COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. AT: ?Die Herausforderung? Von Tina Hüttl und Carolin Pirich * ANFANG * O-Ton 1 - Mutter Bruno (Atmo dran) Wir machen jetzt Bällchen, ja da muss ich mein Handy finden, da ist die Email von Luna drin. (Atmo Aufbruch vom Tisch darn --> unter Autorin blenden) Autorin 1 Letztes Abendessen bei Familie Jäger. Morgen früh startet Bruno - ein hochgeschossener 12-Jähriger, mit ernstem Blick im Kindergesicht - auf Kanutour: Drei Wochen allein mit sechs Klassenkameraden. Luna, das einzige Mädchen in der Gruppe, hat das Rezept für "Power-Bällchen" an alle geschickt. Sie sollen Energie liefern, wenn beim Paddeln die Kraft ausgeht. Eltern und Bruder helfen Bruno beim Rollen. O-Ton 2 - (Atmo dran) Okay Bruno, also ich sage Dir. Ich gebe Dir eine größere Tasse (Geklapper), nimm mal die Schale, davon eine Schale mit Haferflocken... (Atmo dran - Zutaten, Geklapper, unterblenden) Autorin Eine Küche in Berlin Prenzlauer-Berg: Altbau mit Stuck, vorm Küchenfenster hängt seit Monaten eine Plane, weil das Haus saniert wird. Brunos Vater ist freiberuflicher Fotograf, seine Mutter Produktdesignerin an der Universität der Künste. Bruno geht auf eine von den Eltern gegründete Reformschule, die Evangelische Schule in Berlin-Mitte. O-Ton 3 - Atmo dran - (Henry quetscht Honig aus Flasche): Fuck, wird das süß. (Atmo 2 - dran - Küche unter folgenden Text weiter unterblenden) Autorin Brunos Schule macht vieles anders - wo andere vor allem Mathe, Erdkunde und Sprachen durchpauken, gibt es hier Fächer, die zum Beispiel "Verantwortung" heißen und ein Projekt, das sich "Die Herausforderung" nennt: Alle Acht-, Neunt- und Zehntklässler suchen sich eine Gruppe und ein Ziel - mit dem Fahrrad von Berlin an die Ostsee, Arbeiten auf dem Bauernhof, oder, wie Bruno, mit einem Kanu die Havel entlang. Jeder bekommt 150 Euro - und für drei Wochen die komplette Freiheit: keine Lehrer, keine Eltern, keine Handys, nur ein Betreuer für Notfälle begleitet die Gruppe. Es ist nicht nur eine Herausforderung für die Schüler - sondern auch für die Eltern. Sie nämlich sollen sich komplett raushalten, das heißt: nichts organisieren, nichts packen für die Kinder, nichts kontrollieren und kein Kontakt, sobald der Zug abfährt. Atmo 3 - Bahnansagen, Bahnsteig, Kinderstimmen - 1'15'' RE Eisenhüttenstadt nach Fürstenwalde.... Berlin Hauptbahnhof, Untergeschoss, Gleis 6. Fast alle Eltern sind zum Abschied gekommen. Sieben Minuten bis zur Abfahrt der Regionalbahn nach Fürstenberg an der Havel. Einer fehlt, Joni, er hat verschlafen. O-Ton 5 Da ist er! Joni! Hallo! Hast Du Tickets gekauft? Nee? Super, habe auch gerade welche ... Atmo 4 - am Bahnhof (Kinderstimmen gegen 2', Bahnhofgrundrauschen) - 2'19'' Die Kinder wuchten die Taschen in den Waggon. Das ganz schwere Gepäck - Zelte und Verpflegung - hat eine Mutter schon vorgefahren. Die erste kleine Schummelei. Luna, das einzige Mädchen, drückt ihren Vater, Bruno winkt schnell. Nur Ben, ein hübscher, lässig angezogener 12-Jähriger, fällt seiner Mutter immer wieder um den Hals. Atmo - Einsteigen Im Waggon faltet Jakob sorgfältig die Karte auf. Er wirkt am reifsten, weil er ernster ist, weil er eine große Ruhe ausstrahlt. Atmo 5 - Ansage im Zug - 34'' ... nach Rostock Hauptbahnhof über Fürstenberg an der Havel... (dann unter Text blenden) O-Ton 8 - Jakob Hier unten irgendwo ist Berlin und wir fahren direkt nach Fürstenberg. Und dann fahren wir mit dem Bus zu diesem Campingplatz... Dann fahren wir von Berlin zum Ellbogensee hoch. oder hier. Je nachdem, ich weiß nicht wie die Stimmung ist.... (Autorin darüber) Atmo 6 - Zugfahrt - 24'' Der grobe Plan ist, in Fürstenberg auszusteigen und an einem Campingplatz in Großmenow an der Mecklenburgischen Seenplatte, vier Kanus zu mieten. Damit paddeln sie drei Wochen lang - entweder zurück nach Berlin oder sie machen eine große Rundfahrt. 