COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Zeitreise 20.6.2012 Genial & Geheim Genie und Geheimnis Alan Turing zum 100. Geburtstag von Michael Engel 1. Musik: Das Boot A: (Musik) ... E: .... (Musik) 0.15 (Musik weiter unter Text) Sprecherin Gegen die "Grauen Wölfe" - die U-Boote der deutschen Kriegsmarine - waren die alliierten Konvois im Nordatlantik machtlos. Dabei hing das Schicksal Groß Britanniens allein von den Versorgungsschiffen ab, weil sie Waffen und Lebensmittel, zuletzt auch Soldaten aus Amerika brachten. Durch die Seeblockade der Deutschen wurden Hunderte von Frachtern, aber auch Fregatten und Flugzeugträger - 4,3 Millionen Bruttoregistertonnen allein im ersten Jahr versenkt. UFA-Wochenschau 1940: 0.25 2. O-Ton: UFA Wochenschau / 1940 Alle Boote werden sofort zu neuer Feindfahrt klargemacht. Torpedos, die tödlichen Waffen unserer Unterseeboote, werden an Bord genommen ... 0.11 (Musik "Wochenschau" weiter unter Text) Sprecherin Die Befehle für den Angriff wurden auf Kurz- und Langwelle übermittelt. So mussten die Kommandanten der U-Boote nicht mal auftauchen, um zu erfahren, wo sie ihre tödlichen Torpedos abschießen sollten. 0.10 (Musik "Wochenschau" aufblenden) 3. O-Ton: UFA Wochenschau / 1940 ..... wieder geht es gegen England ..... 0.03 4. Atmo: Morsefunk A: (Atmo: Morsen) ... E: .... (Atmo: Morsen) 0.03 Sprecherin An die 2000 Nachrichten gingen täglich über den Äther. Doch verstehen konnte man die Morsebotschaften aus dem "Führerhauptquartier" lange Zeit nicht. Die Botschaften waren mit der eigens dafür entwickelten Codiermaschine, der "Enigma", verschlüsselt. Weltweit gibt es von dem Apparat, der ein wenig an eine alte Schreibmaschine erinnert, nur noch wenige Exemplare. Im Nixdorf MuseumsForum Paderborn funktioniert das Gerät sogar noch. Museumssprecher Andreas Stolte: 0.20 5. Atmo: Tippen auf der 4-Walzen-Enigma A: (Atmo: Tippgeräusche) ... E: .... (Atmo "Tippgeräusche") 0.02 6. O-Ton: Andreas Stolte Das ist eine sogenannte "Vier-Walzen-Enigma" der Marine, die Texte verschlüsselt. Das heißt, ich drücke auf einen Buchstaben. Eine Walze wird weiter geschaltet und der Strom fließt durch die vier Walzen, durch das Steckerbrett und erzeugt dann hier einen Buchstaben der leuchtet. Das "D" wird zu einem "F" ... 0.24 7. Atmo: Tippen auf der Vier-Walzen-Enigma A: (Atmo) .... E: .... (Atmo) 0.03 (nachfolgende Atmo rund 5' optional) 7a. Atmo: Nixdorf-MuseumsForum / Turing-Ausstellung/Atlantik-Schlacht A: (Atmo) .. E: .... (Atmo) Sprecherin Es gab 139 Trillionen Möglichkeiten, einen Buchstaben zu verschlüsseln. Am Ende der mühseligen Prozedur wurde aus dem K zum Beispiel ein L, aus dem B ein Z. Obwohl es nach Meinung der deutschen Militärs unmöglich war, den Code zeitnah zu entschlüsseln, wurden die Chiffrierwalzen der Enigma täglich um Mitternacht neu eingestellt. Den Plan dazu hatten die U-Boot-Besatzungen beim Auslaufen an Bord. Das Ergebnis - ein kryptischer, scheinbar sinnloser Text - wurde per Funk übermittelt als Abfolge von Morsezeichen. Es war die einzige Möglichkeit, Botschaften an Schiffsbesatzungen zu übermitteln, erklärt Kurator Jochen Viehoff vom Nixdorf MuseumsForum. 