COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel, 24. November 2013 "Schach - Hochleistungssport am Spielbrett" Autoren: Marietta Schwarz und Thomas Jaedicke Redaktion: Sabine Gerlach Die reine Wahrheitssuche am Brett ist nicht unbedingt zielführend. Sondern am Brett ist es fast wichtiger, den Zug zu finden, der für den Gegner der unangenehmste ist. .... Also wenn ich weiß: Mein Gegner liebt taktisches, wildes Opferschach. Dann sorg ich dafür, dass die Bauernstruktur komplett geschlossen bleibt. Angenommen ich weiß, mein Gegner liebt das Läuferpaar. Da fühlt er sich wohl, da hat er Ideen. Dann versuche ich natürlich, einen dieser beiden Läufer zu tauschen. Das mag dann nicht der objektiv beste Zug in der Stellung sein, aber das ist dann oft der erfolgreichste. Herbstlaub fegt durch die Bülowstraße in Berlin. Die Hochbahn rattert vorbei. Prostituierte vertreten sich im Regen die Füße. Es ist eine raue Gegend, in der sich die Schachfreunde Berlin jeden Mittwoch zum Vereinsabend treffen. Das Nachbarschaftsheim mit dem großen, für die Schachfreunde zu großen Mehrzwecksaal stammt aus den 80er Jahren. Außen viel Beton, innen viel Holzvertäfelung. Tische werden gerückt und Spielbretter aufgebaut. 7 Tische stehen in einer schnurgeraden Reihe entlang der Fensterfront - ansonsten Leere. Für das Blitzschach-Turnier an diesem Abend rotieren die Spieler von Brett zu Brett, von Gegner zu Gegner. .... Ich lese die Paarungen mal vor der 1. Runde. An Brett 1: Lars Thiede gegen Vincent Handke, Brett 2 Frank Möller gegen Professor Jung.... Jeder der Anwesenden wird in den nächsten zwei Stunden 14 Partien spielen. Pro Spiel und Gegner 5 Minuten Bedenkzeit. 5 Minuten ist nicht viel! - Nein, es hat sehr viel mit Routine und Intuition zu tun. Sagt der Belgier Arne Balliere, ein junger Mann mit Schiebermütze, der erst seit knapp einem Jahr Vereinsmitglied ist. Mehr Routine oder mehr Intuition? Eigentlich mehr Routine, aber auch Überlebensinstinkt. Aber eigentlich ist es nichts Ernsthaftes, deshalb heißt es auch "Spaßblitzen" in dem Verein. Weil es ist gut, um so Eröffnungssysteme auszuprobieren. Aber wenn man das tiefer analysiert, sieht man immer hunderte taktische Möglichkeiten, die man nicht gesehen hat, falsche Züge, die man gemacht hat. Arne Balliere spielt in keiner Liga, kommt aber gerne zu den Vereinstreffen. Ein Spätberufener, der erst mit 18 Schach entdeckte. In dem Alter hätte der verrückte Bobby Fischer die eigene Mutter ja längst vor die Tür gesetzt, um sich voll und ganz aufs Schachspielen konzentrieren zu können, erzählt er. Der Name des legendären Champions aus den USA fällt schnell, wenn man mit den "Schachfreunden" spricht. Für viele war diese Begegnung 1972, der WM-Kampf zwischen Fischer und Spasski, die Initialzündung, selbst mit Schach zu beginnen. Arne Balliere ist zu jung, um sich daran zu erinnern. Er ist Vater von zweijährigen Zwillingen, die beide Schachmeister werden sollen: Die können alle eigentlich noch nicht reden, nicht richtig. Aber wenn ich sage: Gib mir die Dame, gibt mir den Bauer, dann haben sie ohne Fehler alle Figuren richtig. Das ist schon ein guter Anfang. Meine Frau findet es ein bisschen merkwürdig... Aber man kann nicht früh genug anfangen. Sie werden auch keine Wahl haben, wenn ich ganz ehrlich bin. Nun, durch die Schreihälse, fehle ihm inzwischen leider die Zeit zum Trainieren. Balliere macht das mit Büchern, die zum Beispiel "Das Mittelspiel" heißen und spielt Partien nach. Das Studium bereite ihm Gehirnschmerzen, sagt er lachend. Jeder habe da so seine eigenen Trainings-Methoden... Es ist ein Kampf und ist auch eine