KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : Literatur Titel der Sendung : „Desolation Angels“ - Jack Kerouac und die Beat-Autoren Autor : Maximilian Preisler Redakteurin : Barbara Wahlster Sendetermin : 04.10.2009 Besetzung : Autor/Sprecher 1/ Sprecher 2 Regie : Beatrix Ackers Besetzung : 4 Stimmen: Zitator Kerouac, Erzähler (+Stimme für Watson und Guthrie), Sprecherin, Sprecher 2 (Zitate Ginsburg, Borroughs, Dylan) Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. 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But one afternoon somewhere on a sidewalk, maybe 1939, 1940, Dizzy Gillespie or Charlie Parker or Thelonious Monk was walking down passed a man´s clothing store on 42nd Street and South Main in L.A., and from the loudspeaker they heard a wild and impossible mistake in jazz. That can only have been heard inside their own imaginary head. And that is a new art, Bop. MUSIK Thelonious Monk: Well, You Needn´t ERZÄHLER 1944 – eine neue Musik ist zu hören, in San Francisco und in New York, zentriert um Musiker wie Charlie Parker. Man nennt diese Art des Spielens Bop, oder Bebop. Die Musik ist hart, sie ist fordernd, sie ist atemlos. Sie gibt dem Swing den Abschiedskuss. 1944 – drei Studenten lernen sich an der Columbia Universität in NY kennen, schließen 2 Freundschaft. Sie wollen schreiben, wie die jungen Jazz-Musiker spielen. Schon bald spricht man von der Beat-Generation. Jack Kerouac ist der Taufpate dieser Bewegung. O-Ton Kerouac Now it´s jazz, the place is roaring, all beautiful girls in there, one mad brunette at the bar, drunk with her boys. One strange chick I remember from somewhere, wearing a simple skirt with pockets, her hands in there, short haircut, slouched, talking to everybody. SPRECHER KEROUAC Jazz, in der Bar voll Getöse, wunderschöne Mädchen da drin, eine verrückte Brünette an der Theke, betrunken, mit ihren Jungs. Ein merkwürdiges Mädchen, ich kenn´ sie von irgendwoher, in einem einfachen Kleid, mit Taschen, ihre Hände stecken darin, kurze Haare, sie hängt da herum, redet mit allen. SPRECHERIN „Women of the Beat Generation“ – zum Beispiel ruth weiss O-Ton ruth weiss Und ´56 hat es so angefangen mit den Beats und alles. Und ich habe Musiker, viele Musiker gekannt von Jazz und habe so improvisiert mit ihnen und manchmal habe ich nur zugehört. Manchmal habe ich nur ein paar Sounds gemacht, wie sagt man das, Lauten 3 gemacht. So mit meiner Stimme: Ah, ah. Und dann, drei von diesen Musikern, die ich gekannt habe, haben einen Club eröffnet in ´56, in North Beach, welches damals war der bohemische Teil von San Francisco und der Club hat geheißen „The Cellar“, der Keller. Und da haben sie mich eingeladen, warum machst du das nicht einmal in der Woche mit Poetry and Jazz und da habe ich das schon angefangen in ´56. O-Ton Kerouac Everything is going to the Beat. It´s the Beat Generation, it´s Beatt, it´s the beat to keep, it´s the beat of the heart, it´s being beat and down in the world, like old-time low-down. Hi, Hey, Bang! The little drummer takes a solo, reaching his young hands all over traps and kettles and cymbals and foot-peddle, boom, a phantastic crash of sound.Twelve years old. What will happen? SPRECHER KEROUAC Der junge Schlagzeuger spielt ein Solo, seine jungen Hände reichen über das Schlagzeug, über die Becken und die Kessel, dann das Fußpedal, boom, ein phantastisches Krachen von Tönen. Zwölf Jahre alt. Was wird nun passieren? O-Ton ruth weiss Ich bin nicht sehr bekannt in der Welt von diesen Zeiten. Und man sagt mir, ja, du warst eine Frau und das ist wahr. Aber etwas Persönliches wollte ich sagen, ich glaube, es war etwas in meinem Sinn, dass ich mich immer verstecken wollte, dass man mich nicht findet. Und in ´96 habe ich ein Interview mit den Holocaust Survivors gehabt und da habe ich das Video angeschaut und da habe ich gesagt, natürlich, ich habe mich immer versteckt darum. SPRECHERIN Women of the Beat Generation, herausgegeben von Brenda Knight. Untertitel: The Writers, Artists and Muses at the Heart of a Revolution. Kapitel 1: Die Vorfahren: Jane Bowles, Madeline Gleason; Kapitel 2: Die Musen: Joan Vollmer Adams Burroughs, Carolyn Cassadie; Kapitel 3: Die Schrifstellerinnen: Janine Pommy Vega, Joyce Johnson, Hettie Jones, ruth weiss. Das Buch „Women of the Beat Generation“ stellt Frauen vor, die an einer Revolution 4 teilgenommen haben, einer Revolution, die auf immer die Landschaft der amerikanischen Literatur veränderte. Vor den späten 40ern, den frühen 50ern gaben sich Gedichte meist zugeknöpft. Die Beats halfen, aus der amerikanischen Literatur eine demokratische Angelegenheit zu machen. Sie glaubten, man brauche nur Leidenschaft zu empfinden und eine Liebe zum gesprochenen Wort. Als die Bewegung sich ausbreitete mußten die gepflegte Langeweile Prufrocks und der Weltschmerz Eliots den Beat Visionen und dem Wort-Jazz Platz machen. Die Literaturwelt