DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Dienstag, 24.05.2016 Redaktion: Sabine Küchler 19.15 ? 20.00 Uhr Das Schwarze Meer ist oben auf dem Berg Mit Karl Eisbein durch Park Babelsberg Von Heike Tauch URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - MUSIK O-Ton Eisbein Ein Fichtenbaum steht einsam - Im Norden auf kahler Höh´ - Ihn schläfert, mit weißer Decke Umhüllen ihn Eis und Schnee. Er träumt von einer Palme, Die, fern im Morgenland, Einsam und schweigend trauert Auf brennender Felsenwand. SPRECHERIN: Der Mann, der dieses Heine-Gedicht rezitiert, heißt Eisbein, Karl Eisbein, und ist der ehemalige Gartendenkmalpfleger von Park Babelsberg. Einer vor Potsdam auf sprödem märkischen Sand kunstvoll angelegten Parklandschaft. ANSAGE: Das Schwarze Meer ist oben auf dem Berg Mit Karl Eisbein durch Park Babelsberg Ein Feature von Heike Tauch In Gedenken an den im Januar 2016 verstorbenen Redakteur Hermann Theißen ATMO SPRECHERIN: Unbedingt müsse ich Karl Eisbein kennenlernen, lag mir seit langem meine Freundin in den Ohren, denn der Mann mit dem ungemein berlinischen Namen, sei eine Bibliothek an Wissen. Fast vierzig Jahre sei er im Park tätig gewesen ? fast zwei Jahrzehnte vor, fast zwei Jahrzehnte nach der Wende. Ihm sei es wesentlich zu verdanken, dass der Park heute wieder in seiner ursprünglichen Schönheit den nach Erholung suchenden Spaziergängern zur Verfügung stünde. Nichts habe Eisbein aufgeschrieben, sein Archiv sei sein Gedächtnis, nur dort lägen die Dokumente über eine Zeit gewaltiger Umbrüche ? Park Babelsberg: Vom landschaftsgärtnerischen Kunstwerk über tödliches DDR-Grenzgebiet zum einzigartigen Weltkulturerbe. MUSIK SPRECHERIN: Und so bin ich mit Eisbein, dessen harte, kräftige Hände bereits bei der Begrüßung Bände sprechen, an einem sonnigen Morgen am Kleinen Schloss des Parks verabredet. Hier, im ersten Stock, mit Blick auf die Havel, bezog Eisbein ? der übrigens kein Berliner ist ? vor Jahrzehnten seine Dienstwohnung. Sie lag bis 1989 im Grenzgebiet. O-Ton Eisbein Ich würde vorschlagen, wir gehen mal hier den Weg hoch - ja, Dinge zu beschreiben, die man sehen kann, ist natürlich nicht so einfach. SPRECHERIN: Mit feiner Selbstironie hatte er mich vor sich gewarnt ? er könne nicht erzählen. Brauche er auch nicht, hatte ich erwidert, ein Gartendenkmalpfleger sei schließlich kein ?Homme de lettres?, sondern ein ?Homme de l´arbre?. Seine Sprache ist nun mal der Park, sind Blicke und Bäume, sind Sträucher, Seen, Bäche und kunstvoll in Miniatur angelegte ?Meere?. Aber aufgenommen mit Mikrofon werden seine Beobachtungen zu einem Dokument und erzählen von den Schichten und Geschichten dieses Fleckens Erde. ATMO SPRECHERIN: Unser Spaziergang beginnt auf einem schönen schmalen, sich ruhig dahin schlängelnden Weg. Diesen Gedanken habe ich kaum zuende gedacht, als ich bereits von Eisbein erfahre: Dass der Weg sich schlängelt, sei ein Trugschluss. Genau genommen ist er gerade. Und bevor ich meine Wahrnehmung daraufhin schärfen kann, sprudeln - wie Kaskaden - die Sätze aus Eisbein heraus über die Kunst von Wegführungen, Kurvenverläufen, über Kunstlinien und Naturlinien, und wie sie ineinander und unmerklich in einem Landschaftspark übergehen und von welch grandioser Wirkung sie seien. - Meine erste kleine Lektion in punkto ?Den Park sehen lernen?. O-Ton Eisbein Und das vergleiche ich immer mit einer Kaffeetasse: Wann sieht man je, dass man eine Kaffeetasse rund ist?! Nur wenn man senkrecht von oben mit einem Augen drauf guckt. Sonst ist sie immer oval. Und das ist die Projektion. Man sieht Dinge anders als sie sind. SPRECHERIN Wie also sieht Eisbein den Park, seine von Menschen gestaltete Natur? Und vor allem: Was sagen ihm, dem Gartendenkmalpfleger, dem Restaurator, Steine oder Sandanhäufungen, was sagen ihm ?