KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit: 46 Reihe : Literatur Kostenträger : P 62 300 Titel : Von Fallada bis Blumenbar. 70 Jahre Aufbau Verlag AutorIn : Dr. Jörg Plath Redakteurin : Barbara Wahlster/Dr. Jörg Plath Sendetermin : 30.08.2015 Regie : Giuseppe Maio Besetzung : Autor, Bernd Hörnle, Birgitt Dölling Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 SPRECHER Aufbau ist ein zukunftstrunkener Name, voller Hoffnung. Aufbau ist Versprechen und Aufforderung zugleich, in ihm klingt die Parole "Wir sorgen für den Aufbau" ebenso an wie der Imperativ "Bau auf!" Aufbau ist nicht der Name eines Kaufmanns, eines Verlegers wie meist im Verlagswesen. Denn das Unternehmen gründete kein Privatmann, keine Privatfrau. Mit dem Aufbau Verlag traten die Arbeiter des Geistes denen der Faust zur Seite. Sie wollten 1945 wieder aufbauen, was im vergleichsweise kurzen "Tausendjährigen Reich" untergegangen war. MUSIK Auferstanden aus Ruinen SPRECHER Zukunftstrunken trat Aufbau an, voller Hoffnung - nun feiert der Verlag seinen 70. Geburtstag. Die Jahrzehnte waren sämtlich, das kann man ohne Übertreibung sagen, bewegt. Aber Aufbau hat überlebt, auch die untergehende DDR überstanden - und ist zudem älter als der Staat, den mit aufzubauen er antrat. Inzwischen kann man den Verlagsnamen auch als Selbstbeschreibung verstehen, als Programm: Aufbau hat Aufbau nötig, damals und heute immer noch. Je nach Perspektive ist das einem Siebzigjährigen hoch anzurechnen - ist er doch immer noch in Bewegung, rastlos sich neu erfindend! - oder es ist ihm schwer vorzuwerfen - er ist halt 70 und kein bisschen weise. Die Lage des Jubilars ist nicht einfach. Aber sie ist reizvoll. O-TON 1 Ich kenne ja beide Welten. Ich (..) bin aufgewachsen in Ostdeutschland, habe die DDR mit 14 Jahren verlassen mit meiner Familie, meinem Vater zusammen, und ich kenn die Denkungsarten, kenn die Literatur, bin dann aber auch ein naturalisierter Wessi geworden und weiß, auchwie das Lebensgefühl da ist und kenne die Unterschiede, und ich glaube, dass das hilfreich ist. Die Belegschaft des Aufbau Verlags besteht zum großen Teil noch aus Kollegen, die seit 30, 35, 40 Jahren im Verlag arbeiten. Und ich glaube, so muss ich mal sagen, das ist schon eine versöhnungsfähige Biographie, so würde ich mal sagen. SPRECHER Gunnar Cynybulk, Jahrgang 1970, ist seit Februar 2014 zusammen mit Reinhard Rohn verlegerischer Leiter des Aufbau Verlags. Er hat Stallgeruch. O-TON 2 Ich war Praktikant im Aufbau Verlag, war Angela Dreschers Praktikant, der wunderbaren Christa-Wolf-Lektorin und das war 1995, wenn ich mich nicht irre, und dann bin ich weggegangen, war dann bei anderen Verlagen, bei Rowohlt usw., habe in den USA hospitiert und bin seit Sommer 1999 bei Aufbau. SPRECHER Vom Praktikant zum Verlagsleiter, eine amerikanisch anmutende Karriere. Cynybulk, ein großer, freundlicher Mann mit einem kantigen Schädel, den zuweilen eine kecke Schirmmütze bedeckt, hält wenig von der Formel, mit der der Aufbau Verlag anfangs dem gesamtdeutschen Publikum nahegebracht wurde: Suhrkamp des Ostens. O-TON 3 Das, was den Suhrkamp Verlag groß gemacht hat und über viele Jahrzehnte vital gehalten hat, das sind natürlich die Gegenwartsautoren der Nachkriegszeit, die zu Gegenwartsklassikern geworden sind. Der Suhrkamp Verlag, nach meiner Beobachtung, hat lange Zeit von der wunderbaren Backlist gelebt, die diese Autoren hinterlassen haben. Uwe Johnson. Wir müssen gar nicht über Hesse reden. Die ganzen großen Namen, Handke und dergleichen. Das hatte Aufbau nie, nie in dem Maße, nie in der Fülle. ... Aufbau hatte ja kein Sachbuch bis in die 90er Jahre hinein, das war ein reiner Belletristikverlag im Unterschied zu Suhrkamp. D.h. Suhrkamp war auch deutlich prägender in der Geistesgeschichte, Philosophie und dergleichen, in den Wissenschaftspublikationen, das hatte der Aufbau Verlag nicht. Ich glaube schon, dass Suhrkamp wirklich unvergleichlich ist und dass die Rede vom Suhrkamp Verlag des Ostens falsch ist. Gleichwohl, was richtig ist: Aufbau war der bedeutendste belletristische Verlag in der DDR, so wie Suhrkamp der bedeutendste Publikumsverlag in Westdeutschland war. Insofern ist es nicht ganz falsch. Keiner behauptet, dass Suhrkamp der Aufbau Verlag des Westens sei - wenn man diese mathematische Formel anwendet, sieht man, dass es nicht stimmt. (lacht) SPRECHER Vor 20 Jahren, zum 50. Verlagsjubiläum 1995, stand die DDR noch im Vordergrund. Stolz sprach Programmleiter Gotthard Erler damals über sein Haus: O-TON 4 Der Aufbau-Verlag galt ja zu DDR-Zeiten als das sogenannte Flaggschiff der Verlagslandschaft DDR, das bedeutete, dass man einerseits mit Stolz darauf hingewiesen hat, was er alles macht, dass er aber andererseits stets unter besonderer Kontrolle gestanden hat. Was sich weniger im klassischen Bereich und im Bereich der Weltliteratur, der älteren Weltliteratur, ausgewirkt hat, aber natürlich bei allen zeitgenössischen Autoren. Aufbau war zum Schluss ja doch das Zentrum für die DDR-Literatur, und da sind die Eingriffe der Behörde, der Politik natürlich ganz eminent gewesen. SPRECHER Im Jahr 2015 ist das "Flaggschiff der Verlagslandschaft DDR" natürlich ausgemustert. Auf eine besondere, sogar repräsentative Funktion des Verlags will dessen Leiter Gunnar Cynybulk aber nicht verzichten: O-TON 5 Es gibt nicht mehr so viele konzernunabhängige Verlage, die eigentümergeführt sind und das trifft auf Aufbau zu. Aufbau ist, das kann man mit Fug und Recht sagen, der einzige deutsch- deutsche Verlag in diesem Land. Das ist der