COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Zeitfragen. Politik und Soziales 27. Februar 2017, 19:30 Uhr Virtuelle Freundschaft Über die Nähe zum Unbekannten Von Timo Grampes Freundschaft ist für viele Menschen ein Wort, das sie nicht leichtfertig verwenden wollen. Ein Freund, eine Freundin, das sind die wenigen Menschen, denen man ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringt. Daher stören sich viele daran, dass man sich in den sozialen Netzwerken wie Facebook nur mit einem Klick 'befreunden' kann. Hier und da spricht man von der Entwertung der Freundschaft. Auch wenn neuere Studien nahelegen, dass es oft von den ersten Eindrücken und auch nicht wenig vom Äußeren abhängt, wen man in seinen Freundeskreis einlässt und wen nicht, so legt ein Blick in die Geschichte nahe, dass man sich auch sehr nahe kommen kann, ohne sich von Angesicht zu Angesicht zu sehen - Stichwort: Brieffreundschaften. Und ist vielleicht gerade die Anonymität des Netzes die beste Art, unvoreingenommen von Äußerlichkeiten auf die Seele des anderen zu blicken? "Die kleine Maus war einsam und allein. Sie wünschte sich nichts lieber als einen Freund. Darum lief sie von Tier zu Tier und fragte: Wollen wir Freunde sein?" "Freunde sind Menschen, die man mag, deren Gesellschaft man genießt und vor allen Dingen auch mit denen man - nicht alle aber einige - Interessen und Aktivitäten teilt. Und - denen man vertraut und die einem selbst vertrauen." "'türlich, das wissen wir ja alle, dass ne virtuelle Beziehung niemals ne reale komplett ersetzen kann. Aber sie ist halt anders, sie ist anders gelagert und - so gesehen ist es einerseits ne Beziehung mit Abstrichen, auf der anderen Seite aber auch nen Zugewinn, den man ja so mit Menschen, die man im Real Life hat, nicht hat." "Ich glaube, dass die Leute, mit denen ich spiele, sehr viel direkter sind, oft. Das sind Menschen, die sich selber sehr gut einschätzen können und die manchmal im echten vielleicht auch anecken, weil sie das nicht zensieren. Und das tun die wenigsten Freunde, mit denen ich befreundet bin im echten Leben." "Da lief die Maus zum nächsten Tier und fragte: Wollen wir Freunde sein? Nein, schnaubte das Nilpferd, und trottete zum Fluss." "Also, bei diesem Mann hat alles gestimmt, leider die Entfernung nicht. Und so ist das auseinander gegangen. Also - ist mir auch passiert. Alles über Internet." "Na, ich meine, das ist natürlich auch 'ne Nummer, 'ne Freundschaftsanfrage an irgend so 'ne Pappnase wie mich zu schicken, und hinterher zu sagen..." "Hans Meiser. Hans Meiser!" "Ja und?" "Ja!" "Ja - und?" "Da lief die Maus zum nächsten Tier und fragte: Wollen wir Freunde sein? Ja, sagte da die Maus zur Maus, komm mit mir in mein Mäusehaus." Am 4. Februar 2004 geht facebook online. Viereinhalb Jahre später, am 26. August 2008, hat die Seite 100 Millionen Mitglieder und ist damit die Nummer Eins unter den mittlerweile sogenannten "social media"-Plattformen. Die etablierten Medien werden auf die sozialen Netzwerke aufmerksam, beleuchten ihr Potential, wittern aber auch Gefahren. Vor allem stört man sich hierzulande am Begriff der "Freundschaft" für Facebook- Kontakte. "Meine virtuellen Freunde." - Süddeutsche Zeitung, Mai 2010 "Die Generation der zehn- bis zwanzigjährigen leben längst in einer Parallelwelt. Freude finden, flirten, Beziehungen pflegen - das findet mittlerweile hauptsächlich per Chat und E-Mail statt, die wichtigsten Sozialkontakte sind virtualisiert. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Psyche." "Klatsch, Tratsch oder das heimliche Beschaffen von Informationen gab es zwar schon immer."- Spiegel Online, März 2012 "Doch heute 'stalken' wir Menschen online und meinen, sie schon zu kennen, bevor die reale Begegnung überhaupt stattgefunden hat." "- zu einem "wir sind befreundet" gehörte doch einmal mehr, als nur auf drei Knöpfe gedrückt zu haben."- Zeit Online, September 2009. "Als die sozialen Netzwerke sich entwickelt haben, dann haben wir auch gedacht: vielleicht sehen Freundschaften da ganz anders aus als... sozusagen im realen Leben." Horst Heidbrink, ehemals Psychologe an der Fernuniversität Hagen. Er hat sich fast zwei Jahrzehnte mit sozialen Beziehungen und deren Abbildung im Internet beschäftigt. "Und haben da auch einige Untersuchungen durchführen lassen... und ich muss im Nachhinein sagen, dass wir da auch ein bisschen naiv waren, denn es hat sich herausgestellt, dass es gar keine fassbaren Unterschiede so richtig gab, und dass ganz viele dieser Freundschaften im Netz gar keine Freundschaften waren, die sich nur im Netz abspielten sondern das Netz wurde halt benutzt, um mit Freundinnen oder Freunden zu kommunizieren, Kontakt zu halten. Und dafür ist das ja auch super geeignet. Aber viel weniger, um neue Freundschaften zu knüpfen. Diese reinen online-Freundschaften sind überhaupt nicht so verbreitet, wie man sich das vielleicht vorstellen würde." Aber es gibt sie! 2015 veröffentlicht das US-Amerikanische Pew-Research-Center eine Studie, die sagt: 57 Prozent aller US-Teenager zwischen 13 und 17 Jahren haben mindestens einen neuen Freund online gefunden. Zwei Drittel über die so genannten sozialen Medien wie Facebook. Ein Drittel über Videospiele, die man gemeinsam über's Internet spielen kann. "Biomagic identify updated. Good day, commander Shepard!" Commander Shepard kämpft im Computer-Rollenspiel "Mass Effect 3", erschienen 2012, gegen die außerirdischen Reaper. Die wollen die Erde vernichten. Commander Shepard meint: Das sollte verhindert werden! Shepard kann ein Mann oder eine Frau sein. Das bestimmt der Spieler. Oder die Spielerin. "Ich bin Karo. Ich mache Musik. Und unter dem Namen 'Karoline Schaum' arbeite ich beim Bayerischen Rundfunk in der Musikplanung beim Jugendsender 'Puls'. Ich bin 36 Jahre alt und wohne in Würzburg." Karo Schaum ist Commander Shepard - über 800 Stunden in knapp zwei Jahren, zwischen zwei und zwölf Stunden täglich. Sie spielt alleine - oder, und das vor allem: Gemeinsam mit anderen Mitspielern aus aller Welt. Im Multiplayer-Modus. Möglich machen's Spielkonsolen, die mit dem Internet verbunden sind. Das gemeinsame Gaming vergleicht Karo mit gemeinsamem Fußballspielen im Verein. Wäre nur der Unterschied: Ihre virtuellen Mitspieler sind ihr persönlich unbekannt. "Ja, aber man kriegt sehr schnell durch das, was sie sagen raus, wer sie sind. Und es ist vielleicht sogar von Vorteil, dass man sie nicht sieht, weil man ja Menschen oftmals nicht interessant findet, weil man sie zum Beispiel nicht attraktiv findet." Macht das unvoreingenommener? Jedenfalls führt es dazu, dass Karo mit Menschen in Kontakt kommt, die sie