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Regie: harter Schnitt Autor: Sie sind der Tinnitus der Nation. Effekt: Autor: Gut, sie müssen einiges aushalten. Wir kritisieren sie, schimpfen auf sie, verlangen Unmögliches von ihnen. Wir sind dabei nicht freundlich. Wir wünschen sie zum Teufel oder zur politischen Konkurrenz, was wohl für sie dasselbe ist. Wir karikieren Politiker, reißen Witze. Aber: Das ist nur Notwehr. Und was machen sie, die Damen und Herren aus der Politik? Sie lachen. Effekt: Lachen Autor: Sie lachen, wenn wir sie vorführen. Weil das angeblich souveräner Umgang mit Kritik sein soll. Effekt: Lachen - abruptes Ende Autor: Und was bleibt uns? Take 01 Schramm Matthias Beltz hat gesagt: Ich möchte meine Zuschauer auf den Weg von der Aussichtslosigkeit über die Trostlosigkeit zur Hoffnungslosigkeit begleiten. Atmo: Lachen - abruptes Ende Sp. v. D.: Es wird zurück gelacht. Schramm: Guido Westerwelle ist ja keine Comicfigur, den Mann gibt es wirklich. Sp. v. D.: Wie die Politik ihre humoristischen Kritiker ausbremst Effekt: Lachen Sp. v. D.: Ein Feature von Thomas Klug. Take 02 Priol 12 Ich weiß nicht, ob da jemand vor mir Angst hat. Ich gehe auch nicht an die Arbeit ran und sag, so, jetzt nehme ich mir die Person raus und die kriegt dann besonders eine aufs Dach. Das ist nicht so. Ich lese halt Zeitung, ich informiere mich, gucke, was um mich herum passiert. Und dann merke ich hier und da mal einen Widerspruch und frage, was jetzt die da oder der da eigentlich erzählt. Das ist doch alles Quatsch. Und dann regt es mich auf. Und wenn es mich aufregt, dann muss ich es auch auf die Bühne bringen und dann merke ich zum Glück, dass es viele andere auch aufregt. Autor: Der Kabarettist Urban Priol. Take Priol Michel Glos. Das ist unser Wirtschaftsminister. Wir nehmen alles, oder? Wenn der eine Grundsatzrede hält, den Inhalt kennste auch von der Speisekarte fränkischer Gasthäuser: Klos mit Soß, 3,80 Euro. Der hat eigentlich nur eine Funktion: Weil hinter ihm kann sich unsere geschmeidige Volkskanzlerin immer so schön zurückziehen, wenn sie wieder etwas verkündet hat. Klimaschutz bleibt oberstes Staatsziel - interessiert mich einen Scheißdreck. Die deutsche Automobilindustrie muss auch dafür sorgen, dass Grenzwerte...Einen Scheißdreck. Saubere Autos und eine intakte Umwelt gefährden Arbeitsplätze. Aber wenigstens beim Mindestlohn. Scheißdreck. Ein Mindestlohn gefährdet Arbeitsplätze und fördert die Schwarzarbeit. Woher weiß der das immer schon im voraus, der Nostradamus aus Schweinfurt? Autor: Es kann aufregen, was Politiker sagen, leider. Denn sie sagen etwas und freuen sich schon, wenn es dann ein Knaller wird, wenn es uns aufregt, wenn die Schlagzeilen groß und vor allem reichlich sind. Dann nämlich werden sie wahrgenommen, die Politiker. Sie freuen sich darüber, weil sie wahrnehmen mit ernst nehmen verwechseln. Sie freuen sich, weil ihr Name mal wieder genannt wird. Sie freuen sich und ändern doch nichts. Take Schramm Der Berliner Politzirkus füttert sie mit Scheingefechten, Nebelkerzen werden geworfen, jede Woche wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben, nur damit wir nicht merken, wo es wirklich hängt. Und wenn wir dann sagen: Oh, was ist denn das für eine Sau, dann ist die schon weg, dann galoppiert schon wieder die nächste. Ja, wenn man sagt, wo ist denn die alte Sau, da ist