COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Atmo: Mittagsgebet, übergehend in jemenitische Volksmusik Zitator Sanaa, Hauptstadt des Jemen, kurz nach dem Mittagsgebet. Anstatt zurück zur Arbeit zu gehen, sitzen viele in Gruppen zusammen und kauen Kat: eine Pflanze mit hellgrünen Blättern. Besonders die Zweigspitzen werden als aufputschendes Rauschmittel konsumiert. Es heißt, sogar in den Ministerien werde nur noch drei Stunden am Tag gearbeitet, danach gebetet und dann Kat gekaut. Es regt den Geist an, sagen seine Anhänger. Kat ruiniert unser Land, erwidern seine Gegner. Atmo: Verkehrsgeräusche Bangkok Zitator Am Nachmittag in Bangkok: In der thailändischen Hauptstadt sitzt ein junger Mann in einem Hauseingang über ein Stück Alufolie gebeugt. Durch ein Röhrchen saugt er den aufsteigenden Rauch auf. "Yaba" heißt die Billigdroge. Sie ist ein Metamphetamin. Neu ist nur der Name "Yaba": In Deutschland wurde die Substanz schon im Zweiten Weltkrieg unter dem Spitznamen "Panzerschokolade" verwendet: zur Dämpfung des Angstgefühls und zur Steigerung der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit der Soldaten. Atmo: Biergarten mit bayerischer Volksmusik Zitator In München ist es Mittag: In einem Biergarten steht vor fast jedem zweiten Gast ein Maßkrug mit Bier - Füllvolumen: ein Liter. Man muss schnell trinken, damit das Bier nicht schal wird. Ist denn Bier, zumal in einer solchen Menge, etwa keine "Droge"? Viele Bayern würden das wohl verneinen. Nach Umfragen trinkt im Freistaat jeder Fünfte täglich Bier. Musik: Viper´s Crag - Fats Walle: Intro bis 0:17 ODER Intro: Heroin: Velvet Underground (Instrumental-Intro bis 0:51 ruhig) Sprecher 1: Dass heute keine Gesellschaft ganz ohne Rauschmittel auskommt - darin sind sich Kulturhistoriker und Suchtforscher weitgehend einig. Darüber hinaus endet aber der Konsens meistens. Schon eine Definition von "Drogen" ist nicht leicht. Die österreichische Historikerin Birgit Bolognese- Leuchtenmüller: O-Ton 1b: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Also ich glaube, dass die probateste Definition sein müsste, unter Drogen alle die Substanzen zu verstehen, die psychoaktive Wirksamkeit entfalten... Schon um etwas zu vermeiden, was ja generell häufig passiert, dass man mit Drogen eigentlich nur die illegalen Substanzen meint und sogar schon unterscheiden muss Alkohol und Drogen, ja so, als wäre Alkohol keine Droge." (0:25) Sprecher 1: Auch die Frage, warum die Menschen nicht von den Drogen lassen können, ist schwierig zu beantworten. O-Ton 1a: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Ich denke das gehört in Wirklichkeit zur grundsätzlichen Verfasstheit der Menschheit dazu, dass sie immer nach Strategien suchen wird, und diese auch nutzen wird, wie man Leben bewältigt. Und das gehört auch zum zweiten dazu, dass man grundsätzlich dazu tendiert, Menschen dazu tendieren, die Realität zu überschreiten." (0:20) Sprecher 1: Noch komplexer wird es, wenn man sich fragt, warum welche Rauschmittel zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Kultur populär waren - und andere nicht? Atmo: Chemielabor, Blubbern von Chemikalien im Reagenzglas Sprecher 1: Wer beeinflusst wen: die Drogen die Gesellschaft oder die Gesellschaft den Drogenkonsum? Wir haben uns auf eine Reise durch Zeit und Raum begeben - mit dabei die Professorin Bolognose-Leuchtenmüller, die Reiselektüre "High Times", eine Kulturgeschichte der Drogen von Mike Jay, und jede Menge Selbsterfahrungsberichte: Musik: Blues Song: Junkers Blues - Champion Jack Dupree Sprecher 1: LSD wurde seit den 1950er Jahren zur Behandlung in der Psychiatrie verwendet - bis es in Deutschland 1971 verboten wurde. Musik kurz hochziehen Sprecher 1: Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren auch noch andere heute "illegaler" Drogen" - wie Opium und Heroin, Kokain oder Haschisch - bei jedem besseren Apotheker zu haben. Musik kurz hochziehen Sprecher 1: Alkohol dagegen ist bei uns bis heute ein "legales" Rauschmittel. Dabei sind seine gesundheitsschädlichen Wirkungen schon lange bekannt. O-Ton 3: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Es ist ein sehr spannender Prozess, welche Drogen werden in die Illegalität abgedrängt, das sind meistens die deren Wirkungen man nicht aus der eigenen Tradition, aus der eigenen Vergangenheit her bewerten kann, sie auch nicht einordnen kann..." (0:15) O-Ton 4: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Das heißt man nimmt im Grunde genommen bevorzugt jene Droge, die man erstens selber besitzt, oder die man leicht erreichen kann. Die man b) - das ist ganz wichtig - wirtschaftlich nutzen kann. Das ist eindeutig bei der Alkoholwirtschaft der Fall, und c) die man glaubt auf Grund der langen Tradition auch besser im Griff zu haben... (0:19) Sprecher 1: Einen ersten Höhepunkt erlebte die Alkoholverbreitung in Mitteleuropa schließlich im 16. Jahrhundert: O-Ton 5: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Es tauchen zum ersten Mal die hochprozentigen Alkoholika auf, durch die Einführung des Destillationsverfahrens... Jetzt müssen sie bedenken, dass etwa gerade beim Alkohol nichts Hochprozentiges zur Verfügung gestanden ist. Wenn überhaupt, dann nur als Medizin, sehr rar. Mit dem Destillationsverfahren auf einmal Massenproduktion von hochprozentigem Alkohol möglich war. Die Menschen aber ihre alten Trinkstile beibehalten haben..." (0:35) O-Ton 6: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Da gibt's die Quellen, die etwa davon sprechen, dass die Menschen bis zu einem Liter Branntwein pro Tag getrunken hätten. Das ist mit äußerster Vorsicht zu behandeln. Was man allerdings sehr ernst nehmen muss, dass die sozialen Konsequenzen den Leuten bewusst waren. Sie haben registriert, dass eben sehr viele Menschen sich mehr oder weniger - wir würden heute sagen - sich besinnungslos getrunken haben."(0:24) Atmo/Musik: Arabisches / Wüstenmusik Sprecher 1: Im arabischen Kulturkreis hatte man sich dagegen schon Jahrhunderte vorher vom Alkohol abgewendet. Laut des britischen Historikers Mike Jay ein Zeichen für einen "tiefgreifenden sozialen Wandel": Atmo: Schreib-Geräusche (oder ähnliches Wiedererkennungs-Geräusch für Mike Jay) Zitator Mike Jay: "Die mit dem Islam zur Macht gelangende Kultur sah ihren hauptsächlichen Gegner in den bis dato dominierenden Kaufleuten der mittelmeerischen Küstenstädte. Die Eroberer waren nomadisch lebende Händler und entstammten einer Wüstenkultur, deren Tugenden in Würde und Selbstachtung lagen und ihren Ausdruck in asketisch-einfachen Lebensgewohnheiten fanden. Die städtischen Kaufleute waren für sie eine dekadente und korrupte Elite, die ihren Reichtum lasterhaft verschwendete, indem sie sich am Wein berauschte... Musik: Let´s have another Cup of Coffee - Waring´s Pennsylvannians (bis 0:48 instrumental) Sprecher 1: Für Europa bedeutete dagegen die Entdeckung Amerikas Ende des 15. Jahrhunderts eine Wende: Jetzt kamen eine Vielzahl von halluzinogenen Drogen in die "Alte Welt", die