Deutschlandradio Kultur - Die Reportage - 23.11.2014 - 12:30 Uhr Geräusch-take 1 1.04 Bd. 3'14 Tür zu, Trecker fährt vor, Motor wird abgestellt, Schritte, aus der Ferne Generator Sprecher: Gemächlich tuckert der alte Traktor über die schmale Landstraße. Der rote Ursus wirkt wie ein winziger, brummender Käfer, inmitten der Felder, die sich bis zum Horizont erstrecken. Es ist Mitte Juni, in Zurawlow, einer kleinen Gemeinde im Osten Polens, 40 Kilometer entfernt von der ukrainischen Grenze. Take 1 (Andrzej) 0.02 Bd. 15'24: Ich bin auf dem Weg, um Heu zu machen... Sprecher drüber: "Ich bin auf dem Weg, um Heu zu machen", sagt Andrzej. Braungebrannt, in T-Shirt und kurzer Hose, mit Badeschlappen an den Füßen lenkt er den Trecker entspannt mit einer Hand. In der anderen qualmt eine Zigarette. Zwölf Hektar bewirtschaftet der Landwirt. Geräusch-take 2: Trecker stoppt, Atmo Feld 2.05 Sprecher: "Occupy Chevron" fordert ein Transparent am Straßenrand. An den Haltestangen wehen zwei polnische Fahnen. Darunter mahnen sechs aufgespießte Gasmasken. Chevron, einer der größten Energiekonzerne der Welt, will hier nach Schiefergas suchen, hat die Konzession für eine Probebohrung. Andrzej parkt den Traktor. Auf der anderen Straßenseite: ein großer Bauwagen, beklebt mit Protestplakaten "No Fracking" steht da". Und "Chevron go home". Daneben ein grünes Versammlungszelt, und ein großer Hänger, meterhoch beladen mit Strohballen. Andrzej klettert vom Traktor, begrüßt mit Handschlag einen Kollegen, der am Straßenrand wartet. Take 2 (Andrzej) 0.21 Bd. 16'27 Übersetzung: Natürlich ist das nicht einfach, beides zu kombinieren.... Sprecher drüber: "Natürlich ist es nicht einfach Protest und Landwirtschaft unter einen Hut zu bringen", sagt der Kleinbauer. Aber wir kriegen es schon hin. "Das muss einfach sein", sagt sein Kollege. "Das muss sein" Geräusch-take hochziehen Sprecher: Andrzej deutet kurz nach rechts, aufs Nachbarfeld: Da liegt das Chevron-Camp. Ein Bauwagen, ein Dixi-Klo, ein orangener Generator, ein Mast mit einer Scheinwerferbatterie, einer mit einer Rundum-Überwachungskamera. Ein Sicherheitsmann in schwarzer Uniform mit gelber Warnweste blickt herüber, greift zum Telefon. Er bewacht das Chevron Material auf dem Acker. Eine Schaufel, einige Holzpfosten und ein paar Rollen Zaundraht.... Take 3 (Kollege) 0.10 Bd. 14'03 Jeden Tag, fast jeden Tag, nicht alle, aber irgendjemand ist immer hier. Ich komme auch fast jeden Tag vorbei. Sprecher drüber: "Ich komme fast jeden Tag hierher", sagt Andrzejs Kollege. Seit mehr als einem Jahr belauern sich der Weltkonzern und die Landwirte hier auf dem Acker. Immer wenn Chevron Material anliefern will, blockieren die Bauern die Zufahrt. Geräusch-take 3 Garten 1.33 Sprecher Gut einen Kilometer entfernt, im Örtchen Zurawlow, stapft Barbara Siegienczuk durch ihren Garten: Schwanzwedelnd springen die Mischlingshunde Rex und Kaya um sie herum. Geräusch-take 4 Wasser plätschern 0.26 Sprecher: Gleich neben der Terrasse plätschert ununterbrochen Wasser. Es dringt aus dem Untergrund nach oben, fließt über einen Stein, eine Keramikschale. Und versickert dann wieder im Boden. Take 4 (Siegienczuk) 0.08 2.59 Na zaprasam na terass... Sprecher drüber: "Möchten sie etwas Quellwasser mit Minze, Zitrone und Honig?" fragt die Mitfünfzigerin. Und wartet die Antwort gar nicht erst ab. Sie füllt einen Krug mit Wasser, geht dann zum Kräuterbeet. Geräusch-take 5 0.45 2.46 dtschba udia miente: abreissen, dobra... 