DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Tina Klopp Feature ZWISCHEN HOCHKULTUR UND PROBLEMBEZIRK Szenensprünge mit dem türkischen Rapper Kutlu Yurtseven von Almut Schnerring und Sascha Verlan Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 28. November 2014, 20.10 - 21.00 Uhr MUSIK: Microphone Mafia - Denkmal: Einer der wenigen Abende, bin mal früh daheim Einer der wenigen Abende, geh nicht direkt in mein Zimmer rein Sehe meinen Vater auf den Fernseher starren Seinen starren Blick auf dieser Talkrunde verharren Wir sehen diese Weißen, die uns Ausländern den Weg weisen Wie in diesen klugen Kreisen Binsenweisheiten kreisen Leise dreht sich mein Vater um, schaut mir in die Augen Seine Fragen mich stillschweigend aussaugen Wo sind meine Kollegen, die wissen, wie es wirklich war Wo sind meine Kollegen, warum sitzen sie nicht da Um selbst zu erzählen, wie es uns früher erging Wie damals für uns die neue Zukunft anfing instrumental bleibt kurz stehen, harter Schnitt SPRECHERIN: Zwischen Hochkultur und Problembezirk. Szenensprünge mit dem türkischen Rapper Kutlu Yurtseven. Eine Sendung von Almut Schnerring und Sascha Verlan. MUSIK: Microphone Mafia – Denkmal instrumental, kurzer Nachhall EINSPIELER 1: Kutlu Yurtseven in: 'Die Lücke', Schauspiel Köln: Und so ist es auch, dass ich zum Beispiel als Musiker in einem Radio-Interview sitze und die Moderatorin zu mir sagt: "Sie können aber gut Deutsch." Und ich so: "Ja, danke, Sie auch." SPRECHERIN: Im Schauspiel Köln wird 'Die Lücke' aufgeführt, ein Theaterstück von Nuran Calis über die Keupstraße und den Nagelbombenanschlag aus dem Jahr 2004. Kutlu Yurtseven steht als Schauspieler auf der Bühne. EINSPIELER 2: Kutlu Yurtseven in: 'Die Lücke', Schauspiel Köln: Und genau da liegt das Problem: wie kann ich denn nicht wütend sein? Ich geh mit 16 zum Ordnungsamt, der Tag, an dem ich meinen eigenen Pass bekomme, weil ich bis dahin im Pass von meinen Eltern bin, der Tag meiner Unabhängigkeit. Und ich geh rein, und der Herr holt eine Akte raus, die soo dick ist. Und ich zu ihm: "Das ist nicht meine Akte." Er so: "Das ist Deine Akte!" Ich so: "Nein, das ist nicht meine Akte." Er so: "Du musst Dich nicht schämen für das, was Du getan hast. Hättest Du es mal besser nicht getan." Und ich so: "Hören Sie mal zu! Der heißt mit Nachnamen Kutlu, ich mit Vorname, mein Nachname heißt Yurtseven!" Dann geht er zurück, holt meine Akte raus, und da sind nur zwei Blätter drin. Erst mal meine Ausreise als kleines Kind in die Türkei, in der ich dann zwei Jahre gelebt habe, und dann, als meine Eltern mich zurückgeholt haben. Und ich so zu ihm: "Ist schon blöd, wenn sich Vorurteile nicht bestätigen." SPRECHERIN: Vom Theater geht es durch den Hinterausgang raus direkt ins Auto und weiter nach Siegen zum 'Festival gegen Rechts'. O-TON 1 (KUTLU YURTSEVEN): Schlüsselgeklapper, das Autoradio geht an … Eines der besten HipHop-Alben, die es gab: Mr L aus Frankfurt … Mr L – Lebenswerk: Ich schweife und schlendere vorbei an Häuserblöcken, die grau sind Schwelge in vergangenen Zeiten und werde getragen vom frischen Wind Erlebtes reflektiert auf die Straße wie bei Lichtbrechungen nur weiß Ich, dass diese wahr sind, denn was ich sehe, das sind Erinnerungen weiter unter Sprecherin SPRECHERIN: Die CD 'Lebenswerk' des Frankfurter Rappers Mr L erschien 2004 bei 'al dente recordz', der Plattenfirma von Kutlu Yurtseven und seiner HipHop-Band Microphone Mafia. MUSIK: Mr L – Lebenswerk: So hörte man nach einiger Zeit, wo der eine sitzt Der Zweite raucht, der Dritte raubt, der Vierte verkauft, der Fünfte spritzt Wisst Ihr, wie es ist, wenn man nur über Dritte hört Dass sich sein alter bester Freund sein ganzes Leben zerstört? Ich biege links in den Park rein, sehe kleine Kinder vor Freude schreien Erkenne Parallelen zu Bildern von früher aus unseren Zeiten Von den Kindern des Blocks und denen, die einst zusammen waren Von denen heut nichts mehr geblieben ist als diese Memoiren. Refrain in türkischer Sprache, weiter unter dem folgenden O-Ton O-TON 2 (KUTLU YURTSEVEN): im Auto, Fahrgeräusche Und hier gibt 's auch 'ne Geschichte … wir fahren jetzt gleich an 'nem Haus vorbei, da saß früher immer ein Mann und eine Frau am Fenster, so ältere. Und ich bin als Kind immer hier lang und hab angefangen, als ich hier in der Grundschule angefangen habe, die immer gegrüßt. Aber ich kannte nie den Namen von denen, nie. Dann ist die Frau verstorben, dann war der Mann alleine. Und dann ham wir uns vor fünf Jahren bei Aldi hier … krass, das Haus kenn ich hier zum Beispiel gar nicht … auf jeden Fall hat er mich gesehen und meinte: Jung, disch han isch awer auch schon lang nisch mehr jesehen. Da hat er mich umarmt, und ich dachte, was so 'ne Begrüßung, wir ham nix miteinander geredet, was so 'ne Begrüßung in den Menschen alles ausmachen kann. SPRECHERIN: Auf dem Festival in Siegen veranstaltet die DGB-Jugend einen 'Aktionstag gegen Rechts' mit Vorträgen und Workshops. Kurz nach 23 Uhr steht Kutlu Yurtseven mit seinem Bandkollegen Signore Rossi als Microphone Mafia auf der Bühne: MUSIK: Microphone Mafia - Denkmal, live in Siegen: Wo wart ihr denn früher mit eurem Deutschunterricht In einem Zimmer zusammengepfercht im Kerzenlicht 12 Mann in einem Raum, dennoch mit Zuversicht Niemand wollte uns lehren, auf unsre Arbeitskraft erpicht Direkt nach der Ankunft standen wir auf Schicht Hauptsache gesund und kräftig, Bildung war unwichtig Gesundheit und Kraft ließen wir am Band zurück Haben Deutschland mit aufgebaut, sind Teil von eurem Meisterstück Sind keine Einwegflaschen, die man benutzt, dann entsorgt Meine Jugend ließ ich hier, also bleib ich an diesem Ort Wir wollen keinen Dank, man soll uns respektieren Wir brauchen keine Leitkulturen, die uns angeblich kultivieren Wir wollen keinen Dank, wir wollen Respekt, verdammt noch mal Drum setz ich Euch mit diesem Lied ein Denkmal Verdamp lang her, verdamp lang Wir sind verdamp lang hier, verdamp lang hier aus dem Publikum: "Und das ist gut so!" SPRECHERIN: Ein paar Tage zuvor war Kultu Yurtseven an der Marienschule in Opladen eingeladen. Das staatlich anerkannte Gymnasium des Erzbistums Köln veranstaltete 'einen Tag für den Frieden', Kutlu Yurtseven hielt einen Vortrag. EINSPIELER 3: Als die Türken nach Deutschland gekommen sind … und wir haben zwei große Festlichkeiten, das ist das Ramadan-Fest, Ende der Fastenzeit, und das Opferfest. Und bei dem Ramadan-Fest nach der Fastenzeit sind die