DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Tel. (0221) 345 1503 Verschwiegen. Verdrängt. Vergessen? Hermann Görings Malerschule in der Eifel Von Frank Möller Sendedatum: 5. September 2014 URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Musik O-Ton Reinhold Müller, Bürgermeister: Ja, wir, gehen damit offen um. Es ist nicht so, dass das hier hinter vorgehaltener Hand kommuniziert wird. Peiner war ja nun Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf, Monumentalmaler. Und ich denke mal, diese Malart, die hat den Nazis schon irgendwo imponiert. Die waren ja immer etwas großspuriger drauf. O-Ton Manfred Rippinger, Eifelverein: So eine Thematik ist mir, dass die diskutiert worden ist im Eifelverein, bislang unbekannt. O-Ton Heinen: Und dann hab ich mir die Zähne ausgebissen. O-Ton Bodo Bölkow, AK Geschichte: Wenn man in der Jauche rührt, dann stinkt es. Ansage: Verschwiegen. Verdrängt. Vergessen? Hermann Görings Malerschule in der Eifel Eine Sendung von Frank Möller 1. Sprecher Es war ein Zufall, der mich in jenes beschauliche 400-Seelen-Dorf in der Nord-Eifel verschlagen hatte, nicht weit von der belgischen Grenze entfernt. Bei der Arbeit an einem Buch war ich auf 50 Jahre alte Fotografien gestoßen: 2. Sprecherin Schriftsteller, Lektoren und ein Verleger sitzen in der Sommersonne im Halbkreis eines gepflegten Innenhofes, der mit Natursteinmauern umgeben ist. Die Bilder sind im Juni 1964 aufgenommen worden und zeigen den damaligen Lektor des Verlages Kiepenheuer & Witsch, Dieter Wellershoff, mit seinen jungen Autoren Rolf Dieter Brinkmann, Nicolas Born, Tankred Dorst, Günter Herburger und Günter Seuren. Auch Heinrich Böll nimmt teil und der Verleger Joseph Caspar Witsch. 1. Sprecher Drei Tage lang hatten die Literaten aus unveröffentlichten Texten vorgetragen, ähnlich wie man es von der "Gruppe 47" her kannte. Jörg Schröder, seinerzeit Werbeleiter bei Kiepenheuer & Witsch und später Gründer des März Verlages, war auch dabei. O-Ton Jörg Schröder: Ja, das war durchaus eine Idylle. Es war ein Atrium. Es gab dort einen Springbrunnen. Der Springbrunnen musste allerdings ausgeschaltet werden, weil das Plätschern die Lesungen störte. Ich erinnere mich, dass zum Beispiel Heinrich Böll und ein paar Leute sich unter dieses Atrium gesetzt haben. Witsch saß vorne in der Sonne. Es war "Ein sehr schöner Tag". 1. Sprecher: Es ist auch heute noch schwer, sich dem Eindruck der Idylle zu verschließen. Kronenburg, der Ort des Literatentreffs, lockt mit gepflegten mittelalterlichen Gassen und geduckten, eng aneinander geschmiegten Eifelhäusern unterhalb einer beachtlichen Burgruine. Von einem "Rothenburg in der Eifel" und von einem Ort, der Landschaftsmaler bereits seit dem 19. Jahrhundert magisch anziehe, schwärmte der Eifelverein schon in den 50er-Jahren. Es gibt indes auch Fotos, die so gar nicht zu der friedlichen Weltabgeschiedenheit Kronenburgs passen wollen. Einige zeigen den Bahnhof des Ortes. 2. Sprecherin: Vor dem eingefahrenen Zug selbstsicher ausschreitend: Hermann Göring in weißer Uniform, neben ihm der Maler Werner Peiner im dunklen Frack. Dahinter dicht gestaffelt: SS, Polizei, Sicherheitsdienst, zwei Gauleiter und einige Zivilisten. 1. Sprecher: Ich möchte mehr über Kronenburg und den Anlass der Ankunft des zweiten Mannes im NS-Staat wissen und verabrede mich mit Dietrich Schubert. Er hat den Bahnhof zusammen mit seiner Frau vor rund 40 Jahren gekauft und zur Wohn- und Arbeitsstätte ausgebaut. Schubert kennt die Eifel. Er zählt zu den zugezogenen Kreativen, ist Dokumentarfilmer und findet seit Jahren hier seine Themen. Auf der Terrasse zeige ich ihm die Fotos. O-Ton Dietrich Schubert: Die kenn' ich ja nicht. Er ist damals ja mit einem Sonderzug angekommen. Ich weiß, wir hatten irgendwann einen Dachdecker hier, der als Junge das noch miterlebt hat, und dann irgendwo hier auf dem Hügel standen die Kinder und gerufen haben: "Hermann, Hermann lass dich sehen, sonst müssen wir nach Hause gehen". Und da ist er dann rausgekommen und hat huldvoll gewunken. 1. Sprecher: Wir suchen nach der genauen Stelle, an der Göring seinerzeit von Peiner empfangen wurde und finden sie rasch an der Frontseite des Bahnhofs. O-Ton Dietrich Schubert: Das macht Sinn, hier mit der Tür, dann haben die hier, also da an der Straße irgendwo gestanden. Ja, es ist schon ein merkwürdiges Gefühl. Wir wussten das natürlich nicht, als wir den Bahnhof gekauft haben. Da sieht man eben die Geschichte, die mit einem solchen Gebäude verbunden ist, genauso wie eben oben mit der Lehrerfortbildungsstätte, ehemalige Hermann Göring-Meisterschule, auch nicht auf den ersten Blick zu sehen ist. 1. Sprecher: Die Hermann Göring-Meisterschule für Malerei ist einer von zwei markanten Punkten der Kronenburger Geschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus. Vom Bahnhof in der Talsiedlung erreicht man sie heute noch fast auf demselben Weg, den Göring im schwarzen offenen Mercedes am 8. Juni 1938 nahm. 2. Sprecher: Damals wehte vom Kirchturm des Ortes weithin sichtbar die Hakenkreuzfahne, eine Ehrenformation erwartete den Reichsfeldmarschall und Kinder überreichten Blumen. Werner Peiner führte Göring und dessen Gefolge anschließend über holpriges Kopfsteinpflaster und durch enge Gassen zu seinem Privathaus in unmittelbarer Nähe der beflaggten Kirche am Burgbering. 