DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 09.06.2009 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr 50 Jahre Spalterflagge Eine deutsch-deutsche Politposse mit sportlichem Hintergrund Von Wolf-Sören Treusch URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - XYLOPHON-MUSIK ANSAGE 50 Jahre Spalterflagge Eine deutsch-deutsche Politposse mit sportlichem Hintergrund Ein Feature von Wolf-Sören Treusch SPRECHER Vorspiel. Oder: keine Noten für die Hymne. ERZÄHLER 24. März 1958. Minus 7 Grad Celsius: Es war ein kalter, aber sonniger Frühlingstag in Oberstdorf. Auf der Heini-Klopfer-Schanze ging die Internationale Skiflugwoche zu Ende. ZITATOR Fünf DDR-Springer kämpfen gegen die Weltelite ERZÄHLER Titelte das Deutsche Sportecho. Einer von ihnen, ein junger, gut aussehender Mann aus Thüringen eroberte die Herzen der Zuschauer im Nu. 'Da legst die nieder' raunte es im Publikum, als Helmut Recknagel, von der Westpresse als 'Skisprung-Sputnik' gefeiert, seinen Siegessprung landete: 135 Meter. Auf dem Marktplatz von Oberstdorf fand die Siegerehrung statt. O-TON Max Bolkart Passiert ist, dass der Helmut, der Recknagel, das Skifliegen gewonnen hat. Wo eigentlich niemand gerechnet hat mit dieser Ehrung, dass er eben Sieger wurde. ERZÄHLER Max Bolkart, westdeutscher Skispringer aus Oberstdorf, damals einer der großen Konkurrenten Recknagels. O-TON Max Bolkart Mein Vater hat die Blasmusik geleitet, 23 Jahre lang übrigens, dann kam er ganz aufgeregt zu mir: 'stell dir vor, einer aus der DDR, der Helmut, der Recknagel, hat das Skifliegen gewonnen. Ich habe keine Noten für die DDR-Hymne. Was soll ich machen?' - 'Na, da spielst halt das Deutschlandlied'. (lacht) Und fertig. Und der war ganz nervös, gell. Und so ergab sich das einfach, eine Hymne muss man ja spielen, und da hat er das Deutschlandlied gespielt. O-TON Helmut Recknagel Ich habe das gar nicht mitgekriegt. ERZÄHLER Helmut Recknagel, vier Tage zuvor hatte er seinen 21. Geburtstag gefeiert. O-TON Helmut Recknagel Ich stand vorne auf dem Podest. Ich wusste nur: 'wir rufen den Sieger Helmut Recknagel Deutsche Demo ... , DDR'. So war das. Und die sagen: 'Helmut Recknagel aus Thüringen', und dann kam mir zu Ehren das Deutschlandlied, da stand ich vorne, habe das gar nicht mitgekriegt in der Aufregung, wenn sie aufgerufen werden zum Sieger, vielleicht bei ein paar Tausend Zuschauern auf dem Marktplatz in Oberstdorf, da hören Sie gar nichts, wenn die Trommel schlägt. Verstehen Sie? O-TON Max Bolkart Und plötzlich war rege Aufregung, für die DDR waren Trainer und Funktionäre, alle da, plötzlich habe ich gehört: 'Hat schon angerufen aus Berlin'. Irgendwie ist was durchgesickert oder hat man nach Berlin telefoniert? Auf jeden Fall ... O-TON Helmut Recknagel Und ich habe ein Signal bekommen von meiner Mannschaftsleitung. 'Runter kommen, das Podest verlassen, das ist eine Provokation, wir sind DDR-Leute, auch Deutsche, aber DDR, wir wollen unsere Deutschland-, unsere DDR-Hymne haben'. O-TON Max Bolkart Aber wir hatten sie nicht, gell. Und da haben wir ja schon ein bissel dumm aus der Wäsche geschaut, aber wir konnten ja auch nix ändern, und Null Komma nix war die Siegerehrung vorbei. ERZÄHLER Der Bürgermeister von Oberstdorf entschuldigte sich in aller Form für den Vorfall, Helmut Recknagel jedoch lehnte den von Bayerns Ministerpräsidenten gestifteten Pokal ab. In seinem "heiligen jugendlichen Zorn", wie er später schreiben wird. O-TON Helmut Recknagel Pokal zurück, keine Urkunde, keinen Preis, die Preise waren immer klein, aber jeder wollte doch einen Preis. Also ich war ganz schön traurig, muss ich sagen. ERZÄHLER Die verpatzte Siegerehrung auf dem Marktplatz von Oberstdorf im März 1958, dieser eigentlich banale Zwischenfall um das falsche Abspielen einer Nationalhymne war der Auftakt zu einer deutsch-deutschen Politposse. XYLOPHON-MUSIK SPRECHER Heimspiel. Oder: der Provokation durch Verwaltungsanordnungen begegnen. ERZÄHLER Am 1. Oktober 1959 erließ die Volkskammer der DDR ein Gesetz: fortan war das Staatswappen aus Hammer und Zirkel, umgeben von einem Ährenkranz künftig auch auf der schwarz-rot-goldenen Nationalflagge abzubilden. Anlässlich des bevorstehenden 10. Jahrestages zur Gründung der DDR wurden auf einigen S-Bahnhöfen im Westteil Berlins die neuen Flaggen gehisst; laut Vier-Mächte-Abkommen hatte die DDR-Reichsbahn dort die Betriebshoheit. Der RIAS, der Rundfunk im Amerikanischen Sektor; berichtete. O-TON - RIAS-Bericht Als ein Einsatzkommando der West-Berliner Polizei am 6. Oktober den S-Bahnhof und das Gelände des Reichsbahnausbesserungswerkes Tempelhof betrat, um in Ausführung einer Dienstanweisung die neue kommunistische Staatsflagge mit Hammer und Zirkel zu entfernen, kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit 300 Reichsbahn-Angehörigen, die zum Teil unter Alkohol stehend gegen die Beamten mit Schaumlöschern und Knüppeln vorgingen. Im Verlauf der Schlägerei wurden zwei Polizisten schwer und drei leicht verletzt, und um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, zog sich damals das Einsatzkommando zurück. ERZÄHLER Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier rügte den "Zonenstaat", wie die DDR in dieser