COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Länderreport / 17.1.2011 Wieder Bock auf Schule?! Wie Berlin-Neukölln seine Schulschwänzer zurückholen will Autor: Adalbert Siniawski Red.: C. Perez Pressetext / Anmoderationsvorschlag Sie streunen lieber durch Einkaufszentren, hängen in Parks herum oder treffen sich bei Freunden - nur in die Schule gehen sie nicht: Die Schulschwänzer bereiten Berlin Kopfzerbrechen. Allein im Stadtteil Neukölln gibt es Hunderte sogenannte schuldistanzierte Jugendliche, die ihren Schulabschluss durch monatelanges Fehlen aufs Spiel setzen. Der Bezirk geht mit Bußgeldern und Polizeigeleit gegen die Null- Bock-Mentalität vor. Doch neben Abschreckung gibt es auch individuelle Hilfe. Wenn Lehrer nicht mehr weiter wissen, kümmern sich Sozialarbeiter der freien Jugendhilfe intensiv um die Blaumacher und holen deren Eltern mit ins Boot - wie beim Projekt "Die 2. Chance". Die Schulen arbeiten eng mit der Beratungsstelle "13 Plus" vom Jugendamt zusammen und wollen selbst attraktiver werden. Und für die schweren Fälle gibt es in Neukölln ein bundesweit einmaliges "Schulschwänzerinternat" mit Minimalunterricht, straffen Regeln und Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Atmo 1 Küche "Wir machen Pizzabacken. Wir rollen den Teig für Pizza. Dann, wenn er fertig ist, kann man ihn essen." Sprecher 1 Hochbetrieb in der Lehrküche der Neuköllner Adolf-Reichwein-Schule. Zehn Kinder wirbeln um die meterlange Arbeitsfläche: legen Teig auf ein Backblech, schnibbeln Gemüse und decken den Esstisch. Es sind Jungs und Mädchen aus der siebten bis neunten Klasse, viele mit Migrationshintergrund, einige sind deutsch, so wie Verena. Die schmächtige 13-Jährige blickt schüchtern aufs Schneidebrett, während sie Tomaten für die Pizza zerkleinert. Atmo 2 Schneiden O-Ton 1 Verena "Mir macht alles davon Spaß, außer jetzt dieses Abwaschen und so, das mag ich nicht so, aber kochen macht uns meistens Spaß." Sprecher 2 Verena und ihre Mitschüler gehören zu einer auserwählten Gruppe an der Sonderschule: sie nehmen Teil am Hilfsprojekt "2. Chance" für Schulverweigerer. In ihrer Vergangenheit haben sie tage- und wochenlang geschwänzt oder den Unterricht massiv gestört ? so sehr, dass ihr Schulabschluss gefährdet ist. Die "2. Chance" will sie wieder an die Schule heranführen, ihre sozialen Kompetenzen aufbauen und die Aussichten auf einen Abschluss verbessern. O-Ton 2 Verena "Ich bin ein, zwei Tage hingegangen und dann bin ich halt meistens nicht hingegangen, weil ich wurde immer geärgert und geschlagen, und der Lehrerin, der war es ganz egal. Also meine Mama, sie hat's immer versucht, mich hinzubringen, aber ich hab immer nein gesagt und hab meistens rumgemeckert, dass ich nicht will. Ich war zu Hause und hab' Fernsehen geguckt." Sprecher 3 Verena wechselte an die Adolf-Reichwein-Schule und wird nun dort von Pädagogin Stephanie Keck und ihren fünf Kollegen betreut. O-Ton 3 Keck "Wenn Verena nicht in der Klasse war, bin ich am Anfang jedes Mal gleich nach Hause gefahren und die Mutter war sehr offen, wollte die Hilfe wirklich haben und in der Zusammenarbeit mit der Mutter und dem Lehrer haben wir's wirklich geschafft, Verena hier wieder in die Schule zu bekommen. Man sieht: sie ist in