Deutschlandradio Kultur, Literatur, 04.12.2007, 19.30 Uhr HART CRANE Mit dem Dichter Hart Crane über die Brooklyn Bridge Von Holmar Attila Mück Atmosphäre U-Bahn, Stimmen Crane And so of cities you bespeak subways, rivered under streets and rivers... In the car the overtone of motion underground, the monotone of motion is the sound of other faces, also underground - So kommt es, dass du unter Städten U-Bahnen anredst, die unter Straßen, Flüssen laufen ?Im Wagen der Oberton von Bewegung Untergrund, das Monotone von Bewegung ist der Klang anderer Gesichter, auch Untergrund ? 1. Sprecher Die Zeilen sind mit grünem Stift unterstrichen. Der junge Mann, einen Stoß Bücher unterm Arm geklemmt, war an der Bleecker- Street Station zugestiegen. Er war zweifellos gerade aus einem Literaturseminar gekommen. Die New York University ist nur wenige Straßen weiter... Der Zug fährt in Richtung Brooklyn Bridge. Der Student murmelt die Zeilen wieder und wieder?.Er schlägt kurz das Buch zu. Auf dem Umschlag ist der Name des Autors zu lesen: H a r t C r a n e. 2. Sprecher Crane hatte vor gut achtzig Jahren hier in Greenwich Village sein erstes Quartier gefunden und sich eingetragen als: Harold Hart Crane, geboren in Garrettsville / Ohio. Es war im Sommer 1916. Er war 17 Jahre alt. 1. Sprecher Hart Crane war New York sofort verfallen. Vielleicht stieg er damals im heißen August gerade hier an der Spring - oder Cham-bers Street in die Subway; vielleicht verließ er an der Station Brooklyn Bridge City Hall den Zug, um dann nach nur wenigen Minuten staunend vor diesem Monument aus Stahl und Stein, diesem großen, weit spannenden Bogen über den East River zu stehen: Die Brooklyn Bridge! Bald schon wird sie ihm den Weg weisen zu einer ganz eigenen, unverwechselbaren poetischen Sprache und Zeitanalyse. 2. Sprecher Nicht wenige, die in Brooklyn leben oder arbeiten, steigen noch in Manhatten an der ?City Hall? aus. Sie folgen den Fremden, die nicht unter den East River hinüber nach ?High Station Brooklyn Bridge?, sondern den Weg über die Brücke nehmen wollen. Für viele ist sie immer noch das ?8. Welt-wunder? 1. Sprecher Wenn auch ?bar jeder Barschaft?, in den Hosentaschen nur eine abgegriffene Aus-gabe von Walt Whitmans´ ? Grashalme? und ein Bändchen Gedichte von Edgar Allen Poe, so steht der junge Crane doch mit einem Gefühl der Befreiung vor diesem grandiosen Bauwerk. 2. Sprecher Er hatte die familiäre Lebensplanung durchkreuzt, war der provinziellen Enge, dem tyrannischen, Bonbon fabrizierenden Vater und der High-School ? diplomlos! ? ent-ronnen. Von dem der Mutter gegebenen Versprechen, an der New Yorker Columbia University akademische Bildung und Würden zu empfanden, entbindet er sich schnell. 1. Sprecher So ähnlich muss es dem jungen Arthur Rimbaud ergangen sein, den Crane liebt und auswendig herbeten kann, als dieser, dem muffigen Charlesville entkommen, in Paris auf der Pont Neuf stand. An Rimbauds Schicksal aber will er nicht denken. Sein ei -genes wird Rimbauds an Tiefen, Schmerzen und Katastrophen in nichts nachstehen. /Atmosphäre/Brücke Stimmen/ Jetzt aber findet er seine eigenen Gedichte in den Seiten von Whitmans Buch, und dann geht er hinüber nach Brooklyn. 