DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 08.07.2008 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Neger bin ich, Neger werde ich bleiben Aimé Césaire - Der Dichter der Négritude Ein Feature von Margrit Klingler-Clavijo URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - 1. Übersetzer "Von der Geographie her Amerikaner Von der Geschichte her Afrikaner Sehe ich in mir einen Neger der Diaspora." Sprecherin Aimé Césaire wurde am 26. Juni 1913 in Basse - Pointe geboren, einer Kleinstadt im Norden von Martinique. Aimé Césaire war schwarz, kam aus einer kinderreichen Familie und die Kolonialgesellschaft der Karibikinsel war ihm zuwider. O-Ton: Aimé Césaire 1. Übersetzer Ich habe sehr schnell gespürt, dass die Gesellschaft von Martinique, in der ich lebte - ich war nicht mit ihr einverstanden - und ich habe sehr schnell gespürt, dass das eine falsche Welt war und die moralischen und ethischen Werte würden es sein, all diese kolonialen Aspekte, so dass ich - ich habe nie einen Hehl daraus gemacht - Martinique nach dem Abitur mit Freude verlassen habe. Musik Ansage Neger bin ich, Neger werde ich bleiben Aimé Césaire - Der Dichter der Négritude Ein Feature von Margrit Klingler-Clavijo Sprecherin Aimé Césaire starb am 17. April 2008 in Fort-de-France. In Paris, Port-au-Prince, (Haiti), Porto Novo (Benin) und anderen Städten kam es nach dem Tod des Dichters zu spontanen Gedenkveranstaltungen, zum bewegenden Abschied vom nègre fondamental, dem respektierten Wegbereiter schwarzen Selbstbewusstseins. Das hatte Aimé Césaire im Aufbegehren gegen die Kolonialgesellschaft entwickelt und im Dialog mit Afrika, Haiti und den USA. Die französische Regierung ordnete für Aimé Césaire ein Staatsbegräbnis an. Die Trauerfeier fand am 20. April im Fußballstadion von Fort-de-France statt. Ganz Martinique nahm Abschied von "Papa Césaire"; wie der Mann genannt wurde, der in den letzten fünfzig Jahren das politische Leben Martiniques geprägt hatte, als Bürgermeister von Fort-de-France, als Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung. Dort vertrat er zuerst die Kommunisten, danach die Fortschrittspartei "parti progressiste martiniquais", die er nach seinem Austritt aus der Kommunistischen Partei gegründet hatte. Egal welcher Partei er angehörte, Aimé Césaire ging es stets um die Autonomie Martiniques. 1. Übersetzer "Mein Volk ( ... ) wann wann wirst du nicht mehr das finstere Spielzeug im Karneval der Anderen sein oder auf den Feldern der Andren die veraltete Vogelscheuche ( ... ) Sprecherin Dass bei dem Staatsbegräbnis so viele hochrangige französische Politiker zugegen waren, stieß bei den Anhängern Césaires auf Misstrauen, auch dass Segolène Royale anregte, Césaires Urne ins Pariser Pantheon zu überführen. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy war von Césaires Familie gebeten worden, keine Rede zu halten. Unterdessen hatte in Paris der Dachverband aller französischen Vereine, von Schwarzen angeführt, von seinem Vorsitzenden Patrick Lozès demonstriert. O-Ton: P. Lozes Césaire 2. Übersetzer Man versucht uns einen völlig verwässerten Césaire zu verkaufen, einen Aimé Césaire ohne Biss und Geschmack, einen Aimé Césaire der Regierung. Aimé Césaire wäre entsetzt. 2005 gab es diesen Gesetzesentwurf vom 23.Februar, der vorsah, im Schulunterricht die vermeintlich positive Rolle Frankreichs in den Übersee-Departments hervorzuheben. Dagegen regte sich heftiger Protest, auch von Aimé Césaire. Er weigerte sich, Nicolas Sarkozy zu empfangen, der damals noch Innenminister war. Sprecherin Erst als die Regierung diesen Gesetzesentwurf zurückgenommen hatte, war Aimé Césaire zum Gespräch mit Nicolas Sarkozy bereit. Er überreichte ihm als Gastgeschenk sein Buch ÜBER DEN KOLONIALISMUS, das Werk, mit dem er in den fünfziger Jahren die antikolonialistischen Befreiungsbewegungen maßgeblich beeinflusst hatte. MUSIK Sprecherin 1931 schiffte sich Aimé Césaire nach Frankreich ein, um in Paris zu studieren, was damals für einen Schwarzen höchst ungewöhnlich war. 80 Prozent der Martinikaner waren schwarz und in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Eine Handvoll Weißer - "Békés"genannt - hatte das Sagen. Sie waren die Besitzer der Zuckerrohrplantagen, auf denen schlecht bezahlte schwarze Landarbeiter schufteten. Das Elend auf den Plantagen kannte Aimé Césaire aus eigener Anschauung. Sein Vater hatte, als die Familie noch in Basse-Pointe lebte, in der Finanzverwaltung einer solchen Plantage gearbeitet. Die Familie war nach Fort-de-France gezogen, damit die Kinder eine gute Schule besuchen konnten. Das Schulgeld verdiente die Mutter mit Näharbeiten. 