Überwallungen?, das heißt die selbsttätige Wundheilung von beschnittenen oder verletzten Bäumen oder was ?Kandelaber?, der Beschnitt derselben? Wie vermag er dadurch die ursprünglichen Ideen der Gartenarchitekten oder - wie Edgar Allan Poe sie nannte - der ?Gartenpoeten? zu erkennen? Immerhin waren im Park Babelsberg die Großmeister der deutschen Landschaftsarchitektur am Werk: Peter Joseph Lenné, der katholische Hofbeamte, und, nachdem er etwas unglücklich nach einigen Jahren Arbeit entlassen worden war, Hermann von Pückler-Muskau. Pückler, der Exzentriker, Pückler, ein in den Fürstenstand Erhobener, einer, der sich von Prinzessin Augusta, der späteren Kaiserin ?absolut freie Hand? ausbat und sich nicht vorschreiben ließ, wie er was im Park zu machen habe. MUSIK SPRECHERIN: Die künstlerische Handschrift dieser Gartenpoeten aus dem 19. Jahrhundert wiederzufinden ? das war von 1972 bis 2008 die Aufgabe von Karl Eisbein. Es ging also um die Rekonstruktion eines Kunstwerks in der Größe von ungefähr 120 Hektar. O-Ton Eisbein Man muss ja davon ausgehen, dass erstmal das ganze Gelände von einem Künstler gestaltet worden ist - wie eine Kanne - mit den Tüllen mit dem ganzen Bauch und all den Dingen. Und davon ausgehend guckt man erstmal, was ist Original, was hat der Künstler nicht angefasst. SPRECHERIN Wir stehen auf einer kleinen Anhöhe, nahe des noch von Lenné breit und großzügig angelegten Uferwegs, der den ganzen Babelsberg umrundet, blicken auf das im Morgenlicht glitzernde Wasser der Havel und die Glienicker Brücke. In dieser frühen Morgenstunde ist kaum ein Boot unterwegs und selbst die von Fürst Pückler geschaffene Fontäne in Ufernähe, schläft noch; erst ab zehn wird sie angestellt. Alles ist friedlich. O-Ton Eisbein Wir Gärtendenkmalpfleger, wir graben bis zur alten Originalschicht und dann haben wir den Anhalt für die Nachbarhöhen und graben die dann ab. Und dann geht man eigentlich, na sagen wir mal, großtechnisch mit Maschinen auf eine Überdeckung von mindestens 10 cm - der Rest wird dann per Hand gemacht. Und dadurch wird das Relief eben nicht zerstört, man arbeitet sich dann bis zu der silbergrauen Verfärbung und dann ist Schluss. SPRECHERIN Diese Arbeitsweise ist dort möglich, wo Verwitterung das Kunstwerk angegriffen hat. Den sanften Hügel aber, auf dem wir hier so selbstverständlich stehen und den Blick genießen, gab es gar nicht mehr. Er lag im Grenzgebiet der DDR; Planierraupen hatten ihn und seine Umgebung platt gewalzt. Und nicht nur das. O-Ton Eisbein Das ist so, wie wenn Kaffeekanne zerschlagen wird und man restauriert, sagen wir mal, mit Gips irgendwie das fehlende Stück. Man muss dann einen Blick haben für das gesamt zusammenhängende Gelände und ja, das dann wieder zusammen fügen. SPRECHERIN Seit Anfang des 19. Jahrhunderts befand sich der Babelsberg im Besitz der Hohenzollern. Karl Friedrich Schinkel erhielt 1833 den Auftrag, ein Schloss zu planen, selbstverständlich im englisch-gotischen Stil, der damals en vogue war, und Peter Joseph Lenné als Gartenpoet, sein kongenialer Gegenpart, sollte einen englischen Landschaftsgarten anlegen. Doch beides stand unter keinem glücklichen Stern. Während Schinkel sein Schloss durch immer neue Veränderungswünsche seiner adeligen Auftraggeber am Ende so verunstaltet fand, dass er es nicht einmal in das Verzeichnis seiner Werke aufnahm, wurde Lenné, dem allzu viele Anpflanzungen verdorrten, 1842 durch seinen ärgsten Rivalen Fürst Pückler-Muskau ersetzt. MUSIK O-Ton Eisbein Die Vorbilder sind in England, wobei der deutsche Landschaftsgarten Pücklers und Lennés doch eine Weiterentwicklung ist - wir haben sehr viel mehr Wege als die Engländer sie haben und ja, vielleicht ist auch manches (lacht) etwas kopfiger. Sicher. SPRECHERIN Nach dem Tod Wilhelm I. 1888 verwaisten Schloss und Park und nach dem Ende der Monarchie und der Enteignung der Hohenzollern Anfang des 20. Jahrhunderts verwahrlosten sie vollends. Dann tobte der Zweite Weltkrieg darüber hinweg, bevor die nächste Diktatur erneut die Erde gründlich durchwühlte und auf ihr recht eigenwillige Gebäude errichten ließ wie die ?Walter-Ulbricht-Akademie der Staats- und Rechtswissenschaften? oder ein Zentrum für maritime Ausbildung. Auch die GST, eine paramilitärische Organisation, durfte den Park als Übungsgelände nutzen, und Schauspieler der ostdeutschen Filmgesellschaft DEFA beritten ihn auf volkseigenen Pferden ? ´hemmungslos´, wie Eisbein sich erinnert. O-Ton Eisbein Das ist alles märkischer Sand. Kann man ja wegpusten. Und wenn da ständig so den Steilhang Pferde runter reiten, dann bleibt das nicht aus, dass der ins Rutschen kommt und dann. ?Ja?, sagten sie, ?früher ist der Kaiser ja auch geritten, hier waren immer Pferde!? Da waren drei Herrschaften und 100 Gärtner. Und nachher war es umgekehrt. Fünf Gärtner und 30, 40 Leute, die hier ständig ritten. ATMO SPRECHERIN Wohltuend ist es, unserem kleinen Weg Richtung Dampfmaschinenhaus zu folgen, einem Weg, der von Eisbein und seinem Team in den letzten Jahren wiederhergestellt werden musste, denn hier entlang verlief der Grenzstreifen. Eisbein zeigt auf kleine Sandanhäufungen am