Weltmusik in der Provinz Eine Lange Nacht über das Haldern Pop Festival Sendetermine: 25. Juli 2015 Deutschlandradio Kultur 25./26. Juli 2015 Deutschlandfunk Wiederholung: August 2019 __________________________________________________________________________ Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - insofern zutreffend. 1. Stunde Weltmusik in der Provinz – die Macher Opener: Zitatcollage Gäste und Musiker mit Musik 1.O-Ton Quelle: WDR 14, „F wie Frage“, Länge 0:58 „Das Haldern so besonders ist, dass man es nicht in einem Satz sagen kann, und wenn ich es in einem Wort sagen müsste, dann würde ich sagen gemütlich“ / „Es ist jedes Jahr wiederkommen und immer wieder Spaß haben, immer geile neue Musik, lecker Essen, dann wieder nach hause fahren und Spaß haben“ / „Großartige Musik und superschöne Gegend“ / „Total harmonisch, idyllisch, schön“ / „Ein gaaanz tolles Musikliebhaberfestival“ / „Immer wieder Neuentdeckungen, schöne Atmosphäre und Überraschungen“ / „Haldern in einem Satz geht eigentlich nicht, Komma, aber es ist geil, es ist irgendwie immer gutes Wetter, die beste Musik, die man sich vorstellen kann und die schönsten und nettesten Leute“ 2. O-Ton (WDR 10, 47:25–47:38 min., Paul Wilkinson von Duke Special) „You always have an immediate sense of stepping off a bus and sometimes there's a warmth, you kind of know very quickly if the festival is about music, or if it's about selling tickets." … Synchronsprecher 1: “Man hat einen Instinkt, der einem beim Aussteigen aus dem Bus eine Menge verrät, und manchmal ist da auch eine Art Wärme. Du weißt recht schnell, ob es bei einem Festival um die Musik geht oder bloß darum, Karten zu verkaufen“ 3. O-Ton (WDR 10; 21:48–22:03, Simon Angell von Thus:0wls) „It’s a small western german sleepy town. And 3 days out of the year, it just becomes this Community, and they host 6000 people to come and stay in their back yard. There's something really touching and beautiful about it." … Synchronsprecher 1: “Es ist ein kleines, verschlafenes westdeutsches Städtchen. Und drei Tage im Jahr wird es einfach zu dieser Gemeinschaft und sie beherbergen 6000 Menschen in ihren Gärten. Es ist irgendwie etwas sehr berührendes und wunderschönes darin.“ 2. EINSPIELER: Mumford & Sons “Sigh no more” (Quelle: http://www1.wdr.de/fernsehen/kultur/rockpalast/videos/av/videohaldernpopmumfordsons100.html; 1. Stück, 0’24–3’50; Länge 3:36 5‘00 Sprecher 1: Seit mehr als 30 Jahren pilgern Musikfans aus aller Welt einmal im Jahr an den Niederrhein. In der kleinen 5000-Seelen-Gemeinde Rees-Haldern findet im August ein ebenso kleines wie außergewöhnliches Festival statt. Das Haldern Pop gilt Perle unter den europäischen Musik-Events. Der Guardian zählte es 2010 zu den fünf innovativsten Festivals Europas, 2011 wurde es als bestes Kleinfestival in Europa prämiert. Auch das Feuilleton ist voller Lobeshymnen für ein Musikereignis, das sich seit Jahrzehnten den Kommerzialisierungsautomatismen der Branche erfolgreich widersetzt. Bis heute wird das Haldern Pop von der Initiative einiger dutzend Idealisten und dem Engagement von rund 300 freiwilligen Helfern getragen. Dass sich seine Macher stets geweigert haben, die „Marke Haldern“ zu verkaufen und stattdessen jedes Jahr aufs Neue ein exquisites Programm auf die Beine stellen, hat Haldern den Ruf eingetragen, so etwas wie das kleine gallische Dorf in der europäischen Musiklandschaft zu sein. Auch die Großen der Branche schwärmen. Auf unsere Frage, worin sich das Haldern Pop von anderen Festivals unterscheide, meint Martin Elbourne, der künstlerische Leiter des Glastonbury-Open-Airs, man sähe dort nie eine schlechte Band, außerdem würde es ihn tief beeindrucken, wie das Dorf in das Festival eingebunden sei. Und Karsten Jahnke, der Doyen unter den deutschen Konzertveranstalter, behauptet sogar, es sei schlicht das beste Festival in Europa, großartig organisiert von einer Gruppe musikbegeisterter Freunde mit einem exzellenten Geschmack. Haldern ist anders. Das zeigt sich zum Beispiel an der großen Herzlichkeit derer, die das Happening auf die Beine stellen. Jedem der vielen Freiwilligen, die auf dem Campingplatz, am Eingang, hinter der Theke oder im Backstage stehen, merkt man es an, dass es ihnen ein Vergnügen ist, Teil dieses Musikfestes zu sein. Um die Geschichte des Haldern Pop und seine Macher wird es in der ersten Stunde gehen. Ein zweites Charakteristikum ist das künstlerische Konzept. Haldern ist kein Mega-Gaga-Event, bei dem sich junge Leute mittels diverser Substanzen und dröhnender Rhythmen in Ballermann-Stimmung versetzen. Es ist ein Festival für Musikliebhaber und für Musiker, die sich mit anderen Künstlern treffen und austauschen möchten. Um diese Seite des Haldern Pop wird sich die zweite Stunde drehen. Eine weitere Besonderheit ist die Beziehung zwischen Festival und Dorf. Zu den Spielorten zählen inzwischen auch die Kirche, der Marktplatz, die Haldern Pop Bar und ein Tonstudio im Ort. Überdies hat sich aus dem Festival eine Art Pop-Cluster aus mehreren kooperierenden Unternehmen entwickelt. Sein Herzstück ist die Pop Bar, eine alte Dorfschenke mit 60er-Jahre-Flair, in der Künstler aus aller Welt fast wöchentlich Clubkonzerte bieten. All dies ist Thema der dritten Stunde. 8‘30 3. EINSPIELER: Tom Odell „Another Love“ (Quelle: HPS II, Länge 4’20) 12‘50 Sprecher 2: „Professioneller Anarcho-Syndikalismus gepaart mit tiefer Liebe zur Musik: Das ist das Wunder von Haldern“. Mit dieser Formel schloss Sven Regener, Schriftsteller und Sänger der Kultband „Element of Crime“, seine Lobrede zum 20.-jährigen Jubiläum des Haldern Pop in der Spex. Die Wurzeln dieses Wunders liegen im Katholizismus. 1981 fassten 14 Messdiener und ihre beiden Oberministranten den Entschluss, eine Open-Air-Sause zu organisieren. Auf der Suche nach einer geeigneten Lokalität wurden sie auf dem Alten Reitplatz am Dorfrand fündig. Es gab Musik aus der Konserve, eine passende Anlage hatte das benachbarte Tonstudio Keusgen zur Verfügung gestellt. Der Abend wurde ein voller Erfolg, das Ereignis sprach sich herum. Zu den Partys 1982 und 1983 strömten bereits über 1500 Besucher auf den Alten Reitplatz. Der folgende Schritt war fast logisch: Im folgenden Jahr sollten richtige Bands Live-Musik bringen. Dazu brauchte man allerdings Geld. Udo Mümken, einer der Mitbegründer des Haldern Pop und bis heute aktiv, erinnert sich: 4. O-Ton (HALD0618, 1:52–2:17) Ja, war natürlich die Frage, so ein Ding muss ja finanziert werden. Und wie das bei Festivals ist, man muss im Vorfeld Geld in die Hand nehmen und hofft, dass es am Abend wieder reinkommt, was ja auch in vielen Jahren nicht so gelungen ist, da war das nur ‚unsere Knete, eure Fete‘, aber es hat halt Riesenspaß gemacht. Sprecher 3: Zum Zweck der Finanzmittelbeschaffung wurde das sogenannte Aktienprojekt geboren. Zur seiner Gründung versammelten sich die potentiellen „Anleger“ in „Raum 3“ im örtlichen Jugendheim. Mehr als 50 Halderner erwarben Anteile im Werte von je DM 500,- und verpflichteten sich gleichzeitig zur freiwilligen Mitarbeit. Sie gründeten keinen Verein und formulierten keine Satzung. Sie waren einfach nur entschlossen, etwas auf die Beine zu stellen. Das Festival ‘84 war ein Meisterstück der Improvisation. Ein Bauunternehmer stellte die Verteilerkästen für das Stromnetz zur Verfügung, Kabeltrommeln brachten die Aktionäre von zu Hause mit. Ein junger Mann namens Dirk Schmidt-Enzmann, heute für bühnentechnische Konzepte in ganz Europa verantwortlich, baute das Bühnendach. Das Podest darunter war Marke Eigenbau. 5. O-Ton (HALD0618, 4:45–4:59 […] 5:44–6:06) In den ersten Jahren ist mit viel Improvisation, viel Zusammenleihen von Equipment … ja, im ersten Jahr haben wir die Unterkonstruktion der Bühne noch selbst gezimmert, aus nem alten Dachstuhl, den wir hier abgerissen haben […] ja, das war irgendwie so ein Zufall, dass hier im Ort gerade ein Haus saniert wurde, der Dachstuhl musste runter, und dann haben wir da halt alle angepackt, alles zum Platz gefahren und daraus ne Bühne gezimmert; hatten auch ein paar Schreiner unter den Aktionären, das war schön … (lacht) Sprecher 4: Am 23. Juni war es endlich soweit: Wo sonst nur Kühe und Pferde grasen, ertönte erstmals echte Live-Musik. Auf dem Programm standen Herne 3, Nightwing und The Chameleons. Das Haldern Pop Festival war geboren! Aber keinem der Beteiligten wäre auch nur im Traum eingefallen, dass auf dem Alten Reitplatz einmal eine Rock-Ikone wie Patti Smith aufspielen würden. Oder Popgrößen wie „Wir sind Helden“, die 2011 gastierten. 