1050 Euro haben sie, wenn jeder seine 150 Euro Jakob, dem Kassenwart, gibt. Für die Boote haben sie einen Deal ausgehandelt, weil Brunos Vater den Verleih kennt: wenn sie vor der Abfahrt Kanus putzen, bekommen sie sie billiger. O-Ton 9 Fabi: Wo ist der Ellbogensee? - Hier. Atmo 7 - Alupapier wird ausgepackt - 56'' Autorin Zwei Reihen hinter ihnen sitzt Romy Schwarz, die Betreuerin: 40 Jahre, keine Kinder, gelernte Krankenschwester. Sie trägt eine schwarze Outdoorjacke und Turnschuhe, eine Frau, die zupackt und gerne Verantwortung übernimmt. Jetzt aber hat sie sich vorgenommen, zu beobachten und nur im Notfall einzugreifen. So wie es die Regeln der Schule für die "Herausforderung" vorschreiben. O-Ton 10 ? Romy Sie kommen ja langsam in das Alter, wo sie sich selber lösen so mit 13, 14 vom Elternhaus, und ich denke es ist für beide mal spannend loszulassen. Ich dachte erst, die sind zu jung, aber anderseits war ich 10 Jahre in Afrika, da haben die Mädels schon den ganzen Haushalt geschmissen mit 13, 14 Jahren. Autorin In Guinea hat sie in einem Krankenhaus gearbeitet und Touren durch den Urwald geführt. Als die Eltern der Kinder das bei dem einzigen Treffen mit der Betreuerin hörten, waren sie heilfroh: eine Krankenschwester und Rettungsschwimmerin an der Seite ihrer Kinder. Sie haben kaum Fragen gestellt, als fiele es ihnen leicht, ihre Kinder ziehen zu lassen. Sie waren sogar dagegen, dass ihre Kinder Handys mitnehmen. Aufgeklärte, bewusst erziehende Eltern, die wissen, dass zu viel Schutz und Helikopter-Betreuung ihren Kindern eigentlich nicht weiterhilft. Kurz vor der Abreise haben sie dann doch ein Probezelten organisiert, Kochen mit Gaskartusche geübt und Romy mit einer Notfalldecke, verschiedenen Medikamenten und einem Skalpell ausgestattet. In der Gruppe sind drei Ärztekinder. Atmo 8 - Zugansage - Zug bremst. 32'' Nächste Station Fürstenberg/Havel Autorin Ist es wirklich richtig, 12-/13-Jährigen zuzutrauen, drei Wochen auf sich gestellt zu sein? Was wird passieren? Wie werden sie in der Gruppe klarkommen, wer wird sich durchsetzen, worüber werden sie streiten - wie schlafen, wie kochen, ganz ohne dass jemand sie umsorgt? Und wie reagieren Erwachsene auf Kinder, die alleine reisen? O-Ton 11B (- Reden durcheinander) - wie Atmo verwenden Also Leute, wir machen das so... Ihr fahrt vor und dann bauen wir die Zelte auf...Und die anderen nehmen das Gepäck. Mit einem Taxibus fährt die eine Hälfte in Richtung Campingplatz und Kanuverleih vor. Er liegt am Ellbogensee, wo Brandenburg an Mecklenburg grenzt. Weil nicht alle in den Kleinbus passen, bleiben die anderen in Fürstenberg und suchen einen Supermarkt. O-Ton 12 - Taxifahrerin (Atmo dran) Strasen dann, das ist noch ne ganze Ecke weiter. - Fahren Sie da auch hin? - Nee, da fahren wir nicht, das ist Mecklenburg. - Wie weit ist das denn noch? - Ja, also, gut 20 Minuten. - Oh nein! Autorin Erstes Problem: Die Kinder sind offenbar am falschen Ort. O-Ton 