sie weg. Die steht im Stall und frisst sich fett, die wird nicht geschlachtet, die wird gepäppelt, dann kommt sie wieder nach einem Jahr, hat einen neuen Namen, ist aber dieselbe Sau. Gucken Sie, hier vor anderthalb Jahren, was hatten wir denn damals, die explodierenden Managergehälter. Können Sie sich erinnern? Innerhalb einer Woche waren alle Zeitungen voll, alle Politiker haben es gemerkt, wir wussten es ja schon vorher, dass die Manager zuviel verdienen, aber dass die Politiker es auch mitgekriegt haben, Donnerlittchen, das war ja eine Erkenntnis. Und alle gleichzeitig, sehr interessant, nicht wahr. Aber da war was los. Haben Sie es mitgekriegt? Vor unseren staunenden Augen haben sie sich heldenhaft den gierigen Managern in den Weg geworfen. Autor: Der Kabarettist Georg Schramm. Take 03 Schramm 20 Das ist ja der Inhalt des politischen Kabaretts, sich auseinanderzusetzen mit Themen, die unsere Gesellschaft bedrohen, beschäftigen. Das treibt mich um. Ich bin in einer Familie groß geworden, wo viel über Politik diskutiert wurde, immer. Mein Vater hat jede Stunde Nachrichten im Radio gehört, da mussten alle still sein. "Tagesschau" war ein weihevoller Moment, dass hat praktisch den Abend abgeschlossen, wie bei vielen anderen auch. Ich bin von klein auf mit Politikdiskussionen groß geworden und es liegt mir. Collage: Politiker-Statements in Endlos-Schleife Autor: Lachen soll gesund sein für den Körper. Und wohl auch für den Geist, wenn man gegen den Unsinn der so genannten Autoritäten einfach anlacht. Allerdings muss man damit rechnen, dass Autoritäten, wenn sie ihre Autorität allein durch ihr Amt besitzen, wenig davon halten, ausgelacht zu werden. Sie reagieren dann mit Repressionen. Take Archiv In meiner bayerischen Heimat sieht man uns jetzt zum Beispiel nicht. Die haben sich heute ausgeschaltet. Beziehungsweise der Herr Programmdirektor Oeller, ein langjähriger Freund von mir. Der ist wie eine schwarze Anstaltsgouvernante, die den Landeskindern sofort erschrocken die Augen zuhält, wenn sie ein paar nackte Hühner sehen. Autor: Erzählt Dieter Hildebrandt in der Ausgabe des "Scheibenwischer" vom 22. Mai 1986. Die Chefetage des Bayerischen Rundfunks machte sich lieber selbst bundesweit zum Gespött. Kleine Autoritäten können mit Kritik nicht umgehen und wittern in jedem Lacher den Beginn eines Umsturzes. Wo Souveränität fehlt, wird andauernd Respekt eingefordert, ein Respekt in Form des Hackenzusammenschlagens und der tiefen Verbeugung. Kleingeister lieben das. Effekt Autor: Dem Scheibenwischer hat es nicht geschadet, dass sich der Bayerische Rundfunk der Ausstrahlung verweigerte. Vielleicht war das ja die gute, alte Zeit des Kabaretts. Die Zeit, als die getroffenen Hunde noch bellten. Take 04 Priol 8 So schön war die Zeit gar nicht, die armen Menschen in Bayern, als es damals nicht die hoch- und runterverkabelte Republik gab, konnten damals ja den Scheibenwischer gar nicht sehen, also von daher war das schon ein Ausüben der Macht, was mir nicht so gefallen hat. Autor: Es ist hierzulande selten geworden, dass Kritisierte und Karikierte vernehmbar beleidigt reagieren. Effekt Autor: Im Mai 2008 geschieht folgendes: Ein Ministerium veranstaltet eine Ausstellung. Zu sehen sind Karikaturen. Politische Karikaturen. Die Ausstellung ist vorbereitet, die Karikaturen sind gut sichtbar aufgehängt. Was nun passiert, können