Muslime in Köln zum Dompropst gegangen und haben gesagt: "Hör mal, wir haben hier keine Moschee, und es ist Ramadan-Fest, können wir im Kölner Dom unser Ramadan-Gebet durchführen?" Und der Propst meinte, nach Absprache mit dem Kardinal: "Klar." Und die haben extra den Ostflügel, der gen Mekka zeigt, leer geräumt, und die haben im Kölner Dom, da gibt 's auch Bilder, diese Ramadan-Gebet abgehalten. Und ich denk mir, was ist passiert, dass wir so zurückgegangen sind. (Kutlu Yurtseven - Vortrag an der Marienschule, Opladen) SPRECHERIN: Den Vormittag hatte Kutlu Yurtseven noch an der städtischen Sekundarschule in Hilden verbracht, wo er als Koordinator für die Ganztagsbetreuung der Schülerinnen und Schüler zuständig ist. EINSPIELER 4: Kutlu Yurtseven im Gespräch mit Schülern und Schülerinnen an seiner Schule in Hilden: – Kam so ein Polizist, Polizeiwagen hat sich neben mich gestellt … – Hallo Herr Yurtseven. – … also mitten in der Stadt … Gelächter … – Hallo. – Hallo … hallo, ey, ist hier 'n Jugendhaus oder was? Kommt hier rein und setzt sich einfach hin. – … verlegenes Lachen … ab hier als Atmo unter der Sprecherin – Natürlich dürfen die, sollen die … – Wir dürfen hier drin sein … – Ah, wir ham schulfrei … – Ich auch … – Ja, ausnahmsweise … – Sport fällt aus … SPRECHERIN: An seiner Schule in Hilden gibt es nur Haupt- und Realschüler. Und Kutlu Yurtseven kümmert sich hier vor allem um die alltäglichen Probleme, vermittelt bei Konflikten, auch mit den Eltern oder Lehrern. In der Marienschule in Opladen hingegen ist er mehr als politischer Aktivist gefragt. EINSPIELER 5: Kutlu Yurtseven - Diskussion mit Schüler*innen der Marienschule, Opladen: – Ich find 's grade interessant, obwohl ich gar nichts dazu gesagt habe, dass die Diskussion sofort erst mal aufs Kopftuch geht und dann zwei Lager gemacht werden: unterdrückt oder nicht unterdrückt. Würdet Ihr darüber diskutieren, ob Nonnen unterdrückt sind? – Nein, wahrscheinlich nicht, weil ich persönlich finde, an unserer Schule, da laufen ja ganz viele Ordensschwestern rum, und da ist das sozusagen normal, in Anführungszeichen halt, dass halt 'ne Ordensschwester immer, dass man jeden Tag 'ne Ordensschwester sieht, aber … – Okay. – Also ich denk jetzt nicht so, dass die unterdrückt sind, weil, meldet man sich nicht freiwillig dazu, eine Ordensschwester zu sein? Und außerdem hat man dann ja auch noch dieses Probejahr, wo man sich selbst entscheiden darf, ob man das jetzt auch wirklich machen will. O-TON 4 (KUTLU YURTSEVEN): Ich glaube, diese Diskussion wäre an einer Hauptschule anders gewesen, da hätt ich viel mehr Gegenwind bekommen. Es wär in 'ne andere Richtung gegangen und nicht so, jetzt mal in Anführung, intellektuell abgegangen, sondern eher mit dem Herzen. SPRECHERIN: Auf den Konzertbühnen steht Kutlu Yurtseven gemeinsam mit seiner Band Microphone Mafia und mit Esther Bejarano. Esther Bejarano ist eine der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters Auschwitz. 2009 hat sie mit ihren beiden Kindern Edna und Joram und der Microphone Mafia eine CD produziert mit antifaschistischen Liedern. Seitdem sind sie gemeinsam auf Tour. MUSIK: Esther Bejarano & Microphone Mafia - Avanti Popolo live Es war auch ein Wunsch von Esther, es war unser Wusch. Und egal, wie viele Generationen zwischen uns liegen oder sein sollten, wir lieben dieses Lied, und deswegen, die, die mitsingen können, können mitsingen, die nicht singen können, egal, schreit einfach mit, vollkommen egal, lasst euch gehen … instrumental weiter unter O-Ton 5 O-TON 5 (ESTHER BEJARANO): Was ganz wichtig ist, ist natürlich, dass ich unbedingt wollte, dass wir 'ne CD machen, damit wir etwas entgegen zu setzen haben gegen diese schrecklichen Nazi-CDs, die in den Schulen verbreitet werden, ja, und da haben wir gesagt, wir müssen unbedingt antifaschistische Lieder oder irgendetwas haben, damit wir gegen die sprechen können. Und das kann man auf CD sehr gut. Und so hat sich das eben entwickelt, dass wir dann angefangen haben, Konzerte zu geben, ja und so sind eigentlich diese beiden Jungs mir ans Herz gewachsen, weil das einfach eine sehr gute Arbeit mit denen ist und es bringt mir sehr viel, es bringt für mich sehr viel. Und wie gesagt eben, das ist etwas, was mich sehr freut und dass wir eben diese, eigentlich etwas Besonderes sind, weil es so 'ne Gruppe wie wir, das gibt es nicht noch mal. MUSIK: Esther Bejarano & Microphone Mafia - Avanti Popolo: Esther Bejarano: Schaut in unsere Augen und seht die Entschlossenheit Hört unseren Protest, unsere Gesänge Die Sehnsucht nach Menschlichkeit Das wichtigste Kapital der Erde, die Menschheit Es beginnt mit einem leisten Flüstern und endet in einem großen Aufschrei Wir entlarven falsche Masken Die hinter dunklen Lügen die Zukunft belasten Bei eurem Maskenball geben wir den Takt an Il poplo triumphera, mit Hand, Herz und Verstand. Kutlu Yurtseven: Hört, wie die Menschen flüstern, wie sie ihre Fäuste ballen Weil sie aus ihrer Lethargie langsam rausfallen Ihnen Missstände auffallen, eure Lügen nachhallen Es ist so gut wie sicher, keiner wird gewinnen Wenn Wahrheit und Gerechtigkeit immer mehr verschwinden Gewinne einkassiert, Schulden sozialisiert Banken subventioniert, Bildung dahin vegetiert Die Zukunft verliert, sie steht auf gläsernen Füßen Euer Kasinokapitalismus lässt unsere Kinder büßen Sehe keine Demut, keine Reue, seh euch weiter lügen Werden weniger reden und dann endlich machen Avanti popolo, der schlafende Riese wird erwachen Musik dumpf weiter unter dem folgenden Einspieler EINSPIELER 6: Kutlu Yurtseven im Gespräch mit Thomas Laue auf der Keupstraße – Kollegah. – Kutlu, Ismet … dich hab ich ja schon gesehen. – Hi … – Hast immer 'n Mikro dabei … – Ja, jaja, immer … – Wann sehen wir uns heute? – Ich bin die ganze Zeit hier. Um fünf Uhr hab ich 'n Dreh mit Adrian. – Dann danach … halb sechs? – Ahja, Dings, Werkshase? – Werkshase. – Ja, tschüh. SPRECHERIN: Auf der Keupstraße, in Köln-Mülheim, hat Kutlu Yurtseven Thomas Laue kennen gelernt, den Dramaturgen vom Schauspiel Köln, der ihn später ans Theater holt: O-TON 6 (THOMAS LAUE): Wenn man hier in Mühlheim unterwegs ist, dann stößt man irgendwann einfach auf den Kutlu. Das war in dem Zusammenhang, wo ich ihn kennen gelernt habe, mit der Initiative 'Keupstraße ist überall', auf die bin ich wiederum über meine Recherchen, was den Nagelbombenanschlag betrifft, gestoßen. Und da ist er mir relativ schnell aufgefallen, und ich