1. Sprecher: Peiners Haus ist der zweite markante Ort des Geschehens, mit dem sich die NS-Geschichte unauslöschlich in die Dorfgeschichte Kronenburgs eingeschrieben hat. 2. Sprecher: Der Maler hatte es 1931 erworben und später noch zwei angrenzende Gebäude hinzugekauft. Er wollte hier eine Landakademie als Außenstelle der Kunstakademie Düsseldorf aufbauen. In Düsseldorf hatte er während der Weimarer Republik Malerei studiert und sich schon vor Hitlers Machtantritt in bürgerlich-konservativen Kreisen mit Porträts, Landschaften und Stillleben einen Namen gemacht. Gleichzeitig schuf er großformatige Gobelins und monumentale Mosaikarbeiten mit allegorischen Darstellungen, die sich der Moderne strikt verweigerten und den Geschmack nationalsozialistischer Kulturfunktionäre trafen. 1933 berief die Düsseldorfer Akademie Peiner zum Professor für Monumentalmalerei; im selben Jahr fand eines seiner Landschaftsgemälde als Postkarte und Plakat weite Verbreitung im Dienste der Blut-und-Boden-Ideologie. Es zeigt einen Bauern, der vor aufziehendem Gewitter unbeirrt sein Feld bestellt. Das Gemälde "Deutsche Erde" festigte nicht nur Peiners Ruf als "germanischer Maler", es wurde Ende '33 Hitler persönlich zum Geschenk gemacht. Der wiederum ließ es auf offiziellen Kunstschauen zeigen und durch seinen Propagandaminister Joseph Goebbels die eigene Nähe zu den Künsten preisen. O-Ton Joseph Goebbels: "Der Führer liebt die Künstler, weil er selbst ein Künstler ist. Unter seiner gesegneten Hand ist nun über Deutschland eine Art von neuem Renaissance-Zeitalter angebrochen. 1. Sprecher: Für Peiner war es das tatsächlich. O-Ton Joseph Goebbels: Man möchte fast in der Abwandlung eines Wortes von Ulrich Hutten ausrufen ‚Oh Jahrhundert, oh Künste, es ist eine Lust zu leben.'" 2. Sprecherin: 1936 erfolgte auf ministeriellen Erlass die Gründung der von ihm angestrebten "Landakademie Kronenburg" als Außenstelle der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, allerdings nur für eine einjährige Versuchsphase. Als die vorbei war und Peiner sich außerdem mit dem Akademiedirektor überworfen hatte, sprang Göring ein. 1. Sprecher Schon im Mai 1937, bei seinem ersten, noch eher privaten Besuch in der Landes- Akademie, kam es zu einer Schlüsselszene, die nicht nur für Peiners Zukunft, sondern auch für die des Dorfes Kronenburg entscheidend sein sollte. Werner Peiner hat sie in einer unveröffentlichten Autobiografie festgehalten: Sprecher Zitattext/Peiner: "Nach Tisch wanderten wir alle wieder in den Garten aufwärts. Dort sagte mir Göring [...]: ‚Herr Peiner, ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich glaube, dass Sie der Einzige sind, der unserer notleidenden deutschen Kunst helfen kann'. Ins Atelier wagte uns [...] niemand zu folgen. Man wartete draußen. Jetzt aber bat Göring alle, hereinzukommen und dann nahm er Bild für Bild - es waren schwere Holztafeln - und trug sie die zehn Meter zur Staffelei. Als er sie so vorführte, fragte er: ‚Ist das nicht schön?' Ich hatte so eine spontane Würdigung meiner Kunst noch nie erlebt. Kein Museumsdirektor hätte je etwas Ähnliches getan. [...] Zu mir sagte er: ‚Ihre Schule soll selbständige Kunsthochschule werden und dem Preußischen Staatsministerium unmittelbar unterstehen. Ich stifte Ihnen zunächst einmal 100.000 Mark, damit Sie Ateliers bauen können. In mein Gästebuch schrieb er: ‚Voll Anerkennung und erfüllt von aufrichtiger Bewunderung gelobe ich dem Meister dieser Schule höchste Förderung." 2. Sprecherin: Nach der feierlichen Eröffnung wurde die Schule Teil der NS-Propaganda. O-Ton NS-Film: "Weit ab vom Getriebe der großen Städte liegt das verträumte Eifeldorf Kronenburg, in dem die Meisterschule Hermann Göring eingerichtet ist. Ihr Leiter ist der bekannte Maler Professor Werner Peiner. Der Meister bei der Arbeit an einem Pferdekopf." 1. Sprecher: Die Malerschule und Peiners Privathaus wurden jetzt zur Anlaufstelle für weitere Nazi-Prominenz. 2. Sprecherin: Goebbels fuhr vor, ebenso Heinrich Himmler in schwarzer SS-Uniform, Albert Speer war zu Gast und selbst der schwedische Entdeckungsreisende und Hitler-Verehrer Sven Hedin scheute den Weg in die Eifel nicht. Peiner avancierte in diesen Jahren - neben Albert Speer und Arno Breker - zum wichtigsten Staatskünstler des Dritten Reiches. 