COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio Deutschlandradio Kultur Zeitreisen 22.1.2014, 19.30 Uhr Redaktion: Ingo Arend (Kultur und Gesellschaft) Eine besondere Energie. Über die Begegnung von Kunst und Pop Von Markus Metz & Georg Seeßlen Sprecherin Sprecher MUSIK Mussorgski "Bilder einer Ausstellung" DARÜBER SPRECHERIN Immer, wenn wir Bilder sehen, Skulpturen, Architekturen oder Zeichnungen, ist auch ein bestimmter Sound da: Eine ganz bestimmte, vollkommen mit dem Gesehenen übereinstimmende Musik. DARÜBER SPRECHER Das ist nicht erst so, seit wir kein Museum mehr betreten können, ohne dass uns audiovisuelle Begleitungen und Film- und Musik-Häppchen zum Großereignis der Bildenden Kunst angedient werden. DARÜBER SPRECHERIN Wir haben schon immer Bilder auch gehört und Musik auch gesehen. Und immer gelang bei dieser Verbindung auch eine Popularisierung, ein vereinfachter Zugang, das wechselseitige Verständlich-Machen. DARÜBER SPRECHER Mit Modest Mussorgsky lernten wir die akustischen Bilder einer Ausstellung zu sehen. DARÜBER SPRECHERIN Wie wir später mit Pablo Picasso lernten, auf die Malerei zu hören. MUSIK Emerson, Lake und Palmer: Pictures at an Exhibition DARÜBER SPRECHER Jede Epoche, jeder Stil in der Bildenden Kunst hat den entsprechenden musikalischen Resonanzrahmen. DARÜBER SPRECHERIN Keine mittelalterlichen Kreuzigungsszenen ohne Choräle und Madrigale, keine Barockhimmel ohne Johann Sebastian Bach. DARÜBER SPRECHER Kein Surrealismus ohne Georges Brassens, kein Weg zur Abstraktion ohne Igor Strawinski. DARÜBER SPRECHERIN Kein Action Painting und kein abstrakter Expressionismus ohne den Cool Jazz von Miles Davis oder John Coltrane. DARÜBER SPRECHER Und kein Andy Warhol ohne Velvet Underground. MUSIK Velvet Underground DARÜBER SPRECHERIN Aber in der Zeit der Pop Art und in dem, was sich aus ihrem Urknall in den sechziger Jahren entwickelte, änderte sich noch einmal das Verhältnis zwischen Malerei und Musik. Es ging dabei nicht nur darum, Hochkunst und Massenkultur durcheinander zu wirbeln, sich gegenseitig nach Herzenslust zu zitieren und zu parodieren und zusammen ein großes Fest mit Sex & Drugs & Rock'n'Roll zu feiern. DARÜBER SPRECHER Es ging vielleicht auch darum, etwas wirklich Neues zu erschaffen. Vielleicht war, was in Andy Warhols Factory geschah, eben nicht nur die nächste angesagte Kunstrevolution. Sondern tatsächlich das utopische Projekt eines neuen kulturellen Amalgams aus Kunst und Pop, Film und Musik, Performance und Lebensform. MUSIK HOCH DARÜBER SPRECHERIN Die Kunst musste raus aus dem Ghetto der Akademien, der Museen und der gepflegt langweiligen Diskurse. DARÜBER SPRECHER Und Pop wollte raus aus dem Ghetto der Teenager-Industrie, wollte sich befreien von der Macht der Produzenten und Medienmogule. DARÜBER SPRECHERIN Kunst wollte wieder jünger werden, sexy und zornig. DARÜBER SPRECHER Und Pop wollte erwachsener werden, kreativer und revolutionärer. DARÜBER SPRECHERIN So hoffte man, sich in der Mitte zu treffen. In den Galerien, in den Clubs und auf der Straße. Und nicht zuletzt ging es darum, nicht mehr auf ein Medium festgelegt zu sein. DARÜBER O-TON 01 Michaela Melian 0.20 "Bei Andy Warhol und Velvet Underground das ist genau so wie vielleicht aus derselben Zeit bei Roxy Music, Brian Eno, dass das alles Leute sind, die noch so ein Studium an der Kunstakademie gemacht haben, wo es nicht unbedingt klar war, dass man jetzt Künstler werden muss oder will." SPRECHER - Michaela Melian, Musikerin, Künstlerin und Professorin für Zeitbezogene Medien an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg - O-TON 02 Michaela Melian 1' "Sondern dass es eben einfach auch um einen bestimmten Habit und ein bestimmtes Wissen ging, das man sich gemeinsam mit anderen aneignet und dann in diese kulturelle Landschaft reinwirkt, die aber nicht unbedingt die Hochkultur dann eben sein muss. Das ist in dem Fall immer der Pop gewesen, da geht es um andere Distinktionsentscheidungen, die auch ganz klar politisch sind und nicht erst mal um ,ne ökonomische. Sondern darum wie will ich leben, wie will ich arbeiten, mit wem will ich arbeiten? Und dann kann ich damit vielleicht auch noch Geld verdienen. Dann gibt es nicht so unbedingt die klare Unterscheidung, das ist bildende Kunst, das ist Film, das ist Musik, sonders das überlappt sich dann alles. Das kann man in der Factory ganz gut sehen, da gibt es ganze Masse Leute, von Jonas Mekas, Jack Smith und Andy Warhol bis Lou Reed, das ist eben so. Und natürlich die entsprechenden Protagonistinnen genau so." MUSIK Pete Brown & Piblokto!: "Things May Come and Things My Go, But the Art School Dance Goes On Forever" DARÜBER SPRECHER Die Kunsthochschulen in Amerika und in England, mit einer gewissen Verzögerung und mit gewissen Einschränkungen schließlich auch in Deutschland, wurden in den sechziger und siebziger Jahren zu einem fruchtbaren Nährboden für das Pop- und Kunst-Crossover. DARÜBER O-TON 03 Diedrich Diederichsen 0.11 "Offensichtlich hat sich dort bis heute ein Milieu erhalten, in dem das Zusammenstellen von Bands und das Entwickeln von DJ-Fähigkeiten ganz offensichtlich gut gedeiht." DARÜBER SPRECHERIN - Diedrich Diederichsen, Autor, Kritiker, Poptheoretiker und Professor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst an der Akademie der Bildenden Künste Wien - DARÜBER O-TON 04 Diedrich Diederichsen 0.15 "Der Texter von Jack Bruce, der Lyriker und Sänger Pete Brown, hat das mal zusammengefasst zu dem Album-Titel "Things may come, things may go, but the art school dance goes on forever". Da scheint was dran zu sein - diese in den späten 60er Jahren gemachte Feststellung ist heute noch gültig." MUSIK HOCH SPRECHER Was die Beziehung zwischen Pop und Kunst so spannend machte, das war, dass es dabei nie allein um eine ästhetische Befruchtung oder um neue Vermarktungsformen ging. SPRECHERIN Mehr noch ging es um eine neue Politik des Ästhetischen. Und um die Suche nach einer neuen Art zu leben. O-TON 05 Diedrich Diederichsen 1' "Kunsthochschulen sind ein Nukleus oder Ursprungsort für alles Mögliche, weil man in ihnen ein relativ freies, unreglementiertes Leben führen kann und der Inhalt, aber auch die Adressaten von Popmusik viel mit einem anderen Lebensmodell zu tun hat. Zum anderen ist es so, dass es für Popmusik eben kein anderes institutionelles Milieu gab. Popmusik war nicht integriert in die Bildungsinstitutionen der bürgerlichen Kultur. Es gab keine Studiengänge, man fand auf Kunstakademien mehr Verständnis für das, um was es in der Popmusik eigentlich geht als an Musikhochschulen oder Konservatorien. Aber es war auch so, dass der Austausch zwischen Popmusik und bildender Kunst auf der Ebene der Inhalte oder der Einflüsse bildender Kunst eine Rolle spielte: Die Independent Group in Großbritannien, Künstler wie Hamilton haben auch schon früh mit Popmusik zu tun gehabt oder sich darauf bezogen. Das ist ein anderer Grund." SPRECHER In Deutschland, genauer gesagt in der Bundesrepublik, vollzog sich diese innige Verbindung von Kunst und Pop erst zu Beginn der achtziger Jahre. Zuvor waren die Pop-Avantgardisten des Krautrock und der Elektronik eher aus den