außerhalb des Spiels nie kennenlernen würde. Über's Gaming hat sie eine Freundesliste mit rund 100 Mitspielern aus aller Welt auf ihrer Spielkonsole, auf ihrer Playstation. Vorwiegend Männer - beziehungsweise: Jungs. Der jüngste ist 15, die meisten sind um die 20. "Ich hab' das Spiel dann nach einer Weile angefangen, mit Headset zu spielen, weil ich gehört habe, wie die anderen sich unterhalten. Was für mich großartig war: Es waren viele Amerikaner dabei, die Fernsehserien geschaut haben, die mich auch interessiert haben. Und die wenige meiner Freunde geschaut haben, weil die in Deutschland noch nicht synchronisiert erhältlich waren. Ich schau' die alle im Original. Und dann hab' ich gehört, wie die über 'Game of Thrones' geredet haben. Und irgendwann war mir der Wille sehr stark, mitreden zu können." Aus diesem Mitreden hat sich in Karos Leben etwas entwickelt, das weit über das gemeinsame Spiel hinausgeht. Gespräche mit dutzenden, weltweit verstreuten, persönlich Unbekannten. Vor allem Jungs. "Wenn sie dann mit mir sprechen wollen, dann fängt's oft mit 'ner Nachricht an, dass sie sagen: Hey, das Mädel meldet sich nicht mehr. Was soll ich machen? Oder: ein Freund von mir, da bin ich aufmerksam geworden (...) er hat seinen Online-Namen in irgendwas geändert, was mir zeigt: Es geht ihm nicht so gut. Und dann habe ich ihn gefragt, ob alles in Ordnung ist. Und er meinte erst: Jaja! Ist nur ein bisschen traurig, weil sich eine Freundin nicht mehr meldet. Einen Monat später schrieb er mir: Er weiß nicht, was er machen soll. Er hat sich betrunken und ihr so viele Nachrichten geschickt, dass sie ihn blockiert hat..." "Ich wollte ihr Freund sein, aber sie hat das Interesse an mir verloren..." "Hey, du bist so ein angenehmer Mensch. Aber du musst aufpassen. Ich denke, ein wahrer Freund würde dich niemals als Freund blockieren..." "Er schien sehr traurig zu sein. Da hat er nur geschrieben, weil er oft nicht sprechen möchte. Weil er auch ein sehr schüchterner Mensch ist. Von Sri Lanka nach Italien gekommen. Er hat mir auch geschrieben, dass er eigentlich keine Freunde hat, außerhalb seiner Familie. Ist sehr viel Online. Schaut Filme auf dem Handy, was ich die traurigste Vorstellung auf der Welt finde..." "Es tut weh. / Sie will mir nicht mal zuhören..." "Je schneller du dich damit abfindest, desto schneller wirst du dich besser fühlen. Wenn sie dich geblockt hat, ist das ein deutliches Zeichen. Das machen Menschen nicht so leichtfertig." Die virtuelle Ratgeberin. Die ist Karo zwar nicht täglich, wie sie sagt. Aber die Rolle scheint ihr inzwischen durchaus vertraut zu sein. Karo gibt. Und manchmal - bekommt sie auch was von ihren meist männlichen Mitspielern. Trotz eindeutiger Klarstellung. "Alle Menschen, mit denen ich befreundet bin, wissen, dass ich lesbisch bin. Alle Männer. Und wissen, dass von mir sie kein Flirten und nichts kriegen, was irgendwie über das Spiel hinausgeht. Und trotzdem hat mir ein Freund, weil er unsere Online- Freundschaft so wertschätzt, so'n Gutschein für einen Playstation-Store im Wert von 35 Euro geschenkt, den ich nicht annehmen wollte. War mir persönlich sehr unangenehm, wollte ich eigentlich nicht machen. Aber hab's dann angenommen, weil ich dachte: Gut, wenn er das möchte, dann ist das seine freie Entscheidung." Karo hadert. Mit einem guten