der Klasse gut aufgehoben, sie hat Freunde, sie lernt es in der Arbeit mit uns, Konflikte konstruktiv anzugehen." Sprecher 4 Nicht nur beim gemeinsamen Kochkurs, Theaterspiel oder Ausflug am Nachmittag, sondern vor allem in den Klassen, wenn "2.Chance"-Mitarbeiter ihre Schüler im Unterricht begleiten. Die Betreuer bleiben dicht dran: Sie kontrollieren morgens die Anwesenheit der Schüler. Die Eltern müssen regelmäßig zum Gespräch erscheinen ? über Fehlzeiten, Probleme aber auch Erfolge. O-Ton 4 Keck "Bei Verena hat sich die Arbeit gelohnt. Das war ein unheimlicher Zeitaufwand, den wir in das Mädchen investiert haben, aber: sie macht ihren Weg und sie öffnet sich immer mehr. Es ist wirklich schön sie anzusehen so." Atmo 1 Küche / Atmo 2 Schneiden weg Sprecher 5 Seit 2007 ist die "2. Chance" an der Schule, weil sie mit einer Fehlquote von bis zu 17 Prozent einen Spitzenwert in Berlin erreichte. An drei weiteren Schulen in Neukölln gibt es ebenfalls die "2. Chance". Es ist eine deutschlandweite Initiative des Bundesfamilienministeriums. Sie wird mit rund 80 Mio. Euro aus dem Europäischen Sozialfonds finanziert. Die Arbeit vor Ort leisten freie Träger der Jugendhilfe, an der Adolf-Reichwein-Schule sind es Mitarbeiter von "Lebenswelt". Wie geholfen wird, besprechen sie mittwochs auf ihrer Teamsitzung. Denn Projektkoordinatorin Dafina Sejdijaj kann ganz unterschiedliche Ursachen für das Schwänzen nennen: Atmo 3 Teamsitzung O-Ton 5 Sejdijaj "Einige, weil sie sich für die Inhalte nicht interessieren, andere, weil sie überhaupt keine Perspektive sehen, andere haben nie vermittelt bekommen, dass Schule wichtig sein könnte. Und das würde ich auch nicht unterteilen in Volksgruppen oder Schichten oder so, weil ich glaube, es hängt sehr, sehr mit der individuellen Geschichte eines jeden Schülers zusammen." Sprecher 6 Sprich: Schuleschwänzen ist nicht nur ein Problem der Migranten oder sozial Schwachen ? auch wenn viele von ihnen damit zu kämpfen haben. Kommen Schüler im Unterricht nicht mit, werden sie gemobbt, lassen sie sich vom dominanten Gehabe anstecken, in eine Scheinwelt aus Partys und Unverbindlichkeiten führen, haben sie keine arbeitenden Vorbilder oder sind sie von den Eltern alleingelassen ? dann steigt die Wahrscheinlichkeit zum Blaumachen. In schwierigen Fällen ist auch die 2.Chance vertan. O-Ton 6 Sejdijaj "Wir erreichen auf jeden Fall bei einem Drittel gute Erfolge, ein Drittel ist eher so, dass wir denken, wir bewahren die vorm Absturz und ein Drittel erreichen wir nicht." Sprecher 7 Das könnte daran liegen, dass die Förderung in der Regel auf ein Jahr begrenzt ist. Viel zu kurz, um Vertrauen bei Schülern und Eltern aufzubauen, sie individuell zu fördern und zum Schulbesuch zu motivieren, sagt Sejdijaj. Außerdem richtet sich das Projekt an Kinder ab 12 Jahren ? dabei müsste die Hilfe früher ansetzen. O-Ton 7 Sejdijaj "Es ist besser spät zu helfen als nicht. Aber ich fände es wichtig, wenn in den Schulen selbst, von den Schulleitungen, von dem Lehrerkollegium aber auch von der Senatsebene ein Bewusstsein dafür entstünde, wie wichtig es ist, präventiv zu arbeiten." Atmo 3 Teamsitzung weg Rap-Song 1 Sido "Schule" "Ich hab' so oft geschwänzt und war nie richtig im Unterricht. Doch wenn ich