Verlag, der vor der DDR gegründet wurde, nach der DDR weiterexistiert hat, aber eine große Deckungsgleichheit mit dieser Periode, mit dieser Geschichtsperiode der DDR hat. Der Aufbau Verlag ist mehr als die DDR, aber er ist natürlich in seinem Kern und Wesen mit der ostdeutschen Geschichte verbunden. Aber der Verlag hat sich auch weiterentwickelt und hat ne neue ... gesamtdeutsche Identität angenommen. Wir verkaufen in den alten Bundesländern - wie alle anderen Verlage auch - 80 % unserer Bücher. Aber wir haben natürlich ne gewisse klar ausgeprägte Kompetenz ostdeutsche Themen betreffend. Wir sind nicht verantwortlich für den Osten, aber wir sind zuständig für den Osten. Dem versuchen wir gerecht zu werden, und das suchen die Leser auch bei uns. SPRECHER Die Geschichte der Verlage in der alten Bundesrepublik lässt sich als eine der sich wandelnden Gesellschaft schreiben; die Publikationen spiegeln den Zeitgeist, der sich in manchen Buchreihen niederschlägt: in Rowohlts Rotationsromanen, in der regenbogenfarbenen edition suhrkamp, den kleinen, schlecht gebundenen Merve-Bändchen. Die Geschichte der deutsch-demokratischen Verlage und insbesondere die des Aufbau-Verlags ist komplizierter: In ihr spielen der Staat, die ideologischen Weichenstellungen, die dirigistischen Eingriffe die größte Rolle; die Gesellschaft fällt dagegen als autonome Kraft weitgehend aus. Programmatische Veränderungen müssen von der Politik sanktioniert werden. Das kann dauern, zuweilen zehn Jahre: Für die seit Ende der 1970er Jahre Aufsehen erregende Bohème im Prenzlauer Berg, in Leipzig und Erfurt mit Bert Papenfuß-Gorek, Elke Erb, Lutz Rathenow und anderen gründet Aufbau erst 1988 die Buchreihe "Außer der Reihe". Um so wichtiger sind in der DDR die Autoren. Sie werden zu Sprachrohren, zum Gegenüber des Staates, manchmal zu seinen Gegnern, und ihr Verlag befindet sich dazwischen. Keinesfalls ist er der hehre Verfechter der Freiheit, das weiß auch der heutige Verlagsleiter Gunnar Cynybulk. O-TON 6 Ich war nicht dabei. ... Ich kenne die oral history, die Erzählungen meiner Kollegen, das ist das, was ich höre: Dass man mit sehr viel Selbstbewusstsein, sehr viel Pfiffigkeit und auch Courage von der Zensur gefährdete Bücher verlegt hat, gedruckt hat. Dass es immer wieder diesen Windmühlenkampf gab und man Umwege gesucht hat. SPRECHER Mancher Lektor oder Verlagsleiter kämpfte für eine bestimmte Fassung eines Manuskripts und gegen Änderungen - das System der Zensur und die Indienstnahme der Literatur wollte er damit nicht immer in Frage stellen. Wer sich für die Literatur einsetzte und Risiken in Kauf nahm, war sicher qualitätsbewusst, aber deshalb noch kein Kämpfer für die Freiheit des Wortes. MUSIK Auferstanden aus ... SPRECHER Am 16. August 1945 sitzen der Volkswirt und spätere Kulturminister Klaus Gysi, der Journalist Heinz Willmann, der Verlagsbuchhändler Kurt Wilhelm und der Verlagskaufmann Otto Schiele bei einem Berliner Notar und gründen den Aufbau- Verlag, damals mit Bindestrich. Sie treten ihre Anteile kurz darauf an den von Johannes R. Becher geleiteten "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" ab, der von der sowjetischen Militäradministration die Verlagslizenz erhalten hat. Aufbau soll die Zeitschriften und Bücher des Kulturbunds herausbringen und zieht in das einstige Bankhaus Dreyfus & Co. in der Französischen Straße 32. In dem vierstöckigen Haus in Berlin-Mitte bleibt der Verlag bis Mitte der 1990er Jahre. Unten liegen nobel getäfelte Sitzungsräume, ein nachträglich eingebauter Fahrstuhl engt das großzügige Treppenhaus ein, eine eigene Garderobe mit geschwungenen Haken im Stil der blockübergreifenden 1950er Jahre stünde auch einem kleineren Theater gut zu Gesicht. Außen buhlt der hohe Altbau ohne Ornamente, mit zunehmend gräulicher Rauputzfassade in Berlin-Mitte nicht um Aufmerksamkeit: Leicht ist der Schriftzug "Aufbau-Verlag" zu übersehen. Das ZK der SED residiert gleich um die Ecke in der ehemaligen Reichsbank. O-TON 7 Der Aufbau-Verlag hat von Anfang an sich als Verlag für all die Bücher, all die Autoren verstanden, die im Nazi-Reich verfemt und verbrannt worden sind, und damit stand der Aufbau-Verlag eigentlich lange Zeit ganz allein auf der weiten Flur. Und das Charakteristikum dieser frühen Entwicklung ist eben die Sammlung der Verstreuten, in der Welt noch weit verstreuten Exilautoren, ob das nun Heinrich Mann oder Lion Feuchtwanger oder auch Thomas Mann betraf. Becher, was immer man über Becher sagen kann und muss, ist ein Magnet gewesen, der immer wieder versucht hat, eine Crew, würde man heute sagen, eine Truppe von interessanten Autoren zusammenzukriegen, und zwar unter dem ausgesprochenen Vorsatz, die jäh abgebrochene Tradition der demokratischen Literatur in der Weimarer Zeit fortzusetzen. Und ich glaube, wenn man die Frage stellt, was bleibt denn von der DDR oder was bleibt von der Kultur in der DDR, dann auf jeden Fall die Bemühungen des Aufbau-Verlages um diese Literatur. SPRECHER Die Worte des Programmleiters Gotthard Erler aus dem Jahr 1995 gleichen denen von Klaus Gysi, der den Verlag 1945 gründet und ihn nach 1956, nach der Verhaftung von Walter Janka, als politischer Aufpasser leitet, O-TON 8 Es gab doch keine Maße und Werte mehr ... nach Faschismus ... große deutsche nationale Literatur ... zwischen 1933 und 1945 ... geschrieben. Das hat es nie gegeben. SPRECHER 2015 sagt es Gunnar Cynybulk, der Verlagsleiter für Belletristik, ganz ähnlich: O-TON 9 Das ist eine der großen Identitätslinien, die der Verlag nie verlassen hat. Die