Gefühl was vom einem Online-Freund annehmen, das kann unter Umständen allerdings auch klappen. "Gutes Gefühl ist es, wenn es nicht passiert, weil ich 'ne Frau bin, sondern weil wir zusammen arbeiten. Also, wenn sie merken, dass ich ein absolutes Biest im Panzer bin und sie meinen Panzer reparieren, weil sie wissen, dass wir das Spiel gewinnen. Dann ist es ein gutes Gefühl, weil es Teamwork ist." Oh, Hans. Lass' uns ein Team sein. Hans! Es gibt Dinge, die kann man nur akzeptieren kann. Dazu gehört die sentimentale Verbindung zum Privatfernsehen der 80er und 90er Jahre meines Kollegen Timo Grampes. Naja. Hans Meiser, meine Damen und Herren. Hans "RTL aktuell" Meiser. Hans "Notruf" Meiser. Und vor allem natürlich Hans "Hans Meiser" Meiser. Der erste Nachmittagstalker im deutschen Fernsehen. Dem kann doch mal mal 'ne Freundschaftsanfrage auf Facebook schicken, so von Moderator zu Moderator. Und wenn man schon so viele Fernsehstunden mit ihm verbracht hat und sich selbst den Talk zu "Stimmen aus dem Jenseits" gegeben hat - dann ja wohl erst recht! Und dann warf es den Kollegen Grampes aus der Bahn - Hans Meiser lehnte seine Facebook-Freundschaftsanfrage ab. Ja. Und dem muss hier nachgegangen werden - und zwar entschieden! Wenn es denn der Wahrheitsfindung dient... "Hans Meiser". "Timo Grampes, Deutschlandradio Kultur. Tag, Herr Meiser." "Hallo, Herr Grampe!" "Warum wollten Sie denn nicht mein Facebook-Freund werden, obwohl Sie mir als regelmäßiger RTL-Zuschauer in meiner Kindheit doch so vertraut sind?" "Ja, das ist 'ne Einbahnstraße des Kennenlernens - aber ich kannte Sie nicht!" "Ach so!" "Und ich kriege am Tag 734 Millionen Freundschaftsanfragen. //Dass ich plötzlich von Leuten angefragt werde, die mich an eine Sendung erinnern über Knochenkrankheiten vom 17. März 1993. Und ich sollte ihnen doch den Professor nennen, der damals bei mir in der Sendung war. Und da hab' ich ein bisschen Probleme mit, mit Verlaub gesagt.// Und deswegen: Bei Fremden klick' ich nicht an, ist so." Wird diese simple, jedoch nachvollziehbare Begründung schon das Ende der Beziehung des Kollegen Grampes mit Hans Meiser sein? Oder wird sich im Laufe des Telefonats noch eine freundschaftliche Annäherung ergeben, womöglich sogar eine Facebook-Freundschaft? Bleiben Sie dran! Näheres gleich auf diesem Sender - nach der nächsten Freundschaftsanfrage. "Also die Plattform heißt feierabend.de und das ist ne Plattform für Menschen ab 50 Jahren - wobei ich sagen würde, die meisten Leute, die das für sich nutzen, sind tatsächlich, ja, über 60." Berlin, Gropiusstadt. In einem der Hochhäuser wohnt die 67jährige Sava Z.. Sie hat sich angemeldet bei feierabend.de, einem sozialem Netzwerk für Menschen der Generation 50plus. "Seit ich die Mail gekriegt habe von Deutschlandradio Kultur, höre ich nur! Ich höre sonst immer andere Sender auf mein Laptop..." Sava ist 1970 aus dem damaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen. Über sich sagt sie, sie sei geborene Serbin mit kroatischem Pass und deutschem Nachnamen. Lange war sie mit einem Berliner verheiratet, heute ist sie alleinstehend. Ihre kleine Wohnung sei ihre Heimat, betont sie, hier fühlt sie sich wohl. Seit einem Jahr ist sie bei fererabend.de angemeldet. Und hat seitdem viel erlebt. "Und eines Tages fahre ich mit der U-Bahn, unten, Johannistaler