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Denn diese Produktionsweise, die einst in Europa in ihren Anfang genommen hatte und sich im Lauf der Jahrhunderte über die ganze Welt verbreitete, hatte einen gewaltigen Motor. Man nannte ihn Wachstum. Wachstum war das Ziel, Wachstum war die Methode, Wachstum war die Ideologie, Wachstum war die Religion dieser Produktionsweise. Immer mehr Waren, immer mehr Arbeit, immer mehr Geld, immer mehr Wohlstand. Was man brauchte für das Wachstum, war ein unersättlicher Appetit auf Waren und Dienstleistungen, unerschöpfliche menschliche Arbeitskraft, technischer Fortschritt in Herstellung, Transport und Verkauf des Produzierten und – Energie. Viel Energie. Immer mehr Energie. Man holte sie aus der Erde. In Form von Kohle, von Öl, von Gas. Die Weltgesellschaft der Wachstumsreligion benötigte immer mehr fossile Brennstoffe. Auf die Ketzer, die da mahnten, diese Energiequellen könnten, ja müssten eines Tages versiegen, durfte man nicht hören. GERÄUSCH Ölpumpen SPRECHERIN Was wäre wenn? So fangen wenige utopische und viele, viele dystopische Erzählungen an. Was wäre, wenn es mit der Kohle, dem Gas und, am furchtbarsten, mit dem Öl ein Ende nähme? Was wäre, wenn es immer aufwändiger und immer teurer würde, die immer weniger werdenden Ölquellen auszubeuten? Würde der Ölhunger immer mehr Natur, Umwelt und Kultur vernichten? Würden die Reichen sich die Energiequellen sichern und gegen die Habenichtse verteidigen lassen? Würden Tankstellen zu Schlachtfeldern? Würden die Menschen zurück fallen in ein neues Mittelalter, in dem barbarische Horden über die Ruinen einer Industrielandschaft ziehen, die nur sterben kann, wenn sie nicht mehr wachsen darf? In der Science Fiction und im Kino haben wir das alles schon durchgespielt. Die Hoffnungen auf einen anderen Weg jedenfalls waren und sind gering. Nämlich dass die Menschen zur Besinnung kämen, dass sie einsehen würden, dass Wachstum und noch einmal Wachstum der falsche Weg ist. Dass sie lernen würden, mit weniger Waren und weniger Energie auszukommen. Und dass sie kritisch genug wären, jenen neuen Propheten nicht zu glauben, die ihnen versprechen, dass sie – mit Hilfe ganz neuer oder sehr alter alternativer Energieformen – doch festhalten könnten am Wachstum als großem Gesetz von Wohlstand und Glück. GERÄUSCH Ölpumpen SPRECHER Es war einmal: Die große Erzählung vom Wachstum und von der fossilen Energie. SPRECHERIN Was wäre, wenn diese Erzählung an ihr Ende käme? O-TON 1 Niko Paech Wachstumsbasierte Wirtschaft ist abhängig von einem ununterbrochenen und unendlich steigerungsfähigen Zufluss an Ressourcen. Gerade moderne Konsumgesellschaften haben sich von fossilen Rohstoffen abhängig gemacht, das hat damit zu tun, dass die Mehrung der Kaufkraft auf einem bestimmten Trick beruht, nämlich der industriellen Arbeitsteilung. SPRECHER – Der Ökonom Niko Paech ist Professor für Produktion und Umwelt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg – O-TON 2 Niko Paech D.h. dass die Produktion eines Gutes in viele kleine Teilprozesse zerlegt ist. Diese vielen kleineren Produktionsaktivitäten werden globusweit verteilt. Auf diese Weise kann man Kosten sparen, z.B. Produktion einer Armbanduhr verteilt auf 50 Fabriken, so dass jeder Teilaspekt dahin geschoben wird, wo er die