2. Sprecher ?Breukelen? haben es einst die eingewanderten Holländer genannt, nach dem Ort bei Utrecht. Und im Sommer 1776 gab´s im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg hier die ?Schlacht von Brooklyn?. Am Ende war England besiegt. Über Brooklyn und New York wehte der ?Union Jack?. 1. Sprecher Als Crane in New York eintrifft, ist Whitman in den literarischen Clubs in Greenwich Village das Thema Nr.1. Für Theodore Dreiser und Robert Frost bilden seine Gedichte den ?Einbruch in den starken Schutzwall puritanisch-bürgerlicher Moral und Vorurteile?. Für Autoren und Kritiker wie William Carlos Williams oder Waldo Frank beginnt mit ihm? Zitator ??ein neues intellektuelles Leben in Amerika, das durch die geistige Desillusi-onierung der Nachkriegsepoche notwendig geworden ist. Atmosphäre Brücke/Stadt Stimmen 1. Sprecher Crane steht unter dem gotischen Bogen eines der beiden über achtzig Meter hohen Brücken-Türme. Er fühlt, dass seine Ankunft unter dem verheißungsvollen Stern des Aufbruchs, der Neubesinnung steht. Doch je weiter er sich auf der Brücke fort bewegt und wieder und wieder zurückblickt, desto breiter und bedrohlicher wirkt das Panorama von Manhatten auf ihn; er ist er -regt vom ruhelosen Treiben des Hafens. Unter seinen Füßen windet sich schnaubend die Schlange der Autos und Fuhrwerke, und darunter schieben sich lautlos Frachter, Kähne, Fischerboote und die Fähre? Er muss ?seinen Whitman? gar nicht aufschlagen, er hat ihn längst ganz verinnerlicht. Er war es auch , der ihn aus dem fernen, verschlafenen Nest in Ohio hierher lockte? An dieser Stelle des Ufers bestieg der alte Dichter Tag um Tag - und lange vor der Geburt der Brücke - die East-River-Fähre. Nach einem Jahr schreibt er an die Mutter: Crane Mein Leben, egal wie es weitergeht, soll Form und Ausdruck haben. Du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich furchtlos bin, dazu bestimmt, in der Zukunft meinen Mann zu stehen und mein Leben zu verwirklichen. Das Kleine in bisher großen Dingen und das Große in bisher kleinen wird mir langsam klar. Ich beginne?Ibsens Behauptung zu verstehen, welche übersetzt etwa lautet: ?Der stärkste Mann in der Welt ist der, der ganz alleine steht? 1. Sprecher Aber gerade vor diesem Alleinsein wird er sich immer fürchten. Und diese Arbeit, das Schreiben, das ja doch die ?einsamste Sache der Welt? ist, fördert noch die drohende Gefahr. Davon aber spürt er bei seiner ersten Begegnung mit ?seiner Brücke? noch nichts. 2. Sprecher Hatte Crane hier die ersten Gedanken, Sätze, vielleicht nur Worte notiert, die 14 Jahre später sein opus magnum ?The Bridge? eröffnen werden? Crane ( langsam abblenden) To Brooklyn Bridge How many dawns, chill from his rippling rest The seagull´s wings shall dip and pivot him, Shedding white rings oft tumult, building high Over the chained bay waters Liberty ? 1. Sprecher Crane will es riskieren, will sich New York stellen. Eines ist sicher: Er ist für nichts anderes geschaffen als für das ?Amt des Dichters?. Es ist dieser starke, intensive Erlebnischarakter seiner Lyrik, der ihm unter den Autoren und Kritikern von Greenwich Village erste Anerkennung bringt. Allen Tate, Waldo Frank und Malcolm Cowley ermuntern ihn, erste Gedichte zu veröffentlichen. Unter den wenigen, die es auf die Seiten der Zeitschriften ? Bruno´s Weekly? und ?The Pagan? schaffen, gehört der Vers ? c 33? ? damit ist die Nummer von Oscar Wilde Zelle in Reading Gaol gemeint: Crane Er hat Rosenstöcke gewunden Um das leere Herz der Nacht Und die reifen Weine ferner Traumesstunden Hinaus auf ödes Weiß verbracht. O brennende Gedankenlust! Und wagte Wahres fern zu lassen ? aus Dem Dornbaum zu schaffen die sterbliche Brust. ?? 