0.35 8. O-Ton: Dr. Jochen Viehoff Das war der Reichsmarine sofort klar, dass wenn ein Boot 1000 oder 2000 Kilometer draußen im Atlantik unterwegs ist, im Einsatz ist, dass es überhaupt nur per Funk im wesentlichen kommunizieren kann. Und das war natürlich auch klar, dass dieser Kurzwellenfunk selbstverständlich auch von den alliierten Kräften mitgehört und abgefangen werden konnte. Insofern war die Marine von Anfang an auch an einem sehr sicheren Verfahren der Verschlüsselung interessiert. Und hier kam diese berühmte Enigma-Maschine zum Einsatz. 0.34 9. Atmo: Morsezeichen A: (Atmo "Morsezeichen") ... E: ... (Atmo "Morsezeichen") 0.05 Sprecherin Als Groß Britannien die wissenschaftlichen Größen des Landes zusammen holte, um in "Bletchley Park" - 70 Kilometer nordwestlich von London - streng bewacht, streng geheim - den Code der deutschen Marine zu knacken, da war Alan Turing von Anfang an mit dabei. Immer noch ein Twen, wir schreiben September 1939, aber höchst erfolgreich. Schließlich war er es, der den entscheidenden Beitrag leistete. 0.20 10. Atmo: Sonargeräusche A: (Atmo "Sonar") ... E: .... (Atmo "Sonar") 0.02 (Atmo "Sonar" und Filmmusik weiter unter Text) 11. O-Ton: Dr. Jochen Viehoff Er hat auf jeden Fall den vielleicht wichtigsten Grundstein gelegt, dass "Bletchley Park" letztlich zu einer Dechiffrier-Industrie geworden ist. Dass man mit 200 "Turing- Bomben", also dieser Maschine, die er auch designed hat, die er entwickelt hat, um die Enigma-Sprüche zu knacken, die Schlüssel zu finden, da waren am Ende 200 Maschinen im Einsatz, und es haben 10.000 Menschen in "Bletchley Park" gearbeitet. Und dass man das überhaupt in diesem großen Stil systematisiert hat, das Entschlüsseln, dafür hat Turing die wissenschaftlichen und theoretischen Grundlagen definitiv gelegt. 0.38 12. Musik: Das Boot A: (Musik) .... E: .... (Musik) 0.10 (Musik weiter unter Text) Sprecherin Häufig war der täglich wechselnde Code schon nach 15 Minuten geknackt. Turings Verdienste im Zweiten Weltkrieg wogen mindestens ebenso schwer wie diejenigen der britischen Feldmarschälle und Admirale, gelang es ihm doch, die Geheimnisse der deutschen Chiffriermaschinen zu ergründen, so dass der gesamte Funkverkehr der Wehrmacht praktisch "in Echtzeit" entziffert werden konnte. So beurteilt Rolf Hochhuth die Leistungen. 1987 widmete er ihm sein Buch "Alan Turing": 0.30 (Musik weiter unter O-Ton) 13. O-Ton: Rolf Hochhuth Ich bewundere ihn dafür, dass er der Bedeutendste war - sofern er kein Staatsmann war wie Churchill, Stalin, Roosevelt - dass er sonst der bedeutendste Einzelne war, der Hitlerdeutschland aufs Kreuz gelegt hat. Dafür bewundere ich ihn. Es ist die bedeutendste Blamage des deutschen Generalstabs, dass die derartig blinde Kuh mit sich habe spielen lassen. Und man hat auch dem Hitler mehrmals gesagt - aufgrund irgendeiner fehlgeschlagenen deutschen Aktion - die kann nur fehlgeschlagen sein, weil die Alliierten das vorher wussten. Und dann hat Hitler gelacht, also das kann gar nicht sein. Er konnte nicht für denkbar halten, dass man das entschlüsselt. 0.49 14. Atmo: Morsezeichen via Mittelwellenfunk / Frequenzrauschen A: (Atmo "Morsezeichen") .... E: .... (Atmo "Morsezeichen) 0.03 (Atmo "Morsezeichen" weiter unter Text) Sprecherin Ab 1943 dechiffrierten die Briten - und damit die Verbündeten praktisch alle Nachrichten an die deutsche U-Boot-Flotte. Die alliierten Schiffskonvois kannten von da an die Position der U-Boote, die nun das Fürchten lernten. Allein im Mai 1943 wurden 43 U-Boote versenkt. Mehr als 30.000 der rund 40.000 U-Boot-Fahrer starben in den Fluten des nordatlantischen Ozeans. 0.20 15. Musik: Vera Lynn - "We meet again" (Musik) We meet again, don't know where. Don't' know when. But I know we'll meet again some sunny day ... 