DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 22.05.2007 Redaktion:Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr Der siebte Tag Der Sechstagekrieg und die Besiedlung der besetzten Gebiete Von Daniel Cil Brecher URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Sprecher 1 Stimme Israels. Sie hören eine Ansprache des Verteidigungsministers Generalleutnant Moshe Dayan. O-Ton Isr. Rundfunk 5.6.1967: Ansprache Moshe Dayan (in Hebräisch) Sprecher 2 Soldaten der israelischen Verteidigungsarmee! Zur Stunde haben wir noch keine genauen Berichte über die Kämpfe an der Südfront. Unsere Flugzeuge sind in bittere Gefechte mit der Luftwaffe des Feindes verwickelt. Unsere Bodentruppen sind dabei, die ägyptische Artillerie zum Schweigen zu bringen, die unsere Siedlungen entlang des Gazastreifens unter schweren Beschuss genommen hat, und die ägyptischen Panzereinheiten zu bremsen, die den südlichen Teil des Negev abzuschneiden drohen. O-Ton Dror Etkes (in Englisch) Sprecher 3 Der Staat Israel hat aus der Besiedlung das nationale Projekt Nummer Eins gemacht. Sprecherin 2 Es ist ein jüdisches Land, es war schon immer ein jüdisches Land. O-Ton Ester Fride (in Niederländisch) O-Ton Jad Isaac (in Englisch) Sprecher 4 Die Frage der Siedlungen wird am Ende darüber entscheiden, ob Palästina ein lebensfähiger Staat wird oder nicht. O-Ton Dov Weinstock (in Hebräisch) Sprecher 2 Ich bin auf der einen Seite der beste Freund der Araber. Aber der Araber weiß: wenn er mir einen Baum fällt, dann fälle ich ihm am selben Tag auch einen Baum. Hier ist Krieg wie zu biblischen Zeiten. Es wird nicht mit Panzern gekämpft. Musik-Akzent Ansage Der Siebte Tag Der Sechstagekrieg und die Besiedlung der besetzten Gebiete Ein Feature von Daniel Cil Brecher O-Ton Isr. Rundfunk 5.6.1967: Ansprache Moshe Dayan (in Hebräisch) Sprecher 2 Soldaten der israelischen Verteidigungsarmee! Wir haben nicht die Absicht, Land zu erobern oder zu besetzen. Unser einziges Ziel ist es, die arabischen Armeen daran zu hindern, unser Land zu erobern, und den Würgering der Aggression zu sprengen, der uns umgelegt wurde. Sprecherin 1 5. Juni 1967. Am frühen Morgen haben israelische Flugzeuge überraschend die Militärflughäfen Ägyptens, Syriens und Jordaniens angegriffen und die Luftwaffen der Nachbarstaaten innerhalb weniger Stunden am Boden zerstört, nahezu ohne Gegenwehr. Der israelische Angriff erfolgte nach monatelangen Auseinandersetzungen mit Syrien um die Nutzung der Pufferzone am Fuße der Golanhöhen. Ägypten hatte zur Abschreckung zwei Divisionen in die demilitarisierte Sinaihalbinsel verlegt und die Straße von Tiran für die israelische Schifffahrt gesperrt. Autor Heute, vierzig Jahre später, wohnen zehn Prozent der jüdischen Bevölkerung Israels in den damals eroberten Gebieten, nach internationalem Recht illegal. Die Siedlungen gelten unter Palästinensern und vielen Israelis als Haupthindernis auf dem Weg zum Frieden. Was hat die israelische Gesellschaft dazu verleitet, dieses von einer feindlichen arabischen Bevölkerung bewohntes Gebiet zu besiedeln? Sprecherin 1 Ägyptens Bruch internationaler Abkommen wurde von Israel 1967 als Casus Belli aufgegriffen. Ziel des Angriffs war die Reduzierung des militärischen Angriffspotentials der arabischen Nachbarn, mit denen Israel sich seit seiner Gründung 1948 im Kriegszustand befand. Sprecher 1 In diesen ersten 80 Minuten des Krieges steckten 16 Jahre der Planung. Wir lebten mit dem Plan, wir schliefen mit dem Plan, wir aßen mit dem Plan. Mordechai Hod, Befehlshaber der Luftwaffe Autor Schon am ersten Tag des Krieges gegen 11 Uhr Vormittag stand der Sieger fest. Innerhalb der folgenden zwei Tage besetzten israelische Truppen den Sinai, in einem weiteren Tag die syrischen Golanhöhen, Ostjerusalem und die von Jordanien 1948 annektierte Westbank, das Westufer des Jordan. Die Westbank sollte eigentlich, so wollte es der Teilungsplan der Vereinten Nationen, zum palästinensischen Staat gehören. Doch der war gar nicht zustande gekommen. Sprecher 1 Israel hatte von diesem Moment an keinen Grund mehr, um seine Existenz zu fürchten. Warum hat es trotzdem die Westbank besetzt? Sechs Monate davor hatten Experten des Geheimdienstes gewarnt: Eroberung der Westbank bedeute die Herrschaft über eine große, feindlich gesinnte palästinensische Bevölkerung. Tom Segev, israelischer Historiker Sprecherin 1 Am 28. Juni 1967, berichtete der Rundfunk von einem feierlichen Akt im Innenministerium. O-Ton Isr. Rundfunk 28.6.1967: Ansprache Moshe Shapira (in Hebräisch) Sprecher 1 Das Gesetz