Kunst. Kampfkunst? Ja, das ist es eigentlich. Turnierbeginn. Arme fegen übers Brett, kreuzen sich wie Scheren. Eine seltsame Choreographie der Hände, die von der Figur zur Stoppuhr und wieder zurück fliegen. Automatisiert sieht das eine Zeitlang aus. Bis die Situation dramatischer wird: Die Spielfiguren sich jenseits des Schachbretts häufen, die Gesichter starrer werden, Füße unterm Tisch nervös wippen. Die Zeit davon läuft. Matt. Nächste Partie. Die "Schachfreunde Berlin" gehören mit 95 Mitgliedern zu einem der größten Vereine der Stadt und spielen auch in der Bundesliga. Zu den Vereinsabenden kommen alle vom Hobbyspieler bis zum Bundesligisten. Und wie beim Spaßblitzen an diesem Abend spielen auch Gute gegen weniger Gute. Vor 9 Jahren spielte ein 13-jähriger Junge aus Norwegen für die "Schachfreunde" in der Bundesliga. Das Kind hieß Magnus Carlsen und hatte damals noch nicht mal Pickel. Inzwischen ist Magnus Carlsen ein Weltstar und modelt nebenbei. Mannschaftsk ämpfe spielt so einer nicht mehr - finanziell total uninteressant. An den sieben Schachtischen im Nachbarschaftsheim wird an diesem Abend nicht geredet. Alle Konzentration ist auf die 64 Felder in Schwarz und Weiß gerichtet. Die Uhren ticken nervös. Ansonsten über 2 Stunden lang: Stille. Im 14. Match, zwei Sekunden vor Ablauf der Zeit, macht Dirk Paulsen, der beste Spieler an diesem Abend, den entscheidenden Zug. Kaltblütig. Springer e5. Matt. Es ist sehr anstrengend. Die Anstrengungen sind enorm, wenn man spielt, denkt man nur an das Spiel, und man spielt wie um sein Leben, aber diese körperliche und psychische Spannungen hast du eigentlich keinen Ausweg damit, du sitzt auf deinem Stuhl am Brett. Und du kannst nicht weg damit. Schach ist ja deswegen so faszinierend, weil Schach drei Komponenten vereint, nämlich Sport, Wissenschaft und Kunst. Sie können sich gar nicht vorstellen, welchen psychischen und physischen Belastungen man in so einer Partie ausgesetzt ist.... Es gibt ja viele Untersuchungen dazu, dass man im Schnitt in einem wichtigen Turnier durchaus mehrere Kilo verlieren kann, das liegt am Stress. An der inneren Angespanntheit, die man über früher waren das 2,5 Stunden für 40 Züge, also 5 Stunden lang tragen muss, und das kostet sehr viel Energie, und die kann man nur durch physische Fitness sich schaffen. Robert von Weizsäcker, Sohn des ehemaligen Bundespräsidenten, Professor für Volkswirtschaftslehre, Ehrenpräsident des Deutschen Schachbunds und Internationaler Fernschach-Großmeister. Weizsäcker spricht über das gedankliche Räderwerk, das im bewegungslosen Körper des Spielers bei einer Partie in Gang gesetzt wird: Die erste Ebene ist die rein schachliche Ebene. Da befassen Sie sich mit der Stellung. Da fangen Sie an, Varianten zu berechnen und durchzudenken Da versuchen Sie, ein Gefühl für die Situation zu bekommen... Im zweiten Schritt versuche ich daraufhin, recht schnell zu sagen, was der richtige Zug ist. Dann erst fange ich an zu analysieren. Während der Analysephase kommt man oft auf 10 andere Züge, aber in der Regel ist der erste, an den man gedacht hat, auch der richtige. Das sind also die Fälle, die einen schon vollkommen absorbieren. Die zweite Ebene, die man vielleicht erwähnen kann: Man ist so beschäftigt, dass man sicher nicht von einer Metaebene heraus sagen kann, was da vorgeht. Aber was ich selbst erfahre ist, dass man in diesem Bereich die Grenze des eigenen mentalen Raumes erspürt. Man kommt wirklich an die Grenze des eigenen Denkens. Das ist fast was Transzendentes. Haben Sie auch während einer Partie Gedanken übrig für den Kopf des Gegners? Würde ich sagen