0.25 (Musik "We'll meet again" weiter unter Text) Sprecherin Vera Lynn - das britische Pendant zu Marlene Dietrich und Lale Andersen - war mit ihren Heimat-Liebes-Liedern der Schwarm vieler Soldaten. Dass Kriege nicht nur an der Front mit Waffen, sondern auch mit einem genialen Geist - noch dazu im Hintergrund - gewonnen werden können, das sollte die Nation aber erst 50 Jahre später erfahren. "Bletchley Park" und alles, was damit zu tun hatte, inclusive Turing, blieb über fünf Jahrzehnte geheime Verschlusssache der britischen Regierung. 0.30 16. O-Ton: Alan Turing (Schauspieler bei BBC) But all formed (stottert) by one maschine. Und that is an extremly important fact about computers. The Computer is a universal (stottert) maschine. It can carry out any task. 0.15 (Alan Turing Vortrag - abblenden - weiter unter Text) 17. O-Ton: Alan Turing (Schauspieler bei BBC - leise im Hintergrund) A: (Turing referiert aus der Entfernung) ... E: ... (Turing s.o.) 0.00 (Atmo "Alan Turing aus der Ferne" weiter unter Text) Sprecherin Alan Turing stotterte. Hier gespielt von einem Schauspieler für eine BBC-Produktion, denn Tonaufzeichnungen gibt es keine. Nur einige wenige Fotos, die u.a. den Sportler betonen - beim Marathon. Die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 1948 verfehlte der drahtig wirkende Wissenschaftler nur knapp - mit 36. Bis auf einen Löffel und einen Teddybären aus Kindertagen gibt es kein Manuskript, keinen Brief, nicht einmal einen Hut oder andere persönliche Dinge von Alan Turing. Dafür umso mehr Geschichten. Hans Magnus Enzensberger befasste sich 1975 in seinem Buch "Mausoleum - Siebenunddreißig Balladen aus der Geschichte des Fortschritts" mit Alan Turing. Die Vertonung ist derzeit im Nixdorf MuseumsForum zu hören. 0.45 18. O-Ton: Hans Magnus Enzensberger Fest steht, dass er nie eine Zeitung gelesen hat. Dass er sich seine Handschuhe selber strickte. Dass er fortwährend Koffer, Bücher, Mäntel verlor. Und dass er bei Tisch, sofern er sein hartnäckiges Schweigen brach, in ein schrilles Gestotter verfiel oder krähend lachte. Seine Augen waren von einem strahlenden, anorganischen Blau wie aus gemaltem Glas. 0.26 19. Atmo: Museumsatmo (optional über Sprechertext legen) A: (Atmo) ... E: .... (Atmo) 0.26 Sprecherin Berichte von ehemaligen Kollegen, Freunden und Bekannten beschreiben Alan Turing als eine ziemlich skurrile Persönlichkeit. Dr. Stefan Stein, der im Nixdorf- MuseumsForum Paderborn eine Ausstellung zum 100. Geburtstag von Alan Turing mitorganisiert hat, hat sich mit seinen Marotten beschäftigt. 0.15 20. O-Ton: Dr. Stefan Stein Als er in Bletchley Park während des Krieges gearbeitet hat, fuhr er morgens auf dem Fahrrad mit einer Gasmaske zur Arbeit, einfach weil er im Sommer Heuschnupfen hatte und sich mit der Gasmaske vor den Pollen schützen wollte. Wenn Alltagsprobleme auftraten, dann hatte Alan Turing oft eine ungewöhnliche Lösung parat. Zum Beispiel als die Armbanduhr verschwunden war, schnallte er sich einfach einen Wecker um. Als die Hose wegen eines defekten Gürtels nicht mehr hielt, nahm er ein Stück Strick. Wir nennen das gerne so die komplizierte Logik des Alltags, die er nicht immer so bewältigt hat, wie das in einer formvollendeten britischen Gesellschaft vielleicht erwartet wurde. 