über die Ausweitung der Stadtgrenzen Jerusalems wurde gestern von der Knesset verabschiedet. Heute übereichte Innenminister Haim Moshe Shapira einen entsprechenden Erlass an Teddy Kollek, den Bürgermeister Jerusalems, und sagte: Sprecher 2 Heute ist ein großer Tag für die Bürger Jerusalems, die Bürger Israels und die Juden in der ganzen Welt. Heute ist Jerusalem wiedervereint. Heute ist Jerusalem wieder zu einer einzigen Stadt geworden. Autor Vor Ausbruch des Krieges hatte die Regierung immer wieder das Motiv des kleinen David anklingen lassen, der sich gegen den großen Goliath behaupten muss. In Verlautbarungen wurde von einer Übermacht arabischer Truppen gesprochen. Sie stünden von "Kuwait bis Algier" bereit, um Israel zu überrennen, sagte Moshe Dayan im Rundfunk. Der unerwartete Sieg innerhalb nur weniger Tage und die ungeheuren Eroberungen mussten den Menschen in Israel, aber auch weit darüber hinaus ,wie ein Wunder erscheinen. Euphorische Stimmung machte sich breit. Fast die gesamte israelische Presse bejubelte die Annektierung Ostjerusalems. Sprecherin 1 Der Ostteil Jerusalems, seit 1948 von Jordanien beherrscht, war die größte und wichtigste Stadt der Westbank, er war ihr politisches wie kulturelles Zentrum. Doch Israel annektierte 1967 nicht nur den jordanischen Stadtteil mit sechs Quadratkilometern und rund 60.000 Einwohnern. 28 arabische Dörfer der Umgebung, die zum Distrikt Ramallah und Bethlehem gehörten, mit weiteren 64 Quadratkilometern und fast 20.000 Einwohnern, wurden ebenfalls dem Stadtgebiet von Jerusalem zugeschlagen. Die Regierung machte sofort Pläne, um auf den unbebauten Flächen entlang der alten Stadteilgrenzen und entlang der Außengrenzen jüdische Wohnviertel zu errichten, aus strategischen Gründen und um den jüdischen Bevölkerungsanteil so schnell wie möglich zu erhöhen. O-Ton Dror Etkes (in Englisch) Sprecher 3 Einerseits verstanden sich meine Eltern immer als liberal und links. Andererseits, nach 1967, als Israel das Gebiet um Jerusalem annektierte, nutzten meine Eltern die Gelegenheit, um ein Einfamilienhaus auf einem Stück Land zu bauen, das sie praktisch umsonst vom Staat erhielten und das nach allen Regeln des Völkerrechts eine Siedlung auf besetztem Gebiet darstellt. Sprecherin 1 Dror Etkes, von der Friedensbewegung "Peace Now", ist Leiter der Abteilung für die Überwachung der Siedlungstätigkeit. Autor: "Frieden Jetzt" folgt der Überzeugung, dass das Festhalten am Zionismus und jüdische Siedlungen in arabischen Gebieten sich gegenseitig ausschließen, weil der Zionismus ein Land mit jüdischer Mehrheit anstrebt. Sprecherin 1: Etkes wurde Ende 1968 im neuen Haus seiner Eltern in einem neuen jüdischen Stadtteil im ehemals jordanischen Ostjerusalem geboren. Jüdische Bürger Israels erhielten finanzielle Anreize, sich in den eroberten Gebieten niederzulassen. Autor Unter den Regierungen der Arbeitspartei wurden in den folgenden zehn Jahren Vororte in ummittelbarer Nähe der Hauptstadt und entlang des Jerusalemer Korridors Richtung Tel Aviv gebaut. Diese neuen jüdischen Wohnviertel von Jerusalem wurden zum Eldorado der jüdischen Mittelschicht. Hier konnten Menschen ihre Wünsche nach Wohn- und Lebensqualität erfüllen, die ihnen in den alten israelischen Städten bislang vorenthalten waren. Sprecherin 1 1977 wurde die Arbeitspartei abgewählt, der konservative Likud übernahm die Regierungsgeschäfte. Bis zu diesem Machtwechsel hatten militärisch-strategische Ziele die Siedlungspläne bestimmt: Die Schwachstellen Israels sollten durch die Schaffung von Pufferzonen zu Syrien und Jordanien geschützt werden. Autor Um dem Völkerrecht genüge zu tun, das die Enteignung von Grund und Boden für die Zwecke des Besatzers und die Ansiedlung der eigenen Bürger im besetzten Gebiet verbietet, mussten sich israelische Regierungen etwas einfallen lassen: sie begründeten die Enteignung mit der Notwendigkeit für die militärische Sicherheit. Bei der Beschlagnahme jedes Quadratmeters Boden musste der zuständige israelische Militärgouverneur einen Befehl ausstellen. Sprecherin 1 Etwa ein Drittel der von jüdischen Israelis besiedelten Flächen wurde auf diese Weise palästinensischem Privatbesitz entzogen - ohne dass dafür eine Entschädigung geleistet wurde. Die Hälfte dieses Bodens stammte aus öffentlichem Grundbesitz und etwa sechs Prozent der in arabischen Ländern weit verbreiteten Form des gewohnheitsrechtlichen Landbesitzes, der vor allem armen Bevölkerungsgruppen ein Auskommen ermöglichte. In israelischen Augen galt er aber als unregistriert und damit als herrenlos. Kaum