schon. Wenn Sie eine Stellung lange analysieren, dann kommt der Zeitpunkt, ab dem Sie nicht mehr Neues entdecken. Und dann ist es ein gutes Verfahren, ...aufzustehen und sich die Position aus der Sicht des Gegners zu betrachten. Und wenn Sie das tun, fallen Ihnen automatisch wieder die Vorlieben und viele Eigenschaften des Gegners ein und Sie bewerten die Situation neu. Wie ist das mit ihrer eigenen Körperlichkeit, wenn Sie an Grenzsituationen kommen, wo man eigentlich am Ende der Möglichkeiten angekommen ist? Vergisst man seinen Körper dann auch? Ja, ich schon. Man wird dann aber schmerzlich an ihn zurückerinnert, wenn man aus dieser Phase wieder erwacht, indem man feststellt, dass man eigentlich völlig verkrampft, alles tut einem plötzlich weh, dagesessen hat. ... Man ist vollkommen erschöpft. Kann man sagen: Je mehr Zeit man hat bei so einem Spiel, desto weniger spielt Intuition eine Rolle? Nein, das glaube ich nicht. Wenn Sie viel Zeit haben, ist immer der Auslöser, worüber Sie jetzt nachdenken, ein intuitiver. Sie müssen sich vorstellen, dass in einer komplexen Situation immer sehr viele Möglichkeiten im Prinzip durchzurechnen wären. So arbeitet der Computer mit seinen Brut Force Algorithmen. Der gute Spieler tut das nicht. Der gute Spieler konzentriert sich von vornherein auf zwei oder drei Optionen, die er dann durchgeht. Und das ist ein Ergebnis seiner Intuition. Auch bei langer Bedenkzeit. Worauf greift der Kopf zurück? Auf etwas Erlerntes? Hm, jetzt muss man fragen: Was steckt hinter dem Begriff Intuition? Das ist auch nicht in kurze Worte zu fassen. Letztlich ist es die Fähigkeit der Mustererkennung. Und die Mustererkennung im Schach ist natürlich das Ergebnis von tausenden Partien, die man durchgespielt hat und durchgedacht..... Also, das heißt, man antwortet, wenn man der Nachziehende ist, immer in einem bestimmten schablonenartigen Spiel auf die Eröffnung des Gegners? Das klingt so negativ, das mit der Schablone. Aber zweifellos ist man mit bestimmten Stellungstypen vertraut und weiß intuitiv, was zu tun ist. Und das ist das Ergebnis dieser Mustererkennungsfähigkeit. Hier kommt der erste Fehler, hier sinkt auf einmal die Bewertung, ... hier nach Springer e4, also vorher muss der Fehler sein. Jetzt können wir unten gucken, was der Computer vorschlägt: nach Springer e6... Berlin-Tegel, Auftakt der Bundesliga-Saison im Seminarraum eines Hotels. Zwei Männer, tiefgebeugt über einen Laptop. Zug um Zug wird eine verlorene Partie vom Vortag analysiert. Es wäre also richtig gewesen, Springer a4 zu spielen für Weiß in dieser Stellung. - Können Sie das nachvollziehen? - Nein, die Computer spielen inzwischen viel zu gut, besser als der Weltmeister, deutlich weiter als vor zehn Jahren. Eine Tür weiter, am zweiten Tisch links, wird Stephan Berndt langsam nervös. Auch wenn die Uhren hier nicht ticken, dürften die letzten noch verbleibenden Sekunden in seinem Gehirn hämmern. Unaufhaltsam zählt die Anzeige zurück: 2 Minuten 32 Sekunden, 2 Minuten 29 Sekunden, 2 Minuten 15 Sekunden.... Berndt starrt aufs Brett. Fährt sich durch die Haare. Berndts Gegner wirkt konzentriert, aber gelassen. Zeitlicher Vorteil: 30 Minuten - eine halbe Stunde. In der Regel hat man am Anfang genug Zeit, sich seine Züge gut zu überlegen, aber ja, dann wird es eben zum Stressfaktor, und das hat dann viel mit Routine zu tun, ob man mit der Zeitnot gut zu Rande kommt oder nicht. Am Ende reicht es immerhin zum Remis in einer komplexen Stellung. Berndt und sein Gegner analysieren die Partie nochmal am Brett. Die Züge haben sie allesamt noch im Kopf. Ja, das hatte mich am Ende