4. EINSPIELER: Wir sind Helden „Denkmal“ (Quelle: MP3-Datei, Länge 4’05) 20‘25 [Anm.: bitte erst ab 0:20 („… hol den Vorschlaghammer …“) einspielen] Sprecher 5: Das Jahr 1984 bescherte den Jungaktionären ein grandioses kleines Festival. Alle verloren etwa DM 130,-, konnten sich dafür aber von nun an Konzertveranstalter nennen. Für das Folgejahr wurden gleich vier Bands verpflichtet, darunter die Krautrocker von Grobschnitt. Doch das Wetter sorgte für Ungemach. Stefan Reichmann, ein Aktionär der ersten Stunde und heute künstlerischer Leiter des Haldern Pop, erinnert sich: 6. O-Ton (HALD0612, 0:38–2:00 […] 2:53–3:03) … mit Grobschnitt kam eine Band, die damals für uns Heroes waren; unser Horizont war entsprechend … wir waren relativ leicht glücklich zu machen, reichte ne Band aus Hagen. [schneiden 0‘54–1‘11] … es war am regnen wie Hulle, und ich glaube, als sie damals mit dem Truck in die Lohstraße reingefahren sind, haben die gedacht, wo sind wir hier gelandet. Dat Ende der Welt. Wollten uns überreden, nach dem Motto: am besten wir packen gar nicht erst aus, ihr gebt die verkauften Karten zurück, dat könnt ihr knicken. Und da haben wir gesagt: dat geht nicht, wir müssen das jetzt machen. […] Müssen wir durchziehen. Wir haben noch viel vor, und wenn wir jetzt schon im 2. Jahr in die Knie gehen … [schneiden 2:00–2:53] … wir haben’s auf jeden Fall gemacht. Das Beste an dem Festival war, dass wir’s gemacht haben, trotz der apokalyptischen Bedingungen. So Sachen sind dann auch wichtig, dass man nicht so schnell scheitert. 1‘30 Sprecher 6: Stehvermögen mussten die Aktionäre auch 1986 beweisen. Wieder gab es tolle Konzerte, dennoch kamen viel zu wenige Zuschauer auf den Alten Reitplatz. 7. O-Ton (HALD0612, 8:22–8:43 […] 8:55–9:22) … Wir haben ja 1984, 1985 Geld verloren, und 1986 richtig viel Geld verloren, waren Anteile von 500 DM aufgebraucht, hat gespielt Midnite Fun, The Radio und N‘Daga [schneiden 8:43–8:55], „die Blagen gehen an meinen Wagen, ich kann das nicht ertragen“ (lacht), aus Mühlheim, waren halt drei unbekanntere Kapellen, Wetter gut, aber kamen einfach nicht so viele Leute … aber: hat allen Beteiligten total Spaß gemacht … (HALD0612, 10:00–10:18) … Weil von der Sache waren wir ja total überzeugt. Wir wussten ja, dass wir ein tolles Festival bieten. Also an uns haben wir nicht gezweifelt. Wir müssen das nur lauter erzählen. Und vielleicht namhaftere Bands kriegen ... Sprecher 7: 1987 zeigte sich so etwas wie Licht am Horizont. Die Band Extrabreit lockte so viele Zuschauer an, dass die Einnahmen erstmals die Auslagen übertrafen. Das Festival sprach sich langsam ein bisschen herum. 1988 folgte ein künstlerisch richtungsweisendes Jahr, weil die Haldern-Macher durch die Verpflichtung von Element of Crime, die damals noch englische Texte machten, erstmals besonderes Gespür für großartige neue Bands bewiesen. 1990 wurde in Deutschland CTS eingeführt, ein computergesteuertes Konzertkarten-Vertriebsnetz, das auf heftige Kritik stieß, weil es die kleinen Veranstalter zu benachteiligen drohte. Für die Aktionäre sollte es auf unerwartete Weise zum Glücksfall werden. 8. O-Ton (HALD0615, 7:33–8:28): … da haben wir ein T-Shirt gemacht, und da haben wir aus CTS Corrupt-Ticket-Selling gemacht, und Lieberberg hat dat spitz gekriegt und fand das super, (…) und hat sich 50 Stück davon bestellt, weil er das auch lustig fand, hat Brief geschrieben, wenn wir mal wat hätten, sollten wir uns an ihn wenden, würde uns gerne Gefallen tun. Relativ fix habe ich geantwortet, dass wir gerne Bob Geldorf hätten; und dat ging dann relativ zügig (…), und ich weiß noch genau, draußen lag Schnee im Februar, da kriegten wir die Bestätigung per Fax: Bob Geldorf spielt in Haldern, und dat war besonders, da wussten wir, jetzt haben wir einen richtigen Coup gelandet. 25:20 5. EINSPIELER: Bob Geldorf „I don’t like Mondays“ (Quelle: CD „Feine kleine Dorfmusik 1“, Track 10, Länge ca. 4’30) Stück anspielen bis ca. 2’20, dann unter den folgenden Text ziehen; 9. O-Ton (HALD0615, 8:48–9:00): … ein Riesenkonzert, Bob Geldorf war auf dem Zenit, es war ausverkauft, Band war toll, hat ein großartiges Set gespielt Sprecher 8: Fast 5000 Besucher strömten auf den Alten Reitplatz, mehr als je zuvor. Für die Aktionäre war es ein Meilenstein, weil das Haldern Pop jetzt immer stärker auch von internationalen Künstlern wahrgenommen wurde. bitte erst ab ca. 3’20 wieder hochziehen, das (öde) Zwischenspiel kürzen 29:50 Sprecher 9: Zum zehnten Jahrestag 1993 wurde das Haldern Pop auf zwei Tage ausgedehnt. Gleichzeitig leistete es durch die Einführung wiederverwertbarer Trinkbecher Pionierarbeit in Sachen Umweltschutz. Doch ein Jahr später stand die Zukunft des Festivals ernsthaft zur Disposition. Die Organisatoren hatten sich 1994 für ein anspruchsvolles, aber relativ unpopuläres Programm entschieden, das auch unter den Aktionären für Diskussionen sorgte. Überdies hatten die hohen Investitionen in die Becher die finanziellen Reserven der Vorjahre aufgezehrt. 10. O-Ton HALD0615, 14:16–15:00: … wir haben uns immer die Frage gestellt, können wir dat aufrechterhalten. Man darf nicht vergessen, wir sind hier auf dem Land, d.h. wir sind nicht mit öffentlichen Mitteln gesegnet. Wir müssen immer selber sehen, dass wir das finanzieren, was hier unternehmen. Wir waren da ziemlich angeknackst, [schneiden 14:32–14:54] ... Dann wurden auch Stimmen laut, Leute, können wir uns das noch leisten, Kosten werden immer größer, Risiko auch, auf welchem Level können wir weitermachen. Sprecher 10: Die Aktionärin Andrea Bollwerk, seit rund 20 Jahren für das Catering zuständig, kann sich an die damaligen Diskussionen erinnern: 11. O-Ton IV, 14 300 Aktionäre und Helfer insgesamt. (37:00–37:58): A: Also früher war es so, auch ich persönlich, ich habe Geld gezahlt, dass ich mitmachen durfte, damals waren es 500 Mark, ich habe es aber geteilt mit einem Freund, der mittlerweile mein Mann ist….egal, wir haben uns eine Aktie geteilt, das waren damals 150 Leute, damit wurde das vorfinanziert… dann haben wir ganz lange schlechte Zeiten gehabt. Die ersten 10 Jahre, wo ich mitgemacht habe, war es jedes Jahr sehr fraglich, ob es noch ein Jahr geben wird. Dann hat es geregnet, dann kamen nur die Hälfte der Leute, die wir brauchten … [schneiden 37:45–37:55] … das war natürlich trotzdem Spaß, aber es war jedes Mal ein Zittern Sprecher 11: Nach langen Diskussionen einigten sich die Aktionäre auf eine weitere Zukunft des Festivals, das durch die zunehmende Zahl von Campern immer mehr zum Happening tendierte. Zu den auftretenden Künstlern 1995 zählten The Jayhawks, Giant Sand und erneut Element of Crime. Für Stefan Reichmann war dieses Festival insofern wegweisend, als sich Haldern nun auch programmatisch immer stärker von kommerziell orientierten Festivals unterschied. Doch einmal mehr machte Dauerregen den Aktionären zu schaffen. 12. O-Ton IV, 39 Wetter? (1:02:03–1:02:44): … früher war das wirklich existentiell. Da hat man da gestanden, guckte auf den Platz und da waren da 800 Leute und man wusste genau: das reicht nicht. Ich kann mich an eine Situation erinnern, 97 vielleicht, da habe ich da gestanden mit Gummistiefeln, bin vom Backstage gekommen und habe gedacht: bitte, bitte: lass da Leute stehen. Da waren Gott sei Dank viele Leute, da habe ich mich total gefreut. Ich kann mich noch an das Gefühl erinnern. Das vergisst man nicht. Sprecher 12: Ans Aufgeben haben die Macher dennoch nicht gedacht: 13. O-Ton IV, 40 warum hast du trotzdem weiter gemacht? (1:03:40–1:04:10): Das war überhaupt keine Frage, wir machen weiter mit aller Kraft, unbedingt. Das ist nicht nur bei mir so, sondern ich glaube wirklich bei 90% der Leute, die da mitmachen. Das ist die Energie, die ganz weitergebracht hat. Ich kann es Dir nicht sagen, woran es liegt. Vielleicht, weil wir hier so ein kleines Dorf sind, hier gibt es sonst nicht so viel, auch nicht um uns rum. Da muss man mal selber sehen, dass man was auf die Beine stellt. 6. EINSPIELER: Alabama Shakes „Hold on“ (WDR Rockpalast, 11‘30–15’45, ca. 4’15) 37’50 Sprecher 13: Durch den Einstieg der Privatbrauerei Diebels als Hauptsponsor 1998 entspannte sich die finanzielle Lage ein wenig. Auch das Feuilleton wurde jetzt immer stärker aufmerksam. 