Chaussee, kommt eine Frau auf mich zu und lächelt mich an. Ich denke - ist da noch jemand hinter mir. ,Nein, nein' sagt sie, ,ich meine Dich!'" Die Frau erkannte in Sava nicht nur jemanden, der auch auf feierabend.de aktiv war sondern auch - ihre Nachbarin. "...und die spricht mich an und sagt: Ja, Du bist bei ,feierabend'. Und so haben wir uns angefreundet." "Das ist siebzehnte Stockwerk. Und sie sieht immer meinen Eingang hier. Und da wohne ich über zehn Jahre und da sagt sie: guck' mal, da oben wohne ich, das ist mein Balkon. Und dann haben wir beide gelacht. Ich sage: Was, so nah? Und dann haben wir uns erst mal über Feierabend kennengelernt. Das ist lustig, ne?" Für ältere Menschen ist es nach wie vor wichtig, sich zu treffen - und so ist feierabend.de vor allem eine Plattform, auf der man Menschen aus der näheren Umgebung in Regionalgruppen kennenlernt. Es gibt "Regionalbotschafterinnen" und - für weniger medienaffine Damen und Herren - auch Scouts, die einem mit Rat und Tat virtuell zur Seite stehen. "Sie sind verrentet, sie haben vielleicht auch keinen Partner mehr, und sind dann natürlich auch ganz klar auf der Suche nach Alternativen. Und das ist eben eine Alternative." Dr. Jennifer Kreß forscht zu neuen Medien und Altern an der Hochschule Darmstadt. Für ihre Dissertation hat sie die Plattform "feierabend.de" untersucht. Und festgestellt, dass es auch in der Generation 50 Plus rein virtuelle Freundschaften gibt. "Es gab tatsächlich zwei, drei von den insgesamt 18 Leuten, die ich interviewt hab, es war ne deutliche Minderheit, die aber auch ganz bewusst gesagt haben: Ich suche ganz bewusst nach dem virtuellen, anonymen Kontakt, weil ich mich erst in dieser Anonymität wirklich öffnen kann, über private Dinge reden kann, ohne Gefahr zu laufen, dass das irgendwann gegen mich verwendet werden kann, weil einfach die Menschen gar nicht wirklich wissen, wer ich wirklich bin, // und die haben nur ein Foto von mir oder nen Nickname, aber sie kennen mich nicht wirklich - und das war sehr, sehr spannend, dass da die Anonymität quasi das war, was sie wirklich auch gesucht haben - das würde ja so'n bisschen dem Großteil widersprechen, die ja eher sich anmelden, um auch diese Real Life-Treffen zu haben... das war bei denen dann nicht der Fall." "Ich hab da auch eine Dame - die ist irgendwo aus Westdeutschland, ich weiß jetzt nicht, kleine Ort, würde ich sagen eher ist so Dorf... // und die hat mich angesprochen, also, man guckt ja immer, sieht man auch Bilder, klickt sie an und dann sagt sie: ,Sava? Oh, das ist schöner Name! Wo kommst Du her?' Und dann habe ich: ,Boschena, Dein Name ist auch schön!' // Und dann haben wir uns angefangen zu schreiben, da habe ich ihr berichtet woher ich komme... und seitdem ist das richtig Freundschaft." Eine "richtige Freundschaft" - die aber nur im Netz stattfindet. Und fast - aber leider nur fast - hätte es bei Sava auch geklappt mit einer Beziehung, die mehr ist als Freundschaft. "Ich hatte sogar ein Mann aus Saarland. Das sind ja 700 Kilometer. Und dann haben wir uns geschrieben und das wurde wirklich nach drei Monate, man hat ja schon richtig gemerkt... ach, der gefällt Dir, irgendwie, die Chemie stimmt - obwohl man sich nicht gesehen hat. Und dann haben wir angefangen mit der Zeit auch über Skype, zu skypen... und dann