auch überrascht, ich kannte nur diese Springer c6 Sachen, und dann ist Läufer g4 möglich, und dann zwingt Schwarz quasi den Weißen zu d5. .... ja a3 zu f3.... ja, ich kannte das ehrlich gesagt nicht. aber vielleicht muss man auch nicht so viel Theorie kennen hier? Ein älterer Mannschaftskamerad gesellt sich zu ihnen. Springer f6 - das wäre es doch gewesen!, meint er. Auf dem Brett entwickelt sich rasch eine ganz neue Partie. Jetzt schieben drei Hände schwarze und weiße Figuren hin und her. Doch auch nach erneutem Austausch kommt Stephan Berndt zum gleichen Ergebnis: Gravierende Patzer gab es in dieser Partie eigentlich nicht. In unserer Partie meines Erachtens nicht. Aber ich kann's nicht ausschließen, dass der Computer uns die Partie um die Ohren haut, das tut er im Moment immer häufiger. So wie am Tisch nebenan, wo die beiden Männer noch immer über einem Spiel vom Vortag grübeln. Schach auf höherem Niveau ist ohne den Computer heute nicht mehr denkbar. Wer wissen will, welche Vorlieben oder Schwächen sein potentieller Schachgegner hat, greift auf die riesigen Datenbanken zurück, die es inzwischen zu den stärksten Spielern gibt. Die Analyse wird meistens gleich mitgeliefert: Wo hat Weiß gepatzt, wo hat Schwarz gepunktet? Was wäre der bessere Zug in dieser oder jener Situation gewesen? Und an welcher Stelle kippte die Partie? Nach d4, das ist so ein Schlüsselpunkt für einen Menschen gewesen, den hat der Computer wohl früher erkannt. Wir als Menschen sehen, wenn hier d4 gespielt werden kann, ohne dass der Bauer verloren geht, dann hat Schwarz eben einen deutlichen Vorteil. Das wissen wir aus unserer Erfahrung heraus und aus Großmeisterpartien. Das Niveau im Schach ist durch den Computer gestiegen, sagt der Mann am Laptop - es ist Stefan Martin, Mannschaftsführer vom Verein Viernheim. Man spielt jetzt taktischer und schärfer. Wo früher selbst der erfahrene Schachspieler mal nicht mehr weiter wusste, rechnet der Computer jetzt einfach Stellungen durch. Er hat vorhin in einer Partie Matt in 28 Zügen gezeigt. Zwingend. Weiter als ein Mensch normalerweise rechnen kann. Kommt also im Schach am weitesten, wer dem Computer immer ähnlicher wird, sprich: der beste menschliche Rechner am Schachbrett ist, in der Lage, viele Varianten möglichst weit nach vorne durchzurechnen? Ja und nein, sagt Stefan Martin: Der Computer hat auch Beschränkungen vom Rechenhorizont. 20 Züge, dann ist irgendwann Schluss. Ein Mensch hat oft Erfahrungsschätze noch und erkennt, dass es dann trotzdem noch gut ist, die Stellung. Der Computer kann das nicht 100 Prozent richtig einschätzen. In Baden-Baden, 550 Kilometer vom verarmten Berlin entfernt, ist das Geld alles andere als knapp. Das zeigt sich auch im Schach. Acht Mal hintereinander ist die Ooser Schachgesellschaft Baden-Baden jetzt schon Deutscher Meister geworden. Die OSG ist so was wie der FC Bayern der Schachbundesliga. Dass die Nummer Eins der Weltrangliste, Magnus Carlsen, die Zwei, Lewon Aronjan, Vishy Anand und viele andere internationale Spitzenspieler sich für die Badener ans Brett setzen, liegt vor allem an Wolfgang Grenke. Wir wollen so ein Drittel Weltklasse, ein Drittel deutsche Klasse und ein Drittel Nachwuchs machen. Das lässt sich leider in der Bundesliga, wenn man ganz vorne spielen will, so nicht realisieren. Der gebürtige Baden-Badener Wolfgang Grenke ist Gründer der Grenkeleasing AG, einem mittlerweile im SDAX notierten Unternehmen, das sich, vereinfacht gesagt, auf die Vermietung von Personal Computer, Notebooks, Druckern, Kopierern und Software spezialisiert hat. Seit Gründung, 1978, ist die Firma auf fast 700 