COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 02. Dezember 2013, 19 Uhr 30 Keimzelle und Pärchendiktatur Die Familie zwischen Grundgesetz und Ideologie Von Thomas Klug Take 01 Cadegganini Wenn wir rüber in die Küche gingen und uns die eine Schublade aufzögen, dann sehen wir dort, also das ist so, ich würde mal schätzen, mindestens ein Kubikmeter Raum und da sind nur Pausenbrotboxen drin. Eine Schublade drüber sind dann halt die Deckel. CD Ivan Hajek: Quellwasser Take 01a Wir haben...Ich fang von oben an, ja. CD Ivan Hajek: Quellwasser Take 01b Das ist die 13jährige Giana, dann kommt die 12 Jährige, die Elena, CD Ivan Hajek: Quellwasser Take 01c die Camilla ist zehn, der Lorenzo ist acht, CD Ivan Hajek: Quellwasser Take 01d Jonatan ist sechs, Jim ist vier CD Ivan Hajek: Quellwasser Take 01e und die Ada, die ist gerade drei Monate geworden. Autor: Hatte ich gehofft, dass er irgendwann zu lange überlegt, wenn ich darum bitte, die Kinder aufzuzählen? Hatte ich gehofft, dass eines vergessen wird? Es ist gemein. Natürlich: Es ist seine leichteste Aufgabe, es ist etwas, was er immer wieder tut. Georg Cadegganini muss nicht überlegen, schließlich ist er der Vater dieser Kinder. Es sind eins, zwei.... Take 1f Wir wohnen hier in dieser Wohnung seit einem Jahr und wenn Sie an den Wänden entlang geschaut haben als wir reinkamen, dann könnte man auch denken, die könnten langsam wieder gestrichen werden, so ist es. Sp. vom Dienst: Keimzelle und Pärchendiktatur Autor: Es sind sieben Kinder. Sp. vom Dienst: Die Familie zwischen Grundgesetz und Ideologie Take 01g Herr Klug, Sie haben eine Ähnlichkeit mit Herrn Jauch, das wissen Sie aber. Babylachen Sp. vom Dienst: Ein Feature von Thomas Klug Georg Kreisler: Die Ehe Autor: Georg Cadegganini, Jahrgang 1977, heiratete eine Italienerin, nahm ihren Namen an und schrieb ein Buch über sein Leben: "Aus Liebe zum Wahnsinn - Mit sechs Kindern in die Welt". Inzwischen sind es sieben Kinder, ein neues Buch ist in Vorbereitung. Das Leben mit Kindern muss aufregend sein und witzig. Georg Cadeggianini lächelt. Manchmal lacht er, um dann wieder zu lächeln. Er spricht über seine Familie. Sieben Kinder, die so keine Spur hinterlassen - keine Sorgenfalten im Gesicht, kein verkniffener Blick, keine traurigen Augen. Immerhin aber ein gebrochenes Fersenbein. Der Sohn schrie im Hof. Und Papa sprang kurzerhand über den Balkon. Take 02 Cadegganini Ein Sohn meinte schon, warum wir denn den Balkon so hoch gebaut hätten. Wenn wir den niedriger gebaut hätten, dann wäre nichts passiert. Autor: Dem Schreihals geht es gut. Papa bewegt sich seitdem mit einem Rollbrett durch die Wohnung. Kann ja mal vorkommen. Take 03 Cadegganini Unser Leben ist in weiten Strecken nicht mehr kommentarfähig. Autor: Nicht kommentarfähig? Als wenn sich jemand zurückhalten würde, wenn es darum geht, die Familienverhältnisse anderer Leute zu kommentieren. Familie - das ist wie eine Aufforderung zum Kommentar. Keine Familie allerdings auch. Zu Familie hat jeder etwas zu sagen. Manchmal Sinnvolles. Oft Pathetisches. Oder Melodramatisches. Irgendetwas halt. Und die Staatsmacht auch. Familie klingt dann, als folge sie einem Naturgesetz. Als wäre sie etwas Festgefügtes. Etwas, was sich nicht ändert und starren Regeln