mehr als ein Prozent der Siedlungen entstanden auf neuem oder altem jüdischen Grundbesitz. Autor Dieser alte jüdische Privatbesitz in Ostjerusalem, in der Stadt Hebron und im Gebiet südlich von Bethlehem weckte das Interesse der "Bewegung für das Gesamte Israel". Der Jerusalemer Dov Weinstock war einer der ersten, die sich der Bewegung anschlossen. O-Ton Dov Weinstock (in Hebräisch) Sprecher 2 Nach der Eroberung von Jerusalem tat ich zwei Dinge: Ich besuchte die Klagemauer - zum ersten Mal am vierten Tag nach der Befreiung - und dann Samstag für Samstag das moslemische Viertel in der Altstadt auf der Suche nach dem Haus, in dem meine Familie gewohnt hatte, bevor uns die Araber 1936 vertrieben haben. Autor Dov Weinstock, genannt Dubak, wurde 1946 in Westjerusalem geboren. Er stammt aus einer chassidischen Familie, die seit Anfang des 19.Jahrhunderts in Jerusalem lebt. Weinstocks Familie ist extrem religiös und jeder weltlichen Kultur feindlich gesonnen. Als einziges Mitglied seiner Familie wurde Dov Zionist. Kurz nach dem Sechstagekrieg traf er seine spätere Frau, eine amerikanisch-jüdische Einwanderin aus Beverly Hills. Sie hatte in einem religiös-zionistischen Kibbuz die Kinder der Flüchtlinge und Opfer von Kfar Etzion kennen gelernt. Sprecherin 1 Kfar Etzion gehört zu einer Gruppe von jüdischen Dörfern zwischen Bethlehem und Hebron, dem Gush Etzion, oder Etzion-Block, die im Krieg von 1948, unmittelbar nach der Staatsgründung Israels von der jordanischen Armee erobert worden waren. Zusammen mit den jüdischen Vierteln von Jerusalem und Hebron waren diese Siedlungen die einzigen, die im Krieg von 1948 aufgegeben wurden. Die Bewohner des Dorfes wurden getötet oder gefangen genommen. O-Ton Dov Weinstock (in Hebräisch) Sprecher 2 Wir zogen aus einfachen Gründen nach Gush Etzion. Ich kannte die Flüchtlinge. Ich hatte über die Geschichte der Siedlungen in der Schule gelernt. Ich kannte die anderen Siedler, hauptsächlich Kinder von denen, die dort umgekommen waren. Und so siedelten wir uns dort zusammen an. Aber den Ausschlag hatte meine Frau gegeben. O-Ton Dror Etkes (in Englisch) Sprecher 3 Die Geschichte von Kfar Etzion wurde zu einem der wichtigsten Mythen in der Zeit von 1948 bis 1967. Die Kinder der damaligen Verteidiger und Opfer bildeten das, was wir heute eine Erinnerungsgruppe nennen, eine Gruppe, die eine bestimmte Erinnerung wach hält. Autor Diese Erinnerung stand nicht nur für die zivilen Opfer des Kampfes und eine der wenigen Niederlagen von 1948, sondern auch für die zahlreichen, meist vergeblichen Versuche der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, auch die Westbank mit jüdischen Siedlungen zu überziehen und auch dieses Gebiet für den jüdischen Staat zu beanspruchen. O-Ton Dov Weinstock (in Hebräisch) Sprecher 2 Ein solcher Entschluss ist nicht so wie ein Umzug von Berlin nach Frankfurt. Das ist ein ideologischer Entschluss, der seinen Preis hat. Und er hat seinen Preis, einen Preis, den wir seit Generationen bezahlen. Sprecherin 1 Dov Weinstocks Sohn Ytzchak wurde im Dezember 1993 bei einem Anschlag in der Westbank erschossen. Er war erst 19 Jahre alt. Weinstock galt trotzdem als "Freund" der Araber. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als "Ranger" der Distriktverwaltung von Gush Etzion, als Aufseher, der sowohl die Natur wie die Aktivitäten der arabischen Bevölkerung im Auge zu behalten hatte. O-Ton Dov Weinstock (in Hebräisch) Sprecher 2 Als ich beschloss, nach Judäa umzuziehen, wusste ich, dass sich mein Leben völlig verändern wird. Ich wusste, dass ich mich den Generationen anschloss, die mit dem Leben bezahlt haben, und wusste, dass möglicherweise auch ich diesen Preis zu zahlen haben werde. Erst dann zog ich nach Gush Etzion. Autor Die Siedlerbewegung wurde von den Regierungen der Arbeitspartei in den ersten zehn Jahren immer dort unterstützt, wo die Siedlungen als "Rückkehr" in 1948 aufgegebene Dörfer oder Stadtteile gelten konnten. Dagegen lieferten sich Regierung und Siedlerbewegung bei Versuchen, nicht autorisierte Siedlungen zu gründen, heftige Auseinandersetzungen. Meistens siegten die Siedler in diesen Konfrontationen oder erreichten wenigstens einen Kompromiss. Und die Medien stilisierten die Siedler zur neuen zionistischen Avantgarde. O-Ton Dov Weinstock (in Hebräisch) Sprecher 2 Diese Erde kann von niemand anderem erworben werden. Sie steht für immer eingeschrieben auf den Namen der Juden - in der Bibel. Das ist ein Buch, das nicht von dir geschrieben wurde oder von mir, nicht von meiner Religion oder der eines anderen. Es stimmt, dass wir eine Pause gemacht und uns eine Zeit lang entfernt haben. Als wir zurückkehrten, fanden wir dieses Land besetzt durch andere, durch die Palästinenser. Denen sage ich ganz einfach: Freunde - ihr dürft hier wohnen. Ihr wollt hier wohnen bleiben? Bitte sehr. Das dürft ihr. Aber wenn ihr kommt und mir sagt: Du musst verschwinden, du musst diese Erde verlassen und uns unseren Staat geben - dann sage ich: Ihr habt keinerlei Eigentumsrechte. Ihr seid die Untermieter. Autor: In den ersten Jahren erregte die Groß-Israel-Bewegung zwar viel politisches Aufsehen, die Zahl der Siedlungsgründungen aber blieb gering. 