COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Die Reportage 2.10.2011, 13.05 Uhr Dickes Fell Fettleibige im Kampf gegen Kilos und Vorurteile von Ellen Häring Atmo 1 SHG Hallo ich bin Anja, neu und bin gespannt, hallo ich bin Julia und bin auch das erste Mal da, ich bin Jens, ich erhole mich gerade von einer Krankheit und mir geht's gut. Hallo ich bin.... runterziehen und leise unterlegen A 1 Der junge Mann hebt seinen mächtigen Bauch auf die Oberschenkel und legt ihn ab. Tapfer schluckt er einmal leer, gleich muss er sich vorstellen. Auf seinem schwarzen T-Shirt klebt ein Kreppband, Markus steht darauf. Neben Markus sitzen im Kreis Jasmin, Flora, Kurt, Manfred, Detlef und all die anderen, die sich an diesem Montagabend zur Selbsthilfegruppe "Dick in Berlin" getraut haben. Die Stühle sind viel zu klein für die etwa 30 Dicken, die Lehnen quetschen ihre Hüften. Aber niemand beschwert sich. Wer hierher kommt, der hat ein dickes Fell. Es geht nicht um ein paar Kilo Frühjahrsspeck, die weg müssen, es geht ums Ganze: 40, 50, 100, 150kg haben die Fettleibigen zu viel und sie haben eine Idee, wie sie das ändern können: Sie spielen mit dem Gedanken, sich den Magen verkleinern zu lassen. Sandra, mit Pferdeschwanz und aufmunternd gut gelaunt, verteilt Infomaterial. T1 Sandra: ..und für die neuen, wo ich Unterlagen ausgeteilt habe. Ihr habt hier alle Operationsmethoden erklärt. Atmo 2 draußen A2 Zwei Stunden später drückt Sandra die schwere Glastür der Universitätsklinik Charité auf und lässt sich erschöpft auf eine Bank fallen. Die Arbeit als Vorsitzende der Gruppe ist anstrengend. Es kommen immer mehr Dicke. Fettleibigkeit nimmt zu, fast die Hälfte der Deutschen ist übergewichtig, 14% davon gelten als adipös, fettleibig. Diejenigen, die sich trauen, in die Gruppe zu kommen, essen alle viel zu viel, viel zu fett, viel zu süß. Manche haben zusätzlich eine genetische Disposition zum Dickwerden und alle, wirklich alle, sind verzweifelt, sagt Sandra: T2 Sandra Also alle haben eine Diätkarriere hinter sich, mit mehr oder weniger Fehlschlägen, manchmal ganz großer Erfolg, Abnahme von bis zu 40 kg, das lässt sich im Alltag nicht umsetzen, dann kommen wieder irgendwelche Rückschläge, es kommen Jobwechsel, es kommen Überstunden, familiäre Probleme, das Gewicht geht wieder nach oben und man ist da, wo man einmal angefangen hat. Und halt definitiv der Wille, an der Situation etwas zu verändern. A3 Auch Sandra ist entschlossen, etwas zu ändern. Sie wiegt 117 kg, dabei ist sie eine kleine Frau Anfang vierzig, höchstens 1,60. Es gab Zeiten, die waren schlimmer, da kam sie auf 126 kg. Ein Alptraum. Sie hat sämtliche Diäten ausprobiert, sich diszipliniert bis zur Selbstaufgabe, ist schließlich auch in die Apotheke gerannt. T3 Sandra Ich habe Medikamente ausprobiert, Formula-Diäten probiert, alles mögliche, Schwämmchen in Kapseln gegessen, damit der Magen ein Völlegefühl hat, damit man nicht so viel Hunger hat, die unmöglichsten Sachen. Was ich an Geld für Diäten ausgegeben habe, da hätte ich heute einen tollen Mittelklassewagen! A4 Sandra will sich nun operieren lassen, eine Magenverkleinerung. Seit 2 Jahren schon beschäftigt sie sich damit, in Internetforen, bei Beratungsstellen, und jetzt ist sie sich sicher. Der Antrag bei der Krankenkasse ist gestellt. Dass ihr das Übergewicht bereits ein Hüftleiden beschert hat, erhöht