jüdischen Themen, der kulturelle Kontext des Dritten Reiches, der Weimarer Republik. Das ist für den Verlag immer Verpflichtung gewesen. Die ersten Autoren des Verlages waren die, die aus dem Exil zurückgekehrt sind. Das erste Buch, der bedeutende Roman von Anna Seghers, "Das siebente Kreuz", und das ist dem Verlag immer noch sehr wichtig und das prägt immer noch die Programmlinien. Und das ist längst nicht auserzählt. MUSIK SPRECHER Das zentrale Motiv besitzt offenbar ungebrochene Strahlkraft. Es bindet die Verlagsidentität an die Vergangenheit, nicht an eine Gegenwart, wie ihn der gesellschaftliche Neuanfang 1945/48 ja auch hätte nahelegen können. Allerdings wird interessanterweise eine DDR-typische Schrumpfform des Anknüpfungsmotivs bevorzugt. Denn anfangs werden nicht nur Exilanten, sondern auch Autoren der inneren Emigration und des Widerstands verlegt: Theodor Plivier und Adam Scharrer neben Ernst Wiechert, Hans Fallada, Ernst Niekisch und Gerhart Hauptmann, flankiert von Günther Weisenborn und Adam Kuckhoff. Der Aufbau-Verlag erfüllt die Sammlungsaufgabe des Kulturbunds trotz der Kriegszerstörungen. Unterstützt von gebildeten, deutsch sprechenden Kulturoffizieren der sowjetischen Besatzungsmacht, die großen Wert auf die kulturelle Entwicklung Deutschlands legen, beschafft man Papier, tut funktionierende Druckereien auf, organisiert den Vertrieb. Außerdem müssen die Autoren umworben werden. Das übernimmt zuweilen der Leiter des Kulturbundes und spätere Kulturminister, der Dichter Johannes R. Becher. ZITATOR Berlin, den 31. Juli 1946 Lieber sehr verehrter Herr Heinrich Mann! (...) Ich brauche wohl nicht zu sagen, wie sehr es mich beglückt hat, von Ihnen wieder, in Ihrer schönen Handschrift, einen Brief zu erhalten. Und ich brauche Ihnen auch nicht zu sagen, wie sehr dringend wir Sie erwarten. Sie wissen, wir haben Ihren Roman "Untertan" nachgedruckt, ohne eigentlich dazu diese Verlagsrechte zu besitzen. (...) Man wird uns vielleicht einmal später den Prozeß machen, aber diesen Prozeß erwarten wir mit gutem Gewissen, und ich weiß nicht, welches Gericht es wagen kann, uns zu verurteilen, wenn wir im Interesse unseres Volkes und aller freiheitlichen Völker, in einer solchen Zwangslage wie der, in der wir uns befinden, dem deutschen Volk die Bücher darbieten, die es am dringendsten benötigt. Selbstverständlich haben wir keinen materiellen Gewinn. Das Autorenhonorar ist sichergestellt und steht dem Autor jederzeit zur Verfügung. Aber ein Verlag hat ja auch, selbst juristisch gesprochen, die Pflicht, die Bücher zu verbreiten, und wenn der schwedische Verlag, wie Sie schreiben, seine Pflicht nicht erfüllt, hat der Autor das Recht, andere Verbreitungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Seien Sie herzlichst gegrüßt von Ihrem Johannes R. Becher SPRECHER "Hier drucke ich, ich kann nicht anders", ruft der Leiter des Kulturbunds den Gerichten der Zukunft und Heinrich Mann im Exil zu. Die Honorare sind höher als im Westen und werden, weil sie den Autoren nicht überwiesen werden können, bei Banken hinterlegt und in Bücherpakete umgewandelt. Nicht 3000 wie heute - sondern 20, 30.000 Exemplare werden von den meisten Büchern gedruckt, obwohl die Alliierten die Verlagslizenzen nur für ihre Zone erteilen, die Bücher also in den anderen Zonen nicht verkauft werden können. Die Autoren erteilen Lizenz nur für bestimmte Zonen und legen sich nicht für längere Zeiträume fest. Post mit Korrespondenzen, Verträgen, Manuskripten und Korrekturfahnen geht im kriegszerstörten Deutschland nicht selten verloren oder kommt mit großer Verspätung an. Einige der Schwierigkeiten, mit denen nicht nur Aufbau zu kämpfen hat, lassen sich einem Brief von Verlagsleiter Kurt Wilhelm an die im schwedischen Exil lebende, spätere Literaturnobelpreisträgerin Nelly Sachs aus dem November 1947 entnehmen: ZITATOR Allgemein erwarten wir hier, daß mit Abschluß des Friedensvertrages sich auch größere Möglichkeiten ergeben werden, den angebahnten Auslandsverkehr weiter zu pflegen. Ich erwähne dies insbesondere wegen der Transferierung der auch für Sie hier liegenden Honorare, und darüber hinaus würde ich Ihnen selbstverständlich auch gern einmal eine Kollektion der seit Kriegsende von mir verlegten Bücher übersenden. SPRECHER Der beginnende Kalte Krieg zerschlägt den Pluralismus des Kulturbunds und seines Verlags. Manche Autoren werden aus dem Programm gedrängt, Theodor Plivier und Erik Reger ziehen sich selbst zurück. Aufbau setzt verstärkt auf linke Emigranten und verliert durch die sich verschärfende Ideologisierung den ersten Verlagsleiter: Kurt Wilhelm setzt sich 1947 nach Stuttgart ab. Sein Nachfolger heißt Erich Wendt, dessen Stellvertreter ist ab 1950 Walter Janka, ein Emigrant, der in Mexiko den Verlag "El Libro libre" geleitet hatte. Carsten Wurm charakterisiert ihn in seiner kleinen Geschichte des Aufbau-Verlags so: ZITATOR "Janka war ein Mann der Tat, der sich durchzusetzen wusste. Im Aufbau-Verlag ließ er sogleich nach Amtsantritt das Notdach des Hauses ersetzen, eine Küche in der ersten Etage (...) einbauen und die ehemalige Kassenhalle der Bank zu einer Kantine umgestalten, wo die Mitarbeiter an weiß gedeckten Tischen speisen konnten." SPRECHER Gleich zu Beginn bekommt Janka, der 1954 die Leitung des Verlags übernimmt, Ärger mit Thomas Mann. Auf Weisung des Politbüros hat der Verlag Werke der Nobelpreisträger Thomas Mann und Hermann Hesse gedruckt - ohne Einwilligung der Rechteinhaber im Westen: Gottfried Bermann Fischer und Peter Suhrkamp. Die Sowjetunion, die die