0.40 21. Musik: evtl. Very Lynn "We meet again" (siehe auch 15. Musik) A: (Musik) .. E: .... (Musik) 0.05 (Musik weiter unter Text) Sprecherin Alan Mathison Turing wurde am 23. Juni 1912 in London geboren. Der Vater war Staatsdiener in Indien, deshalb kam Alan zunächst in eine Pflegefamilie, bis die Mutter - vier Jahre später - nach London zurückkehrte. Schon in frühester Kindheit zeigte sich die hohe Begabung und Intelligenz Turings. So soll er sich innerhalb von drei Wochen das Lesen beigebracht haben. Früh fühlte er sich zu Zahlen und Rätseln hingezogen. Turings Drang zur Naturwissenschaft traf bei seinen Lehrern allerdings auf wenig Gegenliebe, was Rolf Hochhuth in seiner Erzählung über "Alan Turing" eindrücklich schildert: 0.30 22. Zitat: Rolf Hochhuth aus "Alan Turing" "Was ihn in der Schule rettete, war immer nur seine Schnellläuferei; zwar Plattfüße, doch stets der College-Schnellste: solche Sportler bleiben Gott sei Dank in England nicht sitzen. Denn nicht einmal in Mathematik gab man ihm Preise, weil die Lehrer glaubhaft versicherten, seiner Tintenflecke wegen die Resultate seiner Rechnung oft nicht lesen zu können. Dass Alan die Relativitätstheorie von 1905 las, als er sechzehn war, denn dazu genügt die einfache Mathematik, hat auch fast dazu geführt, dass sie ihn wegtaten aus der Schule." 0.40 Sprecherin Von 1931 bis 1934 studierte Alan Turing Mathematik in Cambridge und machte sich schnell einen Namen. 1936 mit der Veröffentlichung "On Computable Numbers". Hier entwirft er ein "Modell" zur Berechnung mathematischer Funktionen mit Hilfe einer Maschine. Obwohl das fiktive Gerät nur mit drei Operationen auskommt - nämlich Lesen, Schreiben sowie Lese-Schreib-Kopf-Bewegungen - sind damit alle Grundfunktionen der Mathematik beherrschbar. Turing war damals aber nicht am Bau dieser Maschine im Sinne von Hardware interessiert, erklärt Hans Kleine Büning - Mathematikprofessor an der Uni Paderborn. 0.35 23. O-Ton: Prof. Hans Kleine Büning Also wenn man seine Zeit sieht, dort war man auch technisch nicht in der Lage, einigermaßen leistungsfähige Maschinen zu bauen. Es gab keine Transistoren, die Röhrentechnik war noch nicht allzu weit fortgeschritten. So dass man auch nicht daran denken konnte, dass jetzt für größere Berechnungen zu realisieren. Denn wenn man sieht, die ersten programmierbaren Computer, die wirklich gebaut wurden, das war zum Beispiel Zuse, das war während des 2. Weltkriegs. Und diese Entwicklung von Turing - diese Turing-Maschine - die liegt eben ein paar Jahre davor, und deshalb hat er sich wahrscheinlich auch nie um die technische Umsetzung oder die Realisierung oder den praktischen Nutzen gekümmert. 0.45 Sprecherin Vielmehr interessierte ihn das Konzept, wie eine Rechenmaschine, ein Computer, arbeiten müsste, um Rechenaufgaben zu erledigen. Ihm zu Ehren wurde das Konzept "Turing-Maschine" genannt. Informatiker sehen darin die geistige Vorlage für den ersten programmierbaren Computer, der damals allerdings nur im Kopf von Alan Turing existierte. Gebaut hat er diese Maschine nie. 1938 ging Turing in die USA, schrieb seine Doktorarbeit über "Hypercomputation" und sogenannte "Orakel-Maschinen". 1939 kehrte er zurück nach Groß Britannien - dann kamen der Krieg und "Bletchley Park". 