. Heute finden in der Berliner Halle die Deutschen Meisterschaften im Wasserspringen statt. Auf der Tribüne kein Prominenter, außer den Angehörigen der Athleten kein Publikum und am Beckenrand kein Fernsehteam. Die, die hier heute auftreten sind schon zehn, fünfzehn Jahre im Geschäft, manche schon zwanzig im leistungssportlichen Training. Das bedeutet, jeden Tag Training, für manche sogar zweimal pro Tag. Das ist ein sehr langwieriger Prozess und mit diesen kurzfristigen Erlebnissen, die Raab rüberbringt ... das ist zwar fürs Publikum okay, aber für unsere Sportart nicht aussagefähig. Udo Hemmerling ist Trainer am Olympiastützpunkt Berlin. Wer die Weltspitze erreichen will, sollte in Berlin, Halle, Leipzig, Dresden, Rostock oder Aachen wohnen und möglichst im Vorschulalter mit dem Sport beginnen. Jahre langes Training, bis man die Orientierung hat. Die genauen Streckphasen und Eintauchwinkel, das muss erarbeitet werden. Auch die schweren Sprünge, das geht nicht von heute auf morgen. Man fängt ja mit leichten Sprüngen an, die sich über Jahre hinweg aufbauen zu immer schwereren Sprüngen. Ich denke, so rund zehn, zwölf Jahre braucht man schon. Zusammen mit Partner Patrick Hausding hat Sascha Klein bei den Olympischen Spielen in Peking die Silbermedaille im Synchronspringen gewonnen. Eine leere Halle beim Wasserspringen wäre dort unvorstellbar. Wenn wir in China Wettkampf haben, ist die Halle immer rappelvoll wie beim Fußball. Es ist zwar nicht so groß das Stadion, aber die Plätze sind alle besetzt. In China ist es auch so, dass man, wenn man einen schlechten Sprung macht, teilweise sogar ausgebuht wird. Die haben richtig Spaß daran, sich das anzuschauen. Jeder Athlet absolviert sechs Sprünge, die sich aus Schrauben und Salti zusammensetzen. Vorwärts abgesprungen aber rückwärts gedreht heißen sie Auerbach und rückwärts abgesprungen und vorwärts gedreht Delphin. Hinzu kommt noch der Absprung aus dem Handstand. Nächster Springer Sascha Klein ... ." Das Wasser ist lauwarm. Die Sprudelanlage sorgt dafür, dass die Oberfläche weich und gut sichtbar ist. Die Haltung während des Sprungs zu beurteilen, überfordert den Laien. Er sieht nur, wenn etwas schief geht. Sascha Klein zischt wie ein Pfeil ins Wasser. In Funsport - Wettbewerben, wie sie seit einigen Jahren vor großem Publikum in deutschen Freibädern abgehalten werden, wäre er mit diesem Sprung glatt durchgefallen. Trainer Udo Hemmerling hat schon vom Splashdiving gehört. Das sehen wir immer mit gemischten Gefühlen. Diese Arschbomben-WM ist natürlich mit normalem Wassersprungtraining überhaupt nicht zu vergleichen, wobei man vor dem Mut dieser Leute, die sich da mit Absicht wehtun, muss man schon den Hut ziehen. In unserer Sportart ist es so, dass man versucht, sich überhaupt nicht weh zu tun und so wenig Spritzer wie möglich zu machen und bei der Arschbombengeschichte, je mehr Spritzer je mehr es weh tut, desto höhere Noten kriegen die Leute. Auch Sascha Klein bleibt beim Zappen durch die Sportkanäle hin- und wieder beim anderen Wassersprungdisziplinen hängen. Ihm haben es eher die Übertragungen vom Klippenspringen angetan. Aber ich glaube, aus so hoher Höhe würde ich mich dann doch nicht runterstürzen. Ich denke, das ist schon ganz schön gefährlich. Vielleicht würde ich es mich auch nicht trauen einfach. 