Berner Urheberrechtskonvention nicht unterzeichnet hat, verfährt schließlich ebenso. Thomas Mann ist, so gern er seine Werke gedruckt sehen will, nicht erfreut, schreibt seinem Verleger Fischer aber bald: ZITATOR "Kürzlich besuchten mich die Herren Janka und Prof. Hans Mayer und eröffneten mir, dass der Aufbau-Verlag zu Ehren meines achtzigsten Geburtstages eine Gesamtausgabe meiner Werke in zwölf Bänden plane. (...) Begreiflicherweise freue ich mich über diesen festlichen Plan, den der Aufbau-Verlag mit viel Sorgfalt betreuen wird, und Ihrer Zustimmung darf ich wohl sicher sein. (...) Ihr Thomas Mann" SPRECHER Walter Janka bereitet auch die Gründung einer Filiale in Hamburg vor, um die Spaltung des Buchmarkts überwinden zu können. Die Hamburger empfangen ihn mit offenen Armen, noch ist der Kontakt mit dem ideologischen Feind nicht tabuisiert. Nur das Politbüro spielt nicht mit. Ulbricht verweigert die Erlaubnis, schreibt Carsten Wurm in seiner Verlagsgeschichte, ZITATOR "mit der charakteristischen Begründung (...), man wolle keinen Präzedenzfall schaffen, der westdeutsche Verleger auf den Gedanken bringen könne, ihrerseits Filialen im Osten gründen zu wollen." MUSIK SPRECHER 70 Prozent der Verlagsproduktion stammt 1953 aus dem Russischen, bei westdeutschen Verlagen dominieren spiegelbildlich mit 50 Prozent Übersetzungen aus dem Englischen und Amerikanischen. Gogol, Turgenjew, Puschkin und Ostrowski ersparen Aufbau immerhin Reportagen über die Großbaustellen des Sozialismus, didaktische Romane über den unvermeidlichen Weg Deutschlands zum Sozialismus und fiktional verbrämte Anleitungen zur Gründung einer LPG. Auch Aufbau-Lyrik, Gedichte zum Aufbau des Sozialismus, gibt es bei Aufbau nicht. Dafür treten in der Liberalisierungsperiode nach dem Tod Stalins Ernest Hemingway, Jean-Paul Sartre, George Bernard Shaw, Alberto Moravia und Halldor Laxness neben die russischen Klassiker. Und natürlich fällt man, wie überall im Verlagswesen, krasse Fehlurteile. Erste Manuskripte von Franz Fühmann, Günter Kunert, Christa Reinig und Uwe Johnson werden abgelehnt. ZITATOR "... am 6. Dezember 1956 (..) wurde ich auf Befehl des Politbüros der SED im Aufbau-Verlag, Französischestraßen (sic!) 32, gegen 17 Uhr wegen 'Bildung einer konterrevolutionären Gruppe' verhaftet und mit einem Auto- Konvoi der Staatssicherheit zu Mielke nach Hohenschönhausen in seinen Keller gebracht." SPRECHER Walter Janka, sein stellvertretender Cheflektor Wolfgang Harich und ihre Mitstreiter erhalten nach aufsehenerregenden Schauprozessen lange Haftstrafen. Sie dachten nach dem 20. Parteitag der KPdSU und den Enthüllungen über Stalins Großen Terror über die Entstalinisierung der DDR nach. Der ungarische Aufstand macht der Partei Angst, die SED beendet die Phase des Aufbruchs. Jankas Nachfolger Klaus Gysi, der spätere Kulturminister der DDR und Vater des Politikers Gregor Gysi, bringt das Haus auf Linie. Der Verlag wird verstärkt vom Ministerium für Staatssicherheit überwacht. O-TON 10 GUNNAR CYNYBULK 28.03 Wenn man jetzt mal zwei antagonistische Figuren nimmt, Walter Janka und Klaus Gysi, der ihm nachgefolgt ist, kann man doch ganz gut ablesen, wie die kulturelle Entwicklung verlaufen ist und welchen Spielraum und welche Beinfreiheit Verlagsleiter haben konnten im Aufbau-Verlag und wo sie eingeschränkt worden sind oder sich selber eingeschränkt haben. Und 56 war natürlich das Wendejahr im gesamten sozialistischen Raum, und davon ist der Verlag auch nicht unberührt geblieben. Also Harich und Janka zu entfernen, Leute auf Linie zu bringen, zurückzupfeifen, freizustellen, und das dann eben auch durch einen Verlagsleiter durchsetzen zu lassen, dessen Nähe zur Politik viel größer war als zur Kunst, zu den Autoren und zu allem, was aufrecht und gut ist, das ist schon bezeichnend. SPRECHER Gysi wirft die westliche, moderne Literatur aus dem Programm. 1958 wird immerhin eine Taschenbuchreihe eingeführt, und als 1964 das Verlagswesen neu geordnet wird, kommt Ruetten & Loening zu Aufbau, was den Verlag zum größten belletristischen Unternehmen der DDR macht. Jeden Tag ein Buch, lautet der Slogan. 1962 avanciert die SED zum Treuhänder des Verlags für den Kulturbund, der fortan jährlich eine feste Summe erhält. Diese Konstruktion wird nach der Wende zu einem jahrelangen Prozess führen. Klaus Gysi aber empfiehlt sich durch seine politische Aufräumarbeit im Verlag: Er wird 1966 Kulturminister der DDR, um als "eiserner Besen" aufzuräumen mit vermeintlich dekadenten Tendenzen. O-TON 11 Ist es nicht ein wunderbarer Witz der Geschichte, dass das Buch seines Sohnes im Aufbau Verlag erscheint und jetzt lieferbar ist, Gregor Gysis und Friedrich Schorlemmers Buch lieferbar ist? Und das müssen Verlage eben aushalten, diese Dissonanzen, diese Schwierigkeiten, und man muss dann so selbstreferenziell sein, um es auch darzulegen und als Buch vorzuzeigen. SPRECHER Nach dem Bau des "Antifaschistischen Schutzwalls", der die DDR politisch und wirtschaftlich stabilisiert, entspannt sich die Situation allmählich. Aufbau darf wieder "bürgerliche" Literatur publizieren, linke Autoren aus der Bundesrepublik wie Alfred Andersch, Max von der Grün, Peter Härtling, Martin Walser und Gabriele Wohmann. Gedruckt wird insgeheim mehr als die mit den westlichen Lizenzgebern ausgehandelten Mengen - die so genannten "Plusauflagen". Nach und nach wächst Aufbau zum wichtigsten Verlag der DDR-Literatur heran. Das ist nicht unproblematisch: Kurt Bartsch, Franz Fühmann, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Karl Mickel, Irmtraud