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Jedes Land muss für sich selber sorgen, in einer einheitlichen Zone in Europa. Jedes Land muss dafür sorgen, Schulden abzubauen und Wachstum zu generieren. Das, was für ein Land wie Griechenland gilt, muss dann auch für ein Bundesland wie Berlin gelten. Wenn man sich überlegt, dass Berlin deutlich mehr Hilfe bekommt als Griechenland, dann zeigt das erst recht, was sich verändern muss." Berlin - das deutsche Athen an der Spree. Solche markigen Bilder liebt Söder. Auch die Nordrhein-Westfalen kriegen ihr Fett weg: seit der Wende seien Abermilliarden Euro von München nach Düsseldorf geflossen. Die rotgrünen Preußen finanzierten damit kostenlose Studienplätze, während die Bayern doppelt zahlen müssten: für Studienplätze - und für Berlin. Markus Söder und Horst Seehofer spielen derzeit das good-cop-bad-cop-Spiel: Bayerns Ministerpräsident muss als deutsches Staatsoberhaupt aktuell ein bisschen diplomatischer auftreten. Söder provoziert dafür besonders hingebungsvoll. 2 "Ich glaube, dass die Zahlen per se eine deutliche Sprache sprechen. Die haben sich ja noch mal zu Lasten Bayerns verschlechtert. Wenn die Bayern mehr als die Hälfte des gesamten Länderfinanzausgleichs finanzieren, und wenn in Deutschland 40% des gesamten Finanzausgleichs nach Berlin gehen, dann sind die Zahlen so schlagend, dass es völlig egal ist, in welchem Ton man das sagt. Die Zahlen sind evident. Und dass jetzt sogar ein grüner Ministerpräsident die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs fordert, bestätigt uns nur. Das hat sich früher nicht mal der Erwin Teufel getraut." Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg. Dem einzigen Bundesland, das seit der Wiedervereinigung noch mehr Geld in den Ausgleichs-Topf gezahlt hat als Bayern. Die Schwaben bilden deshalb zusammen Hessen und Bayern das Netto- Zahler-Trio aus dem Süden. Söder braucht die Baden-Württemberger als Verbündete, wenn er den Länderfinanzausgleich ändern oder vor dem Bundesverfassungsgericht gegen ihn klagen will. Dass Kretschmann plötzlich sogar vorschlägt, den Länderfinanzausgleich in seiner jetzigen Form abzuschaffen, hat Söders Ministerium weniger erfreut als unter Druck gesetzt. Der grüne Kretschmann setzt sich damit nämlich an die Spitze der Kritiker. 3 "Entscheidend ist bei Herrn Kretschmann: wer den Mund spitzt, muss auch pfeifen. Der weckt jetzt eine hohe Erwartungshaltung. Ich bin mal gespannt, wie er das einlöst. Wir greifen seinen Vorstoß auf und machen daraus einen eigenen Vorschlag. Ich hab gleich meinem Ministerium den Auftrag gegeben, nicht nur ein im System bestehendes Modell zu ändern - das ist ja das, was wir bis jetzt vorgeschlagen haben - sondern vielleicht auch mal einen neuen Vorschlag zu machen: wie kann man, wenn man den Länderfinanzausgleich abschafft, so eine Art Sammelstelle bilden, wo dann der Bund die Gelder verteilt. Das ist der Vorschlag, den Kretschmann macht. Dazu müsste man die Verfassung ändern. Aber wenn viele mitziehen, ist das eine gute Idee." Aber werden viele mitziehen? Für eine Reform des Länderfinanzausgleichs bräuchte es eine Mehrheit im Bundesrat. Und die meisten Bundesländer haben deutlich mehr zu verlieren als zu gewinnen. Seit der letzten Änderung im Jahr 2001 leisten einige wenige Bundesländer fast alle Ausgleichszahlungen. Am meisten: die Bayern. Sie zahlten im vergangenen Jahr 3,7 Milliarden Euro - ein einsamer Rekord seit Bestehen der Bundesrepublik. Die CSU droht seit Jahren mit dem Bundesverfassungsgericht. Eike Hallitzky, der finanzpolitische Sprecher der bayerischen Grünen, findet das undankbar. Vor allem den Nordrhein-Westfalen gegenüber. 