13 - Vor der Wanderkarte Taxifahrerin: Also Großmenow. - Bruno: Und wo ist der Kanuverleih? / Das ist jetzt hier in Strasen. - Und wo ist Strasen? - Das ist hier nicht drauf - Ohoho! Atmo 9 - Gespräche, Taxi fährt weg - hupt. 44'' Strasen liegt acht Kilometer entfernt, die Fahrerin muss los. Die Kinder laden Rucksäcke und Taschen aus - ein riesiger Berg Gepäck, der sich nun am Straßenrand auftürmt. Bruno fragt seinen Freund Francis nach der Landkarte, aber die hat Jakob, und der ist im Supermarkt. Was nun? Der erste Impuls der Jungs: Bruno soll mit dem Handy von Betreuerin Romy seinen Papa anrufen und nochmal fragen wo genau der Campingplatz liegt. O-Ton 14 - Bruno (Viel Wind!! - schnell unterblenden) Hallo hier ist Bruno, wir sind jetzt hier in Großmenow... Autorin Von Brunos Vater bestärkt laufen sie durch den Wald, zum Wasser runter, bis sie den Campingplatz sehen - tatsächlich: es gibt dort auch den Kanuverleih, den sie suchen. Die Taxifahrerin kannte ihn nicht. Atmo 11/O-Ton - im Anmelderaum . 4'38'' ... Ja. - Wir wollten fragen, ob wir heute übernachten können.... (Autorin drüber) Nächstes Problem: Die Campingplatzbesitzerin. Sie ist irritiert, dass Kinder mit ihr verhandeln. Die Jungs sind höflich, vielleicht nicht ganz formvollendet. Sie haben vergessen, sich und ihr Schulprojekt vorzustellen. Die Besitzerin, überfordert, will die Kinder hier nicht haben. Das schreit sie ihnen auch hinterher. O-Ton 15 - Bruno (24s) Ben: Ich hasse solche Leute, die gleich irgendetwas gegen Kinder haben. Bruno: Nee, gegen Jugendliche, weil die immer Scheiße bauen. Und es stimmt ja sogar. Ben: Ja, aber doch nicht auf dem Campingplatz. Bruno: Na, wer weiß. Ben: Wo soll man denn auf dem Campingplatz Scheiße bauen? Mehrere überlegen: Ja, rumlaufen nachts, Zelte aufschlitzen... Atmowechsel Atmo 12 - Supermarkt (1:08) Kind: Okay, einen Wagen, hier ein Wagen. He, Leute ich hol kurz einen, hat jemand einen Euro?.. Autorin darüber: Vier aus der Gruppe haben den Supermarkt in Fürstenberg gestürmt. Im Aktionsregal mit Sonderangeboten hat Luna Linseneintopf in Dosen gefunden. O-Ton 16 - Luna (50s) Luna: Warte eins zwei drei vier... Davon könnten zehn Leute essen, Jakob: Wie teuer sind die denn? Luna: Keine Ahnung, das ist doch erstmal egal. Jakob, wenn wir zweimal...(wird unterbrochen, ein Kind bringt Leckermäulchen). Jakob, bring doch mal fünf mit, nicht Würstchen sondern Linseneintopf oder Kartoffelsuppe! Atmo 13 - Supermarkt allgemein mit Gesprächen Kinder (1:15) Autorin darüber Luna rechnet aus, dass alle von den Dosen zwei Mal satt werden. Sie hat außerdem 20 Packungen Nudeln, acht Tüten Haferflocken à 500 Gramm und vier Packungen Pumpernickel im Einkaufswagen. Überhaupt ist sie die Einzige, die versucht, etwas System in die Sache zu bekommen. Während sie die Vorräte durchrechnet, flitzen die Jungs durch die Gänge, bringen Süßigkeiten, Cola, Fruchtzwerge oder Spielzeug an - Luna schickt sie damit immer wieder zurück. Die Jungs sind sauer. O-Ton 17 - (46s) Joni: Leute, hier gibt es sowas ähnliches wie YumYum, vier Stück für 70cent. Luna: Nein, Nein, das hat überhaupt keinen Sinn. Macht nicht satt. Joni: Doch, das macht megasatt. Luna: Nein, Nein. Joni: Doch! Luna: Ein so ein Teil? Das sind solch kleinen Nudelchen. Ben: Die sind so lang diese Nudeln, doch. Luna: Du denkst, dass Du satt wirst. Du warst an der Luft, Du hast Sport gemacht. Glaubst Du wirklich, dass Du davon satt wirst? Alle: Ja! Luna: (schnauft) Okay. Alle: Wir sind in der Überzahl. Wir haben jetzt alles, können wir bezahlen. Atmo 14 - Kasse/Förderband (1:23s bei ca 1 min in Tüten packen) Autorin Beim Bezahlen an der Kasse will jeder der vier einmal die Geldscheine halten. 