1999 schließlich gab es einen ersten Ritterschlag: das Haldern Pop wurde unter den zehn besten deutschen Festivals gelistet: 14. O-Ton (HALD0615, 19:33–20:10): Dat ging damals los, Intro etc., die Musikzeitungen fingen an, die Charts zu entwickeln, Publikumsfeedback war sehr gut; war auch das Jahr, wo wir erstmals Muse hatten, dEUS, Zita Swoon, wo wir uns unseren künstlerischen Vorstellungen immer mehr nähern konnten, die Bands picken konnten, auf die wir auch richtig Lust hatten, und die Künstler dachten, guter Ort, gute Reputation, da kann man ruhig mal spielen. Sprecher 14: Seit die schottische Indie-Pop-Band Belle & Sebastian 2002 auf dem Alten Reitplatz spielte, ist das Haldern Pop regelmäßig ausverkauft. Inzwischen sind die 6500 Karten schon Stunden nach der Eröffnung des Vorverkaufs im Oktober vergriffen, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch kein Künstler gemeldet ist. Ein bisschen wächst das Festival immer noch. Fast jedes Jahr kommen ein paar Bands mehr, seit 2006 ist es auf drei Tage ausgeweitet. Journalisten aus dem In- und Ausland reisen an, es gibt Radio- und Fernseh-Übertragungen. Doch ein Massenevent wird das Haldern Pop trotzdem nicht. Die Aktionäre hätten das Festival längst verkaufen oder mit einer vielfach größeren Zuschauerzahl auf ein anderes Gelände umziehen können. Aber das hätte den Charme dieses Happenings unweigerlich ruiniert. Deshalb ist Kartenkontingent bewusst limitiert. Für Stefan Reichmann ist es ein Luxus, das Festival in dieser Größe zu halten. Wie wichtig seine soziale Verankerung in der Gemeinde ist, zeigt sich nicht nur an der großen Zahl der freiwilligen Helfer, sondern auch wenn Not am Mann ist. Im Jahrhundertsommer 2003 beispielsweise litten die Besucher unter einer gnadenlosen Hitze. In Windeseile wurden mit Unterstützung der Dorfbewohner Sonnenschutzplätze errichtet, die Camper per Trecker mit kühlendem Frischwasser versorgt und eine improvisierte Zuschauer-Berieselungsanlagen zusammengeschraubt: 15. O-Ton (HALD0615, 25:53–26:22): Da hatten wir das Glück .. ein Nachbarbauer kam auf uns zu und meinte, ich hab für meine Hühnerställe so Ventilatoren, denn wenn es da zu heiß wird, dann kippen die auch um, wollt ihr dat nicht nützen, könnt euch was bauen. Und dann haben wir vier große Ventilatoren neben die Bühne gestellt und mit Wasserschläuchen kombiniert, dass die so nen Tau auf das Publikum geworfen haben, so nen Feuchtigkeitsfilm … […] (HALD0612, 5:17–5:34): … und dat war natürlich, auch für das Publikum, unglaublich, was da passiert ist, was geleistet wurde, und da kamen halt Leute zum Zuge, die keine Gitarre spielen können, aber andere Sachen können, und da sah man, das so ein Festival halt ein Mannschaftssport ist und das es viele Faktoren braucht, dass es ne runde Sache ist. [herausschneiden 5:34–5:57] … Wenn et drauf ankommt, ne, dann kann die Provinz einiges, dat war super 7. EINSPIELER: The Low Anthem „This God damn House“ (WDR 10, Feine kleine Dorfmusik, 35:39–39:48; Länge ca. 4’03) 45:20 Sprecher 15: Bis heute lebt das Haldern Pop von dem, was Stefan Reichmann einmal die „amateurhafte Seele“ nannte. Rund 300 Menschen helfen ehrenamtlich mit, schenken Getränke aus, reißen Karten ab, versorgen Theken mit Kisten und Fässern, backen Kuchen, schnibbeln Obst und Salate oder tragen anderweitig zum Gelingen bei. Steven Kruiff, seit 2003 Mitarbeiter der Agentur von Stefan Reichmann, ist als einziger Festangestellter ganzjährig für Festival tätig. Er kümmert sich unter anderem um Logistik, Technikplanung und die zahlreichen Vorbereitungen: (Anm.: Bei diesem O-Ton hört man im Hintergrund ein leises Brummen vom Kühlschrank; können wir das irgendwie retuschieren oder Musik unterlegen, …?) 16. O-Ton (HALD0617, 0:39–1:19): In den Konzepten müssen wir ja festlegen, wie die Zäune gestellt werden, wie Absperrwege sind, das wird immer eine Woche vor dem Festival gemacht, am Samstag. Das ist immer ein ganz schöner Moment, Freiwillige bauen Zäune auf, legen Bodenplatten … das macht unheimlich Spaß, das zu sehen, weil wirklich die unterschiedlichsten Menschen da zusammenarbeiten. Ohne die Helfer wäre das ja gar nicht machbar, denn (…) das ist schon ne erhebliche Arbeit, die die da machen … Sprecher 16: Niemand der Freiwilligen bekommt Geld. Sie engagieren sich einfach aus Spaß an der Sache. In dieser Hinsicht hat sich nichts geändert. Die Koordinierung der Freiwillen ist allerdings durch die Entwicklung zum dreitägigen Happening komplizierter geworden, jedenfalls für Außenstehende: 17. O-Ton (HALD0622, 9:10–9:26 – Udo): Das ist nicht so leicht in drei Worten zu erklären (lacht), ist so ne gewachsene Sache. Wir sind in die Aufgaben reingewachsen … ist halt so, dass sich immer bestimmte Leute um bestimmte Bereiche gekümmert haben [9‘26] 18. O-Ton IV, 8 fff. Andrea über Familienmodell (32:32–33:51): … Wir haben diese ganzen vielen Helfer in kleine Gruppen aufgeteilt, die nennen wir Familien, dann gibt es einen Familienvater, der oft auch einen Bereich leitet … [schneiden 32:45–32:55] wir nennen das Familie, weil es ein schöner Begriff ist, besser als Gruppenleiter oder so, das ist fies. Da haben wir 15 Familien mit 20-30 Leuten und da werden dann kleinere Probleme besprochen – außerhalb der Arbeitsgruppe, in der ich mich befinde; z.B. in meiner Familie Leute aus Catering, Theke, anderen Bereichen. Wenn die ein Problem haben, dann würde die nicht zu Stefan Reichmann gehen, weil der hätte sonst viel zu tun, sondern die würden dann zum Familienvater gehen [schneiden 33:44–33:48] und dann wird eine Lösung gefunden, auf dem kleinen Weg. … 48:20 8. EINSPIELER: (variabel, evtl Kürzungsmasse): Honig „For those lost at see“ (WDR 14, siehe Quellen, Länge max. 5’05) Sprecher 17: Im Kern sind die Freiwilligen eine feste Truppe. Manche sind schon seit den Anfängen dabei. Weil aber immer wieder einige aussteigen wollen oder müssen, gibt es für Interessenten, die sich nicht aus dem persönlichen Umfeld rekrutieren, ein Onlineformular. Ein wichtiges Kriterium für die Auswahl von Nachrückern ist deren Bereitschaft, nicht nur beim Festival, sondern auch bei den Vor- und Nachbereitungen zu helfen. (Anm.: hier noch einmal das leises Brummen …) 19. O-Ton (HALD0617, 1:52–2:40): Es gibt ein Online-System, können sich Helfer anmelden, ein Profil erstellen und für Schichten eintragen … es werden also aus den unterschiedlichen Bereichen wie Zaunaufbau, Bodenplatten werden Schichten angelegt, steht da: von dann bis dann brauchen wir soundso viel Mann, und da können sich die Leute eintragen. Und wenn wir dann im Vorfeld sehen, da gibt es ein paar kritische Stellen, sprechen wir gezielt nochmal Leute an oder schreiben ne E-Mail; die Arbeit wäre nicht zu machen, wenn man das nicht vernünftig strukturiert Sprecher 18 : Die Hilfebereitschaft untereinander ist groß. Wenn an einer Theke mal das Bier ausgeht, packen immer schnell ein paar Leute an, die Kisten und Fässer über das Gelände schleppen. Gibt es in Haldern eigentlich nie jemanden, der gestresst oder genervt ist, fragen wir Andrea etwas ungläubig. 20. O-Ton IV, 7 A: (30:00–30:39) Doch, das passiert, klar. Ich habe mal mitgekriegt, das mal Not am Mann war und da stand jmd ganz alleine, beliebtes Thema sind die Spülschichten….das Spülen der Becher ist unbeliebt, logisch und jeder versucht sich davor zu drücken. Es ist wie in jeder größeren Gruppe, es gibt leute, die sind fleißig und arbeiten sich den Popo ab und andere Leute machen lieber nicht so viel. Das aber ganz normal und wir haben super Instrumente gefunden, um alle glücklich zu machen. Sprecher 19: Glücklich sind in der Regel auch die Musiker, die eine Einladung nach Haldern bekommen. Weshalb viele Künstler das Musikfest am Niederrhein als ihr Lieblingsfestival bezeichnen, darum wird sich die 2. Stunde drehen. Summe: 50’20 min. ohne den Einspieler von „Honig“ WORTENDE 51’00! 9. ABSCHLUSSMUSIK: Lubomyr Melnyk "Song 1" Quelle: HPS II, nach 5 min. ausfaden 2. Stunde Weltmusik in der Provinz – die Musiker Opener: Zitatcollage Musiker mit Musik 1. O-Ton Ridder: It is about the moment the music starts…. (0:00–0:27) Synchronsprecher 1: Es geht um den Moment, wo die Musik beginnt. Alles beginnt dann. Man kann im Vorfeld reden so viel man möchte, aber Musik ist die Sprache und diese Musik spricht direkt zu Deinen Emotionen, ich sehe das in den Gesichtern der Musiker. Sie werden lebendig. Wenn sie eintauchen, dann fügt sich alles. … It all come together 2. O-Ton Bischoff (0:40–1:06 …) “I realy like the idea to bring musik back … Synchronsprecher 2: Mir gefällt die Idee, die Musik wieder zu dem zu machen, wofür sie gerade bei Festivals gedacht war. Menschen kommen zusammen und teilen den Moment. Das ist im Laufe der Zeit verloren gegangen – Geld ist wichtiger geworden. Da kommen Bands, spulen ihr Programm ab und wollen so schnell wie möglich wieder weg. … get the hell out.