Phase des Kalten Krieges von westlicher Seite genannt wurde, "das deutsche Volk mit der Verfälschung seiner Fahne" zu "beleidigen". Auf einer Kabinettssitzung am 28. Oktober 1959 behauptete Bundeskanzler Konrad Adenauer, die SBZ, die sowjetisch besetzte Zone beabsichtige, auch Wandergruppen mit dem neuen Emblem in die Bundesrepublik zu entsenden. Der Bonner Behördenjargon brachte nun die "Spalterflagge" zur Welt. O-TON - RIAS-Bericht Das Zeigen dieser Flagge auf dem Territorium der Bundesrepublik gilt als ein Verstoß gegen die Verfassung und die öffentliche Ordnung, gegen den mit polizeilichen Maßnahmen eingeschritten wird. Diesen Beschluss fassten gemeinsam am vergangenen Montag Vertreter des Bundesinnenministeriums und der Länder-Innenministerien. In den nächsten Tagen werden im Bundesinnenministerium Richtlinien und Einzelbestimmungen beraten werden, die den örtlichen Polizeibehörden einen Handlungsrahmen für ihr Einschreiten geben sollen. Es wird also, entgegen früher geäußerten Vermutungen, kein Flaggengesetz geben, sondern Bund und Länder werden dieser Provokation gemeinsam durch Verwaltungsanordnungen begegnen. O-TON Werner Kilian In allen möglichen offiziellen Verlautbarungen war Spalterflagge ohne ein Anführungszeichen. ERZÄHLER Werner Kilian, von 1961 bis 1997 im Bonner Auswärtigen Dienst O-TON Werner Kilian Man hat den Begriff geprägt, weil man die Abspaltung von der originären deutschen Fahne schwarz-rot-gold ohne irgendwas drin als ein Abspalten sah, und das war dementsprechend eine Spalterfahne. Spalterflagge hat sich schnell eingebürgert. O-TON Walther Tröger Es ist ein guter Begriff. Das war natürlich in der Zeit, wo bei uns immer die Version herrschte: wir möchten gern die Vereinigung, die DDR will sie nicht, oder die Sowjetunion will sie nicht. Es war klar: alles was von drüben gemacht wird, auch dass der Begriff Deutschland langsam verschwand für gemeinsame Dinge, auch das war ein wichtiges Thema, hat mit Spaltung zu tun gehabt. ERZÄHLER Walther Tröger, von 1961 bis 1970 Geschäftsführer sowohl des Deutschen Sport-Bundes als auch des Nationalen Olympischen Komitees der Bundesrepublik. O-TON Walther Tröger Die DDR war in unserem - heute wissen wir, dass es nicht ganz so war - war in unseren Begriffen und in unserem Gefühl die Organisation und die politische Instanz, die mit ihren Hintermännern den Wunsch gehabt hat, dass dieses Deutschland nie wieder zusammenfinden möge. ERZÄHLER Seit Anfang November 1959 war das Zeigen der Spalterflagge auf bundesdeutschem Boden ein Straftatbestand, die DDR-Fahne war zwar nicht wie die Hakenkreuzfahne verboten, aber wo immer sie auftauchte, war die Polizei verpflichtet einzugreifen, sie herunterzuholen. O-TON Werner Kilian Der Eisenbahnerverein von Leipzig war eingeladen worden zu dem Gelsenkirchen-Barmbeker Eisenbahnerverein, ein Freundschaftsspiel auszutragen. So. Der Polizei wurde mitgeteilt: Da ist die Spalterflagge gehisst worden. Die sind also hin und haben erklärt: Das verstößt gegen die öffentliche Ordnung. Hier wird Unzufriedenheit gesät, wenn diese Fahne, die für viele eine Provokation darstellt, wenn die gezeigt wird, ihr müsst die sofort runter nehmen. Die Verantwortlichen, die vom Eisenbahner-Sportverein, die hatten ziemlich dicke Hälse und haben gesagt, machen wir nicht, die bleibt da oben, die haben wir eingeladen, das sind unsere Gäste und die dürfen das. Und da hat dann die Polizei die zweite Hälfte abgebrochen, das Fußballspiel wurde mittendrin abgebrochen wegen dieser Unruhe stiftenden Spalterfahne. SPRECHER Ausgleich. Oder: von allen Übeln das kleinste. ERZÄHLER Die Olympischen Winterspiele im Februar 1960 in Squaw Valley standen vor der Tür. Das Internationale Olympische Komitee machte unmissverständlich klar: Es kann nur eine deutsche Mannschaft an den Start gehen. Eine gesamtdeutsche, wie schon bei den letzten Spielen 1956. Mit neutraler Hymne - die Ode an die Freude von Ludwig van Beethoven - und mit gemeinsamer Fahne - schwarz-rot-gold, und jetzt neu: mit den fünf olympischen Ringen. Doch so leicht wollten die streitenden Parteien nicht klein beigeben. Nach seiner Sitzung am 20. November 1959 veröffentlichte das Bundeskabinett eine Presseerklärung: ZITATOR Die Bundesregierung hält es für unvereinbar mit der nationalen Würde, dass die deutsche Mannschaft bei den olympischen Spielen ein anderes Emblem als die Bundesflagge zeigt. ERZÄHLER Und wieder sekundierte der RIAS. O-TON - RIAS-Bericht Würde man den Vorschlag des Internationalen Olympischen Komitees akzeptieren, die schwarz-rot-goldene Flagge mit den fünf Olympischen Ringen zu versehen, könnte das den Anfang einer Entwicklung bedeuten, deren Ende nicht abzusehen sei. Da man sich bei den vergangenen Olympischen Spielen schon bereit gefunden habe, auf die deutsche Nationalhymne zu verzichten und stattdessen die Beethovensche 'Hymne an die Freude' bei der Siegerehrung deutscher Sportler gespielt habe, sei die Bundesregierung nicht bereit, auch noch in der Frage der nationalen Flagge einen Kompromiss einzugehen. ERZÄHLER Bundeskanzler Adenauer wollte überdies nicht, dass die bundesdeutschen Sportler in einer gesamtdeutschen Mannschaft an den Olympischen Spielen teilnehmen. In