hier vorher noch unbekannt waren. Und mit den "Genussmitteln" Zucker, Tabak, Tee und Kaffee begann der weltweite Drogenhandel. Musik kurz hochziehen, bei 0:48, wichtig ab 0:54 ODER Atmo: Knarrende Planken Sprecher 1: England zum Beispiel tauschte in China den heißbegehrten Schwarzen Tee gegen Opium, was dazu führte, dass die Zahl der Opiumabhängigen in China ins Unermessliche stieg. Am Ende kam es zu zwei "Opiumkriegen" zwischen den Chinesen und den Briten. Atmo: Fanfare Sprecher 1: Kriege dienten oft auch zur Verbreitung neuer Rauschmittel: O-Ton 7: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller ... "Kriege bewirken immer, dass Bevölkerungsteile an Drogen gelangen die in Anführungszeichen unter normalen Verhältnissen nie dorthin gekommen wären, die wären gar nie mit dieser Droge in Verbindung gekommen... Wenn Sie zum Beispiel nehmen, dass im Krimkrieg sich dann die Kultur des Zigarettenrauchens durchgesetzt hat. An sich eine ganz banale Erklärung dafür, sie haben einfach in einem Krieg nicht die Gelegenheit sich gemütlich in eine Ecke zu setzen und Pfeife zu rauchen. Da braucht´s etwas schnelles, was leicht konsumierbares, etwas leicht Mitführbares." (0:40) Atmo: Zigarette anzünden und Rauch ausatmen Sprecher 1: Bevor sich in Europa ein zentrales Motiv für den Drogenkonsum der Moderne entwickelte, sollte es indes noch bis zum 19. Jahrhundert dauern. Der Kulturwissenschaftler Alexander Kupfer spricht von einer "Individualisierung des Rausches". O-Ton: Alexander Kupfer (bis 0:09 klassische Musik) "Mit der Romantik beginnt auch, was die Wahrnehmung der Drogen angeht, eine entscheidende Wende. (Ich habe das auch versucht, in meinen Büchern deutlich zu machen): In der Zeit bis etwa 1800 gibt es im Wesentlichen drei Motivationen, die zum Drogenkonsum motiviert haben: Das sind einmal religiöse Motivationen, gesellschaftliche, also soziale - das Trinken von Wein in Gesellschaft -, und heilkundliche Motivationen. Etwas anderes gab es eigentlich nicht. Aber mit der Wende zum 19. Jahrhundert kommt etwas hinzu, was vorher für völlig belanglos gehalten wurde und gar nicht eigentlich wahrgenommen wurde, nämlich der individuelle Rausch, das Rauscherleben das nicht als Teilhaben an einer göttlichen Ordnung gedeutet wird wie bei Naturvölkern oder bei früheren Kulturen, bei denen Rauschmittel eine Rolle spielten, sondern als eine ganz bewusste Vereinzelung des Berauschten. Der Berauschte zieht sich vor der Gesellschaft, vor der Welt in sich selbst zurück. Das ist wirklich ein bedeutender Wandel, der hier stattfindet. " (1:19) Sprecher 1: Jetzt wurden Drogen-Selbstversuche unter Dichtern und Denkern zur Mode. Charles Baudelaire etwa gehörte zu jenem Kreis von illustren Literaten, die sich im Pariser "Club de Haschischins" trafen. Baudelaire war dabei weniger dem Hasch als dem Opium verfallen. Nach schmerzhaften Sucht- Erfahrungen kommt er - als einer der ersten seiner Zeit - zu einem ernüchternden Urteil: O-Ton: Alexander Kupfer Mit Musik Sound unterlegt, bis 0:09 "Baudelaire schreibt zwar nur über das Haschisch, aber seine Absage an das Haschisch ist genauso als eine Absage an das Opium zu lesen und an die Droge überhaupt. Wenn man das weiß, dann muss man sehen, dass Baudelaire der Droge bescheinigt, dass sie Unglaubliches freisetzen kann. Die Droge erzeugt kein Genie, sie bringt keine Visionen heraus, die sozusagen in den Molekülen schon drin waren, sondern sie führt nur zu bestimmten Wahrnehmungen, die etwas akzentuieren, was in der Person