* COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur KULTUR UND GESELLSCHAFT LITERATUR 0.05 Uhr Autor: Jörg Magenau Redaktion: Sigried Wesener Sendetermin: 07.07.7.2013 Besetzung: Sprecherin, Sprecher 1, Sprecher 2, Musik Feuer-Werke Über Brandherde und Flammenmeere in der Literatur Eine Sendung im Deutschlandradio Kultur Von Jörg Magenau MUSIK: Light my Fire (The Doors) You know that it would be untrue You know that I would be a liar If I was to say to you Girl, we couldn't get much higher Come on baby, light my fire Come on baby, light my fire Try to set the night on fire [ausblenden] SPRECHERIN: Haben Sie vielleicht mal Feuer? SPRECHER 1: Na klar. (Geräusch eines Feuerzeugs, Knistern einer anbrennenden Zigarette) SPRECHERIN: Danke. SPRECHER 1: Nichts leichter als das. SPRECHERIN: In früheren Jahrtausenden wäre es nicht so einfach gewesen, ein Flämmchen zu entzünden. SPRECHER 1: Feuer zu geben ist ein Frieden und Gemeinschaft stiftender Akt. Das gehört zu den grundlegenden zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit. SPRECHERIN: Sehr beruhigend. Ein Exekutionskommando hätte ich allerdings nicht um Feuer bitten wollen. SPRECHER 1: In Hans Christian Andersens Märchen vom Feuerzeug wären bei dessen Benutzung die drei Hunde mit den riesigen Augen erschienen. Hexenwerk! SPRECHERIN: Auch im Wilden Westen war nicht immer klar, was passieren würde, wenn man einen Fremden um Feuer bittet. SPRECHER 1: Spielen Sie da jetzt auf Feuerwasser oder auf Feuerwaffen an? Wer mit dem Feuer spielt, in welcher Gestalt auch immer, muss nun mal aufpassen, dass er sich nicht verbrennt. Das ist klar. Musik: (Im Hintergrund einblenden.) Western Sounds Unlimited: The Good, the Bad and the Ugly (mit der Camel-Erkennungsmelodie). SPRECHERIN: Die Zigarettenwerbung hat es geschafft, dass wir beim Rauchen ständig an Cowboys denken. Stoppelbärtige Gesichter in flackerndem Licht. Damals, als es im Kino noch Zigarettenwerbung gab, zündeten sie sich ihre Zigaretten gerne mit einem glühenden Holzscheit an, während sie die Nacht an einem Lagerfeuer verbrachten. Und im Hintergrund scharrten die Pferde mit den Hufen. Seither schmecken Zigaretten nach Freiheit und Abenteuer. Man erwirbt damit das Gefühl, direkt an der Wildnis zu saugen. SPRECHER 1: Aber es sind doch nur Glimmstängel, die Flammen und Rauch allenfalls in homöopathischer Dosis enthalten. Was man da inhaliert, ist ja nicht wirklich Feuer, sondern nur der Abgeschmack davon. Man wärmt sich am Symbol. Die Zigarette ist ein Lagerfeuerglutrest, den man mit sich herumtragen kann. Deshalb stehen Raucher so gerne zusammen, auch wenn sie sich nichts zu sagen haben. Soziale Wärme entsteht als Widerschein der Urhorden, die sich um das schützende Feuer herum versammelten. MUSIK: Smoke, Smoke, Smoke That Cigarette (Tex Williams) [ab 0:33] Smoke, smoke, smoke that cigarette Puff, puff, puff and if you smoke yourself to death Tell St. Peter at the Golden Gate That you hate to make him wait But you just gotta have another cigarette [bis 1:02] SPRECHERIN: Bevor die Menschen um Lagerfeuer saßen, hatten sie das Feuer zu fürchten. Blitze. Buschbrände. Vulkanausbrüche. Kometen, die auf der Erde einschlugen. Feuer war etwas Elementares, Unkontrollierbares, Bedrohliches, Vernichtendes. SPRECHER 1: Don't smoke in bed! Meinen Sie das? Dass man einschläft und verbrennt, so wie die Dichterin Ingeborg Bachmann? SPRECHERIN: Ich meine, dass das Feuer von den vier ursprünglichen Elementen das Rätselhafteste ist. Erde, Wasser und Luft waren Bedingungen für die Entstehung der Welt und des Lebens. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und ringsum war das Meer. Feuer gehörte nicht dazu. Feuer zerstört. Wir assoziieren es eher mit der Apokalypse, mit Untergangsszenarien, als mit der Schöpfungsgeschichte. Feuer: Das ist die Hölle. Ewige Verdammnis. SPRECHER 1: Oder, wenn man Glück hat, das reinigende Fegefeuer. MUSIK: Smoke, Smoke, Smoke That Cigarette (Tex Williams) [ab 1:33] Smoke, smoke, smoke that cigarette Puff, puff, puff and if you smoke yourself to death Tell St. Peter at the Golden Gate That you hate to make him wait But you just gotta have another cigarette [bis 2:03] SPRECHER 1: Und was ist mit dem Himmelsfeuer, der Sonne, dem großen Feuerball? Ohne Sonne gäbe es kein Leben. Für die Griechen war Helios ein verlässlicher Gott, der seinen von vier Pferden gezogenen Sonnenwagen Tag für Tag brav über das Firmament lenkte. SPRECHERIN: Aber er ist kein echter Feuergott, der Poseidon als Gott der Meere oder Gaia als Erdgöttin vergleichbar wäre und dem man das Feuer als sein Element zuordnen könnte. Das Verhältnis zum Feuer ist immer instrumentell, nicht wesentlich. SPRECHER 1: Zeus benutzt den Blitz als seine vernichtende Feuerwaffe. Aber er ist auch der Blitz. Als ihn seine Geliebte Semele bat, sich in seiner wahren Gestalt zu zeigen, erschien er ihr als Blitz. Da blieb von der Geliebten nur ein Haufen Asche übrig. Ein feuriger Liebhaber! Vielleicht werden wir deshalb in der Liebe "wie vom Blitz getroffen"? SPRECHERIN: Auch Hephaistos, der Götter-Schmied, arbeitet mit dem Feuer. Allerdings ist Hephaistos der niedrigste unter den Olympiern. Hera hat ihn, ihren Sohn!, aus dem griechischen Götter-Himmel rausgeschmissen. Er ist körperlich gezeichnet: Er hinkt. Und: Er ist der Handwerker unter den Göttern, der einzige von ihnen , der richtig arbeiten muss und nicht bloß mit den Fingern schnippst, wenn er etwas bewirken möchte. SPRECHER: Er produzierte Gegenstände: Waffen und Schmuck, Achills Brustpanzer und auch die Ketten, mit denen Zeus den Prometheus an einen Felsen im Kaukasus fesseln ließ, zur Strafe dafür, dass er den Menschen das Feuer gebracht hat. Denn das Feuer sollte als himmlische Macht allein den Göttern gehören. SPRECHERIN: Trotzdem ist Feuer etwas