1973, in einem weiteren Krieg, hatten die arabischen Nachbarstaaten versucht, die eroberten Gebiete zurück zu gewinnen. Nun schien Eile geboten. Eine größere Gruppe von orthodox-nationalistischen Rabbinern schloss sich 1974 mit Aktivisten der Siedlerbewegung und einigen Knesset-Abgeordneten zum "Gush Emunim" zusammen, zum Block der Gläubigen. Ihre Ideologie speiste sich aus einer religiösen Tradition, die in der Rückkehr der Juden in ihre alte Heimat den Beginn des messianischen Zeitalters erblickt. Die Rückgewinnung des ganzen Landes würde das Kommen des Messias beschleunigen. O-Ton Dov Weinstock (in Hebräisch) Sprecher 2 Wir leben in einem Land, das ohne Siedlungsbau nicht erobert werden kann. Keine Armee kann das Land erobern. Keine Armee hat das Land bisher gewinnen können, nur die, die es besiedeln. Napoleon kam und verschwand. Andere kamen und verschwanden. Nur die Siedler blieben. Warum? Weil dieses Land ein hartes Land ist. Sprecherin 1 Nach dem Wahlsieg der Likud-Partei 1977 begann eine fünfzehnjährige Zusammenarbeit zwischen der Siedlerbewegung und den Regierungen von Menachem Begin und Ytzchak Shamir, die das Aussehen der Westbank völlig veränderte. Autor: Die rechts-zionistische Likud hatte schon immer die Idee des Groß-Israel verfolgt und verfügte dafür nun zum ersten Mal über eine Mehrheit im Parlament. Von nun ab stand der Bau von Wohnungen im Mittelpunkt. Aber mit den Aktivisten der Siedlerbewegung allein ließen sich die Pläne nicht bewerkstelligen. Nur wenn es gelänge, den Durchschnittsbürger zum Umzug in die besetzten Gebiete zu bewegen, bestand Hoffnung, das gesamte Palästina für die Juden zu gewinnen. Sprecherin 1 Bis 1992 wuchs die jüdische Bevölkerung in etwa 100 kleineren und größeren Gemeinden auf 100.000 und in den annektierten Teilen Jerusalems auf 180.000. Autor: So erfolgreich war diese Strategie der Entideologisierung des Wohnens in der Westbank, dass der 1992 gewählten Regierung der Arbeitspartei unter Ytzchak Rabin kaum etwas anderes übrig blieb, als die Satellitenstädte und grenznahen Siedlungen als neue, unumstößliche Tatsachen der israelischen Landkarte anzuerkennen, ja, sie weiter zu stärken. O-Ton Ester Fride (in Niederländisch) Sprecherin 2 Kurz nachdem wir in Israel ankamen, suchten wir nach einer Umgebung, die für eine Familie mit kleinen Kindern geeignet war. Unser erstes Baby war gerade unterwegs. Wir suchten nicht speziell in den besetzten Gebieten, aber wir hörten dann, dass es dort sehr schöne Orte gab mit einer sehr schönen Umgebung. Ich bin religiös aufgewachsen, und mein Mann und ich haben einen modern orthodoxen Lebensstil - das heißt konservativ, aber mit einer westlichen Lebensauffassung. Wir hörten, dass es bestimmte Siedlungen gab, in denen wir religiös gleich gesinnte Menschen finden würden, und auch englisch sprechende Einwanderer, wo wir uns also zuhause fühlen würden. Autor Ester Fride ist in den Niederlanden geboren und aufgewachsen. Sie war 1972 unter dem Eindruck des Sechstagekrieges von Amsterdam nach Jerusalem übergesiedelt. Als Kind von Überlebenden des Holocaust, die sich in den Niederlanden zwar wohl fühlten, sich aber ständig von Ängsten bedrängt sahen, hatte sie gerade die von Israel 1967 demonstrierte Stärke besonders beeindruckt. 