geringsten Kosten verursacht. Das führt dazu, dass die Energieabhängigkeit unseres Wohlstandes immens steigt. Die Rechnung geht solange auf, wie a) billiges und b) unendlich verfügbares Rohöl vorhanden ist. Rohöl ist nötig für die Logistik der Anlagen und Transporte. Die vielen Versuche, Rohöl zu substituieren durch andere, etwa nachwachsende Rohstoffe, sind bislang gescheitert. Sie mussten auch scheitern, weil Rohöl eine ganz spezifische Eigenschaft bzgl. der Energiedichte hat und damit der Art und Weise, wie man diesen Energieträger verwenden kann: Deswegen kann man sagen, dass unser globalisiertes, industriell arbeitsteiliges Wohlstandsmodell wie ein Kartenhaus ist, dieses Kartenhaus hat nicht mal ein festes Fundament, es schwimmt regelrecht – auf Öl. GERÄUSCH Ölpumpen DARÜBER SPRECHER Der Mensch hatte nicht nur seine Produktionsweise, sondern sein ganzes Leben auf das Öl ausgerichtet, das aus immer neuen Quellen sprudeln würde. So war ein dynamischer Mensch entstanden, ein Mensch, der mit seinem Automobil zu einem organisch-technischen Superwesen verschmolz, unterwegs in einer Welt, die ganz auf die Bedürfnisse dieses energiehungrigen Mischwesens ausgerichtet war. Um Geschäfte zu verhandeln und um seinen Urlaub in exotischen Gefilden zu genießen, fliegt er gern in noch energiehungrigeren Flugmaschinen um die Welt. Wenn er sein Arbeitsleben hinter sich gebracht hat, genießt dieser Mensch seinen Ruhestand gern auf ebenso energiehungrigen gewaltigen Kreuzfahrtschiffen, die er liebevoll ‚Traumschiffe’ nennt. Er lebt in energiehungrigen Siedlungen, deren Entfernung zu den Arbeitsplätzen nicht anders als durch die energiehungrigen Fortbewegungsmaschinen zu überbrücken ist. Und er hat keine besonders große Lust, dieses dynamisch-bewusstlose Leben grundlegend in Frage zu stellen. SPRECHERIN Und wenn an die Stelle der großen Erzählung vom endlosen Wachstum die Erzählung vom Peak Oil träte? Die Erzählung vom Ende des Ölzeitalters der Menschheit? So wie die Steinzeit, das Mittelalter und die Industriegesellschaft auf Dampfmaschinenbasis, so würde auch das Zeitalter des Öls zu Ende gehen, nicht mit einem Paukenschlag, wie es die Katastrophenphantasien der populären Kultur wollen, sondern ganz langsam. Als mähliche Verwandlung und schleichende Gefahr, so dass man es nicht schwer hat, sich vor den Konsequenzen zu drücken. O-TON 3 Rolf Schindler Die Älteren erinnern sich an Ölpreiskrise der 70er Jahre, die Szenarien, die man damals gemacht hat, handelten vom Ende des Öls, die Frage war: Wann ist das Öl aus? SPRECHER – Rolf Schindler, ehemaliger Geschäftsführer Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, Mitgründer der „Association for the Study of Peak Oil and Gas“ (ASPO) Deutschland – O-TON 4 Rolf Schindler Die Vorstellung war, der Strukturbruch oder die Katastrophe ist da, wenn es kein Öl mehr gibt. Peak Oil dagegen sagt, das ist ein völlig unwahrscheinliches Szenario, dass von einem Tag zum anderen kein Öl mehr da ist. Sondern was wir beobachten können an einzelnen Felder und Regionen, ist, dass die Förderung steigt bis zu gewissem Punkt, dann vielleicht ein Plateau erreicht und irgendwann unwiederbringlich abnimmt. Dieser Höhepunkt insbesondere der weltweiten Ölförderung wird Peak Oil genannt. Das stellt unserer Meinung nach den Strukturbruch