ihre Chancen auf Kostenübernahme. Atmo 2 blenden mit Atmo3 Wohnung A5 Wenige Tage später: Flora guckt in ihrer penibel aufgeräumten Einzimmer- Wohnung die Broschüren durch, die sie am Montagabend bei der Selbsthilfegruppe mitgenommen hat. Eine bildhübsche junge Frau, 29 Jahre alt, sanfte Gesichtszüge, seidiges, langes braunes Haar - aber viel zu dick. Ihre Wangen wirken gepolstert, ihre strahlenden Augen verschwinden unter den Lidern. Die Begegnung mit anderen Dicken am Montag hat ihr gut getan. Über ihre Pläne, sich operieren zu lassen, redet sie aber bisher mit niemandem. T4 Flora Also ich muss mich erstmal selber dafür entscheiden, bevor ich mit jemandem anderen darüber rede. Einem Freund kann ich es sagen, ich kann es meinem Bruder vielleicht sagen, wobei ich schon denke, dass die geschockt reagieren, weil es schon ein krasser Schritt ist für Leute, die damit nichts zu tun haben. A6 Es ist nichts anderes als eine Selbstverstümmelung, das lässt sich schwer vermitteln. Wer lässt sich schon ein gesundes Organ freiwillig operieren? Aber Flora ist nervlich am Ende. Sie hat immer mit ihrer Figur gekämpft, seit sie denken kann. T5 Flora Ich hatte als Kind so zwei Jahre, da habe ich zuviel gewogen, und ich hatte immer das Gefühl mich schämen zu müssen. Ich war minderwertig. Und ich hab dann abgenommen, eigentlich zusammen mit meiner Mutter, die hat so eine Ernährungsumstellung mit mir gemacht. Aber ich hatte immer das Gefühl, ich bin zu dick. Ich bin so nicht richtig. A7 Essen wurde zum Seelentröster. Seither geht es auf und ab mit ihrem Gewicht, entweder hungert Flora oder sie isst viel zu viel, gerne Süßes. Ihr Stoffwechsel spielt verrückt. Mit 125 kg fällt sie überall auf: T6 Flora Das passiert mir ziemlich oft, ehrlich gesagt, dass ich beleidigt werde auf der Straße. Ich gehe durch eine Menschenmenge und höre: ach, die Fette! Ich würde gerne mehr auch rauskommen, mehr rausgehen, aber ich habe das Gefühl, dass ich oft angegriffen werde und deshalb traue ich mich auch nicht mehr so raus. Atmo 4 Rausgehen blenden mit Atmo 5 rein ins Fitnessstudio A8 Jetzt macht sich Flora aber dennoch auf den Weg, zum Sport. Zweimal die Woche macht sie Krafttraining, der Rücken schmerzt. Das Fitnessstudio ist schmucklos: kein Pool, keine Sauna, kein Solarium, keine gestählten Kerle. Flora kommt aus der Umkleidekabine, keiner dreht sich nach ihr um. Sie holt eine Klappmappe mit ihrem persönlichen Trainingsplan aus einem Register und legt sich an eine der Kraftmaschinen. Atmo 6 Übungen "Okay, fangen wir mal an" unterlegen A9 Flora liegt auf der Seite, zwischen den Beinen ein Gewicht, das sie Richtung Bauch schiebt. 45 Minuten lang wechselt sie von Maschine zu Maschine. Am Schluss bindet sie sich einen Gurt um den Bauch, daran hängen Gewichte. Sie atmet schwer, als sie immer wieder die Fersen hebt - die Gewichte plus ihr eigenes Gewicht, das geht an ihre Grenzen. Neben ihr macht ein spindeldürrer Glatzkopf Klimmzüge. Atmo 6 blenden mit Atmo 7 SHG mit Ordemann/ ggf. ruhige Raumatmo bitte besorgen A10 2 Monate später, wieder bei der Selbsthilfegruppe "Dick in Berlin". Ein Chirurg wird diesen Montag über Operationsmethoden sprechen. Flora ist gekommen und 30 andere Dicke - aber auch bereits Operierte. Sandra, die Vorsitzende, gehört inzwischen dazu: T7 Sandra Ja ich bin Sandra, ich bin einen Tag nach Horst operiert, mir geht es