Wegesrand - für mich kleine, zufällige Sandburgen wie von Kinderhand hingeschaufelt. Das seien noch Überreste des sogenannten ?Antifaschistischen Schutzwalls?. Für Gartendenkmalpfleger oder allgemein für Restauratoren ist es immer eine Konzept- und Gewissensfrage, welche Schichten man stehen lässt, und welche man zugunsten ursprünglicher Strukturen wieder abträgt. Oben auf dem Berg seien auch noch Schützengräben aus dem Zweiten Weltkrieg zu finden oder auf dem Weg neben dem Schloss hoch zur bereits abgetragenen Walter-Ulbricht-Akademie zwei DDR-Laternen. Sie spenden den gegenwärtigen Bauarbeiten Licht. Nur deshalb stehen sie noch dort, danach werden auch sie abgerissen und nicht unter Denkmalschutz gestellt. Sie bekämen sonst eine - wie Eisbein findet - unnötige Bedeutung. Und Sandanhäufungen von Schützengräben oder Grenzanlagen werden auch nicht unter Plexiglas für die Nachwelt konserviert. ATMO SPRECHERIN Mittlerweile sind wir am Dampfmaschinenhaus angelangt - eine nach Plänen von Ludwig Persius entstandene neogotische Burg, direkt an der Glienicker Lake gelegen. Ein entzückendes Gebäude, das mit seinen Zinnen, Türmchen und Erkern ein architektonisches Kleinod darstellt. Durch den Bau dieses Gebäudes hatte Pückler die Widrigkeiten der Wasserversorgung des Parks beseitigt, an denen Lenné gescheitert war. Auch erlaubte es ihm den Betrieb von Wasserspielen, denn Wasser in allen Varianten ? vorausgesetzt, man könne es sich leisten - erhöhe unendlich den Reiz einer Landschaft, schrieb er in seinen ?Andeutungen über Landschaftsgärtnerei?. Die zum Teil weiß getünchten Wände des Maschinenhauses erfreuen mich, wirkt das Gebäude dadurch gleich freundlicher. Es sei nur eine vermeintliche Freundlichkeit, erwidert Eisbein sofort, denn ihr wahrer Grund war todbringend. DDR-Grenzsoldaten sollten durch den so hergestellten Kontrast Flüchtende, die nächtens am Maschinenhaus vorbei zum anderen Ufer, also nach Westberlin wollten, schneller sehen und stoppen können. Überhaupt war das Dampfmaschinenhaus der DDR-Führung ein Dorn im Auge, versperrte es doch die schusssichere Weitsicht. Hinzu kam, dass es einem Klempner gelungen war, die Wartungsarbeiten an der im Wasser befindlichen Pumpe erfolgreich für seine Flucht zu nutzen. Die DDR entschied sich, das Gebäude wegzusprengen. Doch einen Persius-Bau direkt vor den Augen der westdeutschen Presse in die Luft zu jagen, schien letzten Endes selbst den DDR-Verantwortlichen keine so gute Idee. O-Ton Eisbein Der Befehl ist nicht zurückgenommen worden, der ist ausgesetzt worden. Die Sprengung ist ausgesetzt worden, man hats nicht gleich gemacht (lacht). Und dadurch hat der überstanden. Es ist bekannt, Pückler war ja ein großer Verehrer von Weber, Carl Maria von Weber. Ja, in Branitz gibt es ja extra eine Wolfsschlucht - eine raffinierte Geschichte. Da hat er durch den - die Hügel sind alles durch (lachen, weil Rasensprenger) durch Erdaushub entstanden ... SPRECHERIN Wir gehen weiter, die Anhöhe hinauf, Richtung Schwarzes Meer, das ich unbedingt sehen will, als wir unversehens im Regen stehen. O-Ton Eisbein ... Der Regner, der uns hier ein bisschen davon schießt .... SPRECHERIN Und fröhlich fragt er, ob ich den großen Klang des Gartens höre, denn mit einer Landschaft verhalte es sich wie mit Orchestermusik: Kenner hörten deutlich den Einsatz der Geigen, Flöten oder Hörner heraus, Laien nähmen sie ?nur? als Ganzes wahr. Und doch genießen beide. So sei es auch hier: Eine Blutbuche oder eine kanadische Pappel - als Solitär in das Bild gestellt ? setze einen starken Akzent, und ein Wasser speiender Geysir binde automatisch die Aufmerksamkeit der Besucher ? beide seien ein Fortissimo und machten es dem ungeübten Spaziergänger, der sich auf das Geradeauslaufen konzentriere, unmöglich, die Einsätze der anderen Instrumentengruppen im piano oder im pianissimo wahrzunehmen. Der geübte, aufmerksame Spaziergänger jedoch könne auf einem Weg wie diesem etwas ganz Besonderes erleben: Eine schwingende, eine oszillierende Landschaft. Ich solle nur langsam gehen und genau hinschauen, wiederholt Eisbein immer wieder und eilt voraus. Sein lässig bequemes Outfit erinnert mehr an einen Schlafanzug als an Straßenbekleidung. MUSIK Ich gehe. Langsam. Ein Schritt: Ein kleiner Hügel taucht in der Ferne auf. Ein nächster: Zum Greifen nahe wirkt er jetzt. Doch schon beim übernächsten ist er verschwunden. Und beim darauf folgenden tanzt die Mulde. Eingebettet zwischen einer Kuppe und einer