Mitarbeiter gewachsen und an etwa 90 nationalen und internationalen Standorten vertreten. Im vergangenen Jahr setzte der Betrieb nach eigenen Angaben etwas über eine Milliarde Euro um. Insgesamt geben wir, glaube ich, so 300.000 im Jahr ungefähr aus für den Schachsport. Wir haben drei Schwerpunkte. Einer ist Schulschach. Wir fördern Schulschach in der Region. Wir haben eine Trainingsmöglichkeit mit dem Schachzentrum Baden-Baden. Und wir haben Spitzenschach in Form der Mannschaft. Also, es ist immer dieses dreigliedrige System. Wolfgang Grenke lernte als Achtjähriger Schach; der Vater eines Nachbarjungen brachte ihm das Spiel bei. Jetzt ist Grenke 62, trägt einen grauen Businessanzug, weißes Hemd und Krawatte. Der sportlich-schlanke Geschäftsmann wirkt jünger und seine Begeisterung für das Spiel und den gesellschaftlichen Wert des Schachs echt. 1997 bewarb sich Christian Bossert, selbst ein starker Spieler, bei Grenke um einen Job. Doch neben der Arbeit ging es Christian Bossert eigentlich vor allem um sein Schachkonzept, das er zusammen mit Wolfgang Grenke umsetzen wollte. Was Tauberbischofsheim fürs Fechten war, das sollte Baden-Baden für die Schachspieler werden. Der ausschlaggebende Punkt war, dass ich 1990 in Georgien war und hab gesehen, was die da für Schach auf die Beine stellen, mit riesigen Turniersälen, mit Spitzenschach, mit Frauenweltmeister, mit Hunderten von Kindern, die da tagtäglich Schach trainieren. Christian Bossert kam schon zu diesem Zeitpunkt ständig mit Leistungsschach in Berührung. Seit 1988 ist er Leistungsreferent des Badischen Schachverbandes und als Kadertrainer bei Jugendwelt- und Europameisterschaften aktiv. Außerdem ist er Vorsitzender des Schachzentrums Baden-Baden. Und der Gedanke, so was aufzubauen und zu erreichen, hat mich gereizt. Und wir waren dann ja schon fünf Jahre später in der Bundesliga mit der Mannschaft. Wir sind auch einer der größten Vereine in Deutschland; aktuell die Nummer drei. Obwohl die Bedingungen in der Schachstadt Baden-Baden also top sind, ist es jetzt schon drei Jahre her, dass Superstar Magnus Carlsen zum bisher letzten Mal für die OSG gespielt hat. Woran liegt das? Christian Bossert sagt, dass der junge Norweger nicht gerne Samstagsfrüh, wenn die Liga spielt, aufsteht. Das ist aber natürlich nicht der einzige Grund. Der smarte Jungstar, der für Jeans modelt, andere Werbeeinnahmen hat und regelmäßig auf die ganz großen Turniere eingeladen wird, ist auf das Geld, das er in der Bundesliga verdienen könnte, einfach nicht mehr angewiesen. In der Schachbundesliga, die einen Spieler wie Carlsen, der Aufmerksamkeit garantiert, schmerzlich vermisst, hat sich dagegen, was die Preisgelder betrifft, in den letzten zehn Jahren relativ wenig getan: Vor acht Jahren verdiente ein Großmeister etwa 580 Euro pro Partie. An dieser Gage habe sich bis heute - selbst bei der OSG Baden-Baden, dem Krösus der Liga -, kaum etwas geändert, sagt Wolfgang Grenke. Die Top-Ten der Weltrangliste werden regelmäßig zu den lukrativen internationalen Turnieren eingeladen. Dieser kleine, elitäre Zirkel teilt sich den Löwenanteil der hohen Preisgelder fast allein. Trotzdem verdienen auch viele Schachprofis, die nicht ganz zur absoluten Weltspitze zählen, generell nicht schlecht. ZUM BEISPIEL die deutsche Nummer eins, Arkadij Naiditsch: Ich würde auch sagen, dass, das, was man hört, dass die Schachspieler es hart haben finanziell, würde ich persönlich für mich nicht behaupten. Also mir geht´s gut. In der Weltrangliste liegt der 28jährige mit 2727 Punkten auf Platz 25. Arkadij Naiditsch, 1986 in Riga geboren, war fünf, als sein Vater, ein Ingenieur, ihn an das Spiel heranführte. Er besuchte in Riga, damals noch Hauptstadt der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik, eine Schachschule. Was heißt gut? Gut ist immer relativ ... .Aber, es ist nicht etwas, wo man sagt, von Schach kann man nicht leben. Harter Beruf. Wo bleibt die Rente? 