wir uns nur vorstellen, das Ergebnis aber ist überliefert: CD: Bilder einer Ausstellung - im Hintergrund Autor: Ein Mitarbeiter des Ministeriums schreitet von Zeichnung zu Zeichnung. Plötzlich verfinstert sich sein Blick. Der hoch bezahlte Beamte kollabiert fast, wendet seinen Blick voller Abscheu von dem, was er da sieht, hastet die langen Gänge des Ministeriums entlang, immer wieder um Hilfe heischend. Schließlich landet er bei der Ministerin, um sie eindringlich vor einigen Karikaturen zu warnen. Die Ministerin handelt. Regie: CD abrupt enden lassen Autor: Die Zeichnungen von Klaus Stuttmann (Tagesspiegel) und Rainer Hachfeld (Neues Deutschland) werden entfernt. Der Berliner Tagesspiegel berichtet: Sprecher: Bei Stuttmann geht es um den "Lausch-Schäuble", eine Arbeit, die mit der "Rückblende 2007", dem höchsten Karikaturenpreis der Republik, gewürdigt wurde. Erst intervenierten Mitarbeiter des Ministeriums, dann die Ministerin selbst. Den Ausstellungsmachern wurde bedeutet, die Presse könnte die Karikatur angesichts der nicht ganz spannungsfreien Beziehungen zwischen ihrem Ministerium und dem Innenministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) als ein Zeichen gegen Schäuble deuten. Das aber sei gar nicht im Sinne der Justizministerin. Effekt: Tusch - mit Wiederholung, kurz freistehend, dann im Hintergrund Autor: Tusch für die Ministerin, herzlichen Glückwunsch. Tusch für die Mitarbeiter des Ministeriums, die offenbar angstschlotternd zur Chefin liefen und petzten. Diederich Heßling, der von Heinrich Mann beschriebene Untertan, lebt. Und die Obrigkeit fürchtet sich doch vor dem Biss der Satire. Regie: Tusch, abruptes Ende Autor: Das zählt mehr, als freundliche Auszeichnungen. Aufregungen auf offener Bühne gibt es nur noch selten. Die politischen Tollpatsche und ihre Claqueure haben dazu gelernt. Sie geben sich weltoffen. Sie gehen gar ins Kabarett. Sie vollbringen das Kunststück, sich selbst zuzuschauen, wie sie da am Nasenring durch die Manege geführt werden. Und wenn die Kamera ihre Blicke einfängt, dann setzen sie die einzige Waffe ein, die einst Untergebene gegen die Obrigkeit hatten: das Lachen. Georg Schramm: Take 05 Schramm 8 0'08 Wir haben immer "Lach- und Schieß gesehen", dass hieß bei uns nur, der Hildebrandt kommt im Fernsehen. Da saßen jede Menge Prominente im Programm von der Lach- und Schieß und dann auch noch am Anfang im Scheibenwischer. Das habe ich auch nicht verstanden. Da habe ich mir gedacht, wenn die sich da hinsetzen und lachen, da zeigen sie, wie liberal und souverän sie sind wahrscheinlich. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich sehr froh bin, dass bei mir fast, fast niemand sitzt. Und schon gar nicht in der ersten Reihe. Wenn, dann in der letzten. Autor: Die Politik will sich partout nicht mehr über die Satire aufregen - zumindest nicht so, dass es jeder merkt. Urban Priol, gemeinsam mit Georg Schramm Gastgeber der ZDF-Sendung "Neues aus der Anstalt": Take 06 Priol 6 Die Blöße geben sich die hohen Institutionen nicht, dass die sich direkt melden, zumindest nicht direkt bei uns. Die melden sich dann vielleicht direkt bei verschiedenen Aufsichtsgremien, die uns das dann sagen, mitteilen, dass wieder der eine oder andere Kritik geübt hat. Aber direkt an uns gehen sie nicht ran.... Take Priol Des Angela, unser Multitalent, was sie alles