der DDR stieß diese Haltung auf völliges Unverständnis. O-TON Gerhart Eisler 'Nationale Würdelosigkeit', wie verrückt. Die Leute sagen: 'wir spalten, weil wir zwei Fahnen haben', das ist ja kindisch. Weil Deutschland gespalten ist, hat es zwei verschiedene Fahnen. ERZÄHLER Gerhart Eisler, Vorsitzender des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR O-TON Gerhart Eisler Nehmen wir an, die beiden Mannschaften starten unter der schwarz-rot-goldenen Fahne mit diesen fünf olympischen R ... , Frage: Wem in der Welt wird dadurch geschadet? Wem wird etwas weggenommen? Ich meine, wer sich einen Augenblick von diesen Dummheiten, die da Bonn produziert, lossagt, es ist so kindisch, eine Sache, die man in fünf Minuten regeln kann. Muss denn Westdeutschland irgendwas hergeben? Oder tragen wir nicht alle dazu bei, dass etwas Nützliches geschieht? Das ist doch alles Wahnsinn: diese verrückte Spielart des Kalten Kriegs auch da hineingetragen, das ist ekelhaft! ERZÄHLER IOC-Kanzler Otto Mayer, ein Schweizer, appellierte öffentlich an die Streithähne: O-TON Otto Mayer Liebe deutsche Sportler und besonders Dirigenten: seid vernünftig. Dies ist ein Rat des IOK. Redet Sport und nur Sport und bitte nicht Politik, was für uns und für euch kein Interesse hat. Und keine Befriedigung geben kann. Kommt zu den Olympischen Spielen mit einem sportlichen Geist, mit euren Farben schwarz-rot-gold und als Abzeichen einer Einigung zwischen östlichen und westlichen Sportlern die weißen und, wenn ich sagen darf, heiligen Olympischen Ringe. ERZÄHLER Der Deutsche Sport-Bund, DSB, und das Nationale Olympische Komitee der Bundesrepublik beschlossen am 6. Dezember 1959, den Kompromissvorschlag des IOC anzunehmen. Willi Daume, von 1950 bis 1970 Präsident des DSB und bis zu seinem Tod 1996 ein einflussreicher Sportfunktionär. O-TON Willi Daume Wir glauben, dass das in der ganzen Welt geachtete Symbol der fünf Völker verbindenden Olympischen Ringe auf unserer Nationalfahne von allen Übeln das kleinste ist. Um es so auszudrücken: Die Alternative wäre nämlich, möglicherweise auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen zu verzichten, die Mannschaft ganz der Zone zu überlassen, die dann in Squaw Valley und Rom ganz Deutschland repräsentieren würde, selbstverständlich mit ihrer Fahne, die dann von der ganzen Welt zur Kenntnis genommen, sogar salutiert würde vom diplomatischen Corps, und wir glauben, dass das politisch noch weit unglücklicher wäre als die jetzige Lösung. ERZÄHLER Trotz gemeinsamer Olympiafahne: das Problem 'Spalterflagge' blieb bestehen. O-TON Willi Daume Das Präsidium des Deutschen Sport-Bundes hat einstimmig beschlossen, Provokationen, Demonstrationen mit dieser Fahne nicht zu dulden, die Fahne wird also nicht beim normalen Sportverkehr wehen, bei großen internationalen Veranstaltungen behalten wir uns vor, die internationalen Verbände zu veranlassen, ganz auf lange Zeremonien zu verzichten, wenn wir kein Verständnis finden, ist auch einmal möglich, dass wir auf eine bedeutende internationale Veranstaltung, Welt- oder Europameisterschaft, auch mal verzichten können. ERZÄHLER Für die Vierschanzen-Tournee zum Jahreswechsel 1959/60 untersagte der Deutsche Skiverband West der DDR bei den beiden Springen auf bundesdeutschem Boden das Hissen der Spalterflagge und das Tragen entsprechender Embleme. Das führte nun auch zu internationalen Verwicklungen. Volker Kluge, Sporthistoriker aus der DDR. O-TON Volker Kluge Inzwischen hatte Ulbricht einen Brief an die Staatschefs der anderen sozialistischen Länder gesandt, in dem er darum gebeten hatte,dass in dem Falle, dass die DDR-Symbole verhindert werden würden, die anderen sozialistischen Länder Solidarität beweisen und diese Wettkämpfe verlassen würden, das passierte zum ersten Mal bei dieser Vierschanzentournee 1959/60. Beim ersten Springen in Oberstdorf, als die Polizei dort verhinderte, dass die DDR-Sportler dort mit ihren Emblemen an den Start gingen, reisten nicht nur die DDR-Springer ab, sondern auch die Springer aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei, es gab wenige Tage später eine Gegenveranstaltung, die in Oberwiesenthal stattfand. ERZÄHLER Prominentestes Opfer des Rückzugs der DDR-Springer von der Vierschanzen-Tournee: 'Skisprung-Sputnik' Helmut Recknagel. Zwei Monate später startete er in Squaw Valley dann für die gesamtdeutsche Olympiamannschaft. O-TON Reporter Schanze frei gegeben für Helmut Recknagel, jetzt ist Helmut in der Spur, jetzt will Helmut alles wissen, Helmut mach es gut! Der Absprung hat geklappt, die Haltung ist gut, gut, Helmut, gut. Eine gute Weite, 84 einhalb Meter wird angezeigt, Helmut hat eine einwandfreie Haltung, ich glaube, Helmut ist reif für die Goldmedaille hier in Squaw Valley, Helmut hat einen guten zweiten Sprung gezeigt. Die Zuschauer zollen ihm Beifall, Helmut winkt im Auslauf, er ist mit seiner Leistung zufrieden und sicher auch froh, dass er die schwierige Disziplin heute überstanden hat. Jetzt die Noten: ich sehe hier ein Mal die 18,5, ein Mal die 18, drei Mal die 18 und ein Mal die 17,5, ich glaube, eine solche Bewertung reicht für Helmut Recknagel, ... ERZÄHLER Live von der Schanze berichtete ein Mitglied