3.06 Sprecher: Siegienczuk rupft einige Zweige Minze, bittet auf die Terrasse im Schatten des alten Holzhauses. Die Mitfünfzigerin schiebt die große Sonnenbrille in die kurzen schwarzen Haare. Ein dünnes Zöpfchen fällt über ihre Schulter. Das Haus hat sie mit ihrem Mann renoviert. Vor einem Jahr sind sie aus der nahegelegenen Kreisstadt Zamosc hierher gezogen. In Zurawlow wollen sie alt werden. Geräusch-take 6: Garten 2.26 Take 5 (Siegienczuk) / Übersetzung 0.27 2.14 Na dobze,... kopiam, tutai... Übersetzung: Das ist mein Haus, das habe ich vor sechs Jahren gekauft, vor einem Jahr habe ich meine Firma in Zamosc geschlossen. Ich kam hierher, um näher an der Natur zu sein. Und nach zwei Jahren, boing, kam Chevron Sprecher: Sie lacht. "Chevron" - den Namen des Energieunternehmens hatte sie zuvor noch nie gehört. Heute weiß sie: Es ist einer der größten Energie-Konzerne der Welt. Mit 220 Millarden Dollar Umsatz im Jahr und 20 Milliarden Gewinn. Siegienczuk zerpflückt einige Minzeblätter, wirft sie in den Krug, dann noch ein paar Zitronen-Scheiben. Take 6 (Siegienczuk) / Übersetzung 0.42 10.23 umrühren Minze-Zitrone-Mix... mamy - 11.39 Übersetzung: Wir haben sehr leckeres Wasser hier, jeder hat seinen eigenen Brunnen. Manche brauchen Pumpen, bei mir läuft das Wasser die ganze Zeit. Man kann es nicht ausstellen. Es kommt einfach über den natürlichen Druck an die Oberfläche. Sprecher: Es gibt in Zurawlow keine Trinkwasser- und keine Gasleitung. Das Örtchen mit seinen 96 Einwohnern ist einfach zu abgelegen, um es an die zentrale Versorgung anzuschließen. Wer Gas braucht, kauft es in Flaschen, das Trinkwasser liefert der Untergrund. Jener Untergrund, in dem der US-Konzern Chevron Schiefergas vermutet. Lange Zeit ahnen die Einwohner von Zurawlow nichts davon. Bis der Energieriese zu einem Informationsgespräch lädt. Barbara Siegienczuk erinnert sich noch gut an das üppige Buffet. Mit Garnelen, Tintenfisch, Muscheln - Meeresfrüchten, die viele hier noch nie probiert hatten. Take 7 (Siegienczuk) / Übersetzung 0.51 18.41- 20.50 Pierschke spotkanje.. Das Erste, was sie sagten, war: Sie sind ein Unternehmen, dass nichts zu verbergen hat, das voll transparent arbeitet. Und dass sie der Kommune hier ein Angebot machen möchten. Aber als sie im Saal Besucher mit Plakaten sahen, die an die Schiefergasförderung in Ecuador erinnerten und an die Verseuchung dort, da bekamen sie es mit der Angst zu tun. Sie forderten den Bürgermeister auf, die Leute vor die Tür zu setzen. Auch die aus den Nachbardörfern. Nur die Bewohner von Zurawlow sollten bleiben. Sprecher: Doch am Ende blieben alle Anwohner. Und die Chevron-Vetreter gingen. Ließen die Wissenschaftler, die sie mitgebracht hatten, alleine zurück. Die besorgten Bürger erfuhren von ersten seismischen Untersuchungen im Nachbarörtchen Rogow. Mit einem Spezial-Fahrzeug wurde dort das Erdreich erschüttert, um die Ausbreitung der Schwingungen im Untergrund zu messen. Dass einige Quellen danach versiegten andere verschmutzt wurden, erfuhren sie erst später. Take 8 (Siegienczuk) / Übersetzung 1.02 16.41 - 17.34Was dort passierte, machte uns Angst. Wenn schon solche Erkundungen Problemen bereiten, was passiert dann erst, wenn richtig nach Gas gebohrt wird? Da haben wir begonnen uns in das Thema einzuarbeiten: Wir erfuhren, dass Chevrons Lizenz ein Gebiet umfasst, in dem die Grundwasservorkommen für die Städte Lublin, Zamosc und Tomaszow liegen. Wenn