auch richtig gut, bei mir sind es jetzt 8 kg, das ist sehr viel für meine Verhältnisse und ich bin einfach nur total happy, dass die Waage nach links geht. (Lachen) A11 Dr. Jürgen Ordemann, schlank, mittleres Alter, nimmt in der Mitte Platz. Er erklärt die Voraussetzungen für eine OP: ein Body-Maß-Index über 35, also extremes Übergewicht. Keine Alkohol- oder Drogenprobleme. Nachweis über Diäten, Kuren, Therapien. Nachsorge ist Pflicht, über Jahre: Sport, Ernährungsberatung und psychologische Betreuung. Und dann legt er noch nach: T8 Ordemann Gehhilfe Eine Operation ist nur - NUR in Anführungsstrichen - eine Gehhilfe auf dem Wege des Abnehmens. Das ist nämlich der große Trugschluss, dass viele Menschen glauben, dass wenn sie operiert sind, dann alles gut wird. Und dem ist eigentlich nicht so. A12 Betretene Gesichter. Aber die Stimmung kippt nicht. Jürgen Ordemann nimmt die Dicken ernst, es sind für ihn chronisch Kranke, die unter Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Gelenkbeschwerden leiden. T9 Ordemann Folgen Es geht nicht nur um das Übergewicht. Es geht um die Folgeerkrankungen. Und ehrlich gesagt, ist das auch mein Hauptmotivationsgrund. Es geht um die Folgeerkrankungen, es geht um die Lebensqualität und es geht um eine gesünderes Leben. A13 Dann holt er aus einer Tasche einen abgetrennten Plastikmagen heraus. T10 Ordemann "..und ich habe Ihnen ein Modell mitgebracht, da würde ich sie bitten, dass sie das von Hand zu Hand durchgeben" A14 Der Magen macht die Runde, Dr. Ordemann erklärt die verschiedenen Operationsmethoden: Magenband, Schlauchmagen, Bypass. A15 Anschließend ist Zeit für Fragen: selbstverständlich, es kann zu Komplikationen kommen wie bei jeder OP. Und was ist mit der Sucht, mit dem unbändigen Verlangen zu essen? T12 Ordemann und Patienten/ Sucht "Deswegen, Sucht hin oder her, müssen Sie ihr Verhalten auch mit Hilfe der Psychosomatik ändern. Das geht Hand in Hand, das ist eine ganz wichtige Geschichte" "Na, es ist halt so, der Magen wird operiert, aber der Kopf nicht, der muss umschalten." "Genau so ist es". "Wobei aber die OP so der Startschuss sein kann." A16 Dr. Ordemann verabschiedet sich, die Gruppe schart sich um die bereits Operierten. Flora spricht mit Sandra, gerade operiert, später mit Manfred, der nach der OP in 5 Monaten schon 48 kg abgenommen hat. Atmo 8 Treppen hochgehen, dann Raumatmo A17 Der Chirurg geht zwei Stockwerke höher in sein Büro, er zeigt im Vorbeigehen das sogenannte Adipositaszimmer: eine Krankenstation speziell für Fettleibige. Über einem gigantischen Bett hängt ein Kran, er hilft den Pflegekräften die Patienten zu bewegen. Nicht nur die Berliner Charité hat solche Zimmer, viele Kliniken sind inzwischen damit ausgestattet, denn Adipositas ist eine neue Volkskrankheit. T13 Ordemann Leiden Alle Adipösen leiden. ...umso mehr wundere ich mich, wenn ich diese Patienten nach der OP in der Sprechstunde sehe, eine halbes Jahr, ein Jahr, dass mir teilweise völlig neue Menschen entgegentreten, die aktiv werden, die etwas für ihr Äußeres tun, die zum Frisör gehen und vom ganzen Habitus eine andere Person darstellen. A18 Noch sind die Krankenkassen zögerlich, Operationen für Fettleibige zu bewilligen. In Deutschland wird im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wenig operiert. Von den USA, wo 30% der Bevölkerung als adipös gelten, ganz zu