der DDR-Delegation aus der gesamtdeutschen Mannschaft. Journalisten und Trainern aus der DDR war die Einreise in die USA verboten. O-TON Reporter ... ich glaube, eine solche Bewertung reicht für Helmut Recknagel, reicht für die Goldmedaille, für die Goldmedaille für Helmut Recknagel, Deutsche Demokratische Republik. ERZÄHLER Max Bolkart, der beste bundesdeutsche Skispringer zu dieser Zeit, landete auf Platz sechs. O-TON Max Bolkart 1960 waren wir ja wieder zusammen, in Squaw Valley drüben, und ich hatte, vom Löwenbräu hatte ich etliche Kartons Bier bekommen, so Büchsenbier. Und dann kam er immer zu mir, und da hat er gesagt, so ungefähr so: die Scheiß-Politik, die sollen doch uns Sportler sporteln lassen, und Politik soll Politik bleiben. O-TON Helmut Recknagel Und hätte sich Adenauer, der mit dieser Regelung schwarz-rot-gold mit den Olympischen Ringen nicht einverstanden war, nicht überzeugen lassen, dann wären in Rom die Spiele und Squaw Valley, USA, nordisch nicht zustande gekommen, und dann könnte ich jetzt sagen, Resümee: welch ein Schaden für den deutschen Sport: wir hätten die 10,0 von Armin Hary in Rom nicht gesehen. Ich sage Ihnen nur, wie schwierig die Zeit war. Heute weiß man das alles gar nicht. XYLOPHON-MUSIK SPRECHER Alles Theater. Oder: zum Spielball der Politik gemacht. ERZÄHLER Der Kampf um die deutsche Flaggenhoheit im Sport nahm immer skurrilere Formen an. 6. Oktober 1960: ZITATOR Auf Beschluss des Sekretariats des Deutschen Turn- und Sportbundes ( ... ) tragen jetzt alle Mitglieder des DTSB an hervorragender Stelle auf ihrer Sportkleidung das Staatswappen unserer Republik. ERZÄHLER Bisher trugen nur Auswahlmannschaften und Spitzensportler der DDR das Staatswappen. Der DSB drohte postwendend mit dem Abbruch der gesamtdeutschen Sportbeziehungen. O-TON Werner Kilian Da gab es als erstes in Gütersloh eine Radfahrmeisterschaft, und da sind die DDR-Sportler angereist und hatten ihre dicken "Bonbons mit Spalter-Emblem" am Hals, und da wurde ihnen gesagt, 'ihr dürft hier nicht auftreten mit diesem Emblem, das müsst ihr abnehmen, ihr dürft nur das Emblem des Deutschen Sportbundes Ost tragen', und da sind die wieder zurück gereist. O-TON Täve Schur (Lacht) Stimmt genau. Dann sagte man uns also am Abend: 'Ihr dürft diese Embleme da nicht druff haben, sonst dürft ihr nicht starten'. ERZÄHLER Gustav Adolf, genannt Täve Schur, Radsportidol von jener Zeit. Von 1959 bis 1990 auch Abgeordneter der Volkskammer der DDR. O-TON Täve Schur Was haben wir gemacht? Wir haben uns das heraustrennen lassen und uns dieses Emblem mit Hammer und Zirkel auf die Hose nähen lassen. Und dann standen wir am nächsten Tag am Start, und dann hat man uns gleich abgewinkt, 'Hier können Sie nicht starten, so nicht, mit dem Ding nicht'. Was habe ich gemacht? 'Wenn wir jetzt abfahren, fahren wir rückwärts eine Runde rum. Dann sehen die Leute, was wir auf der Hose haben und können sich ihre eigenen Gedanken machen'. Das haben wir gemacht, aber unterwegs hat man sich irgendwie verständigt, und dann kam die Polizei auf die Straße, hat uns angehalten, dann mussten wir von der Strecke, ... O-TON Werner Kilian Das ging dann zwei, drei Mal bei anderen Veranstaltungen auch so, bis sie dann eingesehen haben, das hat keinen Zweck, und haben dann wieder das Emblem des Deutschen Sportbundes getragen, ihre DDR-Marke nicht, bis sie dann wiederum in der nächsten Phase auf die Idee kamen, in der letzten Sekunde drehen wir plötzlich um und hängen unser Spalteremblem doch noch draußen hin. Das haben sie erfolgreich zwei, drei Mal gemacht, in Wiesbaden, das waren Schießmeisterschaften, und da haben die Schützen mittendrin, während sie ihr Gewehr luden, sich das Ding angesteckt, so schnell konnten die westdeutschen Organisatoren das gar nicht abbrechen. O-TON Täve Schur Eigentlich war das eine Genugtuung, weil: dieser ewige Kampf: wir sind nichts und was hat der Adenauer mal gesagt? 'Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb'. Über die Hallstein-Doktrin ging es immer darum: werden wir anerkannt oder nicht erkannt, wer mit uns diplomatische Verbindungen aufgenommen hat, mit dem wurden die Verbindungen durch die Bundesrepublik abgebrochen, und alles so ein Hin und Her und so ein Zinnober. Ich ging immer davon aus, auch heute noch: der Zweite Weltkrieg hat 55 Millionen Tote gekostet, ich habe so schlimme Sachen erlebt, dass ich mir gesagt habe: 'Nein, du bist hier richtig in dieser Gesellschaft, die Ziele, die sich diese Gesellschaft gestellt hat, sind richtig'. O-TON Erika Zuchold Ja. Wir haben ja von Anfang an darum gekämpft, um unsere Souveränität. ERZÄHLER Erika Zuchold, mehrfache Olympia-Medaillengewinnerin im Kunstturnen für die DDR. O-TON Erika Zuchold Und ich war also mit hundert Prozent dabei. Ich habe meine Republik vertreten mit meinen Leistungen. Und da stand ich voll dahinter. ERZÄHLER Das Katz- und Maus-Spiel im deutsch-deutschen Flaggenkrieg ging unvermindert weiter. Bei der Eisschnelllauf-Weltmeisterschaft 1961 in Göteborg versuchte der bundesdeutsche Generalkonsul, die schwedischen Veranstalter davon zu überzeugen, dass das Hissen der DDR-Flagge bei der Eröffnungsfeier eine "unerwünschte politische Demonstration" sei. Vergeblich. Der