Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 18.November 2013, 19 Uhr 30 Lang lebe das Produkt! Oder: Schluss mit Murks und Müll Von Gabi Schlag und Dörte Wustrack Atmo Repair Night Sprecher Repair Night, Betahaus, Berlin Kreuzberg, 22.00 Uhr Sprecherin 10 junge Leute stehen um eine lange schmale Werkbank, die sich inmitten einer großen weißgestrichenen Werkstatt befindet. Darauf ausgebreitet: defekte Laptops, kaputte Handys, beschädigte Fotoapparate. Die sollen nun mit Lötkolben, kleinen Schraubenschlüsseln und anderen Werkzeugen repariert werden. Eifrig wird über die effizienteste Reparaturmethode diskutiert. Viel Erfahrung im Umgang mit kaputten technischen Geräten hat mittlerweile Sebastian Burkhardt gesammelt. Der Softwareentwickler ist der Reparier-Bewegung seit vielen Jahren verbunden und einer der Organisatoren der Repair-Night. O-Ton 1 Sebastian Burkhart: Wir gucken uns heute nur alte Geräte an, die wir auseinander bauen und schauen uns Bauteile an. Es gehen eigentlich immer dieselben Bauteile kaputt. Es sind immer Spannungsregler, die ein bisschen zu klein dimensioniert sind, Plastikteile, die eigentlich Metallteile sein sollten oder es sind vielleicht sogar Sachen, die absichtlich so gebaut wurden, dass sie kaputt gehen, Druckerpatronen, Lasertoner, elektrische Zahnbürsten, die sind so gebaut, dass sie kaputt gehen. Musik Sprecher vom Dienst: Lang lebe das Produkt! Oder: Schluss mit Murks und Müll Ein Feature von Gabi Schlag und Dörte Wustrack Sprecherin Die Idee der Repair-Night ist es, das Wissen, das zunächst in der Hand der großen Hersteller liegt, zu demokratisieren, es "normalen" Leuten zugänglich zu machen. Atmo Repair Night Sprecherin Die ursprüngliche Idee stammt aus den Niederlanden. Die niederländische Umweltjournalistin Martine Postma hatte es satt, Dinge einfach wegzuwerfen, also veranstaltete sie im Oktober 2009 in Amsterdam das erste Reparaturtreffen und formulierte das "Repair Manifesto": Don't end it, mend it! Wirf es nicht weg, reparier es! Mittlerweile sind in den Niederlanden über 100 Repair-Cafés entstanden und auch in Deutschland erfreut sich die Bewegung zunehmender Beliebtheit. O-Ton 2 Sebastian Burkhart: Man kann hier herkommen ohne irgendwelche Vorkenntnisse, man kann Mediendesigner sein, gar nichts gelernt haben, Sozialwissenschaftler, Informatiker sein, wenn man sich dafür interessiert wie man was macht und für`s Bauen interessiert, handwerkliche Sachen kennen lernen möchte, ist man bei uns richtig. Zu uns kommt man am besten mit irgendwelchen elektronischen Geräten, die kaputt gegangen sind. In vielen Fällen ist es nur ein kleines Bauteil, was kaputt gegangen ist, das kann man sich für 50 Cent nachkaufen. In vielen Fällen muss man noch nicht mal was tun, sondern einfach nur zusammenlöten und es funktioniert wieder. Sprecherin Jeder hat das schon mal erlebt: Waschmaschine, Fernseher, Laptop oder Spielekonsole geben kurz nach Ablauf der Garantiezeit den Geist auf und sind für den Laien nicht mehr zu reparieren. Für Stefan Schridde, Unternehmensberater für Qualitätsmanagement und Initiator der Verbraucherinitiative "Murks, nein danke" ist es klar, woran das liegt: in den Geräten wird ein vorzeitiges Verfallsdatum eingebaut, d.h. die Geräte gehen planmäßig kaputt. Sprecher Das ist die These der "geplanten Obsoleszenz", der unredlichen Verkaufsstrategie von Unternehmen. Die Bundestagsfraktion der Grünen beauftragte Prof. Christian Kreis, Wirtschaftsingenieur von der Hochschule Aalen und Stefan Schridde, das Phänomen zu