1. Sprecher Schön die Form, gut die Absicht, doch alles keine Sensation! Der Brief von Ezra Pound, der Mitherausgeber von ?The Little Review? ist, in dem auch Cranes Gedicht ? In Shadow? erschienen ist, animiert nicht zum Weitermachen: Zitator Schönheit ist ein ziemlich fertiges Ei, aber, so weit ich sehen kann, haben Sie weder den Geist einer Bruthenne noch den eines Bebrüters. 1. Sprecher Pound war immer geradeaus, auch in seinen Irrtümern. Der schnelle Ruhm bleibt also aus. In New York hat die ?Blume Ruhm? ohnehin keine große Zukunft. Der junge Crane zieht wie ein matt schimmernder Komet kurz durch die Journale und verglüht. Über Talente regt sich hier keiner auf. Nur Genies haben Chancen auf Dauerbeleuchtung. Crane pilgert also auf der üblichen Tour der meisten Jung-dichter, die Verse gebündelt in der Rocktasche, von Redaktion zu Redaktion. Crane-Nachdichter Dieter Leisegang über seinen Dichterkollegen: Zitator Sein Wesen ist so zwiespältig, so bizarr wie New York. Und zudem ist diese Stadt von penetranter Gleichgültigkeit gegenüber ihren Bewohnern. Nirgends ist man anonymer als in und zwischen den Riesenhäusern, in diesem ewig vibrierenden Geflecht aus Strassen, Plätzen und Parks, den dunklen Subway-Tunnel - Labyrinthen. Hier kann jeder seinen Triebe folgen, seine Süchte ausleben. 1. Sprecher Crane weiß um die Gefahr dieser Verlockung. Er gibt aber immer seiner Neigung nach: Alkohol und Männer. C r a n e ..and love A burnt match skating in a urinal ?..und Liebe, ein abgebranntes Streichholz, schwimmt in einem Pissoir ?? Atmosphäre- Stadt, Straßen 1. Sprecher Was Whitman nur im Verborgen zu leben möglich war, Crane macht wie Rimbaud seine Süchte und Leidenschaften öffentlich. Nicht ungefährlich im prüden Amerika jener Tage. 2. Sprecher Gerhild Björnson schreibt über seinen New Yorker Neubeginn. Zitator ?.. er findet einen Job, eine Wohnung und keine Zeit für seine Dichtung; nach kurzer Zeit gibt er seine Arbeit auf, verliert dadurch Lebensunterhalt und Bleibe und lebt im Hause und auf Kosten eines seiner zahlreichen Freunde, bis er sich gedrängt fühlt, eine neue Arbeit zu suchen und der gleiche Pro-zess sich wiederholt. 1. Sprecher Hier und dort erscheint ein Gedicht. Harold Hart Crane bleiben noch neun Lebens-jahre. In dieser Zeit sind Gorham Munson, Waldo Frank, Allen Tate, Kenneth Burke, Eugene O´ Neill und Malcolm Cowley seine Kritiker, Beichtväter und sein Publikum. Zu seinen Habseligkeiten, die er von Haus zu Haus schleppt, gehören Bücher von James Joyce, Gertrud Stein, Ezra Pound, William Carlos Wiliams, Ernest Heming-way und T.S. Eliot. Es ist T. S. Eliot, der ihm am meisten zusetzt. 