Platane. Ihr Tanz dauert ? vielleicht bis zum Schritt darauf. Pückler ? der große Meister kleiner Wege. Für ihn unsichtbare Führer, die den Beschauer unbemerkt zu den schönsten Aussichten leiten und die einen Garten, einen Park oder eine Landschaft größer und geheimnisvoller erscheinen lassen. Und wie nebenbei führt er den Besucher durch eine Bildergalerie, die ihre Exponate zu einem einzigen großen Werk vereint hat. ATMO SPRECHERIN Eisbein blickt hinunter zur Havel und zeigt fasziniert auf die Kante zwischen Grün und Wasser - eine ganz, ganz ruhige Linie sei das. Allein diese Kante gärtnerisch herzustellen, zeuge von der ungeheuren Meisterschaft ihres Schöpfers. Der von Lenné und Pückler angelegte Fernblick aber, hinüber zum anderen Ufer, zum Glienicker Horn, sei, so Eisbein, durch seine Nachwende-Bebauung, zu einer kräftigen Dissonanz verkommen, die mit äußerster Brutalität in das Gesamtkunstwerk einbreche. O-Ton Eisbein Die Leute, die dadrinne wohnen, die können natürlich aufs Welterbe gucken. Schön, für sie, die Bewohner, dass sie auf den Park gucken können. Aber die Transparenz - dass der Hügel auf der anderen Seite nicht mehr erlebbar ist oder noch schlechter erlebbar ist - das ist der Kaufpreis. Aber - der Kaufpreis wird nicht bei Schlösser- und Gärten und nicht beim Welterbe entrichtet, der Kaufpreis wird bei der Stadt entrichtet oder bei dem Investor. Da haben wir - das Welterbe hat nix davon; hat nur eine Zerstörung - aber naja. SPRECHERIN Karl Eisbein protestierte vergeblich gegen die Bebauung mit Stadtvillen. O-Ton Eisbein Wir werden sehen, wie das Weltkulturerbe in Potsdam so behandelt wird. Also, ich sehe sehr schwarz. Wir klagen - mit Recht - über die Zustände im Irak, in Syrien, wie der IS da mit dem Welterbe umgeht, aber für mich ist es die gleiche Denkweise, wie man in Potsdam damit umgeht. MUSIK O-Ton Eisbein Ein Auge muss man schulen. Man sieht nur das, was man weiß. SPRECHERIN Geheimnisse einer Landschaft. Eines Landschaftsgemäldes. Die Gartenpoeten wussten, dass ihre Anpflanzungen erst in gut 150 Jahren zur vollen Entfaltung kämen, dass sie ihr Kunstwerk somit selbst nie erleben würden. Auch dass sie natürlich keine Möglichkeit mehr haben werden, einzugreifen, wenn nachfolgende Generationen es zerstörten. O-Ton Eisbein Für mich ist der Garten an manchen Tagen fremd. Vollkommen fremd! Andererseits halte ich es für wichtig, und das bedaure ich ja bei meinen ganzen Kollegen, dass sie nicht drin wohnen in den Arbeitsgebieten. Ich halt´s für ganz wichtig. Man muss auch bei Mondschein durchgehen. Man sieht ganz anders im Dunkeln oder früh morgens oder abends, wenn man bei niedrigen Sonnenstand, oder wenn im Winterhalbjahr die Bewölkung am Horizont abends leicht aufreißt und der schmale Streifen des Sonnenabendlichtes dann durchkommt. Und ? es ist meistens sehr klare Luft - dann sieht man Dinge am Horizont und durch die verwilderten Parkanlagen hindurch Strukturen, die man am Tage nicht sehen kann. Das Auge ist ja doch, naja, selbst ein geschultes Auge, hat Schwierigkeiten mit den Raumtiefen, das mal zu sehen. Also, man kann das bewusst lernen auch. Was ich auch hier gelernt habe, ist das Erkennen von Relief, Bodenbewegungen. Das Relief ist ja an vielen Stellen - gerade in der Schlossumgebung - künstlich verändert worden, und das zu sehen! Da kommt dann wieder das sagen wir mal ? ich gucke so lange hin, bis ich was sehe (lacht). MUSIK SPRECHERIN Als Karl Eisbein ? noch keine 30 - 1972 seine Arbeit als sogenannter ´Fachbereichsleiter´ im Park aufnahm, verantwortete er einen Traktor, ein Pferdegespann, eine Motorsäge, sechs Mitarbeiter und eine Gespannführerin. Das Gelände betrug ungefähr zwei Drittel des heutigen Parks ? bis zum Schild ?Grenzgebiet?. O-Ton Eisbein Um Rekonstruktion ging?s noch gar nicht. Es ging erstmal, die Verwilderungen zurück zu drängen. Ahorn, gerade Spitzahorn, wenn der sich aussamt und ein bisschen Licht hat, dann bedeckt er gleich Riesen-Flächen und schattiert den Boden so stark, dass dann wieder in dem Kronenansatz des aufwachsenden Ahorns wieder neue Ahornsämlinge hoch kommen, weil der unter Schattendruck sehr gut wachsen kann. Rotbuchen natürlich auch, aber vornehmlich Spitzahorn. Und der hatte - hektarweise den Park schon gefangen genommen. MUSIK SPRECHERIN Der Park Babelsberg - nicht nur in Geiselhaft der Grenztruppen, sondern auch des Ahorns. Überall sei er durch das Dickicht gekrochen, sagt Eisbein, um zu sehen. Um zu verstehen. Und