hab aber erst mal gar nicht drüber nachgedacht, dass er mitspielt, sondern es war für mich eigentlich jemand, der mir viel erzählen kann, weil er so ein unglaubliches Wissen über diese Vorgänge und sich sehr damit beschäftigt hat. Und je länger wir da so geredet haben, desto sicherer war ich mir, dass er eigentlich in dieses Projekt eigentlich nicht als Informationsquelle gehört, sondern als Spieler. EINSPIELER 7: Kutlu Yurtseven in: 'Die Lücke', Schauspiel Köln: Und ich so zu ihm: "Ist schon blöd, wenn sich Vorurteile nicht bestätigen." Und der Typ hat nichts Besseres zu tun, als mir meinen Pass rüber zu schieben und zu sagen: "Wenn Du hier einmal Scheiße baust, bist Du früher in Deiner Heimat, als Du Dir das vorstellen kannst." Und ich so: "Was für 'ne Heimat, Mann, ich bin hier geboren, Köln ist meine Heimat." O-TON 7 (KUTLU YURTSEVEN): Mein erstes Erlebnis war am Theater, beim Schauspiel … und ich komme in den Saal rein, und da sieht mich 'ne Frau und hält so die Tasche fest. Ich hab da nichts gesagt und wurde danach auf die Bühne gerufen als musikalischer Leiter, und sie hat mich gesehen und wurde knallrot. Und ich so: jetzt wissen sie, dass sie keine Angst haben müssen um ihre Tasche. MUSIK: Microphone Mafia – Heimat instrumental EINSPIELER 8: Kutlu Yurtseven im Gespräch mit Schülern und Schülerinnen an seiner Schule in Hilden: – Wo wart ihr letzte Woche? – Da wussten wir das noch nicht. – Jaja, sagt man dann so. – Jaha … – Wir ham das, glaub ich, Freitag gesagt bekommen … ab hier weiter als Atmo unter Sprecherin – Mit wem ham wir da … – Und ihr habt eine besondere, ihr habt das, woran ihr letztes Mal echt Spaß hattet … – Baran? – Der Baran kommt, und ihr habt die ganze Zeit Tanz. – Die ganze Zeit Tanz? – Nein! – Ich seh die Begeisterung in deinen Augen. – Welche Begeisterung? – Wenn ihr dann mal wieder Fußball spielen wollt, können wir wieder Fußball spielen … SPRECHERIN: Kutlu Yurtsevens Karriere als Lehrer begann mit einem Rap-Workshop an einer Hauptschule in Gelsenkirchen. O-TON 8 (KUTLU YURTSEVEN): Also ich hab an einer Schule angefangen, wo der Schulleiter meinte: du ähnelst unseren Kids, und die bauen das Vertrauen auf zu dir, willst du nicht hier bleiben. Nun gibt 's zwei Sichtarten, du bist jetzt sauer, weil er dich in einen Topf wirft, oder nimmst du das Bessere davon und sagst: klar, die Kids sehen mich als Migranten und denken, da ist jemand, der ist auf der anderen Seite, der hat 's irgendwie doch gepackt. Man muss ja immer das Gute sehen, dann passt es wieder. Natürlich stört es manchmal einen, wenn man dann hört, ja hier, gibt 's irgendwo Köln-Chorweiler 'n Rap-Workshop, magst du nicht dahin? Im Hinterkopf weißt du, worum du da hin gerufen wirst. SPRECHERIN: Kutlu Yurtseven hat zwar studiert – Anglistik und Geschichte – aber kein Staatsexamen und kein Studium in Sozialpädagogik, was man eigentlich bräuchte, um unterrichten zu dürfen. Er hat auch keine Schauspielausbildung und steht dennoch in Köln auf der Theaterbühne. Und zum Musiker ist er einfach so geworden, ganz ohne Musikschule und Unterricht. O-TON 9 (KUTLU YURTSEVEN): Erst mal haben wir die deutsche Ausbildung, aber, was wir wirklich haben, und das hat nichts mit Migrant zu tun, das hat schon was mit Migrant zu tun, das kann der Deutsche aber dann genauso auch in anderen Ländern machen, du fängst an zu mugglen, du findest Wege, ja, wenn du den geraden Weg nicht nehmen kannst, suchst du dir, zwei links, Abkürzung oder machst 'n kleinen längeren Weg, um doch an das Ziel zu kommen. O-TON 10 (THOMAS LAUE): Kutlu vereint so, grade durch die Art, wie er so als Quergänger in so verschiedenen Bereichen unterwegs ist, natürlich ganz viele verschiedene Perspektiven, und dass er das schafft, die so zu vereinen und dabei immer so in seiner Meinung scharf zu bleiben, das zeichnet ihn aus. O-TON 11 (KUTLU YURTSEVEN): Es gibt ja im Moment so 'ne Flucht, so 'ne Wissens-, Bildungsflucht aus Deutschland in die Türkei, also Leute, die hier studiert haben, richtig gute Abschlüsse haben, gehen in die Türkei und suchen sich da Jobs, weil die hier zum Teil die Schnauze voll haben, noch als der Migrant angesehen zu werden. O-TON 12 (ESTHER BEJARANO): Kutlu ist meiner Meinung nach verrückt, er macht zu viel. Und ich sag ihm immer, pass auf, ja, du musst, es muss auch mal Grenzen haben, ja. Jetzt ist er unter die Schauspieler gegangen, er ist Schauspieler, er ist Lehrer, er macht mit uns diese Musik, er ist 'n kluger Kopf, ja, also solche Leute brauchen wir … er ist sympathisch, also wir verstehen und großartig. O-TON 13 (THOMAS LAUE): Weil er natürlich immer auf 'ne extrem gute Art und Weise a) authentisch und b) transparent ist, und dadurch so 'ne Glaubwürdigkeit hat, also da ist kein falsch. EINSPIELER 9: Peter Bach in: 'Die Lücke', Schauspiel Köln: Solidarität kann ja sehr kalt sein. Solidarität ist nicht immer warm. Es gibt 'ne kalte, politische Solidarität und es gibt 'ne warme, menschliche Solidarität. Das ist jetzt nicht ganz getrennt, aber das Schwergewicht ist vielleicht schon mal unterschiedlich verteilt. Wir haben, also ich hab damals festgestellt, dass eigentlich, zumindest von uns aus, wir der Keupstraße in dieser Zeit nach dem Anschlag, direkt danach nicht nachbarschaftlich beigestanden haben, sondern politisch beigestanden haben, was die Leute letztlich, was sie gar nicht gemerkt haben und ihnen gar nichts nützte. Es war eher eine politische Solidarität als eine nachbarschaftliche. SPRECHERIN: Die Keupstraße ist bekannt für ihr reiches türkisches Geschäftsleben. Es gibt zahllose türkische Supermärkte, Reisebüros, Friseursalons, Restaurants, Shisha-Bars, Einzelhändler und Kulturvereine. Bei der Detonation einer Nagelbombe im Jahr 2004 auf der Keupstraße wurden 22 Menschen verletzt, vier davon schwer. Die ermittelnden Behörden und die meisten Medien taten den Anschlag als einen Bandenkrieg aus dem Drogen- oder Rotlichtmilieu ab; der Verdacht der Anwohner, er könnte fremdenfeindliche Hintergründe haben, wurde nicht weiter verfolgt. Im Nachhinein stellte sich dann heraus, dass tatsächlich der rechtsextreme NSU für den Anschlag verantwortlich war. EINSPIELER 10: Kutlu Yurtseven und Peter Bach auf einer Podiumsdiskussion in Nürnberg: – Auf der Keupstraße sagt man ja auch, es gab zwei Anschläge: einmal von den Nazis, aber da kennen wir unsere Feinde, und einmal vom Staat und von den Behörden nachher. Und das war das viel Schlimmere und das Traumatischere. – Das