einzige bundesdeutsche Sportler reiste ab, und der Obmann des Deutschen Eislauf-Verbandes West versuchte im letzten Moment, das Hissen der bundesdeutschen Flagge im Eisstadion zu verhindern, damit die beiden deutschen Fahnen nicht nebeneinander hingen. Zunächst ebenfalls erfolglos. Erst einige erregte Gespräche später wurde die bundesdeutsche Flagge wieder eingeholt. Eine schwedische Zeitung kommentierte, man solle deutsche Sportler solange nicht mehr einladen, wie die Flaggenfrage ungeklärt sei. O-TON Werner Kilian Das ist ein Beispiel dafür, wie bizarr und an der Sache vorbei sich die Dinge entwickelten, bloß weil wir die Idee hatten, wir müssen diese Spalterflagge verhindern. O-TON Walther Tröger Unser Sport ist Politik. Der Sport, wie wir ihn international betreiben, ist Politik. Keine Parteipolitik, aber es ist im Sinne des Wortes politisches Handeln. ERZÄHLER Walther Tröger O-TON Walther Tröger Und wir waren eben auch an die Politik, die ja nicht von uns gemacht wurde, gebunden, weil wir uns als Vertreter unseres Landes fühlten, und dasselbe war mindestens im gleichen Umfang bei der DDR gegeben. Und der Sport, der vom Bund finanziert, also von der öffentlichen Hand finanziert wurde, der hatte dann auch manchmal Ordre zu parieren. ERZÄHLER Zum Eklat kam es schließlich bei der Eishockey-Weltmeisterschaft 1961 in der Schweiz. Deutschland West und Deutschland Ost trafen im entscheidenden Spiel gegen den Abstieg aufeinander. DSB-Präsident Willi Daume fuhr höchstpersönlich nach Genf, um mit dem Präsidenten des Internationalen Eishockeyverbandes zu verhandeln. Sein Ziel: Man möge nach diesem Spiel auf das übliche Zeremoniell verzichten, also keine Hymne, kein Aufziehen der Fahne für den Sieger der Begegnung. Daumes Bemühungen blieben erfolglos. O-TON Achim Ziesche Wir haben unsere Sachen ausgepackt, wir haben uns vorbereitet, aber man merkte, dass irgendwie eine Geschäftigkeit sich entwickelte. ERZÄHLER Achim Ziesche, Mitglied der DDR-Mannschaft. O-TON Achim Ziesche Die Leute rannten hin und her, und es entwickelte sich eine Betriebsamkeit und: Was wird werden? Ich will nicht sagen Ratlosigkeit, aber eine gewisse Gespanntheit auf eine Situation, die wir als Spieler noch gar nicht deuten konnten. Mit der Zeit haben wir auf einmal gemerkt: Wir haben hier noch gar keinen vom Westen gesehen hier groß. ERZÄHLER Kurz vor Spielbeginn verkündete der Hallensprecher, das bundesdeutsche Team werde nicht antreten. Das Spiel wurde mit 5:0 für die DDR gewertet. O-TON Achim Ziesche Für uns normalerweise unverständlich, dass sie nicht angetreten sind, zumal sie ja noch Favoriten waren. Wir sind immer davon ausgegangen, dass sich die Bundesrepublik diese Schwäche nicht antut. Erstmal persönlich als Staat und als Mannschaft und darüber hinaus vor der internationalen Föderation und vor der ganzen Welt. ERZÄHLER Außenminister Heinrich von Brentano hatte interveniert: Falls Willi Daume nicht mit hundertprozentiger Sicherheit garantieren könne, dass die bundesdeutsche Mannschaft das Spiel gewinnen werde, dürfe das Team nicht antreten. Denn eine mögliche Ehrung der Spalterflagge sei unbedingt zu vermeiden. O-TON Ernst Trautwein Das war Gott sei Dank der einzige Fall, an den ich mich erinnern kann, wo von unserer Seite die Politik eingegriffen hat. ERZÄHLER Ernst Trautwein, Spieler der bundesdeutschen Mannschaft. O-TON Ernst Trautwein Ja gut, ich meine, irgendwo, zum Spielball wird man immer gemacht. Ob es im Beruf ist, ob es bestimmte Vorschriften im Sport gibt, dass es also zu der Zeit der Fall war, dass ein Spieler, wenn er den Verein gewechselt hat, dass er zwei Jahre gesperrt wird, da ist man ja immer irgendwo von diesen Dingen abhängig, und da war es halt genauso, auch diese Sportfunktionäre sind irgendwo wieder zum Spielball geworden der höheren Politik. So was kann man sicherlich sehr kontrovers diskutieren. Als Sportler hat man für solche Dinge sowieso kein Verständnis. O-TON Reporter Beide Teams sind mächtig angestrengt gewesen von den ersten 40 Minuten, und nun Ernst Trautwein, versucht einen Alleingang, Schuss und Tor. (Jubel) ERZÄHLER Zwei Jahre später kam es bei der Eishockey-WM in Schweden erneut zum deutsch-deutschen Duell. Diesmal trat die bundesdeutsche Mannschaft an, diesmal gewann sie durch das entscheidende Tor von Ernst Trautwein knapp mit 4:3, und diesmal sorgte die DDR-Mannschaft für den Skandal. O-TON Reporter Die deutsche Mannschaft jetzt ganz ruhig. Zurückgepasst zu Paul Ambros. Schluss, aus, das Spiel ist beendet. (Jubel) ATMO BRD-Hymne aus Stockholm O-TON Achim Ziesche Na ja, das war unmittelbar nach dem Spiel, das war ja immer so, dass wir uns dann auf den blauen Linien dort aufgestellt haben und warteten nun auf das Abspielen der Hymne. O-TON Reporter Meine Damen und Herren, noch eine Bemerkung zum Schluss. Es ist eben etwas passiert, was im Laufe der Weltmeisterschaft nicht geschehen ist, wenn die Hymne gespielt wird und die Fahne hoch gezogen wird, dann stehen beide Mannschaften in Blickrichtung der Fahne, ... O-TON Achim Ziesche Und dann kam ein Spieler, der kriegte die Aufforderung, an uns vorbeizufahren und uns mitzuteilen, dass mit Einsetzen der Hymne wir uns von der Flagge