folgt. Ist Familie so? Der Bundesgerichtshof beruft sich 1953 in einer Urteilsbegründung tatsächlich auf dieses Gutachten: Musik Love and marriage Zitator: Die Familie ist nach der Schöpfungsordnung eine streng ihrer eigenen Ordnung folgende Einheit; Mann und Frau sind 'ein Fleisch'. An diesen Urtatbestand... Rechtsformen gesellschaftlicher Art herantragen zu wollen, ist widersinnig. Innerhalb der strengen Einheit der Familie sind Stellung und Aufgabe von Mann und Frau durchaus verschieden. Der Mann zeugt Kinder. Die Frau empfängt, gebiert und nährt sie und zieht die Unmündigen auf. Der Mann sichert vorwiegend nach außen gewandt, Bestand und Entwicklung der Familie. In diesem Sinne ist er ihr Haupt. Die Frau widmet sich vorwiegend nach innen gewandt, der inneren Ordnung der Familie. Take 04 Alter Hut Autor: Alter Hut, sagt der Theologe Wolfgang Huber. Take 05 Allmendinger Das hätte man so auch noch 1973 sagen können, nicht nur 53, weil schlichtweg eine Frau um Erlaubnis zu bitten hatte, eine verheiratete Frau, um überhaupt erwerbstätig zu sein. Autor: Sagt die Soziologin Jutta Allmendinger. Take 06 Allmendinger Wir sehen, dass diese Kultur, die doch bis vor kurzem in Deutschland eine Selbstverständlichkeit war, eine Wirkmächtigkeit hat, die so einfach nicht überkommen ist. Da brauchen wir ein bisschen Geduld. Take 07 Huber Die Rollenmuster meiner eigenen Kinder sind anders als meine eigenen gewesen sind und meine Rollenmuster haben sich ganz deutlich unterschieden von den Rollenmustern meiner Eltern oder Großeltern. Da sieht man, von Generation zu Generation eine Entwicklung hin zu mehr Partnerschaft, zu einer faireren Verteilung von Familienarbeit und Berufsarbeit als es in vorangehenden Generationen gewesen ist. Deswegen ist es falsch, die Ehe gleichzusetzen mit einem Rollenmuster der Mann verdient das Geld. Autor: Die Welt bewegt sich. Und die Familie? Es ist vieles im Aufbruch. Die Ehe gilt nicht mehr als konkurrenzlose Institution. Andere Formen des Zusammen- oder auch Getrenntlebens sind halbwegs akzeptiert. Doch manche Rede im öffentlichen Raum klingt, als wäre Familie in Stein gemeißelt, auf ein Podest gestellt, zum Glück gezwungen und mit Rollenmodellen aus längst vergangenen Zeiten in enge Bahnen verwiesen. Muss Familie so sein? Will jemand Urtatbestand sein? Dafür all das Sehnen, Hoffen und Verzehren? Zitator singt Steig in das Traumboot der Liebe, fahre mit mir nach Hawaii. Dort auf der Insel der Schönheit, wartet das Glück auf uns zwei. Zitatorin singt Schließlich möchte jede Frau, dass einer käme, der sie ohne Zögern in die Arme nähme. Wenn ein junger Mann kommt, der fühlt worauf's ankommt, weiß er, was er tut, weiß er was er tut. Autor: Familie ist Kitsch - wenn man ihre mediale Verwurstung als Realität nimmt. Zitatorin + Zitator singen: Eine weiße Hochzeitskutsche kommt am Morgen vorgefahren und im hellen Sonnenschein, steigen wir als Brautpaar ein. Eine weiße Hochzeitskutsche fährt uns wie vor hundert Jahren, weil es so die Sitte war, bis zum goldenen Traualtar. Autor: Süße Drops, täglich verabreicht, oder Zuckerwatte - vor hundert Jahren war das so und vor fünfzig Jahren. Und heute ist das noch immer so - Sitte. Zitator + Zitatorin singen: Eine weiße Hochzeitskutsche fährt uns wie vor