8 "Bayern als Bundesland hat dank NRW, das ja die alte Stahl-Industrie hatte, die damals noch gute Geschäfte machte - das gab Bayern die Möglichkeit, junge Industrien aufzubauen, von denen zehren wir heute noch. Insofern ist es völlig klar, dass wir heute die Zahler sind. Und jene, die uns damals unterstützt haben, kamen später in die Umbruchphase. Wie NRW, das dann Empfängerland wurde. Und Herr Söder drückt sich da in einer Art, die schon beschämend ist für die Stellung Bayerns innerhalb Deutschlands." Ob beschämend oder nicht: in Bayern ist die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Länderfinanzausgleich besonders groß. Wer viel hat, hat viel zu verlieren. Obendrein sind auch die Ungleichgewichte innerhalb Bayerns gewaltig. Den vergleichsweise armen Oberfranken ist der Länderfinanzausgleich noch schwerer zu erklären als den reichen Starnbergern. Alle Parteien im Freistaat spüren, dass ihren Wählern zwischen Aschaffenburg und Zwiesel das Thema unter den Nägeln brennt. Vor einem Jahr waren CSU und FDP noch die einzigen, die eine Änderung forderten. Mittlerweile können sich auch die Sozialdemokraten eine Korrektur vorstellen. Denn Bayerns Ministerpräsident Seehofer setzt sie unter Druck: "Die Sozis", rief er kürzlich, seien keine bayerische Patrioten. Ein Vorwurf, den die CSU seit Franz-Josef Strauß' Zeiten erhebt und den SPD-Finanzfachmann Volkmar Halbleib nicht auf sich sitzen lassen will: 6 "Wir können uns vorstellen, auch vor 2018 zu einer Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zu kommen. Wir können uns nach sorgfältiger Prüfung auch vorstellen, dass wir die Rechte des Freistaates Bayern als ultima ratio auch gerichtlich klären lassen. Auch das können wir uns vorstellen. Wir sind dafür, solidarische Verhandlungen mit den anderen Bundesländern zu führen. Wir werden eine Föderalismuskommission 3 brauchen." Für die Grünen im Freistaat kommt eine Klage in Karlsruhe dagegen nicht in Frage. Sie möchten den Länderfinanzausgleich umbauen - von einem vertikalen System zu einem horizontalen. Nicht mehr die Länder sollen das Geld untereinander verteilen, sondern der Bund. Nach Bedarfskriterien wie etwa der Zahl der Hartz4-Empfänger. So fordert es auch der grüne Parteifreund Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Und noch etwas möchte Eike Hallitzky, der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, in einem neuen Modell verändern. 5 "Der Länderfinanzausgleich koppelt daran, was an Steuereinnahmen da ist. Und wenn ein Land zusätzliche Einnahmen bekommt, dann muss es das Personal dafür, die Finanzverwaltung, selber bezahlen. Die zusätzlichen Einnahmen aber gehen zu 90% in andere Bundesländer. Das heißt, sowohl für ein Geber- wie ein Nehmerland ist die Situation die gleiche: es ist unrentabel, Steuerfahnder einzustellen. Das geht mittlerweile sogar an die Steuergerechtigkeit in Bayern, weil wir viel zu wenig Steuerbeamte haben. Da muss was geändert werden. Das kostet die Bundesländer sonst einen zweistelligen Milliardenbetrag. Jahr für Jahr." Neue Milliardeneinnahmen könnte Bayerns Finanzminister Söder gut gebrauchen. Schließlich muss er in Bayern einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegen. Er weiß, dass die Bayern genauso ungern Geld nach Berlin überweisen wie die Berliner Geld nach Athen tragen. Auf seltsame Weise profitiert Söder vom Schulden-Streit um Griechenland. 7 "Herr Wowereit selber sagt, er sehe schon ein, dass es Veränderungsbedarf gibt. Die Sachsen sagen, man kann nicht ewig bei Muttern zuhause wohnen, man muss auch mal vorankommen. Es tut sich was in Deutschland. Und deshalb glaube ich, wenn parallel das Thema Schuldenbremse ja auch greifen muss - alle Länder sind ja gezwungen, ihre Haushaltspolitik grundlegend neu zu ordnen - dann spielt das alles in die Hände Bayerns." Die Hände Bayerns. Wenn es nach Markus Söder geht, werden sie in Zukunft deutlich mehr Geld behalten und weniger verteilen. Länderreport: Streit um Länderfinanzausgleich Vom Geber- zum Nehmerland: NRW Musik