ist, Kanzlerin, G8-Dompteurin, EU- Ratspräsidentin, da hat sie ja darauf gespechtet, auf den Job, dass sie da ein halbes Jahr rumturnen kann, als Miss Europe. Und die Presse überschlägt sich. Ihre beiden Marketingabteilungen, also BILD und BUNTE; Ja, auf den internationalen Parkett macht sie eine hervorragende Figur. Ich habe mich bis heute noch nicht daran gewöhnt, wenn sie da wieder längs watschelt, reingesprengt in ihren Hosenanzug, wie die Rügenwalder Teewurst in die Pelle. Ja, da sagen jetzt die ganz schlauen Kritiker, man darf unsere Kanzlerin nicht immer nach dem Äußeren beurteilen. Aber wenn man sich inhaltlich mit ihr auseinandersetzt, dann wird es ja ganz finster. Das geht immer schon mit ihrer Neujahrsansprache los. Da kommt sie aus dem Fernsehapparat wie so eine Schnappschildkröte Autor: Im Wintergarten eines Berliner Hotels. Georg Schramm wird von den Gästen nicht erkannt. Er weiß das. Und er ist froh darüber. Auf der Bühne, als Oberstleutnant Sanftleben, als Sozialdemokrat August und als Rentner Dombrowski, wirkt er älter, seine Stimme ist schneidender. Georg Schramm trägt einen Button am Revers. "Kerner" ist da zu lesen, darüber ein diagonaler Balken wie bei einem Verbotsschild. Take 07 Schramm 5 Oh, oh, den habe ich letzte Woche geschenkt gekriegt und habe vergessen, ihn abzumachen...Den trage ich aus Überzeugung. Das ist so ein Projektkünstler aus München, bekennender Kerner-Hasser. Der hat den mir geschenkt. Autor: Das Kabarett ist auf die Politik angewiesen, zumindest auf den Teil der Politik, der furchtbar, kritikwürdig und schlecht gemacht ist - also auf den größten Teil. Die Politik dagegen, glaubt nicht, auf die kritischen Kabarettisten angewiesen zu sein. Take 08 Schramm 10 Ich glaube, dass die das gar nicht interessiert. Ich denke, dass ich meinen Stellenwert richtig einordne, wenn ich sage, dass die Mehrzahl der Politiker, die wir so kennen, von prominenten Politikern, die interessiert das nicht. Autor: Urban Priol empfängt in einer kleinen Künstlergarderobe zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung. Erst muss er noch einmal für eine Zigarette schnell vor die Tür. Eine Zigarette ist bei ihm schnell geraucht. So schnell, wie seine Pointen kommen, so schnell wie er die Themen wechselt. Urban Priol lebt im Minutentakt. So schnell wechselt er auch von Strauß zu Merkel, von Schröder zu Stoiber. Eine Geste, eine Grimasse reicht - schon sitzt die Karikatur der Obrigkeit. Eine Karikatur, die den zahlreichen Originalen zum Verwechseln ähnlich ist. Die politische Welt - entstellt bis zur Kenntlichkeit. Danksagungen kommen dafür eher selten. Take 09 Priol 2+ Es kommt öfter mal ein Schreiben oder eine Mail, wo jemand sagt, da, schön, dass Sie mal diesen Punkt so beleuchtet haben. Das ist uns auch schon aufgefallen, meistens wenn es um den politischen Gegner geht natürlich. Dann kommen oft auch mal Korrekturen: Ja, soooo eins zu eins haben wir das ja nicht gesagt oder auch nicht beabsichtigt. Am schönsten fand ich mal vom Finanzexperten der SPD, der mich darauf hingewiesen hat, weil man für eine verbindliche Auskunft beim Finanzamt, also bei den Leibeigenen, die uns ja eigentlich gehören, die wir ja bezahlen, dass, wenn man da eine Auskunft haben möchte, dass man dafür bezahlen muss. Das hätte ihn damals auch sehr geärgert, dass das von seinem Schreibtisch an die Öffentlichkeit gelangt ist - so