schweigen. Bis vor kurzem war die Adipositas-Chirurgie unter Medizinern noch als "Schmuddelchirurgie" verpönt. Inzwischen gilt sie als Spezialgebiet. T14 Ordemann KK Krankenkassen, nach meinem Ermessen, verzögern eine Operation, weil ihnen noch nicht bekannt ist, wie erfolgreich so eine Therapie ist. Atmo 9 Spaziergang A19 Manfred gehört zu den Erfolgreichen, deshalb kommt er immer montags zur Selbsthilfegruppe und macht den anderen Mut. Er lebt in einem Berliner Randbezirk und geht, wie jeden Tag, mit seinen beiden Hunden spazieren. Manfred, 49 Jahre alt, Dreitagebart, ist keineswegs schlank, er wiegt 112 kg. Die Hitze macht ihm zu schaffen. Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Aber er geht schnellen Schrittes am Havelkanal entlang. Vor 5 Monaten war das nicht möglich: T15 Manfred Sprunggelenke Also mit einem Gewicht von 160 kg, so 1,80 hoch, dann sind die Gelenke ganz schön, die Sprunggelenke waren's bei mir, und wenn man mit entzündeten Gelenken spazieren geht, das tut sehr weh. A20 Manfred konnte sich kaum noch bewegen. Ohne Bewegung kann aber niemand abnehmen. Im Januar 2010 hat er ein Schlüsselerlebnis. T16 Manfred Schlüsselerlebnis Da bin ich beim Schuhe zubinden einfach umgefallen. Grade aus lang hingeschlagen. A21 Damals spricht die Tochter mit ihm, bittet ihn, noch nicht "abzutreten", ihr zuliebe. Er lässt sich einen Schlauchmagen operieren, nach 5 Monaten ist er 48 Kilo leichter. Ein gutes Gefühl. Irgendwann will er wieder Bergsteigen gehen - so wie früher. Manfred kommt in Rage, wenn er über all die Erniedrigungen spricht, die er als Dicker ertragen hat: enge Plastikstühle im Gartenlokal, die am Hintern hängen bleiben. Fluggesellschaften, bei denen er zwei Plätze buchen muss. Mitmenschen, die einen Bogen um ihn machen, weil er stinken könnte. Ärzte, die ihn in die Tierklinik zur Computertomografie schicken, weil er nicht in ihre Röhre passt. "Ich hatte ständig ein Messer zwischen den Zähnen", sagt er. Aber als erfolgreicher Unternehmer durfte er sich nicht gehen lassen, musste alles schlucken. Damals - es ist erst 5 Monate her - verbringt Manfred viele Stunden vor dem Computer. Nicht nur um sich in den einschlägigen Foren auszutauschen und sich über das Für und Wider einer OP zu informieren, sondern auch, um ganz alltägliche Dinge zu verrichten. T17 Manfred Klamotten Also, ich hab meine Kleidung überwiegend im Internet bestellt, so dass man da gar nicht erst den Trip durch die verschiedenen Kaufhäuser machen musste. Nun gab es Sachen, die hat man nicht im Internet bekommen, wenn es Anzüge oder Hemden waren, da muss man dann eben in spezielle Geschäfte für Übergewichtige gehen. Da wird man an Ort und Stelle natürlich sehr freundlich behandelt, weil man auch ausgenommen wird wie ne Weihnachtsgans. Atmo 11 Hunde baden A22 Manfred wirft ein Stöckchen ins Wasser, die Hunde springen hinein. Sie haben ihn gezwungen, auch in schweren Zeiten jeden Tag spazieren zu gehen. "Dafür bin ich irgendwie dankbar", sagt er und lacht. Viel wichtiger: seine Frau hat immer zu ihm gehalten. T18 Manfred Sex Sie hat nie gesagt, du bist mir eklig, du bist mir unangenehm, ich will nicht mit dir schlafen, das hat sie nie gesagt. Also diese Verweigerungshaltung der körperlichen Nähe, das kam schon hauptsächlich von mir. Weil ich gesagt hab: ich mag mich nicht leiden. Atmo 12 zuhause / Hunde fressen A23 Wieder