Musikhochschulen gekommen, wenn sie nicht vollständig auf einen akademischen Hintergrund verzichten konnten, und die Kunsthochschulen waren heftig mit der schwierigen Auflösung ihrer patriarchalen Strukturen beschäftigt. SPRECHERIN Aber in den achtziger Jahren kam es, unter dem groben und nicht sehr viel sagenden Motto der "Neuen Deutschen Welle" zu einer ganzen Reihe von Kunst- und Pop-Projekten. MUSIK F.S.K. DARÜBER SPRECHER Exemplarisch vielleicht die Münchner Gruppe "Freiwillige Selbstkontrolle", in deren Umfeld alles mögliche geschehen konnte: Fluxus, Theorie, Politik, Mode und hin und wieder auch Verzweiflung. Michaela Melian war, unter anderem als Sängerin und Bassistin von F.S.K., von Anfang beteiligt an dieser deutschen Variante einer Factory. O-TON 06 Michaelia Melian 1' "Wir haben 1980 angefangen, da war ein ganz anderer Ausgangspunkt, es gab die ganzen Popzusammenhänge, eher Rock. Wir haben uns mit einigen anderen gegen eine bestimmte Kulturlandschaft gestellt, die mit Rock und Business zusammenhängt, da ging es sowohl um Vermarktungstrategien als auch um Inhalte, um ästhetische Formulierungen. Es hatten damals viele diesen Background von Kunstakademien in Deutschland: Eine wichtige Schule war atürlich Düsseldorf, da kam "Der Plan" her und andere Bands, die dort Malerei studierten, das ganze Umfeld mit Kippenberger und der Band "Mittagspause". Dann ganz wichtig die Hamburger Kunsthochschule wo Bands herkamen wie "Palais Schaumburg" oder Andreas Dorau." MUSIK F.S.K. O-TON 07 Michaelia Melian 1' "In München waren wir ir halt eher singulär unterwegs, es gab noch ein oder zwei andere Bands an der Kunstakademie. Geld konnte man damit sowieso nicht verdienen. Es war eher die Idee, wir wollten uns einmischen in diese ganzen diskursiven Zusammenhänge, dass es plötzlich einen Diskurs gab ,Darf man deutsch singen? Wie darf sich Musik überhaupt anhören? Wo bringt man die raus?' Es gab dann ein paar Labels, die dafür gegründet wurden, als neue Vermarktungsstrategien. Man hat sich klar als Generation definiert. Für mich war dabei natürlich ganz wichtig als Zusammenhang, weil ich von der Münchner Kunstakademie kam, dass das innerhalb des Studium zum ersten Mal die Gelegenheit war, eine Gruppenarbeit zu machen. Sonst wurde alles als Konkurrenz gesehen: Wer findet seine Stimme in der Kunst, seine Sprache? So war einem das total egal und man hat selber was formuliert, das war eher ein Sich-selbst-Definieren, Manifeste formulieren, sich selber Orte suchen und damit dann rausgehen." MUSIK F.S.K. O-TON 08 Michaelia Melian 0.45 "Und on the long run war das auch das bessere Rezept: Es niemandem Recht machen zu wollen, sondern selbst die Leute zu suchen, die ähnlich ticken. Viele habe ich heute noch auf dem Schirm, weil die heute noch Input geben. Bei uns war und ist es bis heute so, dass die Band mein diskursives Trainingsprogramm ist, weil wir uns regelmäßig treffen und dabei auf spielerische Art über die Musik rausfinden: Worum geht es eigentlich? Braucht es, was wir machen? Wer will sowas, für wen machen wir das eigentlich? Dürfen wir das und wie soll das aussehen? Eigentlich alle wichtigen Fragen, die genau so wichtig auch für die Kunst sind." MUSIK Der Plan SPRECHER Der Pop war für viele Künstler ein Weg heraus aus der solitären, ganz und gar auf Hierarchie und Konkurrenz ausgerichteten Kunstszene. DARÜBER SPRECHERIN So paradox es also auf den ersten Blick erscheinen mag: Die Verbindung mit Pop war für die Künstler zumeist kein Weg zum Kommerz. Sondern im Gegenteil, ein Versuch der fundamentalen Kommerzialisierung ihrer Arbeit