hundert Jahren, weil es so die Sitte war, bis zum goldenen Traualtar. Take 08 Rösinger Eine Pärchenlüge ist: Menschen haben, auch wenn sie 20 Jahre zusammen sind, total tollen Sex noch miteinander. Und jeder weiß, dass das nicht stimmt, das einfach das Begehren nach ein paar Jahren in vielen Fällen nachlässt, da hilft auch keine sexy Unterwäsche von C&A und auch keine Analyse, das ist halt so. Autor: Sagt Christiane Rösinger, Autorin des Buches: "Liebe wird oft überbewertet". Ein mutiger Titel in einer Welt, die in vielen verkitschten Momenten von der Liebe säuselt, die das einzig Wichtige wäre. Die Liebe und natürlich Kinder. Die tauchen in jeder Sonntagsrede auf: Take 09 Cadeggaini Ich glaube, wir lügen uns da selbst in die Tasche. Wir sagen eben genau das. Wir sagen, wie toll das alles sein soll. Aber im Hotel, wenn ich am Pool liege, dann nervt es natürlich, wenn das Kind ständig irgendwie mein Handtuch nass macht. Ich glaube, es hilft gar nichts, da zu sagen, ist doch toll, ein nasses Handtuch. Sondern es hilft sehr viel mehr zu sagen: Das musst du einfach aushalten, in einem Maße immer. Es geht natürlich nicht, dass die Hotelgäste in den Pool geschmissen werden. Autor: Sagt Georg Cadeggianini, erfahrener Familienvater und Brigitte-Redakteur: Take 10 Cadeggannini Sehr viel mehr, als immer auf diese Magie von Familie abzuzielen und zu sagen, wie toll das ist, hilft es uns zu sagen, es gehört einfach dazu und du musst es verdammt noch mal akzeptieren. Autor: Frauen und Männer, Liebe und Ehe. Wenn es eine unendliche Geschichte gibt, dann ist es diese. Es geht um biologische Unterschiede, historische Entwicklungsstufen, Gegensätze und Arbeitsteilung. Unstrittig scheint zu sein: Familie ist in Bewegung. Nur die Richtung ist unklar. An der Familie wird von allen Seiten gezerrt. Sie scheint als Kampfzone innerhalb der Gesellschaft gesehen zu werden. Wolfgang Huber: Take 11 Huber Also, Kampfzone finde ich übertrieben, es ist eine Orientierungszone und es gibt eine Spannung zwischen der offenkundigen Pluralisierung von Lebensformen in der Gesellschaft einerseits und auf der anderen Seite den Wunsch und der Hoffnung auf klare Orientierung. Mir wird das immer an der jungen Generation besonders anschaulich: Alle Jugendstudien zeigen, dass junge Leute eine große Sehnsucht nach Familie, nach verlässlichen Lebensformen, nach stabiler Zugehörigkeit haben. Und dieselben jungen Leute sehen sich der Frage ausgesetzt, in welcher Form wollen sie eigentlich tatsächlich ihr Leben gestalten, welche institutionellen Rahmenbedingungen und Bindungen braucht man, kann man sein Leben auch unabhängig von solchen Rahmenbedingungen sinnvoll gestalten und erfüllen. Diese Spannung sehe ich und die drückt sich gelegentlich auch in etwas heftigen Debatten aus. Autor: Es sind viele Debatten, die sich um Familie drehen. Dabei geht es immer auch um dieses: Zitatorin: Der besondere Schutz von Ehe und Familie Zitator: gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften Zitatorin: Kinder und Kindererziehung Zitator: Die Emanzipation von Frauen und Männern Zitatorin: Alternative Lebensentwürfe Autor: Dazu kommen Moral, Tradition, das schöne Wort "Beziehungsarbeit". Und immer wieder Zukunft in Form von: Zitator: Zukunft der Erwerbsbiographie, Zukunft