1990 kehrte die Biologin, nachdem sie einige Jahre in den USA gelebt hatte, mit ihrem US-amerikanischen Mann nach Israel zurück. Ester Fride hat heute einen Lehrstuhl für Neurophysiologie am College für Judäa und Samaria in der Westbank- Stadt Ariel. O-Ton Ester Fride (in Niederländisch) Sprecherin 2 Ich lief immer mit dem Gefühl herum - eines Tages kann der Traum zu Ende sein, so wie 1940. Was werden wir dann tun? Als sich 1967 Israel als so stark herausstellte und überhaupt überlebte - ich erinnere mich noch an meine Ängste, dass Israel untergehen könnte - fühlte ich mich befreit. Das Gefühl war so stark, dass ich mich heute noch daran erinnere. Wir hatten einfach das Gefühl: Wir Juden haben jetzt ein sicheres Land. Wir sind endlich sicher. Autor Familie Fride ließ sich in Efrat nieder, einem Ort innerhalb des Etzion-Blocks südlich von Bethlehem, eine halbe Autostunde von Jerusalem entfernt. O-Ton Ester Fride (in Niederländisch) Sprecherin 2 Wir haben uns für Efrat entschieden, weil wir es dort unglaublich schön fanden. Natürlich haben wir uns gefragt: Es liegt jenseits der Grenze. Wollen wir das? Unsere Antwort war: Wir haben nicht weniger Recht hier zu wohnen als die Araber. Also, warum nicht? Aber wir sind nicht nach Efrat gezogen, um ein Stück Land zu erobern oder um uns unbedingt jenseits der grünen Grenze anzusiedeln. Autor Das moderne Efrat, benannt nach dem biblischen Efrata, wurde 1980 für modern orthodoxe Israelis und westliche Einwanderer vom US-amerikanischen Rabbiner Shlomo Riskin gegründet. Er hatte vorher die renommierte Synagoge am Lincoln Square in Manhattan geleitet. Heute zählt Efrat, das einen der höchsten Lebensstandards in der Region aufweist und ausgezeichnete Schulen besitzt, 8.000 Einwohner. Die meisten Bewohner pendeln täglich zur ihrer Arbeit nach Jerusalem. Sprecherin 2 Die Bevölkerung gehört in der Tat der Mittelschicht an. Es gibt viele Leute mit hoch qualifizierten Berufen, Menschen mit mehr Geld, Menschen mit weniger Geld. O-Ton Ester Fride (in Niederländisch) Sprecherin 2 Viele sind Einwanderer aus westlichen Ländern, Amerikaner, Südafrikaner und Australier. Sie machen nicht mehr als 30 Prozent der Bevölkerung aus, aber ihre Anwesenheit ist spürbar. Sie sind im Gemeinschaftsleben sehr aktiv. Aber eine Vorstadt würde ich Efrat nicht nennen. Das wäre eine Schlafstadt, in der du isoliert bist, in deinem Vorgarten arbeitest und dann wieder zu deinem Job in die Stadt zurückkehrst. Wir nennen es eine Gemeinschaft, eine Community. Autor Aber neben der Lebensqualität, der ansprechenden Umgebung und den passenden Nachbarn hatte noch ein weiterer Faktor in der Entscheidung für Efrat eine Rolle gespielt. O-Ton Ester Fride (in Niederländisch) Sprecherin 2 Der Block um Efrat fiel damals unter den israelischen Konsens. Das war sehr wichtig für uns. Ich erinnere mich noch, dass Rabin, der gerade zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, seine Pläne über die Teile der Westbank darlegte, die er an die Palästinenser abtreten wollte. In der Jerusalem Post wurde eine Landkarte veröffentlicht mit der beabsichtigten Grenzziehung. Efrat und Gush Etzion waren innerhalb der Grenze und fielen damit unter den Konsens darüber, was für immer Israel bleiben sollte. Rabin war immerhin ein Vertreter der Arbeitspartei, also links von der Mitte. O-Ton Jad Isaac (in Englisch) Sprecher 4 Sagen sie mir bitte: Welche Grenzen von Israel sollen wir denn anerkennen? Die einzigen Grenzen, die anerkannt wurden, sind die von 1947. Wie soll ich denn einen Staat anerkennen, der Grenzen hat, die ständig in Bewegung sind? Sprecherin 1 Jad Isaac ist ebenfalls Biologe und leitet das Instituts für Angewandte Forschung in Bethlehem. Der christliche Araber wurde 1947 in Lydda geboren, dem heutigen israelischen Städtchen Lod, und mit seiner Familie 1948 vertrieben. In Lod liegt heute der internationale Flughafen Israels. Isaac ging als junger Mann zum Studium nach Kairo. 1968 kehrte er in das inzwischen besetzte Bethlehem zurück. O-Ton Jad Isaac (in Englisch) Sprecher 4 Ich reiste in die besetzte Westbank ein und fuhr nach Hause zu meiner Familie. Ich erwartete, dass meine Familie, meine Onkel und meine Verwandten, nur über ein Thema sprechen würden - über den Konflikt, über Widerstand und darüber, wie man die Besatzung abschütteln konnte. Aber ich stellte fest, dass sich viele irgendwie angepasst hatten. Viele arbeiteten in Israel oder hatten einen israelischen Partner gefunden, mit dem sie Geschäfte machen konnten oder ähnliches. Ich fand das eigentlich inakzeptabel. Autor Den jungen Jad Isaac ärgerte besonders die wirtschaftliche Abhängigkeit, in die sich die palästinensische Bevölkerung der Gebiete zu begeben schien. O-Ton Jad Isaac (in Englisch) Sprecher 4 Ich erinnere mich, dass den Besuchern, die kamen, um mir zum bestandenen Examen zu gratulieren, Erfrischungen gereicht wurden. Sie bekamen jüdische Produkte angeboten, israelische Produkte. Das machte mich sehr böse. Ich schrie alle an und sagte: Ihr müsst sie boykottieren. Ihr müsst die Besatzer boykottieren. Sprecherin 1 Durch die Öffnung des israelischen Arbeitsmarktes und den praktisch konkurrenzlosen Absatz israelischer Produkte