sollte niemal wieder wie vorher sein. O-Ton ruth weiss Ich kannte Kerouac bevor „On the Road“ published war. Wir haben uns gekannt, ich glaube es war ´53, und er hat nur ein Buch damals rausgehabt, ich glaube, das heißt „The Country and the City“, oder „The City and the Country“.Und dieser Stil von diesem Buch war ganz anders was er später gemacht hat. Wie ich ihn gekannt habe, hat er noch nicht einmal fertig gemacht „On The Road“. Das ist erst, glaube ich, drei, vier Jahre später gekommen. Aber er war ein sehr, sehr brillanter Mann, aber er hat ein bißchen zu viel roten Wein getrunken. Ich habe auch, ich trinke auch immer, aber weil ich, ich trinke jeden Tag, ich fange an meinen Tag mit einem Bier, aber ich bin eine von den Glücklichen, ich kann ein paar Bier haben und dann muß ich nicht zwanzig haben. Und manche Leute, wenn sie anfangen, können sie nicht stoppen. MUSIK George Shearing: When Darkness Falls O-Ton ruth weiss Und warum wir nahe waren, wir waren ja nicht Liebhaber, und das war auch gut, weil seine -die Frauen hat er nicht gut behandelt, aber zu Freunde war er sehr gut. So waren wir gute Freunde. SPRECHERIN Kerouac und die Frauen. Teil eins. SPRECHER EINS Ich durfte Lee Ann nicht anfassen. Remi hielt mir darüber sogleich einen Vortrag. Ich sah mir Lee Ann genauer an. Sie war ein appetitlicher Käfer, ein honigblondes Wesen, 5 aber in ihren Augen war Haß auf uns beide. Ihr ganzes Streben war darauf gerichtet, einen reichen Mann zu heiraten. SPRECHERIN Kerouac und die Frauen. Teil zwei. SPRECHER KEROUAC Dean beugte sich plötzlich mit ernster Miene zu mir herüber und sagte: „Sal, ich hab eine Bitte an Dich – sehr wichtig für mich – ich weiß nicht, was Du davon halten wirst – wir sind doch Freunde, nicht wahr?“ „Klar sind wir das, Dean.“ Beinahe errötete er. Endlich rückte er damit heraus: er wollte gern, dass ich mit Marylou schlief. Ich fragte ihn nicht, warum, denn ich wußte, er wollte nur sehen, wie Marylou bei einem anderen war. SPRECHERIN Kerouac und die Frauen, Teil drei. SPRECHER KEROUAC „Und wenn wir erst in Pennsylvania sind, Sal! Von da an hören wir den schärfsten Ostküsten Be-Bop im Radio. Yeah (Geeyah), roll old boat, roll!“ Das phantastische Auto brachte den Wind zum Singen, es ließ die Ebene abrollen wie eine Rolle Papier, ließ den heißen Asphalt mit den besten Empfehlungen hinter sich – ein königliches Schiff. Ich öffnete die Augen und erblickte den breiten Fächer der Morgenröte, der wir entgegenflogen. Deans knochiges Gesicht hing mit steinerner Beharrlichkeit über dem Armaturenbrett. „Was denkst du gerade, Pops (Alter)?“ „Aah-aaha, aah-aaha, immer nur eines, du weißt schon -gurls, gurls, gurls (Frauen, Frauen,Frauen.)“ SPRECHERIN Kerouac und die Frauen. Teil vier. SPRECHER KEROUAC Hier erzähle ich jetzt etwas über die wichtigste Person in dieser ganzen Geschichte und 6 der besten. Meine Mutter versorgte mich mit den Mitteln zum Frieden zu kommen und zur Vernunft. Sie riß nicht an ihrem Slip herum und wetterte nicht, dass ich sie nicht liebe. Und sie stieß keine Anrichten voller Makeup übern Haufen. Sie fing nicht ständig mit den gleichen Geschichten an und sie schmachtete mich nicht an, wenn ich meinen eigenen Gedanken nachhing. Sie gähnte nur gegen elf und ging ins Bett mit ihrem Rosenkranz. Als ob sie in einem Kloster lebte unter Mother O´Shay. Ich lag da vielleicht in meinen frischen Laken und dachte daran loszusausen um eine dreckige, wilde Nutte aufzutreiben, aber das hatte nichts mit meiner Mutter zu tun, ich war frei das zu tun, was ich wollte. O-Ton ruth weiss Und wir haben auch mit stream of consciousness und auch mit Haiku, was ist die andere Ende von Literatur, und wir haben sehr viel in der Nacht dann geschrieben, die Haiku, und wir haben viel über Sprache gesprochen, wie man sie entweder ganz los läßt und sieht, was geht, oder man ist diszipliniert, um in ein paar Worten das alles sagt. Und das war wunderbar mit ihm über solche Sache zu sprechen. O-Ton Kerouac In my medicine cabinet the winter fly has died of old age. MUSIK Saxophon O-Ton Kerouac The tree looks like a dog barking at heaven. MUSIK Saxophon SPRECHER KEROUAC Gebetsperlen auf dem heiligen Buch, meine Knie sind kalt. 7 O-Ton Kerouac Prayer beads on the holy book my knees are cold. MUSIK Saxophon SPRECHER KEROUAC Am Morgen Frost die Katzen laufen langsam. O-Ton Kerouac In the morning frost the cats step slowly. Saxophon O-Ton ruth weiss 1938, ich bin in Wien, eines Tags bin ich in der Schule, in der vierten Klasse. Die selbe Lehrerin, die selben Mischülerinnen. Seit der ersten Klasse. Eines Tags bin ich in der Schule, am nächsten Tag heißt´s “Juden raus!” Die Thora, diese heilige Schriftrolle rollt auf der Straße. Mutti fängt an sie aufzuheben. “Nicht, Frau Weiss, bitte”, es ist der Polizist auf Patrol, der uns Schulkinder über die Straße geholfen hat. “Nicht, Frau Weiss, bitte. Ihr Leben!” MUSIK CD Allen