Werk der Nazis, den Migranten klar zu machen: ihr gehört hier nicht hin, ihr seid 'n Fremdkörper, und wir können mit euch machen, was wir wollen, am besten ihr haut ab, das Werk hat der Staat fortgesetzt, die Presse hat 's in gewisser Weise einhellig unterstützt. Gut. Und jetzt sind wir dabei, das wieder aufzuholen, das in irgendeiner Weise wieder richtig zu stellen. Oder sagen wir so, das in 'n Positives zu wenden, nämlich in 'ne gemeinsame Aktion. SPRECHERIN: In der Initiative 'Keupstraße ist überall' hat Kutlu Yurtseven Peter Bach kennen gelernt. Der xy- jährige gehört zu den wenigen Deutschen, die sich 1973 an den Streiks in den Kölner Fordwerken beteiligt hatten. Inzwischen sind Peter Bach und Kutlu Yurtseven gemeinsam unterwegs. Sie halten Vorträge und tragen den Protest und die Anliegen der Keupstraße bis nach München, an den Schauplatz des NSU-Prozesses. EINSPIELER 11: Kutlu Yurtseven und Peter Bach auf einer Podiumsdiskussion in Nürnberg: – Es war immer, auch in Mölln war 's so, dass der Vater von Ibrahim Arslan als Zuhälter und Drogendealer durchs Dorf gejagt wurde, bildlich gesagt. Und es hat sich in der Hinsicht nachher nicht viel geändert. Und das ist dann unser Vorwurf, also der Vorwurf an uns, dass wir schon hätten sehr früh merken müssen, wenn Medien, Behörden, staatliche Einrichtungen ganz klar in 'ne Richtung gehen, dass wir eigentlich schon hätten aufschreien müssen, dass da irgendwas nicht stimmt, aber das ist weder von den Migranten passiert noch von den Linken, ist von gar keinem passiert. – Das ist auch 'n Teil Sinn dieser Kampagne: wie kam es denn dazu, dass wirklich einhellig diese Stadtgesellschaft neutralisiert war und dieses Märchen von dieser selbst gezündeten Nagelbombe geglaubt hat. MUSIK: EINSPIELER 12: Kutlu Yurtseven und Ismet Büyük in einem Restaurant in der Keupstraße, Köln Mülheim: Ich singe extra ein Lied für Ismet Büyük, für Ismet Abe … singt ein Fan-Lied des Fußballvereins Besikitas Istanbul … Ich bin grad, ich wollte singen, aber ich bin grad tot. Büyük heißt groß, der ist so groß wie sein Name, der hat mir gerade ein Logo von Besiktas, von dem Fanclub geschenkt, da hör ich direkt auch zu singen, danke schön … reden weiter auf Türkisch … SPRECHERIN: Kutlu Yurtseven und sein Freund Ismet Büyük treffen sich zum Essen im Kilim, einem Restaurant auf der Keupstraße. Sie kennen sich von der gemeinsamen Arbeit in der Interessengemeinschaft 'Keupstraße' und der Organisation von 'Belikte – zusammen stehen', dem großen Gedenkfest zum 10. Jahrestag des Nagelbombenanschlages durch den NSU O-TON 14 (ISMET BÜYÜK): Wir haben dann näher gekommen, als wir früher, dass wir gedacht haben, wir sind doch allein, wir müssen zusammen sein. Und anschließend, auch für die Leute, die in Deutschland leben, vielleicht ein, wie heißt das, ein Wachung gegeben, auf einmal waren die vom Schlafen wach, weil durch diese Anschlag, weil bis dahin wusste man über uns nichts oder wat weiß ich oder hat man nie daran gedacht. Und auf einmal hat man gesehen, die Radikalen nicht nur bei uns sind, es gibt auch Radikalen als Nationalradikalen oder religiösische Radikalen, dass es auch in deutschen Gruppen gibt. Und dann hat man gesehen, so ein Anschlag, dass man nicht so einfach ausüben könnte, dahinter noch mehrere Leute geben könnte. Und das ist auch nicht für uns wichtig, sondern auch für Deutschland wichtig, das muss man, dafür muss man zusammen arbeiten, zusammenhalten, zusammen sein, das hat man auch gesehen, denk ich mal, durch diesen Anschlag, wo, wie weit es gehen kann. Weil früher haben ja nie so was gedacht. SPRECHERIN: Ismet Büyük ist eigentlich Betriebswirtschaftslehrer mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium, in der Türkei. Und da ihm das in Deutschland nicht anerkannt wurde 1991, wie übrigens sein Führerschein auch nicht, hat er zunächst einige Jahre auf dem Bau gearbeitet und sich parallel dazu um eine Umschulung gekümmert, Prüfungen absolviert und Bewerbungsgespräche geführt. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler wollte nicht sein Leben lang auf einer Baustelle arbeiten. O-TON 15 (ISMET BÜYÜK): Als ich meine Umschulung machen möchte, hab ich fünf Aufnahmeprüfungen gemacht, und einige waren ganz hochqualifizierte Plätze, eine war bei Rohde & Schwarz, die arbeiten für deutsche Armee. Ich hab die Aufnahmeprüfungen gehabt, gemacht und bestanden. Andere Sachen, ich komme mit der Beurteilung, dass ich bestanden habe, und sage hier, ich will umschulen, die Prüfung hab ich bestanden, nein, die Regierung hat kein Geld und wir können das nicht bezahlen. O-TON 16 (KUTLU YURTSEVEN): Ich war 'n sehr guter Schüler in der Grundschule erstmal. Bin auch sehr gerne zur Schule gegangen. Und wie man auch hört, hatte ich überhaupt keine Probleme mit der deutschen Sprache. Und mein Zeugnis bestand nur aus Zweien, fast, es gab wenige Dreien und eine Vier, und die hatte ich in Schönschreiben. Und in der vierten Klasse, dann wenn man entscheidet, auf welche weiterführende Schule man geht, hatten die Eltern eben zu der Zeit noch mehr Mitspracherecht. Das ist ja immer weniger geworden, und jetzt überlegen sie sogar, das ganz abzuschaffen. O-TON 17 (ISMET BÜYÜK): Einmal, zweimal, viermal, fünfmal hab ich bestanden, die haben mich IQ-Test geschickt, ob ich klug bin oder nicht. Hör mal, ich hab fünf Text bestanden, worauf wartet ihr noch? Nein, du musst zum IQ-Test. Komm ich mit 130 Punkte raus, trotzdem hilft das nicht. Ja, IQ-Text 130 Punkte, damals war ich 30 Jahre alt oder 32 Jahre, weiß ich nicht mehr, trotzdem geht nicht. O-TON 18 (KUTLU YURTSEVEN): Und die Sache war dann die, dass mein Vater, Zeugnis in der Hand, mit stolzer Brust eben zum Elternsprechtag geht und sich hundert pro sicher ist, dass der Sohnemann aufs Gymnasium geht, weil er denn so gute Noten hat. Und wir sitzen dann da und unterhalten uns, sie sagt, ja, der Kutlu ist ein sehr schöner Schüler und sehr nett und so weiter und sofort, und meint dann, er sollte aber erstmal auf die Hauptschule gehen. O-TON 19 (ISMET BÜYÜK): Am Ende hab ich diese Industriekaufmann-Aufnahmeprüfung gemacht. Hab ich bestanden, hab ich dann mündliche … mündlich eingeladen worden, der Direktor von der Schule hat gesagt: ich will mit ihnen also sein nach unserem Gespräch. Okay, aber ich hab gesagt: sehr gut, aber geht nicht. Wieso? Ich habe gesagt: bis ich hier hinkam, hab ich fünf andere Prüfungen bestanden, aber Stadt bezahlt nicht. Was? Sie laufen