COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. DEUTSCHLANDRADIO KULTUR Forschung und Gesellschaf am 1. April 2010 Redaktion: Peter Kirsten Das Unbewusste fixieren Brücken zwischen Hirnforschung und Psychoanalyse Von Godehard Weyerer CUT 01: 1-B) 417-419 0:21 (Roth) Psychische Zustände im Gehirn sind technisch-methodisch sehr schwierig zu messen, weil da die sogenannte Signalveränderung extrem klein ist gegenüber dem, was in der Großhirnrinde passiert. Wir waren sehr froh, dass wir das am Anfang hinkriegten. Hätten wir zu Beginn nicht einen deutlichen Unterschied in der Hirnaktivität zwischen depressiven Patienten und Kontrollpersonen bekommen, hätten wir gleich aufhören können. SPR 1: Seit einigen Jahren gewährt das Gehirn - von Magnetfeldern durchleuchtet - einen Blick in bislang verborgene Tiefen. Die durch die Magneteinwirkung sichtbar gemachten Veränderungen werden in digitale Signale umgesetzt. Schicht für Schicht enstehen so Schnittbilder des Gehirns. Veränderungen in den jeweiligen Hirnschichten lassen sich am Bildschirm verfolgen. Gerhard Roth, Neurobiologe an der Universität Bremen, beobachtet das Gehirn bei der Arbeit und erkennt hierin die langersehnte Chance, verdrängte Gefühle, die sich etwa in Depressionen niederschlagen können, aufzuspüren und das Unbewusste zu entschlüsseln. CUT 02: 1-A) 360-370 0:45 (Roth) Wenn ich nun starke Gefühle habe, dann verändern sich bestimmte Nervenzellen in ihrem Sauerstoff- und Zuckerverbrauch. Dies wiederum verändert die magnetischen Eigenschaften des Blutes. Mit einem sehr komplizierten Verfahren kann ich das feststellen und auch sehr genau lokalisieren. Die Auflösung ist inzwischen weit unter 1mm, was eigentlich völlig ausreicht. Das heißt, hier sieht man, psychische Zustände stehen in einem direkten Verhältnis zu neuronalen Prozessen, die stehen wiederum in einem direkten Verhältnis zu physikalisch-chemischen Prozessen und die misst man dann. SPR. 1: Neurowissenschaftler erforschen das menschliche Gehirn. Sie entschlüsseln sozusagen die Hardware, beschreiben, wie das Gehirn arbeitet, stellen Abweichungen fest, die etwa durch Depressionen hervorgerufen werden, suchen aber nicht nach Gründen und Ursachen für diese veränderten Funktionsweisen. Warum Menschen stottern, warum der eine depressiv ist und der andere nicht, der eine selbstbewusst und der andere von Ängsten geplagt ist, sind Fragen, die die Naturwissenschaft bisher den Psychotherapeuten überlassen hat. SPR. 2: Therapeuten wollen ihren Patienten die Angst, die Depression nehmen oder das Stottern lindern, indem die Patienten über ihre Gefühle reden, sich ihrer klar werden, sie in Zusammenarbeit mit dem Therapeuten bearbeiten und modifizieren. Man kann auch von der Software sprechen, die individuell von Person zu Person sehr unterschiedlich ausfällt und nach Ansicht von Psychotherapeuten in den ersten Lebensjahren programmiert wird. Die Unterschiede hinterlassen Spuren im Gehirn; Neurologen wie Gerhard Roth können diese auf dem Bildschirm erkennen und lokalisieren, sie aber nicht erklären. CUT 03: 1-B) 233-243 0:43 (Roth) Ich bin ja kein Psychoanalytiker, sondern das entspringt harten, neurobiologischen Erkenntnissen, die sowohl beim Menschen wie im tierexperimentellen Bereich, wo man natürlich sehr viel mehr gucken kann, manifest sind, etwa bei Ratten kann man sehen, wie stark neugeborene Ratten, die ja völlig hilflos sind, psychisch belastet werden, wenn sie von der Mutter getrennt werden oder wenn die Mütter selbst traumatisiert sind und sich nicht um die