und ihres Betriebs zu entgehen. Und nur im Pop fanden viele Künstlerinnen und Künstler verloren gegangene Strategien der Kollektive, der Solidarität, der Politik. DARÜBER SPRECHER Aber was können wir eigentlich unter Pop verstehen? DARÜBER SPRECHERIN Wurde Pop nicht von der kritischen Theorie als Kulturindustrie entlarvt? DARÜBER SPRECHER Ist popular culture nicht eine soziale Maschine zur Verwandlung von Energien in Profit? DARÜBER SPRECHERIN War das nicht schon immer und immer perfekter ein Instrument des Kapitalismus, seine Opfer zu beschäftigen, zu verblöden, zu willigen Konsumenten zu machen? O-TON 09 Diedrich Diederichsen 0.11 "Popular culture ist gerade nicht Kulturindustrie, das sind ja zwei verschiedene Kategorien. Das Kulturindustrielle beschreibt diese Kultur anders als die Kategorie der popular culture, die ich beide für Popmusik ausschließen würde." "Ich würde sagen, Popmusik ist etwas, das nach der ersten Kulturindustrie gekommen ist und was nach der Populärkultur gekommen ist und sowieso schon hybrid ist und sich auch nicht eindeutig auf die Seite von maschinellen oder kybernetischen Produktionsformen schlagen läßt noch auf die von klassischer bürgerlicher Kunst. Das spielt danach. Sprecher: Diedrich Diederichsen O-TON 10 Natürlich ist es so, dass bildende Kunst - spätestens seit sie angefangen hat, Duchamps zu rezipieren, und das fällt ungefähr in die selbe Zeit, in der auch Popmusik entsteht - kein ungebrochenes Verhältnis mehr hat zu einer von Handwerk abgeleiteten Vorstellung von Autorschaft und was ein bildender Künstler ist. Insofern sind da beide im selben Boot. Und das führt genau zu der Ausgangslage, dass sie versuchen, dieses Boot, in dem sie da sitzen, zu erkennen und es nicht so richtig verstehen. Sie merken aber, dass sie mit den klassischen Vorstellungen davon, was Malen, Singen, Komponieren, Aufführen etc ist, nicht mehr weiterarbeiten können und entdecken in dem anderen Insassen des Bootes jemanden, der ein ähnliches Problem aber mit einem anderen Material hat. Und erkennen dann, dass die Sorte des Problems auch etwas ist, was man beschreiben kann und dass das der Ausgangspunkt ist für neuere Entwicklung. Und da würde ich sagen, sind die beiden jenseits von popular culture und jenseits von Kulturindustrie. Was nicht heißt, dass sie in einer besseren Welt angekommen sind, aber sie sind nicht mehr mit diesen Kategorien zu rahmen." MUSIK Kanye West DARÜBER SPRECHER Bürgerliche Kultur und popular culture, Kulturindustrie und Underground, Kunstbetrieb und Rock'n'Roll-Zirkus - die Beziehung zwischen Pop und Kunst ist offensichtlich fruchtbar und spannend, aber auch prekär und widersprüchlich. Zu den Gefahren, die überall auf diese sozusagen natürlichen Verbündeten lauern, gehören die Banalisierung, der wechselseitige Verrat, die Reaktionen des Marktes auf Bilder, auf künstlerische Ereignisse wie auf Musik. DARÜBER SPRECHERIN Und dazu gehört auch ein Mainstreaming der Verbindung, das Weiterleben der Allianz von Pop und Kunst lediglich als Pose. Popstars stellen ihr neues Album im MoMa oder auf der Art Basel Miami vor, Top-Künstler gestalten Plattencover... DARÜBER SPRECHER Am Ende mag man sich fragen, ob die Beziehung zwischen der Sängerin Lady Gaga und dem Künstler Jeff Koons so etwas wie eine Fortsetzung, eine Parodie oder doch nur eine kommerzielle Nachinszenierung von Andy Warhol und seinen Popmusik-Mitstreitern ist. DARÜBER SPRECHERIN Wenn aber die Pop/Kunst-Connection schon so mainstreamig geworden ist, dass sie sozusagen schon wieder als Marketing-Konzept herauskommt, hebt sich die