entfernt, also von der Sicht her umdrehen. Wir haben erstmal alle verdutzt geguckt, und dann hat einer nach dem anderen sich umgedreht. Und dann haben wir im Prinzip schon mitgekriegt, dass das ein Riesenfehler ist. O-TON Reporter ... die Zonenmannschaft hat sich umgedreht, hat sich Angesicht in Angesicht zu den Spielern der Bundesrepublik postiert und hat also unserer Fahne den Rücken gezeigt. O-TON Ernst Trautwein Wissen Sie, wir haben uns über den Sieg gefreut, und haben im Endeffekt gesagt: 'schau her, was das für Leute sind'. O-TON Reporter Nun sage mir noch einer, und das sollen meine letzten Worte aus Stockholm anlässlich dieses Spiels sein, nun sage mir noch einer, dass Sport heute nichts mit Politik zu tun habe. O-TON Achim Ziesche Wir haben den Kalten Krieg sehr heiß in der Wirklichkeit fühlen und spüren können durch den Sport. Wir waren eben die Ausführenden von dem, was die anderen sich ausgedacht haben. XYLOPHON-MUSIK SPRECHER Auswärtsspiel. Oder: Es bleibt ein Kapitel, das frustrierend war. ERZÄHLER In der Bundesrepublik galt das Zeigen der Spalterflagge als Straftatbestand. Und auch auf diplomatischem Terrain zeigte sich Bonn kompromisslos, Stichwort Hallstein-Doktrin. Wer mit "Pankow" oder der "SBZ", wie man bei den Kalten Kriegern im Westen zu sagen pflegte, Beziehungen aufnähme, müsse schlimmstenfalls damit rechnen, dass die Bundesrepublik ihre Beziehungen zu dem jeweiligen Land abbreche. O-TON Eberhard Nöldeke Ich erinnere mich, dass wir, wenn irgendwelche hohen Besuche aus der DDR anstanden, doch sehr genau darauf achteten, dass die indischen Behörden nicht über den Rahmen hinausgingen, der ihnen dadurch auferlegt war, dass sie nur mit uns diplomatische Beziehungen hatten. ERZÄHLER Eberhard Nöldeke, von 1963 bis 1968 in der bundesdeutschen Botschaft in Neu Delhi. O-TON Eberhard Nöldeke Ich wohnte in der 'diplomatic enclave', nicht allzu weit entfernt von der DDR-Handelsvertretung, das heißt wenn ich auf mein Dach stieg, konnte ich das Dach der Vertretung sehen und konnte von da sehr gut feststellen, ob die Spalterflagge aufgezogen war oder nicht. Und wenn ja, dann habe ich das in der Botschaft erzählt, und dann wurden eben bestimmte Maßnahmen ergriffen: entweder eine mündliche Erwähnung im Außenministerium, dass wir das gesehen hätten und dass das nicht den Absprachen entspräche, oder eine Verbalnote, wenn es ein schwieriger, ein ernsterer Fall war, die wir dann schriftlich dort abgaben im Außenministerium. ERZÄHLER Immer wieder wiesen die Bonner Diplomaten die indische Regierung darauf hin, dass es ein unfreundlicher Akt sei, wenn sie das Zeigen von DDR-Staatssymbolen in der Öffentlichkeit zuließe. O-TON Eberhard Nöldeke Ich gehe, glaube ich, aber nicht fehl in der Annahme, dass wir den Indern schrecklich auf die Nerven gingen mit diesen ständigen Protesten. Aber ich meine, im Grunde war es nicht zwecklos. Denn die Inder waren sich sehr genau bewusst, dass wir ihnen wirtschaftlich sehr viel nützlicher waren als dass die DDR je sein konnte und je war. Und sie waren dann doch sehr bemüht, ernsthafte Verstimmungen zu vermeiden, also auch die DDR-Organe in ihre Schranken zu weisen. Schließlich bauten wir zu der Zeit das modernste Stahlwerk Indiens, Rourkela, was eine Riesen-Investition war, das einzige Stahlwerk Indiens war, was die Spezialstähle herstellen konnte, die Inder dringend benötigten, um ihre Panzerplatten zu produzieren, im Krieg gegen Pakistan, und China war damals auch ein Gegner im Grenzkonflikt. O-TON Werner Kilian Gerhard Schröder, der damalige Außenminister, der hat mal geschätzt, dass 50 Prozent der Arbeitskraft der Auslandsbeamten darauf hinausging, wegen der DDR zu demarchieren, ... ERZÄHLER Werner Kilian, von 1961 bis 1997 im Auswärtigen Dienst O-TON Werner Kilian ... ins Außenministerium zu rennen und zu sagen, da ist jetzt schon wieder ein Auto mit einem Stander dran, die hatten den ja auch vorne an ihren offiziellen Autos, oder da haben die wieder bei der Landwirtschaftsmesse eine Fahne hochgezogen, oder da war ein Stand auf der Industriemesse, und ganz hinten in der Ecke hatten die wieder so eine Fahne hängen, das ging nicht. Wir sind damals, in der Zeit, doch etwas schizophren im Auswärtigen Amt gewesen, wir haben immer wieder die Köpfe geschüttelt und gesagt: Ja was denn nun? Sollen wir einschreiten? Hat es Zweck? Hat es keinen Zweck? Nicht? ERZÄHLER Damit es endlich eindeutige Verfahrensregeln gebe, drängte das Auswärtige Amt in Bonn auf ein Flaggengesetz. Doch dazu kam es nicht. O-TON Werner Kilian Wir haben uns ja in der deutschen Politik immer bemüht, Prinzipien durchzuhalten. Aber das Prinzip 'die DDR ist kein Staat' konnte man nie konsequent durchhalten. Und so war das eben auch mit dieser Fahne: Solange man der DDR den Handel mit aller Welt nicht verbieten konnte, konnte man auch das nicht verbieten. Nicht wirksam. Zum Handel gehört eine Signifikation, sie müssen ja auch drauf schreiben 'made in GDR' oder 'in der DDR hergestellt', und die Schiffe bringen das dann über die Weltmeere in die Häfen anderer Staaten, und da hängen deren Fahnen dran. Das konnten und wollten wir nicht verhindern. Denn: Wir wollten unseren Brüdern und Schwestern in der Zone nicht