Steigermarsch Es war einmal: Im Land Nordrhein-Westfalen florierte die Wirtschaft. Die Kohle- und Stahlbarone in Essen und Duisburg lieferten die Energie und das Metall für den Aufschwung der Nachkriegszeit. Die Steuereinnahmen sprudelten, im Ruhrgebiet herrschte quasi Vollbeschäftigung - und das Land gehörte selbstverständlich zu den Gebern beim Länderfinanzausgleich. Noch 1995 zahlte NRW 1,7 Milliarden Euro ein. Seit 2003 nahmen die Beträge dann jedoch deutlich ab, 2008 wurde Nordrhein- Westfalen erstmals seit Jahrzehnten zum Empfängerland, was es bis heute geblieben ist. Für 2011 beläuft sich die Summe nach den vorläufigen Berechnungen des Bundesfinanzministeriums auf 223,5 Millionen Euro. Die Neuverschuldung für 2012 liegt dagegen laut Etatentwurf bei 3,6 Milliarden Euro. Doch unsolides Wirtschaften will sich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft von der SPD deshalb nicht vorwerfen lassen, schon gar nicht aus Bayern oder Baden-Württemberg. Wenn Markus Söder den Finanzausgleich aufkündige, stünden auch alle anderen Ausgleichsvereinbarungen wie zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer zur Disposition, so die selbstbewusste Antwort aus Düsseldorf. Und damit auch jeder in München merkt, dass man am Rhein keine Angst hat, legte SPD-Finanzminister Norbert Walter-Borjans gleich noch einmal im WDR-Fernsehen nach. 1. O-Ton Borjans "Das ist, das kann man nicht anders nennen, eine bewusste Täuschung. Natürlich weiß auch Herr Dobrindt und weiß auch Herr Söder in Bayern, dass der Länderfinanzausgleich sich nicht an den Haushalten der Länder orientiert sondern danach, wie viel Steuern sie einnehmen." Dass die Tagespolitik einer Landesregierung kaum Einfluss auf den Länderfinanzausgleich hat, weiß auch die Opposition im Düsseldorfer Landtag. Doch der Symbolcharakter ist nicht zu unterschätzen. Und so streiten sich die Finanzexperten der Parteien immer wieder mit Hingabe über die Frage, wer angeblich daran Schuld hat, dass NRW 2011 schon wieder auf der Nehmerseite zu finden ist. Seit gut anderthalb Jahren ist die rot-grüne Minderheitsregierung in Düsseldorf im Amt. Seither empören sich CDU und FDP, die zuvor die Regierung gestellt haben, über die Ausgabenpolitik ihrer Nachfolger. Sie klagten sogar vor dem Landesverfassungsgericht gegen deren Nachtragshaushalt 2010. Denn die Sozialdemokratin Hannelore Kraft und ihre Mitstreiter hatten bereits im Wahlkampf angekündigt: Wir schaffen die gerade erst eingeführten Studiengebühren wieder ab und gewähren ein kostenfreies Kindergartenjahr. Christian Weisbrich, finanzpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, rechnet genüsslich vor, was dies im Jahr kostet und spannt, wie so oft, den Bogen zum Länderfinanzausgleich: 2. O-Ton Weisbrich "Die Geberländer haben überhaupt nichts gegen Ausgleichsleistungen, die sie erbringen. Aber sie sind auf gut deutsch, und so drücken es auch die Ministerpräsidenten aus, wenn die Geberländer strikte Haushaltsdisziplin wahren und beispielsweise beitragsfreie Kindergartenjahre oder den Verzicht auf Studiengebühren selbst nicht praktizieren und das dann in anderen Ländern bezahlen sollen." Vorwürfe, die die rot-grüne Minderheitsregierung zurückweist. Man spare eisern, dürfe aber gleichzeitig auch dringend notwendige Investitionen ins Bildungssystem nicht vergessen, betonte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auch bei der Vorstellung des Etatentwurfs für 2012. Doch noch hat sie keine Mehrheit für ihren Haushalt. CDU und FDP haben bereits angekündigt, den Etat nicht mitzutragen, auch die Linke sperrt sich noch. Entsprechend genervt reagiert die rot-grüne Koalition denn auch auf die jüngsten Einmischungen aus Bayern in puncto Länderfinanzausgleich. Martin Börschel, finanzpolitischer Sprecher der SPD- Fraktion: 3. O-Ton Börschel "Der Länderfinanzausgleich