Ginsberg Holy Soul Jelly Roll, Vol. 3, Track 12, 1:33 -2:11 Allen Ginsberg: Infant Joy (Blake/Ginsberg) R 2 71693 ZITATOR GINSBERG Das Geheul, für Carl Salomon Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausgemerelt 8 hysterisch nackt wie sie im Morgengrauen sich durch die Negerstraßen schleppten auf der Suche nach einer wütenden Spritze. O-Ton ruth weiss Mit Ginsberg, wir waren nie Freunde. Wir haben uns lange gekannt, aber wir haben uns nicht gern gehabt. Ich muß das sagen. MUSIK Allen Ginsberg: Infant Joy O-Ton ruth weiss Und das letzte Mal wie ich ihn gesehen habe, war in ´96, in New York, mein Film war eingeladen zum Whitney Museum. Es gab da eine Show, „Beat Culture in the New America“ und ich war da in diesem Foyer, ich war da mit ein paar Freunden, und da habe ich so einen Stich in meinem Hals gehabt, und da habe ich mich umgedreht, und da war er. Wir haben uns nur angeschaut und die Augen für einen langen, langen Moment, wir haben nichts gesagt, und dann haben wir beide unsere Köpfe weggedreht zu unseren Freunden. Und dann natürlich ist er ein paar Jahre später gestorben. Aber wir waren nie Freunde. Aber Kerouac -ja. MUSIK Canned Heat: On The Road again O-Ton ruth weiss Cassady habe ich nur ein paar Mal gekannt, er war ein wilder Mann und er hat viel herumgespielt. Aber er hat zwei Sachen, das er sehr geliebt hat, eine waren Züge, wie sagt man, trains, und er hat auch dort gearbeitet, beim Zug, und das zweite war Automobiles. Er hatte sehr gern zu fahren. Und was er gemacht hat, das ist wahr, er hat immer Automobiles gestohlen, und er wußte genau, wie man aufmachen kann, es gibt kein lock für ihn. So ist er zu einem Automobil gegangen und er hat gefahren, bis das Gas ausgelaufen und dann hat er es dagelassen, dann hat er einen anderen gestohlen. Er wollte nur immer fahren, er wollte nicht die Automobile haben. Dass er nie dafür gefangen war, ist verrückt. Aber wir waren nicht nahe, er war ein bißchen zu explodiert die ganze 9 Zeit, und natürlich ich habe auch gerne zu sprechen, aber er hat nie gestoppt. MUSIK Canned Heat: On The Road Again SPRECHER KEROUAC Regnerisch war es und geheimnisvoll am Anfang unserer Reise. Ich sah nur, dass es eine einzige große Nebelsaga werden würde. “Whooee!” (Yippiiie) schrie Dean. “Es geht los!” MUSIK Canned Heat: On The Road Again SPRECHER KEROUAC “Here we go!” Er beugte sich übers Lenkrad und drückte aufs Gaspedal, er war wieder in seinem Element, jeder konnte das sehen. Wir alle waren froh: wir wußten, dass wir das ganze Durcheinander und den Unsinn (Chaos und Wahnsinn) hinter uns zurückließen und die einzig edle Funktion dieser Zeit (in der Zeit) erfüllten – wir waren in Bewegung. Und ob wir uns bewegten! (...) Dean drehte das Radio voll auf, so dass der Wagen bebte (...) – wir rockten mit der Musik und waren uns einig. Die Reinheit der Straße, der weiße Mittelstreifen auf dem Highway entrollte sich und streichelte unseren linken Vorderreifen, wie angeleimt an unsere Spur. Dean beugte seinen muskulösen Nacken – er trug nur ein T-Shirt in dieser Winternacht – und jagte den Wagen dahin.(...) “Oh, Mann, wie toll!”, schrie Dean. ERZÄHLER Dean Moriarty, der Held von „On The Road“, sein richtiger Name: Neal Cassady. Erfüllt von heiliger Besessenheit. Immer bereit für Sex, für Drogen, für rasende Autofahrten. SPRECHER KEROUAC An diesem langen verrückten Wochenende gingen Dean und ich auch zum Birdland. Das Lokal war menschenleer, wir waren, um zehn Uhr, die ersten Gäste. Shearing kam aufs Podium, blind, an der Hand zu seinem Keybord geführt. Der Drummer, Denzil Best, saß regungslos da und schlenkerte seine Besen aus dem Handgelenk. Und Shearing fing an 10 zu schaukeln; ein Lächeln flog über sein verklärtes Gesicht; auf dem Klavierhocker fing er an zu schaukeln, vor und zurück, langsam zuerst, dann fing der Rhythmus an zu fliegen, und er schaukelte immer schneller, sein linker Fuß zuckte hoch bei jedem Takt, und sein Hals krümmte sich schaukelnd hin und her; das Gesicht jetzt tief über den Tasten, schob er seine Haare zurück, die aufgelösten Strähnen, und er fing an zu schwitzen. Shearing griff jetzt seine berühmten Akkorde; in satten Schauern rollten sie aus dem Klavier. „Go!“ schrien die Leute. Dean schwitzte; der Schweiß lief ihm in den Kragen. „Er hat´s. Das ist er! Großer Gott! Großer Gott Shearing. Ja! Ja! Ja!“ MUSIK George Shearing: Buccaneer´s Bounce, 2:02 – 2:30 SPRECHER KEROUAC Im Morgengrauen verließen wir Sacramento, und gegen Mittag querten wir die Wüste von Nevada, nach einer schlingernden Fahrt über die Berge (...). Wir beide saßen vorn (...). Dean war wieder glücklich. Was er brauchte, war ein Rad in den Händen und vier unter dem Hintern. Er erzählte von Old Bull Lee, was für ein schlechter Fahrer er sein: „Jedesmal, wenn ein großer Truck auftauchte, wie der da vorn, dauerte es eine Ewigkeit, bis Bull ihn erblickte, weil er nichts sieht, Mann, er ist halb blind.