dar, denn die Welt ist gewöhnt, in den vergangenen Jahrzehnten jedes Jahr ein bisschen mehr von diesem Lebenssaft zu haben und muss sich jetzt darauf einstellen, jedes Jahr ein bisschen weniger davon zu haben– und darauf ist keiner vorbereitet. SPRECHER Es war einmal der Mensch, der sich weigerte, die Grenzen des Wachstums anzuerkennen. Wenn momentan auch ein gewisser Engpass entstehen würde, eine Energie- und Wachstumskrise, so würde doch, wie bislang noch immer, in der Zukunft eine neue Technologie entstehen. Man würde neue Energiequellen auftun, man würde mit neuen Methoden auch noch weitere, bislang verborgene Ölreservoirs finden, vielleicht tief unterm Ozean, vielleicht auch, da darf eine wachstumsorientierte Gesellschaft nicht pingelig sein, unter Nationalparks, unter Naturschutzregionen oder heiligen Bergen irgendwelcher ökonomisch unbedeutenden Völker. Wer auf das Wachstum als einzig selig machende Wirkkraft setzt, lässt sich nicht abbringen vom Glauben an das nächste technisch- ökonomische Wunder. O-TON 5 Sophie Wolfrum Ein Beispiel für so eine Peak Oil City, die wir weiterhin bauen: Im wohlhabenden Europa kann sich jeder, der Arbeit hat, Urlaub leisten, dazu fliegt man mit Ryanair billig an die Mittelmeerküste. SPRECHER – Sophie Wolfrum, Professorin für Städtebau und Regionalplanung an der TU München – O-TON 6 Sophie Wolfrum Wenn Sie ein Nachtfoto von Europa ansehen, sieht man einen Rüschenkranz von Lichtern rund um das ganze Mittelmeer. In Griechenland werden mit EU-Mitteln Straßen auf den Inseln gebaut und sofort entstehen entlang dieser Straßen Baugrundstücke. In Spanien ist die ganze Küste von Costa Brava bis Costa del Sol gleichmäßig mit Einfamilienhaus-Typologie bebaut, Häuser, die man nur mit dem Auto erreichen kann, alle mit Swimming Pool, Wasser wird aus Hinterland gezogen – eine Siedlungsstruktur, die mit Garantie in 20-30 Jahren unsere großen Sanierungsgebiete darstellen werden. Denn diese Form von Städten können wir uns eigentlich nicht mehr leisten. SPRECHER Bei den Wachstums-Gläubigen stieß die neue Erzählung vom Peak Oil natürlich auf Ablehnung. Daran änderte sich auch nichts, als sogar die Internationale Energieagentur IEA, die 1973 von 16 Industrieländern als Reaktion auf die erste Ölkrise gegründet worden war, den lange verpönten Begriff Peak Oil benutzte. In ihrem „World Energy Outlook 2010“ stellte die IEA fest: ZITATOR „Der Peak Oil der konventionellen Ölförderung war schon im Jahr 2006. Die konventionelle Ölförderung wird den in diesem Jahr erreichten Wert nie mehr übersteigen.“ SPRECHER Das „Dezernat Zukunftsanalyse“ des „Zentrums für Transformation der Bundeswehr“ schrieb 2010 in seiner Studie „Peak Oil. Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen“: ZITATOR „Der Anteil des auf dem globalen, frei zugänglichen Ölmarkt gehandelten Erdöls wird zugunsten des über binationale Kontrakte gehandelten Öls abnehmen. Wirtschaftskraft, militärische Stärke oder der Besitz von Nuklearwaffen werden zu einem vorrangigen Instrument der Machtprojektion und zu einem bestimmenden Faktor neuer Abhängigkeitsverhältnisse in den internationalen Beziehungen.“ SPRECHER Die Berliner Regierung reagierte damals reserviert auf die Bundeswehr-Studie: ZITATOR „Die Bundesregierung geht nicht davon aus, dass kurz- bis mittelfristig eine angebotsseitige Erdölverknappung eintritt.