Kinder kümmern, dass sie selbst schlechte Mütter werden, obwohl an den Genen sich nichts ändert, die bleiben unverändert. Aber die Art, wie die Gene exponiert werden, wird stark verändert und das wird weitergegeben. SPR. 1: Gerhard Roth macht sich stark für einen Dialog, der bis vor kurzem kaum denkbar war. Zu unterschiedlich waren Psychoanalytiker und Neurobiologen in ihren Ansätzen, menschliches Verhalten zu erklären. Für den Bremer Hirnforscher steht fest: geistig-psychische Funktionen sind im Gehirn eng umschriebenen Zentren zugeordnet. Kürzlich kürte die Zeitschrift "Cicero" ihn zum Vordenker, zum wichtigsten, weil meistzitierten Naturwissenschaftler in Deutschland. Sicherlich auch wegen seines Buches: "Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern"; in dem Buch unterfüttert er die psychoanalytische Deutung menschlicher Verhaltensmuster mit neuesten Erkenntnissen aus der Neurobiologie. ZITAT: Bei komplexeren Merkmalen wie Offenheit oder Verschlossenheit, positiver oder negativer Emotionalität ergibt sich eine unauflösliche Vermischung zwischen genetischen Merkmalen und vorgeburtlichen oder frühkindlich wirksamen Bindungserfahrungen. Dieser Prozess verläuft selbst-stabilisierend und wird entsprechend zunehmend resistent gegenüber späteren Einflüssen. Der Aufwand, der nötig ist, sich in seiner Persönlichkeit zu verändern, wird immer größer und die Methoden, dies zu erreichen, immer spezifischer und aufwändiger. (PEV, S. 21) SPR 1: Für Neurobiologe Roth haben frühkindliche Bindungserfahrungen und Beziehungsstörungen notgedrungen zur Folge, dass darüber hinaus Hirnfunktionen nachhaltig gestört sind und mit ihnen die Schaltkreise, in denen die Informationen zwischen den verschiedenen Hirnarealen ausgetauscht werden. CUT 04: 1-B) 96-97 0:45 (Roth) Erst einmal müssen diese physiologischen Systeme ausreifen, die brauchen den Schutz der Mutter. Wenn ich als Säugling und Kleinkind diese Rückkopplung über die Mutter nicht habe, dass ich lerne, die Mutter ist immer da, wenn ich sie brauche, dann schreie ich. Anders kann es sich ja nicht artikuliere, oder wenn es lächelt. Wenn dann eine depressive Mutter vor mir sitzt, die mein Lächeln nicht erwidert oder die nicht kommt, wenn ich schreie oder umgekehrt zu viel des Guten tut, dann lernt mein Gehirn nicht zu differenzieren. Deshalb ist die Störung dieser Mutter-Kind-Beziehung, der Bindungserfahrung so außerordentlich tragisch. SPR 2: Angst, Wut, Zorn, Minderwertigkeitsgefühle trüben die Freude an einem unbeschwerten Leben. Psychisch labile Menschen fühlen sich diesen Empfindungen ohnmächtig ausgeliefert. Andere werden aggressiv und unberechenbar. Während sich die, die ihren Kummer in sich hinein fressen, schnell entmutigen lassen, bleibt auch denen, die ihren Lebensverdruss an anderen auslassen, der Weg versperrt, mit sich selbst zufrieden und glücklich zu sein. Und all diese Fallstricke des Alltags verbergen sich in anatomisch eng abgegrenzten Arealen unterhalb der Großhirnrinde, wo sie im limbischen System ihr heimtückisches Unwesen treiben. CUT 06: 1-B) 154-179 1:29 (Roth) Wenn die vorgeburtliche Phase gut verläuft und mit der Mutter nichts schlimmes passiert, dann hat dieses System Zeit, sich aufzubauen. Haut da aber eine starke Traumatisierung zum Beispiel der Mutter herein und das wird dem unreifen Gehirn des Kindes mitgeteilt, dann zerbricht da was, da werden bestimmte Rezeptoren für Kortison oder Adrenalin nicht angelegt oder zuviel je nach dem. Dasselbe gilt nach der Geburt, in den ersten Monaten sind die beiden