“ Zur Verdeutlichung rieb er sich furios die Augen. „Und ich sage:`Oh, paß auf Bull, ein Lastwagen!“, und er sagt: „Wie? Was hast du gerade gesagt, Dean?“ Ich sage: „Lastwagen! Lastwagen!“, und im letzten Moment steuert er direkt auf den Laswagen zu, ungefähr so“, und Dean schleuderte den Wagen frontal auf den Truck zu, der uns entgegengedonnert kam, schwankte, zögerte einen Moment, während das Gesicht des Lastwagenfahrers vor unseren Augen erbleichte und die Leute auf dem Rücksitz unseres Wagens keuchend vor Schreck zurücksanken, und riß ihn in letzter Sekunde wieder herum. „Genau so, verstehst du, genau so, du siehst was für ein schlechter Fahrer er ist.“ Ich hatte keine Angst, ich kannte Dean. Den Leuten auf dem Rücksitz aber hatte es die Sprache verschlagen. SPRECHER ZWEI Ekstase: in den Bergen von Northern California. SPRECHER KEROUAC Jeder Berg ist für mich ein Buddha. Denk nur an die Geduld hunderttausende von Jahren 11 da zu sitzen, und sie sind vollständig stumm. Doch es könnte ihre Stummheit wie ein Gebet sein für alles Lebendige, und sie warten nur darauf dass wir endlich mit dem närrischen Gehabe aufhören und uns nicht mehr länger an den Nerven zerren. MUSIK George Shearing: So Rare SPRECHER KEROUAC Der Tee, den wir dort oben brauten war bei weitem der reinste Tee, den ich je trank, und wie kein zweiter in meinem Leben konnte er unnachahmlich den Durst löschen. „Vielleicht verstehst Du jetzt die orientalische Leidenschaft für Tee,“ sagte Japhy. „Der erste Schluck ist Freude, der zweite lässt dich hocherfreut sein, der dritte bringt heitere Klarheit, der vierte Wahnsinn und der fünfte -bringt Ekstase.“ ERZÄHLER Ekstase total: das Gedicht. Allen Ginsberg: Fußnote zum „Geheul“ ZITATOR GINSBERG Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Die Welt ist heilig. Die Seele ist heilig. Die Haut ist heilig. Die Nase ist heilig. Zunge und Schwanz und Hand und Arschloch heilig! Alles ist heilig! Jeder ist heilig! Überall ist heilig! Jeder Tag ist in Ewigkeit! Jedermann ist ein Engel! Der Tramp so heilig wie der Seraph! Der Irre so heilig, wie du meine Seele heilig bist! Die Schreibmaschine ist heilig das Gedicht ist heilig die Stimme ist heilig die sie hören sind heilig die Ekstase ist heilig! O-Ton Ginsberg Holy Peter holy Allen holy Salomon holy Lucien holy Kerouac holy Huncke holy Burroughs holy Cassady, holy Sankra, holy the unknown buggered and suffering holy the hideous human angels! 12 ERZÄHLER: Ginsbergs episches Gedicht “Howl”, “Das Geheul”, rief die amerikanischen Zensoren auf den Plan, die Obszönität witterten. Doch da der inkriminierte Autor sich in Afrika aufhielt, hatte Lawrence Ferlinghetti, der Verleger von “Howl”, ein Poet und Freund von Ginsberg, vor Gericht die Bürde zu tragen. Im Ferlinghetti-Gedicht “The World is a Beautiful Place”, von 1981, mit Walter Höllerer, dem späteren Literaturprofessor als Rezitator, sind die Nachwirkungen der Ereignisse aus den 50ern immer noch zu spüren. TAKE 22 The world is a beautiful place to be born into, if you don´t mind some people dying all the time, or maybe only starving, some of the time, which isn´t half so bad, if it isn´t you. The world is a beautiful place to be born into. Die Welt ist ein herrliches Plätzchen, um da hineingeboren zu werden, falls man sich nicht dran stört, daß Leute sterben, die ganze Zeit hindurch oder vielleicht nur verhungern, einen Teil der Zeit hindurch, was alles nicht halb so schlimm ist, solange man es nicht selber ist. Ach, die Welt ist ein herrliches Plätzchen. ERZÄHLER Die Beats – Ekstase und Ironie ZITATOR GINSBERG Allen Ginsberg sah sich in der Tradition von Walt Whitman und William Blake. Jahrelang war er geprägt von einer Vision, in der ihm, an einem warmen Sommerabend auf dem Bett in seiner Wohnung in New York liegend, Blake erschienen war. Oder vielmehr, so Ginsberg: dessen Stimme hatte durch die Jahrhunderte hindurch zu ihm gesprochen, hatte -nur für ihn -unter anderem die Gedichte „Ah Sunflower“ und „The Sick Rose“ rezitiert. 13 Unmittelbar nach seiner Blake-Vision kletterte Ginsberg hinaus auf die Feuerleiter und klopfte ans Fenster der Wohnung nebenan. „Ich habe Gott gesehen“, gestand er den beiden jungen Frauen, die dort wohnten, worauf die ihm das Fenster vor der Nase zuschlugen. Er ging dann zu einem öffentlichen Telefon und rief seinen ehemaligen Analytiker an, aber der Psychiater weigerte sich, die Kosten für das Gespräch zu übernehmen. ERZÄHLER: Jack Kerouac, eigentlich: Jean Louis Lebris de Kerouac. Der Autor tritt gelegentlich auf als: ti Jean, Sal Paradise, Jack Dolouz und Ray Smith. „American Haikus“, begleitet von Zoot Sims und Al Cohn. O-Ton Kerouac Early morning, yellow flowers Thinking about the drunkards of Mexico MUSIK Saxophone SPRECHER KEROUAC Die Nacht bricht herein, ein Junge köpft den Löwenzahn mit einem Stock O-Ton KEROUAC Nightfall boy smashing dandelions with a