“ O-TON 7 Jörg Schindler „Die Szenarien, die wir gemacht haben, bei der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik und auch im Rahmen von ASPO, gehen davon aus, dass der Abstieg von diesem Plateau, das wir vor einigen Jahren erreicht haben, unmittelbar bevorsteht und dass wir in etwa zwei Jahrzehnten, so um das Jahr 2030, nur noch halb so viel Öl global zur Verfügung haben werden wie heute.“ SPRECHER – Jörg Schindler, ASPO Deutschland – O-TON 8 Jörg Schindler „Das klingt jetzt dramatisch, in 20 Jahren eine Halbierung. Wir haben Beispiele, dass es in einigen Förderregionen schon viel schneller geht: Insbesondere in der Nordsee ist das Fördermaximum um 2000 erreicht worden, und schon nach 10 Jahren ist die Ölförderung in der Nordsee etwa bei der Hälfte und nimmt jedes Jahr weiter ab mit ca 7-8%. Das wird aufgrund der zeitlichen Unterschiede auf der Welt vermutlich etwas langsamer gehen – keine Halbierung in 10 Jahren, aber wir werden wahrscheinlich in 20 Jahren etwa eine Halbierung haben. Es ist auf jeden Fall eine dramatische Änderung, eine dramatische Entwicklung.“ SPRECHER Die „Association for the Study of Peak Oil and Gas“, abgekürzt ASPO, ist ein weltweites Netzwerk von Wissenschaftlern, Ökonomen und Ingenieuren, die die Auswirkungen des Fördermaximums von Öl und Gas untersuchen. Gegründet im Jahr 2000 durch den britischen Geologen Colin J. Campbell folgten bald nationale Ableger etwa in den USA, in Frankreich, in der Schweiz und in Deutschland. O-TON 9 Jörg Schindler „Hinzu kommt bei diesen Szenarien, dass, wenn man sich klarmachen will, was bedeutet das für einzelne Länder, für Europa, dass die Menge, die bei einem Rückgang der weltweiten Ölförderung international auf den Märkten für Exporte und für Importe zur Verfügung steht, schneller zurückgehen wird als die Ölförderung. Das können wir etwa bei England sehen: England war viele Jahre eine Öl-exportierende Nation, was mit zur wirtschaftlichen Stärke beigetragen hat. Nach dem Erreichen des Fördermaximums in England 1999 hat es genau 6 Jahre gedauert bis 2005, dass England zu einem Öl-importierenden Land geworden ist mit allen Auswirkungen auf die Handelsbilanz. In der Zeit waren die Exporte weg, und die fehlen natürlich auf dem Weltmarkt. Und es gibt einen ähnlichen Effekt in den großen Öl- exportierenden Ländern wie Saudiarabien oder Russland, die aufgrund des Booms, den die Öleinnahmen auslösen, einen steigenden Eigenverbrauch haben – und zwar etwa in Saudiarabien einen rapide steigenden Eigenverbrauch. Wenn dann die Förderung zurückgeht, ist diese Schere zwischen dem, was man selber braucht und dem, was noch zur Verfügung steht, wird immer enger. D.h. die Exporte können sehr viel schneller zurückgehen. Das heißt, je nachdem welche Szenarien man hat, kann es auch sein, dass in 20 Jahren für den Export gar nichts mehr da ist. Natürlich wird sich das im Detail anders entwickeln, aber wir werden eine dramatische Verknappung des Ölangebots auf den internationalen Märkten erleben.