1. Übersetzer "Meine Mutter, deren Füße, um unseren unermüdlichen Hunger zu stillen, Tag und Nacht das Pedal treten, ich bin sogar aufgewacht in der Nacht von diesen unermüdlich die Nacht tretenden Füßen und vom grimmigen Biss ins weiche Fleisch der Nacht, dem Biss der Singer, deren Pedal meine Mutter tritt, für unseren Hunger tritt, Tag und Nacht." Sprecherin Da Aimé Césaire stets zu den Klassenbesten gehörte, fuhr er mit einem Stipendium zum Studium nach Paris. Bei der Anmeldung im Lycée "Louis-le-Grand" begegnete er dem Dichter und späteren Präsidenten des Senegals Léopold Sédar Senghor. Das war der Anfang einer jahrzehntelangen Freundschaft und eines fruchtbaren Gedankenaustauschs über Poesie und Politik. Aimé Césaire hat stets betont, dass er über Senghor Zugang zu Afrika fand. O-Ton: Aimé Césaire 1. Übersetzer Ich kenne Afrika nicht sonderlich gut, allerdings definierten die Antillen für mich keine Heimat, ich hatte immer das Gefühl, das da etwas ist, was über sie hinaus reicht und das Afrika dieses darüber Hinausgehende war. Afrika ist weit, Afrika ist breit, ganz anders. Ich habe Afrika immer für das erste Land gehalten, den ersten Kontinent, die nährende Mutter. Sprecherin Mit Léopold Sédar Senghor und mit Léon Gontrán Damas aus Guyana begründete Aimé Césaire die "négritude" und rebellierte im Paris der 30er Jahre gegen ein eurozentristisches Zivilisationskonzept. In der von ihm gegründeten Zeitschrift L´ÉTUDIANT NOIR erwähnte Aimé Césaire zum ersten Mal diesen Begriff. 1. Übersetzer "Die "négritude" ist die Wiederaneignung von uns selbst durch uns selbst ( ... ) Unsere "négritude" ist in der Geschichte situiert. Unsere "négritude" ist Verwurzelung." Sprecherin Im Gegensatz zu dem fest in der afrikanischen Zivilisation verwurzelten Senghor, hielt sich Césaire für einen durch den Sklavenhandel Entwurzelten. 1. Übersetzer "Ich weiß, woher ich komme, ich komme aus Gorée." Sprecherin In seinem berühmten, in viele Sprachen übersetzten und immer wieder neu auf gelegten Langgedicht NOTIZEN VON EINER RÜCKKEHR IN DIE HEIMAT - es wurde zuerst in der Zeitschrift VOLONTES und 1956 in einer überarbeiteten Fassung im Pariser Verlag PRESENCE AFRICAINE mit einem Vorwort von André Breton veröffentlicht, ist die "négritude"- von zentraler Bedeutung. "Négritude" zielt auf die Revision der Rollenklischees, die in Europa über Schwarze kursieren. O-Ton: Aimé Césaire (Ma négritude ... ) 1. Übersetzer Jene die weder das Pulver erfunden haben noch den Kompass jene die weder je den Dampf zu bezwingen wussten noch die Elektrizität jene die weder die Meere erforschten noch den Himmel jene aber ohne die die Erde nicht die Erde wäre ( ... ) meine Negritüd ist kein Stein, ihre Taubheit Ansturm gegen den Lärm des Tages meine Negritüd ist kein weißer Hornhautfleck, von totem Wasser auf dem toten Auge der Erde meine Negritüd ist weder Turm noch Kathedrale ( ... ) Aia für den königlichen Kailcedrat! Aia für jene, die nichts je erfanden für jene, die nichts je erforschten für jene, die nichts je bezwangen O-Ton: Aimé Césaire (Ma négritude ... ) Sprecherin Die ersten Entwürfe zu den NOTIZEN VON EINER RÜCKKEHR IN DIE HEIMAT entstanden 1935 auf einer Reise entlang der jugoslawischen Adriaküste, wo Aimé Césaire beim Anblick der Insel Martinska von Erinnerungen an Martinique überwältigt wurde. Das war der Auslöser einer Identitätskrise und einer Selbstsuche, die ihn zu den Antillen zurückführte, zur Inspektion der Kolonialgesellschaft. Sie steht am Anfang der NOTIZEN VON EINER RÜCKKEHR IN DIE HEIMAT. Musik O - Ton: Aimé Césaire Au bout du petit matin ... 