zuhause bekommen die Hunde ihr Trockenfutter, sie stürzen sich darauf. Es ist fast 14.00 Uhr, Manfred hat heute noch nichts gegessen. Er nimmt einen großen Schluck aus einer Wasserflasche. Regelmäßiges Essen, das war noch nie sein Ding. Und gleichzeitig auch sein Problem. Noch kann er nicht mehr als 150gr pro Mahlzeit zu sich nehmen. Auf dem Tisch liegt ein Tablettenkästchen, 9 Pillen pro Tag muss er nehmen. Nahrungsergänzung. T19 Manfred Pillen Also Kalzium, Zink Selen, und einmal gegen die Magensäure. Dann Biotin und Vitamin und hier noch mal das Gleiche wie da. A24 Kochen will Manfred später. Jetzt startet er erstmal den Computer und zeigt die Bilder von damals. Einer wie Manfred schont sich nicht. Atmo 13 Computer A25 Auf dem Bildschirm öffnen sich 8 Fotos: Manfred im knappen Slip. Mit mächtigem Bauch und einem beeindruckenden Speckgürtel rund um die Hüften. Der Brustbereich verfettet, der ganze Körper birnenförmig. Der Hals ist kurz, das Gesicht gepresst. Seine Frau hat die Fotos vor der OP gemacht, Manfred wollte das so. Als Abschreckung sozusagen. T20 Manfred Fotos Wenn ich diese Fotos jetzt sehe, dann komme ich doch zu der Überzeugung: Menschenskinder, wie hast du ausgesehen? Ich wollte den anderen meinen Anblick nicht zumuten wollte, dass ich damit gar nicht so verkehrt lag. Ein Problem ist halt auch, Kleidung zu finden, wo du nicht aussiehst wie ein vollgeschissener Strumpf. A27 Manfred ordnet seine Fotos akribisch, genauso wie die Sammlung von über 2000 CDs und Platten. Er passt genauso wenig in die Schublade des willenlosen, faulen Dicken wie Flora, die sich zweimal die Woche zwingt zum Krafttraining zu gehen. "Ich bin im neuen Leben angekommen", versichert er zum Abschied. Flora hingegen hat noch einen schweren Weg vor sich. Atmo 14 Vogelgezwitscher A28 Zwei Monate sind vergangen seit ihrem ersten Besuch in der Selbsthilfegruppe. Flora hat sich entschieden. Sie will sich operieren lassen. Heute soll die erste Besprechung mit dem Arzt stattfinden. Sie eilt durch den Garten der Klinik für Minimal Invasive Chirurgie im Südwesten Berlins, in brauner Baumwollhose, darüber eine Tunika. Sie wischt sich den Schweiß von der Stirn und atmet schwer, als sie die Glastür aufmacht. Atmo 15 Wartezimmer T22 Rezeption Sie sind heute zum ersten Mal da. Ja, genau. dann gehen Sie doch um die Ecke... A30 Flora setzt sich ins Wartezimmer. Ein blonder Mann Anfang 40, liegt im Stuhl, sein Körperumfang ist zu groß, um aufrecht zu sitzen. Er trägt Bermudashorts, sein Oberschenkel erinnert an einen Baumstamm. Eine Frau, höchstens 1,50 groß, sitzt gegenüber. Winzige Füße tragen ihren massigen Körper, über die Riemen ihrer Sandalen wölbt sich der Speck. Flora guckt nicht hin. Sie ist aufgeregt. Wenige Minuten nur, dann ist sie dran. Atmo 16 Tippsen T23 Taillenumfang Dann mess ich noch mal ihren Taillenumfang....danke, nehmen Sie Platz. A40 Sie wird gewogen und fotografiert, ihr BMI wird bestimmt. Der Body-Maß-Index ist der Gradmesser für Adipositas - eine Berechnung, die Körpergewicht und Größe in Beziehung setzt. T24 BMI So ihr BMI liegt bei 42,3. Gut dann hab ich erstmal alles. A41 Flora hat eine schwere Adipositas dritten Grades, die auf jeden Fall dringend behandelt werden muss. Das sagt ihr der Arzt, Martin Susewind, im Beratungsgespräch. Atmo 8 Raumatmo T25 Beratung Essen Ganz grob: essen Sie regelmäßig? Manchmal. Also