untersuchen. Herausgekommen ist die hundertseitige Studie "Geplante Obsoleszenz | Entstehungsursachen - Konkrete Beispiele - Schadensfolgen - Handlungsprogramm". Die Autoren sind überzeugt, dass es Produkte gibt, deren Lebensdauer gezielt verkürzt wurde. O-Ton 3 Stefan Schridde Ein klassischer Beweis ist ein Akku. Wenn in einem Produkt ein Akku fest verbaut ist, dann gibt es dafür nicht einen einzigen technischen sachlichen fachlichen Grund, sondern das ist offensichtlich der Versuch des Herstellers, die Lebensdauer seines Produktes an die Lebensdauer des Akkus zu knüpfen. Und Akkus sind bekannter Weise 2-3 Jahre haltbar, einige sind sehr gut, die können vielleicht 4 Jahre halten. Ein Akku ist normalerweise eine Batterie, die getauscht werden will, wenn sie erschöpft ist. Festes Einbauen von Akkus ist ein eindeutiger Beweis von geplanter Obsoleszenz. Atmo Murkskoffer Sprecher Die stillen Zeugen seiner These bewahrt Stefan Schridde in einem "Murks-Koffer" auf: Platinen von Computerbildschirmen, deren temperaturempfindliche Kondensatoren an heißen Bauteilen platziert wurden und die so natürlich schnell einen Defekt hatten. Oder Bestandteile von Laser- und Tintenstrahldruckern. Er zeigt auf einen kleinen Chip, der die Seiten zählt und nach einer in der Fabrik festgelegten Anzahl von Blättern den Drucker lahm legt und so den Konsumenten zwingt, das Gerät in Wartung zu geben. Dort drückt ein Techniker dann eine geheime Tastenkombination, die den Chip wieder auf null setzt. Und der Konsument zahlt. Stefan Schridde ist empört: O- Ton 4 Stefan Schridde So, und hier ist ein Zählwerk eingebaut. Dieses Zählwerk macht folgendes: Was macht das Zählwerk? Es zählt runter bis auf 15.000 Seiten. Und dann meldet dieser Toner: "Ich bin leer." Und da hat sich mein Freund, der diesen benutzt, hat sich gefragt, warte mal, den kann ich doch wieder auffüllen, den Toner. Da muss doch der, der den auffüllt, auf null stellen, um dem zu sagen, du bist übrigens wieder voll. Das hat er recherchiert, herausbekommen, wie das geht, und hat sich gesagt, den stelle ich jetzt einfach mal ohne Auffüllen auf null. Und steckt den rein. Der hat weitergedruckt! Der war nicht leer. Das hat er dreimal gemacht. Bei dieser Tonerkartusche. Die dreimal auf null gestellt, druckt immer noch. O- Ton 5 Albert Albers Man muss klar sagen, wir Produktentwickler dimensionieren auf eine sogenannte Gebrauchsdauer. Sprecherin Für Prof. Albert Albers ist die These vom vorzeitigen Verschleiß nichts als ein Mythos. Er ist Leiter des Instituts für Produktentwicklung am Karlsruher Institut für Technologie und er betrachtet es als einen ökonomisch ganz normalen Vorgang, dass Produkte auf eine vorher festgelegte Gebrauchsdauer hin entwickelt werden. O- Ton 6 Albert Albers Denken sie einfach daran, so ein Tintenstrahldrucker bekommt eine bestimmte Nutzung und in dieser Nutzung sagt der Hersteller, okay, wir wollen mit einer bestimmten Qualität eine bestimmte Anzahl an Seiten hier dem Kunden anbieten. Und wir wissen aus der Dimensionierung heraus, dass nach einer bestimmten Anzahl von Seiten die Qualität möglicherweise sinkt und das möchten wir eigentlich nicht mit unserem Qualitätsverständnis verbinden. Dann signalisiert das Gerät, na gut bei mir ist jetzt die Gebrauchsdauer beendet. Das ist nach meiner Meinung völlig okay und legitim. Sprecherin Die Stiftung Warentest hat sich ebenfalls mit der These des geplanten Produkttodes beschäftigt. Dr. Jürgen Nadler, der wissenschaftliche Leiter, schüttelt auf die Frage, ob es die geplante Obsoleszenz gibt, verneinend