“ 3. O-Ton Ridder: “That is what I heard (… Fortsetzung 1:06–1:49) Synchronsprecher 1: Das habe ich von vielen Bands gerade über das Festival hier in Haldern gehört, dass sie immer für alle drei Tage kommen, nur um hier zu sein und andere Musiker zu treffen. Das macht es so besonders hier. Und dafür sollten Festivals da sein. Das man nicht nur fürs Publikum spielt, sondern auch für Freunde und Kollegen. Das ist großartig. Man unterhält sich mit ihnen tauscht sich aus. … you exchange ideas the hole time 1.Sprecher: … so André de Ridder, Dirigent der Kopenhagener Philharmoniker. Wie sein Kollege Jherek Bischoff fühlt sich de Ridder in der Klassik ebenso heimisch wie in der zeitgenössischen und experimentellen Musik. Er war der Initiator des Musikerkollektivs Stargaze, das in Haldern schon mit unterschiedlichsten Künstlern konzertierte. Einer der musikalischen Höhepunkte 2014 war der Gemeinschaftsauftritt von Stargaze und dem Berliner Chor Cantus Domus mit The Slow Show, einer Band aus Manchester, deren Debut-Album europaweit für Furore sorgte: 1.EINSPIELER: The Slow Show “Dresden” (Quelle: WDR-Doku 14 / Vimeo, 0‘20–5’17; Gesamtlänge 5:00) 7‘40 4. O-Ton (HALD0623, 7:04–7:25, Stefan): … wir haben eigentlich immer versucht, klarzustellen, dass die Musik bei unserem Festival das Wesentliche ist, es geht um Musik, und über Musik haben wir auch dieses Publikum gefunden, und dieses Publikum macht Haldern zu dem was es ist, unser größtes Kapital ist unser Publikum. Deren Aufmerksamkeit sorgt dafür, dass die Musiker gerne bei uns spielen. 2 Sprecher: … so Stefan Reichmann, einst Mitbegründer und heute künstlerischer Leiter des Haldern Pop. Einer dieser Musiker ist der der Komponist und Klaviervirtuose Lubomyr Melnyk, der ganz verblüfft war von der Konzentration der Zuhörer in der Kirche: 5. O-Ton Melnyk (Quelle: MP3 0:00–0:33 […] 0:58–1:24) It’s a wonderful experience … Synchronsprecher 1: Das ist eine tolle neue Erfahrung, ich spiele normalerweise nicht auf diesen großen Festivals im Sommer, es ist das erste Mal , es ist wunderbar – die ganzen jungen Menschen, man spürt die Aufregung, die Freude daran, Musik hören zu wollen. Die Unterschiedlichkeit der Künstler, es fühlt sich einfach gut an… […] Es ist der Geist bei diesem Festival. Nicht nur die Musiker, auch bei den Machern merkt man das, sie lieben die Musik und das wollen sie wirklich teilen. Es ist keine Industrie. Das kann man beim Stefan sehen, in seinen Augen. Er macht das, weil er es wirklich liebt.“ 3. Sprecher: Haldern ist kein Spartenfestival, und wollte es nie sein. Die Auswahl der Musik ist undogmatisch und ohne subkulturelle Attitüde. Das Programm spannt einen weiten Bogen von den experimentellen Klangkunstwerken einer Julia Holter über Folk, Blues, Soul und Hip-Hop bis zu den unterschiedlichsten Spielarten des Pop und Indie-Rock. Diese enorme musikalische Bandbreit ist zweifellos besonders: 6. O-Ton (O-Ton DVD 1:38:48–1‘39’22, Sophie Hunger): … Ja, einfach Open-Air zu spielen, das ist heute nicht mehr so einfach, weil es sehr eng ist, was man spielen kann […] Es gibt halt nur noch eine Art von Musik, die da funktioniert, und ganz viel geht verloren deswegen. Wenn man das vergleicht mit den 70er-Jahren. Haldern ist halt so eine Ausnahme, hier ist alles möglich, hier sieht man alles Bands. Es ist halt ein Musikfestival und es ist schon speziell. 4. Sprecher: Die Schweizer Sängerin Sophie Hunger ist ein bekennender Fan des Haldern Pop. Obwohl sie im Zuge ihrer ausgedehnten Tourneen weltweit auf hunderten von Bühnen stand, ist das Musikevent am Niederrhein erklärtermaßen ihr Lieblings-Festival. Sicher auch deshalb, weil ihr grandioses Haldern-Debut 2010 eine besondere Bedeutung für ihre eigene künstlerische Entwicklung hatte: 7. O-Ton Sophie Hunger O-Ton DVD 1‘39‘22–1‘40‘42: Also, es war so, wir haben ja angefangen vor ein paar Jahren und dann hatten wir am Anfang etwas Mühe, auf Festivals eingeladen zu werden, [schneiden 39‘30–39‘36] … , wir sind halt nicht die typische Festival-Band mit zwei Gitarren und fettem Schlagzeug, das immer im 4/4-Takt kickt … Und dann haben wir die Einladung nach Haldern bekommen, und schon das war eine Party wert [schneiden 39‘52–39‘58] … gut … dann sind wir gekommen und es war bis heute eines der schönsten Konzerte, die wir je gegeben haben … hat lange nachgeklungen, auch in der Erinnerung der Band, dieser Abend war schon wie so ein besonderer Moment, der gewisse Sachen auch zusammenhalten kann oder der für eine gewisse Zeit steht. […] wir waren sehr stolz nach diesem Abend und hatten das Gefühl, dass wir jetzt alles machen können. 2. EINSPIELER: Sophie Hunger “Speech” (Anm: haben wir als MP3-Datei, aber YouTube-Aufnahme besser vom Klang, auch Posaune im Finale besser zu hören; Länge 5:00) 16‘50 5. Sprecher: Auf dem Platz hinter der Hauptbühne gibt es eine große Feuerstelle, am Rande lagern Berge von Brennholz. Das Lagerfeuer verleiht dem Areal zwischen den Künstlerzelten und dem Catering einen Hauch von Sommerlager. Ab den Abendstunden wird das Rondell zum Treffpunkt der Künstler, die hier am Feuer Bekanntschaften knüpfen, Erfahrungen austauschen, ihre Auftritte feiern oder einfach nur „schnacken“, wie Stefan Reichmann meint. Der Respekt unter den Musikern ist groß, auf eine Trennung zwischen A-, B- und C-Künstlern wurde bewusst verzichtet. Nicht selten holt einer der Beteiligten zu später Stunde noch einmal seine Gitarre hervor. Das Lagerfeuer ist eine Art Reminiszenz an die Open-Air-Partys, mit denen das Haldern Pop begann – und an den Geist der Anfangsjahre. „Ain’t singing for Pepsi, ain’t singing for Coke. I don’t sing for nobody, makes me look like a joke“, heißt es in einem Lied von Neil Young. Frei übersetzt ins Niederrheinische: Wir machen hier keine Musik für Leute, die ein Festival nur benutzen, um ihr sogenanntes Zielpublikum mit bunten Reklamebotschaften zu bombardieren. Von jeher verzichten die Macher auf die zusätzlichen Einnahmen durch riesige Werbebanner. Die Bühne ist schwarz und frei von Reklametafeln, im Mittelpunkt steht die Musik. Das wissen die Künstler enorm zu schätzen. Dazu der irische Sänger Glen Hansard, der für „Falling Slowly“ 2008 den Oscar für den besten Film-Song erhielt: 8. O-Ton (Glen Hansard; Quelle: DVD 22:52–25:34): The first thing that struck me… Synchronsprecher 1: Das erste, was mich erstaunt hat, als ich hier ankam, war das Lagerfeuer. Eine wundervolle Sache. Das machen wir immer, wenn wir auf ein Festival kommen: wir suchen Holz und machen ein Feuerchen. Aber hier war es schon da. Großartig. Und dann noch was: ich saß im Gras und hörte einer Band zu und ich sah nirgends Werbung. Wo gibt es das heute noch? Ich erinnere mich an ein Festival in Irland: Da sah ich die Band Sonic Youth, vor etwa acht Jahren, wie sie gerade die Werbebanner von Heineken und Vodafone einfach abrissen und von der Bühne schmissen. Wow – was für eine großartige Sache: holt Euch den Platz zurück! Es geht nicht um diesen ganzen Blödsinn, es geht um die Musik. Und am Anfang war das Lagerfeuer. [schneiden 24:09–25:00] Ein Festival steht in dieser uralten Tradition der Zusammenkunft. [schneiden 25:05–25:17] Ein gutes Festival bringt Dich näher an diese Wahrheit. Ein schlechtes bringt dich davon weg. Dort stehen die Sicherheitsleute im Vordergrund, und die O2-Werbung, der ganze Kram. Ein gutes Festival bringt die Erinnerung zurück. it almost thrills your memory. 6. Sprecher: Musiker, die einfach nur anreisen, ihr Set herunterspielen und dann wieder in den Bandbus klettern, gibt es in Haldern kaum. Auch Stars wie Patti Smith, Sophie Hunger oder Glen Hansard mischen sich unters Volk, sehen sich anderer Künstler an. Kooperationen auf der Bühne sind ausdrücklich gewollt. Am Festivalsamstag 2014 hatten die Dawes aus Kalifornien nachmittags ein großartiges Konzert im Spiegelzelt gespielt, während die singenden Schwestern von First Aid Kit das Mainstage-Publikum begeisterten. Am frühen Abend fanden sich alle gemeinsam wieder auf der Hauptbühne ein, um – erstmals in dieser Konstellation – den Indie-Folk-Star Conor Oberst zu begleiten: 3. EINSPIELER: Conor Oberst & Dawes & First Aid Kit “Lua” (Quelle: YouTube https://www.youtube.com/watch?v=FzVKX1CKP58, Länge 6’25) 27:15 7. Sprecher: Das Budget der Haldern-Macher war immer bescheiden. Durch die Krise der Musikindustrie wurde die Finanzierung von Festivals insofern erschwert, als viele Bands die sinkenden Platten-Einnahmen durch höhere Live-Gagen kompensieren müssen. Zum Glück für das Haldern Pop hat sich Stefan Reichmann früh darauf spezialisiert, Musiker einzuladen, unmittelbar bevor sie richtig durchstarten und unbezahlbar werden. Dabei hat er im Laufe der Jahre ein unglaubliches Gespür bewiesen. Bands wie Franz Ferdinand, Mando Diao, Maximo Park oder Mumford & Sons spielten schon in Haldern, bevor sie weltweit riesige Hallen füllten. Auch für die Künstler ist die Auswahl immer wieder überraschend. Erika Angell, Sängerin von „Thus:0wls“: 9. O-Ton (O-Ton WDR 10; 47:38–48:03 min, Erika Angell: „But it seems … Synchronsprecherin: “Aber es scheint mir so, dass bei dem Programm heute Abend eine Menge Namen dabei sind, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Er hält immer noch an der Idee fest, neue Dinge zu entdecken und neue Musik und kommende Künstler zu präsentieren … und nächstes Jahr kommen sie vielleicht wieder, aber dann sind sie viel bekannter und vielleicht Headliner. Also, er ist gut darin.