der Rente, Zukunft der Betreuung von Kindern und alten Eltern. Autor: Ist Familie ein Dienstleistungsbetrieb? Oder ist das normal? Die Soziologin Jutta Allmendinger: Take 12 Allmendinger Wir haben ja bestimmte gesellschaftliche Leistungen zu erbringen. Die Leistung, die wir erbringen ist, dass wir zunächst mal Sorge tragen für unsere Familie. Wir alle sind Teil einer Familie, sonst wären wir nicht auf der Welt. Wir alle haben Eltern. Diese Sorge braucht Zeit, das ist in meinen Worten unbezahlte Zeit. Weiter haben wir auch die Pflicht, uns durch unsere Erwerbstätigkeit zu ernähren. Wir haben noch andere Pflichten: Ehrenamtliches Engagement, Verantwortung für die Gesamtgesellschaft. Das ist heute eine Frage der Organisation, wie man diese unterschiedlichen Aufgaben aufteilt. Autor: Familie - ein Ort der Verantwortung, untereinander und für die Gesellschaft. Eine Familie beinhaltet immer mindestens zwei Generationen - Eltern mit oder ohne Trauschein und Kinder. Doch: Take 13 Allmendinger Ehen werden viel häufiger geschieden als früher. Es werden mehr Ehen in einem einzelnen Leben eingegangen. Das ist die eine Veränderung. Die andere Veränderung ist jene, dass eine Familie eben nicht nur zusammengesetzt ist aus Mann, Frau und Kindern. Sie ist auch zusammengesetzt aus Frau, Frau mit Kind oder Mann, Mann mit Kind. Und sie ist zusammengesetzt aus Frau, Mann 1, Mann 2, Mann 3 mit Kind aus Ehe 1 oder Partnerschaft eins oder Partnerschaft 2, 3, das, was man so im Umgangssprachlichen Patchworkfamilie bezeichnet. Autor: Christiane Rösinger, Musikerin und Autorin setzt der Familie ein anderes Konzept entgegen: Take 14 Rösinger Man kann über lange Jahre Freundschaften haben. Freundschaft ist auch Liebe, Freundschaft ist belastbarer als Liebe. Man verzeiht den anderen was, der muss nicht ständig verfügbar sein, der ist nicht für meine Launen zuständig, der muss mir nicht den Sinn des Lebens geben. Und trotzdem kümmere ich mich. Freunde kümmern sich umeinander, wenn einer im Krankenhaus liegt. Das ist ja auch Liebe. Das ist auch ein schönes Gefühl. Autor: Doch ist da etwas sehr verbreitet - die Suche nach einem Partner, einer Partnerin, die Suche nach einem kleinen Glück in einer Zweierbeziehung. Es darf da verlässlich zugehen und verbindlich. Es wird erwartet und gesehnt: Take 15 Rösinger Ich glaube, dass man von klein auf darauf konditioniert wird. Es werden ja schon Kinder aufeinander gehetzt. Autor: Sagt Christiane Rösinger. Take 16 Dann ist alles um uns rum, die Werbung, Kultur, die Medien, jeder Popsong, jedes Highschool-Musical, alles redet uns ein, das ist die beste Art zu leben, diese große Lüge von der romantischen Liebe, die andauert und dem Leben einen Sinn gibt. Das ist so verrückt, denn jeder weiß ja, dass es nicht stimmt, oder dass es vielleicht nur in ganz wenigen Ausnahmefällen stimmt. CD: Die Pärchenlüge Take 17a Rösinger Pärchenlüge ist ein Song, den ich mit meiner Band Lassie Singers schon 1992 gesungen habe, daran sieht man, wie lange mich das Thema schon beschäftigt. CD: Die Pärchenlüge Take 17b Rösinger (Fortsetzung) Ich habe mich ja sehr viel mit Paaren beschäftigt und auch 100 Beziehungsratgeber durchgearbeitet und da sind halt die verschiedenen Pärchenlügen. Also es gibt Tierlüge, also