den Kopf. Er hält alles für eine Verschwörungstheorie. Die populären Verbraucherschützer haben bei ihren Dauerprüfungen zwar Qualitätsmängel aber keine Strategie gezielter Sollbruchstellen feststellen können: O-Ton 7 Jürgen Nadler Bei den Waschmaschinen haben wir zehn Jahre lang Lebensdauerprüfungen gemacht und wir können nicht feststellen, dass die heutigen Waschmaschinen im Mittel nicht so lange halten wie die vor 10 Jahren konstruierten. Die eine Tendenz: Waschmaschinen halten länger als die billigen. Es gibt eine Überlegung, der sich jeder Konstrukteur stellen muss, wie viel investiere ich in die Haltbarkeit meines Produktes und wenn ich nicht soviel Geld zur Verfügung habe, dann leidet das an der Stelle. Wir haben bei den Lebensdauerprüfungen teilweise Maschinen, die nach 3-4- Jahren erste Defekte zeigen. Es ist in gewisser Hinsicht geplant, um den niedrigen Kaufpreis zu bekommen. Sprecherin Dennoch: Die These vom geplanten Verschleiß hält sich hartnäckig. Einschlägige Internetseiten wie "Murks, nein danke!" von Stefan Schridde, sind mit den Klagen wütender Konsumenten gespickt. Musik Zitator: Zirka eine Woche nach Garantieablauf verweigerte der Bildschirm urplötzlich und ohne erkennbaren Grund seinen Dienst. Zufall? Zitator Meine Waschmaschine, ein bisschen älter als zwei Jahre, pumpt nicht mehr ab. Die Pumpen sind kaputt, das bedeutet teure Reparaturkosten. Zitator Bei meiner elektrischen Zahnbürste ist der Akku kaputt. Da ich den Akku nicht wechseln kann, muss ich die Zahnbürste jetzt wohl wegwerfen. Zitator: Ich find es eine Sauerei, dass die Hersteller solche Mechaniken einbauen, nur damit man ein neues Gerät kauft Sprecher Die Idee vom bösen Produzenten, der die Lebensdauer von Produkten absichtlich reduziert, scheint ungemein reizvoll. Außerdem hat es bereits einen belegten Fall von geplanter Obsoleszenz gegeben. In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben sich die großen Glühbirnen-Hersteller Osram, Philips und General Electric in einer geheimen Absprache darauf geeinigt, Glühdrähte in minderer Qualität zu produzieren. Weil die Glühbirnen sonst einfach ewig gehalten hätten. Markus Krajewski, Medienhistoriker und Kulturwissenschaftler an der Bauhaus Universität in Weimar: O- Ton 8 Markus Krajewksi Konkret sieht es so aus, dass sich 1925 ein Kartell tatsächlich gründet. Von führenden Herstellern weltweit, deren Vertreter treffen sich in verschwiegener Form in Hinterzimmern um dort eben einen Geheimvertrag zu schließen. Man muss sich vorstellen, bei einem Objekt, das technisch ausgereift ist, wo nicht mehr so viel zu verbessern ist, ist eigentlich ein Endpunkt einer Entwicklung erreicht. In solchen Fällen lohnt es sich nach alternativen Konzepten zu suchen, mit denen weiterhin ordentliche Profite eingefahren werden können. Ein solches Konzept ist eben die geplante Obsoleszenz die sich dann anhand der Glühbirne überhaupt erst konstituiert. Man erprobt das Konzept am Objekt der Glühbirne. Sprecher Der Name des internationalen Glühbirnenkartells: Phoebus. Die offizielle Aufgabe: Produktionsverfahren vereinfachen und Vertriebsstrukturen optimieren. Das eigentliche Ziel ist jedoch: die internationale Glühbirnenproduktion zu kontrollieren und den Weltmarkt unter sich aufzuteilen. Die Lebensdauer der Glühbirne soll von 2500 auf 1000 Stunden Nutzungsdauer künstlich begrenzt werden. Mitgliedsfirmen werden mit hohen Geldstrafen belegt, wenn ihre Glühbirnen länger brennen als sie sollen: O- Ton 9 Markus Krajewski Man kann wunderschöne Kurven sehen, wie