ist der durch die Wohnung mit seinem Laptop, und das ist die Küche, das ist Bad (lacht) und eines Tages sagt er zu mir: heute kommt meine Tochter zu Besuch, die möchte Dich kennenlernen, möchtest Du auch mit der sprechen? Ich sage kein Problem. [Aber Du weißt doch nicht, ob ich danach... er sagt: ich hab' sie [gefragt], kein Problem, darüber gesprochen, sie würde Dich gerne kennenlernen. Also ist sie zu Papa gekommen und er rief an und sagte: Schalt' mal Skype an (lacht)] und dann kam die Tochter und ,Hallo Sava, ich freue mich', also, das war so... mir sind die Tränen in Augen gekommen, ich dachte... so was hast Du noch nie erlebt! In Internet!" "Also, bei diesem Mann hat alles gestimmt, leider die Entfernung nicht. Und so ist das auseinander gegangen. Also - ist mir auch passiert. Alles über Internet." Enttäuschte Hoffnungen im Internet. Davon kann auch Hans Meiser ein Lied singen, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Hans Meiser ist bei Facebook, aber Skeptiker. Nicht nur Freundschaftsanfragen von Fremden wie die des Kollegen Timo Grampes lehnt er ab, sondern - für einen Ex-RTL-Talker vielleicht etwas ungewöhnlich - auch allzu viel Mitteilsamkeit auf Facebook. "Facebook-Freunde - was halten Sie denn eigentlich von dem Begriff? Kann es sowas für Sie geben?" "Nein, das sind natürlich keine Freunde. Aber das ist natürlich aus dem Englischen. "You are my friend", das hat das eine ganz andere Bedeutung, eine weiter gefasste. Der Chef sagt ja auch: Du, Daniel, you are fired! Man ist da ganz anders, im Umgang miteinander. Freundschaft ist für mich etwas sehr nahes, auch wenn man sich nicht jede Woche oder jeden Monat oder jedes halbe Jahr trifft - und auch etwas sehr Intimes. "Was machen Sie denn eigentlich, wenn es nicht um Fernsehen geht oder um Interviews, wie jetzt gerade zum Beispiel?" "Ich lese sehr viel. Ich reise relativ viel. Ich mache Radio. Anders ausgedrückt: Wenn es allen so gut ginge wie mir, dann würden wir in einer tollen Welt leben! Da fällt Ihnen nichts mehr ein, was?" "Da fällt mir nichts mehr ein!!" Vom Unbekannten ins Persönliche. Gamerin Karo Schaum hat zumindest einen ihrer weltweiten hundert Mitspieler persönlich kennengelernt. Inmitten des Geballeres vom Weltraum-Shooter "Mass Effect 3" ergab sich doch tatsächlich ein - Flirt. "...und was ich in dem Fall ganz gut fand, weil's 'ne Frau war. Die ist Finnin. Und die hab' ich dann tatsächlich auch in Finnland besucht. Weil wir echt online 'ne sehr gute Zeit hatten. Sie war sehr witzig, hat dieselben Fernsehsendungen geschaut. Kannte relativ viel Musik, die mich interessiert hat." "Wir waren eigentlich nie zu zweit, es waren immer noch zwei Freunde dabei. Und irgendwann blieben wir mal so alleine zurück. Und dann hat sie durchblicken lassen, dass sie auch für Frauen sich interessiert. Wollte irgendwie aber nie, dass die anderen das wissen. Und... ja, eigentlich ganz normal wie in 'ner Bar!" Passend dazu: Der Kater danach. "Ich persönlich hatte keine so großen Erwartungen. Es war auch eine schöne Woche, wir haben ein bisschen angebandelt miteinander. (...) Nachdem ich nach Deutschland zurückgeflogen bin, haben wir erst weiter noch zusammen gespielt, uns über Skype verbunden, Emails geschrieben. Und so nach zwei drei Monaten hat sie komplett das Interesse verloren. Und ich habe