der Mensch ist ein Säugetier und die Tiere leben doch auch alle zusammen. Da muss ja etwas dahinter sein. Aber das ist eben falsch, denn von den Säugetieren leben unter 3 Prozent in einer monogamen Paarbeziehung. CD: Die Pärchenlüge Take 18 Cadegganini Während sich der Normalbereich des Lebens ohne Familie häufig in so einem Grau abspielt, ich will das gar nicht so abqualifizieren, aber es kann eben mit extrem toll werden, wenn man irgendwie mit 14 verschiedenen Beinen und Händen zusätzlich dort im Ehebett irgendwie rumliegt und gar nicht mehr weiß, welcher Finger zu wem gehört am Sonntagmorgen, aber es kann andererseits auch extrem Scheiße werden. Im Extremfall hat man einfach sieben Querköpfe, die gegen einen arbeiten. Autor: Georg Cadegganini kennt Familienalltag wie ihn nur wenige kennen - wer hat schon sieben Kinder, hierzutage, heutzulande. Ist Familie ein Ort, wo Eltern jede Gefahr für ihre Kinder abwehren, sie vor der bösen Welt beschützen - Georg Cadeggianini macht sich keine Illusionen: Take 19 Cadegganini Man kann gar nicht alles abwehren, was da von draußen kommt. Das ist eine große Kränkung, mit der man erst mal zurechtkommen muss als Eltern. Man hat diesen Säugling, den man von Minute eins an hat, kontrolliert, mitgeht, mit lebt und auf einmal merkt man, dass da ganz andere Einflüsse sind, die unkontrollierbar sind, vielleicht sogar in einem selbst, die man, die vielleicht diesen ganzen Konglomerat Familie gar nicht so gut tun. Autor: Wahrscheinlich kann eine Familie, wie groß sie auch sei, gar nicht all das leisten, was ihr von der Gesellschaft auferlegt wird. Das spricht nicht gegen die Familie. Was kann nun die Gesellschaft tun, um Familienleben zu erleichtern? Take 20 Allmendinger Die Botschaft ist schon, dass man sehen muss, in der Arbeitsmarkt-, in der Sozialpolitik, in der Familienpolitik viel, viel ernster zu verhandeln hat, dass wir nicht mehr einen Schnitt haben zwischen Aufgaben, die Männer machen und Aufgaben, die Frauen machen, sondern wir mehr einen Schnitt haben innerhalb der Aufgaben, die von Männern wie von Frauen gemacht werden. Von daher müssen wir viel stärker über eine Zeitpolitik sprechen, nachdem wir große Diskussionen geführt haben über die Infrastruktur, die Familien brauchen und großem Diskussionen im Moment über das Geld, das Familien brauchen. Autor: Die Ökonomie war schon immer ein Aspekt von Ehe und Familie, ein Aspekt, der in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt wurde, so der Theologe Wolfgang Huber: Take 21 Huber Berühmt ist ein Satz von Konrad Adenauer: Kinder werden sowieso geboren, aus dem er abgeleitet hat, dass er sich auch keine Sorgen um die Zukunft der Rentenversicherung zu machen braucht. Aber der Satz hatte große Bedeutung weit über diesen Anlass hinaus. Er zeigt, dass die Familie und die Leistungen der Familien für die Gesellschaft als selbstverständlich vorausgesetzt hat und sie in keiner Weise ökonomisch in die Rechnung einbezogen hat. Autor: Vieles ist heute im Gespräch: Betreuungsgeld. Erziehungsurlaub auch für Väter. Doch was davon ist wichtig und was nicht? Georg Cadegannini freut sich auf den Erziehungsurlaub: Take 22 Cadegannini ' Es gibt den schönen Satz: Noch nie war Emanzipation so arbeitgeberfreundlich wie heute. So