27 Meter Klippe ... Wolfgangsee ... Beim Stichwort Klippenspringen fördert die Internetsuchmaschine Youtube auch private Urlaubsvideos zu Tage, die den nach Sensationen heischenden Ton der Fernsehclips nachahmen. Was geht in ihm vor? Was denkt er? Was fühlt er?.....Liegt der auf dem Rücken? Beim Sprung aus zwanzig Metern Höhe wirken auf den Körper Kräfte wie bei einem mittelschweren Verkehrsunfall. Er wird innerhalb von 1,9 Sekunden auf Tempo 90 beschleunigt und in acht Hundertstelsekunden auf Null gebremst. Ich meine, zwanzig Meter und zehn Meter ... . das sind Welten. Das ist nicht einfach doppelt so hoch, das verzehnfacht sich. Also, das Wasser wird zehnmal härter Man kann es eigentlich gar nicht beschreiben. Es staucht dich von zwanzig schon sehr zusammen. Von zwanzig ist praktisch der Aufschlag neunfach höher als von zehn. Und dann von zweiundzwanzig auf sechsundzwanzig Meter ist ein riesengroßer Sprung. Den habe ich damals schon als sehr heftig empfunden. Christian Wurst breitet sein Handtuch auf dem Granitblock neben Andreas Marchetti aus. Morgen beim Wettkampf sind die beiden Konkurrenten. Sie schauen in eine dunkle Schlucht, in der sich das eiskalte Wasser des Gebirgsflusses Maggia zu einem kleinen See aufstaut, umstanden von zwanzig Meter hohen Felsen, von denen sich die beiden heute schon zweimal heruntergestürzt haben. Auch für uns, die wir das regelmäßig betreiben, wir denken immer: "Bah, das ist schon hoch, oder?" Zwanzig Meter ist schon angenehm, aber fünfundzwanzig, sechsundzwanzig, da denke ich: "Das ist schon hoch." Und dann konzentriere ich mich. Ich weiß, dass ich es kann, und dann mache ich den Sprung. Andreas Marchetti ist Ende dreißig. Wenn er den Arm bewegt, hüpft der Bizeps. Er ist Kickboxer und ehrgeiziger Klippenspringer. 2005 war ich Europameister. Und eigentlich mache ich immer noch die gleichen Sprünge, aber da habe ich drei Sprünge gemacht und jeder hat gesessen. Bis heute Abend haben wir Zeit, die Sprünge zu melden, die wir morgen im Wettkampf zeigen. Zwei stehen schon relativ fest. Da wird der Dreifach-Salto vorwärts sein, gehechtet, halbe Schraube und der vorwärts, Handstand, zweieinhalbfach, halbe Schraube. Und für den dritten bin ich mir noch nicht sicher. Da muss ich im Verlaufe des Nachmittags eine Entscheidung treffen. Christian Wurst steht auf der knappen Badehose. Der deutsche Teilnehmer, genauso durchtrainiert wie sein Schweizer Konkurrent, suchte nach dem Abschied vom Leistungssport ein neues sportliches Ziel. Ich komme vom Kunstturnen, habe Jahre lang Bundesliga geturnt und kam dann über Umwege und sehr viele Zufälle zum High Diving. Jedes Jahr treffen sich die Klippenspringer zu ihrer Europameisterschaft in Ponte Brolla, dreißig Kilometer entfernt von Lugano. Eine wuchtige Römerbrücke spannt sich über die Maggia, die den Lago Maggiore speist. Das Tessin, der südlichste Kanton der Schweiz, ist seines mediterranen Klimas wegen beliebtes Urlaubsziel. Obwohl er nicht mit Creme spart, hat Klaus Dultz sich bereits einen Sonnenbrand geholt. Er sitzt auf einem Handtuch, neben sich die Neopren-Jacke, raucht eine Zigarette und schaut wie alle anderen nach oben, denn dort steht jetzt ein Springer. Das, was du da hell siehst, ist eigentlich nur die Felsnase. Und du springst durchs Helle durch ins Dunkle rein ... er geht nach vorne, okay ... da, wo die beiden Jungs jetzt stehen, ist eine Gehwegplatte eingebaut ... .nun ist die Frage, ob er überhaupt springt. Warten wir es mal ab ... .. Klaus kennt die Konkurrenz seit Jahren. Hier der Däne. Die Norweger sind dieses Jahr leider nicht dabei. Anna Bader aus Deutschland, und Christian Wurst ist ja auch da. Das einzige neue Gesicht, das gerade erstmals von zwanzig Metern herunterguckt, ist das des