1. Sprecher: In Kronenburg entstanden nun Muster für "Falkenjagdteppiche" zur Glorifizierung des Luftkampfes, großformatige Kartons als Vorlagen für Tapisserien mit symbolischen Darstellungen der fünf Erdteile, die den Weltherrschaftsanspruch der Nationalsozialisten visualisierten, sowie Entwürfe zu einer siebenteiligen Serie "Deutsche Schicksalsschlachten". 2. Sprecherin: Peiners Werke dienten der Ausstattung von Repräsentationsbauten in Berlin: der Neuen Reichskanzlei, dem "Haus der Flieger" oder dem Auswärtigen Amt - aber auch der Wewelsburg, einer Kultstätte der SS südlich von Paderborn, sowie der nahe Kronenburg gelegenen NS-Ordensburg Vogelsang. 1. Sprecher Und Peiner stieg zu Görings Hauskünstler auf. Das großformatiges Gemälde "Europa und der Stier" schmückte Görings Schlafzimmer in dessen Landresidenz Carinhall, weitere Werke kamen hinzu - wie Peiner in den 70er-Jahren im Rundfunk erzählt: O-Ton Werner Peiner: Ich erhielt von Hermann Göring den Auftrag, für die lange Halle in Carinhall acht Gobelins zu schaffen. Und ich fragte ihn, was er für Wünsche hätte bezüglich des Themas oder dergleichen. Und er sagte mir: Ich habe keine Wünsche. Machen Sie es nur schön. 1. Sprecher: Ihre Produktion für den NS-Staat konnte die Kronenburger Malerschule noch aufrechterhalten, als längst der Vernichtungskrieg gegen die Völker Osteuropas tobte, als Wehrmacht, Waffen-SS und Sonderkommandos mordend durch Dörfer und Städte zogen. Eines der letzten Peiner-Gemälde aus Kronenburg war: "Hagen von Tronje". Musik 2. Sprecherin: Der Nibelungen-Recke füllt das gesamte Bildfeld aus und triumphiert in Siegerpose über gefallene Kämpfer. Werner Peiner hat das Bild noch 1943 Adolf Hitler gewidmet. 1. Sprecher Ein Jahr später, im September 1944, verließ er Kronenburg. Die Alliierten hatten Paris zurückerobert und der Durchbruch auf Deutsches Reichsgebiet stand unmittelbar bevor. Die Betrachtung könnte hier zu Ende sein, wäre die Diskrepanz zwischen Aufschwung und Bedeutung Kronenburgs zu Zeiten Peiners und Görings und dem geradezu überlauten Schweigen über diesen Abschnitt der Ortsgeschichte in den Folgejahrzehnten nicht so groß. Nicht nur die Schriftsteller um Böll und Wellershoff, die 1964 in Peiners einstigem Privathaus tagten, waren sich dessen Historie nicht bewusst. Bis heute geht es Besuchern oder auch neu Hinzugezogenen ähnlich. Zwar stoßen sie direkt am Aufgang zum Burgbering auf den Gebäudekomplex der ehemaligen NS-Malerschule, der durch seinen Stilmix aus britischer Landhausarchitektur, eifeltypischem Feldstein und klosterähnlichem Zuschnitt jedem auffallen muss. 2. Sprecher Informationen zur einstigen Funktion der Atelier- oder Privatgebäude Peiners fehlen. 1. Sprecher: Das liegt nicht etwa an einem Mangel an Hinweisschildern in dem Ort. Im Gegenteil: die finden sich hier in ungewöhnlich großer Zahl. 2. Sprecher Aber entweder zeichnen sie sich durch kühne Zeitsprünge aus und lassen auf den Verkauf Kronenburgs an den König von Preußen im Jahr 1819 gleich das Jahr 1969 als Datum der Eingemeindung zur Eifel-Gemeinde Dahlem folgen. 1. Sprecher: Oder sie gefallen sich in detailverliebten Angaben zur Burgruine oder zu den Wilhelm-Tell-Festspielen, lokaler Folklore der 1920er-Jahre. Auffällig ist, dass es auch auf Tafeln jüngeren Datums, die über die "Cultour Euregio" informieren oder Wanderwege bezeichnen und unter anderem vom Nationalpark Eifel sowie vom nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium verantwortet werden, eine NS-Geschichte Kronenburgs niemals gegeben hat. 2. Sprecherin: Was aber ist der Grund für diese ostentative Ausblendung eines Teils der Ortsgeschichte? Woraus speist sich die Berührungsangst mit der eigenen unbequemen Historie? 1. Sprecher: Einen ersten Hinweis liefert der Lokaljournalist Franz Albert Heinen, der sich mit Büchern über die nahe gelegene Ausbildungsstätte der NSDAP, die NS-Ordensburg Vogelsang, überregional einen Namen gemacht hat. O-Ton Franz Albert Heinen: In den 80er-Jahren war ich als Journalist für unsere Zeitung zuständig für die Gemeinde Dahlem und der dortige Gemeindedirektor wies mich 1984 darauf hin, dass ein recht berühmter, aber umstrittener Maler aus der Gemeinde verstorben sei. Und dann hörte ich zum ersten Mal den Namen Werner Peiner. Also bin ich zu dem Wohnort des Herrn Peiner gefahren und habe dann in der Gaststätte mit der Recherche angefangen, habe dann die Wirtin gefragt und einige Gäste, und, ja, dann hab' ich mir die Zähne ausgebissen. Ich hörte allseits nur Löbliches; es waren stereotyp zwei Geschichten, die man erzählte. Auf der einen Seite soll dieser Maler Peiner einem Schmied aus dem Ort in der nationalsozialistischen Zeit das Leben gerettet haben, indem er ihn aus den Fängen der Gestapo befreite, den Schmied Köller; und auf der anderen Seite soll damals der Ort deutlich aufgewertet worden sein. Und auch daran erinnerte man sich kollektiv. Dass dieser Mann aber mit führenden Nationalsozialisten Kontakt hatte, dann den Mördern die Hand schüttelte, das ist 1984 im Ort vollkommen verdrängt gewesen. 