Systeme völlig schutzlos. Hier ist der Schutz der Mutter extrem wichtig. Deshalb sagt man, die Mutter soll ein halbes Jahr beim Kind bleiben, das ist physiologisch notwendig. Heute versteht man, warum Traumatisierungen in den ersten Lebensmonaten bis Ende des ersten Lebensjahrs extrem nachteilig sind. SPR. 1: Gerhard Roth, selbst Vater dreier Kinder, weiß, dass Kinder mit sehr unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen auf die Welt kommen und dass diese Unterschiede weitgehend bestehen bleiben. Anders gesagt: aus einem antriebsschwachen Jungen wird wohl nie ein aufbrausender und jähzorniger Mann werden. Aus biologischer Sicht, ergänzt der Neurowissenschaftler Roth, spreche man von angeborenen Merkmalen im Sinne von "bei der Geburt bereits vorhanden". Unstreitig sei es, dass das Ungeborene bereits während der Schwangerschaft vielerlei Umwelteinflüssen ausgesetzt ist - mit gravierenden Folgen für das spätere Leben. Hier sind Hirnforscher und Psychoanalytiker einer Meinung. CUT 07: 2-A) 444-446 0:07 (Bruns) Der Gedanke, Veränderungen im Gehirn als Folge einer psychoanalytischen Behandlung zu finden, war natürlich schon faszinierend. SPR. 2: Georg Bruns ist einer von drei Psychoanalytikern, die Gerhard Roth für die Neuro-Psychoanalyse-Studie gewinnen konnte. Vor eineinhalb Jahren startete die Studie. Bei 20 Patienten, die sich wegen Depressionen in psychotherapeutischer Behandlung begaben, wurden drei Magnetresonanztomografien gemacht. Einmal bei Beginn der Psychoanalyse, das zweitemal nach sieben Monaten, ein drittes Mal nach 15 Monaten. CUT 08: 2-B) 50-63 0:20 (Bruns) Es gab nicht nur eine Patientengruppe, sondern auch eine Kontrollgruppe von solchen Personen, die nicht an einer Depression gelitten haben. Von beiden Gruppen sind Bilder der Hirnfunktionen gemacht worden mit dem FMRT SPR. 1: fMRT, die Abkürzung steht für funktionelle Magnetresonanztomographie, ist eine relativ neue Weiterentwicklung der Kernspin-Tomografie. Im Kernspin-Tomografen befindet sich ein sehr starkes Magnetfeld. Damit werden bestimmte Moleküle im Körper gleichmäßig ausgerichtet. Diese Moleküle werden nun mit Radiowellen angeregt, wodurch sie zu schwingen beginnen und unterschiedliche Signale aussenden. Ein Computer empfängt diese Signale, digitalisiert sie und stellt sie als Bild dar. Die neuentwickelte funktionelle Magnetresonanztomographie vermag auch Stoffwechselvorgänge sichtbar zu machen, die aufgrund von Aktivität entstehen. Hebt man etwa den Arm, verändert sich der Sauerstoffgehalt des Blutes in der zuständigen Region der Großhirnrinde. Dasselbe Prinzip gilt für geistig- psychische Funktionen, die unterhalb der Großhirnrinde, im limbischen System verortet sind. CUT 09: 2-B) 67-73 0.40 (Bruns) Und dafür gab es verschiedene Messzeitpunkt. Zu Beginn der Behandlung, als sich eine Behandlung noch nicht auf die Hirnfunktionen ausgewirkt hatte, nach sechs oder sieben Monaten und nach 15 Monaten zum Abschluss der Untersuchung. Die Veränderungen im Gehirn vom ersten über den zweiten zum dritten Messzeitpunkt sind verglichen worden. Dabei konnte man finden, dass die Funktionsweise des Gehirns der depressiven Patienten sich mehr dem angeglichen hat, was bei der gesunden Kontrollgruppe gefunden worden ist. SPR. 1: Den Patienten werden während der Untersuchung Schlüsselsätze vorgehalten - sie hören sie über Kopfhörer oder lesen sie auf einem Bildschirm. Sätze, die ihre psychische Befindlichkeit und ihren Leidensdruck auf den Punkt bringen und in den Therapiestunden zuvor mit dem Therapeuten