entwickelte sich eine einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit. Autor: Die Ruhe, die in den ersten zwei Jahrzehnten in den Gebieten herrschte, schuf zudem auch die Illusion, dass die Judaisierung der Westbank und Ostjerusalems von den Einheimischen geduldet, ja sogar begrüßt wurde, weil sie ihnen ökonomische Vorteile brachte, und dass mit Widerstand deshalb nicht zu rechnen war. O-Ton Dov Weinstock (in Hebräisch) Sprecher 2 In den ersten Jahren bis zur ersten Intifada 1987 waren die Beziehungen zu den Arabern im Prinzip sehr gut. Sprecherin 1: Dov Weinstock O-Ton Dov Weinstock (in Hebräisch) Sprecher 2 Mit gut meine ich, dass ich in einem arabischen Dorf ein- und ausgehen konnte, und der Araber konnte sich bei mir in der Siedlung frei bewegen, auch wenn er zuerst von meinem Wachtposten am Tor gestoppt wurde. Alles war frei. Ich konnte bei ihnen frei einkaufen, sie konnten bei uns frei arbeiten. Sie lernten von uns und machten dadurch Fortschritte. Autor Bis 1995 wurden alle Siedlungen von arabischen Bauarbeitern gebaut. Der große Erfolg des Siedlungsprojekts, das bis zum Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 praktisch ungehindert fortschritt, und die verspätete Reaktion der palästinensischen Gesellschaft, sagt Dror Etkes, waren von zwei Faktoren abhängig. O-Ton Dror Etkes (in Englisch) Sprecher 3 Ein Faktor war die militärische Unterdrückung jeden Widerstands durch Israel, die Unterdrückung jener wenigen, die überhaupt etwas zu tun wagten. Das half dem Siedlungsprojekt. Der zweite waren die wirtschaftlichen Vorteile, die ein großer Teil der palästinensischen Gesellschaft genoss, die Arbeitsmöglichkeiten in Israel. Die palästinensische Gesellschaft machte einen sehr schnellen Übergang von einer traditionellen Beschäftigung in der Landwirtschaft zu Lieferanten billiger Arbeitskraft in Israel. Immerhin konnte man nach Beginn der Besatzung als Arbeiter auf einer israelischen Baustelle viel mehr verdienen als vorher, viel mehr, als die meisten sich je erträumt hatten. O-Ton Jad Isaac (in Englisch) Sprecher 4 Zwischen 1967 und 1979 war die Siedlungsbewegung marginal. In der Westbank und dem Gazastreifen gab es weniger als 25.000 Siedler. Die Palästinenser gingen davon aus, dass die Siedler nicht blieben. O-Ton Dror Etkes (in Englisch) Sprecher 3 In der Tat war die Intifada 1987 das erste Mal, dass die Palästinenser kollektiv sagten: Wir wollen nicht, dass es so weiter geht. Und es war das erste Mal, dass sich die israelische Gesellschaft damit auseinandersetzen musste, dass in der Westbank eine ethnische Gruppe lebte, die ihre eigenen Pläne für die Zukunft hatte. O-Ton Jad Isaac (in Englisch) Sprecher 4 Die israelische Reaktion war sehr scharf, unverständlicherweise scharf. Alle Schulen wurden geschlossen, alle Universitäten, und eine Politik des "Brecht Ihre Knochen" eingeführt. Das brachte nicht das erwünschte Ergebnis. Im Gegenteil. Das half den Palästinensern, sich noch viel stärker mit der Intifada und ihren Zielen zu identifizieren. Sprecherin 1 Jad Isaac, damals Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bethlehem, begann zusammen mit anderen palästinensischen Biologen kostenlos Saatgut für Obst, Gemüse und Getreide zu verteilen, um die örtliche Bevölkerung dazu zu bewegen, sich wieder unabhängig von der Besatzungsmacht mit Lebensmitteln zu versorgen. O-Ton Jad Isaac (in Englisch) Sprecher 4 Wir haben den Israelis mit unserer Aktion keinen Schaden zugefügt, aber die Armee sah darin eine subversive Tätigkeit und eine Bedrohung der Sicherheit des Staates Israel. So kamen wir ins Gefängnis. Ohne richterliche Anweisung, ohne Anklage kamen wir in so genannte "administrative Haft", in der sie einen sechs Monate festhalten können, ohne eine Anklage vorlegen zu müssen. Autor Für das Siedlungsprojekt war nicht die erste Intifada der Wendepunkt, nicht einmal die 1993 geschlossenen Verträge von Oslo und die einsetzenden Friedensverhandlungen, sondern die zweite Intifada. Das war ein blutiger Guerillakrieg, der vor allem deshalb ausbrach, weil die zivilen Proteste der ersten Intifada und der Friedensprozess keine spürbaren Veränderungen in der Westbank und dem Gazastreifen mit sich gebracht hatten. Sprecherin 1: In der Zeit von 1992 bis zum Sommer 2000, dem Ausbruch des Aufstandes, hatte sich die israelische Bevölkerung in den besetzten Gebieten verdoppelt, auf rund 420.000. Seit 1967 hatte Israel etwa zehn Prozent seiner jüdischen Bevölkerung in die besetzten Gebiete transferiert. Autor: Und noch während die Diplomaten über die endgültigen