da etwas schiefgeht, wären zig-tausende ohne Trinkwasser. Sprecher: Siegienczuks Mobiltelefon vibriert. Eine SMS: Sie soll zum Bauwagen kommen. Sie nimmt schnell noch einen Schluck Wasser, steigt dann in ihren alten Kleintransporter. Geräusch-take 7: Straße 0.23 Geräusch-take 8Camp 1.48 Sprecher: Hinter Andrzejs rotem Trecker setzt ein großer schwarzer Pickup zurück. Ein bulliger Sicherheitsmann wuchtet einen Kanister von der Ladefläche. Barbara Siegienczuk parkt ein Stück dahinter. Take 9 (Siegienczuk) 0.38 Sie haben gesehen, wie der Sicherheitsmann angerufen hat... Sprecher drüber: "Der Sicherheitsmann auf dem Acker hat seinen Kollegen alarmiert", sagt sie: Der bringt dann sofort Treibstoff für den Generator. Damit sie ihre Überwachungs- Kamera betreiben können. Jedes Mal wenn wir uns hier treffen, geht das so". Big- Brother auf dem Acker - Barbara Siegienczuk schüttelt lächelnd den Kopf. Die Bauern haben kurzerhand ein paar Strohballen als meterhohen Sichtschutz aufgestapelt: Geräusch-take hochziehen Sprecher: Ein schmaler Pfad, bedeckt mit Stroh, führt zum Bauwagen. Seine großen Räder sind bis zur Hälfte eingesunken. So lange steht er hier schon. Vor der Tür, auf einer kleinen Plattform, diskutiert Andrzej mit zwei Landwirten. Die drei müssen demnächst vor Gericht erscheinen: Take 10 (drei Bauern) 0.44 Bd. 23'45 Zahnloser, dann fällt der Großbauer ins Wort, dann der Treckerfahrer, dann der Großbauer weiter, lachen alle kurz) Es waren zum Teil sehr lustige Anklagen wie etwa die Weigerung der Polizei unsere Dokumente zu zeigen... Sprecher drüber: "Mal haben wir uns angeblich geweigert, der Polizei unsere Dokumente zu zeigen", erzählen sie, "mal haben wir das Gelände nicht verlassen. Obwohl uns dazu niemand aufgefordert hatte. Einmal haben wir eine kleine Maschine zur Seite gerückt. Auch das wirft man uns vor". Doch besorgt sieht keiner aus. Im Gegenteil: Wieslaw Gryn lacht fröhlich. Der schlanke Landwirt in grüner Outdoor-Hose und T-Shirt überragt seine beiden Kollegen um einen Kopf. Und auch was die Acker-Fläche angeht, ist er hier der Größte. Wieslaw Gryn, den hier alle nur Wiesik, nennen, bewirtschaftet mehr als 500 Hektar Land. "Ich bin ein moderner Landwirt", sagt der 56jährige: "Aufgeschlossen für neue Technologien". Darum hatte er anfänglich auch nichts gegen die Schiefergassuche. Take 11 (Gryn) / Übersetzung 0.39 Bd. 34'54 Natürlich... bis Bd. 35'33 Übersetzung: Am Anfang dachte ich, es wäre gut für uns, weil ich es nicht besser wusste. .... Aber als ich zum ersten Treffen mit Chevron ging, da erlebte ich Demagogie und Populismus: Sie sagten, das Fracking-Wasser enthält nur Salz, Zitronensäure und Waschmittel. Da wusste ich wusste gleich: das ist doch nicht ehrlich, das ist teuflisch. Geräusch-take 9 Bauwagen / Innen: 1.55 Sprecher: Im alten Bauwagen beugt sich Barbara Siegienczuk derweil mit vier Frauen über einen Laptop, kontrolliert die Bildqualität. Den Strom liefert ein Solarmodul auf dem Dach. Eine Kamera überwacht die Straße, schickt laufend Bilder aufs Mobiltelefon, erklärt Gosha, eine stämmige Mittvierzigerin. Ihre Mitstreiterinnen nicken. So haben sie bis jetzt jeden Chevron-Baustart verhindert. Die Trecker waren immer schneller vor Ort als die Baumaschinen. Geräusch-take hoch Sprecher: In der Ecke steht ein alter Ofen aus Traktorteilen, an der Wand hängen Zeitungsartikel, eine Landkarte mit Bohrkonzessionen, hunderte Seiten Unterlagen warten griffbereit in den