aber schon drin sein muss. Und deshalb sagt Baudelaire, also die Droge kann bestenfalls ein Vergrößerungsspiegel der Seele sein, beleuchtet bestimmte Inhalte, die man sonst nicht so klar sieht, stärker, trübt dafür andere Bereiche und dann die Bitterkeit und Ernüchterung nach dem Abklingen des Rausches, wo man feststellt: Jetzt kann ich wieder schreiben und der Bleistift kommt aufs Papier, aber das Verständnis für die unerhörte Erkenntnis ist irgendwie nicht mehr da. Alles, was man aufschreibt, sind nur noch Worte. Atmo: Film Confessions of an Opium Eater Zitator: Charles Baudelaire "Der Haschisch überzieht... dein ganzes Leben wie mit magischem Lack. Er färbt es feierlich ein und hellt alle Tiefen auf. Zackige Landschaften, fliehende Horizonte... der erste beste Satz, wenn deine Augen auf ein Buch fallen, - alles, in einem Wort, die Universalität der Wesen steht in einem neuen bis dahin ungeahnten Glanz vor dir auf... Musik... spricht zu dir von dir selbst und erzählt dir das Gedicht deines Lebens. Sie verkörpert sich dir und löst dich in ihr auf..." Sprecher 1: Mit der Etablierung der Chemie als Wissenschaft und der Gründung pharmazeutischer Unternehmen entstehen im 19. Jahrhundert gleichzeitig Muster und Mechanismen, die für die Erfindung und Verbreitung neuer Drogen bis heute kennzeichnend sind: Atmo: Chemielabor Sprecher 1: Wissenschaftler und Mediziner gewinnen aus Pflanzen und Heilkräutern synthetische Drogen, deren Wirkungen sie im Selbstversuch testen. Pharmazeutische Firmen machen diese dann zu marktfähigen Produkten. Atmo: Intro Money - Pink Floyd O-Ton 8: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Sie wissen, dass Heroin nur 1898 auf den Markt kam, und eine ungeheure Erfolgsgeschichte war, weil man unter anderem geglaubt hat, man war ganz begeistert, dass die Leute heut kein Morphium mehr nehmen, wenn sie Heroin kriegen können. War sich aber über den Zusammenhang gar nicht im Klaren, dass das wesentlich stärker suchtbildend wirkt..." (0:20) Sprecher 1: Langsam wandelte sich die gesellschaftliche Bewertung vieler Drogen - und ihre Konsumenten wurden allmählich zu "Süchtigen". O-Ton NEU: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Also ich würde sagen wir haben generell einen bis praktisch Ende des 19. Jahrhunderts einen wesentlich sorgloseren Umgang mit Drogen. Ganz klar, weil ja die medizinischen Konsequenzen nicht bewusst waren, bis zu dem Zeitpunkt." (0:15) O-Ton 9: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Das ist das Problem mit dem wir noch heute zu tun haben, dass nicht erkannt wurde, dass Sucht eine Krankheit ist. D.h. man hat sozusagen die Ursachen für Suchtverhalten oder Abhängigkeit immer in charakterlichen oder moralischen vor allem Willensschwächen gesehen. Und es hat unendlich lang gedauert bis daraus auch ein dezidiertes Krankheitsverständnis wurde."(0:26) Musik: Arbeiterlied, instrumental Sprecher 1: Anfang des 20. Jahrhunderts steht neben der "Opiumgeißel" vor allem die "Alkoholfrage" im Mittelpunkt einer großen sozialen Debatte in Europa und den USA - die Arbeiterbewegung ist alarmiert: O-Ton 10b: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Also es gibt ja dieses bekannte Zitat, das mehr oder weniger praktisch auf die Fahnen aller europäischer Arbeiterbewegungen geheftet wurde. Das wörtlich geheißen hat: Der trinkende Arbeiter denkt nicht, und der denkende Arbeiter trinkt nicht...