Sache da nicht selber auf? O-TON 11 Michaela Melian 1.35 "Diese Verbindung Pop, popular und Kunst ist natürlich eine andauernde. Ich denke, dass das schon immer wieder auch schwierig ist zu sehen, weil es sich so wahnsinnig annähert oder aufsaugt. Gute Kunst funktioniert ja auch wie ein Schwamm, der sozusagen alles, was außen herum virulent ist, infiziert, Empathie erzeugt, Leute verstört, irgendwie aufsaugt und eine ästhetische Übersetzung leistet. Dasselbe macht ja Pop im Endeffekt auch. Das Problem ist heute, dass dieses popular eine Art Mainstreaming geworden ist: Das letzte abgelegene Ding aus der Dritten Welt kann in einer Sekunde popular werden durch das Internet. Wir leben im Kapitalismus, ob Pop oder Kunst geht es ununterbrochen um Vermarktungsstrategien. Selbst der kleinste Club muß schauen, dass er überleben kann, Leute, die jung anfangen und ihr Zeug umsonst ins Netz stellen, werden irgendwann überlegen müssen, ob sie das weitermachen, weil sie von irgendwas leben müssen." MUSIK DARÜBER SPRECHER Es ist die politische Ökonomie, die Kunst und Pop zugleich verbindet und trennt. Kein Wunder also, dass man immer mal wieder eine radikale Gegenposition, Verweigerung und Revolte sucht. Was bestimmt nicht leichter geworden ist, für den Kunst- wie für den Pop- Bereich. DARÜBER SPRECHERIN In der Bewegung des Do-it-yourself-Punk etwa wird die Beziehung auf ihre materiellen und organisatorischen Grundlagen zurückgeführt. Keine Kunstschulen und keine Marktkonzepte. Man macht es einfach. Auch dies ist eine Geste, die es in der Geschichte der Kunst wie in der Geschichte des Pop schon früher gegeben hat. O-TON 12 Diedrich Diederichsen 1' "Ich würde sagen, die Do-It-Yourself-Bewegung aus dem Geiste des Punk war nicht nur eine Bewegung aus dem Geiste des Punk, sondern auch eine aus dem Geiste dessen, was man in der bildenden Kunst Institutional Critique nennt. Das Independent Label ist eine Parallelentwicklung zu dem, was in der bildenden Kunst seit den späten 60er/frühen 70er Jahren Institutional Critique heißt und etwas ganz Ähnliches gemacht hat. Es gibt ganz viele Akteure der frühen Independent Label-Kultur, der Punkbewegung oder der Postpunkzeit, die aus solchen Zusammenhängen der bildenden Kunst kommen. Insofern ist es fraglich, wer da von wem mehr gelernt hat. Letztendlich waren Independent Labels als Modell in der Popmusik langlebiger als Institutional Critique, die dann wieder verschwand und Anfang der 90er Jahre wieder zurückkehren musste. Es ist so, dass die große Zeit der Independent Label- Musik die 80er Jahre waren und die der Institutional Critique in den 70ern und 90ern, also dass es in beiden Bereichen in unterschiedlichen Momenten Konjunkturen gegeben hat oder auch Chancen und Möglichkeiten. Aber die Entwicklungen sind durchaus ähnlich." SPRECHER Kunst und Pop sind sich darin ähnlich, dass sie nur leben können durch ihre ständige Erneuerung. Seit sie sich, zuerst in Andy Warhols Factory und dann an immer neuen Knotenpunkten, miteinander verbunden haben, ohne je den entweder utopischen oder aber banalen Punkt der vollkommenen Verschmelzung erreicht zu haben, haben sich die Zyklen von Erneuerung, Erstarrung und Trivialisierung erheblich beschleunigt. SPRECHERIN Und dass im Zeitalter des globalen Finanzkapitalismus nicht nur eine beständige Erneuerung aus dem Untergrund stattfindet, aus dem Geist der Kritik und der politischen Revolte, sondern auch eine Begegnung von Kunst und Pop auf dem Level von Luxus, Oberflächenglanz und schönem Schein, ist nicht das Ende der Kunst-Welt, wie wir sie kannten. Vielleicht ist