behutsam wie der Restaurator einer alten wertvollen Geige habe er einzelne Bäume und ihre Äste geprüft, Steine unter die Lupe genommen und - soweit vorhanden ? Pläne studiert. Viele waren das nicht. Der größte Teil der Gartenunterlagen für Babelsberg war in der Generalgartenintendantur im Berliner Stadtschloss archiviert gewesen und im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Zum Glück fand man auf dem Dachboden des Hofgärtnerhauses hier in Babelsberg eine Mappe mit Plänen, sagt Eisbein. Darunter auch der wichtigste, der sogenannte Hoppe-Plan von 1880. Aber noch immer gelte es, Briefwechsel oder Tagebucheinzeichnungen ausfindig zu machen und auszuwerten. O-Ton Eisbein Wenn ein Baum in der Nachbarschaft steht, kann er da keine Äste entwickeln. Also, jedenfalls die Eiche, die macht das. Die ist ein Lichtbaum, die reagiert auf Nachbarn. Und wenn sie Licht nach der anderen Seite hat, dann wächst sie eben krumm. Und so kann man am Baum ihre Entwicklung durchaus ablesen. SPRECHERIN Dass er sich bäuchlings auf Wege gelegt habe, um Höhenparallelität und ursprüngliche Kurvenläufe zu erkennen, oder eine Feuerwehrleiter am höchsten Punkt des Parks aufstellen ließ, um sich klarer zu werden, wie die Alten ihre Sichtbeziehungen angelegt hatten, um vielleicht damit auch ein besseres Gefühl von der Lenné?schen Vision eines Potsdamer Arkadiens zu bekommen, ja, das alles stimme. Er nickt und lächelt stolz. Der Park ist Eisbeins Leidenschaft. Er ist sein Leben. ATMO SPRECHERIN Darauf muss man erst einmal kommen! Eine über zwanzig Meter hohe Feuerwehrleiter aufzustellen, um - über Wildwuchs und Wachtürme - hinweg, die Baumkronen des fünf Kilometer entfernt gelegenen Pfingstberges zu begutachten. Aber Eisbein wäre nicht Eisbein, hätte er nicht genau diese Idee gehabt und wäre er nicht anschließend zum Pfingstberg gefahren, um die Äste einer noch genaueren Prüfung zu unterziehen. Auf der Feuerwehrleiter stehend, habe er nämlich festgestellt, dass es eine Einsenkung in den Baumkronen gab, dass alle Bäume einheitlich in einer bestimmten Höhe kandelaberartig auseinandergingen. O-Ton Eisbein Beim Aufarbeiten oben dieser kandelaberartig auseinander gehenden Baumkronen - da kann man dann genau zählen, wann ist das denn passiert?! Wann die seitlichen Austriebe denn kamen. Wann kamen die Kandelaber?! Die sind ja jünger als der Stamm. Wesentlich jünger. Und da kann man denn in der Differenz der Jahrringszahlen dann genau sagen: Also dann und dann ist der gewachsen. Naja gut. Plus minus 2, 3 Jahre. Frage der Genauigkeit. Heute würde man das natürlich alles noch penibler dokumentieren und, also ? Wenn man drei Leute hat oder vier oder fünf Leute maximal, und selber sägen muss, dann schafft man das so was meist nicht. Und dann beim Spalten solcher Hölzer, da kann man natürlich im Baum sehen, wenn da Äste so schön glatt abgesägt sind - man sieht es außen an der Narbe noch, an der Überwallungsnarbe u.U., aber wenn man sie aufspaltet, dann sieht man den eingewachsenen Aststummel - eine saubere Trennung - und dann kann man zählen. Man kann den Ast, der eingewachsen ist, kann man die Jahrringe zählen - dann weiß man also, wie alt der ist. Und der Zuwachs, der zeigt einen bis heute, rückwärts, wann es passiert ist, wann der Ast abgesägt worden ist, und wie alt er damals war. SPRECHERIN Ein Foto aus einem Familienalbum, das ein Babelsberger Blumenhändler den Gartenrestauratoren geschenkt hatte, bestärkte Eisbein in seiner Annahme, dass einst eine Weitsicht, eine Sichtbeziehung, (zwischen den beiden Anhöhen) angelegt worden war. Dieses Foto, 1935 von der Victoriahöhe im Park Babelsberg Richtung Pfingstberg aufgenommen, zeigte die dortigen Bäume in relativ niedriger Höhe. Die Bäume, fügt Eisbein an, wurden erst geköpft, nachdem sie acht Meter in die Höhe gewachsen waren, und dann immer wieder nachgeschnitten. O-Ton Eisbein Und dann haben wir in den Jahren, im Winter ´75/´76 dort 300 Eichen fällen lassen. Heute würde sich schon (lacht) an jeder Eiche jemand anketten. Jedenfalls haben wir die Sichtbeziehung Pfingstberg - Siegessäule - Pfingstberg wieder hergestellt. SPRECHERIN 300 Eichen also ... Sei´s drum: Heute genieße ich den grandiosen Weitblick von Park Babelsberg über die Havel auf den Pfingstberg; das nächste Mal - so ich auf dem Pfingstberg stehe und zum Park Babelsberg hinüber schaue - den umgekehrten. Und egal, aus welcher Perspektive ich über die Havel in die Ferne blicke - ich werde ein Gemälde betrachten, ein