(0:14) Sprecher 1: In den USA wird schließlich 1919 die Einführung, Herstellung und der Verkauf von Alkohol unter Strafe gestellt - mit ungeahnten Folgen. Der britische Historiker Mike Jay: Musik: Sendin´the Vipers - Mezz Mezzrow & Orchestra Atmo: Schreib-Geräusche (oder ähnliches Wiedererkennungs-Geräusch für Mike Jay) Zitator: "Schon nach wenigen Wochen waren aus der Prohibitionsära die Roaring Twenties geworden, und den Alkoholhandel hatte das organisierte Verbrechen mit großer Begeisterung übernommen... Das Trinken breitete sich nun auch in Gesellschaftsschichten aus, wo es bislang noch nicht Fuß gefasst hatte, vor allem bei jungen Frauen, für die der Coctail als schmackhafte Möglichkeit zum Genuss der allgegenwärtigen starken Alkoholika erfunden wurde." Sprecher 1: In der New Yorker Jazz-Szene hält wenige Jahre später eine neue Droge Einzug: Gras, auch "weed" oder "hemp" genannt. Man pflegt einen "Jive" genannten Underground-Slang, der "Joints" etwa als "Reefer" kennt. Musik: Viper´s Crag - Fats Waller (mit oder ohne Intro bis 0:17, bis ca. 0:42 frei stehend) Sprecher 1: Musik und Drogen werden danach zu einem unzertrennlichen Paar. Der Klarinettist Mezz Mezzrow: Musik: Sendin´the Vipers - Mezz Mezzrow & Orchestra Zitator: Mezz Mezzrow "[... Unsere Musik war inspirativ, sie strahlte. Ich hörte mein Instrument so, als spielte es gerade in meinem Kopf... der summt wie ein Lautsprecher. ] [Mit meinem... Horn konnte ich all die üblen bedrohlichen Dinge der Welt absorbieren und sie in perfekte Harmonie verwandeln.] Diese Musik verbreitet Frieden, Freude und Entspannung, selbst bei den verkrampften und aggressiven Leuten überall. Ich begann geradezu paradiesisch auf meinem Horn zu predigen und führte so alle Sünder zur Erlösung." Musik kurz hochziehen Sprecher 1: Doch die Mitarbeiter der US-Drogenbehörde hielten diesen Weg zur Erlösung durch eine seit Jahrhunderten bekannte Naturdroge schlicht für eine Straftat. Atmo: Schreib-Geräusche (oder ähnliches Wiedererkennungs-Geräusch für Mike Jay) Zitator: Mike Jay "Als das [Alkohol-] Verbot 1932 aufgehoben wurde, war damit als Nebenwirkung das intensivere Vorgehen gegen andere Drogen verbunden. Tausende von Polizisten und Verwaltungsangestellten der Alkoholbehörde... wechselten zur Drogenbehörde, deren Leiter... alle Kräfte daran setzte, dem Kampf gegen die Drogengefahr höchste Priorität zu sichern. Er weitete die Kategorie auf Cannabis aus, das er in `Marihuana´ umtaufte, um es mit den mexikanischen Einwanderern in Verbindung zu bringen. Damit grenzte er es von der vertrauten und harmlos klingenden Bezeichnung `Hanf´ ab". Atmo/Musik: Amazonas-Indianer Sprecher 1: 20 Jahre später begibt sich der Schriftsteller William Burroughs im Amazonas-Urwald auf die Suche nach der "Wunderdroge". Atmo/Musik kurz hochziehen Sprecher 1: 1953 nimmt er "Yage", eine Droge der Indianer, die so genannte "Liane der Geister". Zitator: "Es ist die potenteste Droge, die ich je genommen habe. Will sagen, sie sorgt für die totale Verwirrung der Sinne... Es handelt sich dabei nicht um den chemischen Auftrieb von C, die asexuelle schreckliche klare Stasis von Junk, den pflanzlichen Alptraum von Peyotl oder die komische Albernheit von Gras. Es ist eine wahnsinnige überwältigende Vergewaltigung der Sinne." Musik: Intro: Heroin: Velvet Underground (Instrumental-Intro bis 0:51, ruhig weiter bis ca. 1:27, ruhig weiter ab 1:44... Sprecher 1: Doch Burroughs´Traum von der bewusstseinserweiternden Idealdroge erweist sich als Illusion: Auch Yage verwandelte sich in seinen Händen zu "Junk", er treibt weiter von einer