1. Übersetzer Endet der früheste Morgen, aus zierlichen Buchten knospend, die Antillen, die Hunger haben, die Antillen von Blattern zernarbt, die Antillen, von Schnaps zertrümmert, gestrandet im Schlick dieser Bai, im Staub dieser Stadt jämmerlich gestrandet ( ... ) Endet der früheste Morgen auf dieser zerbrechlichen Erdschicht so demütigend überragt von ihrer grandiosen Zukunft - ausbrechen werden die Vulkane, fort- schwemmen wird das nackte Wasser die reifen Sonnenflecken, und nichts wird bleiben als ein lauwarmes Brodeln, in dem Seevögel herumstochern -, der Strand der Träume und das sinnlose Erwachen. O-Ton: Daniel Maximin 2. Übersetzer Césaire hat mit einer Krise begonnen, da er sich als junger Mann in den Antillen und in der kolonialen Unterdrückung nicht wieder erkannte; erst recht nicht in der Bourgeoisie der Antillen, die nur von der völligen Anpassung an das europäische Modell träumte, der totalen Verleugnung der afrikanischen Ursprünge und der bäuerlichen Volkskulturen der Antillen. Sprecherin Daniel Maximin, der Dichter und Romancier aus Guadeloupe, hat 1994 mit Gilles Carpentier die Gesamtausgabe von Aimé Césaires Gedichten - LA POESIE - herausgebracht. O-Ton: Daniel Maximin 2. Übersetzer Der junge Césaire, der in der Schule die Kultur entdeckt, geht nach Frankreich, saugt wissbegierig alles auf: Latein, Griechisch, französische Philosophie, deutsche Literatur, erkennt jedoch bald, das ihm etwas fehlt und zwar die Kulturen Afrikas. Die entdeckt er mit seinem Freund, dem senegalesischen Dichter Léopold Sédar Senghor, der für ihn eine Art Bruder war. Doch was ist mit den Antillen? Er gerät in eine Krise und fragt sich: "Und ich, bin ich etwa ein Niemand? Das ist der Ursprung der NOTIZEN VON EINER RÜCKKEHR IN DIE HEIMAT. Das war sein erster Aufschrei, am Rand des Wahnsinns, wie Senghor bemerkt. Er sagt, ich habe kein Volk, kein Land, keine eigene Identität. Er entdeckt, das Afrika, das Europa nicht die Antillen sind und beschließt, sie in den NOTIZEN VON EINER RÜCKKEHR IN DIE HEIMAT zum Ausdruck zu bringen. Er beginnt mit einem anonymen Volk, seiner Armut und Selbstverleugnung; peu à peu wird der Dichter geboren, der die Geschichte entdeckt - Delgrès, Toussaint Louverture, die Abschaffung der Sklaverei, die Aufstände und den Widerstand, die er zu den übrigen Aufständen auf den Antillen in Bezug setzt, und er stellt fest, dass sein Land sehr wohl eine Geschichte hat und zwar ein Epos des Kampfes. Der Dichter oder der junge Mann - er war gerade mal zweiundzwanzig - wird erwachsen, indem er sein Land entdeckt. Sprecherin Am Vorabend des II. Weltkrieges kehrte Aimé Césaire mit seiner Frau Suzanne - sie hatten 1937 in Paris geheiratet - nach Fort-de-France zurück. Er wurde Lehrer am Lycée Schoelcher, sie Lehrerin am Lycée Belleville. Der Faschismus versetzte nicht nur Europa in Angst und Schrecken, sondern auch die Antillen. Nachdem sich auf Martinique mit dem Admiral Robert ein Hardliner des Vichy Regimes installiert hatte, gründete das Ehepaar mit Freunden die Zeitschrift TROPIQUES, die bis zu ihrem Verbot im Jahr 1944 ein wichtiges Sprachrohr des kulturellen Widerstandes war. Aimé Césaire proklamierte: "Wir gehören zu denen, die Nein zum Schatten sagen." 1. Übersetzer "TROPIQUES evoziert einen geographischen und geistigen Raum. Es ist die Ablehnung der Assimilation und des Eurozentrismus (.) Man musste den lauten Schrei der Schwarzen erklingen lassen (.) Anfangs hatte ich den Eindruck, dass die Vichy Administration gar nicht kapiert hatte, worum es ging (.) Sie hatte nicht verstanden, als ich "nein zum Schatten" sagte, welchen Schatten ich meinte. Als sie es irgendwann doch kapierte, wurde die Zeitschrift einfach verboten. Uns haben sie vorgeworfen "Seelenvergifter" zu sein." Sprecherin Bei Recherchen zu einem Roman über das Vichy- Regime auf den Antillen hat sich Daniel Maximin die internationale Dimension des Widerstandes erschlossen. O-Ton Daniel Maximin 2. Übersetzer "Die Antillen wurden von Faschisten besetzt, wobei Faschismus und Kolonialismus aufeinander prallten, wodurch der Rassismus wieder erstarkte: Schwarze Bürgermeister wurden abgesetzt und durch weiße Kolonialbeamte ersetzt, was beinah schon ein Rückfall in die Sklaverei war. Dagegen setzte sich die Bevölkerung zur Wehr und Intellektuelle wie Césaire, seine Frau Suzanne oder René Menil. Damals bildete sich auch ein internationales und internationalistisches Bewusstsein heraus und ungefähr zehntausend Jugendliche schlossen sich der französischen "Résistance" an, zunächst auf den englischsprachigen Inseln der