Landschaftsgemälde mit einem sanften, beruhigenden Bildhintergrund. Die Insel Potsdam - ein einziger großer Landschaftsgarten. Der Gartenpoet Peter Joseph Lenné hatte beharrlich diesen Ansatz verfolgt. O-Ton Eisbein Wenn man mittendrin steht, muss man längst nicht alles sehen können. (lacht) MUSIK SPRECHERIN Es gehört zu den traurigen und schmerzhaften Momenten in Eisbeins Leben, als er Zeuge der Zerstörung dieses Kunstwerks werden musste. O-Ton Eisbein Das habe ich auch mitansehen müssen, wie hier die Planierraupen für den - für den zweiten Kontrollweg und für die Hundelaufanlage hier durch fuhren. Unterhalb von der Blutbuche - etwa in dem Bereich, wo jetzt die große Pappel steht, da sind die mit Planierraupen lang gefahren, und ich hab dann hier gestanden und hab dann bei mir gedacht: Pass auf, wo sie die Erde hinschieben! Damit du es deinem Nachfolger sagen kannst, wo die Erde liegt, wenn sie es wieder zurück transportieren wollen. SPRECHERIN Ein subversiver Gedanke in der damaligen Zeit, nicht daran zu glauben, dass eine durch Stacheldraht und abgerichtete Schäferhunde eingesperrte Gesellschaft der anderen, in denen sich Menschen frei bewegen können, überlegen sei. O-Ton Eisbein Naja, bin ja nun selber in die Verlegenheit gekommen, das mit anzuweisen, das hätte ich damals nicht gedacht. ATMO SPRECHERIN Nach 1961 wurden auch im Park Babelsberg die Grenzanlagen immer weiter, immer perfekter ausgebaut: Grenzzaun, geharkter Todesstreifen, auch Stalinrasen genannt, Signaldraht, Hundelaufanlage, Kolonnenwege. O-Ton Eisbein Unterhalb des Hanges war ja alles, was da an Bäumen stand, abgesägt worden, damit man freies Sicht- und Schussfeld hatte. SPRECHERIN Wie Lenné und Fürst Pückler ging es auch der DDR-Führung um weite, ungehinderte Sichten. Allerdings aus anderen als ästhetischen Gründen. O-Ton Eisbein Die Grenzer fuhren hier den Berg runter, um dann unterhalb der Blutbuche die Hunde zu füttern in der Hundelaufanlage. Die mussten ja auch versorgt werden, die Hunde. Dann fuhren sie am Zaun lang und drüben wieder raus. SPRECHERIN Einmal sei ein Schäferhund durch ein Loch im Zaun geflohen und ihm zugelaufen. Vielleicht habe der ja in den Westen fliehen wollen und dabei die falsche Richtung genommen, meint Eisbein augenzwinkernd. Um jedenfalls unnötiges Theater mit den Dienstherren und den Grenztruppen zu vermeiden, habe er den Desertierten einfach in sein Loch zurückgelotst. MUSIK SPRECHERIN Wenn historische Ereignisse so etwas Unnatürliches wie die Teilung in Ost und West hervorbrächten, seien sie selten von langer Dauer - mit diesem Bewusstsein sei er groß geworden und aus dieser Gewissheit heraus, habe er gelebt und gearbeitet. Die DDR sei für ihn immer nur ein Zeitabschnitt gewesen. In seiner Dienstwohnung stehe noch ein Tisch, der sich seit über 150 Jahre in Familienbesitz befinde. Und so fühle er sich ebenfalls ? als Teil einer Kultur und eingebettet in die gesamtdeutsche Geschichte. ATMO SPRECHERIN Ein englischer Landschaftsgarten zeichnet sich aus durch einen so genannten Pleasure Ground, einen Bowling Green und einen Approach. Und auf diesem stehen wir nun - es ist der Hauptzufahrtweg des Schlosses, wo sich zu DDR-Zeiten der Grenzzaun des ersten Kontrollweges befand. Bis dahin ging Eisbeins Arbeitsgebiet, aber er konnte noch über den Zaun hinweg sehen und den Pleasure Ground, oder was davon übrig geblieben war, studieren ?Fürst Pückler hatte ihn als ?ausgedehnte Wohnung? bezeichnet. ATMO SPRECHERIN Weiter unten liegt der mit Tudor Bogen gestaltete Laubengang mit der heute wieder bezaubernden, da restaurierten, Rosentreppe. Sie fiel dem ?Zweiten Kolonnenweg? zum Opfer. Dafür wurde Platz gebraucht, meint Eisbein frostig, mit romantischen Rosenranken habe man nichts anfangen können. O-Ton Eisbein Da hat man dann den Laubengang der Rosentreppe dann mit Schweißbrenner abgeschweißt und das zerlegt, das Ganze, und dann verschrottet. Die Tür unten hat man gelassen. Anschließend ist dann das ganze Gelände mit Planierraupen zugefüllt worden - also das obere Drittel der Treppe. Und ich hab hier hinter dem Grenzzaun gestanden, und - es war an einem Sonnabend - und hab dann zugucken dürfen, wie das hier zerstört wurde. SPRECHERIN Alle Versuche, originale Teile der schmiedeeisernen Konstruktion zu sichern, scheiterten. Jahre später: O-Ton Eisbein Als wir die Treppe dann wieder ausgruben, fanden sich doch auf der einen Seite dann doch noch von jedem wichtigen Stück. Bis auf den