zusammen erarbeitet worden sind. SPR. 2: Ein Beispiel: Eine Frau kam wegen sozialer Phobie, die sich zu Depressionen verstärkten, in Behandlung. Sie erzählte, dass sie sich zurückgestoßen fühle, sobald sie Nähe zu Menschen sucht. SPR. 1: Während der Computertomografie wurde sie mit dem Satz konfrontiert: "Ich vereinsame, je mehr ich den Kontakt zu Menschen suche". SPR. 2: Hinter dem tiefsitzenden Misstrauen der eigenen Umwelt gegenüber verbargen sich bei der Patientin Gefühle von Trauer und Schmerz. In den Therapie-Gesprächen stellte sich recht schnell heraus, dass ihre Mutter die kindlichen Bedürfnisse nach Zuwendung, Nähe und Gehaltenwerden nur in unzureichendem Maße erfüllt hatte. Zurückblieb ein Kind, das noch im Erwachsenenalter verunsichert, scheu und schüchtern ist. Diese kindliche Sehnsucht nach Geborgenheit und emotionaler Sicherheit nachreifen zu lassen, ist Ziel einer Psychoanalyse. Zitat: Für manche Analytiker ist es geradezu paradox, dass versucht werden soll, die Ergebnisse der sinnstiftenden Einsichtsprozesse in der Psychoanalyse durch objektivierende Methoden wie etwa die funktionelle Magnetresonanztomografie zu beweisen. SPR. 1: schreiben Gerhard Roth und Marianne Leuzinger-Bohleber, die Geschäftsführerin des Frankfurter Sigmund-Freud-Instituts, in ihrem gemeinsam herausgegebenen Buch "Psychoanalyse und Neurobiologie". Anhand der Depressions- und Trauma-Erkrankungen plädieren beide für einen interdisziplinären Dialog. Zitat: Für andere hingegen sind erste Befunde, die belegen, dass sich psychoanalytische Therapien auch auf die Funktionsweise des Gehirns nachweislich positiv auswirken, ausgesprochen faszinierend. (PNT, S. 12) SPR. 1: Welche Prozesse im Gehirn verändern sich infolge einer Psychoanalyse? Eine Impulskontrolle, die die Verhaltenstherapeuten im Blick haben, wohl kaum. Der Neurobiologe Gerhard Roth schreibt: Zitat: Eine Maßnahme, die auf eine Impulskontrolle abzielt, verändert nicht die verknoteten Netzwerke im limbischen System, sondern mildert höchstens deren negative Auswirkungen auf das Verhalten. Die Ursachen der psychischen Störungen sind lediglich übertüncht, in ungünstigen Situationen treten die früheren Symptome wieder auf, als habe nie eine Besserung stattgefunden. (PNT, S. 13) SPR. 1: Werden die verknoteten Netzwerke im Laufe einer Psychotherapie aufgelöst, indem das Übel an den Wurzeln gepackt wird? Das heißt, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen, sie anzunehmen, wie sie war, und sich mit ihr letztendlich zu versöhnen. Eine verlässliche, dauerhafte und tragende Beziehung zum Therapeuten oder zur Therapeutin böte die Chance, frühe Erfahrungen, die den Zweifel am eigenen Selbstwertgefühl schürten, nachreifen zu lassen. Gerhard Roth zeigt sich skeptisch. Er schreibt: Zitat: Viele Neurowissenschaftler bezweifeln aber, dass die tieferen Gehirnschichten bzw. die amygdaläre Netzwerke überhaupt umlernen können, wenn sie erst einmal in einer bestimmten Weise geprägt wurden. Sie gehen davon aus, dass die Amygdala, der Mandelkern des limbischen Systems, nie vergisst. (PNT, S. 13) SPR. 1: Gerhard Roth favorisiert einen dritten Weg: Im Zuge der Nachreifung und durch die Aufarbeitung der eigenen Lebensgeschichte würden im Gehirn Ersatzschaltungen angelegt. Diese neugebildeten Netzwerke kapselten die fehlgedrahteten Schaltungen ein. SPR. 2: Damit wäre eigentlich alles gesagt, gäbe es nicht den Streit unter den psychotherapeutischen Schulen, zwischen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie. Eine Analyse hat 160 