ist ja kein Instrument, um die Hoheit eines Landes, wie und wo es politische Schwerpunkte setzen will, außer Kraft zu setzen, sondern im Rahmen des Geldes, das man zur Verfügung hat, kann jedes Land das selbst entscheiden. Das wollte und das darf der Länderfinanzausgleich nicht verhindern. Andererseits ist der Länderfinanzausgleich eine Solidarleistung, die dazu dienen soll, die Lebensverhältnisse anzugleichen, und ich glaube, wenn Nordrhein-Westfalen beispielsweise soziale Gerechtigkeit schaffen will und in das Zukunftsthema Bildung investieren will, sollte sich Bayern eher eine Scheibe davon abschneiden als es zu beklagen." Martin Börschel greift in seine Aktentasche und zieht ein Dokument hervor: eine lange Tabelle, auf der nach Ländern verteilt, alle Transferleistungen des Länderfinanzausgleichs seit Anfang der 50er Jahre aufgelistet sind: Börschel zeigt auf die Spalte für Bayern: bis 1986 rote Zahlen, also Nehmerland. 4. O-Ton Börschel "Jedes Bundesland kann mal in die Situation kommen, und gerade Bayern hat ja über viele Jahre und Jahrzehnte vom Länderfinanzausgleich profitiert, zahlt jetzt ein seit geraumer Zeit, aber alles kann anders werden und deswegen fehlt mir eigentlich in der Sache das Verständnis dafür." Die Argumente sind nicht neu: Bereits Anfang 2011 hatte die bayerische Landesregierung eine ähnliche Debatte angezettelt, die nach wenigen Wochen im Sande verlief. In Düsseldorf hofft man, dass es diesmal nicht anders ist. Schließlich hat die rot-grüne Minderheitsregierung genug andere Sorgen: Ende März soll der Haushalt für das laufende Jahr verabschiedet werden. Bis dahin muss wenigstens noch die Linke überzeugt werden, sonst gibt es keine Mehrheit. Und damit stünde die Regierung von Hannelore Kraft erneut am Abgrund. Baden-Württemberg will beim Länderfinanzausgleich neue Wege gehen Im Januar 2011 hieß der Ministerpräsident von Baden-Württemberg noch Stefan Mappus. Damals hatte er seine beiden Unionskollegen Volker Bouffier und Horst Seehofer aus Hessen und Bayern ins Neue Schloss in Stuttgart eingeladen, um in der heißen Phase des Wahlkampfs mit dem Thema Länderfinanzausgleich zu punkten. Wenn sich die Nehmerländer nicht bewegen, und zwar schnell, dann stehe noch in diesem Jahr die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an, so Mappus damals: Tatsache ist, dass die Klageschrift jetzt erstellt wird. Das wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, denn das Verfahren ist hochkomplex. Und während dieser Zeit sind wir bereit, Gespräche zu führen, die - wenn sie denn erfolgreich wären - die eigentliche Klage überflüssig machen würde. Auf Nachfrage erklärte sein hessischer Kollege Bouffier dann, dass das mit der Klageschrift schon seine Zeit dauern könne, aber: Ich glaube bis Sommer kann man zumindest man eines sehen: Ob man in ernsthafte Gespräche hineinkommt. Der Sommer 2011 ist lange vergangen. Die Regierungszeit von Stefan Mappus ist ebenfalls vorbei. Und ob es solche ernsthaften Gespräche der drei Geberländer mit den Nehmerländern gibt, ist eine Frage der Betrachtungsweise. Der neue baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagt, ja die gibt es, aber es sei eben alles nicht so einfach: Wir haben ja die Initiative ergriffen und es hatte eine erste Gesprächsrunde dazu auf der Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober gegeben. Und auf der MP-Konferenz am 15. Dezember konnte es nicht weiter verhandelt werden, weil wir über das NPD- Verbot stundenlang gedauert hat und wir diesen Tagesordnungspunkt dann nicht mehr aufrufen konnten. Beim nächsten Treffen der Ministerpräsidenten am 29. März werde man weitersehen. In der Sache jedenfalls sei er - genau wie sein Amtsvorgänger - gegen den Länderfinanzausgleich, und er drückt es sogar noch deutlicher aus als Stefan Mappus: Das ist doch ein absolut bescheuertes