2. Sprecher 1922 waren Crane und die gesamte amerikanische Dichtergarde wie elektrisiert. Zitator Nach roter Fackeln Licht auf schwitzenden Gesichtern Nach frostigem Schweigen in den Gärten Nach Todeskampf in steiniger Öde Klagen und Weinen, Kerker, Palast und Widerhall Von Frühlingsdonner auf entfernten Bergen Ist er, der lebend war, jetzt tot. Wir, die wir lebend waren, sterben nun Geduldig, kampflos. 2. Sprecher T.S. Eliots fünfteiliges Langgedicht ?Waste Land? war erschienen? ?und wirkte auf die Literaten wie ein Schock. Crane schreibt im Januar 1922/23 in Briefen: Crane ?Während der letzten beiden Jahre ist mein Werk (diese mageren Tröpfchen!) mehr von Eliot als von irgendeinem anderen Modernen beeinflusst gewesen? Ich trotze ihm nun schon seit vier Jahren- und während ich in seiner Rüstung noch keine schwache Stelle entdeckt habe, darf ich mir, wenn auch ein wenig spät, schmeicheln, eine sichere Tangente gefunden zu haben, die ich zu ihm schlagen muss; sie geht durch ihn hindurch, einem anderen Ziel zu. Es ist eine fürchterliche Versuchung, ihn zu imitieren, dass ich manchmal wie von Sinnen bin. Zitator ?? der Trümmerhaufen der europäischen Kultur, seine Sterilität und Banalität, die Flucht in Surrogate der Sinnangebote und in flüchtige Räusche, lauter lebende Leich-name. Und wenn dieses Europa am Ende war, nur noch Relikt und Reminiszenz, konnte sich der Blick auf der Suche nach Erneuerung allenfalls auf eine andere Kultur rich-ten? Sprecher Klaus Reichert, Anglistikprofessor in Frankfurt/ Main, sagt über die dunkle Pro-phezeiung T.S. Eliots und Cranes Glauben an den ?Mythos Amerika?, seine Ab-sicht, der amerikanischen Literatur eine Identität zu geben: BAND: Klaus Reichert Crane geht nun den ganz umgekehrten Weg. Er sagt: N e i n! Wir Amerikaner mit unserer Geschichte bedeuten einen Neuanfang. Und er ist für ihn symbolisiert in diesem technischen Wunderwerk dieser Brücke, der Brooklyn Bridge und das war für ihn durchaus symbolisch zu verstehen. Hier ist die Verbindung ge-zeigt in einem technischen Monument ? 1. Sprecher Crane fühlte sich aufgerufen zu einem Gegenentwurf. Er denkt - Whitmans ?Gras-halme? vor Augen - an ein Epos, das Vergangenheit und Gegenwart, Ost und West, Mythos und Realität verbindet, 2. Sprecher Zudem war von William Carlos Williams das Buch ? In The American Grain? erschie-nen? 1. Sprecher ?. das ihn stark beeindruckt; denn nirgends hatte einer wie der Dichter-Arzt aus New Jersey bisher so tiefgründig über die Vorgeschichte der amerikanischen Selbst- werdung geschrieben. Er ermutigte Crane, die Arbeit an einem großen Projekt aufzu-nehmen. 2. Sprecher So schlecht sind die Karten nicht, die ihm 1924/25 das Schicksal zuspielt. Zielstrebig verlässt er Greenwich Village und zieht nach Brooklyn. Dort mietet er sich im Appar-tement 110 Columbia High ein. 1. Sprecher Es ist dieselbe Wohnung, von deren Fenster aus fünfzig Jahre zuvor der Konstruk-teur der Brooklyn Bridge, der aus dem thüringischen Mühlhausen stammende Johann August Roebling und später sein Sohn Washington die Arbeiten an dem Bauwerk überwachten. Zu jeder Stunde blickt Crane auf diesen fast 500 Meter langen und 26 Meter breiten Koloss; er kann und will sich dieser magischen Kraft nicht entziehen. In den ton-nenschweren Drahtseilen hört er das Spiel des Windes, Regens und Schnees?Was für eine magische Poesie! Was le Corbusier einmal über die ?Washington