1. Sprecher: Heinen war bei seinen Recherchen auf diejenigen Kreise des Ortes getroffen, die sich Peiner - wohl durchaus zu Recht - verpflichtet fühlten. Dafür, dass der Maler den Schmiedemeister Josef Köller vor dem Vollzug der Todesstrafe gerettet hat, gibt es amtliche Belege. 2. Sprecherin: Köller, der regelmäßig für Peiner gearbeitet hatte und dessen nach Peinerschen Entwürfen gefertigte Straßenlaternen immer noch Kronenburgs Straßen beleuchten, war wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt worden. Peiner hatte seine Kontakte zu den rheinischen Gauleitern genutzt, um Köller ein Revisionsverfahren zu ermöglichen und ihn so letztendlich frei zu bekommen. 1. Sprecher: Der Malerfürst rettet seinen Schmied - die Geschichte hat sich ins kulturelle Gedächtnis der Kronenburger fest eingeschrieben und wird heute noch gern erzählt. Auch die Erinnerung an die Aufwertung des Ortes hält der Überprüfung stand, denn vor der Ankunft Peiners sah Kronenburg aus wie zahlreiche andere Eifeldörfer. 2. Sprecherin: Es gab keine Kanalisation, als Toiletten dienten außerhäusige Bretterverschläge, die Hauptstraße glich einer Aneinanderreihung von Jauchepfützen. Erst mit dem Bau der Hermann Göring-Meisterschule flossen auch erhebliche Mittel zur umfassenden Modernisierung des Dorfes nach Kronenburg. Davon profitierten zahlreiche lokale wie regionale Handwerksbetriebe. Zum anderen prägten die ästhetischen Vorstellungen Werner Peiners von einem hübsch-mittelalterlich anmutenden Dorfensemble das Ortsbild nachhaltig. 1. Sprecher: Unter normalen Umständen verpflichtet derlei Engagement zu Dankbarkeit. Und eben hier setzen Ereignisse ein, denen bis in die Gegenwart niemand wirklich auf den Grund gegangen ist und die die Beschäftigung mit der Ortsgeschichte offensichtlich erschweren. O-Ton Franz Albert Heinen: Es soll so gewesen sein, dass der Herr Peiner nach '45 anfangs zurück nach Kronenburg wollte, aber in Kronenburg ist das abgelehnt worden, so dass er sich da nicht mehr niederlassen konnte. Und dieser Zwiespalt, auf der einen Seite Dankbarkeit gegenüber diesem Mann, der zumindest in der oberflächlichen Wahrnehmung viel für den Ort getan hatte, und auf der anderen Seite die Erkenntnis, dass dieser Mann tief mit den Nazis verbandelt war, das war ein komplizierter Vorgang. Und in den ersten Jahren der Nachkriegszeit bezweifle ich, dass die Leute Zeit hatten, sich da ernsthaft mit auseinanderzusetzen. Also haben die das erstmal beiseite gedrängt und als nachher Zeit gewesen wäre, da hatten sie es vergessen. Musik 1. Sprecher: Um die verweigerte Rückkehr Peiners nach Kronenburg ranken sich bis heute mehr Gerüchte als dass es gesicherte Fakten dazu gäbe. Nach Peiners eigenen Aussagen waren es der Ortspfarrer und ein Nachbar, die gegen ihn intrigiert hätten. Als seine Ehefrau in den Ort gefahren sei, hätten dort am nächsten Tag Plakate gehangen: Sprecher Zitattext: "Wir protestieren gegen die Rückkehr des Freundes von Göring und Himmler, des Nazistaatsrates Werner Peiner! Die aufrechten Kronenburger!" 2. Sprecherin: Wer sich hinter den bekannt gewordenen "Aufrechten" noch verborgen haben soll, ist unklar. Ungeklärt ist auch, wieso sich Werner Peiner nie mehr nach Kronenburg begeben hat, um seine Interessen selbst dort zu vertreten. 1. Sprecher: Weil aber die Vorgänge nie ganz aufgeklärt, sondern unter den Teppich gekehrt wurden, wuchs die Scham darüber, jemanden verstoßen zu haben, der den Bürgern des Ortes sichtbare Vorteile gebracht hatte. Die frühe Tabuisierung aus Gründen falsch verstandener Scham - so scheint es - hat dazu geführt, dass das Thema "Peiner - Göring - Malerschule" bis heute in Kronenburg ausgeblendet blieb. Und jetzt, sagt Dietrich Schubert... O-Ton Dietrich Schubert: Und jetzt hat man so die Hoffnung, och, jetzt ist es so lange her, jetzt müssen wir das auch nicht mehr machen. Obwohl, das muss noch recherchiert werden, ich glaube, dass Hermann Göring hier immer noch Ehrenbürger unseres Ortes ist. Denn, wir haben einen Film gemacht hier über unsere Eisenbahnstrecke, und im Archiv in Euskirchen gab es Zeitungsartikel, und da war z. B. auch ein Foto, wie in der Hermann Göring-Meisterschule einer der Schüler die Ehrenbürgerurkunde für Hermann Göring malt. Also bin ich eigentlich relativ sicher, dass wir hier immer noch einen Ehrenbürger haben, den es eigentlich Zeit wäre, endlich loszuwerden. 