0.30 24. Musik: Vera Lynn "The white cliffs of dover" A: (Musik) ... E: .... (Musik) 0.35 (Musik abblenden - weiter unter Text) Sprecherin Christian Utzel studiert an der Uni Paderborn Anglistik und kennt sich aus mit den Feinheiten der englischen Sprache. Heute sitzt er in einem gläsernen Büro im Foyer des Nixdorf MuseumsForums - unsichtbar für die Besucher, die gerade hereinkommen. Wer möchte, darf im sogenannten "Turing-Pavillon" vorne im Eingangsbereich beliebige Fragen in englischer Sprache eintippen. Christian Utzel, der sich mit diesem Job ein paar Euro für sein Studium dazu verdient, sieht die Fragen auf seinem Computerbildschirm. 0.30 (Kreuzblende - Tastaturgeräusche unter Text einblenden) 25. Atmo: Tastaturgeräusche A: (Tastatur) ... E: ... (Tastatur) 0.04 26. O-Ton: Christian Utzel Der Dialog, der beginnt meist mit "how are you, what is your name?" What is your favorite colour? Oder "Do you have hobbies? Und das Lustige ist dann, dass viele Besucher diese Antwort, die ich dann gebe, als die von der Maschine anerkennen. 0.22 Sprecherin Doch nicht nur Christian Utzel wird aktiv. Auch ein Computer beteiligt sich an dem Frage-Antwort-Spiel, das nach Alan Turing als "Turing-Test" bezeichnet wird. Dr. Jochen Viehoff: 0.10 27. O-Ton: Dr. Jochen Viehoff Der Sinn des Turing-Testes war eigentlich, dass Alan Turing dieses große Projekt vorhatte, ein menschliches Gehirn nachzubauen. Und er hat sich dann natürlich auch die Frage gestellt, ab wann könnte man denn überhaupt sagen, dass eine Maschine überhaupt intelligent ist. Also welches Kriterium könnte man dafür anführen. Und darauf hin hat er Ende der 40er Jahre einen Turing-Test entwickelt, dass man eben sagt, wenn man nicht mehr unterscheiden kann, ob man sich mit einem Menschen oder einer Maschine unterhält, dann wäre das Programm dieser Maschine als intelligent zu bezeichnen. 0.34 Sprecherin Turing war Mathematiker, Theoretiker, Logiker: Dass Rechenmaschinen eines Tages "denken" würden, war für Turing schon in den 40er Jahren klar: Denken sah er als eine mathematische Operation, die auch unabhängig von lebenden Zellen ablaufen kann. Allerdings verschätzte sich das Genie erheblich. Zur Jahrtausendwende - so Turing - sollten Computer dem menschlichen Gehirn ebenbürtig sein. Damit lag er zwar gehörig daneben, doch Christian Utzel, der Student mit dem Turing-Test - hat da manchmal so seine Zweifel, wenn er die Fragen der Besucher beantworten soll. 0.30 (Tastaturgeräusche unter Text einblenden) 28. Atmo: Tastaturgeräusche A: (Tastaturgeräusche) ... E: .... (Tastaturgeräusche) 0.00 29. O-Ton: Christian Utzel Ein Beispiel ist "How long is your dick?" Die Maschine sagt dann etwas ganz Intelligentes wie "I think, women will try hard to find your dick!" Also sie gibt die Frage zurück und macht das ein bisschen auf lustige Art und Weise. Und ich bin mittlerweile so weit, dass ich da dann darauf antworte, "Watch your mouth" oder "Mind your language". Und das Lustige ist dann, dass viele Besucher diese Antwort, die ich dann gebe, als die von der Maschine anerkennen. 0.37 30. Musik: "Alan Turing" written by Stephen J. Pride A: (Musik) ... Alan Turing ... E: ... (Musik) 0.15 Sprecherin Über Alan Turing wurden Fachbücher und Aufsätze geschrieben. Es gibt aber auch Romane, Theaterstücke, TV-Dramen, Hörspiele und Popsongs: 0.10 31. Musik: Alan Turing written by Stephen J. Pride A: (Musik) .... E: ...... (Musik) 0.10 Sprecherin Alan Turing kreierte den Begriff "Computer" zu einem Zeitpunkt, als es den Computer noch gar nicht gab. Er entwickelte das erste Schachprogramm, das mangels Hardware ebenfalls nur auf dem Papier existierte. Für ihn war es nur logisch, dass es Maschinen geben würde, die eigenständige Entscheidungen treffen. In weiten Teilen der Bevölkerung außerhalb von Groß Britannien ist Turing weitgehend unbekannt. Ganz anders in den Kreisen der Informatik, sagt Johannes Blömer, Informatik-Professor an der Uni Paderborn. 