“ SPRECHERIN Und wenn auch Peak Oil nur eine Erzählung wäre, ein alarmistisches Szenario, das entweder von engagierten Umweltschützern in die Welt gesetzt wurde, oder, schlimmer noch, von einer industriell-politischen Verschwörung, die sich die Kontrolle über den Energiemarkt und die Preise sichern will? Mit der Angst ist immer noch gut Politik machen, und Verknappungen lassen die Preise zusätzlich steigen. Der Ökonom Leonardo Maugeri, bis 2011 Vizepräsident der Strategieabteilung des italienischen Ölkonzerns Eni, arbeitet auch als Dozent an der Harvard-Universität. Dort hat Maugeri im Rahmen des „Geopolitics of Energie Project“, das auch von BP gesponsert wird, eine Studie vorgelegt, die der Erzählung vom Peak Oil widerspricht. Darin heißt es: ZITATOR Es gibt keinen Rückgang der Ölvorräte und keinen Engpass der Versorgung. Von einem rein physikalischen Standpunkt aus gesehen sind gewaltige Mengen an konventionellen und unkonventionellen Ölvorkommen noch zu erschließen und ein „Peak Oil“ ist nicht in Sicht. Die Versorgung der Welt mit Öl hängt einzig und allein vom Preis, von der Technologie und von politischen Faktoren ab. Mehr als 80 Prozent der derzeitig möglichen zusätzlichen Ölproduktion scheint profitabel bei einem Ölpreis der über 70 Dollar pro Barrel liegt. O-TON 10 Jörg Schindler Wenn die konventionelle Ölförderung runtergeht, dann kann das selbst durch einen kleinen Anstieg des nichtkonventionellen Öls nicht ausgeglichen werden. Die Ölindustrie spricht viel von technologischen Fortschritten, dass man jetzt mit ganz ausgefeilten Methoden auch noch versteckteste, kleinste Ölfelder finden kann. Das ist völlig richtig. Die Pointe dabei ist nur, man findet eben nur noch Stecknadeln im Heuhaufen, denn um große Felder zu finden, brauche ich diese Methoden nicht. Alle großen Felder hat man vor vielen Jahrzehnten gefunden, die haben Geologen mit Hämmerchen und Tropenhelm und ihrem Verstand gefunden, die konnte man nicht verfehlen. D.h. das High-Tech ist allein schon ein Zeichen, dass es eng wird. Man findet immer noch immer kleinere Felder in immer unwirtlichen Regionen oder der tiefen Tiefsee. Dass man dort in der tiefen Tiefsee anders als vor 20 Jahren jetzt Öl fördern kann, das kann man als große technologische Leistung sehen – aber auch als Offenbarungseid, weil es eben nichts anderes mehr gibt. Wenn es dieses viele schöne billige Öl gäbe, dann würde man es fördern, es gibt eben nur noch zusätzlich dieses schwer und teuer zu fördernde Öl mit großen Risiken. Um die Kosten nicht noch stärker steigen zu lassen, können wir beobachten, dass die Firmen große Risiken eingehen, Deepwater Horizon hat das gezeigt und auch der Unfall vor brasilianischen Küste. Die Bereitschaft der Industrie, von sich aus zu lernen, kann man nicht hoch einschätzen, und wie hoch der Druck der Regierungen sein wird, wird man sehen. Es ist das Endspiel des Ölzeitalters, das hier begonnen hat. SPRECHERIN Was wäre schrecklicher für die Menschen: Wenn Peak Oil sie zum Umdenken und zu neuen Lebensformen bringen würde? Oder wenn die Negation von Peak Oil sie dazu verleiten würde, immer so weiter zu machen wie bisher? Leonardo Maugeris Studie hat jedenfalls scharfe Kritik provoziert. Tatsächlich berücksichtigt er kaum den exponentiell steigenden ökonomischen, ökologischen und kulturellen Preis für das Öl aus den noch vorhandenen Quellen. Denn eine andere Form von Peak Oil wird ja dort erreicht, wo das geförderte Öl teurer ist als der ökonomische Nutzen, der daraus zu ziehen ist. SPRECHER Es war einmal eine Gesellschaft, die