Grenzen und den Status der Gebiete verhandelten, wurden weitere Siedlungen gebaut. Die Regierung Rabin war die erste seit 1977, in der keine Vertreter der Siedlerbewegung mehr saßen. Dennoch beschleunigte sie das Siedlungs-Tempo. Das Ziel war, neue Faits accomplis zu schaffen und die Konturen eines zukünftigen palästinensischen Staates so unumstößlich festzulegen, dass für Verhandlungen kaum noch Spielraum blieb. Sprecherin 1 Die Biologin Ester Fride hatte inzwischen ein eigenes Laboratorium an der ersten in den besetzen Gebieten für Israelis gegründeten Hochschule erhalten, in Ariel. Die Stadt liegt nicht weit von Nablus im geografischen Zentrum des Landes, genau in der Mitte zwischen Jordan und Mittelmeer. O-Ton Ester Fride (in Niederländisch) Sprecherin 2 Anderthalb Jahre nach Beginn meiner Tätigkeit in Ariel brach die zweite Intifada aus. Die Fahrt zur Arbeit wurde dadurch viel schwieriger und länger. Die Route, die ich davor genommen hatte, war zu gefährlich geworden. Es flogen nicht nur Steine - das war noch ein Kinderspiel - es wurde auch geschossen. Die Route war nicht nur ein großer Umweg. Selbst für den Umweg musste Hals über Kopf eine neue Straße gebaut werden, um vom Westen aus nach Ariel zu gelangen. Der alte Weg führte durch arabische Dörfer, die davor friedlich gewesen waren und mit denen Handel getrieben wurde. Aber jetzt war der Weg für Israelis nicht mehr befahrbar. So wurde also schnell eine neue Straße gebaut, und damit war das Problem gelöst. Die Fahrt zur Arbeit wurde einfach länger. Autor Die zweite Intifada, die Bombenanschläge im Kernland und Angriffe gegen Armee und Siedler in den Gebieten, leiteten einen Prozess der Konsolidierung ein. Israel zog alle Siedler aus dem dicht besiedelten Gazastreifen ab, in dem über eine Million Araber etwa 8.000 jüdischen Kolonisten gegenüberstanden, und begann, die großen Siedlungsblöcke in der Westbank mit Hilfe neuer Straßen und einer befestigten Grenze, dem so genannten Sicherheitszaun, mit dem Kernland zu verbinden. Dabei entstanden neben Gaza weitere Enklaven auf der Westbank, in denen sich die großen palästinensischen Bevölkerungszentren befinden. Diese Enklaven sind von einander abgetrennt durch Siedlungskorridore und Straßen, die nur den Israelis vorbehalten sind. Ziel dieser Maßnahmen war es, sich nahezu vollständig vom größten Teil der palästinensischen Bevölkerung zu separieren. Sprecherin 1 Nach heutigen Plänen wird das Siedlungsgebiet die annektierten Teile Jerusalems und 60 Siedlungen mit 355.000 Einwohnern umfassen, insgesamt 12 Prozent der Westbank. Außerhalb der geplanten Sperranlage befinden sich bislang das als sog. Naturschutzgebiet der palästinensischen Verwaltung entzogene Jordantal mit einer Reihe israelischer Landwirtschaftsbetriebe und einige Dutzend kleinere, isolierte Siedlungen. Um die Mehrheit der Siedler hinter den Sicherheitszaun zu bringen, sollen auch 42 palästinensische Orte mit 246.000 Einwohnern mit auf die israelische Seite der Barriere genommen werden. Weitere 50 arabische Ortschaften mit 244.000 Menschen werden auf mindestens drei Seiten von der Sperranlage oder Mauer eingeschlossen sein. O-Ton Jad Isaac (in Englisch) Sprecher 4 Man kann jetzt drei Kantone unterscheiden. Den Jenin-Nablus-Kanton, den Ramallah-Salfit-Kanton und den Bethlehem-Hebron-Kanton. Und es entstehen drei Korridore, die die palästinensischen Gebiete voneinander trennen. Wir werden ein Untergrundsystem für den palästinensischen Staat haben, der aus den Kantonen bestehen wird, die durch Tunnel mit einander verbunden sind. Der Rest der Westbank - die Siedlungen, das Jordantal und der Sicherheitsstreifen - wird von Israel annektiert und zu einem integralen Teil des Staates werden. Auf diese Weise werden zwei Staaten entstehen, aber nicht der eine neben dem anderen, sondern der eine im anderen. Autor Das völlig verfahrene Verhältnis zu den palästinensischen Nachbarn und der Rückzug aus Gaza haben in Israel zu einer Debatte über Verantwortung und Schuld geführt. Auf der einen Seite stehen die Siedler und die Befürworter eines Groß-Israel. Auf der anderen die Friedensbewegung und jene Teile der zionistischen Linken, die schon immer gegen die Besiedlung der besetzten Gebiete waren. O-Ton Ester Fride (in Niederländisch) Sprecherin 2 Seit Beginn des Friedensprozesses, des Oslo-Prozesses 1992/93, begannen wir uns als Bürger zweiter Klasse zu fühlen. Von da ab wurden die orthodoxe nationalistische Bevölkerung und sicher die Siedler mit einer Kollektivschuld belegt. Alle waren wir schuld am Tod von Rabin. Was