“ 10. O-Ton (DVD 37:54–38:07, Ben Caplan) … Every year the bands… Synchronsprecher: …. Jedes Jahr sind hier Bands, die auf dem Sprung sind, die kurz vor dem Durchbruch stehen. Als ich eingeladen wurde, fühlte ich mich wirklich sehr geehrt. 8. Sprecher: Inzwischen gilt Haldern als eines der großen Sprungbretter in Europa. Das hat den Kontakt zu vielen Managern und Agenturen leichter gemacht. Stefan Reichmann antwortet auf die Frage, wie es ihm immer wieder gelingt, aus dem riesigen Aufgebot neuer Künstler jedes Jahr wieder ein paar Perlen herauszupicken, antwortet Stefan Reichmann: 11. O-Ton (HALD0623, 1:43–2:58, Stefan): Ja, man muss sagen, dass man über die Jahre Kontakte hat, auch mit Künstlern, die mal links oder rechts gucken, ne Mail schreiben. Man trifft sich und redet drüber. […] Mit gewissen Musiker redet man halt immer über Musik, wer was gesehen hat, wer begeistert war … [schneiden: 2:02–2:27] … es ist eigentlich intuitiv, wenn man was live sieht [schneiden: 2:32–2:39] … man kriegt irgendwann mit, wenn et real ist, wenn man denkt, der Typ, wat der da macht, da steht der echt zu 150 Prozent dahinter … [schneiden 2:51–2:56] … dann gefällt einem dat ... 9. Sprecher: Im Laufe der Jahre hat Haldern so etwas wie eine Avantgardefunktion übernommen, obwohl es nie mit diesem Anspruch angetreten war. Wir pflücken die Bananen, wenn sie grün sind, sagt Reichmann – in der Hoffnung natürlich, dass sie bis zum Festival gelb werden. Das ist der Plan, und er funktioniert verblüffend oft. Als der Vertrag mit Sam Smith unterzeichnet wurde, war das Debut-Album des britischen Senkrechtstarters noch gar nicht erschienen. Bevor er 2015 vier Grammys abräumte, gab Sam Smith in Haldern zwei Konzerte, erst akustisch in der Kirche, tags darauf mit Band auf der großen Bühne. 4. EINSPIELER: Sam Smith „Stay with me“ (Quelle: WDR 14, Länge 4:31 min.) 34:40 10. Sprecher: Die Stimmung im Backstage wäre nicht, wie sie ist, gäbe es nicht die ganzen Helfer, die sich mit viel Engagement um die Verpflegung der Künstler kümmern. Inzwischen haben die Halderner eine Profi-Crew engagiert, die alle warmen Mahlzeiten zubereitet, weil das für die Freiwilligen irgendwann einfach nicht mehr zu stemmen war. Andrea Bollwerk, seit fast 20 Jahren hauptverantwortlich für das Catering, kann sich aber auch noch gut an andere Zeiten erinnern: 12. O-Ton (IV, 18’30 Wo kommt das Essen, Andrea: (41:46–42:30) A: … wir hatten wirklich drei Kochplatten, haben nudeln gekocht und haben vorher bei Muttern in der Küchen, Soßen vorgekocht, rot und weiß, vegetarisch und nicht vegetarisch, in rauen Mengen vorgekocht, aber es war wirklich lecker, […] es gab nur Nudeln, aber den fünf sechs Bands war das nicht so schlimm, irgendwann haben wir gemerkt, es geht gar nicht, es wurde immer mehr und mehr , so viel konnte man nicht mehr vorkochen (42:30) 11. Sprecher: Heute trifft sich Andrea Wochen vor dem Festival mit Steven Kruijff, der zu den Musikern Kontakt hält und ihre speziellen Wünsche kennt. Die Menü-Bestellungen gehen direkt an den Koch. Was die Freiwilligen nach wie vor selbst organisieren, das sind all die Dinge, die sich anders kaum finanzieren ließen, etwa das Frischobst-Büffet, eine Kaffeetheke mit selbstgebackenem Kuchen, die Salat-Bar, ein reichhaltiges Frühstück mit allen Finessen und auch Sandwich-Pakete für abreisende Bands. Notfalls fahren die Helferinnen auch nach Hause und bügeln rasch ein Bühnenoutfit, wie im Fall von Tim Booth, dem Frontmann von James, der ganz betrübt war, weil er seine Show nicht im zerknitterten Anzug spielen mochte. Eine organisatorische Herausforderung ersten Ranges sind immer wieder aufs Neue die Getränkevorlieben der Künstler. Bei 60 Bands kommt eine ansehnliche Wunschliste zusammen: erlesene Whiskys und Wodkas, ein besonderer Rum, jener spezielle portugiesische Rotwein Jahrgang ’98 – Andrea versucht alles zu besorgen: 13. O-Ton IV, 47 Was machst Du? [11:24–13:00] A: (11:24) und jedes Jahr gibt es einen neuen heißen Scheiß. Letztes Jahr war es [schneiden 11:44–11:52] mit Kokosnuss versetztes Mineralwasser. Schwierig zu bekommen in Haldern, schwierig. […] Ja für letztes Jahr…das spricht sich dann wohl rum, dann will das jeder haben. Stefan hatte dann irgendwo jmd aufgetan, der uns umsonst das zur Verfügung gestellt hat, dann hatten wir dann 40 Liter Coconut Water und rate mal wie viel davon getrunken wurde? Nichts! (lachen) [schneiden 1:12:34–12:51] Das so ein typisches Beispiel, wo ich dann denke … Ja …. Aber wirklich, das macht sonst kein Mensch – wir versuchen das immer irgendwie möglich zu machen. (13:00) 5. EINSPIELER: Half Moon Run “Full Circle” (DVD, 43:28–47:10, Länge 3:42 min.) 41‘40 12. Sprecher: Ein Markenzeichen des Haldern Pop ist das Spiegelzelt am Rande des Festival-Geländes. Hier finden im zeitlichen Wechsel mit der Hauptbühne die kleineren, oft besonderen Konzerte statt. Die aus Holz und Glas gefertigte Spielstätte wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss des Jugendstils gebaut. Mit dem roten Zeltdach und den umlaufenden Buntglasfenstern, die für sich ständig verändernde Lichtreflexe sorgen, bietet das Spiegelzelt ein unvergleichliches Ambiente für besondere Konzerte. Einige sind legendär, wie der Auftritt von Mumford & Sons 2009. 14. O-Ton (O-Ton Stefan, Quelle http://reportage.wdr.de/haldern-pop#282: Länge 0’24): […] Das ist einfach ein wunderschöner Ort, da kann man auch mal leise zuhören und wunderbar wirken lassen. Das ist ein Ort, der schon .. ich sag mal durch das Material so eine ganz eigene Sprache hat. [schneiden 0‘16–0’25] … und da kann man mal auch ganz andere Art von Musik stattfinden lassen, da können raumgreifende und ganz wunderbare Konzerte stattfinden, was auf ner großen Bühne dann nicht so wirkt.“ 13. Sprecher: Ganz eigen ist die Atmosphäre auch deshalb, weil das Spiegelzelt nur 800 Besucher fasst. Wer eine Band unbedingt sehen möchte, muss sich mitunter etwas länger in die Schlange vor dem Eingang einreihen. Und sich an warmen Sommertagen auf ein Raumklima gefasst machen, das an Dampfsauna erinnert. Wem das alles zu strapaziös ist, der kann die Konzerte allerdings auch simultan draußen auf der Wiese auf einer Großleinwand verfolgen, vor der sich regelmäßig eine Menge Leute versammelt. Musiker lieben das Spiegelzelt. Oft sind es die leisen und außergewöhnlichen Konzerte, die hier stattfinden. Es kann aber lauter werden, wie 2014, als die Garagen-Blues-Rocker von Royal Blood die Bodenbretter zum Schwingen brachten. Die Festival-Überraschung 2013 war der Auftritt der Strypes, einer irischen Rock’n’Roll-Teenie-Band mit einem Durchschnittsalter von gerade mal 15 Jahren. Mit großartigen Gitarrenriffs und einer unglaublichen Stage-Attitude begeisterten die vier Jugendlichen sowohl das Publikum als auch die versammelten Musikerkollegen im Spiegelzelt. 6. EINSPIELER: The Strypes „I can tell?“ (DVD 48:58–52:18; LÄNGE 3:30) 47:35 14. Sprecher: Im Backstage hinter der Hauptbühne, nur ein paar Schritte vom Lagerfeuer entfernt, gibt es noch ein anderes Zelt: das unter Insidern berüchtigte Tipi. Es ist der Ort, zu dem des Nachts alle Wege führen, insbesondere die der Musiker, die das Bedürfnis haben, eine gelungene Show zu feiern. 15. O-Ton IV, 24’40 WodkaZelt? (47:35–47:50) A: .. Dieses Tipi ist groß und schön, (nenn es ruhig beim Namen […]) bei uns heißt es das Tipi des Grauens und das hat Gründe, man kann da nämlich gut versacken…. 15. Sprecher: Die Geschichte des Tipis begann mit einem Pavillon, in das Dirk Brauner, ein Freund des Festivals und Konstrukteur weltweit gefragter Gesangsmikrofone, eine Kaffeemaschine gestellt hatte, um mit Musikern ins Gespräch zu kommen. Dann wurde dort auch Wodka ausgeschenkt – anfangs umsonst. Allerdings erreichte der Wodka-Konsum durch die Gratisausgabe rasch Dimensionen, die als gesundheitsgefährdend eingestuft werden mussten. Deshalb führten die Halderner eine große Schreibtafel, die sogenannte Wodka-Glocke und das Prinzip der Lokalrunde ein. Seitdem ist es nicht mehr möglich, eine Flasche zu erwerben, um sie allein oder mit drei Freunden zu trinken. Jede Flasche wird mit dem Öffnen zum Allgemeinbesitz, so will es das Tipi-Gesetz. Der Name des Spenders kommt auf die Tafel. 