britischen Teilnehmers. Ja. Er ist safe rein gesprungen. Nach dem Motto: "Ich will mal gucken, was passiert, wenn ich da jetzt rein jumpe ... .." Safe heißt: Salto vorwärts gestreckt mit halber Schraube, Landung mit den Füßen zuerst. Morgen im Wettbewerb darf aus dreizehn, fünfzehn, neunzehn und zwanzig Metern Höhe gesprungen werden. Für die Landung mit dem Kopf voraus gibt es sogar einen Pluspunkt Aber es ist halt ... . ich weiß, wenn ich dreimal auf den Kopf gesprungen bin, bin ich ziemlich im Eimer. Da kriegst du die Arme nicht mehr hoch am nächsten Morgen, weil alles traumatisiert ist. Klaus fühlt sich nicht fit und wird morgen zuschauen. Eineinhalb Salto Delphin von neunzehn auf den Kopf, zweieinhalb Salto von neunzehn vorwärts ganz normal und eineinhalb Salto von fünfzehn. Das wäre so mein Programm gewesen. I am not as good as you. Two and a half from fifteen... "Du springst auf den Kopf?" fragt der Brite verdutzt. Klaus nickt. "Aber guck dir meinen Hals an! Der ist so dick wie dein Kopf." Für seine siebenundzwanzig Jahre wirkt Blake Aldrige tatsächlich eher zart. Sein Synchronsprungpartner bei den Olympischen Spielen in Peking war damals erst vierzehn. Ich bin nach den Spielen bei einer Schlägerei im einem Nachtclub verletzt worden. Da siehst du noch die Narbe am Kopf. Der Rest des britischen Teams ist gerade bei der Weltmeisterschaft, aber wegen meines Trainingsrückstandes wurde ich nicht ausgewählt. Jetzt habe ich ein paar Wochen frei und will einfach Spaß haben. Mal sehen, was morgen passiert, ob ich überlebe. Ein Mädchen mit Pferdeschwanz gesellt sich zu Klaus. Das ist Anne Helms, die er aus Hamburg mitgebracht hat. Oben auf der Felswand balanciert gerade ein Springer auf Zehenspitzen mit dem Rücken zum Abgrund. Dieser Delphinsalto ist natürlich sehr interessant. Du musst zusehen, dass du mit deinem Kopf von der Kante wegkommst, und dann ist alles gut. Es sieht von unten immer so aus, als würden die Springer direkt auf die Felszunge springen, meint Anne. Von oben sieht das wahrscheinlich gar nicht so aus.. - Klaus Bist du noch nicht oben gewesen? - Nein. - Dann müssen wir das nachher mal machen. - So, jetzt wollen wir mal mit zählen. Eins, zwei, drei. Der war gut ... . Anne Helms ist sechzehn, Kunstturnerin und gehört seit einem halben Jahr zu Klaus' Trainingsgruppe in der Hamburger Alsterschwimmhalle. Anne ist auch schon in die Schlucht gesprungen allerdings vom dreizehn Meter hohen Felsabsatz. Das war schon cool ... . ... hat aber auch viel Überwindung gekostet. ... ja, mindestens eine halbe Stunde. Das ist aber auch echt hoch. Ist echt hoch. Zwischen Brombeersträuchern sonnen sich Eidechsen. Ein steiler Weg führt auf die Felswand hinauf. Wer nicht schwindelfrei ist, sollte sich nicht zu nahe an den Rand der Schlucht wagen. Dort steht ein kleiner untersetzter Mann in Surfshorts neben einem Jugendlichen. Die beiden sehen aus, als hätten sie sich von Mallorca hierher verlaufen. We do the double bomb ... . "Wir machen jetzt die Synchronbombe," verkündet der ältere. Armin Wulff und sein Sohn Tobias gehören, wie sich herausstellt, zu Hamburger Reisegruppe von Klippenklaus. Das ist ein Fußsprung, bei dem man ein Bein anzieht. Aber man darf sich nicht zu sehr nach hinten lehnen, schon gar nicht bei diesen Höhen. Durch die Geschwindigkeit zieht man so viel Luft mit runter, dass schon ein richtig guter Splash bei heraus kommt. Das tut nicht weh. Wenn es weh tut, hat man etwas verkehrt gemacht. Und das soll auch nicht Sinn der Sache sein, dass es weh tut. Man