Nachgeordnetes, Sekundäres. Es setzt immer schon einen Stoff voraus, der brennt, ganz egal, ob das Gase sind oder ein Stück Holz oder die Kohlen in der Schmiede oder der Sonnenwagen. Feuer an sich gibt es nicht. Feuer ist parasitär. Feuer ist Negation. Es entsteht, weil es etwas anderes vernichtet. SPRECHER 1: Chemisch gesehen ist es das Resultat eines Oxidationsprozesses, Energie in Form von Wärme und Licht . Es lässt sich nicht festhalten wie Erde oder schöpfen wie Wasser. SPRECHERIN: Und im Unterschied zu den anderen Elementen ist Feuer nicht immer da. Es muss erst entzündet werden, und irgendwann bleibt nur noch Asche zurück oder ein ausgeglühter Stern als Erinnerung daran, dass da einmal etwas gebrannt hat. SPRECHER: Feuer bricht plötzlich und gewalttätig aus, aber es ist vergänglich. Man kann es löschen. Feuer und Wasser, das geht nicht zusammen. SPRECHERIN: Elias Canetti hat all diese Eigenschaften in seinem Buch "Masse und Macht" analysiert. Menschenmassen, sagt Canetti, haben genau die selben Eigenschaften wie das Feuer. Deshalb ist es für ihn ein Massensymbol. SPRECHER 2: [Elias Canetti, Masse und Macht, S. 82] Das Feuer greift um sich; es ist ansteckend und unersättlich. Die Heftigkeit, mit der es ganze Wälder und Steppen, ganze Städte erfasst, gehört zu seinen eindrucksvollsten Eigenschaften. Bevor es ausbrach, stand Baum neben Baum, Haus neben Haus, jedes vom anderen getrennt, einzeln für sich da. Was aber gesondert war, wird vom Feuer in kürzester Zeit verbunden. Die isolierten und unterschiedlichen Gegenstände gehen alle in gleichen Flammen auf. Sie werden so sehr gleich, dass sie ganz verschwinden: Häuser, Geschöpfe, alles wird vom Feuer gepackt. Es ist ansteckend: Die Widerstandslosigkeit gegen Berührung durch die Flammen ist immer wieder erstaunlich. Je mehr Leben etwas in sich hat, umso weniger kann es sich dagegen wehren; nur das Lebloseste, die Mineralien, sind dem Feuer gewachsen. Seine rapide Rücksichtslosigkeit kennt keine Grenzen. Es will alles enthalten, es hat nie genug." SPRECHERIN: Feuer ist also ein großer Gleichmacher. Es verbindet das Getrennte. SPRECHER 1: Und zugleich ist es eine Abstraktion. Kennen Sie den Witz von Fritzchen, der in der Schule, lernt, "abstrakt" sei alles, was man nicht anfassen kann? Da meldet er sich, um Abstraktes aufzuzählen, und sagt als erstes: "Der Ofen!" Das ist vielleicht gar nicht so dumm wie es scheint. Feuer kann man ja nicht nur wegen der Hitze nicht anfassen, sondern auch, weil es so seltsam immateriell ist. SPRECHERIN: Wenn Sie nun schon philosophisch werden wollen, würde ich gerne auf Anaximander verweisen, den ersten großen Philosophen des Werdens. Für ihn stand die Welt nicht einfach nur fest; er begriff alles Sein aus der Veränderung, aus der Bewegung heraus. Er war der Denker der Gegensätze, der Dynamik. Kein Wunder, dass er auch der erste war, der das Feuer als bedeutendes Element erkannte. Sein Schüler Heraklit rückte es dann ins Zentrum seines Denkens, ja, des Denkens überhaupt. Logos war für Heraklit mit Feuer identisch, denn es ist genauso unkörperlich-wirklich und flackernd-vergänglich. SPRECHER 2: [Heraklit] Diese Weltordnung, dieselbige für alle Wesen, hat kein Gott und kein Mensch geschaffen, sondern sie war immerdar und ist und wird sein ewig lebendiges Feuer, nach Maßen erglimmend und nach Maßen erlöschend. (...) Das Weltall aber steuert der Blitzstrahl. Denn alles wird das Feuer, das heranrücken wird, richten und verdammen. SPRECHER 1: Ah ja. War Heraklit nicht auch der mit dem Fluss, in den man nicht zweimal steigen kann? Fluss und Feuer wären also vergleichbar, als Prinzipien der ewigen Veränderung? Alles fließt, alles brennt? SPRECHER 2: [Heraklit] Umsatz findet wechselweise statt: aller Dinge gegen das Feuer und des Feuers gegen alle Dinge, wie der Waren gegen Gold und des Goldes gegen Waren. SPRECHERIN: Entscheidend ist jedoch, dass Heraklit Feuer und Vernunft zusammendenkt. Er idealisiert das Feuer, macht daraus eine innere Eigenschaft, sublimierte Energie - Vernunft. Und damit wird Feuer ganz nebenbei zu einer männlichen Domäne, nachdem es zuvor dem Herrschaftsbereich der Frau zugehörte. Als die Männer noch auf die Jagd gingen, anstatt zu philosophieren, waren sie von den Hüterinnen des Feuers abhängig. Feuer war etwas Kostbares, denn es war schwer zu erzeugen und kompliziert zu unterhalten. Wer es bewachte, hatte die Macht. Schon deshalb spielt es in der griechischen Mythologie nur eine untergeordnete Rolle, denn es ist ein Symbol der früheren, matriarchalischen Gesellschaft, an die im Patriarchat nicht mehr erinnert werden sollte. SPRECHER 1: Das hat sich seither gründlich geändert. Wenn man heute an einem Sommertag durch die Stadtparks geht, wird überall gegrillt, und man sieht hinter den Rauchschwaden ausschließlich Männer in die Glut blasen. SPRECHERIN: Ja, sehr seltsam. Zu Hause meiden die Männer die Küche, aber kaum steht der Herd im Freien, fühlen sie sich als die legitimen Herren der Glut. SPRECHER: Vielleicht empfinden sie sich dabei als Dompteure, die wilde Tiere bändigen. Jedenfalls könnte man Elias Canetti so verstehen: SPRECHER 2: [Elias Canetti, Masse und Macht, S. 83] Der Mensch hat das Feuer zu beherrschen gelernt. (...) Es ist ihm auch gelungen, das Feuer zerspalten aufzubewahren. In Herden und Öfen hält er es gefangen. Er nährt es, wie man ein Tier nährt; er kann es verhungern lassen, er kann es ersticken. Damit ist die letzte Eigenschaft des Feuers schon angedeutet: Es wird so behandelt, als ob es lebte. Es hat ein unruhiges Leben, und es erlischt. Wenn es hier ganz erstickt wird - an anderen Orten lebt es weiter. SPRECHERIN: Mir kommen all die Grillmeister in den Stadtparks vor wie neuzeitliche Erscheinungsformen der römischen Vestalinnen. Diese Priesterinnen im Tempel der Vesta mussten dafür