die Lebensadern durchschneiden. Es ist und bleibt ein Kapitel, das frustrierend war. Man hat es zu kleinlich angefangen, diese ganze Geschichte, wir haben da auf die falschen Hasen geschossen, es waren gar nicht richtige Hasen. SPRECHER Entscheidungsspiel. Oder: eine fast feindliche Stimmung. ERZÄHLER Der Mauerbau 1961 verschärfte nicht nur die sportpolitischen Spannungen zwischen Ost und West. Mit dem gesamtdeutschen Sport war es vorbei, bundesdeutsche Mannschaften gingen auch bei internationalen Meisterschaften, die in der DDR stattfanden, nicht mehr an den Start, und umgekehrt wurde DDR-Sportlern die Einreise in die NATO-Mitgliedstaaten verweigert, was dazu führte, dass auch die DDR bei manch internationalen Meisterschaften fehlte. Auch andere Ostblockstaaten zogen ihre Teilnahme zurück. Erst im März 1963 verhandelten Ost und West wieder miteinander: Es ging um die gemeinsame deutsche Olympiamannschaft für die Spiele 1964 in Innsbruck und Tokio. O-TON Walther Tröger Ich habe sehr schnell mit meinem Kollegen, mit dem ich fast befreundet war, Helmut Behrendt auf der anderen Seite beim NOK, ein brauchbares Verhältnis entwickelt, wir haben gesagt: wir haben den Auftrag, wir machen das, er hat gesagt: 'Du bist ein Kapitalist, ich bin ein Kommunist'. Das haben wir akzeptiert und so war das, darüber haben wir nicht gesprochen, wir haben sehr viele Auseinandersetzungen miteinander gehabt, die auch von oben auf uns oktroyiert waren, aber wir haben dann immer praktikable Lösungen gefunden da, wo es nötig war. ERZÄHLER Insgesamt 14 NOK- und 96 Verbandssitzungen fanden statt, in 60 Qualifikationswettkämpfen wurden die deutschen Olympia-Teilnehmer ermittelt. Besonders hart umkämpft waren die beiden Spiele im Eishockey, denn wer eine komplette Eishockeymannschaft zu den Winterspielen schickte, der würde auch den obersten Repräsentanten der gesamtdeutschen Mannschaft stellen können, den 'Chef de Mission', und damit die gemeinsame Fahne ins Stadion tragen. Das Hinspiel wurde in Bayern, in Füssen ausgetragen. Ernst Trautwein und Achim Ziesche, die Mannschaftsführer der beiden Kontrahenten. O-TON Ernst Trautwein Die Stimmung war sicherlich sehr aufgeheizt. Es hat schon innerhalb der Mannschaft Gespräche gegeben, wo man schon gesagt hat: Da muss man richtig zur Sache gehen. O-TON Achim Ziesche Als wir uns erwärmt haben vor dem Spiel in Füssen, da gingen diese Provokationen und die körperlichen Attacken auf uns ein, man wollte uns dort psychisch schwach machen, indem man uns mit den Stöcken bearbeitet hat, im Vorbeifahren uns fast aufgespießt haben. Mich persönlich hat man, ist einer voll auf mich eingefahren und hat mich mit dem Kopf verletzt. O-TON Ernst Trautwein Gut, es war fast feindliche Stimmung. Man hat ja auch im Vorfeld die ganze Sache sicher auch von der politischen Seite beleuchtet, das war nicht fair, aber es war halt die Zeit so, deshalb hat es ja auch geheißen: der Kalte Krieg, und der hat da sicher auch mit eine Rolle gespielt. O-TON Achim Ziesche Und dass wir durch die westdeutschen Spieler als Kommunistenschweine betitelt wurden, das war leider nicht schön und zeigt eben, wie oftmals in Frage gestellt wurde, als man immer wieder von den lieben Brüdern und Schwestern im Osten gesprochen hat, nicht. ERZÄHLER Das Spiel in Füssen endete 4:4, das Rückspiel in Ost-Berlin gewann die Bundesrepublik mit 4:3. Bei den Winterspielen in Innsbruck stellte sie also den 'Chef de Mission', bei den Sommerspielen in Tokio erstmals die DDR. Zwölf Athleten mehr hatten sich aus Ostdeutschland qualifiziert. Doch die insgesamt etwa 1000 Verhandlungsstunden vorher und die aufreibenden Qualifikationswettkämpfe hatten gezeigt: Eine gemeinsame deutsche Mannschaft war nicht mehr möglich. SPRECHER Zwischenspiel. Oder: das Gleichnis von den dicken Socken. ERZÄHLER Seit Beginn der 50er Jahre arbeitete die DDR-Führung planmäßig auf die Triumphe im Leistungssport hin. Die Parteilinie bewertete sportliches Leistungsstreben als fortschrittlich und wünschenswert, als ein Ergebnis sozialistischer Planung und Produkt der neuen Gesellschaft. Sportstadien und Turnhallen wurden zum Austragungsort gesellschaftlicher Systemkonkurrenz: mit jeder Medaille, die die Sportler aus dem Osten Deutschlands errangen, stieg die internationale Anerkennung der DDR. O-TON Erika Zuchold Das habe ich selbst in meinem eigenen Leben erfahren. ERZÄHLER Erika Zuchold, mehrfache Medaillengewinnerin im Kunstturnen. O-TON Erika Zuchold Ich musste jeden Tag von zu Hause zur KJS pendeln, das war also 35 Kilometer weg von Leipzig, nun kam ich vom Dorf, da waren noch dicke Strümpfe modern, nee nicht modern, aber es war noch 'in' für uns Dörfler, aber für die Stadt gab es das ganz Neue: die Perlonstrümpfe. Aber wir sind eine große Familie, ich habe vier Geschwister noch, und dafür war kein Geld da. Also kam ich mit dicken Strümpfen, und damit war ich schon isoliert. 