die Lebensdauer von 2000 Stunden langsam aber sicher sich in einem Korridor zwischen 800 - 1200 Stunden einpendeln. Je weiter man fortschreitet, je stärker diese Verfahren zur Routine werden, desto besser sind die Lampen auf diese Brenndauer eingestellt. Ende der 30er Jahre kann man sagen, dass dieses Verfahren etabliert ist, beziehungsweise die Produktionsbedingungen so gut beherrscht werden, dass die Lebensdauer bei 1000 Stunden liegt. Sprecherin Bereits Karl Marx bemerkte ärgerlich eine ständige Verschlechterung der Waren, die sich in immer neuen, gern geglaubten Geschichten niederschlug. Die ersten Nylonstrümpfe sollen so gut gewesen sein, dass sie kaum Laufmaschen bekamen. Zu gut, fand der Chemiekonzern DuPont und wies seine Wissenschaftler an, sie weniger haltbar zu machen. Verschwörungstheorie oder gezielte Strategie des Marktes für mehr Absatz? Um der Diskussion, die sich hartnäckig über die Jahrzehnte hielt, ein Ende zu bereiten, wurde im Frühjahr 1974 von der deutschen Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel der Forschungsauftrag "Gibt es geplanten Verschleiß?" ausgeschrieben. Der Aachener Wirtschaftsprofessor Burkhardt Röper versuchte, die These vom geplanten Verschleiß empirisch zu überprüfen. Er betrachtete Pkw, ausgewählte Teile des Automobils, Glühlampen, Elektrohaushaltsgeräte, Schuhe, Textilien. Das Ergebnis des Gutachters: Zitator: "Es konnte für die Gegenwart kein Beispiel von geplantem Verschleiß ermittelt werden, obgleich eine solche Strategie Wunschtraum mancher Hersteller und Alptraum mancher Käufer von an sich langlebigen Gebrauchsgegenständen ist." Sprecherin Der Wirtschaftssoziologe Karl-Heinz Hillmann hat, ebenfalls im Auftrag der Kommission, zur Untersuchung Stellung genommen. Die Veröffentlichung der kritischen Stellungnahme lehnte die Kommission dann jedoch ab. Die dafür gegebene Begründung, so Hillmann, Zitator: "konnte nicht von der Vermutung befreien, dass durch die alleinige Veröffentlichung versucht wird, das Thema geplanter Verschleiß als ein von inkompetenten Sozialkritikern aufgeblasenes, erfahrungswissenschaftlich unergiebiges Miniproblem erscheinen zu lassen." Musik Sprecherin Geplante Obsoleszenz: Konsequenz des immer stärkeren Kostendrucks oder eiskalt kalkulierter Produkttod - zu dieser Frage herrscht seit langem und auch weiterhin Uneinigkeit. Sprecher Einig hingegen ist sich die Wissenschaft über eine andere Theorie: die der so genannten "psychischen Obsoleszenz". Zum ersten Mal angewendet Anfang des 20. Jahrhunderts vom Automobilhersteller General Motors: GM Präsident Alfred P. Sloan, entwickelte das Konzept der Jahresmodelle, mit wechselnden Farben, Formen und Größen, um den Verbraucher dazu zu bringen, alle drei Jahre ein neues Auto zu kaufen. Die Strategie ging auf: Sloan hatte die psychische Obsoleszenz entdeckt und angewendet O-Ton 10 Markus Krajewski Hat man sich gedacht, hm, möglicherweise ist es günstiger, wenn wir in einem relativ kurzen Zeitraum, Jahr für Jahr, mit neuen Features, mit neuen Errungenschaften des Produktes aufwarten, um so den Käufer dazu bewegen, etwas, was er nach wie vor verwenden kann, was kaum an seiner Funktionalität eingebüßt hat, dass er das ersetzt durch das neue Produkt aus unserem Haus. Das ist dort zum ersten Mal im großen Maßstab umgesetzt worden, was man in gewisser Weise als modische Obsoleszenz verstehen kann. Sprecherin Und so ist es bis heute geblieben: Musik Zitator Vorsprung durch Technik Eine gute Idee nach der anderen. The next big thing is already here. Aus Liebe zur