hat auch schon von gebrochenen Steißbeinen gehört. "Keine Sorge", beruhigt Armin Wulff. Er vertraut seiner Technik Man muss aufstehen, und sofort so eine Bombe machen können. Gut ich mache das nun auch, seitdem ich zwölf bin. Da hat man den Bewegungsablauf drinnen. In meinem Alter würde ich das nicht mehr lernen können, wenn ich es jetzt versuche. Tobi, du machst den Zähler. Du springst geradeaus. Nicht dass du mir hier rüber kommst. "Schön müssen sie nicht sein, aber imposant: die Arschbomben, mit denen Lukas Mertens mehr auf das Wasser aufschlägt, als darin eintaucht. Je lauter es knallt und je mehr Wasser spritzt, desto besser. Dass der Wendeburger bei seinen Kapriolen höllische Schmerzen ertragen muss, gehört für ihn irgendwie dazu ... " Das sogenannte Splashdiving hat sich in den vergangenen Jahren in deutschen Freibädern zu einer Trendsportart entwickelt. Szene-Magazine im Fernsehen porträtieren Stars und berichten von Meisterschaften. Australier, Tschechen ... , suchen ihren Arschbombenkönig. Vielleicht wurde in der Berichterstattung anfangs ein paar Mal zu oft der Begriff Arschbombe benutzt, der eher an derben Spaß als an Sport denken lässt. Der Initiator der Wettkämpfe Oliver Schill aus Bayreuth, hat, um seine Idee zu vermarkten, eine Firma gegründet. "Das hat alles ganz klein angefangen. 2002 einfach mit Kollegen. Und der Zehner ist einfach mal das höchste im Bad. Und vor daher haben wir uns gedacht: komm wir machen einfach mal eine Arschbombe., Haben wir gemacht und dann gedacht: so weh tut das eigentlich gar nicht." Ein Knall wie ein Peitschenhieb, sicher auch weit hinten auf der Liegewiese zu hören. Es ist Samstagmorgen. Training des Splashdiving-Kaders Rheinland-Pfalz im Freibad Waschmühle in Kaiserslautern. Wider Erwarten entsteigt der Springer heil dem Becken. Es dauert eine Weile, bis er sich aufrichten kann. Das ist einer der Sprünge, die ich bei der Weltmeisterschaft zeigen werden: den Auerbach ins "Brett". Beim "Brett", einer von dreizehn Splashdiving-Landungsfiguren, sind die Beine nach vorne gereckt, sodass ihre ausgestreckten Rückseiten aufs Wasser schlagen. Die Landung war nicht sauber. Ich war nicht parallel zum Wasser mit den Beinen, und die waren auch nicht ganz ausgestreckt. Um ihn herum stehen die Vereinsmitglieder, dreizehn an der Zahl, alle zwischen fünfzehn und vierundzwanzig Jahren. Francois ist der Senior, auf den ersten Blick ein eher ruhiger Typ, von Beruf Krankenpfleger. Leider schließt der Bademeister den Zehner, sonst könnte Francois noch den Höhepunkt seines WM-Programms zeigen. Der letzte Sprung wird sehr spektakulär und schön anzuschauen, und zwar werde ich mich mit den Füßen oben an den Zehner hängen, nur mit den Füßen, und mach dann einen halben Salto in die Arschbombe. Francois war gleich begeistert, als im Internet die ersten Splashdiving-Videos auftauchten. Jetzt hat er, um das Ganze auf sichere Beine zu stellen, einen Verein gegründet. Die Splashdiver dürfen in einer städtischen Sporthalle das Trampolin benutzen und den Sprungturm im Freibad, wenn nicht wie heute zu viel los ist. Zwei Vereinsmitglieder sind zum Training extra aus dem achtzig Kilometer entfernten Mannheim angereist. Das heißt ja, es fruchtet, und das ist schön zu sehen, dass es nicht irgendeine Sportart ist, die mal gegründet wird und dann wieder verschwindet, sondern, dass es auch einen Halt hat. Auf dem Drei-Meter Brett katapultieren sich die Springer so hoch, dass sie sich vom Fünf- Meter-Turm abstoßen können. Es sieht so verrückt und lustig