Droge zur nächsten, von einem Absturz zum anderen. Musik kurz hochziehen Sprecher 1: Dann gelingt Burroughs ein erster erfolgreicher Entzug. Fortan braucht er zum Schreiben in der Regel "nur" noch Marihuana und Alkohol. Er wird erstaunliche 83 Jahre alt. Burroughs letzter Tagebucheintrag lautet: Zitator: "Liebe? Was ist das? Das natürlichste Schmerzmittel, das es gibt." Sprecher 1: Auch andere wollten Erfahrungen mit halluzinogenen Drogen machen, aber doch mit mehr Vorsicht und Bedacht als Burroughs - zum Beispiel der Entdecker des LSD, der Pharmakologe Albert Hofmann: O-Ton Albert Hofmann: "Dann haben wir in unserem Haus in Bosnien im privaten Kreis dann für mich den ersten psychedelischen geplanten Versuch gemacht. Ich wusste genau, wie viel man nehmen muss, die Familie war außer dem Haus. Meine Frau hat vorbereitet, einen schönen Blumenstrauß, wirklich eine schöne Umgebung... Und das war wunderschön. Das LSD gehört nicht in die Fabrik, gehört nicht in die Technik. Das LSD gehört in die Natur." Musik: Born to be wild - Steppenwolf (mit Motorrad-Intro) oder The Pusher (instrumental bis 0:34) Sprecher 1: Die 1960er-Jahre brachten schließlich einen weiteren Durchbruch, und es wurde mit LSD und Meskalin, Marihuana und jeglicher Art psychedelischer Pilze experimentiert. Zitator: "Turn on, tune in, drop out" Sprecher 1: so lautete das Motto des LSD-Papstes Timothy Leary. Zitator: Timothy Leary "Finde ein Sakrament, das Dich zu Gott bringt und zu Deinem eigenen Körper; geh über Dich hinaus, verwandle Dich!" [Musik: White Rabbit] Sprecher 1: So wie Jack Nicholson im Film "Easy Rider" von 1969: Als junger Anwalt trampt Nicholson mit zwei "Motorrad-Rockern mit und raucht am Lagerfeuer seinen ersten Joint. Doch ist "Easy Rider" auch ein Symbol für eine erste Ernüchterung der "Hippie"-Bewegung, und ein Abgesang auf den Drogenkult seiner Zeit. Im Film wird das vor allem durch eine feindlich gesinnte Mehrheitsgesellschaft sichtbar - Nicholson wird mit einem Baseball-Schläger zu Tode geprügelt, seine Tramper-Freunde am Ende von einem Truck-Fahrer erschossen. Sprecher 1: Aber die Erde drehte sich weiter. Und so wie sich die Gesellschaft entwickelte und "globalisierte", veränderte sich auch der Drogengebrauch in der westlichen Welt: Der Konsum vieler als "illegal" deklarierter Rauschstoffe verbreitete sich massenhaft über den Erdball. Musik: White Lines -Grandmaster Flash (0:18: "Bass, 0:25: "White lines...", Break: 1:15, 2:38, 2:55) Sprecher 1: Es kamen die 80er Jahre. Es war die Zeit von "Disco"-Musik und beginnender Deregulierung, der "Reagonomics" und IWF-Sparprogramme. Das Ego-stärkende Kokain wurde zum Schmierstoff für den aufstrebenden Turbokapitalismus. Musik kurz hochziehen Sprecher 1: Kein "bewusstseinserweiterndes" Mittelchen also, sondern eine Droge, die dabei helfen soll, in einer "Konkurrenzgesellschaft" zu bestehen. Musik: Trainspotting: Born Slippy - Underworld (Intro I: bis 0:27, Intro 2, mit Gesang: bis 1:47) Sprecher 1: Seither haben Leistungsdruck und Individualisierung wohl noch zugenommen. So ist es auch kein Zufall, dass in den "individualisierten" 90er-Jahren mit der Techno-Bewegung eine Droge wie "Ecstasy" das Aufgehen des Einzelnen in der Masse zelebrierte. Yana Schulz: "Die Wirkung setzte nach circa 30 Minuten ein. Irgendetwas übernahm in meinem Kopf die Führung und breitete sich wie warmes Wasser aus. Der Boden wurde weich und meine Wahrnehmung auch, mich überkam eine warme Welle an positiven Gefühlen. Und was ich nicht mehr