Tudor-Bogen, den haben wir nur nach Fotos rekonstruieren können, aber sonst fanden wir alle Einzelteile. Bis hin auf die kleinen Konsolen, wo der Tudor-Bogen dann oben drin steckt, da kullerte hier in der Gegend eine Halbe noch rum. Die ich durch Zufall gefunden habe! Das ist wirklich eine unwahrscheinliche Situation. Naja. SPRECHERIN Eisbein stehen die Tränen in den Augen. Er sei nah am Wasser gebaut, sagt er entschuldigend. MUSIK SPRECHERIN Im Juli 1989 verliert Eisbein seine Arbeit als Gartendenkmalpfleger hier im Park ? er habe seine Fähigkeit zu führen verlernt, wirft man ihm vor. Die friedliche Revolution im November ´89 verändert natürlich alles, und ab August 1990 verantwortet Eisbein wieder die Rekonstruktion des Parks. Von einer Poesie des Mauerfalls will er nichts hören. O-Ton Eisbein Das dauert ein bisschen, weil ja der Ahornwildwuchs ja im Grunde keinen Durchblick zuließ. Man konnte ja kaum durch an manchen Stellen! SPRECHERIN Vielleicht gibt es Menschen mit absolutem Blick, bemerke ich, wie es Menschen mit absolutem Gehör gibt. Eisbein und ich stehen am Pleasureground mit seinen bunten Teppichbeeten. Es ist heiß geworden und regelmäßig speit weiter unten der Geysir seine Wasserkaskaden in die Luft. Jemand mit absolutem Blick könne erfassen, mit welchen Mitteln und Formen ein Künstler sein Kunstwerk geschaffen hat, könne also mühelos ein Gemälde oder einen Park wie diesen hier nachzeichnen oder -bauen. Er könne das auf keinen Fall, sagt Eisbein, für ihn sei einmal gesehen - nicht gesehen. Seinen Blick, das heißt, die Fähigkeit zu sehen und zu verstehen, den habe er lange schulen müssen. Schon als Kind habe er bei den Ausgrabungen in seinem Heimatort Jerichow in Sachsen-Anhalt dabei gesessen und Fugenbilder und Mauerwerk wieder und wieder betrachtet. Und allein durch diese ständige Übung habe er Sehen gelernt. Er sei auch ein unüblicher Gartenpfleger. Ein unüblicher. Nicht, dass ich das in Abrede gestellt hätte, aber da er es mehrfach wiederholt, frage ich dann doch nach: O-Ton Eisbein (Lacht) Peinliche Geschichte. Naja, weil ich die Blumenbeete - erstmal die Wege, später die Blumenbeete - mit Methoden suchte, die Archäologen normalerweise für sich beanspruchen, will ich nicht sagen, aber die eigentlich üblich sind bei Archäologen. ?Schnitte? zu machen und was stehen zu lassen und dann eben an der Verfärbung zu sehen, wo die Blumenbeete lagen - SPRECHERIN - wo also was gewesen war - wo die Wege verliefen, die Wasserfälle, die Bachläufe. Wo anmutige Hügel in die Landschaft hinein gesetzt wurden und oder ein ?Meer?. Und wie das Ufer eines ?Meeres? aussah, ob es Inseln hatte und wenn ja, wie sie aussahen und so weiter. Eisbein arbeitet mit der für die Archäologie typische Grabungstechnik der ?Schnitte?, was die behutsame Freilegung von Erdschichten meint. O-Ton Eisbein Also erstmal guckt so ein Stein aus der Erde. Mein Chef sagte: ?Stört doch nur beim Rasenmähen? und beim, naja, da hab ich dann, bevor ich den wegmachte, hab ich doch nachgegraben (gießt sich ein). Es hätte ja vielleicht gereicht mit dem Fuß dagegen zu treten, dann wäre er weg gewesen, aber ich habe dann nachgegraben. Wenn so etwas rausguckt aus der Erde, mh, wer weiß. Ein bisschen Archäologie im Hinterkopf (lacht). Naja, dann stellte sich heraus, dass es ein Becken war. Naja, dann guckt man auf einen Plan - SPRECHERIN - und findet genau dort kleine Kreise eingezeichnet. Kleine Kreise als Zeichen für Blumenbeete. Und da, wie sich später herausstellt, Pückler dafür ?gemauerte Becken? verwendet hatte, gab dieser unauffällige Stein dem Gartendenkmalteam wesentliche Aufschlüsse über Lage, genaue Größe und Form. O-Ton Eisbein Unten offen, dass das Wasser absickern kann, aber von der Seite aus Mauerwerk drum rum und damit Wurzeln von der Seite nicht reinwachsen können. ATMO SPRECHERIN Mein Wunsch, nun endlich das Schwarze Meer zu sehen, das oben auf dem Berg liegen soll, wird schmunzelnd mit einem kleinen Umweg beantwortet. Der Weg, den Eisbein dazu einschlägt, stammt noch aus Zeiten, in denen es die Walter-Ulbricht-Akademie gab und werde aufgegeben, sobald die vielen Hässlichkeiten, die mit ihr einher gingen, endgültig eliminiert seien. 