war davon zu überzeugen, dass man die Erzählung vom endlosen Wachstum dann fortsetzen könnte, wenn man nur die endliche Energie der fossilen Brennstoffe und die gefährliche Atomenergie ersetzen würde durch alternative, nachwachsende, irgendwie natürliche Energiegewinnung. SPRECHERIN Doch was wäre, wenn diese scheinbar so schonenden, ewig nachwachsenden Energien von Sonne, von Wind oder Wellen, von in Energie verwandelten Pflanzen, in Wahrheit so alternativ nicht wären, weil der Verbrauch an Rohstoffen, an Land, das man dringlich für die Nahrungsmittelproduktion, an heimlicher Zusatzenergie die Bilanz belastete? O-TON 11 Niko Paech Ein wichtiger Ökonom, Nikolai Ceauescu-Roman, hat 1971, ein Jahr vor dem ersten Bericht an den Club of Rome, ein interessantes Buch dazu geschrieben. Er sagte: Zukunftsfähig ist eine Energieform nur, wenn sie die Eigenschaft hat, dass die Reproduktion der Bedingungen, unter denen diese Energieform verwendet werden kann, auch aus derselben Energiequelle entspringt. SPRECHER – Niko Paech, Professor für Produktion und Umwelt – O-TON 12 Niko Paech D.h. wir müssten, wenn wir es mit Photovoltaik oder Windenergie ernst nähmen, in der Lage sein, alles was wir brauchen, um diese Energieform zu nutzen, auch zu extrahieren aus der Wind- und Solarenergie. Wir müssten also auch den Stahl, den wir brauchen für Windkraftanlagen und die Kunststoffe für die Rotoren und die Seltenen Erden, das müssten wir alles durch Windenergie reproduzieren können. Jedes Kind sieht, dass das unmöglich ist, d.h. dass die sog erneuerbaren Energien nicht verwechselt werden dürfen mit unerschöpflichen Energien. Sie sind nicht unerschöpflich, sie stoßen schlicht auf andere Grenzen. Franz Alt hat ein schönes Buch geschrieben „Die Sonne schickt keine Rechnung“, ich mag ihn und sein Engagement für eine Energiewende, aber auch H. Alt hat etwas übersehen: Dass natürlich die Sonne keine Rechnung schickt, weil die Flächen, die wir verbrauchen, um Photovoltaik-Anlagen aufzubauen und auch die Produktionsstätten, die benötigt werden, um diese herzustellen, sind eben auf der Erde, sie brauchen Platz, sie brauchen andere Ressourcen. Dieses Nirwana eines ökologisch neutralen Füllhorns, aus dem immer mehr Energie fließt oder das uns nur dazu verhelfen könnte, den derzeitigen Stand der Energieverbräuche aufrechtzuerhalten, das kann und wird es nicht geben. SPRECHER Es war einmal eine Menschheit, die erkannte die Gefahr und begann sich auf ein Leben mit weniger Energieverbrauch und weniger Wachstum einzurichten. Sie beherzigte die Ratschläge der Mahner, die auch weniger dramatische, aber eben doch bedeutsame Wandlungen im Verhalten der kommenden Generationen als Schritte auf ein Happy End der Erzählung vom Ende des Ölzeitalters deuten durften. O-TON 13 Sophie Wolfrum Ich glaube nicht, dass alles so bleiben kann wie es ist, es wird sich verändern. So wie sich Raumgefüge verändert haben, als nach Zweitem Weltkrieg das Auto als individuelles Verkehrsmittel einem großen Anteil der Bevölkerung zur Verfügung stand, so wird sich das Raumgefüge wieder ändern, wenn es andere Verkehrsmittel gibt. SPRECHER – Sophie Wolfrum, Professorin für Städtebau und Regionalplanung – O-TON 14 Sophie Wolfrum Bei jungen Leuten soll es nicht mehr üblich sein, mit 18 zack den Führerschein zu