mal da war, war ich der, der die Stunde unterbricht. Wir durften nur gehorchen, ab und zu was vorschlagen. Die Lehrer mussten ja immer das letzte Wort haben ... " Rap-Song ausblenden Zitat-Collage Zitat 1: "Schlechte Noten für Berlins Schulpolitik: Die Hauptstadt belegt im Vergleich der Bildungssysteme der Bundesländer den letzten Platz. Vor allem im Bereich der Integration bestehe erheblicher Verbesserungsbedarf, teilte die Initiative Soziale Marktwirtschaft mit ... " Zitat 2: " ... Doch die eigentliche Agenda war nicht so leicht abzuarbeiten, denn es zeigte sich, dass viele Berliner Hauptschulen längst zu Resteschulen verkommen waren, und dass dieser aufgegebene Rest der Schüler zum großen Teil aus Migrantenkindern bestand, die die deutsche Sprache nicht beherrschten ... " Zitat 3: " ... In einem dramatischen Hilferuf hatte die Leiterin der Rütli-Schule zuvor an die Behörden appelliert, ihre in Gewalt versinkende Schule zumindest in der bisherigen Form aufzulösen. Die Stimmung sei geprägt von 'Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz den Erwachsenen gegenüber'. Türen würden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht und Knallkörper gezündet." Sprecher 8 Die Arbeitslosigkeit in Neukölln liegt bei 17 Prozent. Mehr als die Hälfte der Schüler bekommt die Bücher von den Behörden bezahlt, weil die Eltern auf Hartz-IV, Wohngeld oder Sozialhilfe angewiesen sind. Im Schnitt stammen 60 Prozent der Schüler in der Mittelstufe aus Migrantenfamilien. Pro Jahr geht jeder zehnte Jugendliche ohne Abschluss von der Schule. O-Ton 8 Giffey "Es ist ein völlig legitimer Wunsch der Gesellschaft, dass alle unsere Kinder eine Schulbildung bekommen, und die Eltern haben dafür zu sorgen, dass dies passiert." Sprecher 9 Sagt Franziska Giffey, als Bezirksstadträtin verantwortlich für Bildung und Schule in Neukölln. O-Ton 9 Giffey "Und wenn sie nicht dafür sorgen, dann muss die Gesellschaft das einfordern können ? auch mit einem bestimmten Druckmittel, wenn unsere weichen Maßnahmen der Schulsozialarbeit nicht funktionieren. Natürlich machen wir Angebote. Aber es gibt Fälle, wo das alles nicht greift. Und dann muss man sich über andere Wege Gedanken machen. Und die sind am Geldbeutel." Sprecher 10 Giffey und der prominente Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky schrecken vor harten Methoden nicht zurück. Immerhin gibt es unter den etwa 28.000 Neuköllner Schülern pro Jahr etwa 700 Dauerschwänzer ? neben Tausenden, die hier und da mal unentschuldigt fehlen. Bei den Langzeitfällen greift ein abgestimmtes Verfahren: Sind Schüler und Eltern nicht zu erreichen, stellt die Schule nach zehn Tagen Abwesenheit eine Versäumnisanzeige an den Bezirk. Laufen erneute Kontaktversuche ins Leere, leitet der Bezirk ein Bußgeldverfahren ein. Rund 350 waren es im vergangenen Jahr. Seltener als in den Jahren zuvor hat die Polizei die Schwänzer in die Schule gebracht ? denn dieses Mittel wirkt nicht immer. O-Ton 10 Giffey "Es ist eine Menge Aufsehen: Das Polizeiauto fährt vor, das Kind wird abgegeben und für viele ist es genau der Gegenteileffekt: 'O cool, ich werde mit der Polizei zur Schule gebracht, guckt mal hier!' Und das ist das, was wir ja gerade nicht erreichen wollen. Und natürlich haben