Ordnern. Take 13 (Siegienczuk) / Übersetzung 0.35 38.59-39.33 Es dauerte eine ganze Zeit, bis wir alles zusammen hatten, bis wir wussten, auf welche Dokument Chevron noch wartet. Bis wir Widerspruch einlegen konnten, das dauerte ein ganzes Jahr. Bis wir uns an das Ministerium wenden konnten. Sprecher: Sie haben Lücken in der Zulassung entdeckt, Widerspruch eingelegt, wo es nur ging. Immer wieder auf das riesige Grundwasser-Reservoir der Region verwiesen. Chevron aber pochte auf seine Konzession. Und die Bewohner der Region auf ihr Widerstandsrecht. Dass ihre Mobiltelefone manchmal verrückt spielen, daran haben sich alle mittlerweile gewöhnt. "Natürlich werden wir überwacht", sagen sie Geräusch-take 10: Generator 0.40 Sprecher: Der Chevron-Generator auf dem Acker nebenan beginnt zu surren. Die Kamera läuft. Filmt die Mauer aus Strohballen. Endlose Felder rundherum. Andrzejs roten Trecker, Barbara Siegienczuks Transporter, den großen Geländewagen von Wieslaw Gryn. Geräusch-take 11: Warschau 1.24 Bd. 0'02 sechsspurige Straße, Autos vorbei, dann kurz ein paar Frauenstimmen bis Bd. 1'35 Sprecher Warschau, Ulica Kasprzaka, Mitte September. Vor einem alten roten Backsteingebäude parken TV-Übertragungswagen. Auf dem Bürgersteig warten Kameramänner, Journalisten und Fotografen. PGNiG - Polens größter Gas-und Ölversorger residiert in einem ehemaligen Gaswerk. Geräusch-take 12 1.16 Bd. 6'36 Journalistin im hellen Mantel, braune kurze Haare redet mit Kamerateam, Ton älterer Mann, Kamera jüngerer Sprecher: Eine Reporterin bespricht sich mit ihrem Kameramann. Dann fährt sie sich kurz durch die Haare, hebt das Mikrofon. Geräusch-take 13 1.42 .Bd. 8'21 Journalistin macht Aufsager, bez gasow... 45 Prozent weniger, sagt sie...bis Bd. 9'03 Sprecher: 20 bis 45 Prozent weniger Gas als bestellt komme in diesen Tagen aus Russland, berichtet die Journalistin. Und: Dass es keinen Grund zur Besorgnis gäbe, denn die polnischen Gas-Speicher seien gut gefüllt. Geräusch-take hoch Sprecher: PGNiG ist die polnische Nummer eins im Fracking-Geschäft. Seit einigen Monaten kooperiert das Unternehmen mit Chevron. Beide wollen in Zukunft Erkundungsarbeiten gemeinsam planen und koordinieren. Doch zum Thema "Zurawlow" will niemand ein Interview geben. Weder bei Chevron noch bei PGnIG. Auch über die Perspektiven der Schiefergassuche möchte niemand mit uns sprechen. Die Unternehmen verweisen per e-mail auf ihre Konzessionen. Und auf das polnische Umweltministerium. Geräusch-take 14 (VL Bus 0.15) 0.43 Bd. 4'29 quietschende, schwere Tür, rein, drinnen Glas und Fliesen, ruhig ... Piepen von Zeitkarten-Erfassung Sprecher: Das Umweltministerium liegt nur wenige Kilometer entfernt, in der Ulica Wawelska 54. Ein sechsstöckiger, schäbig-beiger Verwaltungsblock. Geräusch-take 15 1.40 Bd. 8'30 Piepen und auf-zu der Edelstahl-Sperre bis Bd. 9'05 Sprecher Drinnen verbreiten glänzende Granitfliesen, polierter Edelstahl, Absperrungen aus hellgrünem Glas und lederne Sitzwürfel einen Hauch von Eleganz. Bauarbeiter schleppen Rollen mit Dämmmaterial Richtung Aufzug. Umweltminister Maciej Grabowski schlendert vorbei. Vor gut einem guten Jahr wurde er vom damaligen Regierungschef Donald Tusk berufen. Auch - oder vor allem - um das Thema "Fracking" voran zu bringen. Denn das polnische Umweltministerium ist auch zuständig für den Bergbau und die Konzessionsvergaben. Geräusch-take 16 0.48 Bd. 1'29 Frau am Empfang ruft an: Hier ist die Rezeption, jetzt, gleich... gut, gut, danke... 