185 Euro: So viel hat noch keiner in der Hand gehabt. Im Gesicht der Kassiererin steht ein Fragezeichen: Was machen die Kinder hier alleine? Die haben keine Ahnung, was ihr voller Wagen kostet. Milch, Butter, Wasser, Öl - wichtige Dinge fürs Frühstück und zum Kochen - liegen übrigens nicht mit auf dem Band. Trotzdem: Luna, Ben und Joni sind sehr zufrieden mit sich. Vor allem, weil sie weniger als 70 Euro ausgegeben haben. Atmo 15 - Zeltaufbau (1min) Warte mal, das muss anders. Weißt Du wo der Eingang ist... (Dann Rascheln etc...) Atmo 15 B - Wurfzelt (1min extra) Autorin Auf dem Campingplatz, später Nachmittag: Es hat doch geklappt: die mürrische Campingplatzbesitzerin hat nachgegeben - aber erst, nachdem Romy sich eingeschaltet und sie überredet hat. Die zweite Schummelei bei der "Herausforderung". Es ist für sie schwerer als gedacht, sich rauszuhalten, vor allem, wenn die Kinder ungerecht behandelt werden. O-Ton 18 - Romy (13s) Sie müssen damit auch lernen, auch dass sie ? wenn sie im Recht sind - und sie sich als Kinder oder als Persönlichkeiten nicht angenommen fühlen, dass man bestimmte Sachen einfach mal runterschlucken muss. Autorin Warum nur reagieren viele so misstrauisch auf eine Gruppe von Kindern? Vielleicht, weil man inzwischen so selten Kinder ohne Erwachsene trifft. Atmo 15 B - Wurfzelt (1min extra) (Ton aufpoppen lassen) Bruno, Ben und Luna haben die Seesäcke und Taschen über die Wiese verstreut. Fabian, der älteste, der im letzten Jahr schon eine Herausforderung mitgemacht hat, wagt den Zeltaufbau. Joni und Jakob helfen, versuchen den Reißverschluss vom Außenzelt zu finden. Und Francis, der Clown, dem zu jeder Situation ein guter Spruch einfällt, bringt alle Stangen durcheinander. Am Ende stehen die Jungszelte unter einem Haselnussstrauch, Luna und Betreuerin Romy teilen sich das Wurfzelt. O-Ton 19 - Tasche auspacken (insg 2:12s) Alter, Ben, hey guck mal, die hat meine Mutter reingepackt! Die ist noch schwerer (alle freuen sich). Luna: Du hast ja voll ordentlich gepackt. Ben: Ja, geil, gönn dir einfach, fett wie geil, Brausebonbons, sind richtig viele. Luna: Ohh. Jakob: Ben, darf ich so ein Tütchen? Ben: Ja, nimm dir eins. Hier ist mein Kulturbeutel, dann diese Anzünder, ja brandneu für Herausforderung (probieren Feuerzeug aus). Das Zelt habe ich schon zum Geburtstag, dann hier Reisekissen (Kinder unterhalten sich weiter, packen weiter aus) Autorin - darüber Ben, der beim Abschied von seiner Mama kaum loskam, packt seine neue, wasserdichte Tasche aus. Die Herausforderung wird für einen Moment zur Materialschlacht und Leistungsshow: Alles ist neu - Schlafsack, Zelt, Klappspaten, Funktionskleidung, Klappmesser, Travelkissen, Küchenset, Kulturbeutel. Die Eltern haben für das Experiment locker 4 bis 500 Euro ausgegeben. Am Abend beschließt die Gruppe, nicht zu kochen. Sie essen Süßigkeiten und den Zitronenkuchen, den Francis' Mutter mit dem Gepäck zum Campingplatz gefahren hat. Eine weitere kleine Schummelei ... Atmo 16 - Kanupaddeln, Wasser (1:46 bei 1 min Ankunft an Ufer) 10 Tage später. Halbzeit bei der Herausforderung. Pälitzsee, Strelitzer Seenplatte. Es hat viel geregnet, jetzt