hinterher und suchen Stellen und machen Prüfungen und sie bestehen und sie kriegen das nicht erlaubt? Ja. Und woher kommen sie? Ich habe gesagt: aus Kalk oder aus Vingst. Und wo ist ihre Vertreter? Dann hab ich gesagt: in Mülheim. Wie heißt sie? O-TON 20 (KUTLU YURTSEVEN): Flittard ist ja 'n Dorf. Und meine Lehrerin hab ich ja immer wieder gesehen. Sie hat dann immer gesagt: und, ist schwer. Also das war immer das erste. Was machst du jetzt? Ich bin in der 8. Klasse. Ist schwer, ne Kutlu? Du hättest besser auf mich hören sollen. Und dann hab ich Abi gemacht, das hat sie auch nicht geglaubt, dass ich Abitur mache. Und als ich so angefangen habe zu studieren, meinte die, das hätt ich aber nicht gedacht, dass du das schaffst. Und da meinte sie, das Studium, meinst du, du packst das? O-TON 21 (ISMET BÜYÜK): Ich hab die Namen genannt, er hat mir eine Visitenkarte geschrieben und dort angerufen erstmal: der Herr Büyük ist bei mir, der hat bei uns die Text bestanden und der hat jetzt die mündliche Seite auch bestanden. Ich schick ihn zu ihnen, der hat nur 40 Minuten, und sie geben das frei. Durch diese Direktor hab ich diese Umschulung freibekommen. Sehen sie, so läuft das. Und deswegen ist das zu schade. Ich weiß, wir haben auch schlechte Leute, aber können sie doch nicht alle Leute zusammen mischen. Und deswegen sag ich, ich hab eine Mission, wo ich immer schreien werde: es gibt viele gute Leute als schlechte, und deswegen, diese gute Leute müssen zusammen stehen. Egal woher sie kommen. SPRECHERIN: Restaurant-Atmo Ayfer Sentürk-Demir setzt sich mit an den Tisch. Sie hat ihre beiden Töchter und eine Nichte dabei. O-TON 22 (AYFER SENTÜRK-DEMIR): Ayer Sentürk bin ich geboren und 2006 hab ich geheiratet und seitdem heiß ich Ayfer Sentürk- Demir. Ich hab drauf bestanden, was mein Mann nicht so toll fand am Anfang, aber inzwischen hat er sich damit angefreundet. O-TON 23 (ISMET BÜYÜK): Und dann bin ich ins Geschäftsleben gekommen, weil ich keinen Arbeitsplatz hatte und so die Möglichkeit hatte, und weil unsere Eltern damals schon gedacht haben, irgendwann werden die zurückkehren, und da haben die richtig gespart, und dann haben die uns geholfen, ein Geschäft zu eröffnen und dann ist das Leben so weiter gekommen als Geschäftsmann. O-TON 24 (AYFER SENTÜRK-DEMIR): Ich bin eigentlich auch überall reingesprungen, was ich überhaupt gar nicht gelernt habe. Erst fing das mit 'm Reisebüro an, dann Einzelhandel, dann bei der Post und dann bei der Assistenzarbeit für eine Refrendarin, für eine blinde Refrendarin und währenddessen ins Theater. Ich hab eigentlich auch immer alles gemacht, was ich überhaupt nicht gelernt habe. SPRECHERIN: Ayfer Sentürk-Demir und Kutlu Yurtseven haben sich bei der gemeinsamen Theaterarbeit kennen gelernt. Wie auf der Bühne trägt Ayfer auch im echten Leben ein Kopftuch. O-TON 25 (AYFER SENTÜRK-DEMIR): Damals als meine Eltern hierher kamen, ham sie sich entschieden, okay, (unsere Töchter, die gehen in die Schule, die machen alles, äh nee, umgekehrt,) unsere Jungs, die Söhne machen alles, die Töchter Grundschule und danach schicken wir die wieder zurück in die Heimat, und wenn sie wollen, können sie da in die Schule gehen, was aber gar nicht der Fall war. Mein Vater hat sich entschieden, mich dort in ein Internat zu stecken, was ich überhaupt gar nicht wollte, na ja, und dann war ich zwei Jahre erst mal in einem Internat, wo ich das Koran-Lesen gelernt habe, unsere ganzen religiösen Dinge, die wir eigentlich machen müssen, was ich halbwegs mache, muss ich auch ehrlich zugeben, und dann als 16 wurde, hat sich mein Vater wieder entschieden, okay, du kommst jetzt hier rüber und besuchst einen Deutschkurs. Du hast ja die Schule nicht gemacht, ich hab dich ja nicht geschickt, aber das hat er nie zugegeben, bis vor kurzem … und dann bin ich in einen Deutschkurs gegangen, hab mein Deutsch-Diplom geholt, und dann mit 18 hab ich dann bei meinem Vater im Reisebüro angefangen zu arbeiten. SPRECHERIN: Ayfer Sentürk-Demir arbeitete im Reisebüro ihres Vaters, als schräg gegenüber die Nagelbombe des NSU explodierte. Diese Geschichte wird auch in der Lücke erzählt: EINSPIELER 13: Ayfer Sentürk-Demir und Annika Schilling in 'Die Lücke', Schauspiel Köln: – So, Moment, nenene, Moment mal, du bleibst hier, so … das ist die Ayfer … – Mhm. – Die Ayfer, die war zur Zeit des Bombenanschlags im … – … im Reisebüro … – … im Reisebüro. Also du hast den Bombenanschlag direkt mitbekommen, weil du von dem Druck der Bombe so an die Wand gedrückt worden bist. – Genau. … Ja, so, da könnte natürlich die Geschichte jetzt schon vorbei sein, aber jetzt kommt ja noch was hinzu, also du bist ja viel komplexer, du hast zum Beispiel ein Kopftuch an. O-TON 26 (AYFER SENTÜRK-DEMIR): Wenn ich jetzt zurückdenke und mir das alles so ankucke. Ich durfte niemals zu einer deutschen Freundin nach Hause, und keine von denen durfte zu mir nach Hause. Und wenn jetzt meine Tochter kommt und sagt, Mama, ich will hier heut Nacht, heute Abend bei meiner Freundin Anasthasia schlafen, dann denk ich erstmal, okay, aber wir müssen erst mal die Mama kennen lernen und den Papa. O-TON 27 (THOMAS LAUE): Also oft ist das ja auch so 'ne self fullfilling prophecy, dass man sagt, ah, Parallelgesellschaft, damit wollen wir lieber nichts zu tun haben, und dann stellt die so genannte Parallelgesellschaft fest, dass niemand mit ihr zu tun haben will, also besinnt man sich auf das, was man kennt, und wo man Zugang hat, und das ist dann plötzlich nur noch die eigene Community und dann und so weiter … und darüber erzählt dieses Stück ja auch, über Ängste, über Fragen, die man sich nicht zu stellen traut, die aber, wenn, worauf die Antworten aber manchmal gar nicht so kompliziert sind, wie die Frage suggeriert und so weiter und so weiter … O-TON 28 (AYFER SENTÜRK-DEMIR): Dann gehen wir erst mal kennen lernen, was ich auch gemacht habe, ich fand das auch toll, die haben uns ganz, ganz herzlich begrüßt, aber werd ich jetzt meiner Tochter erlauben, bei ihr zu schlafen? Das weiß ich noch nicht, nicht weil ich jetzt die Familie nicht nett finde, ich find die nett, die sind ganz, ganz nett, aber ich weiß nicht, das sind Mutterinstinkte, glaub ich. Sie wird drauf bestehen, ich will aber, ich darf das, du darfst nicht über mein Leben entscheiden, das sagt sie jetzt schon, und dann wird ich irgendwann klein beigeben und sagen, okay, geh. Aber ich würd sie, glaub ich, abends um zehn da hinbringen