1'42 And this is second floor, 252 Room... und legt Plastik-Besucher- Ausweis dazu... Geräusch-take 17 Büro-Atmo 2.00 Sprecher: "Zweiter Stock, Zimmer Nummer 252", sagt die junge Dame am Empfang und reicht einen weißen Plastik-Ausweis über den Tresen. Im zweiten Stock wartet der stellvertretende Umweltminister und Chef-Geologe Slawomir Brodzinski. "Wir treffen uns in einem besonderen Moment", sagt er zur Begrüßung. Und meint damit die reduzierten Gaslieferungen aus Russland. Take 14 (Brodzinski) / Übersetzung 0.26 Bd. 12'51+++Off course we Übersetzung: Natürlich machen solche Ereignisse deutlich, wie wichtig es ist, unabhängig zu sein. Bislang importieren wir 70 Prozent unseres Gases aus Russland, der Rest stammt aus unseren eigenen Vorkommen. Für uns ist es Zeit, weitere, unabhängige Gas-Vorkommen zu erschließen. Sprecher: Mit seinem eckigen Körper und dem breiten Schädel ähnelt der Vize-Minister verblüffend Hartmut Mehdorn. Auch Brodzinski pflegt ein "Macher-Image". Er kommt aus der Bergbaubranche. Der Vize-Minister deutet auf einen jungen Mann im dunkelblauen Anzug, der sich vom Besprechungstisch erhebt: Rafal Miland ist Direktor der Abteilung für Geologie. "Er wird mir bei den Details helfen", sagt Brodzinski und lächelt. Dann zieht er einen Karten-Ausdruck heran: Polen unterteilt in 478 gleichgroße Plan-Quadrate, viele davon bunt markiert. Jede Farbe steht für eines der 25 in- und ausländischen Unternehmen, die in Polen nach Schiefergas suchen dürfen. Brodzinski blickt kurz auf seine handgeschriebenen Notizen, fährt dann mit dem Finger über die Karte... Take 15 (Brodzinski) / Übersetzung 0.32 Bd. 18'30 Lets start with the locations off our shale-gas-deposits... Übersetzung: Der größte Teil unserer Schiefergas-Vorkommen liegt in der Woiwodschaft Pommern, im sog. Baltischen Becken. Der Streifen zieht sich dann von der Ostseeküste im Norden bis in den Südosten, rund um Lublin, nahe der ukrainischen Grenze. Das sind die beiden Haupt-Erkundungsgebiete und hier wurden - ich muss kurz nachschauen - hier wurden 68 Lizenzen vergeben. Sprecher: Brodzinski schiebt die Karte bei Seite. Blickt noch einmal auf den Notizzettel. Es ist nicht einfach in Sachen Fracking den Überblick zu behalten. 5,3 Billionen Kubikmeter Schiefer-Gas vermutet eine Behörde des US-Energie-Ministeriums 2011 in Polens Untergrund. Das mit Abstand größte Vorkommen in Europa. Die polnische Regierung hofft auf eine neue Energiequelle, Unternehmen und Investoren auf glänzende Geschäfte. Mittlerweile hat das Polnische Geologische Institut die Zahlen kräftig nach unten korrigiert: auf maximal 800 Milliarden Kubikmeter. Brodzinski lächelt: take 16 (Brodzinski) / Übersetzung 0.22 Bd. 16'30 Übersetzung: Wir werden wahrscheinlich kein zweites Kuwait oder Katar werden. Aber unsere Abschätzungen der Schiefergas-Reserven sind sehr vielversprechend. Diese Vorkommen werden unsere Unabhängigkeit sichern. Und vielleicht sogar noch mehr: Ich meine den Export.... Sprecher: Vom Gas-Importeur zum Exporteur - die polnische Energiewende soll aus dem Untergrund kommen. Doch die anfängliche Euphorie ist verflogen. Internationale Konzerne wie Exxon Mobile oder Talisman haben ihre Arbeiten eingestellt. Von technischen Problemen und bürokratischen Hindernissen ist die Rede. Dazu kommen Proteste wie in Zurawlow. Ein Thema, zu dem sich Bordzinski und Miland eigentlich nicht äußern möchten. Take 17 (Miland) / Übersetzung