gemerkt, auch in der Zeit, wo ich bei ihr war, dass es ihr schwer fiel, nicht zu spielen. Sie scheint kein besonders leichtes Leben zu haben. Von daher ging das dann einfach auseinander. Ich dachte schon: Irgendwie ist das komisch, sie ist immer online. Ich muss mit ihr reden. Und dann hat sie mich geblockt und dann hatten wir gar keinen Kontakt mehr." Zu Freunden von *Pieps* (Zensur-Piepser statt Name setzen), die Karo bei ihrem Finnland-Besuch kennengelernt hatte, blieb der Kontakt allerdings erhalten. Die Freunde spielen in einer Band - und Karo ging mit der Band auf Tour, Richtung Schweden. "Auch wenn jetzt leider aus *Pieps* nicht geworden ist, hatte ich mit ihren Freunden eine sehr schöne reale Zeit hatte in Finnland und Schweden." Doch auch die virtuelle Freundschaft ist für Karo ganz real. "Virtuell muss man dann sprachwissenschaftlich einordnen und eigentlich einordnen: Es geht um das Medium, über das man befreundet ist. Es ist nicht etwas, das die Freundschaft beschreibt sondern es geht darum, wie man in Kontakt bleibt. Ich würde ganz klar sagen, das sind reale Freundschaften, die man da hat. Es gab ja auch schon früher Brieffreundschaften. Das waren ja auch virtuelle Freundschaften, die aber niemand als virtuell bezeichnet hätte." Das Gleim-Haus in Halberstadt, Sachsen-Anhalt. Im ehemaligen Wohnhaus des Dichters Johann Wilhelm Ludwig Gleim, dass dieser 1747 bezog, beherbergt heute ein Museum. "Gleim kam Ende der 40er Jahre nach Halberstadt, um hier Domsekretär zu werden, Verwaltungschef des Domkapitels... und er kam aus diesem aufblühenden Berlin [der 40er Jahre], war sehr stark integriert in literarische und auch musikalische Freundschaftskreise, musste nach Halberstadt ziehen, um endlich eine Versorgung zu haben - und hatte das Gefühl natürlich, dass er etwas vermissen wird, nämlich genau diese Anwesenheit der Freunde. Und Gleim war erst wenige Tage in der Stadt, da schrieb er schon an einen Freund, er richtet ein Zimmer der Freundschaft ein." Ute Pott, Direktorin des Gleim-Hauses, steht in einem Zimmer, in dem dicht an dicht ca. 40 Portraits hängen. Nebenan sieht es genauso aus: Portraits von unter anderen Gottfried August Bürger - dem Verfasser des "Münchhausen" - aber auch Lessing, Herder, Kloppstock, Jean Paul, etc.. Seit dem Tod von Johann Wilhelm Ludwig Gleim im Jahr 1803 sind diese Zimmer nahezu unverändert geblieben. "Hier sehen wir Gleims Schreibstuhl, das ist ein Stuhl, den man in zweierlei Richtungen besitzen kann - also, man kann ganz gemütlich wie auf dem Sessel sitzen oder man kann auch sich andersrumherum drehen und kann die Arme aufstützen und hat eine Schreibfläche. Der Stuhl ist relativ leicht - das heißt, man ist, wenn man lesen und schreiben will, relativ schnell beim Licht, schnell bei der Wärmequelle, aber, das ist auch verbürgt bei Gleim, schnell bei dem Portrait des Freundes, dem man einen Brief schreiben will." "Was ist die Welt ohne Freunde? Eine Wüste Sinai." Johann Wilhelm Ludwig Gleim in einem Brief an Karl-Wilhelm Rammler vom 4. Juli 1762 . "Wir haben hier auch noch in den Armstützen Fächer für Feder und Tinte, da unten noch ein Fach für's Papier. Also, das "immer zu kommunizieren können", das ist natürlich mit dem Stuhl gegeben." Die vielen "Profilbilder" der Freunde (die ihrerseits auch ein Portrait von Gleim hatten), ihre