steht die Sonne im Zenit über dem Wasser. Die Kinder halten vom See aus Ausschau nach einer geeigneten Übernachtungsstelle - ein Biwakplatz am Ufer, flach, baumfrei und trocken. Wind kommt auf. O-Ton 20 - Francis (32s) Francis: Wir haben immer verboten gecampt. Aber das ist Brandenburg, da ist es legal. Die rechte Seite ist Brandenburg und die linke Seite ist Mecklenburg-Vorpommern. In Brandenburg ist es erlaubt eine Nacht und in Mecklenburg eigentlich nicht. Da sagen wir immer: es ist Grauzone, ist eigentlich nicht erlaubt, nur in Notfällen, ja. Autorin Francis, der Spaßmacher; Bruno, dessen Power-Bällchen inzwischen aufgegessen sind und Ben teilen sich heute ein Kanu, ein breiter Kanadier, in dem bis zu fünf Mann Platz hätten - wenn Bens Profiausstattung nicht so viel Platz bräuchte. Inzwischen ist in den Taschen alles feucht. Francis hält das Stechpaddel steuerbord und lenkt, Bruno sitzt hinten, backbord, er ist der Antrieb. Ben in der Mitte. Drei bis vier Stunden sind sie jeden Tag gepaddelt, aus der Route nach Berlin wurde nichts. Stattdessen fahren sie ohne Ziel kreuz und quer über die Seenlandschaft. Erst wenn sie müde sind, schauen sie in die Karte, wo sie sich gerade befinden. Heute sind sie fast wieder an dem Ort angekommen, von dem sie aufgebrochen waren. O-Ton 21 - Bruno (29s) Bruno: Naja, manchmal fahren wir länger. Einmal waren wir sechs Stunden auf See, weil wir keine geeignete Stelle gefunden haben. (Francis: Das war lustig) Bruno: Das war lustig, weil Luna und Romy haben total den Nervenzusammenbruch bekommen, weil wir die ganze Zeit Lieder gesungen haben und die wollten Wäsche aufhängen. (Francis: Und mussten aufs Klo). Bruno: Und mussten aufs Klo und brauchten eine feste Entscheidung, aber wir hatten keine, weil wir keinen Platz wussten. Atmo 17- Ankunft Ufer extra (42s) Vorsicht, deine Angel, pass auf da ist ein Haken dran (Geklapper) Autorin Für Luna ist es manchmal schwer. Zuhause ist sie als älteste von dreien gewohnt, dass die kleinen Schwestern auf sie hören. Jetzt hat sie den ganzen Tag planlose Jungs um sich herum, die sie manchmal fast wahnsinnig machen. In einer großen Plastiktüte hat sie eingesammelt, was auf dem letzten Rastplatz liegen blieb: nasse Socken, eine Badehose, eine Gabel, die Wäscheleine, einzelne Schuhe, eine Zahnbürste. Zusammenpacken ist ein Job, auf den keiner Lust hat. Ein paar Dinge sind schon für immer verloren, zum Beispiel die Heringe von Bens neuem Zelt und Lunas Taschenmesser. O-Ton 22 - Luna (25s) Und irgendwann denkst Du Dir: Warum rege ich mich eigentlich auf? Es bringt doch eh nichts. (und irgendwann merkt man selbst: Na gut, wir haben zuviel Zeit am Wasser verbracht und 10 kleine Ottifanten gesungen.) Atmo 18 - draußen (Carolin) und Tina Atmo draußen (50s) Autorin Die Kinder packen zwei Kocher aus, zünden das Gas an, holen mit dem Kochtopf Wasser aus dem See, setzen Nudeln auf. O-Ton 23 - Luna (28s) Wir machen ja die Augen zu beim Essen, weil wir sowieso jeden Tag das Gleiche essen. Wir mischen das halt immer zusammen, Nudeln und dann passierte Tomaten und Ketchup. Soll einfach den Bauch füllen.