'Hier, guck mal, die läuft mit den dicken Strümpfen rum', von den Städtern aus, die meisten waren ja aus Leipzig. Und mein Vater hat gesagt: 'Wenn du in dieses Team willst, musst du ganz tolle Leistungen vollbringen. Du musst besser sein als sie. Dann wirst du es schaffen, dann werden sie dich anerkennen'. Und das habe ich geschafft. Eines Tages sagte die Trainerin: 'Nehmt euch ein Beispiel an der Erika. So müsst ihr es machen'. Und von da an war ich integriert. Und das genau ist dasselbe Beispiel, nur etwas im Kleinformat. ERZÄHLER Nach den Olympischen Spielen in Tokio 1964 entschied der Internationale Leichtathletik-Verband, zukünftig zwei deutsche Mannschaften zuzulassen, ein Jahr später, am 8. Oktober 1965, beschloss das Internationale Olympische Komitee den gleichen Schritt. Beim Hörfunk-Korrespondenten der ARD klang das so: O-TON Reporter Das NOK der Zone ist vollgültiges Mitglied des IOC geworden, aber es wurde getadelt, weil es nicht weiter für eine gemeinsame deutsche Mannschaft gestritten hat. Daher trägt das NOK der Bundesrepublik den Namen NOK Deutschland, die Zone dagegen NOK Ostdeutschland. ERZÄHLER Die Flagge blieb wie gehabt eine gemeinsame: schwarz-rot-gold mit den fünf olympischen Ringen. Die Bundesrepublik steckte in einem Dilemma: Die Spalterflagge war weiter geächtet, aber je erfolgreicher DDR-Sportler wurden, desto häufiger trat das anstößige Tuch in Erscheinung. Die Mitarbeiter im Auswärtigen Amt hielten sich nun an einen Grundsatzerlass aus dem Jahr 1962. ZITATOR Wenn ( ... ) das Zeigen der Spalterflagge ( ... ) nicht verhindert werden kann, so lässt es sich notfalls vertreten, insbesondere bei Veranstaltungen im Ostblock, die Spalterflagge im Wald der Fahnen zu übersehen, um zu vermeiden, dass auf die Teilnahme einer Mannschaft aus der Bundesrepublik verzichtet werden muss. O-TON Werner Kilian Der Generalkonsul von Rotterdam, der hatte ein Springreiterturnier da und sollte die DDR-Fahne verhindern und hat das nicht geschafft, die hing da. Es war auch kein furchtbar energischer Mann, der hatte wahrscheinlich schon beim zweiten Bitten aufgegeben und berichtete nach Hause: Es sah aber niemand, dass es die Spalterflagge war, denn sie hing den ganzen Tag schlaff im Wind, es war kein Wind da. Das war dann seine Erlösung, und es war für viele die Erlösung, wenn man die Fahne überhaupt nicht bemerkte, es wusste hinterher keiner: Hat sie da gehangen oder nicht? ERZÄHLER Am 13. Oktober 1968 beschloss das Internationale Olympische Komitee mit großer Mehrheit, dass die DDR bei den Spielen 1972 in München mit eigener Staatsflagge und Hymne antreten konnte. Auch bei den Bürgern in Ost und West war die gesamtdeutsche Mannschaft unpopulär. Zwei Drittel der Bundesbürger gaben bei einer Umfrage an, dass der DDR Flagge und Hymne in München erlaubt werden sollten. SPRECHER Nachspiel. Oder: die müde Mähre des Antikommunismus. ERZÄHLER In der Bundesrepublik mehrten sich die Stimmen, die das Flaggen- und Hymnenproblem endgültig aus der Welt schaffen wollten. Fast wäre es Ende November 1968 zu einem entsprechenden Beschluss auf der Innenministerkonferenz gekommen. Aber nur fast. Am 31. März 1969 schlug das Protokoll noch einmal zu, diesmal bei einem Schauturnen in Mainz, bei dem sieben Spitzenturnerinnen der DDR ihre Übungen zeigten. Das DDR-Fernsehen berichtete. O-TON Reporter + Veranstalter 60 Minuten lang verfolgten die Zuschauer begeistert die Darbietungen, dann trat der Verfassungsschutz auf den Plan: 50 Mann kamen, um eine Fahne zu verhaften. - Meine Damen und Herren, meine Damen und Herren, ich muss sie darauf aufmerksam machen, dass in diesem Moment die Herren vom Verfassungsschutz unsere Fahne hier herunterholen. ATMO Pfiffe und Buh-Rufe O-TON Erika Zuchold Wir haben nur gesehen, wie sie runter gerissen wurde, das war es. Wir sind ja dann sofort ausmarschiert. Man hört den Lärm, die Schreie, dieses Durcheinander, und hat fürchterlich viel Angst, und will nur raus und weg, irgendwo Schutz finden. ATMO Rufe Das ist das Vorspiel für 1972, pfui Teufel. O-TON Karl-Eduard von Schnitzler Wer Wettkämpfe im Olympischen Geist sucht, ist jederzeit gern gesehener Gast in der DDR. Denn hier gilt, wovon in Bonn und Mainz und München vorerst nur geschwafelt wird. ERZÄHLER Günter Herlt, Kommentator des DDR-Fernsehens O-TON Karl-Eduard von Schnitzler Deshalb wächst in der Welt der Ruf nach Anerkennung der DDR, deshalb setzen sich immer mehr Bürger in Westdeutschland für normale völkerrechtliche Beziehungen mit der DDR ein, deshalb aber auch geben die Bonner Don Quichottes der müden Mähre des Antikommunismus die Sporen, um mit ihrer brüchigen Lanze gegen Windmühlen anzureiten. Reiten Sie nur weiter, meine Herren. Die Beulen werden fürchterlich. O-TON Erika Zuchold Es ist ein Kampf gewesen. Sie wollten uns einfach nicht anerkennen. So wie das auch heute noch ist. Man darf es nicht zugeben, dass wir auch Gutes hervorgebracht haben. XYLOPHON-MUSIK ERZÄHLER Am 22. Juli 1969 verfügte die Bundesregierung, dass die Polizei nirgendwo mehr gegen die Verwendung der so genannten Spalterflagge und der DDR-Hymne auf bundesdeutschem Boden einschreiten solle. ABSAGE 50 Jahre Spalterflagge Eine deutsch-deutsche Politposse mit sportlichem Hintergrund Ein Feature von Wolf-Sören Treusch Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2009 Es sprachen: Mark Oliver Bögel, Jochen Langner und Maria Munkert Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Anna Dain Regie: Thomas Wolfertz Redaktion: Karin Beindorff XYLOPHON-MUSIK 26