stick. MUSIK Saxophone O-Ton KEROUAC Useless, useless, heavy rain Driving into the sea. 14 Saxofon SPRECHER KEROUAC: Betrunken wie eine Eule, Briefe schreiben, beim Gewitter. O-Ton KEROUAC Drunk as a hoot owl writing letters by thunderstorm. MUSIK Saxofon ERZÄHLER Wie schreibt ein Beat-Writer? Gibt es eine Anleitung für Spontanität? Kann man Beat- Writing lernen? SPRECHERIN Allen Ginsberg, aus einem Interview: ZITATOR GINSBERG Die große Entdeckung von Jack Kerouac in “On The Road”: die Sachen, über die er sich mit Neal Cassady unterhielt, waren das Thema, über das er schreiben wollte. Das bedeutete, zu diesem Zeitpunkt, eine komplette Umkehrung, was Literatur eigentlich sein sollte, in seinem Kopf, und dann auch in den Köpfen der Leute, die das Buch lasen. Ganz bestimmt nicht in den Köpfen der Kritiker, die es zuerst angriffen, es habe keine richtige Struktur. Eine Gruppe von Freunden die in einem Auto durch die Gegend brausen. Das ist doch offenkundig ein großartiges pikareskes literarisches Mittel, ein klassisches. Das wurde damals nicht anerkannt als angemessenes literarisches Thema. Unumgänglich – sich dem Schreiben hinzugeben, so zu schreiben – wie man ist. MUSIK Bob Dylan: Subterranean Homesick Blues 15 ERZÄHLER In Tanger waren die Freunde wieder vereint. Während in San Franzisko der Kampf um die Veröffentlichung von “Howl”/“Geheul“ tobte, half Kerouac William Burroughs bei der Niederschrift seines Manuskripts. Musik Dylan: Subterranean Homesick Blues ERZÄHLER Burroughs Schreibmethode war ungewöhnlich, wenn nicht gar einzigartig: Jeden Tag setzte er sich an seine Reiseschreibmaschine und arbeitete eine Version aus, die er gerade hatte; wenn eine Seite fertig war, dann warf er sie über die Schulter und begann eine neue; die fertigen Seiten lagen völlig durcheinander auf dem ganzen Boden verstreut. Kerouac, der selbst hoch diszipliniert arbeitete, war entsetzt über die Unordnung, die er im Arbeitszimmer von Burroughs vorfand. Es war eine Sache, seinem Bewusstseinsstrom an ungeahnte Ziele zu folgen – etwas ganz anderes jedoch, diese Kreativität auf einem Teppich aus Seiten landen zu lassen, die jedes Mal bis auf den Hof flogen, wenn der Wind drehte. Jack sammelte die losen Seiten auf und half Burroughs dabei, den Haufen Papier zu einem professionell getippten Manuskript zu ordnen. Es dauerte nicht lange, und Burroughs gab dem Roman wieder den Titel, den Jack vorgeschlagen und den er selbst schon einmal in Betracht gezogen hatte: ”Naked Lunch”. SPRECHERIN Regeln des Schreibens, an die Wand zu heften: Belief & Technique For Modern Prose ERZÄHLER Regel No 1 SPRECHER KEROUAC Geheimgehaltene voll gekritzelte Notizbücher, wild voll getippte Seiten, aus eigener Freude. 16 ERZÄHLER Regel No 2 SPRECHER KEROUAC Sich allem ergeben, offen sein, zuhören. ERZÄHLER Regel No 4 SPRECHER KEROUAC Sei in Dein Leben verliebt. ERZÄHLER Regel No 13 SPRECHER KEROUAC Beseitige literarische, grammatikalische und syntaktische Hemmungen. ERZÄHLER Regel No 15 SPRECHER KEROUAC Erzähle die wahre Geschichte der Welt als inneren Monolog. ERZÄHLER Regel No 24 SPRECHER KEROUAC Hab keine Furcht, kein Schamgefühl, wenn es um die Würde Deiner Erfahrung geht, um die Sprache, um das Wissen. ERZÄHLER Regel No. 28 17 SPRECHER KEROUAC Je wilder Du komponierst, je undisziplinierter, reiner, je mehr da was von ganz unten kommt, je verrückter – desto besser. ERZÄHLER Regel No 29 SPRECHER KEROUAC Du bist ein Genie. Jederzeit. MUSIK George Shearing: Cozy´s Bop SPRECHERIN Kerouacs literarische Vorbilder: Sinclair Lewis, Thomas Wolfe, vor allem Thomas Wolfe, Ernest Hemingway, William Faulkner und Henry David Thoreau. Dazu Han Shan – chinesischer Dichter des 8. Jahrhunderts -und Cervantes´ Don Quichotte. MUSIK George Shearing: Cozy´s Bop SPRECHERIN Eine Auswahl nicht-literarischer Hilfsmittel, die Jack Kerouac beim Schreiben dienlich waren. Portwein, Marihuana, Benzedrine, Peyote, Sex, Bebop, Whiskey, Burgunder aus Kalifornien, Majoun, ein Konfekt aus Honig, Gewürzen und Marihuana, Meditationen, Tonbandgerät und Mikrophon, christlich-katholische Religion und Buddhismus. SPRECHER KEROUAC Lass mich mit der Geschichte meines ersten Mordes beginnen. In meiner Gebirgshütte als Feuerbeobachter ermordete ich eine Maus, und das war -agh. Sie hatte kleine Augen und schaute mich flehend an. Ich richtete die Taschenlampe auf sie, räumte die Packungen mit Liptons Grüner Erbsensuppe zur Seite. Sie schaute mich an mit “menschlichen” furchtsamen Augen (Alles Lebende zittert vor Furcht bestraft zu werden.) und kleinen 18 Engelflügeln, und ich haute zu, direkt auf den Kopf, ein scharfes Knacken, das tötete sie, die Augen traten aus ihren Höhlen, bedeckt mit grünem Erbsenstaub – wie ich sie erschlug schluchzte ich fast und schrie auf: Du armes kleines Ding, als ob ich es nicht war, der das tat? ERZÄHLER McDougal Street, Greenwich Village, zwischen 8. Straße und Houston