Bridge? sagte, hätte Crane sofort auf ?seine Bridge? übertragen: ?Hier zeigt Stahlarchitektur endlich einmal ein Lächeln!? Crane mag dieses neue, andere, völlig glamourlose Milieu - den Hafen, die quirligen Straßen am Fuße der Brücke! Endlich findet auch Cranes finanzielles Dauer-Dilemma ein Ende. Der in New York lebende deutsche Bankier, Kunstsammler und Mäzen Otto Hermann Kahn gewährt ihm für die Arbeit an dem geplanten Gedicht ?The Bridge? - ein Stipendium von 2ooo Dollar. Crane kann endlich reisen, die getrennt lebenden Eltern, das großmütterliche Anwesen in der Karibik besuchen, u n d er kann von Erfolgen berichten. 1926 haben Freunde geholfen, seinen ersten Ge-dichtband ?White Building? herauszubringen. Er kann auf lobende, kompetente Worte von Allen Tate und Waldo Frank verweisen: Zitator Seit Whitman ist kein so originelles, so tiefgründiges und ? vor allem ? kein so wichtiges poetisches Versprechen auf der amerikanischen Szene erschienen. 1. Sprecher Der Ton in der familiären Szene ist eher in Moll gehalten. 2. Sprecher Die ?Weißen Häuser? werden Jahrzehnte nach Cranes Tod den Literaturwissen -schaftlern James Miller, Karl Shapiro und Bernice Slote von der Universität Nebraska genügen, ihn neben Walt Whitman und Dylan Thomas zu stellen. Die Professoren prägen für deren Dichtung den Begriff ?Life poetry?. Zitator ?Life poetry? macht die Aussage eines Gedichts zu einem Erlebnis, das sich nicht vor langer Zeit einmal abgespielt hat und aus dem das Gedicht nachträglich die Schluss-folgerung zieht; sondern das Erlebnis findet im Gedicht selbst statt, und der Erleben-de ist der Dichter-Protagonist und an zweiter Stelle der Leser. 1. Sprecher Crane will mit ?The Bridge? dieses ?poetische Versprechen ? erfüllen. Es wird ein fünf Jahre langes Ringen sein. In dieser Zeit scheint er den Text immer bei sich getragen zu haben, Er lässt, wie Klaus Reichert sagt, die ?Großbaustelle The Bridge? selten aus den Augen. Das unzählige Mal überarbeitete Poem hat Crane auch 1929 in Paris bei sich, wo er vor allem mit Hemingway, Pound und Harry Crosby durch die Kneipen am Montparnasse zieht. Er geht weder dem Whisky, eindeutigen Avancen zufälliger Tischgenossen, noch einer Schlägerei aus dem Wege. Im Gefängnis entrauscht, erscheint er im Salon von Gertrude Stein. 2. Sprecher 1930 erscheint ?The Bridge?, gleichzeitig an der Seine und am East River. 1. Sprecher Durchgängig euphorisch ist die Aufnahme nicht. Einige ? darunter Robert Lowell, Eugene O´Neill,, Walter Evans, Frank Waldo, Harold Bloom, aber auch Charly Chaplin - erkennen den ungewöhnlichen Charakter dieser lyrischen Komposition. Chaplin erinnert sich später in seinen Memoiren: Zitator Mir fehlt das Ohr und auch der Geschmack für moderne Lyrik, doch während ich an diesem Buch schrieb, las ich ?The Bridge? von Hart Crane, einen emotionellen Erguss, seltsam und dramatisch, voll bohrender Seelenangst und in diamantscharf geschnittenen Bildern dargestellt, aber für einen Geschmack etwas zu schrill. Vielleicht gehört dieser Ton zu Crane, der dabei auch sanft und herzlich sein konnte. Wir sprachen über den Sinn der Dichtkunst. Ich bezeichnete sie als Liebesbrief an die Welt. ?Eine sehr kleine Welt?, sagte Hart traurig. 