ungefähr. Collage: Politiker-Statements in Endlos-Schleife Regie: kurz freistehend, dann im Hintergrund Autor: Die politische Klasse müht sich redlich, die Wähler ins Koma zu regieren. Die politische Klasse redet viel, sie redet wirr. Und sie redet sofort ganz anders, wenn es opportun erscheint. Eigentlich müsste sie dankbar sein, wenn da jemand kommt, der ihr noch zuhört, über ihre Worte nachdenkt und auf Richtigkeit abklopft. Eigentlich müsste die politische Klasse ihren Kritikern zuhören. Eigentlich. Take 10 Schramm 11 Ich mache es ja nicht für die Politiker, ich bitte Sie. Mich hat mal jemand gefragt, ob ich mich nicht gerne mal mit Josef Ackermann unterhalten würde. Da habe ich gesagt: Nein. Wozu soll ich mich mit dem unterhalten. Es gibt für mich keinen Anlass. Es wäre toll, wenn ich das, was ich von ihm halte, ihm sagen könnte vor Publikum, aber das mache ich fürs Publikum. Dass der weiß, was viele Leute von ihm halten ist doch klar, aber das interessiert ihn doch nicht. Autor: Eine Hoffnung ist aber nicht ganz unbegründet: die Abgeordneten interessiert es wenigstens vor den Wahlen, was die Öffentlichkeit von ihnen hält. Take 11 Schramm 12 Nehmen wir mal das Beispiel. Ich würde Ulla Schmidt sagen, weil sie da sitzt, das würde ich dazu sagen, einzigartige Gelegenheit, ihr zu sagen: Wenn sie damals nicht uns alle belogen hätte und hätte geheuchelt, es wäre ein großer Erfolg, ihre Gesundheitsreform, sondern sie hätte gesagt: Ich bin gescheitert, ich habe alles versucht, meine Kräfte haben nicht gereicht, ich bin da und daran gescheitert. Das wäre für die politische Kultur in unserem Land, für einen Rest an Glaubwürdigkeit der Politik und für ihre Partei und für sie selber ein großer Moment gewesen. Und der hätte politisch mehr genutzt als dieses Geschwätz von einer Reform, von der jeder wusste, sie ist gescheitert, zu sagen, es sei eine Jahrhundertreform. Das fördert die Abkehr und die Glaubwürdigkeitsmisere der Politik. Das hätte ich ihr gesagt. Und der schönste Moment wäre gewesen, wenn sie aufgestanden und gegangen wäre. Das hätte sie natürlich nicht gemacht. Take Schramm Im Wahlkampf habe ich aus Protest gegen diese Lügereien in allen Parteien habe ich mein ganzes Erspartes vom Sparbuch abgehoben und habe ein eigenes Flugblatt drucken lassen und habe mich immer neben die Parteistände gestellt und mein Flugblatt verteilt. Ganz groß stand oben drüber: Das deutsche Gesundheitswesen ist systematisch korrupt und in den Händen der organisierten Kriminalität - als Überschrift vom Flugblatt. Und drunter Originalzitat Bundeskriminalamt Wiesbaden. Und anschließend habe ich die ganzen Fakten aufgelistet, die ich im Laufe der Jahre recherchiert habe....Damit wir nachlesen können, wie wir systematisch betrogen werden, nicht um Zehntelprozente hinten, sondern große Prozente vorne dran: Allein 20 Milliarden Euro von unseren Beitragsgeldern, jedes Jahr 20 Milliarden Euro gehen laut Bundeskriminalamt nur verloren durch Betrug und Korruption von Pharmakonzernen und Ärzteorganisationen. Nur von den beiden. Und noch mehr Geld verlieren wir jedes Jahr durch überflüssige Gerätediagnostik und unsinnige Medikamente. Wissen Sie, was das bedauerliche ist: Die Leute denken dann oft, das ist aus dem Ruder gelaufen. Das ist überhaupt nicht aus dem Ruder...Das Schiff ist auf Kurs. Es ist nur nicht unser Schiff. Autor: Um die Glaubwürdigkeit