sie keine Handhabe, wenn das Kind in die Schule gebracht wird: Bleibt es dann auch dort?" Sprecher 11 Deshalb sei die Arbeit von Erziehern und Sozialpädagogen in den Schulstationen, der Schulsozialarbeit und Hilfsprojekten wichtig. Das heißt: Die freien Träger der Jugendhilfe müssen da einspringen, wo die staatlichen Bildungseinrichtungen an ihre Grenzen stoßen. O-Ton 11 Giffey "Schulen müssen sich öffnen ein Stück weit und sagen: Wir arbeiten mit Lesepaten zusammen, wir arbeiten mit Mentoren zusammen, mit engagierten Bürgern, mit freien Trägern, mit Musikangeboten hier auch von der Musikschule beispielsweise. Es geht hier nicht darum, dass man Aufgaben abwälzt auf freie Träger. Es geht einfach darum zu sagen: Wir packen die großen Herausforderungen vor denen wir stehen gemeinsam an. Schule in ihrer ursprünglichen Form und Konzeption wird diese Aufgaben in Zukunft nicht alleine bewältigen können." Rap-Song 2 Sido "Schule" "Gebt mir ne Perspektive, fördert doch mein Talent. Ich bin im Klassenzimmer fast immer eingepennt. Und die reden von fehlendem Respekt, doch uns fehlt ein Dreck', die lassen uns einfach häng' ... " Rap-Song ausblenden Atmo 4 Baugeräusche Sprecher 12 An der Liebig-Schule entsteht ein modernes, zweistöckiges Gebäude aus Stein und Glas ? ein Hingucker inmitten der Neuköllner Gropiusstadt mit ihren tristen Plattenbauten. Schulleiter Reinald Fischer ist froh, dass er bald mehr Platz hat für seine Sieben- bis Zehntklässler. Im Herbst 2010 wurde seine Haupt- und Realschule im Zuge der Berliner Schulstrukturreform zur sogenannten Integrierten Sekundarschule zusammengefasst und auf Ganztagsbetrieb umgestellt. Am Nachmittag besuchen die Liebig-Schüler Sport-, Hip-Hop- oder Breakdance-Kurse und können künftig im neuen Mehrzweckgebäude eine Mahlzeit zu sich nehmen. O-Ton 13 Fischer "Letztlich war es schon entscheidend für uns, hier ein Angebot neben dem Unterricht zu machen, das die Schule interessanter und attraktiver machen soll für die Schüler, dass sie gerne in die Schule kommen und auch Neigungen und Interessen verfolgen können, wenn sie eben keinen selbst gewählten Freizeitinteressen nachgehen können ? sei es aus familiären Gründen, aus finanziellen Gründen oder welchen auch immer." Sprecher 14 Die Nachmittagskurse übernehmen Honorarkräfte, zum Beispiel von freien Trägern oder dem Sportverein um die Ecke. Ohne die Kooperationen könnte die Liebig- Schule die Anforderungen an die Integrierten Sekundarschulen nicht erfüllen. Denn überall fehlen Geld und Personal. Der 3,5 Mio. Euro teure Neubau konnte nur Dank des Bundeskonjunkturpakets finanziert werden. In anderen Gebäudeteilen bröckeln die Wände und zeugen vom jahrelangen Sanierungsstau. Auch die Schulsozialarbeit läuft auf Sparflamme: Es gibt nur eine Sozialarbeiter-Stelle für 630 Schüler ? obwohl regelmäßig etwa 100 Jugendliche schwänzen. O-Ton 14 Fischer "Da auch die Reformen in der Schule in den letzten Jahren sehr intensiv waren und sehr vielfältig waren und sich sehr viel verändert hat, weiß man nicht immer, wo es hingeht, und auch die Ressourcen, die man hat als Schule, sind für mich unzureichend. Da wäre mehr notwendig, um erfolgreicher Arbeiten zu können, weil diese Beratungstätigkeit sehr zeitintensiv ist, und