sieht es doch auch mit diesem Männerbild aus. Ich glaube das ist Teil der Umverteilung von Mann zu Frau ein wenig, es ist auch dieses neue Vaterbild, das man dort so sieht. Ich sehe das jetzt gar nicht in einen großen gesamtgesellschaftlichen Kontext, sondern ich sehe für mich eine Chance, noch einmal ganz anders in der Familie teilzunehmen, in der Familie zu stehen. Ich freue mich auf die Zeit, so. Autor: Es ändert sich etwas: Männer kümmern sich häufiger um ihre Kinder. Und die formalen Anforderungen an die Eltern werden weniger: Ein Trauschein ist keine Bedingung mehr. Es gibt andere Möglichkeiten. Doch in der politischen Diskussion geht es dann schnell um Abgrenzungen von Lebensformen. Take 23 Allmendinger Wir gehen hier doch durch formale Akte, die wir begehen, eine besondere Verpflichtung ein. Eine Verpflichtung ist mehr als eine Verantwortung. Autor: Die Ehe wird plötzlich doch wichtig - für den Staat und die Amtskirchen. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung: Take 24 Allmendinger Ein Schutz von Familien dahingehend, dass man sehen muss, dass Familien enorm wichtige gesellschaftliche Aufgabe erledigen, dass sie Kinder erziehen, dass sie dafür enorm viel Zeit zunächst mal geben und neben dieser Zeit natürlich enorme Kosten aufwenden finanzieller Art. Und dass man dieses honoriert dahingehend, dass man sagt, man hat hier andere Steuerklassen, man gibt denen Abschreibungsrechte, man schützt eine Familie, das finde ich nachvollziehbar. Was ich nicht nachvollziehbar finde ist, dass man beispielsweise ein Ehegattensplittung hat, was nicht von Kindern abhängig ist. Dieses verstehe ich nicht, weil es sich nicht auf ein engeres Familienkonzept bezieht, nämlich die zwei Generationen innerhalb eines Haushaltes. Autor: Die Ehe zwischen Mann und Frau sei Vorbild, sagt Wolfgang Huber, Theologe und ehemaliger Bischof der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg; Take 25 Huber Wenn gleichgeschlechtliche Paare sagen, sie wollen mit ihrer Lebensform möglichst nah an die Ehe heranrücken, dann bestätigen sie auf diese Weise, dass die Ehe Leitbildfunktion hat. Und wenn sie sich das anschauen, wissen Sie zugleich, was der Unterschied zwischen der Ehe zwischen Mann und Frau und ihrer eigenen Lebensform ist, so dass man daraus auch gar nicht ableiten muss, dass die unterschiedliche Lebensformen einfach egalisiert werden und es gar keine Unterschiede mehr gibt. Es gibt Unterschiede, aber es gibt Durchlässigkeit zwischen ihnen im Blick auf wichtige leitende Grundgedanken und Prinzipien der Ehe sagen kann, sie haben auch für andere Lebensformen eine große Bedeutung: Verlässlichkeit, Treue, Verantwortung, Raum für Liebe - das sind alles Grundgegebenheiten, die in unterschiedlichen Lebensformen zur Geltung kommen können. Take 26 Cadegannini Wenn wir diesem Bild Familie als Heiligtum so nachhängen und das immer als eine Monstranz vor uns her tragen, dann laufen wir Gefahr enttäuscht zu werden von der Realität, weil Familie eben ganz häufig bedeutet, du musst innerhalb von drei Minuten noch die Pausenbrotbox packen, den Aufzug rufen und die Gummistiefel finden, weil Familie ganz oft bedeutet, zu trösten, ohne das es gleich wieder gut ist, weil Familie ganz oft bedeutet, dass man sich selbst