Morgner, Heiner Müller, Brigitte Reimann, Erwin Strittmatter - sie alle stehen loyal, aber kritisch zur DDR. Denn sie nehmen die Versprechungen des Staates ernst und vergleichen sie mit der Wirklichkeit. Das führt immer wieder zu Konflikten zwischen Autoren und Verlag, die der Historiker Carsten Wurm so beschreibt: ZITATOR ... viele Integrationsversuche endeten in kleinlichen Zensurkämpfen, in denen der Verlag nicht immer die beste Figur machte. Mancher Gedichtband scheiterte an wenigen Gedichten, so bei Günter Kunert und Reiner Kunze, ja gelegentlich, wie bei Paul Wiens, an einem einzigen. SPRECHER Die Autoren sind nicht machtlos. Weil in der Bundesrepublik das Interesse an der Literatur des anderen, nach dem Mauerbau unzugänglich gewordenen deutschen Landes wächst, drucken Luchterhand, Suhrkamp, Hanser und S. Fischer nicht selten, was in der DDR nicht oder nur mit Änderungen erscheinen kann. Die Autoren halten es so wie Brecht zwei Jahrzehnte zuvor. Brecht schloss erst mit Peter Suhrkamp und dann mit Aufbau ab und wurde fortan in beiden deutschen Staaten verlegt. Er trotzte der Zensur in dem einen Deutschland und dem Antikommunismus in dem anderen. In den 1970er Jahren tun es ihm die Kollegen nach. Ihre gewachsene Macht lässt Verhandlungen mit dem Aufbau- Verlag zuweilen wie Kleinkriege aussehen. Eine Lektorin erinnert sich nach 1989 etwas ungläubig der alten Zeiten: O-TON 12 Das will natürlich keiner zurückhaben. Manchmal stößt man auf alte Akten, alte Gutachten und kann sich selber gar nicht mehr reinversetzen in die Sprache damals .. haben musste, ZK und Kulturministerium, verständlich machen. Schlimme Zeiten nicht nur für den Verlag, v.a. auch für die Autoren, Publikation von Uwe Johnsons Texten in der DDR, das war sehr sehr schwierig. Ich weiß noch vom letzten Verlegerseminar im Herbst 88, wurde mir überliefert, dass Kurt Hager gesagt haben soll ... SPRECHER - Hager ist Chefideologe der SED und oberster Kulturverantwortlicher - O-TON 13 FORTS. ... dass Kurt Hager gesagt haben soll: Jetzt sollen wir den Scheiß von Uwe Johnson auch noch drucken (lacht), das ist das, was wir hinter uns haben und was auch gar nicht vergleichbar ist mit den jetzigen Zeiten. MUSIK SPRECHER Zuweilen werden aus Kleinkriegen richtige Kriege. Dann stampft man bereits gedruckte Bände ein und Autoren suchen Deckung. 1965 geißelt das 11. Plenum der SED "pornographische" und "kleinbürgerliche" Tendenzen. O-TON 13 A Sie dürfen doch nicht denken, dass wir uns als Partei und Arbeiterfunktionäre beschimpfen lassen... SPRECHER 1968 ruft der Staatsrat zum Kesseltreiben gegen alle Schriftsteller auf, die mit dem Prager Frühling sympathisieren. Immer wieder wehrt sich der Verlag, erzählt Programmleiter Gotthard Erler 1995, als Aufbau das 50. Jahr feiert. O-TON 14 (...) das könnte man also an sehr, sehr vielen weiteren Beispielen darstellen, weil eben das, was die Leute im Verlag, was wir unter Literatur verstanden haben, weiß Gott nicht immer in Einklang zu bringen war mit dem, was die Partei von der Literatur forderte. Und dadurch hat es sehr, sehr viele ärgerliche, peinliche und groteske Dinge gegeben. Wenn ich z.B. noch immer an die drei Punkte in der 3. Vorlesung von Christa Wolfs Kassandra denke. SPRECHER Erler meint die Frankfurter Poetik Vorlesungen "Voraussetzungen einer Erzählung: Kassandra". O-TON 15 Es war die Blamage richtig programmiert und vielleicht sogar ein bisschen von uns gesteuert, weil man ja gleichzeitig die Luchterhand-Ausgabe komplett haben konnte. ZITATORIN KASSANDRA-VORLESUNG 84F. "Die Oberkommandos der NATO und des Warschauer Pakts beraten über neue Rüstungsanstrengungen, um der angenommenen waffentechnischen Überlegenheit des jeweiligen 'Gegners' etwas Gleichwertiges entgegensetzen zu können. Die Einsicht, dass unser aller physische Existenz von den Verschiebungen im Wahndenken sehr kleiner Gruppen von Menschen abhängt, also vom Zufall, hebt natürlich die klassische Ästhetik endgültig aus ihren Angeln, ihren Halterungen, welche, letzten Endes, an den Gesetzen der Vernunft befestigt sind. An dem Glauben, dass es solche Gesetze gebe, weil es sie geben müsse. Eine tapfere, wenn auch bodenlose Anstrengung, zugleich der frei schwebenden Vernunft und sich selbst ein Obdach zu schaffen: in der Literatur." O-TON 16 "Oder wenn ich daran denke, dass auch Werke von toten Autoren aus dem 20. Jahrhundert wie Alfred Döblin oder Bert Brecht an bestimmten Punkten sehr, sehr schwer durchzusetzen war, weil da eine Stelle drin war, dann haben wir sicher ein paar Verluste hinnehmen müssen, aber haben mit List und Tücke so im Sinne von Heines Verleger Julius Campe mit List und Tücke auch manches durchgesetzt." SPRECHER Als Erich Honecker 1971 Ulbricht beerbt, schöpfen viele Hoffnung. Aufbau startet die Edition "Neue Texte". 