der Politik ist es schlecht bestellt. Der Ruf des Politikers ist kein guter. Die Medien sind daran schuld, sagt die Politik. Die eigene Schuld wird nicht einmal in Erwägung gezogen. Da kann man schon auf den Gedanken kommen: Die Politik ist besetzt von Eierdieben und Ignoranten, in seinem Programm "Thomas Bernhard hätte geschossen" wirft Georg Schramm genau diese These auf: Die Politik ist besetzt von Eierdieben und Ignoranten. Take 12 Schramm 21 Und wenn Sie den Satz weiter verfolgen, dann sage ich, die eine Fehlentscheidung nach der anderen treffen. Und dann sage ich hinten drauf: Und diese Sichtweise ist falsch. Es sind viele Eierdiebe und Ignoranten in der Politik, aber die sind nicht einfach dumm und treffen Fehlentscheidungen, sondern da steckt eine gezielte Taktik dahinter. Das ist eine lobbygesteuerte Interessenpolitik und manche Politiker, für die ist es einfacher, man hält sie für dumm, als wenn man sehen würde, dass sie gezielt an den Interessen des Gemeinwohls vorbei agieren, denn dafür sind die eigentlich gewählt, darauf haben sie sogar einen Eid geschworen als Abgeordneter. Da ist es für sie einfach, sie werden wie ein Eierdieb, wie ein Depp gesehen, als dass man ihnen sagen würde, sie spielen mit gezinkten Karten, sie täuschen arglistig ihre Wähler....Ich finde, das sollte ab und zu gesagt werden. Am besten vor Publikum. Collage Kohl, Schröder - Versprecher Schröder Steuererhöhung Reform Kohl rechnet 12 plus 3 Merkel: Gorbatschow Autor: Vielleicht ist Politik nur zu ertragen, wenn sie sich verhaspelnd daherkommt, so dass man in den Versprechern ein Körnchen Wahrheit entdecken kann. Fordern wir also keine Versprechen von Politikern, sondern Versprecher. Nur ist weder das Politik, noch die kleinen, sinnfreien rhetorischen Verklemmungen, die nach diversen Koalitionsrunden und Kabinettsbesprechungen in die Mikrofone der Journaille geschmissen werden. Es plappert. Das ist wohl die Berufskrankheit, die unvermeidliche. Kennzeichen: inhaltsleere Sätze, Hang zur Übertreibungen, schlechtes Deutsch und Selbstlob. Therapiemöglichkeit: Berufswechsel. Wer von dieser Berufskrankheit befallen ist, dem kann auch kein Kabarettbesuch mehr helfen. Dennoch zeigen sich Politiker dort mitunter. Ist es der Appetit auf den Kakao, durch den sie gezogen werden, so frei nach Kästner. Take 13 Schramm 13 Es kommt drauf an, wo sie hingehen. Wenn sie zum Richling gehen, wissen sie, was sie erwartet, dass der sie parodieren kann oder nicht, dass dürfte ihnen bekannt sein. Und wenn sie zu mir kommen, können sie damit rechnen, wenn sie in greifbarer Nähe sind, dass ich was dazu sagen würde. Aber ich glaube nicht, dass die das interessiert. Ich glaube nicht, dass es Angst ist, sondern die interessieren sich nicht für politisches Kabarett. Warum auch? Die machen Politik auf einen sehr hohen Niveau, die lesen auch die Zeitung nicht mehr selber, die lesen zwei, drei ausgewählte Zeitungen, den Rest kriegen die als Pressespiegel fertig auf den Tisch gelegt, morgens, wenn sie kommen. Um die Zeit, um die wir jetzt hier sitzen, haben die schon den Pressespiegel durchgelesen, den ihnen zwei oder drei Mitarbeiter vorbereitet haben. Warum sollen die ins politische Kabarett gehen? Die arbeiten bis spät abends, haben eine 60-Stunden-Woche, das ist doch kein Freizeitprogramm. Zumal die so prominent sind, dass sie sich dauernd beobachtet fühlen