aus wie das Spiel junger Affen im Zoo. Wir sind ein Freestyle-Verein. Wir dürfen machen, was wir wollen. Wir springen mal an den Turm, hängen uns ans Brett. Die Unbekümmertheit hat natürlich mit Können zu tun. An den Tricks wird lange gefeilt. Gemeinsames ist besser als einsames Üben. Damals habe ich immer nur die normalen Einfachsaltos gemacht, halt so Auerbach, Rückwärtssalto. Hat halt manchmal auch weh getan. Aber das gehört dazu. Jahre lang habe ich mir das alles selbst beigebracht, und dann hat Phillip irgendwann gemeint, er hat einen Verein gefunden: Splashdiving, und er würde reingehen. Und da habe ich gemeint: "So ein Arschbomben-Verein ist nichts für mich. Mache ich lieber privat weiter." Bis ich dann irgendwann herausgefunden habe, dass es wirklich eine Sportart ist, wo man auch einiges mehr machen kann, als nur eine Arschbombe, wirklich Salti und Schrauben und so. Salti und Schrauben kennt man auch aus dem Wasserspringen. Aber das finden die Jungs eher nicht so attraktiv. Ich finde es halt eine sehr langweilige Sportart. Das Problem ist, dass nicht wie bei uns jeder seinen eigenen Stil hat und seine eigenen Bewegungen mit reinbringt, sondern es gibt eine strenge Vorgabe, wie ein Salto, wie eine Schraube ablaufen muss, und wenn man davon abweicht, gibt es Abzüge. Das Publikum, dass sich damit auskennt, sagt: "Oh das war ein Supersprung." Ein Laie, der zuguckt, sagt: "Ich habe den Sprung jetzt schon fünfzehn Mal gesehen. Es war langweilig." Natürlich tut es weh, mit nach vorne ausgestreckten Beinen "im Brett" zu landen. Aber der Schmerz lässt erfahrungsgemäß bald wieder nach. Bisher hat sich noch kein Vereinsmitglied ernsthaft verletzt. Beim traditionellen Turmspringen gehen sie von Vorne herein davon aus, dass sie keine Schmerzen haben werden, bei uns ist es genau andersrum. Das heißt, durch die Einstellung spannen wir unsere Muskeln an, wir stellen uns darauf ein, dass der Aufschlag sehr hoch ist. Und dadurch, dass wir die Muskeln anspannen, bevor was passiert, ist es eigentlich recht sicher, dass nichts passiert. Beim Turmspringen wäre es genau andersrum. Welcome to the European Championship ... . For the first time here is from Great Britan Blake Aldridge, from Russia Ilya Surov ..... Szenenwechsel. Zurück in der Schweiz. Bei der Europameisterschaft der Klippenspringer starten acht Männer und eine Frau. Familien aus den umliegenden Orten packen die Picknickkörbe auf dem Felsen am Fluss aus. Hoch über ihnen thronen die Wettkampfleitung und die fünfköpfige Jury. Der Senior im Teilnehmerfeld Peter Rosenei ist 61. Er springt aus fünfzehn Meter Höhe. Ich habe mir einmal fast weh getan von zwanzig Metern, und dann habe ich ein bisschen zurück gesteckt. Und letztes Jahr habe ich mir den Hals gebrochen aber auf der Wiese bei einer Saltoübung. Aber jetzt ist alles verheilt, und ich kann wieder mitmachen. Ist er verrückt? So krass würde sie es nicht ausdrücken, sagt seine Partnerin Rita: "Das ist sein Lebenselexier. Das geht nicht anders." Rita selbst macht trotz ihres Alters auch einen sportlichen Eindruck. Ich habe einmal mit ungefähr 55 zwei Wochen lang trainiert . - Peter Sie hat mir zuliebe einmal an der Schweizer Seniorenmeisterschaft teilgenommen und, mich hat sie motiviert an der Schweizer normalen Meisterschaft teilzunehmen, was ziemlich schwierig ist. Turmspringer müssen sechs unterschiedliche Sprünge beherrschen. Beim Klippenspringen reichen drei. Eins-, zwei- und dreifach Halbe. Den hat er auch gut rein gesetzt. Das würde man sonst hören ... . "Klippenkaus" sitzt heute nur im Publikum. Sonnencreme glänzt auf der verletzten Schulter. ... .und dann wollen wir mal gucken, was Andi macht. Eins-, zwei- und dreifach Halbe, und den hat er aber ganz schön in den Sand gesetzt. Die Kampfrichter halten Tafeln hoch. Bewertet wird die Entschlossenheit beim Absprung, das klare Zeigen der angekündigten Position, gehockt, gehechtet oder gestreckt, und die Sicherheit beim Eintauchen. Im Idealfall sollten die Springer, wenn sie mit den Füßen landen, die Arme nicht hochreißen. Es hatte Kampfrichter, die haben den Sprung von Christian als nicht kontrolliert bewertet, weshalb er die Arme hochreißen musste, um die Drehung zu verlangsamen und nicht auf den Rücken zu fallen. Peter Rüedis Haut ist lederbraun. Er scheint viel Zeit in der Sonne zu verbringen. Vermutlich sieht er auch im Winter so aus. Als Jugendlicher stürzte er sich bei einer Wassershow von einem Gerüst in den Zürisee, und später durchstreifte er die Bergschluchten auf der Suche nach geeigneten Orten zum Springen. Wir haben vor langer Zeit einen Verein gegründet. Wir mussten uns ja das Hoch-Runterspringen erstmal beibringen. Das haben wir dann gemacht, nicht immer schmerz- aber doch einigermaßen unfallfrei. Anna, please wait a second, there are swimmers...... Zwei Schwimmer in Neoprenanzügen treiben auf Brettern durch die Schlucht. Erstaunt schauen sie auf und sehen in zwanzig Metern Höhe eine junge Frau im Badeanzug mit Rücken zur Schlucht auf dem Felsabsatz balancieren. Die steht rückwärts. Was hat sie vor? Ein Delphin müsste das werden ... . Gut, ah, ... Arme wieder oben. Ärgerlich, findet Klaus. Es wäre gar nicht nötig gewesen, die Arme hoch zu reißen. Aber als einzige Teilnehmerin steht Anna Bader ohnehin als Siegerin fest. Nach der Siegerehrung packen die Zuschauer die Decken zusammen. Bald wird der Schatten die Felsen erreichen, auf denen sie gesessen haben. Doch keiner geht. Alle legen die Hand schützend über die Augen und blinzeln in die Sonne. Oben am Rand der Schlucht steht noch ein Mädchen, starrt in die Tiefe und tritt dann wieder zurück. So geht das schon seit einer Viertelstunde. Es ist Anne Helms aus Hamburg. " Die hat Angst ... ." Wovor hat sie mehr Angst? Vor dem, was passieren könnte, wenn sie falsch aufkommt, oder vor dem, was passiert, wenn sie nicht springt? Dann löst sich die Gestalt vom Felsen und fliegt in die dunkle Tiefe. Eine Sache von Sekunden. Der Aufprall. Beifall, als sie auftaucht. Ich bin vollkommen bekloppt, oder? Ich musste zurückgehen. Das ging sonst nicht. Und als ich den Schritt dann gemacht hatte, dachte ich: O mein Gott, ich muss sterben ... mir ist kalt. Die Füße tun ein bisschen weh, aber Scheiß drauf ... Das war jetzt die letzte Chance für dieses Jahr. Ansonsten hätte ich es erst nächstes Jahr machen können. Und ich wollte es unbedingt vor meiner Freundin machen. Sie ist ein Jahr jünger als ich und kommt nächstes Jahr mit. Sie hätte es bestimmt vor mir gemacht, und das wollte ich nicht. Ich hätte die ganze Zeit gedacht: "Oh, wärst du doch gesprungen." Klaus ist stolz. Er hat er keine Anstalten gemacht, sie zurück zu halten. Ich fand es ein bisschen früh, aber das ist eine selbstbewusste junge Frau, und die hat von vielen Leute, die auch lange springen, gelernt, wie man es macht: Fußstellung, Handstellung, Kopf nach oben. Und so, wie sie einsticht, ist das schon sehr gut. Mit sechzehn Jahren ist das natürlich grenzgängig. Aber sie hat es ausgezeichnet gemacht. Ich stand ja da unten. Und ich habe mich auch echt gefreut. 1