Sorge tragen, dass die dort bewahrte Flamme niemals erlosch. Weil Feuer als Symbol der Reinheit betrachtet wurde, mussten die Vestalinnen jungfräulich sein und bleiben - bei Strafe des Todes. SPRECHER 2: [Conrad Ferdinand Meyer: Das heilige Feuer] Auf das Feuer mit dem goldnen Strahle Heftet sich in tiefer Mitternacht Schlummerlos das Auge der Vestale, Die der Göttin ewig Licht bewacht. Wenn sie schlummerte, wenn sie entschliefe, Wenn erstürbe die versäumte Glut, Eingesargt in Gruft und Grabestiefe Würde sie, wo Staub und Moder ruht. Eine Flamme zittert mir im Busen Lodert warm zu jeder Zeit und Frist Die, entzündet durch den Hauch der Musen, Ihnen ein beständig Opfer ist. Und ich hüte sie mit heil'ger Scheue Dass sie brenne rein und ungekränkt; Denn ich weiß, es wird der ungetreue Wächter lebend in die Gruft versenkt. SPRECHERIN: "Das heilige Feuer". Conrad Ferdinand Meyer offenbart sich als später Gefolgsmann Heraklits, indem er sich das Feuer der Vestalinnen als ein von den Musen entzündetes inneres Feuer zu eigen macht. Logos also. Kreativität. Dichterkraft. SPRECHER 1: Und Leidenschaft. Das Feuer ist die Großmetapher der Liebe - und auch des Hasses. Wenn es um Gefühle geht, dann glüht es im Inneren. Dann brennt es. Ein Liebhaber muss feurig sein. SPRECHERIN: Zwischen Liebenden funkt es. SPRECHER 1: Sie sind heiß aufeinander. SPRECHERIN: Sie haben Feuer gefangen. SPRECHER: Sie sind Feuer und Flamme füreinander. SPRECHERIN: Da wird nicht lange gefackelt. SPRECHER 1: Da schlägt es ein wie der Blitz SPRECHERIN: Sofern nicht einer gleich abblitzt. SPRECHER 1: Er würde für sie durchs Feuer gehen. SPRECHERIN: Er holt ihr die Kastanien aus dem Feuer. SPRECHER 1: Und wer eine frühere Geliebte trifft, sieht eine alte Flamme wieder. SPRECHERIN: Vielleicht hat sie ja noch ein Eisen im Feuer. SPRECHER 1: Aber soll er wirklich Öl ins Feuer gießen? Musik: Ring of Fire (Johnny Cash) Love is a burning thing And it makes a fiery ring Bound by wild desire I fell in to a ring of fire I fell in to a burning ring of fire I went down, down, down And the flames went higher And it burns, burns, burns The ring of fire The ring of fire I fell in to a burning ring of fire I went down, down, down And the flames went higher And it burns, burns, burns The ring of fire The ring of fire SPRECHERIN: Nachdem das Feuer erst einmal in den Besitz der Menschheit übergegangen ist, kann es überall brennen. Der Mensch hat es instrumentalisiert, in seine Zwecke eingebunden. Das ist das titanische Erbe des Prometheus, dem die Menschheit im Mythos das Feuer zu verdanken hat. Prometheus stellte sich damit gegen die olympischen Götter, die den Menschen weniger wohlgesinnt waren und ihnen das himmlische Feuer vorenthalten wollten. SPRECHER 2: [Goethe, Prometheus] Musst mir meine Erde Doch lassen steh'n, Und meine Hütte, Die du nicht gebaut, Und meinen Herd, Um dessen Glut Du mich beneidest. SPRECHER 1: Goethe zeichnet in seinem berühmten Gedicht Prometheus als einen Rebellen. Mit dem Gestus des Aufbegehrens passte er perfekt in die Sturm- und Drang-Zeit. Prometheus ermächtigt die Menschen zur Selbständigkeit und demonstriert, wie man den Herrschern trotzt. SPRECHERIN: Das Feuer, das er den Menschen bringt, ist das Symbol des Fortschritts. Die Natur wird beherrschbar. Mit dem Feuer beginnt die Geschichte der menschlichen Kultur und Technik. Und als ob die Menschen deshalb ein schlechtes Gewissen gehabt hätten, zündeten sie von da an Opferfeuer an, um die Götter zu versöhnen. Es gibt keinen religiösen Ritus ohne Feuerzauber. SPRECHER 1: Auch das Christentum hat heidnische Bräuche aufgenommen und sich zu eigen gemacht, Osterfeuer, Weihnachtsbaum, Adventskerzen. SPRECHERIN: Und Scheiterhaufen. SPRECHER 1: Das ändert aber nichts daran, dass die Menschen mit der Beherrschung des Feuers begannen, sich von der Natur und von den Göttern zu emanzipieren. Sie erhellten die Nacht und verjagten die Dämonen und die wilden Tiere. Sie wärmten sich in der Kälte. Sie machten Essen genießbar und haltbar. Sie lernten, Erze zu schmelzen und Metalle zu schmieden, Ton zu brennen, Brot zu backen. Noch das Maschinenzeitalter und die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts gehen aus Kohle, Feuer und Dampf hervor. SPRECHERIN: Die Menschen lernten aber auch, Städte in Brand zu setzen und Ketzer zu verbrennen. Die Geschichte des Feuers ist eine Geschichte der menschlichen Hybris, der Gewalt, der Zerstörung. Musik: Arthur Brown: Fire: I am the god of hell fire and I bring you: Fire, I'll take you to burn. Fire, I'll take you to learn. I'll see you burn! You fought hard and you saved and earned, but all of it is going to burn. And your mind, your tiny mind, you know you've really been so blind. Now's your time burn your mind. You're falling far too far behind. Oh no, oh no, oh no, you gonna burn! SPRECHER 1: Michael Kohlhaas aus Kleists gleichnamiger Novelle ist so eine rebellische Figur des Feuers. Weil er ungerecht behandelt worden ist, wird er zum Rächer in eigener Sache und zieht mit seiner Horde brennend und mordend durchs Land. Die Rechtsprechung ist zu seiner Zeit, um 1530, abhängig von der Willkür der Landgrafen, Fürsten und Könige. Und weil er sein Recht nicht bekommt, nimmt er es sich mit Feuer und Schwert und verwickelt sich dabei in noch größeres Unrecht. SPRECHER 2: Inzwischen war, vom Feuer der Baracken ergriffen, nun schon das Schloss, mit allen Seitengebäuden, starken Rauch gen Himmel qualmend, angegangen, und während Sternbald, mit drei geschäftigen Knechten, alles, was nicht niet- und nagelfest war, zusammenschleppten, und zwischen den Pferden, als gute Beute, umstürzten, flogen, unter dem Jubel Hersens, aus den offenen Fenstern der Vogtei, die Leichen des Schlossvogts und Verwalters, mit Weib und Kindern, herab. Kohlhaas, dem sich, als