Karibik, danach in den USA, wo sie sich den Free French Bataillonen anschlossen, nach Nordafrika fuhren und von dort aus nach Italien und Frankreich. Alles ist somit lokal und international; die Erfahrung des tropischen Faschismus führte dazu, dass all diese Jugendlichen das Bewusstsein hatten, am Befreiungskampf der Welt teilzunehmen. Auf den Antillen hat man nicht gewartet, um zu sehen, was Europa tun würde." Sprecherin Einer dieser Jungen war Frantz Fanon, der neben dem Dichter und Kulturtheoretiker Edouard Glissant zu Césaires berühmten Schülern zählte, die er am Lycée Schoelcher unterrichtete. Weltberühmt wurde Frantz Fanon, der sich in den fünfziger Jahren in der algerischen Befreiungsbewegung engagierte mit seinem Essay SCHWARZE HAUT WEISSE MASKEN, in dem er sich von seinem ehemaligen Lehrer distanzierte. Er wollte sich nicht mit den schwarzen Sklaven der Antillen und ihrer Geschichte identifizieren, auch nicht mit der "négritude" von Césaire, Senghor und Damas. 2. Übersetzer "Mein Leben darf nicht geopfert werden, um die Bilanz der Wertvorstellungen von Schwarzen zu ziehen. Es muss um die Revolution, die politische Emanzipation gehen. Man muss die "négritude" hinter sich lassen und die psychologischen Aspekte kolonialer Machtverhältnisse berücksichtigen, die Rollenkonstrukte für Schwarze und Weiße." Sprecherin Aimé Césaire und Frantz Fanon trafen sich 1956 auf dem ersten Kongress schwarzer Schriftsteller und Künstler in Paris sowie auf dem zweiten Kongress 1958 in Rom. Sie respektierten einander, gingen jedoch eigene Wege. Franz Fanon hatte 1953 in der französischen Kolonie Algerien eine Stelle als Chef einer psychiatrischen Klinik in der Nähe von Algier angenommen. Während des Unabhängigkeitskrieges schloss er sich der algerischen Befreiungsbewegung FLN an. In seinem letzten Werk "Die Verdammten dieser Erde" hat er seine politischen und psychiatrischen Erfahrungen zu einer Theorie des Befreiungskampfes gebündelt. 2.Übersetzer "Der kolonialisierte Mensch befreit sich in der Gewalt und durch sie. Diese Praxis klärt den Handelnden auf, weil sie ihm Mittel und Zweck zeigt." Sprecherin Die durch Rassismus und Kolonialismus verursachten Schäden an Leib und Seele, die Frantz Fanon über die Psychiatrie aufzuarbeiten und in eine politische Theorie zu überführen versuchte, brachte Aimé Césaire in seiner Dichtung zur Sprache. 1. Übersetzer "Ich habe stets den Eindruck, dass ich zur Wiedereroberung aufbrach. Zur Wiedereroberung meines Namens. Zur Wiedereroberung meines Landes. Zur Wiedereroberung meines Selbst. Daher war mein Vorgehen vor allem ein Poetisches. Es ist die Wiedereroberung des Selbst durch das Selbst. Die Kolonisierung ist das Abscheulichste. Sie ist die Negation des Menschen. Sie ist die Vernichtung des ganzen Menschen. Der Kolonisierte ist ein getrenntes Wesen. Ein abgeschnittenes Wesen. Von welcher Hand? Das weiß ich nicht. Doch abgeschnitten. Abgeschnitten von der Welt, abgeschnitten vom Kosmos, abgeschnitten von der Geschichte und abgeschnitten von sich selbst." Musik O- Ton Aimé Césaire 1. Übersetzer Ich wohne in einer heiligen Wunde ich wohne in erdachten Ahnen ich wohne in einem dunklen Wollen ich wohne in einem langen Schweigen ich wohne in einem unstillbaren Durst ich wohne in einer tausendjährigen Reise ich wohne in einem dreihundertjährigen Krieg ich wohne im Basalt nicht Lavastrom sondern in der Sprungwelle die in vollem Tempo das Tal hinaufflutet und alle Moscheen niederbrennt ich passe mich so gut es geht diesem Ungemach an dieser Version des absurd missratenen Paradieses - allemal schlimmer als die Hölle - ich wohne ab und an in einer meiner Wunden alle naselang ziehe ich um und jeder Friede macht mir angst Feuerwirbel Becher ohnegleichen für Staubkörner versprengter Welten ausgespien Vulkan meiner Wildwassereingeweide bleibe ich bei meinen Wortbroten und meinen geheimen Erzen Musik 2. Übersetzer "Da ist das Zusammenspiel von modernen, westlichen Poetiken, allesamt Poetiken des Protestes und der sprachlichen Revolution und den Poetiken der Schwarzen - Sprecherin schrieb Edouard Glissant in seinem Nachruf auf Aimé Césaire. 