(andere Kinder reden mit).Wir haben bis jetzt zweimal Abwechslung gehabt (nein stimmt nicht), doch, einmal Fleischbällchen und einmal Eintopflinsen. Atmo 19a - Kinder reden beim Kochen (2min) Atmo 19b - Kochen mit reden extra (1min hier hört man mehr Kochklappern und Nudeln) Autorin darüber Sie sitzen auf dem schwarzen Waldboden, der an allem kleben bleibt. Seit Tagen laufen sie barfuß, ihre Füße wie die von Hobbits. Sie selbst sehen nach zehn Tagen erstaunlich frisch aus; Wasser gibt es in der Seenlandschaft genug. Es riecht nicht nach Schweiß, höchstens die feuchten Klamotten muffeln ein wenig. Auch der schmierige Fettfilm von Besteck und Tellern lässt sich mit kaltem Wasser nicht mehr abwaschen. Die Jungs und das Mädchen, die zuhause einen Löffel nicht zweimal benutzen würden, sind inzwischen abgehärtet. Auch als die Nudelpackung platzt und die Nudeln auf dem Waldboden fallen, werfen sie sie zusammen mit kleinen Stöckchen und Blätterresten ins kochende Seewasser. O-Ton 24 - Luna (23s) plus 15s Vorlauf: He, da kommt voll viel raus. Leg's doch andersrum, danke. He, wieso? damit kein Dreck raufkommt... Luna: Soll ich jetzt welche reinmachen? Ja mach einfach. (Nudeln reinfüllen) Autorin Das Essen ist auf Dauer einfach deprimierend, dazu die ständigen Diskussionen darüber, wer Recht hat und wie man was machen soll. Seit Tagen gibt es Haferflocken zum Frühstück, mittags und abends abwechselnd Nudeln oder Brot. Die Mischbrotscheiben aus der Plastikpackung sind stark rationiert, weil sie beim Einkauf zu sparsam waren. Die Jungs sind genervt, es gibt nur vier Scheiben pro Tag und pro Person - jeder weiß immer ganz genau, wie viele er heute schon gegessen hat und noch essen darf. O-Ton 25 - Luna und Francis (28s) Francis: Ja, aber guck mal, wenn ich an einem drei esse, kann ich doch am anderen 4, ähh 5 essen. Alle: Nein! Francis: Aber warum denn nicht? Luna: Ja oder Du nimmst Dir das Brot weg und sparst es Dir selber auf. Aber es ist doof, wenn Du Dir das einfach aufsparst und dann ist das Brot knapp und Du sagst dann: Ich habe gespart und nimmst Dir alle Brote. Francis: Genau das war meine Taktik. Luna: Aber eben deswegen machen wir das ja nicht. Atmo 20 ? Essen (1:07 Mitte Ketchupflasche) Atmo 20 A Essen ohne Reden (43s) Autorin Die Nudeln sind weich. Jetzt Salz oder Öl aus einem der roten Plastiksäcke heraus zu kramen ist zu viel Aufwand. O-Ton 26 - Jakob (37s mit Atmo dran) Bruno: Mach schnell bevor die anderen kommen. Jakob: Leute wo ist Sieb? Wo ist das Sieb? Bruno: Das Sieb ist - (HG quatschen alle) Jakob: Na gut, dann kriegt ihr jetzt Nudeln mit heißem Wasser, aber ich krieg als erstes! Bruno: Hey, der Koch kriegt als letztes. Das Sieb ist in meiner Tasche, habe jetzt keinen Bock das rauszuholen. Jakob: Egal. Autorin Die Begeisterung, alles allein zu dürfen- einkaufen, kochen, entscheiden, wo es hingeht - ist verschwunden. Das bedeutet nämlich auch: kalkulieren, abwaschen, alles verstauen, damit nichts verdirbt und ständig organisieren. Alles wird endlos diskutiert. Der Hunger zehrt, in der Gruppe gibt es erste Heimwehattacken. Bruno hält sich gut; Luna, die im Supermarkt noch das Sagen hatte, ist stiller geworden. Es punktet, wer laut furzen kann oder sich immer ein neues Spiel im Wald einfallen lässt. Darin sind die Jungs besser. Nur einer von ihnen, der hübsche Ben, der so perfekt ausgestattet in die Herausforderung gestartet ist, wackelt. Ben vermisst seine Eltern und Schwestern sehr. O-Ton 27 - Bruno (29s) Wir versuchen ihn zu trösten, aber es nervt halt schon, weil irgendwie den Großteil unseres Abends verbringen wir damit ihn zu trösten. Wenn das so 2-3mal auf der Herausforderung ist, weiß man: Okay. Aber er hat das jeden Abend. Und auch