wir nicht alles verbrochen hatten! Ich fühlte mich nicht mehr sicher. Sprecherin 1 Die Siedler - sowohl die ideologisch motivierten Kolonisten wie die Menschen, die nach mehr Lebensqualität suchten, fühlen sich betrogen und im Stich gelassen. In ihren Augen haben sie nur in die Tat umgesetzt, was israelische Regierungen und die Mehrheit der Gesellschaft anstrebten. O-Ton Ester Fride (in Niederländisch) Sprecherin 2 Das Leben ist in praktischer Hinsicht schwerer geworden. Wir müssen überall Umwege machen und an der Mauer entlang fahren. Wir haben uns kugelsichere Westen angeschafft, die ich auf der Fahrt nach Ariel trage. Andere setzten sich Stahlhelme auf, als auf den Straßen geschossen wurde. All das nach Beginn des sogenannten Friedensprozesses. Für uns war das ein doppelter Schlag. Einmal wurde das Leben viel unerträglicher, richtig gefährlich. Wenn du Kinder hast, lebst du ständig in Angst. Und in sozialer Hinsicht wurden wir zu Außenseitern, obwohl unser einziges Verbrechen darin bestand, nach Efrat gezogen zu sein, zu einer Zeit, wo Efrat unter den Konsens fiel. O-Ton Jad Isaac (in Englisch) Sprecher 4 Alles geschah hinter verschlossenen Türen. Die Zivilverwaltung der Gebiete war infiltriert und auch die strategische Planungseinheit der Armee. Alles geschah im Interesse der Siedlerbewegung und gegen die Interessen der israelischen Bevölkerung. Wenn ich Israeli wäre, wäre ich sehr wütend, denn sie wurden von Anfang bis Ende angelogen. Autor Auch wenn die Öffentlichkeit nur indirekt Kontrolle über die Vorgänge in den besetzten Gebieten ausübte, jeder israelische Bürger konnte sich mit eigenen Augen vom Ausmaß der Siedlungen und den Folgen für die palästinensische Bevölkerung überzeugen - wenn er wollte. Sprecherin 1 Dror Etkes, der Siedlungsspezialist der Friedensbewegung, meint, dass die Frage der Siedlungen zwar in der Öffentlichkeit regelmäßig diskutiert wurde, die Diskussion sich aber selten auf die Wirklichkeit bezog und vor allem die Grundfrage ausgeklammert blieb. O-Ton Dror Etkes (in Englisch) Sprecher 3 Israel begann das Siedlungsprojekt 1967 nicht in der Antarktis, nicht auf dem Mond und nicht auf dem Mars, sondern in einem Gebiet, das damals von etwa 600.000 Palästinensern bewohnt war. Nach vierzig Jahren leben heute über 2,5 Millionen Palästinenser in der Westbank und in Ostjerusalem. Die israelische Gesellschaft hat eine Frage nie beantwortet: Wohin führt uns das Ganze? Israel unterhält heute ein diskriminierendes Regime in der Westbank. Die Juden machen zehn Prozent der Bevölkerung aus und haben volle Rechte. Die Palästinenser stellen 90 Prozent der Bevölkerung und haben viel geringere Rechte. Was sagt das über die israelische Demokratie? Was sagt das über die Qualität der israelischen Verwaltung? Autor Die Siedler - gerade jene, die wegen der von der Regierung gebotenen Vorteile siedelten - fühlen sich betrogen und manipuliert, weil aus ihrer Sicht, die Besiedlung auf einem Konsens basierte, auf stillschweigender Zustimmung oder zumindest auf kollektiver Leugnung. O-Ton Jad Isaac (in Englisch) Sprecher 4 Die Siedler, die der Vorteile wegen kamen, wussten im Voraus, dass es nicht ihr Land war. Diese Siedler gehören auch zu den Tätern, ob sie es mögen oder nicht. Aber sie sind auch Opfer. O-Ton Dror Etkes (in Englisch) Sprecher 3 In den letzten zehn Jahren ist die israelische Gesellschaft allmählich aufgewacht und hat sich gefragt: Was sind die Folgen des Siedlungsunternehmens? Warum geht es eigentlich? Wir haben drei Alternativen: Wir können die Westbank mit allen arabischen Bewohnern annektieren. Dann wäre Israel morgen kein jüdischer Staat mehr. Die zweite Möglichkeit ist, die Westbank zu annektieren, ohne den arabischen Bewohnern Bürgerrechte zu geben. Dann wäre Israel keine Demokratie mehr. Oder wir müssen die territorialen Ansprüche, die Israel in den letzten vierzig Jahren erhoben hat, einfach aufgeben. O-Ton Dov Weinstock (in Hebräisch) Sprecher 2 Hier ist Krieg. Es geht nicht um Geld, um Interessen. Es geht um das Land, um ein Stück Erde, das nichts hat, nicht einmal Wasser. Die Kriege hier werden nie enden. Musik-Akzent Absage Der siebte Tag Der Sechstagekrieg und die Besiedlung der besetzten Gebiete Ein Feature von Daniel Cil Brecher Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks. Es sprachen: Bernd Kuschmann, Ursula Illert, Hendrik Stickan, Reinhart Firchow, Christian Beermann, Ernst August Schepmann und Arianne Borbach Ton und Technik: Karl-Heinz Stevens und Jürgen Hille Regie: Heide Schwochow Redaktion: Karin Beindorff 22