System. Es ist undurchsichtig, intransparent, es verstehen nur noch wenige Leute und so was ist in der Demokratie nicht gut, deshalb kann man das ändern. Auf der einen Seite bringt Baden-Württemberg als Geberland viel ein: 1,78 Milliarden Euro hat Baden-Württemberg im Jahr 2011 in den gemeinsamen Topf eingezahlt, dazu kamen rund 1,5 Milliarden aus dem Umsatzsteuerausgleich. Auf der anderen Seite stimmt nach Ansicht Winfried Kretschmanns die Struktur des Länderfinanzausgleichs nicht, wie er bei den Haushaltsberatungen im Landtag erklärt: Es ist klar, dass dieser Länderfinanzausgleich anreizfeindlich ist. Nehmen wir mehr Steuern ein, geht davon ein Großteil in den Länderfinanzausgleich, nehmen weniger starke Länder mehr ein, kriegen sie weniger aus dem Länderfinanzausgleich. Man sieht, das ist jetzt kein anreizfreundliches System. In einem Interview sprach sich Kretschmann vor einigen Tagen sogar für die komplette Abschaffung des Länderfinanzausgleichs aus und für eine Umstellung auf ein Beihilfesystem des Bundes. Aber es seien eben dicke Bretter, die da gebohrt werden müssten für einen neuen Länderfinanzausgleich, und da das nur gehe, wenn alle an einem Tisch säßen und an einem Strang zögen, , sei die Klagedrohung eher kontraproduktiv. Weitere Argumente sprächen für Baden- Württemberg im Augenblick gegen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, sagte Ministerpräsident Kretschmann. Erstens sei der Ausgang ungewiss und zweitens: Selbst wenn die Klage Erfolg hat, kann das Bundesverfassungsgericht immer nur den vorhandenen Länderfinanzausgleich korrigieren, aber keinen neuen machen. Das können nur wir. Grundsätzlich aber bleibe die Option einer Klage, aber sie sei das letzte Mittel, so die Landesregierung. Wenn es um ein Nachfolgemodell für den Länderfinanzausgleich geht, dann verweist der Ministerpräsident gerne auf die Föderalismuskommission 2, der er angehörte, und in der sich unter der Leitung des von ihm geschätzten Günter Oettinger alle Länder auf eine Schuldenbremse einigten. Auch wenn die Einhaltung für einige sehr hart sei, wie Kretschmann sagt. Unterm Strich gibt sich der Stuttgarter Regierungschef also erstens optimistisch, weil von einem neuen, anreizfreundlichen System alle etwas hätten, und zweitens geduldig: Man kann besser regieren, es ist anreizfreundlich und es gewinnen am Schluss alle dabei. Aber es dauert lang. Die Schweiz hat dafür 17 Jahre gebraucht, wenn wir's in 7 Jahren schaffen, haben wir einen guten Job gemacht. In sieben Jahren, 2019, weil dann der heutige Länderfinanzausgleich ohnehin ausläuft und neu verhandelt werden müsste. Und genau hier hakt die Opposition ein. Ihm dauere das alles viel zu lange, wirft CDU-Fraktionschef Peter Hauk Kretschmann in der Haushaltsdebatte vor: Der Ministerpräsident, ich frage Sie ganz konkret. Wo sind Ihre Lösungsansätze, welche politischen konkreten Vorschläge haben sie bisher unterbreitet, welche Schritte haben Sie bereits unternommen seit diesem Kamingespräch. Und wenn Sie nichts unternommen haben, warum unterstützen Sie dann nicht die Klage von Bayern und Hessen? Und CDU-Landeschef Thomas Strobl geht sogar noch weiter Ich habe den Eindruck, dass diese grün-rote Regierung aus einer völlig falsch verstandener Rücksichtnahme auf die SPD- und grün- regierten Schuldenmacherländer hier in Baden-Württemberg nicht in einer Wese die Interessen der Steuerzahler repräsentiert, wie das erforderlich wäre. Aus dem Kretschmann-Lager in Stuttgart ist allerdings etwas ganz anderes zu hören. Offenbar hat der grüne Ministerpräsident selbst den Ehrgeiz, mit seinen Erfahrungen aus der Föderalismuskommission, die Verhandlungen für einen neuen Länderfinanzausgleich anzustoßen, um dann in den nächsten Jahren ein Ergebnis vorzulegen, das dann 2019 den jetzigen - anreizunfreundlichen - Länderfinanzausgleich ablösen könnte. 1