Innovation Das Beste, oder nichts! I am part of the world. Für alle die bunt leben! Sprecherin Hip, in und cool ist nur derjenige, der beispielsweise ein altes Mobilfunkgerät sofort durch das neu herausgekommene und damit leistungsfähigere ersetzt. Eine Marketing-Strategie, die die Konsumforscherin Lucia Reisch, Leiterin des Forschungszentrums Verbraucher, Markt und Politik an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen untersucht. O- Ton 11 Lucia Reisch Ja, die psychische Obsoleszenz, die wird besonders durch Werbe- und Marketingstrategien ausgelöst und gesteuert. Sie besteht darin, dass man durch entsprechende Botschaften, neue Produkte und auch emotionale Anreize das Produkt oder teilweise auch Verhaltensweisen so darstellt, dass sie frühzeitig veralten. Das können Güter sein, die durchaus noch völlig funktionstüchtig sind, die nicht kaputt sind, sondern die nicht mehr in die Identität oder in die aktuellen Modezyklen passen. Das ist im Grunde das Phänomen der Mode, die es immer schon gab. Mode und Neuheiten sind Dinge die unsere Konsumgesellschaft gewissermaßen mit definieren. Das Neue daran ist, dass die Geschwindigkeiten dieses Stil- und Modewechsels ungeheuer sich beschleunigt haben. Sprecherin Eine immer geringere Nutzungsdauer der Elektronikgeräte ist die Folge. Der Konsument kommt der Entwicklung und den Neuerungen kaum mehr hinterher: Die ersten Flachbildfernseher waren nur HD fähig, dann Full HD, dann 3D, dann mit Internetzugang und jetzt kommt schon die nächste Steigerung, Ultra HD, 4k. Jedes Mal ein neues Gerät? Und jedes Jahr das neueste Smartphone, das neueste Tablet, der neueste MP3-Player? 2012 wurden in Deutschland mehr als 10 Millionen Fernsehgeräte, 13 Millionen Computer und 22 Millionen Mobiltelefone verkauft. Das waren insgesamt 1,8 Millionen Tonnen neue Elektrogeräte. O- Ton 12 Lucia Reisch Der Konsum hat sich in den modernen Konsumgesellschaften schon weit von dem eigentlichen Bedarf gelöst, sondern hat ganz andere Funktionen. Das sind die Funktionen der symbolischen Selbstergänzung. Ich habe eine bestimmte Identität, ein bestimmtes Selbstbild, das ich mir durch diese Produkte mir selbst gegenüber symbolisch ergänze und nach außen entsprechend zeige. Ich möchte im Grunde Dinge zum Ausdruck bringen, dass man bestimmte Kompetenzen in Bereichen hat, indem man beispielsweise immer das Neueste hat und damit auch kompetent umgehen kann. Atmo Repair Night Sprecher Repair-Night, Betahaus, Berlin Kreuzberg, 23.00 Uhr Sprecherin Eifrig wird nach den Schäden gesucht, die das Handy, den Fotoapparat oder den Drucker nicht mehr funktionieren lassen. Denn selbst reparieren spart Geld, auch ein Grund, warum einige Besucher heute zur Repair-Night gekommen sind. Atmo Dialog Repair Night Tom: Ich bin mit der Kamera schon mal im normalen Laden gewesen und dann sagen die gleich kostet mindestens 35 Euro, dafür, dass sie sie nur in die Hand nehmen, die Kamera ist nicht mehr ganz neu...Julia: ...ich würde gucken, ob es ein Tutorial gibt. Wenn's kein Tutorial gibt, ist vielleicht jemand hier, der es hat... find ich eigentlich mit am schönsten, dass sich die Leute hier gegenseitig anfangen zu helfen. Sprecherin Ressourcensparend leben, umweltbewusst essen, sich Fair Trade kleiden ist nicht mehr Subkultur, sondern vor allem für die jüngeren Menschen kultureller Bestandteil ihres Lebens. Was die Menschen eint, ist ihre Besorgnis über die Zukunft und die gleichzeitige Bereitschaft, anders zu handeln. Auch oder gerade weil es noch keinen fairen Weltvertrag gibt, fangen