ja die Überanpassung manchmal genau so spannend wie die Verweigerung. SPRECHER Spätestens dann, wenn man das, was Kunst ausmacht, nämlich das Unsichtbare sichtbar zu machen, zusammenbringt mit dem, was Pop ausmacht, nämlich die Welt in Bewegung zu halten. O-TON 13 Michaela Melian 1.10 "Damien Hirst und Jeff Koons und auch Lady Gaga von der anderen Seite sind die Punkte, an denen sich das am meisten rauskristallisiert. Jeff Koons ist einer der intelligentesten Menschen die es sicher gibt von der Generation, er spielt diese Klaviatur des Systems voll aus, es ist nicht umsonst, dass alles, was er macht, so glitzert, weil er einfach zurückspiegelt. Er ist schon echt brillant, aber er ist in einem Kontext unterwegs ,wie wenn man ein Milliardär ist, der in dieser Kategorie mitspielt. Wenn man die Kunstlandschaft anschaut, da ist er wahrscheinlich von Hunderttausend oder von einer Milliarde einer, der so eine Biographie hat. Die meisten anderen müssen irgendwie kucken, wie sie mit der Künstlersozialkasse irgendwie zurecht kommen, die machen interessante und gute Sachen, aber finden nie diesen Hallraum, dass es eine ökonomische Relevanz bekommt. Das war immer schon so, in der Musik ist es ganz genau so." MUSIK Lady Gaga: "Artpop" O-TON 14 Michaela Melian 1.35 "Dazu kommt, Damien Hirst und Lady Gaga sind geniale Unternehmer. Lady Gaga hat einen richtigen Hof um sich, viele junge Menschen, die ihr Ideen antragen, die dann durch sie Karriere gemacht haben, ihr etwas angeboten haben. Dann kommen interessante Sachen, dass man sich schon wundert: dieses Fleischkleid, womit sie wahnsinnig Aufsehen errungen hat, war eine Arbeit von Jana Sterbak, einer bekannten kanadischen Künstlerin, das gibt es als Foto und auch als Objekt. Auch Fischli und Weiß haben mit Wurst und Fleisch gearbeitet. Also die Inspiration kommt sehr oft aus der bildenden Kunst, die dann aufgegriffen wird. Wobei vielleicht war so ein Fleischkleid vorher auch schon in der Werbung - das sind alles Kreisläufe. Und dann hat man diese genialen Vermarkter wie Damien Hirst, der 1000 Bilder mit gezüchteten Schmetterlingen verkauft und dann auch noch zu Sotheby's geht und alle Galerien dumm aussehen läßt. Wenn man selber in diesem Geschäft unterwegs ist, ist man wirklich beeindruckt durch solche Strategien." MUSIK Michaela Melian: "Promenadeplatz" DARÜBER SPRECHERIN Die Zusammenarbeit von Pop und Kunst bildet sich in Diskusionen, Projekten und nicht zuletzt im gemeinsamen Kampf ums Überleben. DARÜBER SPRECHER Die Frage bei dieser Zusammenarbeit ist nicht: Mehr Kunst oder doch mehr Pop? DARÜBER SPRECHERIN Die Frage ist, ob man einander vertrauen kann. DARÜBER O-TON 15 Michaela Melian 1.05 "Für mich war es immer die andere Entscheidung, dass man nur mit Leuten zusammen arbeitet, denen man glaubt, die man in ,ner gewissen Weise integer findet. In der Kunst ist es auch so, dass ich Leute suche, denen ich vertraue, das hat damit zu tun, was die Leute für eine Einstellung zu dem ganzen System haben, was für eine politische Einstellung sie haben. Das sind nicht unbedingt immer dann die besten Verkäuferinnen - ich habe zwei Galeristinnen -, aber das sind Leute, denen man voll vertrauen kann und mit denen man sich unterhalten kann ,Wollen wir das überhaupt?' und von denen ich auch Kritik annehmen kann. Und wo ich ich weiß, dass ich nicht nur gefragt bin, weil ich irgendwas hergestellt habe, was sich gut verkaufen läßt. Das kann morgen schon wieder anders aussehen. Ich kenne genug Leute, die mal ganz viel Geld verdient haben und nach fünf Jahren läuft gar nichts mehr - das hat man