16. O-Ton HALD0623, 17:12–17:46 (Stefan): Und wenn die leer ist, kauft der nächste eine. Und der Name wird dann da drunter auf die Tafel geschrieben. Und dat kriegt ne Eigendynamik. Und das interessante daran. Die Flasche gehört dir nicht. Du kaufst die, und alle trinken davon. Das ist ein super Aspekt, das führt die Leute zusammen. Und immer wenn ne Flasche leer ist, wird geläutet, und dann trinken alle auf, und dann ist der dran, und dann trinken alle auf Sophia Marcell oder Sophie Hunger oder … … und da entstehen eigentlich ganz lustige Situationen 49:35 7. EINSPIELER: Neil Finn „Four Seasons in One Day“ (Quelle: Unsichtbar & Wervoll mp3, 04 Neil Finn.mp3, Länge 2:50) 52:25 (ggf. zwecks Kürzung nach 1:40 unter Text ziehen) 16. Sprecher: Nach Murphys Gesetz gibt es in allen komplexen Systemen Fehlerquellen, und das gilt auch in Haldern. In jedem Jahr gibt es ein paar Dinge, die schief laufen, manchmal auch einen, der rumzickt, weil der nicht den Whisky von seiner Wunschliste hat. Aber das ist die Ausnahme. Sonst hätten die vielen Freiwilligen längst das Handtuch geworfen. Was die Musiker betrifft, genießen sie das Treffen mit Kollegen und die ungewöhnliche Aufmerksamkeit der Zuhörer. Andre de Ridder hat als Dirigent die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen nur noch aus Prestigegründen zu klassischen Konzerten gehen, aber sich eigentlich kaum für Musik interessieren und auch nicht gut zuhören. Im Gegensatz dazu kommt ihm das Publikum in Haldern viel neugieriger und musikinteressierter vor. Diese Erfahrung hat auch der Sänger und Entertainer Bernd Begemann gemacht: 17. O-Ton (DF25, 3‘14–3’26, Bernd Begemann): „Es ist ein informiertes Publikum, es sind Leute, die die Musik lieben, die sie kennen, und man hat das Gefühl, dass die Leute auch wegen der Musik hier sind, was ungewöhnlich ist. Die meisten Leute gehen auf Festivals, ums ich im Matsch zu wälzen, um zu saufen, um sich schlecht zu benehmen. Was ich völlig okay finde … Aber als jemand der Lieder singt, ist es mir angenehmer, wenn Leute zuhören. Das finde ich gut.“ 17. Sprecher: Um dieses Publikum und das Verhältnis zwischen Festival und Dorf wird es in der dritten Stunde gehen. 54:10 (wenn wir bei Neil Finn nach 1’40 ausfaden (s.o.), rechnerisch exakt bei 53:00 min.) WORTENDE 53 8. ABSPANN-MUSIK: Ólafur Arnalds „Fok“ (Quelle: CD: Von der Struktur…, Länge: 4:30) 3. Stunde Weltmusik in der Provinz – Festival und Dorf Opener: Zitatcollage Musiker & Helfer und Musik 1. O-Ton (Quelle: WDR 10; 21:13–21:33, Erika Angell: „Everything is built on Community). Synchronsprecherin: “Alles basiert hier auf Gemeinschaft und dass man sich gegenseitig aushilft. Und die ganze Dorfgemeinschaft scheint irgendwie engagiert zu sein. Und jeder versucht mitzuhelfen, damit so etwas hier geschieht. Das bringt eine Menge Liebe und Energie rein. Das macht den Zauber für die Musik und die Gemeinschaft aus.“ 2. O-Ton (O-Ton WDR 10, ca. 21:35–21:47, Matthias Storm) „Ich finde dat super. Ich komme hier aus dem Dorf. Und wenn man Halderner ist, dann kommt man zwangsläufig damit in Berührung … Haldern ist ein anderes Dorf wie die anderen“ . 3. O-Ton (Quelle: DVD 38:22–38:38, Ben Caplan: Ther is sth. In the air here, je ne sais quoi, Synchronsprecher 1: “Hier auf dem Festival liegt etwas in der Luft, wie soll ich sagen, … die Leute hier haben die Fähigkeit, den Augenblick zu genießen. Und ich glaube, dadurch entstehen die wirklich starken Momente im Leben. 4. O-Ton (Quelle: WDR 10; 42:35–42:45, Erika Angell: That‘s a very interessting and exclu Synchronsprecherin: „Das ist eine wirklich interessante und einzigartige Sache bei diesem Festival, es bringt eine große Gruppe von Menschen zusammen, welche du sonst niemals treffen würdest.“ 1. EINSPIELER: Villagers “Becoming a jackal” (Quelle: HPS II, Länge 3:20) 4‘30 1. Sprecher: Haldern sei ein Ort, „in dem Pop und Schützenfest friedlich koexistieren“, notierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Stefan Reichmann, ein Aktionär der ersten Stunde, ist heute künstlerischer Leiter des Festivals. Er und seine Mitstreiter hätten niemals die Absicht gehabt, den Schützenverein zu unterwandern, sagt der waschechte Haldener. Das wäre das Blödeste gewesen, das sie hätten tuen können. Denn ohne die Unterstützung aus dem Dorf hätte das Popfestival niemals werden können, was es heute ist. Atmo: (Vorschlag: leise Nick Mulvey, mit Akustikgitarre auf der Dachterrasse vom Zeltplatz, einspielen ab ca 2’40 (http://reportage.wdr.de/haldern-pop-2014-rockpalast-special#5369)) 2. Sprecher: Entlang der Landstraße zwischen dem Festivalgelände und dem Dorfkern pendeln die Besucherströme. Vor der Bäckerei Jansen, an der Straßenecke zwischen Kirche und Haldern Pop Bar gelegen, stehen Radfahrer und Spaziergänger mit Hunden. 5. O-Ton (O-Ton DF11.08. 1‘55–2’14, ein paar ältere Damen): „Wir waren zwei Mal in der Kirche, haben alles gesehen. / Wir waren bis da vor dem Tor. Aber die teuren Karte haben wir ja nicht. Wir hören zu. / Das gehört dazu, wenn man Halderner ist, das man hier gucken geht. Das muss sein. / Unsere Kinder haben mit aufgebaut in jungen Jahren.“ 3. Sprecher: Auch die älteren Dorfbewohner genießen das zweite August-Wochenende, an dem das Musikfest traditionell stattfindet. Diese große Akzeptanz in der Bevölkerung gab es nicht immer, sondern sie ist gewachsen, wie das Festival selbst. Dazu Udo Mümken, einer der Mitbegründer: 6. O-Ton (HALD0622, 14:33–15:27, Udo über Festival und Dorf) Anfangs war’s natürlich ne Party wie andere Partys und wurde auch so gesehen: Abends Krach, Müll, fahren Motorräder herum. Das hat sich aber im Laufe der Zeit gewandelt, auch weil heute irgendein Sohn, Neffe oder Cousine auf jeden Fall dabei ist, [schneiden 15:05–15:12] … und die Leute ja auch sehen, was passiert, Samstagnachmittag hier im Dorf, da kommen einfach viele die einfach auch mal gucken wollen, was los ist, und die das inzwischen auch wirklich super finden. 4. Sprecher: Die positive Berichterstattung in den Medien hat sicher dazu beigetragen, dass die Halderner ihr Festival ins Herz geschlossen haben. Aber noch wichtiger, meint Udo Mümken, sei das nette Publikum, das sich von dem Happening angezogen fühlt. 7. O-Ton HALD0622, 15:52–17:24 (Udo Festival und Dorfbewohner …) Mittlerweile sind wir sehr akzeptiert, und viele Leute freuen sich einfach darüber. Ich wohne ja selber in der Lohstraße, da wo das Festival halt stattfindet, also das drittletzte Haus vor dem Festival quasi [rausschneiden 16:09–16:30] … die Lohstraße wird ja immer stark beansprucht, finden ja immer Völkerwanderungen statt, da wird auch schon mal ein Blümchen plattgetreten, aber auch bei den Nachbarn, auch den älteren, … also die freuen sich alle total darauf, sind echt gut drauf, da gibt es keine Randale, da haben sich auch nette Verhältnisse entwickelt, also ein Nachbar, wenn da heißes Wetter ist, dann stellt der vorne im Garten so ne Gartendusche auf (lacht), setzt sich auf den Gartenstuhl (lacht) und hält mit dem einen oder anderen auch mal ein Pläuschchen ... 2. EINSPIELER: Lee Fields & the Expressions “Faithfull Man” (DVD, 52:30–57:20, Länge 4:50) Anm.: Stück ist länger, aber bitte vorher ausblenden, der Mann findet echt kein Ende 13‘10 5. Sprecher: Nur ein paar Schritte vom Festival-Gelände entfernt, gleich hinter dem Camping-Areal, liegt das Tonstudio Keusgen. Inhaber Klaus-Dieter Keusgen ist der Mann, der die Messdiener seinerzeit mit einer open-air-tauglichen Musikanlage für die Sause auf dem Alten Reitplatz ausgestattet hatte. In seinem Tonstudio finden während der Festivaltage Proben der Musiker, Workshops und kleinere Konzerte statt. 8. O-Ton (Ausschnitt aus DF11.08. 2‘30–3’21), K.-D. Keusgen: "Seit vier, fünf Jahren ist das so, dass hier auch Konzerte im Studio gemacht werden. Hier ist man ja so ein bisschen isoliert im Regieraum. Manchmal gehe ich da an den Eingängen ran und wenn ich dann manchmal so ein bisschen zu laut bin, dann gucken die mich alle so ein bisschen böse an. Die wollen nicht gestört werden und die finden das richtig genial." // Besucherin: "Wirklich nur ein Raum, wo die Leute auf dem Boden sitzen, knapp einen Meter von der Sängerin entfernt und die singt ohne Mikrofon und haut's trotzdem weg." [schneiden 3:06–3:10] // Besucherin: „Es wird total viel Gefühl transportiert. Mich hat das total bewegt. Und alle sind total aufmerksam. Der Raum ist so klein, man hört alles und deswegen sind alle ruhig und konzentrieren sich total auf den Augenblick." 