sie schon mal an, nachhaltig zu leben. Sie reparieren, sie teilen, sie leihen. Sie verändern die kulturelle Praxis des Umgangs mit Gebrauchsgütern und bewerten sie neu: Sprecher Und sind damit Vorboten einer Entwicklung, die nach dem Volkswirtschaftler und Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech in einer Postwachstumsökonomie mündet. O- Ton 13 Niko Paech Das Konzept der Postwachstumsökonomie beruht darauf, sich ein Stück weit souverän zu machen, unabhängig zu machen von der industriellen Fremdversorgung, d.h. nicht Konsum zu verteufeln, sondern Konsum zu reduzieren auf das Maß an Versorgung, das wir noch selbst eigenständig und kraft unserer knappen Aufmerksamkeit und Zeit bewältigen können, Konsum zu ersetzen durch urbane moderne kreative Selbstversorgung, eigenständig für die Reparatur, Instandhaltung und die Gemeinschaftsnutzung von Konsumgütern zu sorgen. Sprecher Das Motto der alternativen Strömung lautet: Do it yourself! Unabhängig sein. Nimm den Mächtigen das Geheimwissen und mach es selbst. Atmo Fab Labs Sprecher Die neueste Generation dieser Bewegung trifft sich in FabLabs, die in allen Großstädten der Welt wie Pilze aus dem Boden sprießen. Es sind High-Tech- Werkstätten, wo man "fast alles" herstellen kann. Beziehungsweise wo man lernen kann, wie man fast alles herstellt. Das ist auch die Idee des Berliner FabLabs. Ausgerüstet mit modernsten technischen Geräten, befindet sich das Lab auf einem verwinkelten Gewerbehof im Prenzlauer Berg. Atmo Lab Sprecherin Den Raum beherrscht der 3 D Drucker, ein Gerät, ungefähr so groß wie ein Getränkekasten, mit dem man alles drucken kann, was man möchte, z.B. Gegenstände aus Kunststoff oder Metall, die bisher nur industriell in Guss- oder Stanzverfahren gefertigt werden konnten. Der 3-D-Drucker baut das gewünschte Werkstück aus hunderten oder tausenden hauchdünner Schichten auf, die übereinander "gedruckt" werden, so dass sich schließlich die Gesamtform ergibt. Damit wird es nicht nur möglich, gebrochene Gehäuseteile oder abgenutzte Zahnräder, die man nicht mehr reparieren kann, einfach neu herzustellen, sondern beliebige Bestandteile von ganz neuen Geräten, die man selbst entwickelt hat, zu erzeugen. In den USA ist bereits eine ganze Bewegung der so genannten "Makers" entstanden, wo jedermann sich seine Brillengestelle oder Kaffeetassen selbst herstellt. So wird jeder sein eigener Produzent und die Alleinherrschaft der Großkonzerne wird ausgehebelt. Die 3-D-Drucker werden immer leistungsfähiger und immer preisgünstiger und entwickeln sich zu Maschinen, die irgendwann einfach "alles" herstellen können. Atmo Drucker Die Brasilianerin Nabila Sanchez arbeitet gerade an einem Ersatz für ihre kaputte Kabelklappe. Sie hat sie am Computer entworfen und möchte sie nun ausdrucken. O- Ton 14 Nabila (Atmo)Wir haben eine Kabelklappe, die kaputt gegangen ist. Man kann das mit 3 D Programm modellieren. Hier zum Beispiel indem ich die Form von dem Produkt noch mal nachzeichne und dann kann ich diese Datei zum 3-D Drucker schicken und dann einfach drucken lassen. Dann habe ich ein neues Teil da. (Atmo) Sprecherin Und zwar eines ohne teure Produktions- und Transportkosten. Entweder gibt es die Anleitung für das Modell im Internet oder man entwirft das Objekt der Begierde selbst. Und, dass es fürs FabLab keine Zugangsbeschränkung gibt, jedermann kommen und mitmachen kann, ist Wolf Jeschonnek, dem Initiator des Berliner Fab Labs besonders wichtig. O-Ton 15 Wolf Jeschonnek Das ist ganz durchmischt von Schulkindern bis zu Rentnern ist