2. Sprecherin: Kann das wahr sein? 1. Sprecher: Interessant jedenfalls ist, dass die Frage offensichtlich für viele bis heute nicht beantwortet ist. Ich frage mich zu einem Kenner der Lokalgeschichte durch und treffe Bodo Bölkow. Er ist Sprecher des "Arbeitskreises Kultur & Geschichte" der Gemeinde Dahlem, zu der auch Kronenburg zählt. Wir verabreden uns im Gemeindearchiv des Rathauses in Schmidtheim, dem Sitz der Gemeindeverwaltung. Hier sollen die alten Ratsakten Kronenburgs lagern, und eigentlich müsste dort auch etwas zum Ehrenbürger Göring zu finden sein. O-Ton Bodo Bölkow Da ist es, "1154", so. Mit Hilfe dieses Kartons, den wir jetzt öffnen, schauen wir mal hinein. Beschlussbuch Kronenburg. Ja. Na ja, haben Glück gehabt, dass es noch überliefert ist. Es wurde nämlich nach dem Krieg und während des Krieges einiges entfernt aus den Ämtern, weil da drin eventuell etwas gestanden haben könnte, was denjenigen, die da drin vermerkt worden sind, nicht so angenehm war. So, da schauen wir mal. 1. Sprecher: In einem kleinen Nebenraum breiten wir die Bücher aus und werden beim Protokoll der Ratssitzung vom 1. Juni 1946 schließlich fündig. O-Ton Bodo Bölkow: "I. Ehrenbürgerrecht Hermann Göring. Der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes und die schwebenden Verhandlungen gegen die Verbrecher des überwundenen Systems gibt dem Gemeinderat Anlass zu dem einstimmigen Beschluss, alle dem damaligen Reichsmarschall Hermann Göring in dem ihm anlässlich der Eröffnung der Hermann Göring Meisterschule in Kronenburg im Juni 1938 durch den damaligen Amtsbürgermeister Dr. Seifert überreichten Ehrenbürgerbrief zugesprochenen Ehrenrechte hiermit zu entziehen. Der Gemeinderat nimmt dann noch mit Genugtuung davon Kenntnis, dass der frühere Gemeinderat und Bürgermeister in diesem Zusammenhang in keiner Hinsicht in Anspruch genommen worden sind, da damals ohne ordnungsmäßige Beratung und Beschließung der Gemeindevertretung die Ehrenbürgerrechte zugesprochen wurden." Witzig, witzig. Mit anderen Worten: Wir sind so unschuldig, wir haben davon zwar profitiert, aber wir haben nix dran getan. Können wir nix dafür. Also: Hermann Göring ist abgehakt, jetzt müssen wir noch zu dem Herrn Peiner was finden. Dazu müssen wir jetzt noch mal die nachfolgenden Protokollseiten blättern. 1. Sprecher: Doch auch nach längerem Studium der eng beschriebenen Protokolle lassen sich zumindest in diesem Archiv die näheren Umstände nicht klären, die Werner Peiner davon abhielten, nach Kronenburg zurückzukehren. O-Ton Bodo Bölkow: Nein, wir haben also merkwürdigerweise keinen Gemeinderatsbeschluss, wo drinsteht, dass dem Herrn Peiner keine Zutrittsrechte mehr in sein altes Haus, seine Wohnung gestattet werden. 1. Sprecher: Bleibt auch hier die Frage, wieso sich ein aktiver lokaler Verein wie der "Arbeitskreis Kultur und Geschichte" ausgerechnet des Kapitels Peiner - Göring - Kronenburg bislang noch nicht angenommen hat. O-Ton Bodo Bölkow: Es hängt auch sicherlich damit zusammen, dass man, gerade was nationalsozialistische Vergangenheit betrifft, man in kleinen Orten recht vorsichtig agieren muss als Insider. Man hat sehr schnell Türen zugeschlagen nach dem Motto: Darüber sprechen wir nicht, darüber reden wir nicht. Es gibt ein Sprichwort: "Wenn man in der Jauche rührt, dann stinkt es." Das ist eine heikle Kiste, immer noch heute. Es hat ja auch zu tun mit den Hinterlassenschaften, nicht nur den Gebäuden usw., sondern was geschieht mit Kunstwerken, die Professor Peiner hinterlassen hat, die er ja nachweislich in den 60er-, 50er-Jahren angefertigt hat. Darf man die heute noch zeigen? 1. Sprecher: Zumindest im Rathaus von Schmidtheim ist diese Frage längst beantwortet. Am Ende eines düsteren Ganges hängt ein großformatiges Gemälde Werner Peiners aus den 1960er-Jahren. Es könnte einem düsteren Fantasy-Rollenspiel entnommen sein - Peiner ist seinem Malstil treu geblieben. 2. Sprecherin: Ein Drache, der mit feurigem Atem einen Hof in Brand gesteckt hat, wird von einem glänzend gerüsteten Lanzenreiter bekämpft. 1. Sprecher: Im Büro des Bürgermeisters soll noch ein weiteres Bild hängen. Ich klopfe an und treffe Reinhold Müller beim Kistenpacken. Nach 30-jähriger Amtszeit geht er in den Ruhestand. Hinter seinem Schreibtisch - wandfüllend - der nächste Peiner. Und wie derjenige auf dem Gang unkommentiert. O-Ton Reinhold Müller: Ja, also ich erklär das jedem. Ich muss bloß feststellen, wenn ich Besuch bekomme und die das Bild betrachten, manche sind sehr interessiert, bei manchen hat man so den Eindruck, so ein bisschen verängstigt aufgrund dieses Riesenbildes. Die Bilder sind Mitte der 90er-Jahre der Gemeinde angeboten worden und zwar von der Provinzial Feuerversicherung. Ob die Gemeinde die übernehmen würde. Und da hab ich mir die Fotos angekuckt und hab gesagt klar, das ist nun Prof. Peiner, der nach dem Krieg noch aktiv war. Da sind die sicherlich bei uns gut aufgehoben. Diese Bilder sind entstanden als Auftragsarbeit. Ich meine im Jahr 1962. Und irgendwann war dieser Monumentalismus möglicherweise bei der Provinzial auch nicht mehr in, und man hat dann einen Ort gesucht, wo man sie unterbringen konnte. 