überfordert fühlt. Und all diese Erfahrungen sind Grenzbereiche der eigenen Fähigkeit, der eigenen Erträglichkeit auch. Zitator singt (Marianne Rosenberg) Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür. Und ich weiß, er bleibt hier. Nie vergess ich unsern ersten Tag Zitatorin: nanananana. Zitator: Denn ich fühlte gleich, dass er mich mag Zitatorin: nanananana. Zitator: Ist es wahre Liebe, Zitatorin: uhhh, Zitator: die nie mehr vergeht, Zitatorin: uhh. Zitator: Oder wird die Liebe vom Winde verweht? Zitatorin Verdammt, ich lieb dich, ich lieb dich nicht. Verdammt ich brauch dich, ich brauch dich nicht. Ich will dich nicht. Ich will dich nicht verlier'n. Autor: Noch immer verwendet die mediale Liebesindustrie Schmalz in rauen Mengen. Doch immerhin, der Zweifel ist in die heile Welt des Schlagers vorgedrungen. Zitator: Doch Morgen werd' ich gehn, denn ich falle viel zu tief in deinem endlosen Spiel, Werd' nicht meinen Stolz verlieren für gestohlenes Gefühl, nicht länger dein Engel auf Abruf sein. Take 27a Rösinger Es gibt Bindungen zwischen Menschen, die gibt es auf jeden Fall. Aber diese zweiergeschlechtliche, romantische Liebe für immer, die gibt es eben nicht. Und wenn wir uns von dieser Idee verabschieden, dann müssen wir halt sehen, was sonst in unserem Leben einen Sinn machen würde. Vielleicht würde sich dann alles Mögliche verändern. Autor: Die Musikerin und Autorin Christiane Rösinger: Take 27b Rösinger (Fortsetzung) Wenn so viele Frauen, die ich kenne, aus meiner Generation, aber auch jünger. Wenn die nicht so wahnsinnig viel Energie in dieses Liebesding stecken würden und sich den Kopf zerbrechen würden, warum reagiert der Mann so und so und so, was für ein Potential das wäre, was dann frei wird, was wir an die Liebe verschwenden, da könnte wir ganz andere Dinge mit machen. Autor: Gesucht wird überall, gesucht wird alles Mögliche. Jeder will suchen. Oder glaubt, suchen zu müssen. Manchmal soll die Suche gar kein Ende haben, denn was kommt danach? Alltag - das klingt weniger spannend. Oder es tauchen andere Fragen auf: Verliere ich, wonach ich solange gesucht habe? Oder wie kann man das Verlieren etwas beschleunigen? Der medial verbreitete Partnerkitsch bedient sich mitunter wohldosiert am echten Leben: Beziehungen sind nicht nur schön, Liebe kann Arbeit bedeuten. Trennungen passieren, ja und Glück ist eine Sache von Momenten. Take 28 Allmendinger Die meisten von uns haben mehrere Partnerschaften im Laufe des Lebens, es gibt nicht nur die eine Phase des Suchens nach Partnern, sondern es gibt mehrere Phasen. Autor: Phasen. Der Mensch will sein Leben nicht mehr nach alter Sitte einfach ableben, er will vieles kennenlernen, verschiedenes probieren und sein Recht auf Irrtum wahrnehmen. CD Somewhere over the rainbow Autor: Und manchmal will er gar nichts, aus welchen Gründen auch immer. Dann wäre er gern Cowboy oder Leuchtturmwärterin, weit weg von dem, was Alltag genannt wird. Single als Beruf sozusagen. Autor: Single - es kann eine Phase sein, eine grundlegende Einstellung. Oder der Single findet einfach nichts, um sein Singledasein zu verändern. Mal ist das Singleleben eine Entscheidung, mal Zufall oder einfach eine besondere Erfahrung. Take 29 Allmendinger Wir haben ja schon immer sehr viele