Street, Manhattan, New York. “The Village” -bevorzugter Platz der amerikanischen Boheme -seit Jahrzehnten. Anne Waldman lebt hier. Um die Ecke hatte jahrelang der Pulitzer Preisträger James Agee gewohnt. Bob Dylans erste New Yorker Adresse war hier. (Das Zimmer roch nach GinTonic, Fusel und Blumen.) John Coltrane spielte im Jazzclub Village Vanguard. Hier lebt Anne Waldman: Second generation beat poetess. Allen Ginsberg beehrte sie mit dem Titel “She´s my spiritual wife.” Davon ließ sich Anne nicht aus der Bahn werfen. O-Ton Waldman, darauf SPRECHERIN Allen und ich hatten eine Verbindung. Wir waren keine lovers, obwohl wir einige Zeit mit Zärtlichkeiten verbrachten. Er war sehr sympathisch, wo er doch einen solchen Ruf besaß – frauenfeindlich zu sein, diesen Ruf hatten ja viele der männlichen Beat Schriftsteller. Wir hatten gemeinsame Interessen, wir waren beide Aktivitätsdämonen, wir besaßen Energie, wir kümmerten uns um neue Infrastrukturen, wir wollten neue Möglichkeiten schaffen, die anderen Schriftstellern und Poeten dann zugute kommen sollten. Er wollte seinen Freunden bei der Veröffentlichung ihrer Bücher helfen, er war ein großer Briefeschreiber, er kümmerte sich um andere. Es gab eine Sympathie zwischen uns, eine Empathie für Formen und Wege. Wenn wir reisten und auftraten, war er hilfreich, er ermunterte mich, riet mir, längere Stücke zu schreiben, sagte mir, ich solle keine Angst haben aufzustehen und laut und deutlich meine Stimme ertönen zu lassen, ich sollte den Tönen trauen, den Tönen innerhalb der Töne des individuellen Worts. Also eine Balance finden. Ich fühlte mich nicht von ihm eingeschüchtert, ich fühlte mich wohl bei ihm. MUSIK: Anne Waldman: Doubt 19 SPRECHERIN Die Bezeichnung “spiritual wife” hat Allen in Prag zum ersten Mal benutzt, bei einer Lesung, an der wir beide teilnahmen, nach der Samtenen Revolution. Allens zweiter Besuch in Prag, nach seinem berühmten ersten Besuch – seitdem war er dort ein Held. Ich verstand, was er damit meinte, für mich war das ein Kompliment. Einige Leute meinten, das sei anti-feministisch gewesen, ich hätte mich untergeordnet. Aber unser Projekt einer Schule und unser spiritueller Weg schweißten uns zusammen. Als er krank wurde, ins Krankenhaus kam, war ich bei ihm, bis zu dem Augenblick als er starb. Er hatte einen ungewöhnlichen Tod, er war großzügig, friedlich. Allen war sehr darum besorgt, dass es mit unseren Projekten voranging. So he saw me. It was like being with family. MUSIK Anne Waldman: Doubt O-Ton Anne Waldman Fast Speaking Woman I´m a shouting woman, I´m a speech woman, I´m an athmosphere woman, I´m an air-tight woman, I´m a flash woman, I´m a flexible woman, I´m a high-heeled woman, I´m a highstyled woman, I´m an automobile woman, I´m a mobile woman, I´m an elastic woman, I´m a necklace woman, I´m a silk-scarf woman, I´m a know-nothing woman, I´m a know-it-all woman, I´m a day woman, I´m a dull woman, I´m a sun woman, I´m a late-afternoon woman, I´m a clock woman, I´m a wind woman, I´m a white woman, I´m a silver-light woman, I´m an ember-light woman, I´m an emerald light woman, I´m a fast speaking woman. ERZÄHLER Allen Ginsberg und Anne Waldman, Diane Di Prima, John Cage und vor allem Chögyam Trungpa Rinpoche waren 1974 die treibenden Kräfte bei der Gründung der Naropa Universität in Boulder, Colorado, der einzigen buddhistisch inspirierten Hochschule in den USA, dort ist auch die Jack Kerouac „School Of Disembodied Poetics“ untergebracht. O-Ton Waldman darauf SPRECHERIN Kerouac war eine außergewöhnliche Figur in Allen Ginsbergs Leben gewesen. Die 20 Herzensverbindung und seine Kameradschaft mit Kerouac hatten ihn geprägt, hatte Allen die Richtung vorgegeben, in seiner Arbeit und in seinem Leben. Allen wurde von Kerouac in die buddhistische Philosophie und die buddhistische Ideenwelt eingeführt, und Kerouac hatte ihm zudem die „erste noble buddhistische Wahrheit“ des Leidens gezeigt, dass man hier mit dem buddhistischen Pfad beginnt, mit der Anerkennung, dass das Leiden existiert. MUSIK Bob Dylan: Desolation Row O-Ton Waldman, darauf SPRECHERIN „Kerouac School“, prima, das schien angemessen und ehrenvoll, er war auch ein Schriftsteller, zu dem viele Schriftsteller meiner Generation hoch schauten, auch Frauen, trotz seiner schwierigen Geschichte mit Frauen und seiner Frauenfeindlichkeit. Aber da war etwas Radikales in seinem Schreiben. In jedem Augenblick diese Aufmerksamkeit, allen Wahrnehmungen gegenüber lebendig und wach, das Durchschauen von Dingen, das Erkennen der illusorischen Natur unserer Erfahrungen. Dieses Summen, dieser Ton in seinem Schreiben, ein musikalischer Ton, dieses Summen unterhalb der vokalen Äußerung und die Energie, die in der Musik liegt. Man hat ja immer seine Nähe zum Jazz betont. Sein eigener Rhythmus, der Ton seines Denkens. Und das war immer inspirierend, er war der typische kulturelle Held, vollständig Amerikanisch. In