nicht immer. Haben Sie so Heißhungergefühle oder so Fressattacken? Ja manchmal schon. (blenden) A42 Flora rückt sich auf dem Stuhl zurecht, hält sich an ihren Unterlagen fest. T26 Beratung Diäten Sie haben Diäten zur Gewichtsreduktion gemacht? Wie viele ungefähr? Ich hab's mir aufgeschrieben. Vielleicht so bis 20. A43 Nach einer halben Stunde hat sie alles überstanden. Dr. Martin Susewind findet nicht, dass Flora mit 29 Jahren zu jung ist für die Operation. Im Gegenteil. Je früher desto besser, wegen der Folgeerkrankungen. Über die OP entscheidet aber die Krankenkasse. Und die verlangt mehr als ein Beratungsgespräch mit einem Arzt, der sich darauf spezialisiert hat, Dicke zu operieren. A44 Die nächste Station ist die Ernährungsberatung, ein paar Zimmer weiter. Eine sorgfältig geschminkte, schlanke Endvierzigerin im Sommerkleid streckt Flora die Hand entgegen. T27 Es gehört auf alle Fälle dazu für den Antrag eine Ernährungsumstellung, die Kasse verlangt das auch A45 Flora hat ein Ernährungsprotokoll mitgebracht, zwei Wochen hat sie aufgeschrieben, was sie isst. Die Beraterin guckt es sich an, skeptisch, ihre Lippen werden schmal: T 28 Ernährungsber. Ja, Nachtisch Quarkdessert, das ist glaub ich fertig Ja, ja ich weiß Auch lieber Magerquark und dann schneiden sie sich ihr frisches Obst da selber rein. A47 Flora geht erschöpft nach Hause, sie muss das alles erstmal verdauen. In drei Wochen soll sie zum psychologischen Gutachter. Atmo 17 a und b Aquafitness A48 Wenige Wochen später: Sandra, die Vorsitzende der Selbsthilfegruppe, bei der Aquafitness. Sie bewegt sich mit 5 anderen Frauen locker unter Wasser: im Schersprung, dann im Hampelmann, kreist Hüften und Arme - genauso wie die Trainerin am Beckenrand es vormacht. hochziehen A49 Es sind nicht nur Dicke hier, das Turnen im Wasser ist für alle gut, die ihre Gelenke schonen müssen. Atmo 2 draußen, leichter Verkehr A50 Nach dem Sport setzt sie sich vor der Tür auf eine Bank. Seit zwei Monaten ist sie operiert. Blass sieht sie aus. Seit der letzten Begegnung hat Sandra 18 kg abgenommen. Sie wirkt nachdenklich. Nicht für jeden ist die OP eine Lösung, findet sie. T30 Sandra OP Wenn man im Kopf damit nicht klar kommt, ist man nicht oder schlecht geeignet. Weil die Umstellung nach der OP ist krass. Weil man ist nach 3 Esslöffeln satt. Der Bauch ist satt. Der Kopf nicht. A51 Sandra wird noch lange zur Nachsorge gehen und psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Sie kann momentan mittags höchstens ein Süppchen essen, wenn überhaupt. Schwer, bei einem Vollzeitjob. Aber ihr Lebensgefühl hat sich enorm verbessert. T31 Sandra Alltag Weil ich so viel Spaß habe in den normalen Alltagssachen, wie z.B.: ich kann wieder 3 Etagen laufen, ohne mit Schnappatmung oben zu stehen, ich kann wieder Fahrradfahren ohne nach fünf Minuten vom Sattel zu fallen, es sind so viele Kleinigkeiten im Alltag, das hatte man wirklich Jahre nicht. A52 Flora wird noch Monate warten müssen auf die Antwort ihrer Krankenkasse. Manfred spart bereits auf die nächste OP, bei der seine überschüssige Haut entfernt werden soll. Sandra, inzwischen nur noch 93 kg schwer, sieht Licht am Horizont - und bald einen Grund zum Feiern. T32 Sandra 80 kg schaffe ich auf alle Fälle, wenn es mehr wird, dann ist es toll. Ich arbeite darauf zu und wenn ich es schaffe, dann gibt es garantiert eine Big Party.