1. Sprecher Viele aber stehen recht ratlos vor ?Der Brücke?, fühlen sich überfordert von diesem? Zitator ? fortstürmenden Dithyrambus, worin die Brücke ein Symbol bewussten Zeit- und Raumüberspannens wird? 2. Sprecher Crane erklärt seinem Gönner Otto Hermann Kahn: Crane Ich schreibe ja ein Epos des modernen Bewusstseins, unbeschreiblich komplizierte Faktoren müssen herausgelöst und dann wieder überblendet werden? 1. Sprecher Diese Konstruktion ist eine kühne Metaphorik. Der Kritiker Harold Bloom nennt Crane ? einen Propheten des amerikanischen Orphismus?. Dennoch: Die von Crane erfundene ?lyrische Kurzschrift? verunsichert auf den ersten Blick. Wie zum Beispiel sollte man allein schon die ersten vier Zeilen dechiffrieren? Crane To Brooklyn Bridge How many dawns, chill from his rippling rest The seagulls wings shall dip and pivot him, Shedding white rings oft tumults, building high Over the chained bay waters Liberty - Wie viele Morgen , durchfroren nach ihrer Riffel-Rast, tauchen der Möwen Flügel ein und um sie drehen, verbreiten weiße Wirbelringe, dass hoch erbaut überm Wasserjoch der Bucht die Freiheit - 1. Sprecher Der Begriff ?dechiffrieren? ist beim Spät-Werk Cranes durchaus angebracht. Klaus Reichert nennt Indizien dafür, warum - im Gegensatz zu Pound, Eliot oder Hemingway ? Cranes Hauptwerk so spät, sieht man einmal von seinem spora-dischen Auftauchen in Zeitschriften wie ?Akzente? oder in Anthologien ab, den deutschen Sprachraum erreicht hat, und er auch heute noch als Geheimtipp gilt. Noch immer liegt keine Übersetzung einer der drei, vier guten englisch spra-chigen Crane-Biographien vor. Band: Klaus Reichert ?The Bridge? ist einfach ein riesiges, jedenfalls großes Epos, das nicht wirklich linear geschrieben ist, sondern aus ständigen Abbrüchen und Neuansätzen besteht. Wenn man es zum ersten mal liest, hat man den Eindruck eines großen Stromes von Sprache, den man aber kaum im einzelnen analysieren kann. 1. Sprecher 1999 stieß die österreichische Germanistin und Dichterin Ute Eisinger auf Cranes BRÜCKE . Fünf Jahre später, siebzig Jahre nach dem Erscheinen, wird der Salz-burger Verlag ?Jung-und-Jung? ihre Übersetzung, sekundiert von einem - wie es heißt - ?erhellenden Nachwort? von Klaus Reichert, herausbringen. Darin zitiert Reichert einen Brief Cranes an Waldo Frank vom 18. Februar 1926 Crane ? Ich habe versucht, das gleiche Gefühl der Erhebung etc. spürbar werden zu lassen ? gleichzeitig vorwärts und aufwärts getragen zu werden sowohl in den Bil-dern, in Rhythmus und Repetition, wie man sie erfährt, wenn man über meine ge-liebte Bridge geht. A T M O / Stadt, Straße 2. Sprecher In siebzehn Gesängen nimmt uns Crane mit über s e i n e Brücke hinüber nach Man-hattan; dieser Weg dauert einen Tag und eine Nacht. 1. Sprecher In Wirklichkeit aber ist es eine abenteuerliche Reise durch die amerikanische Ge-schichte, eine lyrische Studie über die Befindlichkeit der amerikanischen Seele. Die Brücke ist für ihn ein Symbol der Liebe, eine Verbindung zwischen Himmel und Erde, Mensch und Gott, Geschichte und Ewigkeit; sie ist ein Bogen von der Zukunft hinüber nach Atlantis. Wie in einem Teppich werden Natur, Ureinwohner, Eroberung, Technik, moderne Zivilisation, amerikanische, indianische Mythen miteinander verwoben. Kolumbus streift durch die Bilder wie der trunkene Edgar Allen Poe, die Häuptlingstochter Pocahontas oder die Tänzerin Isadora Duncan, sie alle überqueren die Brücke und verlieren sich im Getöse Manhattans. 