seinem Durchmischtsein. Die Familie kam aus Quebek, sie sprachen untereinander Jual, einen franko-kanadischen Dialekt. Dann die schwierige Familiensituation. Und zuerst war er Footballstar, dann Intellektueller auf der Columbia University. Der Suchende, an Buddhismus interessiert, ein komplizierter Mensch, die radikal-neue Art zu schreiben, radikal und experimentell. Er war zärtlich, zerbrechlich. Es war eine komplizierte Dynamik, die dieses menschliche Wesen ausmachte. MUSIK Dylan: Desolation Row O-Ton Waldman darauf SPRECHERIN „Disembodied“ bedeutete, wir konnten Leute ehren, die nicht mehr länger lebten. Allen 21 unterrichtete Blake, andere Dante und Shakespeare. Jedoch vermittelte das Wort „disembodied“ zudem, dass Dichtung auch jenseits des Körpers fortbesteht. Und dann spielte die damals wichtige französische Philosophie des Dekonstruktivismus eine Rolle. Sowie die buddhistische Überzeugung, dass, wenn man ein Mandala aus Sand herstellt oder einen Schrein mit bestimmten Objekten errichtet, diese zwar nur in deinem Kopf visualisiert werden. Aber dann musst du sie auch wieder dekonstruieren. Du kannst nicht für immer daran festhalten. Es ist der Tanz zwischen Form und Leere, Leere ist Form, Form ist Leere. Das waren so einige Überlegungen zu „disembodied“. Und dass die Leute diesen Begriff nicht vergessen. Er bleibt haften. MUSIK: Dylan, Ginsberg: Vomit Express darauf SPRECHERIN: Mit Dylan und Ginsberg ging ich auf Tournee, das war noch bevor Allen mich als sein „Spiritual Wife“ bezeichnet hatte. Allen hatte mich mitgenommen, er war einer der Poets in Residence, neben dem Dramatiker Sam Shepard. Wir waren auch Teil eines Films, der damals aufgenommen wurde, „Renaldo und Clara“. Für den Film wurden einige Minuten meines Gedichts „Fast Speaking Woman“ benutzt, ich trage es vor. Und dann bin ich noch in wenigen Sequenzen zu sehen, die ich vorschlug. In der Bordellszene, im Red Walled Hotel, im Chateaux Frontenac, in Montreal. Und es war wieder sehr aufschlussreich Dylan zu erleben. In Action und ganz nah. Die Art wie er seine Sprache präsentierte, wie wunderbar er sie vortrug, seine Aussprache, wunderbar, wie er die Konsonanten, die Silben, die Sprache überhaupt ganz sorgfältig einsetzte. In einem Bob Dylan Song kann man jedes Wort verstehen. Das ist bei vielen anderen populären Musikern nicht der Fall. Und bei dieser Tournee ging es um Spontaneität. Wir kamen in eine Stadt, ohne jede Vorankündigung, 24 Stunden vorher wurde das festgelegt. Erst dann konnten die Karten gekauft werden. Das war aufregend, es war erfrischend, wir bewegten uns schnell, wir blieben nicht in einem Auditorium oder Stadion, traten Nacht für Nacht auf. MUSIK Bob Dylan & Allen Ginsberg: Vomit Express ERZÄHLER: Bob Dylan, Chronicles, Volume 1: 22 ZITATOR DYLAN “On The Road” war wie eine Bibel für mich gewesen. Ich liebte die atemlosen dynamischen Bop-Dichtungen, die aus Jacks Feder flossen. Ich verfiel dieser Atmosphäre, in der Kerouac die Welt für verrückt erklärte, und die einzigen Menschen, die ihn interessierten waren die verrückten Menschen, all die, die verrückt genug waren zu leben, verrückt genug um zu reden, verrückt genug um gerettet zu werden, jene die zu gleicher Zeit alles wollen, jene, die nie gähnten, alle Verrückten und ich fühlte, zu dieser Handvoll gehörte ich auch. MUSIK Dylan: Like A Rolling Stone ERZÄHLER: Dylan, Chronicles, Volume 1 ZITATOR DYLAN Das Buch, das ich las und mit dem ich mich viel mehr identifizierte als mit „On The Road“ hatte ich von einem Freund. Es war von Woody Guthrie: “Bound For Glory”. ERZÄHLER Durch das Dach, unten aus dem Waggon, hörte ich die Stimmen der sechsundsechzig Hobos. Es waren neunundsechzig gewesen, wenn der Alte richtig gezählt hatte. Einer warf sich selbst in den See. Er stieß zwei andere mit sich aus der Tür, doch sie fielen nur leicht und erreichten wieder eine Leiter. Dann waren die beiden windgegerbten, sonnengebräunten Knirpse auf das Dach unseres Waggons geklettert und in den Wolkenbruch geraten wie begossene Pudel. Männer kämpften gegen Männer. Hautfarbe gegen Hautfarbe. Verwandte gegen Verwandte. Rasse gegen Rasse. Und wir alle kämpften gegen den Wind und den Regen und den hell zuckenden Blitz, der kracht und zischt, der seine Augen im weißen Himmel badet, einen Fluss zum Stehenbleiben zwingt, und die Nacht betrunken im Hurenhaus verbringt. Wer sind diese verrückten Männer da unten, die sich gegenseitig wie Hyänen anheulen. Sind das Männer? Wer bin ich? Wie kommen die hierher? Wie komm ich hierher? Was soll ich hier? Mein Ohr, fest gegen das Blechdach gepresst, schnappte aus dem Wageninnern ein 23 bisschen Musik und Gesang auf. MUSIK This train is bound for glory O-Ton Waldman darauf SPRECHERIN Es ist schwierig, das Werk von William Burroughs, Allen Ginsberg und Jack Kerouac zusammenzufassen. Es gibt wohl mehr Resonanz zwischen Kerouac und Ginsberg. Allen war