er die Treppe vom Schloss niederstieg, die alte, von der Gicht geplagte Haushälterin, die dem Junker die Wirtschaft führte, zu Füßen warf, fragte sie, indem er auf der Stufe stehenblieb: wo der Junker Wenzel von Tronka sei? und da sie ihm, mit schwacher, zitternder Stimme, zur Antwort gab: sie glaube, er habe sich in die Kapelle geflüchtet; so rief er zwei Knechte mit Fackeln, ließ, in Ermangelung der Schlüssel, den Eingang mit Brechstangen und Beilen eröffnen, kehrte Altäre und Bänke um, und fand gleichwohl, zu seinem grimmigen Schmerz, den Junker nicht. Es traf sich, dass ein junger, zum Gesinde der Tronkenburg gehöriger Knecht, in dem Augenblick, da Kohlhaas aus der Kapelle zurückkam, herbeieilte, um aus einem weitläufigen, steinernen Stall, den die Flamme bedrohte, die Streithengste des Junkers herauszuziehen. Kohlhaas, der, in ebendiesem Augenblick, in einem kleinen, mit Stroh bedeckten Schuppen, seine beiden Rappen erblickte, fragte den Knecht: warum er die Rappen nicht rette? und da dieser, indem er den Schlüssel in die Stalltür steckte, antwortete: der Schuppen stehe ja schon in Flammen, so warf Kohlhaas den Schlüssel, nachdem er ihn mit Heftigkeit aus der Stalltüre gerissen, über die Mauer, trieb den Knecht, mit hageldichten, flachen Hieben der Klinge, in den brennenden Schuppen hinein, und zwang ihn, unter entsetzlichem Gelächter der Umstehenden, die Rappen zu retten. Gleichwohl, als der Knecht schreckenblass, wenige Momente nachdem der Schuppen hinter ihm zusammenstürzte, mit den Pferden, die er an der Hand hielt, daraus hervortrat, fand er den Kohlhaas nicht mehr. SPRECHERIN: Eine ähnliche Geschichte erzählt Theodor Fontane in seinem Roman "Grete Minde". Auch diese Heldin ist eine Kohlhaas'sche Figur, der Unrecht widerfuhr und die sich dafür, jedenfalls bei Fontane, grausam rächt. Der große Brand der Stadt Tangermünde im Jahr 1617 war demnach ihr Werk. Wenn man es liest, ist es herrlich, wie es da brennt: SPRECHER 2: So saß sie und wartete; lange; aber es kam keine Ungeduld über sie. Endlich drängte sich ein schwarzer Qualm aus der Dachöffnung, und im nächsten Augenblicke lief es in roten Funken über den First hin, und alles Holz- und Sparrenwerk knisterte auf, als ob Reisig von den Flammen gefasst worden wäre. Dazu wuchs der Wind, und wie aus einem zugigen Schlot heraus fuhren jetzt die brennenden Wergflocken in die Luft. Einige fielen seitwärts auf die Nachbarscheunen nieder, andre aber trieb der Nordwester vorwärts auf die Stadt, und eh eine Viertelstunde um war, schlug an zwanzig Stellen das Feuer auf, und von allen Kirchen her begann das Stürmen der Glocken. SPRECHERIN: Grete Minde raubt ihrem Halbbruder Gerdt, der ihr das Erbe verweigert hat, seinen kleinen Sohn und zieht sich mit ihm auf den brennenden Kirchturm zurück. SPRECHER 2: Um sie her hingen die großen Glocken und summten leise, wenn sie den Rand derselben berührte. Und nun trat sie rasch an die Schalllöcher, die nach der Stadtseite hin lagen, und stieß die hölzernen Läden auf, die sofort vom Winde gefasst und an die Wand gepresst wurden. Ein Feuermeer unten die ganze Stadt; Vernichtung an allen Ecken und Enden, und dazwischen ein Rennen und Schreien, und dann wieder die Stille des Todes. Und jetzt fielen einige der vom Winde heraufgewirbelten Feuerflocken auf das Schindeldach ihr zu Häupten nieder, und sie sah, wie sich vom Platz aus aller Blicke nach der Höhe des Turmes und nach ihr selber richteten. Unter denen aber, die hinaufwiesen, war auch Gerdt. Den hatte sie mit ihrer ganzen Seele gesucht, und jetzt packte sie seinen Knaben und hob ihn auf das Lukengebälk, dass er frei dastand und im Widerscheine des Feuers von unten her in aller Deutlichkeit gesehen werden konnte. Und Gerdt sah ihn wirklich und brach in die Knie und schrie um Hülfe, und alles um ihn her vergaß der eigenen Not und drängte dem Portal der Kirche zu. Aber ehe noch die Vordersten es erreichen oder gar die Stufen der Wendeltreppe gewinnen konnten, stürzte die Schindeldecke prasselnd zusammen, und das Gebälk zerbrach, an dem die Glocken hingen, und alles ging niederwärts in die Tiefe. SPRECHERIN: Den Brand in Tangermünde im Jahr 1617 gab es wirklich, kurz vor Beginn des dreißigjährigen Krieges, in dem dann so viele Städte und Dörfer niedergebrannt werden würden. Auch Grete Minde gab es; tatsächlich war sie aber keine Brandstifterin, wie bei Fontane, sondern das Opfer einer Erbschafts-Intrige und eines willfährigen Gerichts. Sie wurde unschuldig zum Tode verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Man kann das Urteil in den Akten des Stadtarchivs nachlesen. Demnach sollten ihr ... SPRECHER 2: ... fünf Finger an der rechten Hand einer nach dem andern mit glühenden Zangen abgezwacket, nachmalen ihr Leib mit vier glühenden Zangen, nämlich in der Brust und Arm gegriffen, folglich mit eisernen Ketten uff einem erhabenen Pfahle angeschmiedet, lebendig geschmochet und also vom Leben zum Tode verrichtet werden, von Rechts wegen. MUSIK: Light my fire (The Doors) (bei 0:38 einblenden): The time to hesitate is through No time to wallow in the mire Try now we can only lose And our love become a funeral pyre Come on baby, light my fire Come on baby, light my fire Try to set the night on fire, yeah [langsam ausblenden] SPRECHERIN: Zweifellos ist die Geschichte des Feuers erst mit dem Christentum im Mittelalter so richtig angeheizt worden. SPRECHER 1: "Wer Bücher verbrennt, verbrennt am Ende auch Menschen", lautet das berühmte Zitat aus Heinrich Heines "Almansor". Aber war es historisch gesehen nicht eher umgekehrt? Menschenopfer waren doch zu einer Zeit üblich, als es noch gar keine Bücher gab. Die alttestamentarische Geschichte von Abraham, der bereit ist, seinen Sohn Isaak Gott zu opfern, dann aber das Wunder erlebt, dass der Sohn durch ein Lamm