2. Sprecher Diesen Teppich - geknüpft aus unzähligen kurzen, langen, leisen, dröhnenden Wor -ten - hat Ute Eisinger mit ?Akribie und Unerschrockenheit? in drei Jahre aufgeknotet, diesen großen Gesang in seine einzelnen Noten zerlegt, um ihn in ihrer Sprache er-neut zusammenzusetzen. Band: Ute Eisinger (oder Crane-Sprecher) Mein ?Lieblingsding? ist ?Atlantis??das war auch das erste, was ich ge ? funden habe...das war meine Einstiegsdroge. Through the bound cable strands, the arching path Upward, veering with light, the flight of strings,- Taut miles of shuttling moonlight syncopate The whispered rush, telepathy of wires. Up the index of night, granite and steel ? Transparent meshes ? fleckless the gleaming staves ? Sibylline voices flicker, waveringly stream As though a god were issue oft the strings.. -.- Durch die Stränge gebundener Seile, die Bogenlauf- Hochfahrt, die im Licht fiert, Flucht der Saiten, - straffe Meilen durchschüssigen Mondlichts synkopieren den geflüsterten Ansturm, Telepathie aus Drähten. Erhoben den Zeiger der Nacht, Stahl und Granit ? durchsichtiges Netzwerk ? makellos gleißen die Sprossen- Sibyllenstimmen flackern, wankend strömen, als wäre ein Gott Thema der Saiten? Das ist ein gutes Beispiel dafür, wenn man diese Brücke nicht vor Augen hat, und ich habe natürlich nicht gewusst, wie die ausschaut und dann kriegt man so eine Be-schreibung, was da ?wispert? und was da ?flackert?... Zum Beispiel dieses ?wispering?,,. die ?geflüsterten Stimmen?, wie es da heißt? Es war ja so, dass er mit seine großen Liebe, dem Emil Opfer, einen dänischen Seemann, in dieser Roebling-Wohnung gewohnt hat, und wenn sie am Abend in der City waren sozusagen herumgegangen sind, nach Brooklyn mussten sie über die Brücke drübergehen und haben wahrscheinlich Händel gehalten wie zwei Verliebte und sich das aber nicht so richtig getraut in der Öffentlichkeit?und wenn jetzt da die ?Stimmen flüstern?, dann ist das einerseits der Wind , der da durch diese Takelage, dieses Netzwerk durchgeht und andererseits sind es auch die Stimmen derer, die sich da mokieren, dass da zwei Männer miteinander unterwegs sind? 1. Sprecher Crane hatte trotz seines gefährlichen Lebenswandels, diesen rasenden, kraftgelade -nen Zyklus fertig gestellt. Der Leere, die sich in ihm danach einstellte, konnte er nur nach der alten Methode begegnen. Sein Freund Malcolm Cowley beschreibt die Bahn, auf der er sich weiter bewegte und deren Neigungswinkel er wohl bemerkte, aber ignoriert. Zitator Er trank, um die Visionen anzurufen, die seine Gedichte befördern sollten. Er trank in den Kneipen des Village und in den Hafenspelunken Brooklyns. Ich glaube, dass kein amerikanischer Dichter, nicht einmal Poe, seine Freunde mit so vielen Schwierigkeiten überhäufte oder seine Ausschreitungen so lange erdulden sah. 1.Sprecher Es schien wie eine letzte Chance, als man ihm 1931 ein Guggenheim-Stipendium zuerkannte. Er wollte ans Meer, nach Mexiko. Der Tod und die Liebe. Diese beiden Hauptthemen der Poesie, diese beiden