direkter, skizzenhaft, er wollte die Dinge in jedem Augenblick verfolgen, wollte ganz genau feststellen, wo man ist, was man gerade im Kopf hat. Burroughs arbeitete von einer Traumsituation aus. Das war eine surrealistische Methode, bei der mit cut-up Technik gearbeitet wurde, mit Collagen, mit Neuzusammensetzungen. So arbeitete auch der Kopf von Kerouac. Burroughs schrieb allegorisch, fast science-fiction-artig. Voller Besessenheit und Furcht, wohin die Technologie die Menschheit treibt. ERZÄHLER: William S. Burroughs, „Naked Lunch“: ZITATOR BURROUGHS Ein riesiger ausgestorbener Hafen, auf dem Wasser eine buntschillernde Ölschicht, Erdgas-Fackeln über verlassenen Bohrlöchern am Horizont. Gestank nach Öl und Abwässern. Kranke Haie schwimmen durch schwarze Wasser, rülpsen Schwefeldämpfe aus ihrer faulenden Leber und würdigen den blutigen, abgestürzten Ikarus keines Blicks. O-Ton Waldman darauf SPRECHERIN Politisch gesehen war Burroughs der konservativere, aber auch Kerouac hat sich für den Vietnamkrieg ausgesprochen. Er war verbittert, die Hippie-Bewegung hat ihn abgestoßen. Seine katholische Erziehung gewann langsam die Oberhand. Und dann noch die erotische Beziehung zur Mutter, bei Ginsberg und Kerouac, das alles war reich und seltsam. ERZÄHLER: Steven Watson, Biograph der pop-kulturellen Geschiche der USA. Eine Auswahl seiner 24 Bücher: Warhol and the Sixties, The Harlem Renaissance, The Birth of the Beat Generation. O-Ton Watson darauf: ERZÄHLER Das sind die drei Männer, die sich seit 1944 kannten, es war ein ganz enger Kreis von Freunden, man war loyal. Wenn sie nicht zusammengekommen wären, dann hätten wir heute keine Beat Generation. Wobei ihr Schreiben ganz unterschiedlich ist. Jack Kerouac schreibt einen pikaresken amerikanischen Roman, William Burroughs schreibt eine tödlich schwarze Komödie und Allen Ginsberg schreibt apokalyptische, lyrische Poesie. Also auf vielerlei Art ganz unterschiedlich. Was sie zusammenhält ist ihre unbedingte Offenheit, ihr Interesse an Spontaneität im Schreiben, die einer Jazz-Improvisation ähnlich ist, und die Erforschung neuer Qualitäten der amerikanischen Sprache. Sie nehmen die amerikanische Sprache aus dem akademischen Milieu heraus und bringen sie auf die Straße. MUSIK Cannonball Adderley SPRECHER KEROUAC Ein Häufchen Farbiger in Samstagabendanzügen sorgte vor dem Laden für Stimmung. Es war eine billige Kneipe mit Sägemehl auf dem Fußboden und einem winzigen Musikpodium, auf dem die Typen mit ihren Hüten auf dem Kopf vor den Leuten standen und jazzten, ein toller Laden, wüste, schlampige Frauen wanderten in ihren Bademänteln herum, Flaschen klirrten in den Durchgängen. Im Hintergrund in einem dunklen Flur vor den schmutzigen Klosetts, lehnten Scharen von Männern und Frauen an der Wand und tranken Rotwein-Spodiodi und spuckten auf die Sterne. O-Ton Watson darauf ERZÄHLER Sie sahen sich als Ausgestoßene, als Außenseiter der amerikanischen Kultur. Stets schrieben sie vom Rand her. Die Beats waren nicht politisch, im Sinne von organisierter Politik. Allein Ginsberg wurde später eindeutig politisch. In den 60er sagten wir: Das 25 Persönliche ist das Politische. Das betraf vor allem Ginsbergs offen ausgelebte Homosexualität, dies wurde als politische Aussage interpretiert. Ginsberg war der einzige, der dann eine politische Organisierung guthieß. Er hatte eine Gegen-Kultur Stimme, die in der ganzen Welt gehört wurde. Er wird derjenige sein, den wir am meisten vermissen. Wenn man an die Beats erinnert, darf man sich nicht nur an einem Lifestyle festhalten, Kerouac mit Khakis, zum Beispiel, oder mit speziellen Jeans, die ganze Werbung, die sich um die Beats herum schon bald abspielte. Wie bei jedem Jugendphänomen. Die wirklichen Geschichten sind allerdings zu finster, um sie erfinden zu können. In den frühen Jahren der Beat Generation gibt es zumindest zwei Mordfälle, viele psychiatrische Kliniken, Gefängnisse, Heroin-Abhängigkeit, alle möglichen schmerzhafte Dinge. MUSIK Charly Parker: Now Is The Time O-Ton Watson darauf ERZÄHLER Ihr Schreiben kommt vom Mut, sich damit auseinanderzusetzen. Das unterscheidet sie von allen amerikanischen Avantgarde Bewegungen. Nirgends sonst findet man ein solche enge Beziehung zwischen dem Schreiben und dem Leben. O-Ton Kerouac darauf SPRECHER KEROUAC ... und dass der Abendstern herabsinken und sein matter werdendes Funkeln auf die Prärie gießen muss, bevor endlich die vollkommene Nacht sich ausbreitet und die Erde segnen die Flüsse in Dunkelheit tauchen und die Gipfel der Berge verhüllen und das letzte Gestade umschließen wird, und niemand, niemand weiß, was einem jeden bevorsteht, außer den elenden Lumpen des Alterns, dann denke ich an Dean Moriarty, dann denke ich auch an Old Dean Moriarty, den Vater, den wir nie gefunden haben, dann denke ich an Dean Moriarty. O-Ton Kerouac ... then I think of Dean Moriarty. MUSIK 26 Charlie Parker: Now Is The Time