ersetzt wird, beschreibt den Übergang vom Menschen- zum Tieropfer. So gesehen wäre es doch ein weiterer zivilisatorischer Schritt, wenn schließlich nur noch Bücher brennen. SPRECHERIN: So ist es aber nicht. Weil den Inquisitoren Bücher allein nie gereicht haben. Außerdem betrachteten sie die Ketzer, die auf den Scheiterhaufen verbrannt wurden, ja nicht als Gottesopfer, so wie Abraham seinen Sohn zu opfern gewillt war, sondern vielmehr als vom Teufel oder wem auch immer Besessene, die vernichtet werden mussten. Der Geist der Intoleranz tobte sich zugleich auch in Denkverboten aus. Das ist nicht voneinander zu trennen. Denken Sie an die Kloster-Bibliothek in Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose", die in Flammen aufgeht, nachdem zuvor schon so viele Mönche sterben mussten - und alles nur, weil ein alter Mönch sein dogmatisches Wissen und seine Macht verteidigen wollte. SPRECHER 1: Den besten Beweis für diesen Verblendungszusammenhang liefern die Nationalsozialisten. Ihre Herrschaft begann mit einer Bücherverbrennung und gipfelte im millionenfachen Massenmord, ... SPRECHERIN: ... den wir seltsamerweise zumeist "Holocaust" nennen. SPRECHER 1: "Holocaust" ist ein griechischer Begriff, der über den englischen Sprachraum nach Deutschland gekommen ist. SPRECHERIN: Weil Holocaust im Altertum "Brandopfer" bedeutete, ist das aber eine äußerst fragwürdige Bezeichnung für die Vernichtung der Juden. Der industrielle Völkermord der Nazis ist dadurch unlösbar mit dem Bild des Feuers verknüpft. Dabei wurden die Menschen doch erschossen, gehenkt, vergast, und wenn ihre Leichen am Ende verbrannt wurden, dann war das kein "Opfer", sondern Konsequenz von irrsinnigem Rassismus. SPRECHER 1: Und doch sind die Verbrennungsöfen von Auschwitz zum Symbol des Massenmordes geworden. Die Krematorien markieren den letzten Akt der Vernichtung, den Ort des schwärzesten Nihilismus'. SPRECHER 2: [Paul Celan, Todesfuge] Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts wir trinken und trinken wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng SPRECHERIN: Die Öfen der Firma Topf und Söhne aus Erfurt waren so ausgelegt, dass sie mit möglichst wenig Brennstoff möglichst effizient arbeiteten. Sie funktionierten wie eine Müllverbrennungsanlage. SPRECHER 2: [Paul Celan, Todesfuge] ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng SPRECHER 1: Im Alten Testament, im Buch Daniel, steht die Geschichte von den drei Männern im Feuerofen. Es ist eine Erlösungsgeschichte, die man Auschwitz gegenüberstellen könnte. Berichtet wird von König Nebukadnezar, der ein goldenes Götzenbild aufstellen lässt und alle Untertanen auffordert, davor niederzuknien. SPRECHER 2: [Luther-Bibel, Daniel 3, 11] Wer aber alsdann nicht niederfällt und anbetet, der soll von Stund an in den glühenden Ofen geworfen werden. SRPECHER 1: Drei Juden, Sadrach, Mesach und Abed-Nego verweigern die Unterwerfungsgeste und beharren darauf, nur zu ihrem Gott beten zu wollen. Also werden die drei Männer gebunden und in den glühenden Ofen geworfen. Doch dann geschieht das Wunder: SPRECHER 2: Luther-Bibel, Daniel 3, 24-27] Da entsetzte sich der König Nebukadnezar und fuhr auf und sprach zu seinen Räten: Haben wir nicht drei Männer gebunden in das Feuer lassen werfen? Sie antworteten und sprachen zum König: Ja, Herr König. Er antwortete und sprach: Sehe ich doch vier Männer frei im Feuer gehen, und sie sind unversehrt; und der vierte ist gleich, als wäre er ein Sohn der Götter. Und Nebukadnezar trat hinzu vor das Loch des glühenden Ofens und sprach: Sadrach, Mesach, Abed-Nego, ihr Knechte Gottes des Höchsten, geht heraus und kommt her! Da gingen Sadrach, Mesach und Abed-Nego heraus aus dem Feuer. Und die Fürsten, Herren, Vögte und Räte kamen zusammen und sahen, dass das Feuer keine Macht am Leibe dieser Männer bewiesen hatte und ihr Haupthaar nicht versengt und ihre Mäntel nicht versehrt waren; ja man konnte keinen Brand an ihnen riechen. SPRECHER 1: Und so erkennt König Nebukadnezar, beeindruckt von dieser Demonstration des Glaubens, den Gott der Juden an. SPRECHERIN: Der Schriftsteller Martin Mosebach erinnerte sich an diese Geschichte, als er auf einer Reise durch Marokko in der Nähe von Fés einen archaischen Ofen sah, der ihn tief beeindruckte. So, wie er ihn zunächst beschreibt, muss man unweigerlich auch an die Verbrennungsöfen von Auschwitz denken. SPRECHER 2: [Martin Mosebach] Aus seinem Schornstein stieg eine Riesenwolke von schwarzem Rauch auf, die sich nur langsam im Himmelsblau auflöste. Wer in der Nähe dieses Ofens wohnte, musste den ganzen Tag mit der Rußschicht kämpfen, die sich über jeden Gegenstand legte. (...) Der Ofen war in die Erde gesenkt, ein großer unterirdischer Raum mit einem einzigen Zugang. Das war ein Loch, einem Kellerfenster vergleichbar. SPRECHERIN: Vor dem Ofen liegt ein riesiger Haufen groben Sägemehls mit Hobelspänen durchmischt. Ein Mann schaufelt es mit bloßen Händen durchs schwarze Ofenloch ins Feuer. SPRECHER 2: [Martin Mosebach] Das Ofenloch zeigte Feuer, nichts als Feuer. Im Freien steigen Flammen vor einem Himmel auf, der nicht brennt; man sieht Feuer sonst immer im Gegensatz zu Dingen, die nicht oder noch nicht von ihm ergriffen sind. Aber in dem großen Ofenloch zeigte sich das Feuer in reiner Ausschließlichkeit. Das Loch bot einen Blick in eine Welt, in der es nichts als Feuer gab. Feuer füllte den großen unterirdischen Raum bis in den letzten Winkel aus. Herrliches gelbes und rotes Feuer, flüssige goldene Luft, umgeben von dem schmerzenden Hitzekreis, sonst aber die schönste Naturgestalt, weniger schrecken- als staunenerregend. SPRECHERIN: So schön kann Feuer sein. Aber Mosebach verknüpft den ästhetischen Reiz mit der biblischen Geschichte von den drei Männern im Ofen, so dass der bedrohliche Aspekt