und morgens um sieben abholen, mehr ist nicht drin, also noch nicht. SPRECHERIN: Ayfer Sentürk-Demirs Tochter ist sieben, gerade in die zweite Klasse gekommen und sehr selbstbewusst. O-TON 29 (AYFER SENTÜRK-DEMIR): Der Papa, der ist 'n typisch türkischer Mann. Der Papa würde das nicht erlauben, aber da gehe ich dazwischen und sage, komm, wenn sie will, will … nee, weil er ist später nach Deutschland gekommen und er ist ganz, ganz, ganz, ganz, ganz, ganz woanders aufgewachsen wie ich jetzt hier. Ich bin freier aufgewachsen, auch wenn ich 'n Kopftuch trage, zu meinen Verhältnissen bin ich sehr, sehr frei erzogen worden. Er ist strenger aufgezogen worden als wie ich, deswegen, da geh ich immer dazwischen und sag, nee, lass sie mal. O-TON 30 (AYFER SENTÜRK-DEMIR & BEKIR SENTÜRK): Ayfers Bruder Bekir mischt sich aus dem Hintergrund in unser Gespräch – Wo sind die denn alle? – Die sind mit Kutlu. – Wo? – Ich weiß nicht, die waren grad da. Und mit … – Ich will nicht unterbrechen, ich mach mir nur Sorgen … – Sorgen … SPRECHERIN: Bekir Sentürk ist Ayfers jüngerer Bruder und mit Melanie verheiratet, einer deutschen Frau EINSPIELER 14: Ayfer Sentürk-Demir in 'Die Lücke', Schauspiel Köln: Eine ganz tolle Schwiegertochter für meine Mutter. Und wenn sie aus der Türkei kommt, sie lebt ja inzwischen in der Türkei, und wenn sie hierher kommt, dann kommt sie nicht zu mir oder zu meiner Schwester, sie geht zu ihr. Ich bin ihre Tochter, hallo! O-TON 31 (AYFER SENTÜRK-DEMIR): Meine erste Sorge war, dass ich über meine Mutter rede und über meinen Vater und über meinen Bruder und auch über meine Schwägerin. Und ich hab immer gedacht, okay, das ist die Wahrheit, aber ich weiß jetzt, ich hab denen nichts davon gesagt, die waren alle überrascht. Und da hat ich ein bisschen Bammel. Und als ich gesehen hab bei der Generalprobe, wie mein Bruder anfing zu schluchzen, zu heulen, hab ich gesagt, okay, war ich so schlimm, mein Gott, Ayfer, nee, komme, lass es sein. Und dann haben wir … hast du toll gemacht, wuah, das war toll, ja, dann hab ich gedacht, so, dann h ast du doch nichts Schlimmes gemacht. O-TON 32 (BEKIR SENTÜRK): Also ich weiß gar nicht, es ist für mich manchmal 'n bisschen schwierig, mich einzuordnen. Bin ich jetzt mehr Türke oder bin ich doch mehr deutsch. So von meinem Charakter, von meiner Denkweise, meinen Einstellungen so in vieler Hinsicht ist schon ziemlich unterschiedlich, ziemlich anders als der Normalo, als sie zum Beispiel in vieler Hinsicht, als alle anderen. Das haben mir schon früher meine Freunde früher vorgeworfen. O-TON 33 (AYFER SENTÜRK-DEMIR & BEKIR SENTÜRK): – Wo seid ihr? … Am Eingang vom Werkshasen … Der Bekir sucht euch … Ja – Bis später … O-TON 34 (AYFER SENTÜRK-DEMIR & BEKIR SENTÜRK): – Pass auf, da können wir eben ansetzen, wo wir eben schon waren, ne, ich bin ja, wie ich eben schon gesagt hab hier, ich bin echt 'n bisschen anders, anders gestrickt … – …der ist wirklich anders … – … was das betrifft. Ich hab da kein Problem, die Bude sauber zu halten, zu kochen, mich um meine Tochter zu kümmern, notfalls halt wie heute um meine Tochter und die Kinder meiner Schwester. Das schaff ich, also ich bin da völlig. – … ich bin stolz auf dich. Mein Mann hätte das nicht geschafft. – Ich hab überhaupt keine Probleme damit. … Also ich bin selbst noch Kind manchmal, manchmal gerne … – … sind wir doch alle. – … dann suhle ich mich mit denen im Rasen und im Sand und keine Ahnung. Viele haben da ja Hemmungen, Erwachsene. Ah, vorsichtig, immer so … – … ihh, ekelhaft … – … Haltung bewahren. Ich hab da gar kein Problem mit. Wenn ich Bock hab, lauf ich mit denen in Sandkasten, schmeiß mich da rein und spiel mit denen. Vielleicht ist es das. O-TON 35 (KUTLU YURTSEVEN): Mein Vater hat mich immer den Rebell genannt, dabei war er selber ein Rebell, weil er mit meiner Mutter durchgebrannt ist, und das der Grund war, warum sie nach Deutschland gekommen sind. O-TON 36 (AYFER SENTÜRK-DEMIR & BEKIR SENTÜRK): – Vor 'nem Jahr hat ich fünf Mädels. Und dann ham die gesagt, die alle, nee, geh mit denen bloß nicht raus … – … das schaffste nicht … – … schaffste nicht. Und dann hab ich mich mit denen in Köln-Niehl in die Bahn gesetzt und bin quer durch die Stadt bis nach Lindenthal gefahren in Streichelzoo. Bin mit denen mitten die Stadt gefahren, war chinesisch essen mit denen, den ganzen Tag waren wir unterwegs, alles Leute haben mich angestarrt, viele … also mich haben unterwegs bestimmt vier, fünf Leute gefragt, sind das alles ihre Kinder. Und das war 'n wunderschöner Tag, das war so relaxed und so entspannt mit fünf Weibern. Die Jüngste war damals meine, die war vier, und die Älteste war Nisah, die war elf. – … genau. Es geht. Wenn man will, man schafft 's dann auch. O-TON 37 (KUTLU YURTSEVEN): Für mich war mein Vater bis zu meinem 18. Lebensjahr immer die Generation der Jasager, weil sie alles hingenommen haben. Wenn wir uns aufgeregt haben, haben sie gesagt: Mann, halt den Mund. Wir haben hier Geld verdient, wir leben hier, uns geht's besser als in der Heimat, reg dich nicht auf. Und darum sag ich Jasager. Nur mit Kanak Attak ist mir dann aufgefallen, was für 'n Typ eigentlich mein Vater und meine Mutter waren. Meine Mutter hat auch bei xy, einer Feuerzeugfirma mitgestreikt, mein Vater hat gestreikt, das wusste man als Kind natürlich nicht. SPRECHERIN: Kanak Attak ist ein Netzwerk, das 1998 gegründet wurde, um, wie es heißt: "einer breiteren Öffentlichkeit ohne Anbiederung und Konformismus eine neue Haltung von Kanaken (also Menschen) aller Generationen zu vermitteln." Neben dem Autor Feridun Zaimoglu, dem Kulturwissenschaftler Mark Terkessidis und dem Autor und Inhaber einer Agentur für Kampagnen Imran Ayata schlossen sich auch viele HipHop-Gruppen aus Deutschland dem Netzwerk an. O-TON 38 (ROSSI): Unsere Eltern haben immer ja gesagt hier und 'tschuldigung. Und meine Eltern sind hier, die ham hier gelebt und ham sich immer verneigt, gebeugt, ja, okay, wir machen das, wir sind hier Gäste, wir müssen das machen. Und im Endeffekt werden sie dann zum Schluss in Arsch getreten auf gut Deutsch gesagt. SPRECHERIN: Signore Rossi ist Rapper und Bandkollege von Kutlu Yurtseven. Nach vielen Jahren als Hilfskoch und Mitarbeit im Betriebsrat seines Unternehmens hat er mit Ende 30 seinen Meister gemacht und arbeitet jetzt als Chefkoch in einer Betriebskantine. Er könnte nun ein eigenes Restaurant eröffnen, hat sich aber für eine Festanstellung mit geregelten