1. Sprecher: Auch den Bürgermeister frage ich, warum sich in Kronenburg kein Hinweis auf die Geschichte der Hermann Göring-Malerschule und auf Peiners Eifelatelier findet. O-Ton Reinhold Müller: Ja, also, das ist ne gute Frage. Wir haben uns da nie Gedanken drüber gemacht. Das ist auch nie thematisiert worden. Möglicherweise muss man das Thema mal aufarbeiten. Aber jetzt muss ich Ihnen ehrlich sagen, ich kann Ihnen das gar nicht sagen, warum das einfach so gewesen ist, wie gesagt, man geht mit dem Thema hier ganz offen um, und das war auch nie Thema, das mal so zu thematisieren, sonst hätte man sich ja damit auseinandersetzen müssen. Also, wie gesagt, das entzieht sich meiner Kenntnis. Musik 1. Sprecher: Es griffe allerdings zu kurz, wollte man für unterschlagene Informationen ausschließlich Einwohner oder politische Amtsträger verantwortlich machen. Eine besondere Bedeutung für das Ausweichen vor der eigenen Geschichte kommt einem der mitgliederstärksten Wandervereine zu, die Deutschland aufzubieten hat - dem Eifelverein. 2. Sprecherin: Der Verein legt Wege an, fühlt sich der Kultur- und Naturschutzarbeit verpflichtet und betreibt - laut Satzung - Sprecher Zitat "eine zeitgemäße Jugendarbeit durch Förderung demokratischen und sozialen Denkens und Handelns". 2. Sprecherin: Der Eifelverein erwarb 1955 die Peinerschen Privathäuser und baute sie zu einem zentralen Wanderheim aus. Als das ein Jahr später, 1956, eingeweiht wurde, widmete der Verein seinem prominenten Wanderdorf auch eine eigene Publikation. 1. Sprecher: Ein einziges Mal kann man den Namen Werner Peiner darin finden, als Leiter einer "Meisterschule für Malerei". Das Wort Nationalsozialismus, die Namen der prominenten NS-Besucher oder Hinweise auf die Auftragsproduktionen für nationalsozialistische Repräsentationsbauten sucht man indes vergeblich. Will man diese Zurückhaltung verstehen, muss man noch einmal in die 30er-Jahre zurückgehen. 2. Sprecherin: Die von den Nazis durchgesetzte "Gleichschaltung" sowie die Ausrichtung auf das Führerprinzip, galten auch für Vereinigungen, die sich selbst als unpolitisch verstanden. Der konservative, ganz dem autoritären preußischen Geist verpflichtete Eifelverein, dessen Gruppenvorstände sich vorwiegend aus Studienräten, Bürgermeistern, Landräten und den Spitzen der jeweiligen lokalen Gewerbetreibenden zusammensetzten, bekannte sich bereitwillig zu den neuen Machthabern. In Hitler sah man den Führer, von dem, so heißt es in der Vereinszeitschrift im November 1933... Sprecher Zitat "... von dem wir in unserer Ohnmacht jahrelang gepredigt, gesprochen und geträumt haben." 2. Sprecher: Für den engen Schulterschluss zwischen Nazis und Verein sorgte vor allem der Schleidener Landrat Josef Schramm. In der Eifel bestens vernetzt, amtierte Schramm seit 1934 als stellvertretender Vorsitzender des Eifelvereins und seit 1938 als sein alleiniger "Führer" mit absoluten Vollmachten. Schramm war überzeugter Nazi, der in der Vereinszeitschrift den Überfall der Wehrmacht auf Polen ebenso pries, wie die Ausplünderung der eroberten Länder. 1. Sprecher: Josef Schramm ist das zweite Verbindungsglied zwischen dem Eifelverein und Kronenburg. Er selbst war es, der 1933 Peiners Gemälde "Deutsche Erde" Hitler als Geschenk in Berlin überreichte. 2. Sprecherin: Schramm hielt Peiner auf dem Laufenden, wenn sich auf den unteren Ebenen der NSDAP etwas gegen ihn zusammenbraute und der Schutz Görings gefragt war. Und nach dem Krieg stellte er dem Maler einen "Persilschein" aus, indem er eben jene Konflikte mit den unteren Parteigliederungen zu Widerstandshandlungen stilisierte. 1. Sprecher Nach der Niederlage des "Dritten Reiches" hat es der Eifelverein versäumt, sich seiner nationalsozialistischen Führung zu entledigen. 2. Sprecherin: Josef Schramm zog spätestens ab 1949 als Bevollmächtigter eines greisen Vorsitzenden bereits wieder die Fäden und gelangte über den Stellvertreterposten 1954 erneut ins oberste Amt. Er bekleidete es bis 1973, um noch bis 1991 als Ehrenvorsitzender des Vereins weiter Einfluss auszuüben. 1. Sprecher: Der Verein sollte 80 Jahre brauchen, bis schließlich 2013 überhaupt die erste selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im "Dritten Reich" erscheinen durfte - in Form eines bescheidenen Aufsatzes in der Festschrift zum 125-jährigen Vereinsjubiläum. Trotzdem löst die Frage nach einer angemessenen Kommentierung der Ortgeschichte Kronenburgs beim gegenwärtigen Geschäftsführer des Eifelvereins, Manfred Rippinger, zunächst vor allem Erstaunen aus. O-Ton Manfred Rippinger: Das ist eine gute Frage. So eine Thematik ist mir, dass die diskutiert worden ist, im Eifelverein, bislang unbekannt. Seit 23 Jahren bin ich ja hier Geschäftsführer und hatte den Betrieb des Eifelhauses und auch den Verkauf des Eifelhauses miterlebt und wusste auch aus Gesprächen mit damaligen Eifelvereinsleuten, dass diese Malerschule da in diesem Eifelhaus untergebracht war, hatte aber auch damals keinen Anlass gesehen, dort tiefer nachzufragen. Und ich denke, sofern dieser Bedarf da ist von der Öffentlichkeit bzw. auch aus dem Verein, dass man da sich intensiver mit der Rolle des Eifelvereins während dieser Zeit befasst. 