3. Musik Hier vielleicht als kurzer 10-Sek.Einspieler: Niels Frahm, live im Tonstudio Keusgen 2010; am besten eine Passage wie ab ca. 6:50 (https://vimeo.com/19614870) Dasselbe Stück würde ich auch gerne als Abschlussmusik nach dem Wortende nehmen 6. Sprecher: Fünf Gehminuten vom Tonstudio entfernt liegt der Marktplatz. Es gibt dort einen Bierwagen, Bänke und ein reges Treiben, das Publikum ist bunt gemischt. Man sieht Familien mit Kindern, jede Menge Musikfans und auch verschiedene Künstler, die Konzerte besuchen oder sich einfach unter die Leute mischen. In der Haldern Pop Bar gibt es Kaffee, und während der Live-Shows weht Musik über den Platz. Hin und wieder werden auch unter den Linden kleinere Akustik-Konzerte geboten, wie 2011 von den Isbells aus Belgien: 4. EINSPIELER: Isbells „Elation“ (YouTube, siehe „Quelle“, Länge 3:30) 18‘40 7. Sprecher: Vor einigen Jahren hat auch die Dorfkirche ihre Pforten für das Festival geöffnet. Dadurch bot sich für die Veranstalter die Möglichkeit, das musikalische Spektrum noch ein bisschen zu erweitern, speziell um die leisen, nuancierten Töne. Dazu Stefan Reichmann: 9. O-Ton (HALD0615, 43:31–44:25, Stefan): … Also, die Geschichte ist, wir haben nen neuen Pastor gekriegt, und der war zum ersten Mal inkognito in der Gemeinde, wusste aber nichts von dem Festival, und das war genau das Wochenende, wo das war, und er war total überrascht, was für eine positive Stimmung hier im Ort war, der Einklang zwischen Besuchern und Leuten … also für ihn eine unglaublich gelöste Stimmung, hat sich gar nicht zu erkennen geben, und der hat sich dann irgendwann gemeldet, als er hier war und meinte, er hätte jetzt die Geschichte gelesen und dass das mit Ministranten angefangen hat, und er würde sich fragen, warum man nicht Konzerte in der Kirche macht, er würde die gerne anbieten, wäre doch naheliegend. 10. O-Ton (O-Ton Pastor Marian Szalecki, HPD Zip-Dateien, 0‘25: „Die Kirche ist nur Kirche, als Haus, aber Kirche, das sind die Menschen. Und ich freue mich besonders, die jungen Menschen hier zu sehen. Tausende von Menschen in Haldern, das ist wunderbar. Und dieses Festival ist entstanden von Messdienergruppe, das ist sehr wichtig, von unseren heimlichen Jugendlichen. Darum freue ich mich besonders.“ 8. Sprecher: Reichmann und seine Mitstreiter nahmen das Angebot dankend an und fingen an, Künstler zu buchen, die zu den sakralen Räumlichkeiten passen. Diese Neuerung kam beim Publikum unglaublich gut an, insbesondere bei der älteren Bevölkerung im Dorf. Bei fast allen Konzerten ist die St.-Georg-Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt. 10. O-Ton (DF11.08. 1‘32–1’43:. O-Ton Besucher) „Alle sind so in sich gekehrt, sind so mit der Musik dabei, das finde ich ist da supertoll. // Die Akustik in der Kirche an sich ist halt sehr angenehm. Alle sind halt irgendwie ruhig und es ist sehr andächtig.“ 11. O-Ton (HALD0615, 45:22–46:11, Stefan): … im letzten Jahr war‘s ja bezaubernd, wie der Cantus Domus, dieser Chor, am Freitagmorgen das Festival eröffnet hat, die Leute saßen mit Kakao picknickend im Dorf, und dann erklang auf einmal dieser Chor, 25 Stimmen, die die Kirche bezaubern, und die Kirche war rappelvoll, die Türen wurden geöffnet [schneiden 45:48–45:51] … Künstler die hinter der Sakristei geprobt haben wie Grant Hard und Sarah Warden [45:58–46:05] sind angesogen worden von dieser kathedralen Musik und sind in die Kirche und waren bezaubert. 12. O-Ton (O-Ton Luke Sital-Singh, HPD Zip-Dateien, 0’20) „It is amazing …“ Synchronsprecher: „Es ist erstaunlich – man kann einen ganzen ruhigen Song spielen und die Leute sind wirklich still und hören die ganze Zeit zu und dann, wenn Du fertig bist, klatschen sie begeistert. So wünscht man sich das – das perfekt Publikum ... …perfect crowd 9. Sprecher: … so der aus London stammende Singer-Songwriter Luke Sital-Singh, der 2013 in der Dorfkirche spielte. 5. EINSPIELER: Luke Sital-Singh „I have been a fire“ (DVD, 4:06–8:35, Länge 4:30) 26‘30 10. Sprecher: In der einstigen Gastschänke gegenüber, in der die Kirchgänger früher ihren Frühschoppen zu sich nahmen, befindet sich heute die Haldern Pop Bar. Es gibt noch immer die alte Theke, auf der Bühne ist ein ausgedienter Teppich ausgerollt. Lange wurde die Schenke von zwei alten Damen betrieben, dann stand sie einige Jahre leer, bis die Festival-Macher ein pfiffiges Konzept für die Pop-Bar entwarfen. Dazu Steven Kruijff, einer der Hauptverantwortlichen für das Festival: 13. O-Ton (HALD0616, 11:59–12:46, Steven): … Die Idee, die wir damals verfolgt haben, war die des Off-Day-Hotels. Wenn eine Band länger unterwegs ist, haben die schon mal einen Tag Pause, und an diesem Tag müssen sie halt Geld aufbringen für Sprit, Busmiete, Unterkunft, eventuell Instrumentenmiete, Verpflegung, Techniker. D.h., für eine fünfköpfige Band kann so ein Off-Day schnell richtig teuer werden [schneiden 12:30–12:42], ein, zwei Off-Tage können die Gewinne einer Tour auffressen … 11. Sprecher: Bands, die ihren Off-Day in Haldern verbringen, geben abends in der Bar ein kleines Konzert, dafür erhalten sie freie Kost und Logis, können ein paar CDs verkaufen und ihren Hut rumgehen lassen. Der Eintritt ist fast immer kostenlos, die Bar finanziert sich über den Getränkeverkauf. Eine klassische Win-Win-Situation. Doch am meisten profitieren die Zuschauer. 14. O-Ton (HALD0623, 27:18–27:42, Stefan) Ich hatte schon immer die Idee, eine Off-Day-Bar zu machen, kleine Konzerte, sehr unaufgeregt. Live-Musik in ihrer pursten Form zu bringen. Und die Idee war, dass wir zwar im Nirgendwo liegen, aber genau besehen zwischen Paris und Berlin. Da sind viele Bands unterwegs, auch viele, die keiner kennt, die Publikum suchen. (27:42) 12.Sprecher: Das Fassungsvermögen der einstigen Gastwirtschaft ist freilich begrenzt. Während des Festivals ist der Andrang fast immer zu groß. Deshalb sammelt sich ein Großteil des Publikums vor den meist weit geöffneten Fenstern. Die Pragerin Sara Vondraskova über ihren Auftritt mit ihrer Band „Never Sol“: 15. O-Ton (DF11.08. 0‘44–1’01): „Das war eine der besten Konzerterfahrungen, die wir hatten. Die Leute hören wirklich zu. Die genießen die Musik und laufen nicht nur vorbei. Das gibt es nicht oft auf Festivals.“ 6. EINSPIELER: Fink „Blueberry Pancakes“ (CD „Von der Struktur …“, Track 6, bitte etwas als Kürzungsmasse nutzen; meine Zeitkalkulation beruht auf einer Spiellänge von 3:30) 33‘40 13. Sprecher: Besonders beliebt unter den Besuchern des Haldern Pop ist der Campingplatz, der nicht ohne Grund schon mehrfach ausgezeichnet wurde. Durch die Beschränkung auf 6500 Besucher sind die Wege zum angrenzenden Festival-Gelände kurz, die Stimmung ist familiär und ausgesprochen entspannt. Matthias Storm, seit vielen Jahren für die Betreuung des Areals verantwortlich, kennt bereits einen Großteil seiner Gäste. 16. O-Ton WDR 10, 40:10–40:19: Matthias: „… Dat macht einfach Spaß, die Leute haben Spaß. Kommen jedes Jahr wieder an, ey, da bisse ja wieder … Man kommt ins Klönen hier, deshalb braucht man schon mal etwas länger, um über den Platz zu kommen …“ 14. Sprecher: Viele Cliquen schlagen ihre Zelte traditionell an denselben Stellen auf, unmittelbar neben anderen Gruppen, die ebenfalls seit Jahren kommen. Es wird gechillt und gegrillt, man sieht junge Familien mit Kindern, Lagerfeuer und auch Luftmatratzen. In dem kleinen See hinter der Hauptbühne ist das Baden offiziell verboten ist, dennoch trägt er nicht unwesentlich zum Charme dieses Festivals bei. Auch einige Künstler campen auf der Wiese, und fast immer gibt es irgendwo kleine Akustik-Sessions. Die Atmosphäre, so Matthias Storm, sei einfach fantastisch und sehr entspannt. Er selbst trägt durch eine außergewöhnliche Servicebereitschaft zu dieser Stimmung bei: 17. O-Ton IV, 16’50: Matthias über Service (16:57–17:14) … ich habe mittlerweile auf meinen Trecker eine Kiste drauf, da sind Kopfschmerztabletten drin, Duschgel, Pflaster, Zeug gegen Mückenstich, (die Pille danach) die können sie sich bei den Maltesern abholen … 15. Sprecher: Auch die älteren Halderner mögen ihr Zeltdorf am Ende der Lohstraße: 18. O-Ton HALD0622, 17:29–17:52 (Udo über Zeltplatz und Dorfbewohner) Da kommen auch ganz viele einfach mal vorbeigefahren, ist auch ein imposantes Bild, wenn die ganzen Wiesen, auf denen früher nur Kühe gesehen hat, einmal im Jahr bis zum Horizont nur Zelte und Leute, die Spaß haben, das ist ein besonderer Anblick 16. Sprecher: Lagerfeuersessions werden gerne gesehen, aber im Vergleich zu anderen Festivals sind die Nächte ausgesprochen friedlich und still. Spätestens gegen 3 Uhr morgens endet die Beschallung aus basslastigen Boxen und es kehrt Ruhe ein. Für die Haldern-Macher ist die entspannte Atmosphäre auf dem Campingplatz ein integraler Bestandteil ihres Festivals: 19. O-Ton WDR 13, 0:28 min http://reportage.wdr.de/haldern-pop#153: Stefan; Ich glaube, die Festivals der Moderne brauchen Aufmerksamkeitsdirektoren, die auch mal nein sagen, nein, keine Banner aufhängen und nein, jetzt wird hier an diesem Stand keine Musik gemacht, wir konzentrieren uns auf die Dinge, die da sind. Und wir finden dat auch gut, wenn die Leute auf dem Campingplatz einfach mal mit Freunden ein Feuer machen, und da müssen wir nicht noch nen Tanzzelt hinstellen oder nen 24-Stunden-Floor. Dat wolln wir nicht. Weil Ruhe ist auch immer ein wesentlicher Bestandteil von so nem Festival.