mitschwingt. SPRECHER 1: Man kann Öfen gar nicht mehr anders wahrnehmen. Es gibt Worte, die im Deutschen ihre Unschuld verloren haben. Worte wie Rampe. Schornstein. Oder Ofen. Wer wüsste das besser als der aus dem Braunkohletagebaugebiet bei Meuselwitz stammende Schriftsteller Wolfgang Hilbig. Er konnte seine Texte in der DDR nicht veröffentlichen und musste als Heizer arbeiten. Darüber hat er dann auch immer wieder geschrieben, so wie in der kleinen Erzählung "Die Arbeit an den Öfen". Sie beginnt so: SPRECHER 2: [Wolfgang Hilbig, Die Arbeit an den Öfen, S. 5 ] Unliebsames wurde nicht gedruckt, das war eine Tatsache, die der Heizer C., der seine Tage im Kesselhaus für gezählt hielt, erfahren hatte, als er einmal ein paar seiner Blätter verschiedenen Redaktionen in Berlin einschickte. Nur in einem Fall erhielt er sie mit einer Erwiderung zurück: Er unterstelle den Zuständen seines Landes eine Realität, so hieß es, die weit überholt sei, was bei ihm bis in den Wortschatz reiche. Zum Beispiel habe er in einem Fall von seiner Arbeit an den Öfen gesprochen. Eine solche Formulierung beschwöre für die Darstellung werktätigen Schaffens gewollt ein Bild aus finsteren Zeiten der Geschichte herauf. Wer in einem einschlägigen Betrieb beschäftigt sei, der müsse doch wissen, dass der Begriff "Kessel" (zumindest!) einem modernen Niveau viel angemessener sei. Aber Sie wollen uns im Hinterland des Fortschritts ansiedeln ... SPRECHER 1: Hilbig lässt sich davon nicht abhalten, die "Arbeit an den Öfen" detailliert zu beschreiben: das altertümliche Kesselhaus, die Rußschicht, die dort alles bedeckt und technische Feinheiten wie den "Saugzug", den die Heizer "Sauzug" nennen: SPRECHER 2: [Wolfgang Hilbig, Die Arbeit an den Öfen, S. 12 ] Wenn beim Anheizen die vom Saugzug aufgepeitschten Flammen über die Innenwandung des Feuerraums rasten, spien die Kessel in der ersten halben Stunde Massen von Rauch und Ruß in das Kesselhaus, verzweifelt wehrten sich die noch ausgekühlten Heizflächen gegen den Ansturm des Feuers und schlugen es explosionsartig zurück ... die Heizer retteten sich ins Freie. Erst nach einer Weile fand der schwarzrote Funkenqualm den Weg durch den Schornstein, und die Heizer kehrten in ihr lärmendes Tollhaus zurück. SORECHER 1: Hier geschieht es nun immer wieder, dass Partei- Funktionäre das Verbrennen von Akten und Broschüren anordnen, Druckerzeugnisse, die nicht mehr der Parteilinie entsprechen und also nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt sind. Die Öfen sind allerdings gar nicht dafür geeignet. Die Bücher- und Aktenverbrennungen, die hier stattfinden, enden regelmäßig in einem wahren Inferno - ein Bild, in dem Hilbig präzise den Zustand der an sich selbst erstickenden und zuletzt mit großer Kraft ausbrechenden DDR-Gesellschaft erfasst. SPRECHER 2: [Wolfgang Hilbig, Die Arbeit an den Öfen, S. 17f ] Die Anlage (...) begann aus allen Öffnungen und Ritzen zu qualmen; unter der Decke des Kesselhauses stand eine immer dichter werdende schwarze Wolkenwand. Unten am Boden musste C. feststellen, dass erst ein Bruchteil des Papiers in den Kesseln war ... und schon waren sie offensichtlich verstopft. Mit einem Schürhaken, seine Länge betrug mindestens drei Meter, zog und stieß er die Papierberge durch die Sichtluken an der Vorderfront breit und verteilte die glimmende, kohlende Masse über die Rostlänge der Kessel ... dies hatte zur Folge, dass Sauerstoff hineinfuhr, wodurch sofort, mit einem dumpfen Knallen, die gesamte Papierfläche von Flammen überzogen war: obenauf, wo es nicht brennen durfte, während darunter ein sengender, schmorender Sumpf war, in dem sich nur beißende Gase, gelb wie Schwefel, entwickelten. (...) Und die Flammen über dem Papier, die auf der Suche nach Sauerstoff wie rasend hin- und herjagten, brachen gleich wieder zusammen, wenn die obere Klappe geschlossen war. C. wusste, was geschehen würde, wenn er die Klappe wieder öffnete: das erstickende Feuer suchte sich den Sauerstoff draußen, im Kesselhaus vor den Kesseln. Nach Art einer furchtbaren Stichflamme, mit fast donnerndem Fauchen, schoss ein Feuerstrahl, geformt wie die quadratische Klappenöffnung, heraus und warf sich an die Wand gegenüber den Kesseln, die Flammen brachen nach der Seite aus und umrundeten fast die ganze Wandbreite, oder flogen nach oben bis unter das Dach, oder suchten sich freie Bahn nach unten, wo sie, von der Wand her, über den Fußboden zurückfegten. Peter Kaempfe Alright, now listen, baby You don't care for me I don'-a care about that Gotta new fool, ha! I like it like that I have only one burning desire Let me stand next to your fire Let me stand next to your fire Let me stand next to your fire [bis 0:37] SPRECHER 2: (Schiller, Das Lied von der Glocke) Wohltätig ist des Feuers Macht, Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht, Und was er bildet, was er schafft, Das dankt er dieser Himmelskraft; Doch furchtbar wird die Himmelskraft, Wenn sie der Fessel sich entrafft, Einhertritt auf der eignen Spur, Die freie Tochter der Natur. Wehe, wenn sie losgelassen, Wachsend ohne Widerstand, Durch die volkbelebten Gassen Wälzt den ungeheuren Brand! Denn die Elemente hassen Das Gebild der Menschenhand. SPRECHER 1: Schillers "Lied von der Glocke" ist so etwas wie die Programmatik des bürgerlichen Zeitalters. In diesen Versen steckt die ganze Ambivalenz der bürgerlichen Epoche, die Entfesselung der Produktivkräfte ebenso wie die Möglichkeit der totalen Zerstörung. Bei Schiller überwiegt das Heroische, das Lob der Arbeit. SPRECHER 2: (Schiller, Das Lied von der Glocke) Von der Stirne heiß, rinnen muss der Schweiß. SPRECHER 1: Es ist das Loblied des Bürgertums auf sich selbst, 1799 veröffentlicht, also noch vor der Industrialisierung. Gerühmt wird die Arbeit des Glockengießers als eines ständischen Handwerkers, der