diese Zeit hat ein Lehrer nicht, wenn er sieben bis acht Stunden am Tag unterrichten muss." Atmo 4 Baugeräusche weg Sprecher 15 Dennoch hat die Liebig-Schule vor knapp einem Jahr ein 3-Stufen-Verfahren gegen Schuldistanz eingeführt. Kommt der Lehrer nicht weiter, übernimmt die Sozialarbeiterin den Fall. Hat auch sie keinen Erfolg, schaltet sie "13 Plus" ein. Diese Beratungsstelle im Neuköllner Jugendamt ist eine spezielle Einheit für Dauerschwänzer ab 13 Jahren, die besonders anfällig fürs Blaumachen sind, bei denen aber noch Zeit bleibt, das Ruder herumzureißen. Das besondere: "13 Plus" hat alle Befugnisse des Jugendamtes und kann die Schüler sogar vor dem Familiengericht vertreten. Die Mitarbeiter berufen eine Fallkonferenz ein, an dem sich Jugendamt, Psychologen, Klassenlehrer und Sozialarbeiter beteiligen. Sie entscheiden, wie geholfen wird: Klassenwechsel, Schulwechsel oder Teilnahme an Hilfsprogrammen wie "2. Chance". Häufig stehen auch die Probleme im Elternhaus im Weg. Davon kann die 15-Jährige Carolin erzählen, die mit ihrem Kurzhaarschnitt, der Base-Cap und einer Lederjacke jungenhaft wirkt. Caro besucht die 9. Klasse von Lehrerin Barbara Lütkecosmann ? meistens jedenfalls. O-Ton 15 Caro "Es lief zu Hause nicht so wirklich. Mit meinem Stiefvater, gab's halt ein bisschen Stress. Er kam besoffen nach Hause hat dann wieder rumgeschrien, meine Mutter meistens geschlagen. Es ging halt fast jeden Tag so." O-Ton 16 Lütkecosmann "Immer mehr Probleme, also gesellschaftliche Probleme, werden in die Schule verlagert, also Erziehungsprobleme. Und ich hab mir jetzt angewöhnt, einfach zu sagen: Schrittchen für Schrittchen, einen Schüler nach dem anderen abarbeiten. Also ich versuche immer, das Wochenende rauszuhalten aus der Arbeit, sonst geht's nicht mehr aus dem Kopf raus." O-Ton 17 Caro "Sie hat meistens mit meiner Mutter geredet, hat Termine gemacht, dann mussten wir uns in der Schule treffen, reden, was los ist, wie's weitergehen soll. Jugendamt kam dann noch mit dazu, ja Versäumnisanzeigen und so alles." O-Ton 18 Lütkecosmann "Und wir haben Schrittchen für Schrittchen versucht, Caro dazu zu bringen, regelmäßig zur Schule zu kommen, mitzuarbeiten, ihre Hausaufgaben zu machen und das hat auch sehr gut geklappt im letzten Schuljahr. Und sie hat dann ein gutes Zeugnis bekommen ? also die ganzen Schwänzerei vorher wurden nicht berücksichtigt." O-Ton 19 Caro links "Dann bin ich zum Jugendamt gegangen und da haben die mir das vorgeschlagen, in so ein betreutes Wohnen zu gehen. Das ist in so 'ner Gruppe, also bis 5 Leute, die dann da auch wohnen." O-Ton 20 Lütkecosmann "Wir haben dann mit der Familienhelferin zusammen immer kleine Vereinbarungen schriftlich festgelegt. Also: 'Caro erklärt sich bereit, die nächste Woche regelmäßig zu Schule zu kommen'. So, es wurde aber nicht gesagt, was ist regelmäßig? Also wenn sie eine Stunde zu spät kam, war die Vereinbarung noch nicht gleich hinfällig." O-Ton 21 Caro links "Jetzt bin ich dabei, wieder regelmäßig zur Schule zu gehen. Aber es gibt Stunden, wo ich so fehle. Also keine Tage mehr, aber Stunden. Also das ist noch nicht besser geworden. Also schon, aber es ist halt noch da, mit dem Schwänzen. Ich find' Schule allgemein nicht gut. Das ist eher ein