machen. Mein Assistent hat gar keinen, die Bahncard 100 soll in dieser Generation eigentlich das Ding sein, auf das man stolz ist. So verändern sich Verhaltensweisen und Vorlieben der Menschen: mit Bahncard 100 kann man sehr mobil sein. Das Bedürfnis, mobil zu sein und die Welt kennenzulernen und andere Orte zu sehen, wird vielleicht sogar noch zunehmen vor dem Hintergrund des umfassenden Informationsnetzes und Kontakte leichter fallen, die nicht nur virtuell befriedigt werden wollen. SPRECHERIN Im Gegensatz zu anderen unbequemen Wahrheiten über die Folgen unseres Energie- und Mobilitätshungers scheinen sich Peak Oil und seine Auswirkungen leicht verdrängen zu lassen. Wir erleben das stetige, unaufhaltsame Ansteigen der Preise an den Tankstellen und ein sonderbar gespaltenes Verhältnis dazu: Während den einen, einer Mehrheit der Menschen mit wenig oder mittlerem Einkommen, gar nichts anderes übrig bleibt als weniger Energie zu verbrauchen, demonstriert eine Minderheit auch auf der Straße, dass man sich Verschwendung leisten kann. Und für die Automobilhersteller scheinen die spritfressenden Luxuskarossen allemal lukrativer zu sein als bescheidene Sparmobile oder Fahrzeuge mit Hybridantrieb. Als vor Jahr und Tag ein Politiker der Grünen konstatierte, die Menschen würden wohl erst bei einem Preis von fünf DM für den Liter Benzin beginnen, ernsthaft über Sparmöglichkeiten nachzudenken, entrüsteten sich die populistischen Medien, die Lobbyisten und die Automobilclubs. Dass nun die Preise hier und da fast schon die Zwei-Euro-Marke überschreiten, scheint indessen nicht viel mehr als ein schlecht gelauntes Murren hervorzurufen. Offensichtlich gewöhnen wir uns eher an die Folgen von Peak Oil, als dass wir uns über dessen Folgen klar werden. Und weil wir uns, was Peak Oil anbelangt, vor allem über den Preis unterhalten, verfestigt sich der Glaube, das Problem sei gleichsam marktwirtschaftlich zu lösen. O-TON 15 Rolf Schindler Wofür wird denn Öl heute verwendet: weltweit gehen ca 60-70% des geförderten Öls als Kraftstoff in den Verkehr, ca 20% gehen als Grundstoff in die chemische Industrie, nochmal ca 10-20% werden weltweit verheizt, insbesondere in der nördlichen Hemisphäre, und ein kleiner Anteil wird für die Produktion von Strom in Schwellenländern verwendet. Auf der anderen Seite beruht unser moderner Verkehr praktisch zu 100% auf Erdöl: Stellen Sie sich vor, sie müssten mit Kohle fliegen, das geht nicht so gut. D.h. da wir eine stark entwickelte räumliche, internationale Arbeitsteilung haben, Globalisierung in all ihren Ausprägungen, die darauf beruht, dass Verkehr von Personen und Gütern billig und schnell und überall auf der Welt möglich ist. Das wird in Zukunft zunehmend schwerer werden, d.h. der Raumwiderstand steigt: Der Aufwand, um von A nach B zu kommen, wird höher. Das kostet mehr, dauert länger, ist vielleicht auch nicht möglich, weil Kraftstoffe fehlen. Es ist eine populäre Vorstellung zu sagen, na ja, dann wird das Öl teuerer und nur die Reichen können es sich noch leisten. Das ist eine etwas falsche Wahrnehmung, natürlich wird das Öl auch teurer, aber der wesentliche Punkt ist, es wird weniger. D.h. ich kann nicht mehr rumsausen auf der Welt wie heute, weil der Treibstoff fehlt. SPRECHERIN Energie und Mobilität im Allgemeinen, der