alles dabei. Bei den Leuten, die öfter herkommen, liegt schon ein Schwerpunkt auf Menschen, die in kreativen Berufen arbeiten, Designer, Architekten, Ingenieure auch Programmierer. Aber mindestens die Hälfte sind auch Leute, die das Thema interessiert und das ist ja auch ein guter Ort, um von null einen Einstieg zu finden. Sprecher Dieses Verlangen nach Alternativen zum naturbelastenden Konsum- und Lebensstil hat es zu einer gewissen "Marktmacht" gebracht. Niko Paech sieht einen klaren Trend. O-Ton 16 Niko Paech Das Konzept des Reparatur Cafés beispielsweise finden wir in Deutschland nun in fast allen Großstädten, Tendenz steigend, ich würde sagen dynamisch steigend. Weil es einfach Spaß macht, weil es da fröhlich zugeht und weil Menschen plötzlich merken, dass sie aus einer Rolle der Abhängigkeit von industrieller Fremdversorgung eben auch rauskommen. Es ist ein richtiger Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion. Sprecher Zwei völlig gegensätzliche Entwicklungen finden also gleichzeitig statt: zum einen gesellschaftliche Akzeptanz durch immer schnelleren Konsum immer modernerer Geräte - zum anderen gesellschaftliche Anerkennung durch Konsumverweigerung, Nachhaltigkeit und gemeinsames Reparieren, also Erhalten. Professor Michael Braungart, Gründer eines internationalen Umweltforschungs- und Beratungsinstitutes in Hamburg hat die Synthese aus diesen Einstellungen entwickelt und begegnet so vor allem dem Problem, das die "altneue" Idee des Reparierens beinhaltet. Denn trotz aller Nachhaltigkeit ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Geräte, die ständig repariert und deshalb seit 30 Jahren genutzt werden, technisch einfach nicht auf dem neuesten Stand sind. Deshalb hat der Chemiker und Verfahrenstechniker Braungart die Idee "cradle-to-cradle" entwickelt: Nicht mehr Geräte werden verkauft, sondern nur deren Leistung gemietet. O-Ton 17 Michael Braungart: Alle Dinge, die nur genutzt werden wie Gebrauchsgegenstände, wie TV, wie Waschmaschinen werden so gemacht, dass man nur die Dienstleistung von vornherein abgibt. Dann kann man von der Wiege zur Wiege planen [...] und würde dem Menschen nur noch 3000-mal Waschen verkaufen über eine Zeit von 7 Jahren. Da ist ein Zähler eingebaut und dann bekommt man den Kunden wieder zurück und die nicht genutzten Waschgänge können auf die neue Waschmaschine angerechnet werden. Also verkauft man nur eine Waschversicherung anstatt einer Waschmaschine. Sprecher Michael Braungart spricht von einer klassischen win-win-Situation: Der Kunde erhält regelmäßig die neueste Technik und das neueste Design und der Händler hat kein Problem mehr, die Kundenbindung aufrecht zu erhalten. O- Ton 18 Michael Braungart Im Augenblick hat derjenige, der langlebige Produkte macht keinerlei Vorteil davon. Denn er treibt sich praktisch selbst aus dem Markt. Wenn eine Waschmaschine 20 Jahre hält, dann kauft der Kunde ja 20 Jahre keine neue Waschmaschine. Dies ist auch nicht sinnvoll, dass Produkte solange halten, zumindest die technischen Gegenstände nicht, weil dann Innovationen nicht auf den Markt kommen. Bei einer Waschmaschine ist eine Nutzungszeit von etwa 7-8 Jahren sinnvoll, weil dann die Innovation so weit ist, dass man viel bessere, viel schonendere, viel energiesparendere Produkte auf dem Markt bekommen kann. Dafür müsste man aber das anders planen von vornherein. Sprecher Inzwischen wird das cradle-to-cradle-Konzept weltweit angewandt. In Dänemark, Holland und Taiwan fördert die Regierung das Konzept, und auch die EU gibt dafür über 