0.30 32. O-Ton: Prof. Johannes Blömer Wenn man die Entstehung der Informatik sieht, dann kommt die Informatik eigentlich aus zwei Richtungen. Es gab auf der einen Seite die eher aus der Mathematik Kommenden, die an der Frage interessiert waren: Welche Probleme kann ich berechnen, welche kann ich entscheiden? Und die andere Richtung war natürlich aus dem Bereich - heute würde man sagen "Elektrotechnik" - wie kann ich solche Rechner umsetzen? Und Alan Turing hat beide eigentlich miteinander vermischt. Er hat ganz grundlegende, bahnbrechende Arbeiten dazu geleistet, was es eigentlich heißt, dass etwas berechenbar ist. Aber er war sein Leben lang daran interessiert, wie kann ich solche Maschinen auch bauen. 0.40 Sprecherin So gilt Alan Turing als einer der Begründer der modernen Informatik und Computer- Technik. Der sogenannte "Turing Award" wird von Fachleuten als Nobelpreis für Informatik gesehen. Neben Kryptografie und Informatik hat ihn vor allem die "Kybernetik" interessiert. Also die Frage, wie und in welcher Weise etwas von quasi innen heraus gesteuert wird. Das Computermodell des Geistes - the thinking machine - gehört dazu: Turing war einer der ersten Menschen überhaupt, die sich mit dem hochkomplexen Problem der künstlichen Intelligenz beschäftigten. Mit Wirkungen bis in die Gegenwart, sagt Prof. Raul Rojas - Informatiker der Freien Universität Berlin: 0.40 33. O-Ton: Prof. Raul Rojas Ja, ich glaube der Nachlass von Turing beruht auf vielen Bereichen. Einerseits bei dieser Idee, dass man die Komplexität einer Rechenmaschine in die Software verlagern kann. Das ist eine sehr grundlegende Idee. Aber andererseits als Inspiration für viele Forscher: Für alles, was ein Mensch schaffen kann, wenn er sich konzentriert, wenn über viele Jahre an einem einzigen Thema gearbeitet wird. Nämlich die Frage der Entwicklung von Rechenmaschinen, die eventuell sogar Aufgaben übernehmen können, wie Menschen es heute tun. 0.34 34. Musik: Breaking the Code s.o.34. Musik A: (Musik) .... E: .... (Musik) 0.10 (Musik "Computerklänge" weiter unter Text) ))) Sprecherin Alan Turing zählt zu den Pionieren der Kybernetik, einer mathematischen Wissenschaft, die sich mit der Steuerung von Maschinen und lebenden Organismen beschäftigt. Schwieriger als erwartet sollte sich jedoch die Kybernetik des Denkens darstellen. Auch hier ging Turing von mathematisch darstellbaren Steuerungsmechanismen zwischen den Hirnzellen aus, die sich seiner Meinung nach auf Rechenmaschinen übertragen lassen würden. Bis zur Jahrtausendwende - so seine Prognose - könnte es denkende Computer geben. Heute ist die KI-Forschung ein eigenes Forschungsgebiet - tausende Wissenschaftler arbeiten an "thinking machines" - Turings Erbe! 0.50 35. Musik: Breaking the Code 10 Sekunden einblenden - abblenden A: (Musik) ... E: ... (Musik) 0.05 (Musik weiter unter O-Ton) 36. Zitat: Rolf Hochhuth aus "Alan Turing" "Nachbauen? Ein Gehirn!" Bis Churchill begriffen hatte, war ein Moment vergangen. Sein Tonwechsel war deutlich, er trat einen Schritt zurück.... Dann sagte er schroff, und seine glasschneiderharten Augen, riesig jetzt, aufgerissen, drückten Abscheu aus. "Sind Sie Prometheus, der Menschen geschaffen hat? Wozu denn ein Gehirn nachbauen?" ... Turing war eingeschüchtert, doch sobald er sprach - tat er's selbstbewusst: "Wenn man Menschen ersetzen kann durch Maschinen, dort, wo Menschen sonst sterben - wenn man sie ersetzt durch künstliche Gehirne, zum Beispiel in Ihren Bombern, Primeminister, dann tut man Gutes, nicht war, Menschenfreundliches!" 