1996 zog die Familie nach Deutschland. Arkadij Naiditsch, der in Riga auch Eishockey, Fußball und Tischtennis gespielt hatte, konzentrierte sich in seiner neuen Heimat Dortmund immer mehr auf Schach. Private Trainer wurden verpflichtet. Ein Jahr lang betreute ihn der russische Großmeister Igor Glek. Dann übernahm ihn Armeniens ehemaliger Nationaltrainer Arshak Petrosjan. Der frühere Weltklassespieler erhöhte das Pensum. Mindestens vier Stunden pro Tag saß der zehnjährige Schüler Arkadij fortan am Brett, um intensiv an seinem Spiel, seiner Technik und taktischen Finessen zu arbeiten. Der Lohn: Schon mit 15 war Naiditsch Großmeister. Mit 19 gewann er die Internationalen Dortmunder Schachtage; der jüngste Sieger in der Geschichte des renommierten Turniers. Gibt es einen Punkt, von dem Sie sagen konnten, von da an konnten Sie vom Schach gut leben? Und dass Sie sich nicht mehr Gedanken gemacht haben, dass man vielleicht ein anderes Standbein noch aufbauen müsste, ´nen anderen Beruf vielleicht ergreifen müsste, um sich abzusichern, falls es schief geht? Gut, wenn mir jemand mit ´nem Baseballschläger gegen den Kopf haut, dann geht natürlich vieles schief. Aber sonst ... das Verletzungsrisiko ist beim Schach natürlich relativ gering ... Ich hab mit der Schule mit 18 aufgehört. Ich lebe von Schach natürlich, nur von Schach. Können Sie sagen, was Sie mit Schach verdienen, auf´s Jahr gerechnet? Gut. Die Zahlen sind privat, ist ja kein Finanzamt hier ... Aber ... .also, man verdient gut. Das ist nicht wie ein Fußballspieler. Wir können vielleicht vergleichen mit einem mittelstarken Manager, sagen wir vielleicht in einer Firma. Anders als Magnus Carlsen, der eigentlich nicht mehr auf Vereinsspiele angewiesen ist, spielt Arkadij Naiditsch nicht nur für Baden-Baden. Er hat es eben noch nicht auf einen der ersten zehn Plätze der Weltrangliste geschafft. Neben seinem Engagement für den deutschen Serienmeister sitzt Naiditsch in dieser Saison auch noch für Klubs in Frankreich, Kroatien, Ungarn und in der Schweiz am Brett. Und er ist in der deutschen Nationalmannschaft. Macht insgesamt etwa 100 Partien pro Jahr. Inzwischen wohnt Naiditsch in Baden-Baden. Aber das Leben eines Schachprofis ist wie ein Wanderzirkus. Über die Hälfte des Jahres ist man unterwegs. Auswärtsspiele mit der Mannschaft, internationale Turniere oder ein Trainingslager: Irgendwas ist immer. Schach auf Spitzenniveau ist vor allem eines: Harte Arbeit. So viel ist sicher. Aber ist Schach überhaupt Sport? Also, für Topspieler ist es definitiv Sport. Es ist halt sehr, sehr anstrengend, die physische Kondition spielt definitiv eine Rolle. Ein Turnier, wie zum Beispiel eine Mannschafteuropa- oder Teamweltmeisterschaft geht meistens über einen Zeitraum von etwa zehn Tagen. Einzelne Partien können oft bis zu sieben Stunden dauern. Dazu noch Vorbereitung und anschließende Analyse: Und schon hat der Spieler ganz schnell einen Zwölf-Stunden-Tag. Ich weiß nicht, ob Sie schon mal probiert haben, zehn Tage hintereinander zwölf Stunden hart zu arbeiten. Ist eigentlich auch nicht so üblich in den normalen Berufen. Das heißt, man geht wirklich an den Limit. Und ... Es gibt einen Sieger, es gibt einen Verlierer. Es ist definitiv Sport. Arkadij Naiditsch achtet auf seine Gesundheit, versucht sich