270 Titel erscheinen zwischen 1971 und 1988, die ersten Bände stammen von Günter Kunert und Erwin Strittmatter, bald folgen Christa Wolf, Volker Braun, Elke Erb, Helga Königsdorf und viele mehr. Begehrt sind die Lizenzausgaben aus der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich. Doch 1976 löst Honecker eine Staatskrise aus. Er bürgert Wolf Biermann aus, als der Sänger und Lyriker für ein Konzert in Köln weilt. O-TON 17 (MUSIK) Biermann singt Exil SPRECHER Aufbau steckt sofort mitten in gefährlichen Auseinandersetzungen: Die Unterschriften von fünf Hausautoren - Volker Braun, Stephan Hermlin, Sarah Kirsch, Günter Kunert und Christa Wolf - stehen unter dem ersten Protestbrief. Das Jahrzehnt endet wie das vorige: Mit einer argwöhnischen Zensur, mit massiven Repressionen gegen Autoren, die nicht zu Hammer und Sichel kriechen, schließlich mit Dreijahresvisa für Schriftsteller, was Unliebsame außer Landes schafft. Die Verlagsarbeit leidet. Aufbau verliert Autoren, denn wer das Land verlassen hat, darf nicht mehr publiziert werden: Kurt Bartsch, Egon Günter, Uwe Kolbe, Joachim Seyppel, Bernd Wagner. In den 1980er Jahren gelingt es Verlagsleiter Elmar Faber, dieses Totschweigen von Ausgereisten im Fall von Sarah Kirsch und Günter Kunert zu brechen. Faber druckt auch ohne Erlaubnis Christoph Heins "Horns Ende", muss dann aber ein Jahr verhandeln, um den Roman 1986 endlich ausliefern zu können. Die Verlagsgeschichte in der DDR ist kein Ruhmesblatt, eher eine der peinlichen Verspätungen und Verhinderungen - und zugleich lässt sie staunen, wie viel Aufbau dennoch gelang. O-TON 18 Die Reiseerlaubnis liegt Ihnen vor ...(Geräusche) SPRECHER Die Verlagsgeschichte in der untergehenden DDR und der größeren Bundesrepublik ist erneut voller Krisen. Nun sind es ökonomische. Mehrmals gerät der Verlag an den Rand des Bankrotts. Anders als fast alle DDR-Unternehmen überlebt er, obwohl der Umsatz bald auf ein Drittel, etwa 6 Millionen DM, schrumpft. Die Leser lesen, was sie bisher nicht lesen konnten. Und bald nach der Vereinigung fehlt vielen dann das Geld für Bücher. Die Aufbau-Produktion des Jahres 1990 geht fast völlig unter, darunter die erste Übersetzung von Imre Kertész' epochalem "Roman eines Schicksallosen", erschienen unter dem Titel "Mensch ohne Schicksal". Aufbau braucht Bestseller und bekannte Namen. Strittmatter bleibt dem Verlag, ander als manche Kollegen, treu. ZITATOR "4. März (1990). Verleger Elmar Faber und seine Frau Renate zum Nachmittagskaffee. Zunächst allgemeines Gerede über das, was sich gesellschaftlich abspielt. (...) Alsdann entwickelt F. (Faber) seine Verleger-Zukunftspläne. Sie sind auch für uns wichtig. Er muss vierzig Leute aus dem Verlag entlassen, um ihn in etwa rentabel zu machen. Das wird ihm schwer werden. Er muss auf alle Fälle jene Autoren, die ihm hohe Auflagen mit ihren Büchern bringen, an den Verlag binden." SPRECHER Aus 180 Mitarbeitern werden 40. Aufbau wird ab Frühjahr 1990 von der Treuhandanstalt verwaltet, weil sich die PDS als Eigentümerin sieht und das Unternehmen in Volkseigentum überführen will. Strittmatter bleibt dem Verlag, anders als manche Kollegen, treu: ZITATOR "1. April (1992). Verleger Faber. Mit Handschlag vereinbart, dass Laden III zum 80. Geburtstag erscheint. In den nächsten Tagen werde ich mit der hoffentlich letzten Durchsicht fertig." SPRECHER Mit Erwin Strittmatter hat Faber ein glückliches Händchen. "Der Laden" ist ein Bestseller. Der Verlagskäufer, den Faber 1991 der Treuhandanstalt vorstellt, überzeugt dagegen nicht sofort. Dem Frankfurter Immobilienhändler Bernd F. Lunkewitz müssen noch drei Branchenkenner zur Seite gestellt werden, bevor die Treuhandanstalt einschlägt. O-TON 19 Ich habe den Verlag gekauft - für den Aufbau-Verlag 900.000, für den dazugehörigen Verlag Ruetten & Loening 100.000 bezahlt und, sofort noch mal 3 Millionen reingeschossen, damit die dringendsten Rechnungen bezahlt werden konnten. Das Investitionsvolumen war verabredet mit so etwa 10 Millionen. Das ist insgesamt 30 Millionen, aber Euro geworden! SPRECHER Bernd F. Lunkewitz verschweigt eine schöne Mitgift, die ihm aus Behördenschlamperei zuteil wurde. Die Treuhand will den Aufbau-Verlag ohne das Haus in der Französischen Straße verkaufen, es steht unter Eigentumsvorbehalt des Bundes. Doch sie trennt die Immobilie im Wert von 20 Millionen DM nicht ordnungsgemäß vom Unternehmen, so dass die neue GmbH das Haus gern übernimmt und sogleich an Lunkewitz' Immobilienfirma in Frankfurt a. M. weiterverkauft. Von dort muss die Treuhand es für 9 Millionen DM zurückkaufen. Lunkewitz übernimmt also den Verlag und gewinnt 8,1 Millionen DM. O-TON 20 Es hat ja nach der Wende niemand damit gerechnet, dass überhaupt ein Verlag der DDR das Gemetzel, was da stattgefunden hat, überlebt. Die Kollegen im Westen hatten im Grunde schon alle Autoren und alle Rechte aufgeteilt. Und dann kam frecherweise jemand, der noch nicht mal aus der Branche kommt, und gibt dem Aufbau-Verlag eine Basis, von der aus er seine Position behaupten und auf dem gesamtdeutschen Buchmarkt noch ausbauen kann. SPRECHER Von dem einstigen K-Gruppen-Mitglied und Immobilienbesitzer Lunkewitz ist das bittere Bonmot überliefert: ZITATOR Wie mache ich ein kleines Vermögen? Indem ich ein großes habe und einen Verlag kaufe. O-TON 21 Es ist nur noch nur ein Teil dessen, was es war, bevor ich den Aufbau-Verlag gekauft habe. (...) Es war vorher dreistellig, Millionen, jetzt ist es das nicht mehr. MUSIK SPRECHER Lunkewitz hat kulturelle Ambitionen und politische. Er kündigt an, die Suhrkamp-Kultur der alten Bundesrepublik durch eine unterhaltsamere Aufbau-Kultur abzulösen. Und er sieht den Verlag als Träger und Vermittler von DDR-Erfahrungen, die nach der Vereinigung sämtlich unter politischen Verdacht geraten sind. Als weiter Verluste auflaufen, entlässt Lunkewitz im Herbst 1992 den Verlagsleiter Elmar Faber, stoppt anspruchsvolle Projekte und verkleinert das Programm. O-TON 22 Ich habe im Jahre 92, nachdem ich den Verlag besser kennenlernte, selbst die Führung des Hauses übernommen, bin dann Verleger geworden, habe das sehr gerne gemacht. SPRECHER Lunkewitz hält sich bei verlegerischen Entscheidungen weitgehend zurück. Ein Gerücht will wissen, er habe Christa Wolf mit der Zigarre in der Hand empfohlen, endlich