“ 17. Sprecher: Die Camper revanchieren sich für die netten Rahmenbedingungen durch ein hohes Maß an Umweltbewusstsein. Die Beteiligung an den Aufräumarbeiten ist groß, auch weil die Camping-Crew gratis Müllbeutel verteilt und stets für ausreichend viele Container sorgt: 20. O-Ton HALD0622, 3:52–4:00 […] 4:39–5:06 (Udo über Camper und Müllervermeidung) Da ist natürlich bei vielen seit Jahren ne Bindung, die halt immer wieder kommen und auch wissen, wie’s geht. […] Wir haben in jedem Jahr so ne Ecke, wo man denkt, da is grade ne Bombe explodiert oder so (lacht), weil irgendwelche Youngster es lustig finden, ihren Müll zu verteilen, aber auch die kriegt man mit einem vernünftigen Gespräch dazu, die Sachen wieder aufzuräumen. So 99 Prozent. Nicht 100 Prozent, aber die meisten … 21. O-Ton IV, 22’12 (22:09–22:42) Ich hatte mal einen dabei, die sind mit dem Fahrrad angereist und der hatte sein Rad stehen lassen. Dann habe ich den Müllhaufen gesehen und das Rad. Das habe ich auf meine Anhänger geschmissen: der soll wohl gleich kommen. Kam er auch. Willst Du Rad wieder haben? Ja. OK: hier sind zwei Säcke, mach sauber…er war sauer, klar, aber nach einer Stunde: der Platz war sauber, die säcke waren gefüllt und er ist mit dem Rad nach Hause gefahren 7. EINSPIELER: Bon Iver „Blood Bank“ (Youtube, s. Quelle, Länge 4:44) 42‘30 18. Sprecher: Zu einem guten Festival gehört auch das „gute Abbauen“, sagt Stefan Reichmann. Das beginnt traditionell am Sonntagmorgen um 10 Uhr. Auch Andrea Bollwerk und Thomas Celak, verantwortlich für das Catering und die große Theke, sind dann dabei: 22. O-Ton IV, 4 Abbau (1:23:02–23:18) T: Sonntag stehen da alle mit dem Kater und sammeln alles auf A: Eigentlich ist der Sonntag sehr schön T: Es gibt viele, die waren gar nicht schlafen, die laufen wie leichen über den platz […] …. A: man sieht viele Sonnenbrillen […] Fortsetzung (1:23:55–24:30) A: … und dann ist abends Grillen für alle. Das ist immer sehr schön. Weil da die ganzen Anekdoten ausgetauscht werden. Da hört man Sachen wie von Matthias, von Thomas, von Leuten, die woanders arbeiten: was hast du denn erlebt, was war dein tollsten Erlebnis. Dann kommen die wildesten Geschichten zu Tage, ich genieße das sehr. Alle sind total fertig und müde. Nach zwei Bier geht es dann doch noch irgendwie….dann lassen wir das ausklingen. 19. Sprecher: Etwa eine Woche dauern die Aufräumarbeiten … 23. O-Ton (mehr als 10 tage) ff. (1:26:03–26:53) T: … den Samstag drauf geh‘n dann noch mal alle geschlossen über den Campingplatz und sammeln das, was…wir haben ja mittlerweile so einen Sauger, der kann das aus dem gras raussaugen an Dreck. Aber eben nicht alles. Da bleiben Kronkorken und Zigarettenstummel liegen, da sind da ja wieder Kühe drauf, die davon gefährdet sein könnten, da muss man dann mit Menschenkette alles aufpicken [26‘33–26‘44] …Da machen wieder viele mit, man kriegt eine schöne Kette hin … 20. Sprecher: Alle Freiwilligen kennen den Blues, der sie beim Abbau befällt. Aber gleichzeitig sind sie auch stolz, dass sie kein Clubheim gegründet haben, sondern nach dem Wochenende wieder Platz machen für das Schützenfest, den Taubenzüchterverein und das Reitturnier. Was bleibt, das sind Anekdoten, die Eindrücke vieler Konzerte und auch Erinnerungen an diese „magischen Momente“, die das Festival den Besuchern beschert. Einen erlebte das Hauptbühnen-Publikum 2013, als Glen Handard spontan eine sichtlich gerührte junge Frau als Duettpartnerin auf die Bühne holte. Glen Hansard featuring Carina Buhlert: 8. EINSPIELER: Glen Hansard / Carina Buhlert „Falling “ (HPS II, Länge 5:25) 50‘30 21. Sprecher: Das Haldern Pop könnte ohne Mühe eines dieser ganz großen Musikevents werden, mit den ganz großen Sponsoren und den ganz großen Bands. Aber das würde die Erfahrung dieses Ortes unweigerlich ruinieren. Es entspräche auch nicht dem Geist des Haldern Pop, das seit den Anfängen auf dem Prinzip der Kommunität beruhte und immer stark im Dorf verankert war. Als ein Fanal gegen die Landflucht verstehen die Macher es bis heute. 24. O-Ton HALD0623, 32:14–32:40, Stefan: Ich sach mal, wir sind auf dem Dorf, wir haben doch nen Bäckern, und wir sind da stolz drauf, dass wir noch nen eigenen haben und unsere Brötchen anders schmecken als woanders, aber dat soll nicht heißen, dass die besser schmecken, nur anders. … Wir möchten natürlich nicht, dass dieses Dorfsterben weitergeht, wir wollen es lebenswert erhalten, und dass bedeutet natürlich auch, dass wir hier ein gewisses unternehmerisches Treiben haben, eine gewisse Geschäftigkeit, das ist natürlich ein wichtiger Aspekt … 22. Sprecher: Aus diesem Grund wurden die billigen Cookies in der Haldern Pop Bar durch Plätzchen vom Bäcker nebenan ersetzt. 25. O-Ton HALD0623, 33:28–33:52, Stefan: … Und da hatten wir interessanterweise beim Testen der Kekse, die am besten zu unserem Kaffee passen, die Diskussion, ja, der Keks hier ist am besten, aber da steht ja Jansen drauf, wäre noch cooler, wenn da Haldern Pop draufstünde. Und dat war ganz schön, da konnte ich sagen, nix, den Keks hat Jansen gemacht, deshalb muss da Jansen draufstehen, denn Haldern Pop macht keine Kekse … 23. Sprecher: Dafür ist im Laufe der Jahre rund um das Festival eine Art Pop-Cluster entstanden. Über der Bar liegen die Büros einer Reihe eng kooperierender Unternehmen. Dazu zählen die Raum 3 Konzertveranstaltungs GmbH, die Marketingagentur von Stefan Reichmann, ein Fotograf, das Plattenlabel Haldern Pop Recording und der Haldern Pop Shop. Alle sind wiederum gut vernetzt mit dem Tonstudio Keusgen und der Mikrofonmanufaktur Dirk Brauner. Die Haldern Pop Bar, in der seit 2009 weit über 250 Künstler und Bands gastierten, darunter Nada Surf, George Ezra, The Slow Show und Boy, hat sich als aufregendste Konzertort im weiten Umland etabliert. Das hat sich auch bei Unternehmen herumgesprochen, die das Kulturangebot in Haldern inzwischen zu ihren Standortqualitäten zählen. Bald wird das Festival sogar einen kleinen Bruder haben. Auf Wunsch der Gemeinde Kaltern bei Bozen werden die Organisatoren in Südtirol ein Musikfest auf die Beine stellen, mit kleineren Spielorten im ganzen Ort. Es wird nur 1000 Tickets geben, dennoch haben Sophie Hunger und rund 20 weitere Künstler und Bands bereits ihr Kommen zugesagt. Im Oktober 2015 wird das Kaltern Pop Premiere feiern, im Beisein von ein paar Dutzend Menschen vom Niederrhein, die wissen, wie man ein großartiges Festival macht. 26. O-Ton HALD0623, 29:35–31:50, Stefan: Am Anfang gab es sicherlich Skepsis, aber ich denke, dass die Voraussetzungen eigentlich ganz gut waren, hier am Niederrhein, seit Jahrtausenden Fremde, sogar Wikinger; ich glaube wir haben erkannt, dass uns das Fremde auch reich macht. [schneiden 30:00–30:06] … am Anfang Skepsis im Dorf, wat machen die da, dat kann doch nix werden [schneiden 30:13–30:26] … als dann erste Berichte kamen, Fernsehteams, Zeitungen, wurde man auch ein bisschen stolz [schneiden 30:34–31:21] … In kleinen Schritten hat sich dieses Festival immer wieder ein Stückchen entwickelt, haben aber auch immer gesagt, dass wir nie wissen, warum es so erfolgreich ist, es hat aber auch mit dem Dorf zu tun, auch mit dem Leuten, die vielleicht gar nicht zum Festival gehen, mit Akzeptanz, die sich am WE einfach freuen über die Fremden, die irgendwann keine Fremden mehr sind, ich sag mal, die Qualität der Gastfreundschaft als Erdöl des Niederrheins 54‘30 Als potenzielle Kürzungsmasse bitte Fink „Blueberry Pancakes“ (s.o.) verwenden 24. Sprecher Weltmusik in der Provinz, das war eine Lange Nacht über das Haldern Pop Festival. Von Kai Lückemaier und Jan Tengeler. Es sprachen: Thomas Balu Matin, Martin Bross, Ton und Technik: Ernst Hartmann, Henrik Manuk, Angelika Bruchhaus, Petra Pellot Regie: Jan Tengeler Redaktion: Monika Künzel Weiterführende Informationen finden sie im Internet auf den Seiten von Deutschlandfunk und Deutschlandradiokultur unter dem Stichwort Lange Nacht. WORTENDE 53 ABSPANNMUSIK: Lubomyr Melnyk "Meditation".mp3, Quelle: HPD (von Stefan) Weltmusik in der Provinz Eine Lange Nacht über das Haldern Pop Festival Seite 2