2. Übersetzer kraftvolle Rhythmen, das Wunderbare, Maßlosigkeit, Humor, die ursprüngliche Verschmelzung und die kosmische Verankerung des Wortes. Aimé Césaires Poetik ist die des Vulkans, der Ausbrüche und Auswürfe." O- Ton: Aimé Césaire 1. Übersetzer Martinique hat zwei Gesichter, ein karibisches, sanft, ruhiges Wasser, so wie man sich die glücklichen Städte vorstellt, und dann ist da noch der andere Aspekt: Die Nordküste, steil abfallende Felsen und von da komme ich her, der Vulkan Pelé ist nicht weit weg und das Motiv des Vulkans spielt eine gewisse Rolle bei mir. Sprecherin André Breton, der Papst des Surrealismus, hatte sich 1941 während eines Aufenthaltes in Martinique mit Aimé Césaire angefreundet und war hellauf begeistert von Césaires Gedichten, die für ihn, wie er im Vorwort zu den NOTIZEN VON EINER RÜCKKEHR IN DIE HEIMAT schrieb, "so schön wie der entstehende Sauerstoff sind." Die beiden Dichter verband die Ablehnung des Faschismus, ein großes Interesse an afrikanischer Kunst, der Erforschung des Unbewussten, der Träume und all der Erscheinungen des Lebens, die mit dem bloßen Verstand nicht zu erfassen sind. 1. Übersetzer "Das tiefe Wesen war verborgen; das hat mich stets schockiert. Über den Surrealismus haben wir all das überwunden. Es ist der Abstieg zu sich Selbst. Ein Abstieg in die Hölle. Je tiefer du hinab steigst, desto mehr begegnest du dir, und da wirst du den 'negre fondamental' wieder finden." Sprecherin 1946 erschien der Gedichtband DIE WUNDERBAREN WAFFEN. An dem hatte Aimé Césaire während des Krieges geschrieben, als er den kulturellen Widerstand gegen den Faschismus organisiert hatte. 1. Übersetzer "Wenn man sich auf dem Grund des Unglücks befindet, im tiefen Graben, weiß man wohl, das die einzige Waffe, die man hat, nicht die Logik eines Descartes ist, nicht die diskursive Logik, sondern das Wunder. Es gibt immer wunderbare Waffen. Und die sind nicht weniger wirkungsvoll. Dichtung ist eine wunderbare Waffe. Ich glaube, der Mensch hat wunderbare Waffen in sich." Sprecherin Zu diesen wunderbaren Waffen zählte Aimé Césaire auch Wortschöpfungen, Lautmalereien und den Rhythmus eines Gedichts. In TAMTAM II bringt er all diese Waffen in Anschlag. Musik O-Ton: Aimé Césaire Sprecherin Nachdem Frankreich 2001 als erstes und bislang einziges Land die Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geächtet und 2005 den 10. Mai als offiziellen Gedenktag an die Sklaverei festgesetzt hatte, deklamierte ein Jahr später der Schauspieler Jacques Martial bei der ersten Gedenkfeier im Pariser Jardin du Luxembourg Auszüge aus Aimé Césaires NOTIZEN VON EINER RÜCKKEHR IN DIE HEIMAT, darunter die Fürbitte, die den Dichter in seiner Suche nach einem neuen Humanismus bestärken soll. O-Ton: Aimé Césaire 1. Übersetzer Macht zum Rebellen mich gegen alle Dünkel, fügsam aber seinem Genie Wie die Faust am ausgestreckten Arm! macht zum Kommissar mich seines Blutes macht zum Verwahrer mich seiner Rachsucht macht aus mir einen Mann des Endens macht aus mir einen Mann der Initiation macht aus mir einen Mann der Sammlung aber macht aus mir auch einen Mann des Säens macht aus mir den scharfen Richter dieser hohen Werke die Zeit ist da, sich als beherzten Mann die Lenden zu gürten- Doch wenn ihr dies tut, mein Herz, bewahrt mich vor jedem Hass macht aus mir nicht den Mann des Hasses, für ihn habe ich Hass nur übrig denn um mich auf diese einzigartige Rasse zu begrenzen wisst ihr zu gut um meine tyrannische Liebe wisst ihr, dass nicht aus Hass auf andere Rassen ich beanspruche, dieser einzigartigen Rasse Wortklauber zu sein denn was ich will gilt dem allumfassenden Hunger gilt dem allumfassenden Durst O-Ton Francoise Vergès 1. Übersetzerin Ich habe mir gesagt, wenn man an diesem Gedenktag eine literarische Stimme hören sollte, dann die von Aimé Césaire, mitten im Stadtzentrum von Paris. O-Ton Francoise Verges 1. Übersetzerin Wir haben außerdem im letzten Jahr, als im Jardin du Luxembourg das Mahnmal an die Sklaverei eingeweiht wurde, großen Wert darauf gelegt, dass da auch Verse von Aimé Césaire stehen. Sprecherin Francoise Vergès ist Historikerin und Vorsitzende des COMITE POUR LA MEMOIRE DE L´ESCLAVAGE. Sie bemüht sich seit Jahren um die Aufarbeitung der sich über mehrere Kontinente und mehrere Jahrhunderte erstreckenden Geschichte der Sklaverei. Sie kämpft dagegen, dass Europa nach wie vor gern verdrängt, in welchem Maße es an dieser