15 Gebäude mit Festsaal, Mensa, Ärztehaus, Turnhalle, Sauna ? das Areal war genauso groß wie der gesamte Grenzbereich. - Dass daraus jemals wieder ein Park werden könnte, daran habe er zutiefst gezweifelt. So hoffnungslos sei alles gewesen. Wir gehen weiter. O-Ton Eisbein Man sieht ja hier ein Buchenmastjahr und schon sprießen überall kleine Buchen. In manchen Gegenden stehen die Buchen wie Haare auf dem Hund. SPRECHERIN Unser Weg Richtung Meer führt uns nun an der Südseite des Parks entlang. Noch immer vermittelt diese den leisen Eindruck, sie gehöre gar nicht zum Park, sondern sei ein natürlich gewachsenes Waldstück. - Man könne nur hoffen, sagt Eisbein, dass die vor uns liegende Friedensperiode mindestens so lang anhalte wie die hinter uns liegende. Ein Park brauche Zeit. Seine Kollegen aus den 20er-Jahren, also zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, hätten es nicht geschafft, in der kurzen Friedensperiode dieses Stück hier zu bearbeiten. Diese zehn oder fünfzehn Jahre zwischen den Weltkriegen hätten dafür einfach nicht ausgereicht; man habe sich damals auf das Notwendigste beschränken müssen. O-Ton Eisbein Aber deswegen muss man trotzdem so schnell wie möglich wieder arbeiten, damit die Verwilderungen nicht den Bestand zerstören. Die alten Bäume, die Eichen, die, wenn die bedrängt werden durch Ahorn und Buchen. Buchen und Ahorn, die wachsen durch die Eichenkronen durch, die haben da kein Problem mit und bilden oben drüber ihre Schirmenkronen aus und alles, was drunter ist, das stirbt ab. Und das ist, ja Gott, auch das haben wir erst lernen müssen, wie da die Folgen sind - SPRECHERIN Vorbei an einem Haufen Steine, aus Schlacke hergestellten künstlichen Felsbrocken, die hier wahrscheinlich für die Rekonstruktion von Wasserfällen zusammengetragen wurden und die für mich auch auf den zweiten Blick hin, sehr echt aussehen, wie richtiger Naturfels, stehen wir plötzlich oben auf dem Berg. Und vor uns liegt ? nein, nicht das Schwarze Meer, sondern eine Baugrube. Die Baustelle vom Schwarzen Meer. Nur etwa einen Meter tief. Mit Bagger und ohne Wasser. In der Mitte der Grube eine Erhöhung mit Apfelbaum, eine von Pücklers früheren ?Inseln?. - So habe ich mir das aber nicht vorgestellt, sage ich. Eisbein lacht. Noch in diesem Jahr werde das Meer Wasser bekommen. Über eine Art Bypass. ATMO O-Ton Eisbein Bei Pückler in Branitz ist ein Schwarzer See. Der konnte ja nicht - wenn der König ein Schwarzes Meer hat, damals war er noch nicht König, nee, Prinz von Preußen, also zweiter im Staate - konnte er seinen See in Branitz nicht Schwarzes Meer noch nennen. Schwarzer See. Ein bisschen kleiner. Und hier in Glienicke ist der Düstere Teich. Und dahinter steckt die Metapher oder das Wort: "Der See in der Waldeinsamkeit." Und das ist ja eine Metapher, die sich ja durch die Romantik durchzieht. Also, angefangen von Schubert-Liedern, also hier hat mich natürlich besonders inspiriert auch der, na, es gibt das Schubert-Lied - - mh. MUSIK O-Ton Eisbein ?Auf den Wassern zu singen?, ?Auf den Wassern zu singen? heißt es. Oder ?Auf dem Wasser zu singen? heißt es. Ja. Also das ist für mich der Hintergrund für das ?Schwarze Meer?. SPRECHERIN Ein paar Wochen später: Eisbein behält Recht: ?Das Schwarze Meer ist oben auf dem Berg?. Nun mit Wasser gefüllt und voll von fröhlich herumspringenden Fischen. Ein gartenkünstlerisches Trompe l?oeil: Pücklers geschickte Linienführung macht es möglich. Vier hinreißende kleine geschwungene Inselchen lassen sich sanft vom Wasser umspülen, eine trägt stolz besagten Apfelbaum ? eine Anspielung auf eine Geschichte des dänischen Märchendichters Martin Andersen Nexö, der eine Zeitlang in Potsdam lebte: O-Ton Eisbein In der Geschichte schreibt er: "Ein Schwan flog über einen See in der Waldeinsamkeit und ließ auf einer Insel, auf der ein Apfelbaum steht, ein goldenes Ei fallen." MUSIK ABSAGE: Das Schwarze Meer ist oben auf dem Berg Mit Karl Eisbein durch Park Babelsberg Ein Feature von Heike Tauch SPRECHERIN Niemand kann sich erinnern, ob das Schwarze Meer nach dem Tod von Kaiserin Augusta noch einmal Wasser geführt hat. Wahrscheinlich nicht. War auch damals eine Kostenfrage. So mussten über 100 Jahre vergehen, bis wieder ein Ort entstehen konnte, an dem die Seele Ruhe in Schönheit findet. ATMO Es sprach Claudia Jahn. Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Katrin Fidorra Regie: Heike Tauch O-Ton Eisbein Bloß, es ist ein Lebenswerk - in dem ich lebe. Und darüber zu berichten ist natürlich eine Menge Arbeit. Verlangt viel Zeit und auch Geduld und - ich weiß nicht, inwieweit das auch so rüberkommt, was einem dann so - da - so bewegt oder bewegt hat. ATMO Redaktion: Sabine Küchler Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016. 1