gut zu ernähren. Vor einer Partie meidet er McDonald´s und Burger King. Trinkt keinen Alkohol. Und ab und zu geht er laufen. Man muss spüren, wann der andere ein bisschen müde wird, dann kann man vielleicht ein bisschen aggressiver spielen. Oder halt versuchen, aus der Stellung mehr rauszuholen, als wenn man sagt: Heute ist nicht mein Tag. Heute habe ich ein bisschen schlecht geschlafen, ich fühle mich ein bisschen müde. Lieber heute bisschen vorsichtiger sein. Woche für Woche werden in der Schachbundesliga Höchstleistungen geboten. Aber die Spieltage, die zum Teil immer noch in schummrigen Tagungssälen von mittelmäßigen Hotels stattfinden, haben kaum Publikum. Wenn an einem Wochenende mal ein paar Hundert Zuschauer kommen, ist das schon viel. Im Gegensatz zum spektakulären Fußball, dessen simple Regeln jedes Kind versteht, passiert auf dem kleinen Schachbrett für den interessierten Beobachter, der kein absoluter Schachexperte ist, auf den ersten Blick ziemlich wenig. Wolfgang Grenke, dem langjährigen Hauptsponsor der OSG Baden-Baden, ist dieses Dilemma, in dem der Schachsport steckt, sehr bewusst. Dass also Schach ein Zuschauermagnet für Präsenz ist, das wird es wohl eher weniger sein. Dazu kommt, dass der normale Zuschauer kaum sagen kann, warum haben die sich jetzt auf ein Remis geeinigt. Oder warum gibt der eine auf. Warum soll man also Spieler stundenlang beim Grübeln beobachten? Der spannende Kern des Schachs, die komplizieren Rechenoperationen, die im Gehirn der Spieler ablaufen, bleiben sowieso unsichtbar. Das bringt natürlich dann wenig, wenn jemand, der gerade mal die Schachregeln beherrscht, sich so´ ne Partie anschaut. Der wird wenig davon verstehen. Wer ist schon in der Lage, den großen Augenblick mit dem einen spektakulären Zug oder die wunderbare, entscheidende Kombination, die gerade dort irgendwo an einem der kleinen Tische eingeleitet wird, nicht zu verpassen? Um die ganze Magie des königlichen Spiels voll genießen zu können, brauchen die meisten Schachfreunde kompetente Hilfe von außen. Wir versuchen ja - und andere Vereine auch - durch entsprechende Veranstaltungen parallel, sprich also Analyse durch Großmeister, die in ´nem Extraraum die Partien für die Zuschauer analysieren, etwas in der Richtung zu bewegen. Bei unserem Großmeisterturnier haben wir massiv in die Präsentation der Partien investiert. Wolfgang Grenke ist entschlossen, weiter um mehr Aufmerksamkeit für Schach zu kämpfen. Dazu gehört für den Unternehmer auch, dass sich viele Vereine in den vergangenen Jahren um attraktivere Spielorte bemüht haben. Wenn Sie mal schauen, die Spielorte, die wir mittlerweile haben. Doch einige, zumindest in der Bundesliga, die durchaus ansehnlich sind: Das Schloss in Schwetzingen, Eppingen, bei uns la8. Das Weserstadion bei Werder Bremen auch ein attraktiver Spielort, Schöneberger Rathaus, es gibt ´ne ganze Reihe von schöner Plätze, wo Schach stattfinden. Den größten Schub verspricht sich der Mäzen aber vom Internet. Gerade jetzt, wo Schach durch das spektakuläre Weltmeister-Turnier in Indien wieder in den Fokus der Medien gerückt ist, und dem etwas angestaubten Oberlehrer-Image des Spiels zu frischen Glanz verhelfen könnte. Vor allem online haben auf der ganzen Welt viele Menschen die Partien zwischen Carlsen und Anand verfolgt. Auf Portalen wie zum Beispiel chess.com oder spiegel-online kann man die Begegnungen, optisch auf zum Teil sehr anspruchsvoll programmierten digitalen Spielbrettern dargestellt, live mitverfolgen. Meist werden die Spielzüge dort simultan von Großmeistern kommentiert und sofort analysiert. Für echte Fans eben.