noch nicht zum proletarischen Industriearbeiter herabgesunken ist. Schiller rettet das Ethos eines zu Ende gehenden Zeitalters in die neue, bürgerliche Welt hinüber. Aber schon hier, an ihrem Ausgangspunkt, ist der Hymne auf die gelingende Arbeit die Angst vor der Zerstörung eingeschrieben. SPRECHER 2: (Schiller, das Lied von der Glocke) Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis: Ehrt den König seine Würde, Ehret uns der Hände Fleiß. Holder Friede, Süße Eintracht, Weilet, eilet Freundlich über dieser Stadt! Möge nie der Tag erscheinen, Wo des rauhen Krieges Horden Dieses stille Tal durchtoben; Wo der Himmel, Den des Abends sanfte Röte Lieblich malt, Von der Dörfer, von der Städte Wildem Brande schrecklich strahlt! MUSIK: Fire (Jimi Hendrix) (instrumental) SPRECHERIN: Am Beginn des 20.Jahrhunderts, kam der Schweizer Schriftsteller Robert Walser nach Berlin. Er erlebte die Großstadt als einen bedrohlichen, unüberschaubaren Kosmos, den er als Passant durchstreifte, neugierig und ein wenig ängstlich. In kleinen Feuilletons für die Tageszeitungen hielt er seine Eindrücke fest, so auch den Moment, als in einem Haus ein Feuer ausbricht und die Menschenmenge auf der Straße von einer merkwürdigen Erregung erfasst wird. Aus allen Richtungen strömen Leute herbei um die Sensation aus der Nähe zu erleben. Der Brand zersprengt den Alltag. Die Welt scheint mit einem Mal verändert. Die sensationslüsterne Menge schaut gierig zu: SPRECHER 2: (Robert Walser, Feuer, S.37) ... und schon ist das Feuer da, es scheint, als wolle es einem entgegenspringen; eine ganze Straße ist hell und grell beleuchtet, es gleicht einem tief-südlichen Sonnenuntergang, es scheinen zehn Abende auszuleuchten, viele Sonnen auf einmal unterzugehen. Häuserfassaden gibt es da, die wie hellgelbes Papier aussehen, und rot tritt einem der Feuerschein entgegen, dick- und glühend- und wundrot, dagegen die Straßenlaternen wie mattbrennende, mit Wasser befeuchtete Zündhölzer ausschauen. (...) Wird es Menschenleben kosten? fragt man sich. (...) Hin und wieder wehen heiße Brandwinde über die Gesichter, neue Funkenschneegestöber erheben sich, ein prachtvoller Anblick. Und immer brennt es, und so und so viele Menschen schauen das Flammenschauspiel an. Der eine oder andere will gehen, aber immer wieder wird das Auge vom Feuer angezogen, unwiderstehlich. (...) Plötzlich schießt aus dem glühenden Brandloch eine majestätische Flammenerscheinung, ein wahrer feuriger Riesenkörper hoch empor, um sich weit, als ein sanft fallender Regen, hinüber in die Nachtluft zu legen, als sei da eben etwas Großes und Schönes gewesen und sterbe jetzt aus. SPRECHERIN: Das Feuer ist dank der Umsicht der Feuerwehr bald gelöscht - fast zum Bedauern der Zuschauer, die den Anblick geradezu genießen. Noch ist es nichts als ein kleines, ziviles Unglück, wie es sich nun mal ereignet seit eh und je. Und doch kommt man von heute aus gesehen nicht umhin, in Robert Walsers unschuldiger Darstellung auch schon all die kommenden Brände des 20. Jahrhunderts auflodern zu sehen - bis hin zur finalen Zerstörung der Städte im Zweiten Weltkrieg. SPRECHER 1: Ernst Jünger hat die visionäre Ahnung als "Vorbrand" bezeichnet. Sein Roman "Auf den Marmorklippen" aus dem Jahr 1939 lässt sich als anti-nazistischer Schlüsselroman lesen, in dem die Horden des diktatorischen "Oberförsters" die ganze Welt in den Untergang reißen. Es endet in einem großen Feuer, das die Städte und Dörfer erfasst. Das ist, wie immer bei Jünger, symbolisch überhöht und vor allem ein ästhetisch bemerkenswertes Schauspiel, das sich in einer Gegend abspielt, in der sich die Bodenseeregion erkennen lässt: SPRECHER 2: [Ernst Jünger, Auf den Marmorklippen, Werke XV, S.341f) Nun war die Tiefe des Verderbens in hohen Flammen offenbar geworden, und weithin leuchteten die alten und schönen Städte am Rande der Marina im Untergange auf. Sie funkelten im Feuer gleich einer Kette von Rubinen, und kräuselnd wuchs aus den dunklen Tiefen der Gewässer ihr Spiegelbild empor. Es brannten auch die Dörfer und die Weiler im weiten Lande, und aus den stolzen Schlössern und den Klöstern im Tale schlug hoch die Feuersbrunst empor. (...) Als ob der Raum ganz luftleer wäre, drang nicht ein Laut herauf, das Schauspiel dehnte sich in fürchterlicher Stille aus. Ich hörte dort unten nicht die Kinder weinen und die Mütter klagen, auch nicht das Kampfgeschrei der Sippenbünde und das Brüllen des Viehes, das in den Ställen stand. Von allen Schrecken der Vernichtung stieg zu den Marmorklippen einzig der goldene Schimmer empor. So flammen ferne Welten zur Lust der Augen in der Schönheit des Unterganges auf. SPRECHERIN: Man weiß bei Jünger nie, ob er den Untergang mehr bedauert oder genießt. Er schwelgt in der Vernichtung, die seine Romanhelden vergeblich zu verhindern suchten. Da klingt durchaus auch die berühmte "Burgunderszene" an. Im Mai 1944 stand er mit einem Glas Burgunder in der Hand, in dem Erdbeeren schwammen, auf dem Dach seines Hotels in Paris und beobachtete die Angriffe britischer Bomber: SPRECHER 2: [Ernst Jünger, Strahlungen, Werke III, 271] Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Blütenkelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird. Alles war Schauspiel, war reine, von Schmerz bejahte und erhöhte Macht. SPRECHER 1: Tatsächlich kommt der Schmerz, den er feiert, in dieser Ästhetisierung des Schreckens gar nicht vor. Jünger beschwört den Untergang, verwandelt ihn aber in etwas Produktives, Gewaltiges. Oder auch nur in ein Theaterstück. So kann man sich die Wirklichkeit auch vom Leib halten. In den "Marmorklippen" demonstriert er diese Haltung: SPRECHER 2: [Ernst Jünger, Auf den Marmorklippen, Werke XV, S.342) Die Flammen ragten wie goldene Palmen rauchlos in die unbewegte Luft, indes aus ihren Kronen ein