Arbeitszeiten entschieden, um weiterhin Musik machen zu können. O-TON 39 (ROSSI): Kleines Beispiel: mein Vater geht in die Bank, kann nicht so gut Deutsch, dann wird er abgewimmelt, weil das dann zu anstrengend ist, dem zu erklären, wie füllt man eine Überweisung aus. Der Mann ist 73. Ja, er hätte Deutsch lernen können, ja, es waren aber andere Zeiten, ne. So. Und mein Vater kommt nach Hause und dann darf ich das zweite Mal mit ihm dahin und dann muss ich die Frau erst mal zur Sau machen, die hinter der Theke steht und dat se erst mal begreift, dass ich ihren Job bezahl und dass sie dementsprechend meinem Vater zu helfen hat. O-TON 40 (ISMET BÜYÜK): Und ich kann ihnen viele Geschichte erzählen, es gibt wirklich viele Beamte, sehr radikal sind, die benehmen dich, wenn du da bist, egal, du bist für denen als Kunde da, die behandeln dich ohne Ende ohne Rassismus, äh mit Rassismus. Irgendwann mal drehst du durch und gehst du mit Gewalt hin. Dann heißt es, eine Türke hat Scheiße gebaut. Aber warum? Warum ist der durchgedreht? Oder warum hat er das gemacht? Fragt keiner. Und deswegen muss die deutsche Regierung solche Leute auch aus dem, also diese Situation wegnehmen. Wie gesagt, das passiert. EINSPIELER 15: Kutlu Yurtseven und Peter Bach auf einer Podiumsdiskussion in Nürnberg: Man muss das ja auch so sehen, wir erzählen das zwar, klar, die kamen nach Deutschland und haben gearbeitet, aber das waren ja Kinder. Der eine war 19, der eine war 20, die eine war 21. Und die sind in ein Land gekommen, wo sie die Sprache nicht sprachen und wo sie gar nichts wussten und wo ihre, du weißt das besser als ich, Peter, wo ihre Wohnheime zu Beginn die ehemaligen Arbeiterlager waren, da haben die nur die Schilder vorne weggezogen und haben aus dem Arbeiterlager ein Gastarbeiterlager gemacht … – …also die Zwangsarbeiterlager … – … die Zwangsarbeiterlager, genau. Und das haben wir als Kinder viel zu wenig gewürdigt. Und dann mit 18, als ich mein Abitur gemacht habe, bei Kanak Attak dann mit 20, da fing ich erst an, mit meinen Eltern darüber zu reden, was denn passiert war. Und dann hab ich auch erst die Geschichte meiner Mutter erfahren, dass sie zum Beispiel der Grund ist, warum ich dort aufgewachsen bin, wo ich aufgewachsen bin, nämlich, nachdem die Familienzusammenführungen erlaubt wurden, hieß es: gehen sie doch nach Chorweiler, dort sind die ganzen türkischen Familien, da sprechen sie ihre eigenen Sprache, da haben sie keine Andockungsprobleme. Und meine Mutter hat ein Jahr lang fast gekämpft, dait wir eben nicht nach Chorweiler kommen, weil sie nicht wollte, dass sie in ein Viertel kommt, wo nur türkische Familien oder migrantische Familien leben, weil sie gesagt hat, da werden wir irgendwann in einer Insel leben, wo wir nichts mitbekommen. Und es war dann so, dass einer vom Wohnungsamt so nett war und gesagt hat, dann gehen sie nach Köln-Flittard. Und da waren wir in einer Straße von vier Kilometer die einzige türkische Familie und das war für mich einfach ein Segen. EINSPIELER 16: Kutlu Yurtseven im Rap-Workshop an einer Hauptschule – Der hat seinen Text wieder vergessen. – Mach mal 'n Beat, irgendwie … mit 'm Stift … – Tu du mal, ich hab schon was im Kopf … tu mal irgendwas zum drunterlegen – Kann ich mal den Beat haben?! Musik setzt ein … ein Schüler beginnt zu rappen: Ich war immer leiser, egal, was mal war Schon früh stand die Welt für mich anders da Ich gab mir die Schuld für dieses Ereignis Doch kannte niemand mein dunkles Geheimnis Ich lernte schnell zu leiden, lernte schnell zu hassen Schloss mich mit ei'm Messer ein, doch ich konnte es nicht machen Und noch heute tut mir etwas weh Meine Vergangenheit, die alleine steht Keiner weiß noch heute, wie es mir geht Keiner weiß, wie Hass in mir weht … Kutlu: Aber ihr beide müsst was anderes schreiben, weil das passt nicht zu dir. Macht zusammen 'n anderen Song. Überlegt euch, worüber ihr schreiben wollt … Gemurmel … O-TON 41 (KUTLU YURTSEVEN): Menschen wollen gehört werden. Und das ist seine, die Musik ist in dem Augenblick die Art, seine Probleme zu bewältigen. Und da ist es egal, ob der Kutlu der kritische oder der politische oder der korrekte oder Gangster Rapper. In dem Augenblick hat er 'n Plan für sein Lied, was er erzählen möchte. Und er kuckt nur, kann ich dem da vorne vertrauen, ja, oder nicht. Und nicht, wer steht da gerade, also ich bin dann total ausgeblendet in meiner Person, und das ist auch gut so … ist ja auch 'n großer Vertrauensvorschuss, wenn das einer rappt. SPRECHERIN: An der Hauptschule Rendsburger Platz in Köln Mülheim hat Kutlu Yurtseven über mehrere Wochen mit einer Gruppe von Schülern und Schülerinnen in einem Rap-Workshop zusammen gearbeitet. EINSPIELER 17: Kutlu Yurtseven im Rap-Workshop an einer Hauptschule 1. Schüler: Beim Opferfest in Türkei küsst ein Türke die Hand … Gemurmel … Kutlu: Aber du musst nicht Türke sagen, wenn du sagst: in der Türkei zum Pferfest küsst man die Hand 1: In der Türkei … K: … zum Opferfest küsst man die Hand. 1: Aber das passt ja nicht auf 'n Takt, du musst kucken … K: Doch: In der Türkei zum Opferfest küsst man die Hand. 1: In der Türkei … K: … zum Opferfest küsst man die Hand 1: Zum Opferfest in der Türkei … K: … küsst man die Hand. 1: Ja … bei uns auf der Straße küsst jeder zweite die Wand. 2. Schüler: Wie sollte man denn die Wand küssen? K: Bam! Es geht doch um Gewalt O-TON 42 (KUTLU YURTSEVEN): Es geht im Endeffekt um die Kids, ja, egal aus welchem Motiv du eingeladen wirst, im Endeffekt geht 's um die Jugendlichen, mit denen du was machen willst und wo du weißt, dass die Probleme haben und Kreativität nicht gerade groß geschrieben wird in 'ner total abgesteckten und stupiden Gesellschaft gerade. Also wenn ich jetzt sehe, es ist ja nicht nur das Problem der Hauptschüler oder der Realschüler, wenn ich jetzt G8 seh, wenn ich das Studium jetzt sehe, dann denk ich mir, oh wir erziehen wieder Roboter, jeder in seinem Lager. EINSPIELER 18: … also rap mal deine zwei, sechs Strophen. die du bis jetzt hast: 2: Frag mich nicht warum, doch mein Leben war hart Deine Welt ist kunterbunt, meine ist nur komplett schwarz Ich hab gechillt mit Leuten aus 'nem andern Land Lederjacke, Goldkette, Messer in der rechten Hand Assozial und schlagbereit, so sind die meisten drauf Red nicht über Liebe, auf die Liebe scheiß ich komplett drauf. 