Wun- der sah er im Meer vereint oder erfahrbar. Er sprach von einem neuen ?poetischen Großvorhaben??. Die Wahrheit aber steht in einem Brief an Waldo Frank: Crane Das sind Zeiten, an denen jeder irre wird, denke ich. Ich kriege kaum etwas zu-sammen, das ich irgendjemandem sagen könnte. Ich habe, scheint es, selbst die Fähigkeit verloren, so etwas wie Spannung zu empfinden. Ein schlechtes Zeichen, dessen bin ich sicher. Ich würde gerne kämpfen für ? nahezu alles, aber da scheint kein wirklicher Wider-stand da zu sein. Vielleicht bin ich ein enttäuschter Romantiker nach allem, oder ich habe vielleicht zu viele leichtgläubige Kompromisse gemacht. Ich hoffe den Fehler, welchen auch immer, bald zu finden. 1. Sprecher Er findet ihn nicht. Und der Kampf, den er glaubt führen zu müssen, wäre ein Kampf gegen sich selbst. Band: Klaus Reichert Er spricht immer wieder, dass er durch seinen verqueren Charakter auf den Ruin hinsteuert, aber nicht ändern könne. Und diese Melancholie, diese Depressionen, die Verzweiflung kommt auch in ?The Bridge? zum Ausdruck. Es gibt da eine Tunnelfahrt oder eine Untergrundbahnfahrt oder Unterweltfahrt, wo der spukhafte Edgar Allen Poe auftaucht ? und da sind ganz schwarze Töne drin! Crane Warum treffe ich deine Visage nur so oft hier, deine Augen wie Agat-Laternen ? wieder und wieder unter der Zahnpasta-und Haarschuppen-Reklame? Und hatte ihre farbigen Augen Recht, durch deine Warte, und fuhren ihre Augen mit wie ungewaschene Platten? Und Tod, empor, gigantisch nieder Erprobt durch dich ? zu mir, o ewig! Und dann haben sie dein Fleisch, sich reckend, deine zittrigen Hände jene Nacht durch Baltimore geschleppt ? jene letzte Nacht des Urnengangs, hast du, bibbernd, denn die Karte abgelehnt, Poe? 1. Sprecher ?Ich würde gerne kämpfen?? schrieb Hart Crane kurz vor seiner Abreise aus Mexiko an Waldo Frank. Er hat den Kampf nicht aufgenommen. Im Gegenteil. Er tritt nicht mehr an. 2. Sprecher Am 27. April 1932 sehen ihn Mitreisende auf dem Passagierschiff ?Orizaba?, das mit Kurs auf New York unterwegs ist, im Schlafanzug und Morgenmantel gegen Mittag das Deck betreten. Er hat ein Blut unterlaufnes Auge. 1. Sprecher Offenbar die Antwort eines Matrosen. Er zieht den Morgenmantel aus, faltet ihn sorgfältig, legt ihn über die Reling, dann beugt er sich über das Geländer - und stürzt in die Tiefe. Harold Hart Cranes Grab ist das Meer. Für ihn gab es keine Brücke, weder zurück in das alte, noch in ein neues Leben. Band :Ute Eisinger Es hat immer wieder geheißen ? und heißt auch heute noch, dass er eigentlich einer der großen Gescheiterten ist oder: das ist das große amerikanische Scheitern. Ich habe mich lange auseinandergesetzt mit dem Crane, also ich weiß, was man ihm vorwerfen kann oder was einem alles nicht liegen kann, was großartig ist, und ich finde es wahnsinnig ungerecht, wie man überhaupt von Scheitern im Bezug auf Lyrik sprechen kann. Dieses Scheitern, glaube ich, liegt daran, dass die Leute, die das sagen, nicht diesen Glauben an etwas haben. A T M O Stadt/ Brücke 1. Sprecher Die Brooklyn Bridge ? für Hart Crane war sie mehr als nur eine Verbindung von Ufer zu Ufer; sie symbolisierte den Aufbruch in eine neue Zeit, das wachsende Selbst-bewusstsein einer Nation. 1