Geschichte beteiligt war. Die Historikerin wollte am 10. Mai 2006 unbedingt an Aimé Césaire erinnern, zumal in Frankreich sein Werk aus den Schulbüchern verbannt worden war. 1. Übersetzer Und es steht aufrecht das Negerpack das geduckte Negerpack unverhofft aufrecht aufrecht im Kielraum aufrecht in den Kajüten aufrecht auf der Brücke aufrecht im Wind aufrecht unter der Sonne aufrecht im Blut aufrecht und frei Sprecherin Francoise Verges führte lange Gespräche mit Aimé Césaire und veröffentlichte sie unter dem Titel NEGER BIN ICH UND NEGER WERDE ICH BLEIBEN: O-Ton Francoise Verges 1. Übersetzerin Neger steht für eine Kultur, eine Geschichte, ist kein Phänotyp und ist gebunden an die große Massendeportation durch die Sklaverei und den Sklavenhandel. Und darauf nimmt Césaire Bezug, wenn er sagt: "Ich bin ein Neger und werde ein Neger bleiben, ich werde ein Kind, ein Erbe dieser Geschichte bleiben: In Frankreich neigt man dazu, diese Geschichte zu vergessen, wohingegen ich aufzeigen wollte: Neger steht für eine Geschichte. Tatsächlich werden Afrikaner erst mit Beginn des Sklavenhandels so genannt, und am Ende des XVII. Jahrhunderts sind Neger und Sklave synonym in den Französisch-Wörterbüchern, bis weit ins XIX. Jahrhundert hinein. Sprecherin Francoise Vergès stammt aus Reunion. Diese vor der Ostküste Afrikas liegende Insel war neben Guyana, Guadeloupe und Martinique eine französische Kolonie. 1946 wurden diese vier Kolonien als französische Übersee-Departments Frankreich angegliedert. Den Statuswechsel von der Kolonie zum Übersee-Department hatte er gemeinsam mit Raymond Vergès, dem Großvater von Francoise Vergès erkämpft. Bereits 1945, nach dem Ende des II. Weltkrieges war Aimé Césaire in Fort-de- France als Kandidat der Kommunisten für den Stadtrat aufgestellt, mit überwältigender Mehrheit gewählt und zum Bürgermeister ernannt worden. In diesem Amt blieb er bis 2001, also 56 Jahre. Musik 1. Übersetzer "Nachdem ich meine Verpflichtungen als Bürgermeister übernommen hatte, war ich erschrocken über die riesige Aufgabe, die da auf mich zukam. Eine kleine Stadt mit 45.000 Einwohnern, ohne die entsprechende Grundausstattung, eine kleine Stadt, die nicht genügend Schulen hatte, eine kleine Stadt, in der jedes Jahr der Typhus grassierte, weil die Wasserleitungen veraltet und in einem maroden Zustand waren. Und eine Stadt, wo es in den Vororten nur Siedlungen gab, die man als heruntergekommen bezeichnete." Sprecherin Mitglied der Kommunistischen Partei war Aimé Césaire erst 1946 geworden. 1. Übersetzer "Ich bin der Kommunistischen Partei beigetreten, weil in der Welt, in der der Rassismus nicht richtig auskuriert wurde, wo die grausame Ausbeutung der Kolonialvölker fortbesteht, die Kommunistische Partei das Recht auf die Würde aller Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe verkörpert." Sprecherin Als dann aber die Gleichstellung mit dem Mutterland, die Césaire sich von der Abschaffung des Kolonialstatus erhofft hatte, nicht eintrat, geriet er zusehends mit dieser Partei in Konflikt. 1. Übersetzer "Es ging darum, in Martinique Gesetze zur Anwendung zu bringen, die in Frankreich Gültigkeit hatten, vor allem im Bereich der Sozialversicherung. Und wo sind wir auf Widerstand gestoßen? In Frankreich. Bei der Regierung. Bei den Ministern. Warum? Es wäre zu teuer für Frankreich geworden. Darum und aus sonst keinem anderen Grund." Sprecherin Nach der Niederschlagung des Ungarnaufstandes trat Aimé Césaire 1956 aus der Kommunistischen Partei aus. In einem offenen Brief an den Parteivorsitzenden Maurice Thorez verwahrte er sich gegen die Bevormundung der ehemaligen Kolonien und forderte ein radikales Umdenken. 1. Übersetzer "Und hier müsste man eine regelrechte kopernikanische Revolution durchführen, so sehr ist in Europa und in allen Lebensbereichen, von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, die Gewohnheit verwurzelt, für uns zu handeln, über uns zu verfügen, für uns zu denken, kurzum die Gewohnheit, die uns das Recht verwehrt, die Initiative zu ergreifen, was definitiv das Recht ist, eine Person zu sein." Sprecherin Aimé Césaire erwartete nicht mehr viel von Europa. Er verfolgte mit regem Interesse die antikolonialen Befreiungsbewegungen in Madagaskar, Indochina und später Algerien, konzentrierte sich auf den DISKURS ÜBER DEN KOLONIALISMUS - Vorabdrucke erschienen in der kommunistischen Zeitung L´HUMANITE - und schrieb sich all das von der Seele, was er in der französischen Nationalversammlung oder auf Parteikongressen nicht zur Sprache bringen konnte. 