Flugverkehr und das Automobil im Besonderen sind so sehr Grundlage unserer Kultur geworden, dass einfache Appelle an die Sparsamkeit nicht mehr ausreichen. Im Gebrauch des Automobils treffen sich zwei grundlegende Werte einer auf Wachstum gegründeten Gesellschaft: die Mobilität und das Status-Symbol. Man muss unterwegs sein, wenn man es zu etwas bringen will, und wenn man es zu etwas gebracht hat, muss man das auch zeigen – zum Beispiel mit einem Fahrzeug, über das die PR-Berichte erklären, es sei für Leute gedacht, die auf Treibstoffpreise nicht achten. Und auf die Zukunft ihrer Gesellschaft und ihres Planeten schon gar nicht, möchte man hinzufügen. Aber wer will so etwas hören in einer Gesellschaft, in der das Automobil so viel mehr ist als ein Verkehrsmittel, nämlich Exportschlager, Fetisch, Sport- und Unterhaltungsgerät. Wer sich also im Sinne der schrumpfenden Energievorräte vernünftig verhält, gerät leicht in Konflikt mit seinem sozialen Umfeld. Die politische Rhetorik, die Werbung und die mit der Energiewirtschaft verbundenen Institute tun das ihrige, die Probleme klein zu reden und den ökonomischen Nutzen des Wachstums zu preisen. Mit kaum etwas anderem lässt sich so viel Geld verdienen wie mit Energie, und mit kaum etwas anderem kann man so direkt politische Macht ausüben. Das Interesse von Politik und Wirtschaft, angesichts der absehbaren Folgen von Peak Oil einen wirklichen gesellschaftlichen Wandel einzuläuten, hält sich daher begreiflicherweise in Grenzen. SPRECHER Anders als Abgase oder Umweltverschmutzung zeitigt Energieverschwendung keine direkt sichtbaren Folgen. So ist es, als wären Tankstellenpreise, Heizungs- und Stromrechnungen auch eine moderne Form des Ablasshandels. Das regelt der Markt, sagt der Wirtschaftsliberale. Und wenn er es nicht tut? O-TON 16 Niko Paech Suffizienz, d.h. die Reduktion der Ansprüche an materielle Selbstverwirklichung, das was wir gemeinhin mit Freiheit assoziieren, bedeutet niemals Verzicht – zumindest nicht in einer völlig überfüllten Konsumgesellschaft. Aus der neueren Konsumforschung wissen wir längst, dass der Input, den der Konsument braucht, um durch neue Dienstleistungen und Güter glücklicher zu werden, nicht nur Geld ist, um die Dinge zu bezahlen, sondern Zeit. Ich brauche Zeit, um die Dinge glücksstiftend auszunützen. Wir haben nicht nur Peak Oil, Peak Soil, sondern auch Peak Time, und damit leider auch als Konsequenz Peak Happiness. Glücklicher sind Menschen, die ihre knappe Zeit auf eine überschaubare Anzahl von Konsumgegenständen und Aktivitäten konzentrieren. Ich nenne das Entrümpelung und auf gar keinen Fall Verzicht. SPRECHERIN Es war einmal der Mensch, der erkannte, dass es nicht das Wachstum war, was ihn glücklich machte. Er entdeckte die Schönheit seiner Welt neu, sehnte sich nicht unentwegt nach anderswo, musste nicht ständig neue Dinge kaufen, nicht die letzte Wiese in ein Industriegebiet verwandeln, sah in der Natur nicht mehr das Ausbeutbare, sondern das Geschwisterliche. Mit der Energie ging er nicht mehr um wie mit einem möglichst rasch einzusetzenden Wachstumsmotor, sondern wie mit einem kostbaren Geschenk. Und er lebte glücklich und zufrieden bis ans Ende seiner Tage. SPRECHER Und was wäre, wenn es diesen einsichtigen, bescheidenen und weisen Menschen nur im Märchen gäbe? 2