einen Krimi zu schreiben. Einige Autoren, darunter auch die Grande Dame der DDR-Literatur Christa Wolf, verlassen das Haus. Lunkewitz geht längst gerichtlich gegen die Treuhandanstalt vor. O-TON 23 Und zwar hatte der Verlag zu DDR-Zeiten Lizenzverstöße begangen, also nicht richtig abgerechnet. Das Problem tauchte an dem Tag auf, an dem die Treuhandanstalt mir den Verlag übergab. Ich habe daher versucht, dass diese Mittel, um die es da ging, das waren über 8 Millionen, nicht von der Treuhandanstalt bezahlt werden als Entschädigung, sondern aus dem Vermögen der SED, weil es hatte sich herausgestellt, dass die SED diese Gelder vereinnahmt hatte. Das hat die Treuhandanstalt abgelehnt und auch eine Unabhängige Kommission, die sich da mit diesem Zeug befasst hat. Ein Mitarbeiter der Kommission oder ein Mitarbeiter hat mir dann am Telefon gesagt, Herr Lunkewitz, selbst wenn ich wollte, ich könnte das nicht aus diesen Mitteln der SED zahlen, denn der Aufbau Verlag, den sie jetzt betreiben, der ist eine vermögenslose Hülle. Der ist nicht Rechtsnachfolger des Aufbau-Verlags der DDR. Dieser Aufbau-Verlag gehört immer noch dem Kulturbund. Jetzt können sie sich vorstellen, was da los ist. Ich bin zur Treuhandanstalt gegangen, hab das gesagt, die haben gesagt, das stimmt nicht. Ich bin zur Unabhängigen Kommission, das ist beim Innenministerium gewesen, die haben gesagt, doch es stimmt, wir können dir nichts geben. Ich bin in dieses Räderwerk reingekommen. Dann habe ich, das ist jetzt genau 20 Jahre her, ne Klage eingereicht gegen die Treuhandanstalt, und dann bei den Berliner Gerichten erlebt, was in diesem Rechtssystem auch alles möglich ist. Die Berliner Gerichte sind, das merkt man dort bei Klagen gegen den Staat, sehr dicht am Moskauer Stadtgericht. Ich werfe nicht nur den Gerichten, sondern eben auch der Bundesregierung vor, dass die Treuhandanstalt eine in Teilen kriminelle Vereinigung gewesen ist. Ich bezeichne auch die Leute, die damit zu tun hatten, als Betrüger, Urkundenfälscher und sonstwas. SPRECHER Lunkewitz kauft den Verlag ein zweites Mal, nun vom Kulturbund, und klagt gegen die Treuhandanstalt bis zur letzten Instanz. Der Gustav Kiepenheuer Verlag und die Sammlung Dieterich werden 1994 Teil der Aufbau-Gruppe, die in leichtere Gefilde steuert. "Die Päpstin" von Donna Woolfolk Cross ist ein großer Erfolg, ein deutscher Unterhaltungsautor wie Kai Meyer erweist sich als Longseller. Erfolgreich ist Aufbau auch bei zeitgeschichtlichen Sachbüchern, vor allem zum Nationalsozialismus und der DDR. Eine Entdeckung sind die Aufzeichnungen des jüdischen Romanisten Victor Klemperer, der den Nationalsozialismus mit seiner Frau knapp überlebt hat. Die Belletristik aber lahmt. Neben Lion Feuchtwanger und Hans Fallada fehlen überzeugende Gegenwartsautoren. Aufbau mangelt es an klaren Programmkonturen. Große Romane über die DDR, etwa Uwe Tellkamps "Der Turm", erscheinen nicht bei Aufbau. O-TON 24 Mir war das Programm nicht klar, da musste ich mich einarbeiten, da war ich etwas überrascht auch über den hohen Unterhaltungsanteil. Ich hatte erwartet, dass da mehr, wie es vielleicht früher war, ein höherer Anteil an anspruchsvollerer Literatur im Programm gewesen wäre. SPRECHER Matthias Koch kennt den Verlag aus seiner Berliner Studienzeit. 2008 sieht er ihn sich genauer an. Die Geschäftsführer Tom Erben und René Strien haben die Insolvenz erklärt, nachdem Bernd F. Lunkewitz dem Haus plötzlich die finanzielle Unterstützung entzogen hat. O-TON 25 In einem ganz langen Prozesszyklus, der 2008 mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs endete, kam das Ergebnis ... nämlich: Der Aufbau-Verlag gehörte bis über die Wende hinaus dem Kulturbund. Gottseidank hatte ich vom Kulturbund vorausschauend diese Rechte gekauft, also am Aufbau-Verlag, nachdem die Treuhandanstalt sich geweigert hatte, das zu tun. Damit war in 2008 klar, dass die GmbH, die in Berlin saß und 70 Mitarbeiter hatte, vermögenslos war und deshalb Konkurs anmelden musste. So. Deshalb bin ich beim Aufbau-Verlag ausgestiegen. SPRECHER Sieben Jahre später, 2015, findet Lunkewitz die von ihm erzwungene Insolvenz durchweg lobenswert. O-TON 26 Ich habe das aber auf eine Art gemacht, die sicherstellt, dass der Aufbau-Verlag als Betrieb das Ganze überlebt. Ich habe also, wenn Sie so wollen, wie in dem Stück "Der kaukasische Kreidekreis", als das Gezerre losging, so wie die Grusche das Kind, so habe ich den Aufbau-Verlag losgelassen, damit er nicht zerstört wird. Und deshalb bin ich, was .. das Überleben des Aufbau-Verlags angeht, letztendlich auch erfolgreich gewesen. Den Aufbau Verlag gibt es noch, er macht noch immer hervorragende Bücher (...). Aber dass es ihn überhaupt noch gibt, war sowieso in der Zeit nach der Wende mein Verdienst, und dass es ihn heute noch gibt, war auch mein Verdienst. SPRECHER Einige Verlagskonzerne interessieren sich für die profitablen Bereiche des insolventen Hauses. Dem Insolvenzverwalter gelingt es, einen Käufer für die ganze Gruppe zu finden: das Ehepaar Matthias und Ingrid Koch, Lehrer im Ruhestand aus Nordrhein-Westfalen mit Immobilienbesitz. Gemeinsam mit Modulor, einem Kaufhaus für Künstler- und Architektenbedarf, bereiten sie gerade in Berlin Gründung und Bau eines Kreativhauses vor. O-TON 27 Wir waren in den Verhandlungen mit Modulor über die Nutzung des Gebäudes, mit Architekten, und da kam eben die Nachricht von der Insolvenz, wir waren auch auf der Suche nach einem Verlag, wollten aber später einen Verlag erwerben oder uns beteiligen, und dann mussten wir uns aber