1. Sprecher: Das ist allein schon deswegen angeraten, weil heute immer noch Hauptwanderwege des Vereins nach Personen benannt sind, die für den engen Schulterschluss zwischen Verein und Nationalsozialisten verantwortlich waren. Sprecher Zitat Der Joseph-Schramm-Weg führt den Wanderer auf einer Gesamtlänge von 189 Kiliometern in Nordsüd-Richtung quer durch die Eifel. 1. Sprecher: heißt es in Internetauftritten des Eifelvereins. Zitator Benannt ist Karl-Kaufmann-Weg nach dem 1. Vorsitzenden des Eifelvereins, Karl Leopold Kaufmann, der 34 Jahre, von 1904 bis 1938 dem Verein vorstand. O-Ton Manfred Rippinger: Das sind sowieso Bezeichnungen, wo man sich, denk ich, im Eifelverein überlegen muss, ob man die beibehält, weil sie der heutigen Generation so gut wie nichts mehr sagen. Aber dieses Rückwärtsschauen, was hat der Verein in den 30er-, 40er-Jahren gemacht und erlebt, ich glaube, das ist bei vielen überhaupt kein Thema mehr heutzutage. 1. Sprecher: Gerade deshalb ist es falsch, Fragen zu verdrängen, deren Klärung selbstverständlich sein sollte, wenn die Förderung demokratischen Handelns beim jugendlichen Nachwuchs mehr sein soll als bloße Satzungslyrik. Fragen zum Beispiel danach, wieso sich Traditionen und Ideale des Eifelvereins so reibungslos mit dem Ideologienkonglomerat des Nationalsozialismus verbinden ließen. Welcher Preis dafür zu zahlen ist, wenn notwendige Geschichtsaufarbeitung und kritische Selbstbefragung über Jahrzehnte still gestellt werden, macht ein Vorgang der jüngsten Vergangenheit deutlich, bei dem wiederum Werner Peiner im Mittelpunkt stand. 2. Sprecherin: Als 2012 in der Eifelgemeinde Schleiden-Gemünd die Präsentation einer Werkschau des Malers angekündigt wurde, rief das reflexartige Proteste auf den Plan. Sprecher Zitat "Keine Rehabilitierung von Nazikunst!" 2. Sprecherin: Es gab eine Kundgebung, auf der pauschal unterstellt wurde, die Schau verherrliche NS-Propaganda. Sie endete - bei gleichzeitigem Blick auf die nahe gelegene NS-Ordensburg - mit dem verbalen Rundumschlag: Sprecher Zitattext: "Peiner. Vogelsang. Eifel. Alles Scheiße!" O-Ton Martin Pesch: Wir waren verwundert, dass diese Reaktionen kamen, wobei man sagen muss, es war ja wirklich ein kleiner Teil nur der Bevölkerung, vor allem linke Gruppen, die da vehement im Prinzip versucht haben, uns niederzuschreien, muss man leider wirklich so sagen. Wir mussten Bilder natürlich rein nehmen, um die Kunst, sie ist ja Teil des Ganzen, darzustellen. Aber wir haben bestimmt 30 Texttafeln gehabt, in der wirklich dann historisch auch aufgearbeitet worden ist, hatten einige Objekte dann aus der Schule selber, wie z. B. das Tagebuch, um anhand dieser Ausstellungsobjekte das ganze System der Schule und den Verlauf, also Lebenslauf Peiners darzustellen. 1. Sprecher: Sagt Martin Pesch, der zusammen mit seinem Vater, dem langjährigen Leiter des Freilichtmuseums Kommern, Dieter Pesch, die Ausstellung kuratiert und um einen sachlich fundierten Begleitband ergänzt hatte. Sicher kann man Affekte, wie sie sich in Gemünd entluden, damit abtun, dass sie von einer Minderheit ausgingen. Man kann sie aber auch als Indiz dafür werten, dass der Verdacht, in der Eifel könne man sich eines NS-Themas nicht ohne Beschönigungen annehmen, besonders groß ist. Musik 1. Sprecher: Dafür, dass man mit der NS-Geschichte ganz anders umgehen kann, gibt es auch ein Beispiel - ein überraschendes dazu. Ausgerechnet die Familie Werner Peiners, die heute noch in dem Anwesen lebt, das sich der Malerfürst nach seiner Vertreibung aus Kronenburg am Rande des Bergischen Landes, in Leichlingen, zugelegt hat, zeigt sich völlig offen im Umgang mit dem schwierigen familiären Erbe, sagt Peiners Enkel Marcus Albanus: O-Ton Marcus Albanus: Wir wussten, dass wir von diesem Thema Nazi-Maler mit Werner Peiner nie wegkommen können. Vielleicht kam dann hinzu, dass keiner in unserer Familie künstlerisch tätig ist und bewandert, dass wir gesagt haben, wir müssen im Grunde genommen Experten dran lassen, weil wir können das nicht ordentlich aufarbeiten, und wir haben das halt getan. Und die erste Dissertation, die die Frau Hesse, die das erste Buch zu Peiner verfasst hat, die hat quasi hier über 1 1/2 Jahre, die sie hier gearbeitet hat, mit gewohnt und hat auch uns für viele Sachen erst die Augen geöffnet, die wir tatsächlich so nicht wussten, nie gesehen hatten. Und den Schritt sind wir dann konsequent weitergegangen, weil natürlich auch alle, die das begleitet haben, gesagt haben, das ist richtig so. Man muss sich vorstellen für meine Mutter, die ist ja mit Werner Peiner fast in so einem Vaterverhältnis. Sie ist ja nicht die leibliche Tochter, sondern die Adoptivtochter, Vater ist in Stalingrad gefallen und hat sie kaum kennengelernt. Und das ist dann schon nicht einfach, sich anzuhören, dass