0.50 Sprecherin Das Gespräch ist konstruiert. Von Rolf Hochhuth, der 1987 in seiner Novelle über Alan Turing "erzählt". Tatsächlich sind Churchill und Turing nie aufeinander getroffen. Grund genug hätte der Britische Premierminister gehabt. Denn Groß Britannien verdankt ihm den Sieg, ist der Schriftsteller vollends überzeugt: 0.20 37. O-Ton: Rolf Hochhuth Mich hat keine Person mehr fasziniert als der Churchill, und dann hat mich für ihn fast, möchte ich sagen, gekränkt, dass er so unanständig gewesen ist in den 12. Bänden seiner Memoiren den Alan Turing mit keinem Buchstaben zu erwähnen, obwohl er diesem Turing die geniale Tat verdankt, dass er Hitlers Befehle an seine Oberbefehlshaber oft früher auf dem Schreibtisch hatte - im Klartext - als Rommel in der Wüste sie lesen konnte. Eine vollkommen geniale Leistung. Und man kann sich gar nicht vorstellen, wie viele alliierten Soldaten das das Leben gerettet hat. 0.50 38. Musik: "Auf Wiederseh'n Sweetheart" Vera Lynn (alte Aufnahme mit Plattenkratzern) A: (Musik) ... E: .... (Musik) 0.20 (Musik "Auf Wiederseh'n Sweetheart" weiter unter Text) Sprecherin Churchill schickte Turing in die Versenkung. Aus Eitelkeit, urteilt Rolf Hochhuth, damit er den Sieg über Deutschland nicht teilen musste. Und auch sonst hatte Alan Turing nach dem Krieg schlechte Karten. Gelegentlich übernachteten Männer in seiner Wohnung. 1950 kam eine Lawine ins Rollen, schildert Dr. Stefan Stein vom Nixdorf MuseumsForum in Paderborn: 0.20 39. O-Ton: Dr. Stefan Stein Im Krieg ist seine Homosexualität, wenn sie denn erkannt wurde, zumindest toleriert worden. Nach dem Krieg wurde das nicht mehr toleriert, er wurde konkret wegen seiner Homosexualität als Sicherheitsrisiko gesehen. Er hatte ein Verhältnis mit einem 19-Jährigen jungen Mann, der über Nacht bei ihm war, und die Polizei kam bei einer Vernehmung Turings wegen irgend einer Diebstahlsgeschichte, die Turing anzeigen wollte, dieser Sache auf die Schliche. Die Polizei erstattete von sich aus Anzeige, denn das stand damals noch unter Strafrecht. Er selber hat darin nichts Strafbares gesehen und war davon ausgegangen, dass das andere dann auch so handhaben werden. Das war nun eben leider nicht der Fall. 0.41 Sprecherin Alan Turing durfte als homosexuelles Sicherheitsrisiko nicht mehr in die USA reisen, wo mit John von Neumann sein wohl wichtigster wissenschaftlicher Kontakt wegbrach. Dann wurde er vor die Wahl gestellt, ins Gefängnis zu gehen oder aber eine Hormontherapie mit weiblichen Geschlechtshormonen über sich ergehen zu lassen. 0.20 40. O-Ton: Dr. Stefan Stein Das war konkret eine chemische Kastration. Also ihm wurden weibliche Geschlechtshormone gespritzt, um sein Sexualtrieb zu dämpfen, was dazu führte, dass ihm dann zum Beispiel Brüste wuchsen und andere körperliche Merkmale sich veränderten. Turing versuchte das mit Humor zu nehmen. Er schien auch bis kurz vor seinem mutmaßlichen Selbstmord noch aufgeschlossen und eigentlich recht heiter. So dass also eigentlich alle von diesem (ähh) Selbstmord eigentlich doppelt erschüttert waren. 