1: In der Türkei zum Opferfest küsst man die Hand Bei uns auf der Straße … ich lass mir was anderes mit Hand einfallen. K: Ihr beide macht die erste Strophe, ihr beide. O-TON 43 (KUTLU YURTSEVEN): Wir haben hier studiert, jeder macht seinen Job, jeder ist erfolgreich, ob Künstler oder Lehrer oder Arzt, und trotzdem sind wir noch am gleichen Punkt wie unsere Eltern, die gearbeitet haben, nämlich immer noch fremd. Und dieses Gefühl, weil man fremd ist, benachteiligt zu werden, und ich sage bewusst: das Gefühl, weil es gibt Tage, wo es wirklich so ist, aber manchmal bildet man sich das auch sehr gerne ein, weil es die eigenen Fehler dann auch übertüncht. Wir haben, da stehen wir vor dem gleichen Punkt. Es ist immer noch so, wenn ein türkischer Arzt, ein Chefarzt irgendwo hingeht, dann fragen sie immer noch: "Aha, ein türkischer Name also, wie wird 'n das geschrieben?" Oder: "Sie können aber gut deutsch", das wird immer noch gesagt. Oder die Frage an einen, der studiert hat in Köln oder seit 20 Jahren arbeitet, man muss ja nicht unbedingt studieren: "Und, gehen ihre Kinder hier zur Schule?" Nee … lacht … natürlich nicht, wir haben unsere eigenen Schulen … EINSPIELER 19: Kutlu Yurtseven im Rap-Workshop an einer Hauptschule Stress, man hat keine Ruhe Jeder Zweite wird kess Geh mal spazieren, ohne was zu riskieren Egal was du machst, immer muss was passiere Es ist ihr Revier, und sie müssen 's markieren Sie fühlen sich groß, und das musst du kapieren. Ist gut? Verabschiedungen, Rap-Verse im Treppenhaus, weiter unter dem folgenden O-Ton O-TON 44 (KUTLU YURTSEVEN): Weißt du, und das staut sich auf, das ist genauso wie in Amerika auch, die Gangs haben sich ja nach der Black Panther-Bewegung gegründet, weil sie gesagt haben: okay, ihr habt 's versucht mit Bildung, Schulen, Krankenhäuser, wir haben gesehen, was passiert, und jetzt holen wir auf unsere Art und Weise das Recht. Ihr wart nicht erfolgreich. Und so ist es auch hier. MUSIK: Esther Bejarano & Microphone Mafia - Avanti Popolo instrumental, weiter unter den folgenden Passagen SPRECHERIN: Musiker und Rapper, Förderlehrer und Koordinator für die Ganztagsbetreuung an einer Schule, Schauspieler und politischer Aktivist, Vater, Ehemann und Freund, Vorbild und Ansprechpartner und Fürsprecher für die Jugendlichen, aber auch für die Älteren, die Generation seiner Eltern, die mit Träumen und großen Hoffnungen nach Deutschland kamen. O-TON 45 (THOMAS LAUE): Kutlu ist extrem reflektiert, argumentativ und hat ja so 'n ganz guten Weg gefunden mit 'ner bestimmten Verwurzelung in seiner Herkunft und seiner Geschichte und 'nem absoluten Zuhausesein im heute und in der bundesdeutschen Realität umzugehen, EINSPIELER 20: Kutlu Yurtseven an seiner Schule in Hilden, Bürostuhl-Geklapper: Das ist mein Job, weißt du, ich darf hier Mobiliar rumtragen … ich hab gelogen … lacht … ich arbeite gar nicht als pädagogische Fachkraft oder Hilfskraft oder Nullkraft, weiß ich gar nicht. O-TON 46 (KUTLU YURTSEVEN): So 'n klassisches Ding. Auch so, wenn ich sage, ich bin Lehrkraft an 'ner Schule oder pädagogische Fachkraft, dann lachen manche. Dann sag ich: jaja, hätt ich gesagt, ich arbeite bei Ford, hätt 's keiner gelacht. Und dann sind erst mal alle ruhig. Mein ich: komm, ist Spaß, alles gut. Und damit kriegst du sie, das ist eben so, egal in welchen Kreisen man sich bewegt, man hat schon die Schubladen, wo man die reinsteckt, auch im positiven Sinne. SPRECHERIN: Kutlu Yurtseven ist in vielen Szenen unterwegs, findet Anschluss und bekommt schnell Anerkennung für das, was er einzubringen hat. Und trotzdem bleibt oft das Gefühl, nicht wirklich dazu zu gehören, kein gleichwertiges Mitglied der Gruppe zu sein. O-TON 47 (KUTLU YURTSEVEN): Es macht echt wütend. Es macht aggressiv, wobei ich ja immer sage, auch in meinen Workshops: Aggressivität ist kein Problem, ist sogar, ist 'n Motor, dass du dich weiter bewegst und was ändern willst. Wenn es in Gewalt umschlägt, dann wird es falsch. Und deswegen find ich immer aggressive Menschen auch sehr produktive und sehr konstruktive Menschen eigentlich. O-TON 48 (ISMET BÜYÜK): Ich weiß, wir haben auch schlechte Leute, aber können sie doch nicht alle Leute zusammen mischen. Und deswegen sag ich, ich hab eine Mission, wo ich immer schreien werde: es gibt viele gute Leute als schlechte, und deswegen, diese gute Leute müssen zusammen stehen. Egal woher sie kommen. O-TON 49 (KUTLU YURTSEVEN): Manchmal fühl ich mich echt unwohl, weil du dann manchmal auf dem Servierteller stehst, und die Leute trauens dir auch nicht zu. EINSPIELER 20: Kutlu Yurtseven im Anschluss an eine Podiumsdiskussion der Initiative 'Keupstraße ist überall': Spiel einfach, ich weiß nicht, was ich als erstes rübergezogen habe, mach mal 'Heimat', find ich gut, passt hierhin gerade. Also für die, die 's wissen wollen, mein Name ist Kutlu, ich bin auch Teil dieser Initiative und von Microphone Mafia. Ich bin ein Egomane, ich denk, jeder kennt mich schon … bitte. Gepackte Koffer so der Titel meiner Kindheit Durch den Traum meines Vaters nach getaner Gastarbeit In die Heimat an den Bosporus zurück zu kehren Doch sollte das Schicksal uns die Rückkehr verwehren Der Traum blieb ein Traum, er musste letztlich anerkennen Dass wir Köln schon längst unser Zuhause nennen Dass das Zentrum des Lebens in der Domstadt liegt Und dass es für uns alle kein Zurück mehr gibt Packten die Koffer aus, es dauerte 19 Jahre lang Genieß das Leben zwischen den Kulturen in vollem Umfang Die Türkei meine Heimat, die Stadt am Rhein mein Zuhause Eine allein geht nicht, weil ich sie beide brauche In unsrer Welt sind wir alle Immigranten Die ganzen Grenzen machen Menschen krank Kämpf für ein Leben ohne Schranken Heimat ist ein Gefühl und kein Land SPRECHERIN: Zwischen Hochkultur und Problembezirk. Szenensprünge mit dem türkischen Rapper Kutlu Yurtseven. Eine Sendung von Almut Schnerring und Sascha Verlan. Mit Kutlu Yurtseven und Signore Rossi von der Kölner HipHop-Gruppe Microphone Mafia. Mit Esther Bejarano aus Hamburg, Thomas Laue, Dramaturg am Schauspiel Köln, Ismet Büyük von der 'IG Keupstraße' und Peter Bach von der Initiative 'Keupstraße ist überall'. Mit Bekir Sentürk und der Schauspielerin Ayfer Sentürk-Demir aus Köln. Sprecherin: Demet Fey Regie und Technik: Die Wort & Klang Küche Redaktion: Tina Klopp Produktion: Deutschlandfunk 2014 MUSIK: Microphone Mafia - Heimat In unsrer Welt sind wir alle Immigranten Die ganzen Grenzen machen Menschen krank Kämpf für ein Leben ohne Schranken Heimat ist ein Gefühl und kein Land Seite 2 von 26