Muss, ja, du musst zur Schule gehen, aber Spaß oder große Lust dazu habe ich nicht wirklich." O-Ton 22 Lütkecosmann "Es ist eine schwere Arbeit, aber ich denke mir: Jeder Schüler, der wieder in die Schule zurückkommt, der ist es wert." Rap-Song 3 Sido "Schule" "Ich fand' die Schule beschissen, hab' auf die Schule geschissen, bin sitzengeblieben und wurde von der Schule geschmissen. Ich hab' nie aufgepasst. Guck', es hat mir nix ausgemacht. Und trotzdem bin ich oben, Canim, seht, ich hab' es rauf geschafft ... ." Rap-Song ausblenden O-Ton 23 Goldner "Momentan stehen wir in einem Wohnzimmer, da haben wir halt einen Fernseher, eine Stereoanlage, mehrere Sofas und Sessel, dass wir für unsere acht Bewohner Platz haben. Wir sitzen da zusammen und spielen, oder wir unterhalten uns oder wir gucken gemeinsam Fernsehen." Sprecher 16 Kai Goldner führt durch die Räume des bundesweit ersten Internats für Schulschwänzer. Er leitet stellvertretend ein Team aus drei festen Betreuern im Schul-Wohn-Projekt "Leben und Lernen am Buckower Damm", wie das Internat offiziell heißt. O-Ton 24 Goldner "Hier nebenan haben wir schon eines unserer vier Doppelzimmer. Es sind immer zwei Leute in einem Zimmer. Da stehen halt zwei große Schreibtische mit Stühlen, zwei Betten, zwei Schränke ? eigentlich alles, was man braucht, um die Hausaufgaben machen zu können, um die Woche hier leben zu können." Sprecher 17 Das Internat ist auf einer Etage in einem ehemaligen Kinderheim untergebracht und wirkt eher wie eine große Wohnung. Das Land Berlin und das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk als freier Träger haben hier Ende 2009 einen Platz für schwierige Fälle von Schuldistanz eingerichtet. Einige der acht Jugendlichen sind von Anfang an dort, andere erst seit einem halben Jahr. Sie sind zwischen 13 und 16 Jahre alt, Migrantenkinder und Deutsche, außer einem Mädchen alles Jungs. Sie gehen wieder zur Schule und wohnen unter einem Dach ? die Einrichtung bietet Bildung und Erziehung in einem. O-Ton 25 Goldner "Das Ziel ist, dass die Jugendlichen, die hier wohnen, den bestmöglichen Schulabschluss erreichen. Und im Anschluss daran, dass man eine Struktur hat, dass man weiß, man steht früh alleine auf, geht alleine zur Schule, findet den Weg dahin, bleibt dann so lange, wie es erforderlich ist und geht dann erst wieder, macht dann seine Hausaufgaben selbstständig." Sprecher 18 Deswegen ist der Tag fest durchgeplant. 6 Uhr 30: Wecken, sich frisch machen, Frühstück. Um 8 Uhr geht's zur Schule ? anfangs in Begleitung eines Betreuers. Gegen Mittag: Rückkehr ins Internat, gemeinsames Essenkochen, Hausaufgaben erledigen. Zwischen 15 bis 18 Uhr ist Zeit für Aktivitäten: montags Sport, dienstags gemeinsame Projekte, donnerstags Kulturelles. Um 18 Uhr 30 ist Abendbrot, gegen 21 Uhr Nachtruhe. Am Mittwochnachmittag holen die Eltern ihre Kinder für ein paar Stunden ab, am Wochenende fahren die Jugendlichen ebenfalls nach Hause. Straffe Regeln und Pflichten ? die Jugendlichen und ihre Eltern wissen, was auf sie zukommt und sind freiwillig dabei, sagt Goldner. Und außerdem: O-Ton 26 Goldner " ... ist es auch wirklich notwendig, sie so an der kurzen Leine, sage ich mal, zu halten. Ansonsten verfallen sie schnell in ihr altes