0.28 Sprecherin Am 08. Juni 1954 wird Alan Turing in seiner Wohnung in Wilmslow, einem Städtchen südlich von Manchester, tot aufgefunden. Wenige Tage später wäre er 42 Jahre alt geworden. Alan Turing lag neben seinem Bett auf dem Boden. Als Todesursache wurde eine Zyanidvergiftung festgestellt. Neben dem Bett lag ein angebissener Apfel, in der Küche ein Konfitüreglas mit Zyanidlösung. Ob der Apfel vergiftet war, wurde nie untersucht. Eine Obduktion fand ebenfalls nie statt. Alan Turing und alles, was mit seiner Person zusammenhing, verschwanden in der Versenkung. Vorerst. 0.35 (Musik "Auf Wiederseh's Sweetheart" unter Text einstarten) 41. Musik: "Auf Wiederseh'n Sweetheart" Vera Lynn - siehe 40. Musik (alte Aufnahme mit Plattenkratzern - Finale) A: (Musik) ... E: .... (Musik) 0.20 (Musik weiter unter Text) Sprecherin Es waren die Wissenschaftler, die Alan Turing nicht vergessen wollten. Seit 1966 verleiht die Association for Computing Machinery den hochdotierten Turing-Award - eine Art Nobelpreis für Informatiker, der Anfangs allerdings wenig Beachtung fand. Ins öffentliche Bewusstsein kam Alan Turing erstmals mit der Biographie von Andrew Hodges 1983. Drei Jahre später dann der erste Film "Breaking the Code" von Hugh Whitemore, der in Deutschland allerdings mehr als "Schwulendrama" verstanden wurde, denn als Huldigung eines genialen Wissenschaftlers. 0.25 42. Atmo: "Breaking the Code" / Filmausschnitt im Original / englisch A: (Filmausschnitt Vernehmung) ... E: .... (Filmausschnitt Vernehmung) 0.20 Sprecherin Auf deutscher Seite reagierte Rolf Hochhuth als erster mit einer Erzählung. Das war 1987. Erst im Jahre 2009 unterzeichneten Tausende Briten eine Petition. Sie forderten eine Entschuldigung von der britischen Regierung. Jetzt erst - ein gutes halbes Jahrhundert später - veröffentlichte der damalige britische Premierminister Gordon Brown eine dünne Erklärung, in der er, im Namen der britischen Regierung, die Verfolgung Turings bedauerte und den außerordentlichen Beitrag während des Zweiten Weltkriegs würdigte: "I am very proud to say: we're sorry, you deserved so much better". Sie hätten eine bessere Behandlung verdient. 0.40 43. Musik: Breaking the Code / Andrea Parker - siehe 34. Musik A: (Musik) ... E: .... (Musik) 0.20 (Musik weiter unter O-Ton) 44. O-Ton: Rolf Hochhuth Ich bewundere ihn dafür, dass er Hitlerdeutschland auf's Kreuz gelegt hat. Dafür bewundere ich ihn. 0.07 (Musik kurz aufblenden - 5 Sekunden dann weiter unter O-Ton) 45. O-Ton: Prof. Johannes Blömer Er ist sicher nicht der Gründungsvater der Informatik. Im Singular. Das kann man sicherlich nicht sagen. Vielleicht war Alan Turing doch derjenige, der zumindest als erstes gesehen hat, dass das, was man machen sollte mit einem Computer, ist einen programmierbarer Computer zu bauen. Es sollte nicht einer sein, der für eine Aufgabe gedacht ist, sondern der sollte alles können, was ein Computer überhaupt kann. 0.23 (Musik kurz aufblenden - 5 Sekunden - dann weiter unter O-Ton) 46. O-Ton: Dr. Stefan Stein Ein etwas exzentrisch lebender Mensch taugt nie uneingeschränkt als Vorbild. Er taugt in der Hinsicht als Vorbild, dass er unbedingt seinen Weg gegangen ist als Wissenschaftler und versucht hat, Dinge zu verwirklichen, die er als wissenschaftlich spannend befand. Also ein Bilderbuchvorbild ist er vielleicht nicht, aber wer ist das wirklich, wenn man nach gräbt. 0.25 (Musik aufblenden - stehen lassen bis Ende)