morgens teilweise. Heute bin ich um 5 Uhr aufgewacht, weil der geweint hat. Da war ich echt so Oh Ben, komm. Atmo 21 - wie Atmo 18 - draußen Autorin Die Gruppe spricht viel darüber, wie sie Ben helfen kann. Er will seine Mutter anrufen, aber die anderen befürchten, das Heimweh wird dadurch nur schlimmer. Drei Tage hält Ben durch. Dann kommt Francis auf die Idee, Mutmachsprüche der Mutter auf einen MP3-Player aufzunehmen. Jeden Abend hört er jetzt vor dem Schlafen gehen ihre Stimme. Erst hilft das. Aber in der Mitte der Reise will Ben doch nach Hause, abbrechen. Vor der Herausforderung kapitulieren. Bruno und die anderen sind mittlerweile kleine Psychologen geworden. Abwechselnd sprechen sie ihm zu. O-Ton 28 - Bruno und Ben: (leise) (12s plus Atmo) Ich zieh's ja schon durch - Wir ziehen es alle durch, es nichts besonderes, dass du es durchziehst - Für mich schon - (Atmo weiter) Autorin Sie erklären ihm, was sie in der Schule über ihn sagen werden, wenn er abbricht, dass er es später bereuen wird und sie zählen auf, was er alles verpasst. Blende - Atmo 22 - Am Ufer / draußen Autorin Am nächsten Morgen, 8:30 Uhr. Die ersten stehen auf, die Sonne scheint, Dunst liegt über dem glatten See. Es sind bereits ein paar Ruderer und ein Motorboot unterwegs. O-Ton 29 - (Als Atmo verwenden) - Alter, Alter, Dicker, wie schnell der ist! - Ein paar packen die Zelte zusammen, andere gehen lieber schwimmen. Es ist der Tag der Entscheidung, ob Ben abreist. Er darf Romys Handy nehmen und sucht eine Stelle, an der er Empfang hat. O-Ton 30 - Romy und Ben Ben: Ich ruf mal bei meinem Vater an.... Pieppieppiep. Romy: Wir haben ausgemacht, dass du heute anrufst, um deine Entscheidung mitzuteilen. O-Ton 31 Ben: Papa, ich hab mich entschieden. ICH komme nach Hause. ... Verarscht, verarscht! :Wir feiern gleich das Bergabfest - Gipfelfest! - - Tschüüs. Autorin Ben ist euphorisch, den ganzen Tag lang. Atmo 23 - Lagerfeuer (30s) Als später das Lagerfeuer brennt, kommt er hüpfend an. O-Ton 32 - Ben, LS10 90 Ich bin glücklich, glücklich, glücklich. Es ist weg. Heimweh? Es ist weg! (Alle jubeln.) Was ist weg? Mein Heimweh! Ich bin seit einigen Tagen der Meinung gewesen, ich müsste die Herausforderung abbrechen. Und heute habe ich mit meinem Vater telefoniert und dann hat er mir gesagt, dass er so stolz auf mich ist, dass ich weitermache. Autorin Was hat geholfen? Der Zuspruch der anderen? Die Sorge, in der Schule gehänselt zu werden? Oder ist Ben in der Herausforderung über sich hinausgewachsen und hat gemerkt, dass man es aushalten kann, auch mal traurig zu sein? Eine klare Antwort auf diese Fragen hat Ben nicht. Aber es geht ihm gut. O-Ton 33 - Ben weiter (17s) Ben singt: Jede Zelle meines Körpers ist glücklich, glücklich. Gestern rumgeheult wie ein blöder. Oh das ist mir jetzt... Atmo 24 ? Feuerknistern (47s) Atmo 25 - Marshmallows Kinder diskutieren (1:12min) Autorin Ausnahmsweise gibt es Marshmallows. Die Sieben lassen sie auf angespitzten Stöcken im Feuer schmelzen. Sie sitzen im Kreis, die nackten Füße in der Asche am Rand der Feuerstelle, wo es nicht so heiß ist. Sie haben einander, aber auch sich selbst gut kennengelernt: bei Diskussionen im Supermarkt, beim Zeltaufbau, bei Bens Krise, beim Kochen, beim stundenlang auf dem Wasser treiben. Sie sind zusammengewachsen. Auch wenn sie nun Dinge wissen, die am anderen nerven: Keiner wird ausgegrenzt. Ein richtiger Anführer hat sich auch