müssen. Es sei denn, dass sie das mögen, das ist wieder was anders. Aber dazu kenne ich die Psyche der Politiker nicht genug...Ich kann es Ihnen nicht erklären, es war mir immer ein Rätsel. Autor: Nehmen Politiker ihre eigenen Worten eigentlich ernst - oder handeln sie nach der Adenauer-Maxime: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Urban Priol traf bei einer Fernsehsendung auf Guido Westerwelle, Namensgeber des Guido-Mobils und Vorsitzender der FDP: Take 14 Priol 16 0'11 Das war gerade nach der Wahl 2005 mit diesem tollen Plakaten, die die FDP überall: Niedrigere Steuern, mehr Arbeit, niedriger Dings, mehr Wachstum und diese üblichen plakativen Sachen, die da rumhängen. Und da sag ich, er soll mir doch einfach mal erklären, wo das Wachstum herkommt, die Bevölkerung schrumpft, wir haben Wohnungsleerstand, wo kommt da jetzt das große Wachstum her. Da fing er gleich an, hat gemeint, ja, das sind die Sprüche, die ich kenne, von wegen früher war alles besser. Da habe ich gesagt, das habe ich doch gar nicht gesagt. Ich möchte jetzt einfach nur mal konkret wissen, wo soll denn das große Wachstum und auch Arbeitsplätze, wo soll es denn herkommen. Da sagt er: Nehmen Sie nur mal die Kommunikationsbranche. Das ist ein Riesenwachstumsmarkt, der Mensch ist immer neugierig, der will immer konsumieren - Kommunikationsbranche. Ja, habe ich gesagt, aber gestern hat die Telekom angekündigt, 32 000 Stellen abzubauen in der Kommunikationsbranche. Dann stutzt er kurz und sagt: Sehen Sie, das ärgert mich als Bonner natürlich besonders, dreht sich um und redet mit jemand anders. Da weiß man natürlich gleich, wie ernst die solche Sachen nehmen. Autor: Kabarett heute funktioniert ein bisschen wie in der DDR. Georg Schramm lacht. Während dort das Kabarett mitunter Medienersatz war, weil es die kritischen Fragen stellte, sind heute Kabarettisten diejenigen, die auch mal Informationen bündeln, Zusammenhänge herstellen und meinungsfreudig präsentieren. Take 15 Schramm 40 Ich nehme das Lachen zurück. Ich weiß jetzt, was Sie meinen. Ich habe diese Funktion über Jahre hinweg eigentlich gar nicht mehr für möglich gehalten. Ich habe immer gesagt, früher hatte das auch Informationscharakter. Also, wenn wir damals Lach- und Schieß geguckt haben im Fernsehen, da habe ich Sachen gehört, die hatte ich noch nie gehört. Wobei dazu kam, wir hatten keine Zeitung zu Hause. Ich war der festen Überzeugung, das ist nicht mehr so. Die Leute haben eher zuviel Information, die können gar nichts mehr draus machen, die werden zugemüllt mit Information. Und in letzter Zeit bin ich in der Tat wieder ab und zu an einer Stelle, das kommt zwar überall als ein Satz, aber die Leute wissen gar nicht, was dahinter steckt. Und jetzt habe ich auch in der ZDF-Sendung "Neues aus der Anstalt", verstärkt Nummern gemacht, wo ich mir ein so ein Ding rausgepickt habe. Z.B. war ich sehr überrascht, dass eine Menge Zuschauer tatsächlich glauben, der ausgeglichene Haushalt 2011, der von Großen Koalition angeblich immer noch angestrebt wird, da denken viele Leute, da haben wir keine Schulden mehr. Wobei das gar nicht stimmt. Die Schulden steigen nur nicht mehr. Etwas, was ein Privatmann gar nicht machen darf, einen Kredit aufnehmen, um Zinsen zu bezahlen. Das macht diese Regierung ja ununterbrochen. Das darf ein Privatmann gar nicht. Und wenn wir einen ausgeglichenen Haushalt