sowohl im Pop als auch in der Kunst." MUSIK DARÜBER SPRECHER Was in den Diskussionen um die Verbindung von Bildender Kunst und Pop-Musik immer wieder auftaucht, das ist der Begriff des "Gesamtkunstwerks". Darunter könnte man einerseits eine offene Verknüpfung verschiedener Medien und verschiedener Ästhetiken verstehen, andererseits aber auch ein ziemlich reaktionäres und durch seine Bayreuthisierung reichlich desavouiertes Konzept einer totalen geschlossenen Kunstwelt. DARÜBER SPRECHERIN Der Begriff "Gesamtkunstwerk" hat, so Diedrich Diederichsen,... O-TON 16 Diedrich Diederichsen 1.35 ...für Popmusik sowieso eine gewisse Relevanz ganz ohne Kunst schon, aber mit natürlich auch. Er hat insofern eine, weil das, was auf der Ebene von, wenn man das von der Industrialisierung her sieht, Kulturindustrie heißt, und das hat ja auch Adorno schon als Entwicklung parallelisiert, auf der Ebene der Künste dann Gesamtkunstwerk hieß, also eine Synthetisierung auf dem Level von bestimmten Produktionsmöglichkeiten der Künste, die zugleich die einzelnen Praktiken entwertete beziehungsweise einer neuen Funktion zuführte, sind eh parallel. Wenn man wie ich Popmusik ansiedelt als ein kulturelles Phänomen, das nach einer ersten Kulturindustrie spielt als entscheidender Bestandteil einer zweiten, ist natürlich da vieles drin von dem, was Gesamtkunstwerk/Kulturindustrie gewollt haben oder konzeptualisiert haben. Allerdings ist der große Unterschied, dass die Art, wie in der Popmusik die verschiedenen Künste zusammenkommen oder die verschiedenen auch Sinnesdaten, anders organisiert ist als im Gesamtkunstwerk oder auch als in anderen kulturindustriellen Formaten wie im Kino - nämlich nicht über ein zentrales Dispositiv oder einen zentralen Autor oder andere Zentralisierung, sondern dass die visuellen und auditiven und anderen Bestandteile von Popmusik über die Welt verteilt sind. Und dass das Zusammenfassende halt den Rezipienten überlassen wird, an die Rezipienten deligiert wird. Insofern sind es Gesamtkunstwerke ohne ein Zentrum, aber die Rezeption stellt sie her und soll sie auch herstellen, ist erwünscht sowohl von der künstlerischen wie der industriellen Seite. MUSIK Velvet Underground DARÜBER SPRECHER Vielleicht ist dies ein wesentlicher Punkt der Verbindung von Pop und Kunst. Dass nicht mehr der allmächtige geniale Künstler seinem Adressaten eine geheimnisvolle aber dringliche Botschaft übermittelt, sondern dass dieser Adressat, die Leute wie Sie und Ich, zum Mitproduzenten werden. Dass nicht mehr zentrale Instanzen und Diskursführer über das richtige und falsche, den Weg und das Ziel entscheiden, sondern ein ziemlich kompliziertes Ineinander von Meinungen, Interessen, Ideen und Erwartungen. DARÜBER SPRECHERIN Indem Kunst sich mit Pop verbündet, kann sie überallhin gelangen, nur nicht mehr zurück in den Elfenbeinturm und den Geniekult. DARÜBER SPRECHER Und indem Pop sich mit Kunst verbündet, kann er überall hinkommen, nur nicht mehr in den Wegwerfbereich der Kulturindustrie. DARÜBER SPRECHERIN Der Künstler will Popstar werden, ... DARÜBER SPRECHER ... und der Popstar will Künstler werden. DARÜBER SPRECHERIN Das hat natürlich manchmal auch etwas erhebend Komisches an sich. Aber es kommt darauf an, mit welchem Bewusstsein man das macht. DARÜBER SPRECHER Und am besten sind Pop und Kunst sowieso dort, wo sie gemeinsam allen Erwartungen und Dogmen eine lange Nase drehen. MUISK HOCH DARÜBER SPRECHERIN Sie haben sich auf ein Risiko eingelassen, Pop und Kunst, indem sie sich verbunden haben. Aber hey, es hat sich meistens gelohnt. MUSIK HOCH 4