eine junge Studentin jetzt sagt, da hat er sich aber ganz schön rangeschmissen bei Adolf Hitler. Das hört man nicht gerne. Und das habe ich meiner Mutter auch immer hoch angerechnet, dass sie das so zugelassen hat. Musik 1. Sprecher: Ein verfügbarer Nachlass, ein Konvolut noch zu sichtender Akten in verschiedenen Archiven über Peiners Wirken in Kronenburg und seine Verbindungen zu den Eifeler Honoratioren wie zu den NS-Größen - wieso ist bislang eigentlich niemand auf die Idee gekommen, diese Schätze für eine differenzierte Ausstellungsdokumentation zu nutzen? Eine Ausstellung freilich, die nicht verschämt versteckt, sondern für deren Besuch offen geworben würde. Wäre die ehemalige Hermann Göring Meisterschule selbst nicht ein geeigneter Ort dafür? 2. Sprecher: Die Schule wird seit 1952 als Bildungsstätte des Landes Nordrhein-Westfalen genutzt und ist aktuell als Fortbildungseinrichtung für Lehrerinnen und Lehrer dem Geschäftsbereich des Ministeriums für Schule und Weiterbildung zugeordnet. Das Land NRW hat auch bereits Mitverantwortung bei der Darstellung der NS-Geschichte der nahe gelegenen "Ordensburg" Vogelsang übernommen. 1. Sprecher: Zudem verfügt die Fortbildungsstätte mit Martin Schöddert seit fünf Jahren über einen Leiter, der sich auch für die Ortsgeschichte interessiert. Er hat dafür gesorgt, dass zumindest in einem Raum sichtbar wird, welcher Nutzung die Bildungseinrichtung in den 30er-/40er-Jahren diente. O-Ton Martin Schöddert: Wir stehen hier in dem sogenannten zweiten Bauabschnitt. Göring hat 1938 angekündigt, bei der Eröffnung, dass es noch ein weiteres, noch größeres Atelier hier geben wird. Und dieser Raum erfüllt heute einen gegenwärtigen Zweck, das ist der Speisesaal, und in dem Bemühen auch von der Vergangenheit wenigstens Teile zu zeigen, die wenig problematisch für die jetzige Nutzung sind, habe ich aus dem Nachlass der Familie Peiner, also von Marcus Albanus, einige Aufnahmen zur Verfügung gestellt bekommen und von diesen Aufnahmen habe ich einige wenige ausgewählt, um sie hier im Saal auszustellen. Und die zeigen im Grunde genommen die Gebäude und die Räume im damaligen Zustand, ohne dabei die Akteure dabei zu benennen oder zu zeigen. 1. Sprecher: Immerhin ist hier auf sehr kleinen Hinweisschildern auch die ursprüngliche Bezeichnung der Einrichtung als Hermann Göring Meisterschule zu finden. Wäre denn auch eine umfassendere Dokumentation der Geschichte dieses Gebäudes sowie der Ortsgeschichte Kronenburgs in der NS-Zeit hier denkbar? Martin Schöddert verweist auf die Zuständigkeit der Landesregierung: O-Ton Martin Schöddert: Ich bleibe immer dabei, ich reduziere mich da auf meine Rolle als Tagungshausleiter und wenn es dafür eine Strömung gibt, kann die nur aus Regierungskreisen in Düsseldorf irgendwie herbeigeführt werden. 1. Sprecher: Und natürlich von den Kronenburgern und dem Eifelverein. Denn wer glaubt, dem Thema weiterhin ausweichen und auf einen Automatismus des Vergessens setzen zu können, der macht es sich zu leicht. Musik 2. Sprecherin: Vergessen kann sich erst dann einstellen, wenn einschneidende Ereignisse aufgearbeitet und verstanden worden sind, wenn man ihnen offen begegnen, wenn man ohne falsche Rücksichtnahme über sie sprechen kann. Erst dann drängen sie nicht mehr als Ver-Störungen an die Oberfläche. 1. Sprecher: Ansonsten bleiben dauerhaft Irritationen, wie sie bereits 1964 in Peiners einstigem Privathaus auftraten, beim Treffen der Schriftsteller. Noch heute kann man sich - auch mit Blick auf die gegenwärtige Situation - fragen, warum seinerzeit so beredt über die NS-Vergangenheit des Versammlungsortes geschwiegen wurde. Und das von Leuten, die sich in ihren Arbeiten oft dezidiert mit dem Nationalsozialismus befassten. Waren sie nicht imstande, die Architektur zu interpretieren? Waren sie von der sommerlichen Idylle geblendet? Oder waren alle zusammen bloß mit sich selbst beschäftigt, wie so manche Gruppe, die heute noch in Kronenburg tagt? Jörg Schröder, der damals dabei war, erinnert sich zumindest an sein eigenes Unbehagen. O-Ton Jörg Schröder: Aber ich wusste das ja damals nicht, also konnte ich mir dabei auch nichts denken. Allerdings habe ich mich ein wenig gewundert, dass dieser merkwürdige Ort nicht mit einem Wort thematisiert worden ist. Es sollte vergessen sein, nehme ich an. Das ist ja alles Vermutung, nicht. Ich denke, man wusste, was da mal war. Also mindestens Wellershoff und Witsch und so werden das gewusst haben. Und Heinrich Böll? Um mal mit einem Titel von Heinrich Böll zu sagen "Und sagte kein einziges Wort". Musik Absage: Verschwiegen. Verdrängt. Vergessen? Hermann Görings Malerschule in der Eifel Sie hörten eine Sendung von Frank Möller Es sprachen: Marietta Bürger, Bernt Hahn, Helmut Unkelbach und Franz Laake Ton und Technik: Daniel Dietmann und Anna D´Hein Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2014. 2 26