1. Übersetzer "Ich aber rede über Gesellschaften, die ihrer selbst entleert wurden, niedergemachte Kulturen, ausgehöhlte Institutionen, beschlagnahmte Ländereien, ermordete Religionen, zerstörte künstlerische Pracht, außerordentliche Möglichkeiten, die nicht zum Tragen kamen." Sprecherin In ÜBER DEN KOLONIALISMUS zeigte Aimé Césaire, dass Frankreichs Schriftsteller, Philosophen und Historiker für rassistisches Gedankengut anfällig waren und dass eine mit brutaler Gewalt durchgeführte Kolonisierung zur Entmenschlichung von Kolonisierten und Kolonisierenden geführt hatte. 1. Übersetzer "Sie beweisen, ich wiederhole es, dass die Kolonisierung den zivilisiertesten Menschen entmenschlicht; dass die koloniale Handlung, das koloniale Unternehmen, die koloniale Eroberung, die auf der Verachtung der Einheimischen beruht und durch diese Verachtung gerechtfertigt wird, unweigerlich dazu tendiert, den zu verändern, der sie vornimmt; dass der Kolonisierende, der um sich ein gutes Gewissen zu verschaffen, sich daran gewöhnt, im anderen das TIER zu sehen, sich trainiert, ihn als TIER zu behandeln, objektiv dazu neigt, selbst zum TIER zu werden." Sprecherin Wie schon die NOTIZEN VON EINER RÜCKKEHR IN DIE HEIMAT endet auch dieser Essay mit der Aufforderung, nach einer menschlicheren Gesellschaft zu suchen. 1. Übersetzer "Wenn Westeuropa nicht von sich aus in Afrika, in Ozeanien, in Madagaskar, das heißt vor den Toren Südafrikas, auf den Antillen, das heißt vor den Toren Amerikas die Initiative ergreift für eine Politik der NATIONALITÄTEN, die Initiative zu einer neuen Politik, die auf dem Respekt der Völker und der Kulturen basiert; was sage ich? Wenn Europa nicht die sterbenden Kulturen reanimiert oder neue Kulturen entstehen lässt ( ... ) wird Europa sich selbst seine letzte CHANCE genommen und mit seinen eigenen Händen das Tuch tödlicher Finsternis über sich gezogen haben." O-Ton Francoise Verges Übersetzerin Wenn man ÜBER DEN KOLONIALISMUS wieder liest, ist man frappiert, da in diesem Werk neben den zeitgebundenen Passagen - man weiß, dass sie nach dem zweiten Weltkrieg geschrieben wurden - äußerst wichtige Fragen aufgeworfen werden: Was macht Europa aus, welche Identität hat Europa? Europa hatte damals gerade den II. Weltkrieg hinter sich, den Holocaust und die Vernichtung der europäischen Juden; An diese Barbarei knüpft Césaire Fragen: Wie könnt ihr, die Ihr doch Barbaren seid, zu uns kommen und behaupten, zivilisiert zu sein? Wer sind die Barbaren, wer die Zivilisierten? Diese Fragen, die er an Europa richtet, die Frage nach der Menschlichkeit, erfordert einen neuen Humanismus, ein neues Denken das Nicht-Europäer mitberücksichtigt." Sprecherin In Afrika schätzt man Aimé Césaire nicht nur als Wegbereiter der Unabhängigkeits- bewegungen, sondern als Weggefährte ins XXI. Jahrhundert: offen gegenüber allen Kulturen, aufbegehrend gegen soziale und politische Fehlentwicklungen. 1. Übersetzer "Ich greife manchmal zu Césaires ÜBER DEN KOLONIALISMUS oder zu den NOTIZEN VON EINER RÜCKKEHR IN DIE HEIMAT, wahrscheinlich, um Abstand vom aktuellen Geschehen zu nehmen oder um mich von der Aktualität dieser Werke zu überzeugen, die für mich aktueller denn je sind." Sprecherin So der Filmemacher Abderahmane Sissako aus Mauretanien, der in seinem jüngsten Film BAMAKO der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Weltbank aus der Sicht Afrikanischer Dorfbewohner den Prozess machte. 