mit Worten ausdrücken konnte, packte ich mit großer Intensität und Wucht in Umarmungen, Berührungen und Bewegungen. Und bedachte gerne auch Fremde mit einem Blick, der sagen sollte: Alles wird gut! Atmo: Crash, die II. (Easy Rider) Musik: New Kind of Kick - Shizuo Sprecher 1: Das Internet erleichtert heute den Zugang zu vielen Drogen - und schafft auch eine Plattform, um sich auszutauschen. Es gibt Foren, die sich mit Fragen wie "Kieferprobleme bei Upperkonsum - was kann man dagegen tun?" beschäftigen und Empfehlungen zu Substanzen geben, deren Namen man noch nie gehört hat. Zitator: "Drogentechnisch kann ich jedenfalls nur folgendes Fazit abgeben: 5- Meo-DMT ist nicht ganz ohne! ... Es ist ratsam 5-Meo-DMT in höherer Dosierung nur bei gefestigtem Weltbild und einer guten Beziehung zum eigenen Bewusstsein zu konsumieren... Also, macht euch auf jeden Fall auf was gefasst! Ansonsten wünsche ich jedem eine gute Beziehung zu seinem eigenen Ich, denn das ist doch das Allerwichtigste! Liebe Grüße, Basti!... [Musik: Neu / Tangerine Dream O-Ton 11a: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "... Ich glaube, dass unser Drogenkonsum oder der Drogenkonsum im 21.Jahrhundert maßgeblich davon bestimmt ist, dass wir etwa gewohnt sind, uns Medikamente zuzuführen, relativ sorglos[, selbst harmlose.] Ich meine jetzt nicht irgendwelche... zu Drogenzwecken, sondern Medikamente ganz allgemein... Hilfsmittel wie schmerzbekämpfende oder anregende oder beruhigende... (0:22) Atmo: Schreib-Geräusche (oder ähnliches Wiedererkennungs-Geräusch für Mike Jay) Zitator: Mike Jay "Seit Präsident George W. Bush die 1990er-Jahre zum `Jahrzehnt des Gehirns´ ernannte, hat eine `Neurotransmitter-Revolution´ das Spektrum der psychotropen Arzneien erweitert und die Entwicklung von Drogen in Aussicht gestellt, die Patienten ein dauerhaftes Wohlbefinden ermöglichen könnten... (Sie) versprechen die Verbesserung der Gehirnfunktion und des Gedächtnisses und sogar erhöhte Kreativität und gesteigertes Wohlbefinden." Atmo: Vogelgezwitscher Sprecher 1: Die "ideale" Droge, William Burroughs hat sie gesucht und auch Aldous Huxley hat sie beschrieben: Eine Droge, die glücklich, aber nicht süchtig macht. Zitator: Aldous Huxley "Was benötigt wird, ist eine neue Droge, die unserer leidenden Spezies Erleichterung und Trost brächte, ohne auf Dauer mehr zu schaden, als auf kurze Zeit gut zu tun." Sprecher 1: Hätten wir das mit der Dosierung nur besser im Griff. Wer ist also der Teufel: die Droge oder der Konsument? Schon in der Spätantike schrieb der griechische Arzt Dioskurides: "Die Eigenschaften liegen nicht in der Substanz selbst, sondern in der Dosis, die eingenommen wird." Warum gerät uns die Angelegenheit aber immer wieder außer Kontrolle? Musik/Atmo: Bacardi-Feeling- oder Coca Cola-Werbesong Sprecher 1: Manche Experten gehen so weit, die Suchtneigung des Menschen auf die Konsumgesellschaft zurückzuführen, in der materielle Dinge Glück verheißen. Der Drogen- und Sexualforscher Günter Amendt: O-Ton: Günter Amendt-1 "Also meine Grundthese ist, *dass eine Konsumgesellschaft in ihrer Grundstruktur identisch mit einer Suchtgesellschaft ist - in einer Gesellschaft, in der auf der einen Seite Drogen dämonisiert werden, auf der anderen Seite ganz offen kokettiert wird mit Suchtstruktur; ja, ich gehe sogar soweit, zu sagen, dass im Grunde das Suchtmoment, das in einem Produkt angelegt ist, sozusagen die höchste aller Versprechungen ist (0:39), die man machen kann, wenn man versucht, ein