Muster, gehen nicht mehr zur Schule und stehen vor dem nächsten Problem dann da: nämlich nicht zur Schule zu gehen, keinen Abschluss zu haben, keine Ausbildung machen zu können - der Faden, der sich dann durchzieht ? und letztendlich dem Staat auf der Tasche sitzen. Und über andere Freiheiten kann man zur gegebener Zeit dann verhandeln." Sprecher 19 Strikt verboten ist auch der Kontakt mit Journalisten. Seitdem einige Boulevardmedien reißerisch über den ? Zitat ? "Schulschwänzer-Knast" berichtet haben, schirmen die Betreuer die Jugendlichen vehement vor der Presse ab. Atmo 6 Türöffnen O-Ton 28 Seidel "Hier haben wir den Raum der Aufnahmeklasse vor uns liegen. Man sieht über der Tafel die für alle Klassen geltenden Regeln: "Ich spreche und verhalte mich höflich", "Ich höre zu, wenn andere sprechen", "Ich melde mich und warte, bis ich dran bin" und so etwas wie "Ich befolge die Anweisungen meiner Lehrerinnen und Lehrer". Sprecher 21 Wer im Schulschwänzerinternat landet, kommt zunächst in die Aufnahmeklasse. Dort prüfen die Lehrer die Stärken und Schwächen. Der Unterricht dauert nur vier Stunden pro Tag. Bevor die Jugendlichen ihre individuellen Aufgabenpläne in Basisfächern wie Deutsch und Mathematik lösen, müssen viele von ihnen erst einmal ganz von vorn anfangen. Marion Seidel leitet den schulischen Part des Projekts. O-Ton 29 Seidel "Also: aushalten, dass man auf dem Stuhl sitzen bleibt, dass man sich einer Arbeit zuwendet, mal einen Hefter wieder in die Hand nehmen, wissen, dass ein Hefter aus gelochten Blättern besteht (lacht), all diese so relativ normalen Dinge, von denen diese Schülerinnen und Schüler sich über Jahre entfernt hatten." Sprecher 22 Ist die Basis für das schulische Lernen gelegt, kommen die Teenager in eine normale Klasse ? entweder in der "Schule an der Windmühle" oder einer anderen im Bezirk. Denn nur dort können sie das erreichen, wozu sie am Internat sind: den bestmöglichen Schulabschluss. Das Ziel hat bisher allerdings noch keiner erreicht, sagt Klaus Arnold, der stellvertretende Leiter der Einrichtung. O-Ton 30 Arnold "Das Schul-Wohn-Projekt läuft ja erst seit gut einem Jahr. Wir hatten am Anfang ein paar Mädchen, die sehr begeistert eingestiegen sind, sind aber schnell wieder ausgestiegen ? ohne Schulabschluss. Wir sind jetzt in der Richtung, dass wir die ersten Schüler mit dem Schuljahr 2011 mit Schulabschluss entlassen können." Sprecher 23 Und auch die Schule steht unter Erfolgsdruck - schließlich kostet ein Platz im Internat monatlich 2400 Euro. Weil die Jugendlichen aus armen Familien stammen, zahlt das Jugendamt die Gebühren aus Steuermitteln. O-Ton 31 Arnold "Wenn wir mal davon ausgehen, wir investieren ein Jahr lang pro Monat 2400 Euro und haben anschließend einen Schüler, der den Schulabschluss macht und vielleicht ne Ausbildung und auch berufstätig ist, dann ist er vielleicht für ein Jahr kostenintensiv, aber für die restliche Zeit ein preiswerter Bürger der Bundesrepublik Deutschland." Rap-Song 4 Sido "Schule" "Das Schulsystem ist für'n Arsch, ihr kommt nicht an uns ran. Doch ihr macht die Augen zu und bleibt so arrogant. Wenn's ein Problem gibt, müsst ihr gerne darüber reden. Doch in erster Linie müsst ihr lern' uns zu versteh'n." Rap-Song ausblenden 13