1. Übersetzer "Und wir stehen aufrecht jetzt, mein Land und ich, die Haare im Wind, meine kleine Hand in seiner riesigen Faust, und die Kraft ist nicht in uns, sondern über uns, in einer Stimme, die die Nacht und die lauschenden Ohren durchbohrt wie eine apokalyptische Wespe. Und die Stimme spricht, Europa hat uns jahrhundertelang mit Lügen voll gestopft und mit Pesthauch aufgeblasen, denn es ist nicht wahr, dass des Menschen Werk vollbracht wäre das es für uns nichts zu tun gäbe auf der Welt, dass wir der Welt Schmarotzer wären, dass es genügte, wir schlössen uns dem Schritt der Welt an, des Menschen Werk hat gerade erst begonnen und es bleibt dem Menschen, jedwedes Verbot zu erobern, erstarrt in den Winkeln seiner Tatenlust und keine Rasse ist im alleinigen Besitz von Schönheit, Intelligenz und Kraft und es ist Platz für alle beim Stelldichein der Errungenschaft und wir wissen nun, dass sich die Sonne um die Erde dreht und das Stück Land erhellt, welches allein unser Wille abgesteckt hat, und jedweder Stern fällt vom Himmel auf Erden, wenn unser grenzenloser Befehl es will. Sprecherin 1956 forderte Aimé Césaire in Paris auf dem I. Congrès international des Ecrivains et artistes noirs: "Lasst die schwarzen Völker die große Bühne der Geschichte betreten!" Das hatte Haiti schon 1804 versucht, indem es als erstes Land der westlichen Hemisphäre die Sklaverei abgeschafft hatte. Im politischen Denken Césaires und in seiner literarischen Arbeit spielte Haiti seit seinem ersten Aufenthalt im Jahr 1944 eine wichtige Rolle. Als Anfang der 60er Jahre viele afrikanische Länder unabhängig wurden, versuchte Césaire, sich die neuen Gesellschaften vorzustellen und ging dabei von Haiti aus, wo Rebellion und Scheitern so dicht beieinander liegen.1962 publizierte er eine Studie TOUSSAINT LOUVERTURE, LA REVOLUTION FRANCAISE ET LE PROBLEME COLONIAL. Dessen Vorreiterrolle hebt der haitianische Schriftsteller René Depestre hervor. O-Ton René Depestre 2. Übersetzer Wenn von der Abschaffung der Sklaverei die Rede ist, denkt man sofort an Toussaint Louverture. Er wurde 1734 in Haut-de-Cap in Santo Domingo geboren Und starb am 7. April 1803 in Fort-de Joux im französischen Jura. Er hatte Napoleon vorgeschlagen, eine Art Commonwealth à la francaise zu bilden, was die Emanzipation der haitianischen Schwarzen ermöglicht hätte, ohne den Bruch mit Frankreich. Jahre danach räumte Napoleon auf St. Helena diesen gravierenden Fehler ein. Toussaint Louverture ging von dem absoluten Prinzip aus, das alle Menschen, egal, ob rot, schwarz oder weiß auf gar keinen Fall der Besitz eines anderen sein können. Toussaint Louverture war demnach der erste Denker, der erste Befreier, dem es um die Universalisierung der Menschenrechte ging, die zu seiner Zeit nur für die Weißen galten. Césaire sagt zu Recht, dass es in diesem Kampf um die Anerkennung des Menschen, um die gesamte Menschheit ging. Daher gehört für Césaire der Aufstand der schwarzen Sklaven von Santo-Domingo zur Geschichte der universellen Zivilisation. Sprecherin Revolutionen und Umstürze verlaufen nicht geradlinig. Haitis Geschichte wurde nicht nur von dem Freiheitskämpfer Toussaint Louverture geschrieben, sondern auch von dessen Leutnant, dem freigelassenen Sklaven Christoph. Der ließ sich 1811 im Norden Haitis zum König ausrufen und versuchte seitdem, den Versailler Königshof zu imitieren, da er für die Zeit nach dem Umsturz kein Konzept hatte. Anfang der sechziger Jahre des XX. Jahrhunderts wurden zahlreiche Länder Afrikas unabhängig, was Aimé Césaire mit regem Interesse verfolgte. Er ging von der These aus, es sei einfacher, einen Aufstand zu machen, als das Danach zu gestalten. Musik 1. Übersetzer Bruder beharre nicht Haufe von Braunalgen mich aufspinnend als Teufelszwirn oder mich ausspannend als Porana das ist alles eins ob nun die Woge rollt ob nun die Sonne schröpft ob nun der Wind geißelt runder Buckel meines Nichts der atmosphärische oder viel mehr historische Druck steigert über die Maßen meine Leiden selbst wenn er Prunk verleiht manchen meiner Wörter Sprecherin Die letzten Verse von LAGUNENKALENDER zieren auf Wunsch Césaires seinen Grabstein in Martinique. Im Pariser Pantheon wird eine Gedenktafel an einen Dichter erinnern, der, wie Jean-Paul Sartre im Vorwort zur ANTHOLOGIE DE LA NOUVELLE POESIE NEGRE ET MALGACHE geschrieben hatte "das Wort Neger auf griff, das man ihm wie einen Stein hingeworfen hatte." Absage Neger bin ich, Neger werde ich bleiben Aimé Césaire - Der Dichter der Négritude Ein Feature von Margrit Klingler-Clavijo Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2008 Es sprachen: Matthias Haase, Renate Fuhrmann, Walter Gontermann und Elenor Holder Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Dagmar Schondey Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Hermann Theißen 22