hätten, hätten wir Schulden von 1,5 Billionen, die wachsen nur nicht mehr. Das wäre alles. Aber wir haben da nicht einen Cent davon abbezahlt. Das war den Leuten überhaupt nicht klar. Collage: Politiker-Statements in Endlos-Schleife Regie: kurz freistehend, dann im Hintergrund Autor: Die Politik versucht, ihre Kritiker zu unterwandern. Die fernsehgerecht veranstalteten Karneval-Prunksitzungen tun niemandem weh. In Aachen gar verleiht man einen Orden wider den tierischen Ernst reihenweise an Politiker und Wirtschaftsbosse: Theodor Waigel, Wendelin Wiedeking, Friedrich Merz und Edmund Stoiber gehören zu den Preisträgern - allesamt höchstens durch unfreiwilligen Humor aufgefallen. Es ist dann auch kein Niedergang mehr, wenn ein plapperndes Wesen, das sich Fürstin von Thurn und Taxis nennen lässt, auch einen solchen Papporden umgehängt bekommt. Madame Gloria übrigens bezeichnet sich selbst als Sozial-Darwinist, soll heißen, wer arm ist, muss halt dran glauben. Der Aachener Karnevalsunsinn nun unterscheidet sich nicht von der Politik. Die nämlich hat der von schnackselnden Schwarzen schwatzenden Gloria tatsächlich ein Verdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Ist es da ein Wunder, wenn man die besten Kabarettisten des Landes, also Georg Schramm und Urban Priol, um Hilfe anflehen möchte, um Schutz vor jenen, die sich derartige Ehrungen für derartiges Volk ausdenken? Take 16 Schramm 39 Bei Volker Pispers z.B., gehen die Leute hin und fragen, Herr Pispers, wollen sie nicht eine Partei gründen, ich mache mit. Zu Urban Priol sind sie auch schon gekommen, mich haben sie auch schon gefragt. Wir haben neulich spät abends, nach zwei Flaschen Wein und zwei schönen Schnäpsen, haben wir überlegt, mit wem wir dann die Partei gründen, kurz vor der Bundestagswahl und ob wir dann die Fünf-Prozent-Hürde knacken könnten mit Hilfe unserer Zuschauer. Autor: Aber, wird dann etwas besser? Wir schimpfen natürlich auf die Politik. Aber wir wählen die, die uns dann in den Wahnsinn regieren. Take 17 Schramm 23 Ich gebe Ihnen zwei Zitate, das eine ist von Dieter Hildebrandt, kennen Sie wahrscheinlich. Der wurde gefragt, was er bewirkt hat, der hat gesagt: Kein deutsches Kernkraftwerk ist ohne meinen Protest ans Netz gegangen. Und der andere Satz ist legendäre Satz vom unvergleichlichen Matthias Beltz, der gefragt wurde: Was möchten Sie denn bewirken? Matthias Beltz hat gesagt: Ich möchte meine Zuschauer auf den Weg von der Aussichtslosigkeit über die Trostlosigkeit zur Hoffnungslosigkeit begleiten. Collage: Politiker-Statements in Endlos-Schleife Autor: Sie haben uns umzingelt. Collage: Politiker-Statements in Endlos-Schleife Regie: kurz freistehend, dann im Hintergrund, dann ab und an wieder freistehend Autor: Sie sind überall. Es gibt kein Entrinnen. Sie reden auf uns ein. Sie sind aufdringlich, sie beißen sich in unseren Gehörgängen fest. Sie schmalzen sich an uns ran. Autor: Sie lächeln uns ins intellektuelle Koma. Sie bevölkern die Bildschirme, als wäre das Fernsehen nur für ihre Allgegenwart erfunden. Regie: harter Schnitt Autor: Sie sind der Tinnitus der Nation. Sprecher vom Dienst: Es wird zurück gelacht Wie die Politik ihre humoristischen Kritiker ausbremst Eine Sendung von Thomas Klug Es sprachen: Gerd Grasse und der Autor Technik: Ralf Perz Regie: Beate Ziegs Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 1