Singles, gerade unter älteren Frauen, weil deren Lebenserwartung sehr viel höher ist als jene von Männern. Autor: Manchmal ist Familie nur Fassade, weil zu einem bestimmten gesellschaftlichen Status angeblich eine Familie gehört. Und manchmal ist Familie die Hölle, dann, wenn man sich nicht trennen mag oder kann, weil die Angst vor dem Danach zu groß oder die finanziellen Möglichkeiten zu klein sind. Das Leben als Single erscheint unsicher, bedeutet es doch viele Herausforderungen des Lebens allein meistern zu müssen. Allein leben - das ist dann die Vermeidung von Konflikten und auch Übergriffen. Doch noch immer wird der Single kritisch betrachtet: Take 30 Huber Ja er hat ein Problem damit, in einer kontinuierlichen Verbindung mit denjenigen Menschen zu sein, für die er Verantwortung wahrnehmen will und er hat auch das Problem, im Laufe seine Lebens, wenn er älter wird, verlässliche Beziehungen zu anderen Menschen zu haben, die bereit sind, für ihn einzustehen und einzutreten. CD Somewhere over the rainbow Take 31 Allmendinger Zunächst mal lastet eine Bürde auf ihnen, weil sie meistens und in einem höheren Maße als Frauen, die verheiratet sind oder in festen Partnerschaften sind oder die Kinder haben, die Vollzeit erwerbstätig sind, natürlich das gesamte System mit am Leben halten: Die Abgaben sind höher, die Steuern sind höher. Wenn man die Bedeutung von Singles auf diesen ökonomischen Zweck reduziert, dann kann man das so tun. Ich glaube, dass Singles auch notwendig sind für eine Gesellschaft, um tagtäglich zu zeigen, es geht auch anders. CD Somewhere over the rainbow Take 32 Rösinger Verliebtsein ist schon toll und so. Aber die produktivste Phase hatte ich immer, als ich alleine war. Da habe ich Bands gegründet, neue Leute kennengelernt, Lieder geschrieben, Bücher geschrieben. Ich habe trotzdem eine Tochter, bin sogar Oma inzwischen. Ich bin Familienmensch als Single, das schließt sich alles überhaupt nicht aus. Ich kenne so viele Singlefreundinnen, Kinderlose, die kümmern sich um ihre Nichten und Neffen. Also Single gegen Familie - das stimmt überhaupt nicht. Jeder, der ein Kind groß zieht, der weiß, dass man viele Leute braucht und da können auch die Singles mithelfen. Was war jetzt nochmal die Frage? (Lachen) CD Liebe wird überbewertet Take 33 Rösinger Ich glaube, wenn Menschen Projekte haben, Kind, Firma, künstlerische Projekte, sich gut verstehen, gut befreundet sind, dann kann das länger, lange gut gehen. Und wenn ich mit solchen Leuten gesprochen habe, dann hat es auch funktioniert und die haben aber auch neidvoll auch auf mein Leben als Single geblickt, genauso wie ich manchmal neidvoll auf ein glückliches Paar blicke. CD Liebe wird oft überbewertet Take 34 Rösinger Worum es mir ging, dass Single und Alleinlebende endlich mal ernst genommen und nicht bemitleidet werden. Autor: Auch Singles werden gebraucht: Wer sollte denn sonst im Vatikan wohnen. CD: James Blunt: Goodbye my lover Sprecher vom Dienst: Keimzelle und Pärchendiktatur Die Familie zwischen Grundgesetz und Ideologie Ein Feature von Thomas Klug Es sprachen: Uta Hallant, Jürgen Thormann und der Autor. Ton: Alexander Brennecke Regie: Friederike Wigger Redaktion: Constanze Lehmann Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2013 1