versammelten Schriften in Form von Büchern und Briefen, die Mobilität durch den Schreibstuhl, die damals noch ungewohnte direkte Anrede: "Von Gleim kennen wir zahlreiche Briefe, die beginnen, als sei man im Gespräch: ,Was sie erzählen, liebste Freundin, ist doch unerhört..." All das lässt Gleims Haus heute wirken wie eine Art begehbaren, 250 Jahre alten facebook-Vorläufer. Auch diese Freundschaften waren "virtuell" in dem Sinne, dass man sich nicht face to face gegenübersaß, sondern durch ein Medium - eben den Brief - kommunizierte. Und: durch das Netzwerk der Freunde sind auch Freundschaften entstanden mit Menschen, die Gleim nie gesehen hatte. "Hier in der Sammlung sind einige Portraits von Menschen, denen er nicht persönlich begegnet ist." Denn: "Persönlich Begegnung war nicht die Bedingung, in den Freundschaftstempel aufgenommen zu werden." Heute versucht Ute Pott, den Freundschaftskult der Empfindsamkeit den jungen Besuchern mit einem Vergleich zu Facebook nahezubringen. Da wundert es nicht, dass der Mann - über 200 Jahre nach seinem Ableben - heute bei facebook ist und Freundschaftsanfragen beantwortet. ,Virtuell', natürlich. "Also, Gleim ist meistens blendend gut gelaunt bei facebook, weil das die Kommunikation ist, die ihm - also vor dem Hintergrund der Entwicklung und dessen, was er hier erlebt und zusammengetragen hat - natürlich auch außerordentlich gefällt, und, ja, was ne Weiterführung ist, dessen was hier mal angefangen wurde." Um die 500 facebook-Freunde hat Gleim heute. Zu seinen Lebzeiten pflegte er um die 500 Brieffreundschaften. "Die Generation der zehn- bis zwanzigjährigen leben längst in einer Parallelwelt. Freude finden, flirten, Beziehungen pflegen - das findet mittlerweile hauptsächlich per Chat und E-Mail statt, die wichtigsten Sozialkontakte sind virtualisiert. [Das bleibt nicht ohne Folgen für die Psyche." Die in der Süddeutschen Zeitung vom Mai 2010 geäußerten Befürchtungen hat der 1803 eines natürlichen Todes gestorbene Dichter ganz gut überstanden... Und für die jungen Besucher des Gleimhauses sind seine vielen schriftlichen Freundschaften heute - wieder - Normalität: "Wenn ich vor vielen Jahren gesagt habe, Gleim hatte mehr als 500 Freunde haben die gesagt: ,Das geht nicht.' Heute, ist ganz klar, kommt 'ne Antwort: ,Ich hab' 600.' Oder: ,Ungefähr so viele hab' ich auch.' Oder: ,Ich hab' grad mal wieder aufgeräumt, jetzt hab' ich nur noch 120.'" "Also, wir haben ja eigentlich, kann man sagen, nach der Gleimschen Generation wieder die erste Generation, die permanent am Schreiben ist. Immerzu im Alltag." "Lieber Hans. Auf Basis unserer in der Zwischenzeit gemachten Erfahrungen: Wie siehst du unsere gemeinsame Perspektive? Können wir jetzt endlich Facebook- Freunde werden?" "Ja, da müsste ich... also, ich war in diesem Jahr noch gar nicht bei 'Fatzebuck' drinnen. Aber ich sag' Ihnen etwas: Viel lieber würd' ich mich dann auch mit Kollegen treffen und mal einfach reden und quatschen. Da gibt es auch neue Ideen..." "Dann melden Sie sich doch mal, wenn Sie in Berlin sind, Herr Meiser. Vielleicht gibt's ja eine Zukunft für die 'Meiser-und-Grampes-Show'!" "Nein, ich treffe mich gerne mit Ihnen! Ich habe ja Ihre Daten - und dann rufe ich bei Ihnen an!" "Versprochen? Wirklich versprochen?" "Das ist versprochen." "Übertragung beendet!"