100 Millionen Euro aus. Weil das Konzept so überzeugend ist, hat Michael Braungart eine Professur für den cradle-to-cradle-Studiengang an der Erasmus- Universität in Rotterdam. O- Ton 19 Michael Braungart Ein Produkt, das Abfall wird hat ein Qualitätsproblem. Es geht nur um Qualität und Innovation. So können wir Innovation leisten, die nicht mehr mit Sklavenarbeit konkurriert, so entstehen viel schönere und kostengünstigere Produkte daraus, weil ich die Intelligenz an den Anfang packe und nicht am Schluss ins Abfallmanagement. Sprecher Das Ziel: Produkte sollen so konzipiert sein, das sie niemals zu Müll werden. Sie sind entweder vollständig biologisch abbaubar oder komplett wieder verwertbar. Fernseher und andere technische Geräte würde man nicht mehr besitzen, sondern sie nur ausleihen, damit die Rohstoffe nach Gebrauch zum Hersteller zurückkehren und wieder zu neuen Produkten verarbeitet werden können. Sprecherin Eine Welt ohne Müll! Doch bis es soweit ist, wird eine Politik der kleinen Schritte praktiziert. Nicole Maisch, Sprecherin für Verbraucherschutz von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen: O- Ton 20 Nicole Maisch Die Gebrauchsdauer, der Lebenszyklus der Produkte muss länger werden. Das bedeutet für uns, dass wir die Hersteller verpflichten möchten ihre Produkte so zu gestalten, dass sie möglichst lange halten, dass sie reparaturfähig sind und dass man eben auch Ersatzteile für einen bestimmten Zeitraum, oft gibt`s die ja nach wenigen Jahren nicht mehr, auch vorhält. Es gibt Gesetze, die verschärft werden müssen. Das ist das Gewährleistungsrecht, das ist im Moment 2 Jahre und nur ein halbes Jahr ist man als Konsument nicht in der Verantwortung zu beweisen, dass man selbst zum Beispiel das Handy nicht in der Waschmaschine mit gewaschen hat. Hier müsste man einfach die Gewährleistung ausweiten und diese Beweislastumkehr zu Ungunsten des Konsumenten entsprechend auf den Hersteller verlagern. Sprecherin Bis dahin, rät Stefan Schridde, sich im Geschäft zu vergewissern, dass der Akku nicht fest eingebaut ist, und nachzufragen, ob die Ersatzteile für die kommenden fünf Jahre gewährleistet sind. O-Ton 21 Stefan Schridde Nachhaltiger Konsum heißt, nicht ins Regal greifen und dort das Richtige rausnehmen, sondern dafür sorgen, dass nur noch Sachen in die Regale reinkommen, die kein Label mehr brauchen. Sprecherin Das Bundesumweltamt hat vor kurzem auf der Basis der Ergebnisse der Studie von Stefan Schridde und Christian Kreis eine neue, umfassendere Studie zu "geplanter Obsoleszenz" in Auftrag gegeben. Ergebnisse werden 2015 erwartet. Atmo 09 Repair-Night Sprecher Betahaus, Berlin-Kreuzberg, 00:00 Uhr. Atmo 10 Repair-Night Sprecherin Die Repair-Night geht zu Ende. 3 Laptops, 4 Handys und ein Fotoapparat wurden wieder funktionstüchtig gemacht. Die Anleitungen für Elektroreparaturen teilen die sogenannten Baustler auf der Webseite ifixit mit. Damit das neu gewonnene Wissen über die Reparierbarkeit der Geräte nicht verloren geht und noch mehr Menschen die Möglichkeit haben, sich dem Zwang zu unnötigem Konsum zu widersetzen und zumindest der psychischen Obsoleszenz ein Schnippchen zu schlagen. O-Ton 22 Werbung für den VW-Käfer, 1963 ...aber die wichtigste Eigenschaft ist, er läuft, und läuft, und läuft, und läuft... Sprecher vom Dienst Lang lebe das Produkt! Oder: Schluss mit Murks und Müll Ein Feature von Gabi Schlag und Dörte Wustrack Es sprachen: Eva Kryll, Kai Scheve und Rosario Bona Ton: Christiane Neumann Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 1