kurzfristig entscheiden. Glücklich war es insofern, als wir den Aufbau- Verlag kannten, durch unser Studium auch in West-Berlin und auch durch Verwandtenbesuche und Buchgeschenke aus der DDR, so dass wir es sehr gern gemacht haben mit dem Aufbau- Verlag, aber es kam eigentlich zur Unzeit, weil ich auf einmal zwei große Projekte nebeneinander hatte und schon mit einem gut ausgelastet gewesen wäre. SPRECHER Matthias Koch und seine Frau sind sehr viel bodenständiger als Bernd F. Lunkewitz. Aber alle drei eint das Bemühen, das Vermächtnis der DDR nicht untergehen zu lassen. O-TON 28 Ich wollte eben ja damals vermeiden, dass sozusagen der Verlag zerschlagen wird. Das heißt, dass das ganze Wissen, was auch über die DDR dort bei den Lektoren angesammelt ist, dass das verloren geht. Dass man keine Bücher mehr machen kann, die sich mit der Geschichte der DDR befassen, die Literatur aus der DDR verlegen, die überhaupt in der Lage sind, das zu begreifen. SPRECHER Auch Matthias Koch kennt den Slogan vom Suhrkamp des Ostens. O-TON 29 Die Parole ist natürlich: Es muss eben aus dem Suhrkamp des Ostens ein Suhrkamp der Berliner Republik werden. Wir müssen ein gesamtdeutscher Verlag werden, der die Gegenwart und die Entwicklung der Berliner Republik kritisch begleitet. Mit unterhaltsamen, aber auch inhaltlich relevanten Stoffen und mit einer Sprache, die weiterentwickelt werden muss. Und natürlich war ein zweites und drittes Ziel die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Exilliteratur zu bewahren und eben auch die Auseinandersetzung mit der DDR-Literatur, die kritischen Autoren, wir haben ja Schorlemmer, wir haben Gysi als Autoren gewonnen. Es ging darum zu verhindern, dass das alles wegbricht. MUSIK SPRECHER Mit den Umstrukturierungen lässt sich Koch erst einmal Zeit. Er vertraut den von Lunkewitz eingesetzten Geschäftsführern Tom Erben und René Strien, die den Verlag durch die Insolvenz gesteuert haben, weiter. Die Klassiker-Editionen werden eingestellt, Zukäufe sollen die Wirtschaftlichkeit erhöhen. Der Kauf des bankrotten Eichborn Verlags scheitert jedoch, nur der vornehmste Teil des Eichbornschen Gemischtwarenladens, die von Hans Magnus Enzensberger und Franz Greno gegründete "Andere Bibliothek", zieht mit ihrem Herausgeber Christian Döring nach Berlin. Den Zuschlag erhält Koch beim Heidelberger Kunstbuchverlag Edition Braus, dessen Profil gar nicht zu Aufbau passen will, und bei Blumenbar aus München. Einen weiteren Verlag, Metrolit, gründet er selbst und gliedert ihm ein Imprint namens Graf & Walde an. Das sind gleich zwei oder, zählt man das Imprint mit, drei kleine Häuser für freche junge Literatur. O-TON 30 KOCH 19.55 Dass nun beides erfolgreich ist, freut mich einerseits, bringt mich jetzt aber andererseits tatsächlich in gewisse Schwierigkeiten. Wir arbeiten ja daran insgesamt, die Profile dieser Verlage und dieser Marken zu stärken und weiterzuentwickeln, und da werden wir uns auch überlegen müssen, wie wir mit Metrolit und Blumenbar weiter umgehen, ... damit man sich da nicht gegenseitig Konkurrenz macht. SPRECHER Der immerhin 70-jährige Verlagsinhaber und seine Familie wollen sich langfristig engagieren. Eine Tochter arbeitet bereits im Aufbau-Haus. Das große, viergeschossige Gebäude liegt in Berlin-Kreuzberg, also im Westen der Stadt, in Sichtweite der ehemaligen Grenze. Neben den Verlagen der Gruppe und Modulor, dem Kaufhaus für Künstler und Architekten, beherbergt es eine Buchhandlung, Galerien, Theater, eine Design-Akademie, Restaurants und andere kulturelle Einrichtungen. Sie sollen sich gegenseitig befruchten. Das Kreativhaus wirkt deutlich gegenwärtiger als der Verlag, unter dessen Namen es firmiert. Das kann sich ja noch ändern. Matthias Koch glaubt jedenfalls, dass Verlage die Digitalisierung nicht verschlafen dürfen. Aufbau soll im digitalen Bereich wachsen, und weil dort die Preise niedriger sind, beunruhigt ihn ein vergleichsweise niedriger Umsatz nicht. O-TON 31 KOCH 24.56 Wir hatten mal gedacht, wir brauchen ungefähr 30 Millionen Umsatz, um überhaupt rentabel zu sein, inzwischen hoffe ich, dass wir das auch mit weniger schaffen. SPRECHER Noch immer fehlen Aufbau anspruchsvolle Autoren. Für die Suche nach ihnen scheint Gunnar Cynybulk freie Hand vom Eigentümer bekommen zu haben. Er setzt auf ästhetische, nicht auf sekundäre Kriterien: O-TON 32 GUNNAR CYNYBULK 33.00 Ein Trend ist ein sekundäres Argument, (...) Prominenz ist ein sekundäres Argument. Das sind alles wichtige Argumente, die auch in Verlagsteilen sehr, sehr relevant sind, im Unterhaltungsbereich zum Beispiel. Aber für die Literatur ist das sekundär. Da zählt wirklich die Qualität des Textes, der Geschichte, die Unterhaltsamkeit, die Kohärenz, der Klang, und das, was unerhört ist, das was noch keiner gesagt hat. Und das zu suchen, ist auch am Schönsten. Wir finden es nur selten. Das Programm des Verlages muss sich verjüngen, wir versuchen, die Klassiker von morgen zu finden. SPRECHER Damit taucht nach der aus den letzten Jahrzehnten bekannten Anknüpfung an Vergangenes erstmals das Künftige, das Neue in der Selbstbeschreibung des Verlages auf. Das macht Hoffnung - auch wenn der für Belletristik verantwortliche Verlagsleiter Gunnar Cynybulk das Neue im Stil des Hauses als das gute Alte umschreibt: als "Klassiker von morgen". Zu ihren Lebzeiten sind, das macht die Sache nicht unproblematisch, die künftigen Klassiker ja nicht immer erkannt, zuweilen gar missachtet worden. Macht nichts. Aufbau ist notwendig, damals so sehr wie heute. Wir gratulieren. MUSIK FREI 32