nicht herausgebildet. Alle sind gewachsen. Francis, der zuvor vor allem den Spaß im Kopf hatte, denkt nun für die anderen mit. Ben, der in sich zusammenfiel und dann das Heimweh besiegte. Luna, die Systematische, die nun auch loslassen kann. Und Bruno, der zäh ist und seinen klaren Verstand in jeder Situation behielt. Atmo 26 - Wählen Autorin Die Herausforderung am See läuft gut - doch wie geht es den Eltern zuhause? Wie gehen sie mit ihrer Herausforderung um? Ein Anruf bei Brunos Mutter. O-Ton 35 - Mutter Bruno Hallo, Hallo, haben einen Anruf am ersten Tag, kurzer Panikanruf, es ist nicht da, aber dann kam nichts mehr, gehe davon aus, dass sie es gefunden haben. // Ich denke jeden Tag an ihn, gucke ich nach dem Wetter und frage mich, wie es bei denen ist, ist aber nicht so dass ich Fürstenberg google, aber ich denke schon an ihn, überlege was ich koche, wenn er kommt. (lacht) Autorin Bei der Gruppe anzurufen hätte sie sich nicht getraut. O-Ton 36 - weiter Nein Nein, ist ja absolut verboten. Wäre ja total peinlich. Das ist jetzt wirklich so die Kategorie, keine Nachrichten, gute Nachrichten. Atmo 27 - Kniffel (insg. 1:40s) Autorin Noch wenige Tage bis zum Ende der Herausforderung, dann sind drei Wochen geschafft. 11 Uhr am Vormittag. Wie immer: Luna und Betreuerin Romy haben schon abgebaut, das Zelt und ihre Sachen verstaut, die Teller im See abgespült. Sie sind startklar. Nur ein Dreimannzelt der Jungs steht noch. Die sitzen auf Schwimmwesten davor und spielen Kniffel. Atmo Kniffel hoch bei ca. 50s: Ach ne, doch nicht, habe nur vergessen aufzuschreiben.. Autorin Bestandsaufnahme kurz vor der Abreise: Geld: Sie haben so viel gespart, dass sich jeder an den letzten drei Tagen Süßigkeiten kaufen darf. Verluste: Zeltheringe, zwei Taschenmesser, mehrere Löffel, viele Socken. Verletzungen: zwei Brandblasen, kleinere Schnittwunden, Zeckenbisse. Freundschaften: enger geworden. Selbstvertrauen: gewachsen. Luna wird vieles vermissen. Am meisten den Zusammenhalt: O-Ton 36a - Luna Zuhause ist es halt so, manchmal schläft einer, der andere arbeitet, dann hast Du Deine Ruhe. Aber es ist auch schön zu wissen, wenn ich jetzt irgendwo hingehe, da sind noch sechs andere Leute. Autorin Und worauf freuen sie sich? O-Ton 37 - Collage: Luna, Francis, Bruno (43s) Bruno: Irgendwie die Dusche, Familie und so und dann Essen. Francis: Wette du kannst nicht so viel essen. Bruno: Nee. Luna: Als erstes auf meine Familie. Schwestern, Eltern, dann auf mein Bett, meine Ruhe, mein Klo, mein freizügiges Klo, dass ich immer hinkann, ohne gestört zu werden. Dann auf das Essen, abwechslungsreiches essen, ja auf alles was man sonst nicht schätzt, glaube ich. Atmo 28 - auf dem Wasser, Ablegen atmo 28 B - Flasche abdichten (4'') Autorin Die Sieben haben eine Flaschenpost vorbereitet. Mit einem Maiskolben versuchen sie, die Glasfalsche abzudichten. Drinnen ein Zettel, auf dem sie die Herausforderung mit eigenen Zeichnungen festgehalten haben und ihre Namen und die Adresse der Schule. Sie klettern in die Kanus, paddeln in die Seemitte und werfen die Flasche ins Wasser. Schon bald werden sie wieder in ihrem Klassenzimmer sitzen. Vielleicht kommt dann Post aus dem Havelland. Atmo 29 - SCHLUSS Wirf die mal ganz nah zu denen, dass die alle nass werden. - Jetzt ist Party!!... Ja, jetzt kommt die bei uns wieder angespült... Okay drehen wir ? Okay, ich Backbord, backbord. Ruderatmo bis ENDE --- **ENDE 1