Feuerregen fiel. Hoch über diesem Funkenwirbel schwebten rot angestrahlte Taubenschwärme und Reiher, die aus dem Schilfe aufgestiegen waren, in der Nacht. Sie kreisten, bis ihr Gefieder sich in Flammen hüllte, dann sanken sie wie brennende Lampione in die Feuersbrunst hinab. SPRECHERIN: Wer würde da nicht an Bombergeschwader denken, an Flakgeschütze und abstürzende Flugzeuge beim Luftkampf über den brennenden Städten? Diese Bilder waren ja auch schon 1939 nicht ganz unbekannt: Was Jünger als "Vision" bezeichnet, hatten die Spanier im Spanischen Bürgerkrieg schon erlebt: Es war Hitlers Legion Condor, die dort das Bombardement geübt und eine Stadt wie Guernica dem Erdboden gleich gemacht hatte. SPRECHER 1: Und doch sollte man Jüngers Bilder vor Augen haben, um sie mit den Schilderungen eines britischen Bomberpiloten über Dresden zu vergleichen, der in der Nacht des 13. Februar 1945 auf die brennende Stadt hinunterblickt: SPRECHER 2: (aus: Walter Kempowski, Das Echolot, IV, 770) Nach meiner Schätzung umfasste das Feuermeer eine Fläche von etwa hundert Quadratkilometern. Die von dem Feuerofen heraufsteigende Hitze war bis in meine Kanzel zu spüren. Der Himmel hatte sich leuchtend rot und weiß gefärbt, und das Licht in der Maschine glich dem eines gespenstisch anmutenden Sonnenuntergangs im Herbst. Obwohl wir uns allein über der Stadt befanden war unser Entsetzen über den furchtbaren Feuerschein so groß, dass wir viele Minuten lang über der Stadt kreisten, bevor wir, ganz unter dem Eindruck des dort unten gewiss herrschenden Grauens, auf Heimatkurs gingen. Wir konnten den Schein des Feuerorkans noch dreißig Minuten nach Antritt des Heimfluges sehen. SPRECHER 1: Walter Kempowski hat in seinem "Echolot" Stimmen wie diese gesammelt, Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Berichte, die in den Stunden der Zerstörung gipfeln und zu einem großen, apokalyptischen Chor zusammenschließen. Der Soldat Rudolf Thomas: SPRECHER 2: Rundherum ein Flammenmeer. Alles brannte, aus den Häusern kamen Hilfeschreie, aber keiner konnte helfen. Die Verwundeten, die auf der Trage lagen, konnten sich der umherfliegenden Funken nicht erwehren. Wir, die wir laufen konnten, krochen von Trage zu Trage, um die Funken zu löschen. SPRECHER 1: Oberzahlmeister Gerhard Erich Bähr: SPRECHER 2: Gegenüber auf dem Stephanienplatz brannte das neue Gemeindehaus, in dem die Lazarett-Verwaltung war, wie eine Fackel. Es sah grausig schön aus,. wie glühendes Glas. SPRECHER 1: Die Hauswirtschaftslehrerin Herta Daecke: SPRECHERIN: Der Sturm, wütet und ein Regen setzt ein. An allen Ecken brennt es, und meine Landesbauernschaft steht von unten bis oben in gelben Flammen. Der Rathausturm steht noch, aber der Turm beim Hauptbahnhof wird immer mehr umzingelt und neigt sich immer mehr. SPRECHER 1: Der Maler Otto Griebel: SPRECHER 2: Aus dem Gebäude des Albertinums, das ebenfalls getroffen war, entströmten Menschen in Scharen den brennenden Kellern, in denen sie während des Angriffs Schutz gefunden hatten. Ich sah, elbabwärts schauend, das Opernhaus lichterloh brennen und die scheinbar noch heilen Türme der Stadt dunkel gegen den brandhellen Nachthimmel ragen. SPRECHER 1: Der Feuerschutzinspektor Hans Rumpf: SPRECHER 2: Die Erscheinungsformen eines solchen Naturereignisses können die normalen Eigenschaften der Atmosphäre bis zu einem Grade verändern, dass in ihr organisches Leben nicht mehr möglich ist und erlischt. SPRECHER 1: Der Romanist Victor Klemperer: SPRECHER 2: Ich konnte das Einzelne nicht unterscheiden, ich sah nur überall Flammen, hörte den Lärm des Feuers und des Sturms, empfand die fürchterliche innere Spannung. Nach einer Weile sagte Eisenmann: "Wir müssen zur Elbe hinunter, wir werden durchkommen." SPRECHER 1: Eine Frau: SPRECHERIN: Nach dem Angriff wankten wir aus der Stadt raus und sahen die Toten, die am Wege lagen, halb verkohlt, andere noch unversehrt: die waren erstickt. SPRECHER 1: Viele Autoren haben seither über die Zerstörung Dresdens geschrieben, zuletzt auch der erst zwanzig Jahre später geborene Marcel Beyer, der in seinem Roman "Kaltenburg" brennende Vögel vom Himmel fallen lässt. SPRECHER 2: [Marcel Beyer, Kaltenburg, S. 93] Überall kamen diese verbrannten Brocken herunter, (...) ich hörte sie überall um mich herum auf dem Boden aufschlagen, als kämen sie näher, als kreisten mich die tot aus dem Himmel fallenden Vögel ein. Spechte, die aus ihrer Höhle im brennenden Baum entkommen waren. Ein Waldkauz, der auf dem Ansitz vom hereinbrechenden Feuer, vom Flugzeuglärm aus seiner sonst so stoischen, an Totenstarre gemahnenden Ruhe gerissen worden war und nun panische Luftbewegungen vollführte, um die Flammen zu löschen, die von der Schwanzdecke her kommend, schon an seinen Armschwingen fraßen. Und Ringeltauben, die sich (...) bei den ungeheuren Temperaturen auch in höheren Luftschichten mitten im Flug entzündeten. SPRECHERIN: Seltsam, wie sich diese apokalyptischen Bilder bei den Nachgeborenen erhalten haben, ja, sich mit dem historischen Abstand sogar noch verstärken. Vielleicht lodern die Flammen der Städte deshalb so hoch, weil sie in der deutschen Kollektivseele als Purgatorium dienen. Das Feuer der Zerstörung wird als verdiente Strafe empfunden, aber auch als eine Art Sühne für die begangenen Untaten. SPRECHER 1: Als würde sich die Apokalypse des Johannes bewahrheiten. SPRECHER 2: [Apokalypse, 20,99 Und es fiel Feuer von Gott aus dem Himmel und verzehrte sie. MUSIK: All my bridges burning (Los Lobos) (zuvor einblenden, Text ab 0:30) When we were young Taking time to believe If only to survive What you gotta believe If only to survive Survive in this world In this crazy life Gotta give it a whirl All my bridges burning Almost burnin' down All my bridges burning Burning to the ground It's burning down Burning down - 2 -