Miland Bd. 41'15 It is hard to comment, probably there where some mistakes... Sprecher drüber: "Das kann man schwer kommentieren", sagt Geologie-Direktor Miland. "Wahrscheinlich gab es ein paar Kommunikationsprobleme". "Aber nur am Anfang" beschwichtigt der Vize-Minister. Miland aber bleibt dabei: "Der Start war schlecht und danach wurde es nicht besser". Brodzinski verzieht keine Miene. Greift stattdessen wieder zu der Landkarte mit den bunten Kästchen. Geräusch-take 18 Autos vorbei 0.51 Sprecher: 400 km nordwestlich von Warschau rollt der Verkehr über eine AlleenstraßeRichtung Ostsee. Vorbei an einem Metallzaun, der sich einige hundert Meter am Fahrweg entlang zieht. Hier, in der Woiowodschaft Pommern, liegt Planquadrat 68 der Konzessionskarte. Geräusch-take 19 Schritte 1.15 Sprecher: "Teren Prywatny" - "Privatgrundstück" verkündet ein Schild. Hieronim Wiecek würdigt es keines Blickes, geht am Zaun entlang, bis er eine Lücke findet. Take 19 (Wiecek) 0.14 14.52 Schritte über den groben Kies Niecz ; Nichts wird passieren, wenn wir hier reingehen.. Sprecher drüber: "Uns passiert nichts, wenn wir hier reingehen", sagt Wiecek. Der Mittsechziger ist ein kleiner, besonnener Mann mit grauem Haarkranz, grauem Schnurrbart, Brille. Der Rentner duckt sich, schlüpft unter einer rot-weißen Absperr-Kette hindurch. Grober Kies knirscht unter den Schuhen. Wiecek bleibt stehen, blickt über die künstliche Kieswüste, die sich wie ein riesiger Parkplatz vor ihm ausbreitet. In der Mitte des Geländes thront ein großer dunkelgrüner Kubus wie ein überdimensionaler Legostein. Kein Mensch ist zu sehen. Take 20 (Wiecek) / Übersetzung 0.09 8.21 Übersetzung: Das Fracking selbst dauerte hier zwei Wochen. Es dauert aber drei Monate um das vertikale Loch zu bohren. Und nochmal zwei Monate, um die Horizontalbohrungen zu machen... Sprecher: Ende Juni erkundeten Fracking-Firmen hier den Untergrund. Jetzt erinnert daran nur noch der Container. Und die Schilder am Bauzaun "Bohrfeld Gapowo-B1" steht auf einem. Investor: Indiana Investments. Eine US-amerikanische Firma mit polnischer Tochter, extra gegründet für die Schiefergassuche. Der Bohrtrupp kam aus Tschechien. Er ist mittlerweile weitergezogen. Take 21 (Wiecek) / Übersetzung 0.17 8.57 Niema inormajce... Übersetzung: Es gab keine Informationen, ob sie etwas gefunden haben. Als sie hier die Bohrungen niederbrachten, sagten sie, sie haben Öl und Gas gefunden. Aber nach dem Fracking gab es keine Neuigkeiten mehr... Sprecher: Fünf Kilometer tief bohrte die Firma ins Erdreich. Pumpte dann 20.000 Kubikmeter Wasser, versetzt mit Chemikalien in den Untergrund, um die Schieferfelder aufzuknacken. Wiecek zuckt mit den Schultern, stapft zurück zum Auto. Geräusch-take 20: Autofahrt 0.56 Sprecher: Wiecek dirigiert den Wagen runter von der Landstraße, über Holperpisten und Sandwege. Take 23 (Wiececk) 0.49 Track 16, 0.52 So ist es eben in Kaschubien, sie fangen jetzt erst langsam an Sprecher drüber: Sprecher: "Bei uns fangen sie erst langsam an, die Straßen zu asphaltieren", erzählt er lachend. "So ist es eben in Kaschubien". Leicht hügelig geht es durch dichte Laubwälder, links und rechts tauchen immer wieder kleine Seen auf, dazwischen Sumpfgebiete. Greifvögel kreisen am Himmel. Kein Auto kommt uns entgegen. "Kaschubien für Generationen" - so heißt die Initiative, die Wiecek vor einigen Jahren gründet. Als ein Kiestagebau in der Region entstehen soll. Die Anwohner protestieren - mit Erfolg. Jetzt kämpfen sie gegen das Fracking. Take 24 (Wiecek) 0.09 3.15 Die Quellen für unsere 4 Seen kommen hier aus diesem Sumpf... Sprecher drüber: "Die Quellen für unsere Seen kommen alle aus diesem Sumpfgebiet hier", sagt Wiecek. Und deutet nach links. Sümpfe, Seen, Bäche - hier fließt alles zusammen. Geräusch-take 22: (Tür zu) Wald/Laub 1.11 Geräusch-take 23: See/Wald 0.58 Sprecher: Zwei Kilometer weiter liegt der größte See der Region. Silbrig schimmert das Wasser durchs Unterholz. Wiecek stapft durch den Wald, Richtung Ufer, trockenes Laub raschelt. Kein Mensch weit und breit. Winzig wirken die Holzhütten auf der anderen Uferseite. Hieronim Wiecek tritt ans Wasser, deutet auf den Schilfgürtel. Der wächst auf dem Trockenen. Take 25 (Wiecek) / Übersetzung 0.27 2.07 Widatsch... Übersetzung: Sehen sie, hier können sie sehen, wie der Wasserstand gesunken ist, das Wasser stand immer bis hier oben... Es passierte nach der Bohrung. Das Wassersystem wurde irgendwie beschädigt und das sind die Folgen... Sprecher: Um sechs Meter ist der Wasserspiegel nach der Fracking-Bohrung gesunken. In einem zweiten See noch einmal um einen Meter. Die Vertreter der umliegenden Gemeinden protestierten. Ohne Erfolg. Take 26 (Wiecek) / Übersetzung 0.11 3.21 To jest tutai normale...Übersetzung: Uns wurde gesagt: Das ist normal. Das hat nichts mit den Bohrungen zu tun. Aber ich weiß genau: Hier, wo wir jetzt stehen, da war Wasser. Ich lebe seit 20 Jahren hier. Mir macht man nichts vor... Sprecher: Das Wasser ist weg. Das Fracking-Unternehmen zum nächsten Bohrloch gezogen. Unter der Erde aber blubbert weiter ein großer Teil des injizierten Chemie-Cocktails. Eine Zeitbombe, befürchten viele hier in Kaschubien Take 27 (Wiecek) / Übersetzung 0.22 5.42 Situace... Übersetzung: Das Fracking-Wasser bewegt sich nach oben, ungefähr 30-40 Zentimeter pro Tag, aus einer Tiefe von 5000 Metern. Wir wissen nicht, was in vier oder 5 Jahren passiert, vielleicht gibt es hier dann gar keine Seen mehr.. . Sprecher: Wiecek schüttelt frustriert den Kopf. Die nächsten Untersuchungen sind bereits angekündigt. Er befürchtet, dass dies nur der Anfang ist. Vom Ende einer Region. Hier in Pommern. Take 31 (Wiecek) / Übersetzung 0.35 37.14 Nie bindum40.10 Übersetzung: Man braucht 4,5 Hektar Fläche für ein Bohrloch, Und dann nochmal 4,5 Hektar für das nächste. Man braucht tausende Bohrlöcher, um das Gas zu fördern. Dann ist für uns hier kein Platz mehr. Und wie transportiert man das Gas ab? Mit LKW oder Pipelines? Die Rohre würden über unser Land führen. Leider haben wir ein sehr rigides Bergbau-Gesetz. Das besagt, dass im nationalen Interesse jeder enteignet werden kann. Geräusch-take 26: Umweltministerium 1.40 Geräusch-take 27 / Büro 2.00 Sprecher: Im Warschauer Umweltministerium beugen sich Vize-Minister Brodzinksi und Geologie-Direktor Miland über ihre Unterlagen. Sie studieren die Karte mit den Konzessionen, vor allem die Region westlich von Danzig. Dort, wo auch die kaschubischen Seen liegen. In zwei Jahren beginnt die kommerzielle Schiefergas- Förderung, schätzt der Minister: Take 32 (Brodzinski) / Übersetzung 0.24 Bd. 33'09 Übersetzung: Es ist natürlich risikant zu sagen, wo. Aber ich erwarte, dass Pommern der beste Platz sein wird. Nicht nur wegen der guten Ergebnisse, sondern auch wegen der positiven Haltung der lokalen Bevölkerung dort. Sprecher: Informationskampagnen, um die Bevölkerung zu überzeugen, ein millionenschweres