Produkt an den Mann oder die Frau zu bringen. (0:44) Sprecher 1: Der Sozialwissenschaftler Günter Amendt war einer der renommiertesten Drogenexperten Deutschlands und vehementer Gegner der weltweit praktizierten Drogenprohibition: O-Ton: Günter Amendt-2 "Und die Schlussfolgerung ist ja, dass ich tatsächlich für eine regulierte Freigabe von Drogen eintrete. Diese Positionsveränderung begründe ich damit, dass ich die Macht des Drogenkapitals für eine derartig starke Gefährdung der gesellschaftlichen Strukturen halte, dass es ein gesamtgesellschaftliches Interesse geben muss, das Drogenproblem zu entschärfen... Die Gesellschaft wird sich immer mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass Menschen Drogen nehmen. Damit muss man leben." (0:35) Sprecher 1: Am 12. März 2011 kam Günter Amendt in Hamburg auf tragische Weise ums Leben: Ein offenbar bekiffter Autofahrer kam von der Straße ab, erfasste Amendt und vier weitere Personen auf dem Gehweg und riss sie in den Tod... Musik: evtl. (langsamerer) Tango Zitatorin Die guten Droguen - Ferdinand Hardekopf [von einem Mädchen (!) im Cabaret d´Art gesungen] "Ich bet sie an, die gnadenreichen Droguen, Die uns der Erdenhäßlichkeit entziehn, ... O Cyankali, Mörder, nimm mich hin, Extrakt des Teufels, stille mein Verlangen, Weil ich der Liebestränke müde bin! Wie lächerlich sind alle Küsse, Die ganze Lust-Maschinerie! Doch gibts berauschende Genüsse In Satans Zauber-Droguerie!" Sprecher 1: Was in einer Gesellschaft als akzeptierte Droge gilt - und was als Mittelchen aus "Satans Zauber-Drogerie" - ist nicht für alle Zeiten festgeschrieben. Atmo: Schreib-Geräusche (oder ähnliches Wiedererkennungs-Geräusch für Mike Jay) Zitator: Mike Jay "Vier Jahrhunderte lang hat Tabak die neuzeitliche Welt zum Genuss verführt: geschnupft und geraucht, als Zigarette, Zigarre oder in der Pfeife. Doch nun scheint man in Europa und Nordamerika, wo sein Siegeszug begann, den Geschmack daran zu verlieren... Tabak ist der Fluch des Schamanen über den Westen genannt worden, seine Rache für den ungerechten Tauschhandel mit Kolumbus und dessen Nachfolgern: Die wertvollste der heiligen indianischen Pflanzen entpuppte sich als Giftkelch." Sprecher 1: Galt das Tabakrauchen vor einigen Jahrzehnten noch als Zeichen von Luxus, ist es, zumindest in der westlichen Welt, mehr und mehr verpönt. Für die Wiener Historikerin Birgit Bolognese-Leuchtenmüller spielt das dominante gesellschaftliche Leitbild dabei eine wichtigere Rolle als Verbote: O-Ton 11b: Prof. Birgit Bolognese-Leuchtenmüller "Stärker als jede Restriktion gesetzlicher Art oder staatlicher Art, wirklich wesentlich stärker als jede Regulierung von oben, wirkt ja heute unser vollkommen anderes Selbstbild, das wir entwerfen. Wir haben ein vollkommen anderes Körperverständnis, ... Gesundheitsbewusstsein als früher. Also, ich denke, das ist eigentlich die entscheidende Komponente, die den Drogenkonsum aber auch wieder in Grenzen halten wird..." (0:26) Sprecher 1: Trotzdem werden Rauschmittel jeglicher Couleur die Menschen weiter in künstliche Paradiese führen. Gleichzeitig wird die Gesellschaft weiterhin nach geeigneten Strategien suchen, den Drogengebrauch unter Kontrolle zu halten. Letztendlich geht es auch um die Frage, inwieweit Unersättlichkeit und Sucht Zeichen einer Gesellschaft sind, in der "Glück" Gefahr läuft, als chemisch leicht erreichbares Gefühl wertlos und leer zu werden. Musik: Don´t bogart the Joint ab Break bei 1:31 (!) ODER Rehab - Amy Winehouse 1