Forschungsprogramm, um die Bohr-Technologie weiter zu entwickeln - all das soll die Erkundungsarbeiten vorantreiben. Gleichzeitig machte die Regierung Druck in Brüssel. Um strengere EU-Regelungen zu verhindern. Take 33 (Miland) / Übersetzung 0.25 It was hard work with other European member countries Bd. 48'48 Übersetzung: Es war ein hartes Stück Arbeit gemeinsam mit einigen anderen Mitgliedstaaten die EU-Kommission zu überzeugen, dass wir derzeit keine Gesetze oder Regulierungen brauchen. Wir waren sehr glücklich, dass aus den eigentlich geplanten Regulierungen doch nur Empfehlungen wurden... Sprecher: Vize-Minister Brodzinski nickt zufrieden. Die Rahmenbedingungen stimmen. Zum 1. Januar 2015 wird auch noch das Bergbaurecht geändert. Um den Fracking-Firmen weiter entgegenzukommen. Und wieder neuen Schwung in die Schiefergas- Erkundungen zu bringen. take 34 (Miland) / Übersetzung 0.18 Bd. 53'51 Übersetzung: Seit fest steht, dass wir das Gesetz ändern, haben wir mehr Nachfragen nach Konzessionen erhalten. Es wird also einige neue Lizenzen geben... ... Geräusch- take 29: Camp outside 0.46 Sprecher: Zurück in Zurawlow. Es ist Herbst geworden. Der alte Bauwagen, steht einsam auf dem Feld. Das Versammlungszelt ist abgebaut, die Strohballen abtransportiert. Nur die Protestplakate flattern einsam am Straßenrand. Von einem Tag auf den anderen ist Chevron von hier verschwunden. Samt Zaunmaterial, Generator und Überwachungskamera. Geräusch-take 30 Bauwagen Innen/ Konzert 2.48 Sprecher; Im Bauwagen beugen Gosha und ihre Mitstreiterinnen sich über den tragbaren Computer. Aufnahmen vom Sommerfest wackeln über den Bildschirm. Eine Bühne neben dem Bauwagen, Zelte drum herum. Eine Siegesfeier - nach 400 Tagen Protest. Und unzähligen anhängigen Gerichtsverfahren: Take 35 Bd. 18'09 alle durcheinander... Es gibt eine Anklage für 32 Leute, eine für 12 und eine für 14... Sprecher drüber: Es gibt einmal 32 Anklagen, einmal 12 und einmal 14 rechnen die Frauen laut vor: Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung. Fast das ganze Dorf muss vor den Richter. Sie freuen sich schon auf die Verhandlung, sagen sie. Take 36 (Frauen) / Übersetzung 0.26 Bd. 18'48 Miszmy alle durcheinander... lachen auch... Übersetzung: Wir haben uns sicher verändert. Wir sind schlauer geworden. Wir wissen, wofür wir leben in dieser Welt und wir wissen, wie wir unsere Rechte verteidigen. Und manchmal erkennen wir uns selbst nicht wieder... Geräusch-take 31: Außenatmo 1.00 Sprecher: Draussen stehen Barbara Siegienzuk und Wiesiek Gryn. Der Großbauer und die Hobby-Gärtnerin. "Unser Bauwagen wird hierbleiben", sagt Siegienzuk: Take 37 (Siegienczuk) 0.46 18'25+++ Übersetzung: Menschen aus ganz Polen kommen hierher. Wir sind so etwas wie ein Informationszentrum. Wir wissen, welche Dokumente man anschauen muss, welche offiziellen Stellen zuständig sind. Wir wollen nicht nur unsere Region schützen, sondern wir kämpfen für ganz Polen. Wir wollen, dass alle Informationen über Fracking veröffentlicht werden. Sprecher: Siegienczuk blickt kämpferisch. Vom "Widerstands-Weltrekord" schreiben die Zeitungen, vom "Sieg David gegen Goliath". Wieslaw Gryn wiegt nachdenklich den Kopf. Er glaubt nicht, dass die Fracking-Firmen so einfach aufgeben. Der Landwirt deutet auf eine Baumgruppe in der Ferne. Take 38 (Gryn) / Übersetzung Bd.34'15 Übersetzung: Das rote Dach, das sie dort drüben sehen, das ist der nächste Ort für eine Probe-Bohrung. 1 1