bis maximal 300 Sitzungen, die Verhaltenstherapie beschränkt sich dagegen auf höchstens 50 Stunden, endet häufig aber bereits nach 25 Behandlungen. Doch der Bremer Neurobiologe Gerhard Roth warnt vor Verhaltenstherapeuten, die kognitiv, also auf Verstandesebene, versuchen, psychische Probleme zu lösen. CUT 12: 1-B) 458-468 0:24 (Roth) Versucht der auf kognitiver Schiene mir beizubringen, das ist ja gar nicht so schlimm, du musst die Welt nur anders sehen, du bildest dir das alles nur ein, jetzt konditionieren wir nicht ein bisschen um und zeigen dir, Höhenangst ist absurd und Flugangst auch. So wie man sich das sehr orthodox vorgestellt hat. Bei aller Vorsicht kann man sagen, rein kognitive Ansätze haben keinen Effekt, das hat noch die einer zeigen können. SPR. 1: Das ruft Niels Birbaumer auf den Plan. Der Professor für medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen bezweifelt, dass sich der Nachweis neurologischer Veränderungen auf psychoanalytische Behandlung beschränkt. CUT 13: 1) 0:15-1:09 (Birbaumer) Meine Antwort, dass es ohnehin wohl sehr schwer untersuchbar ist, liegt darin, dass das Konzept der Psychoanalyse so schwammig ist, dass selbst, wenn Sie Änderungen nach drei Jahren auf der Couch liegend und redend im Gehirn feststellen würden, was Sie mit Sicherheit tun, denn nach jeder wiederholten Tätigkeit gibt es Veränderungen im Gehirn, könnte man das nicht spezifisch auf die Psychoanalyse zurückführen, denn kann man ebenso darauf zurückführen, dass man so lange immer über Sex redet, dass man über seine Kindheit reden muss, dass man stupide Träume wiedergeben muss oder ähnliches. SPR. 1: Jede Art von Behandlung, eine Psychoanalyse nimmt Niels Birbaumer da nicht aus, würde Veränderungen im Gehirn nach sich ziehen. Dasselbe tritt ein, sobald man sich verliebt oder wenn an sich gut ernährt. Gefühle sind bestimmten Gehirnarealen zuzuordnen. Dem stimmt er zu. Auch dass sich Veränderungen in diesen Hirnmodulen durch bildgebende Verfahren wie Magnetresonanztomografie sichtbar machen lassen. Der Tübinger Professor geht da sogar noch einen Schritt weiter. Diese Hirnaktivitäten, behauptet Niels Birbaumer, ließen sich durch menschliche Willenskraft steuern. CUT 14: 2) 3:04-3:47 (Birbaumer) Sie liegen in dem Scanner drin. Wir wählen ein Gehirnareal aus. Sie sehen dann die Aktivität ihres Gehirnareals auf dem Bildschirm in Form eines Lichtes. Es wird heller, wenn die Aktivität größer wird, es wird dunkler, wenn die Aktivität kleiner wird. Genau so wie sie Radfahren und jeden Sport über Beobachtung der Folgen ihres Tuns lernen, lernen sie es hier. In der Regel können sie binnen 20 bis 40 Minuten jedes Gehirnareals, das wir bisher ausgewählt haben, selbst kontrollieren. SPR. 1: Beispiel Höhenangst. Wie bei allen Angsterkrankungen ist auch hier die Amygdala, das Gehirnareal, die die Angst erzeugt, überaktiv. Negative Gefühle entstehen. Will man die Höhenangst vermeiden, steigt unweigerlich die Aktivität im Hirn. Ein Kreislauf - so Birbaumer - aus Angst, Vermeidung und Panik entsteht. CUT 15: 2) 5:15-6:02 (Birbaumer) Diese Hirnstrukturen, in denen gespeichert ist, dass ich, wenn ich auf einen Turm steige, runterfallen kann und zerschmettert am Boden liege, diese Assoziation wird überlagert durch die Assoziation, ich gehe auf den Turm, schaue runter und es passiert nichts. Sie müssen die Furcht bei dem Patienten auslösen. Aber ein wesentliches Element dieser Assoziation, nämlich die negative Folgen, unterbleibt. Damit fällt die entscheidende assoziative Verkettung, die meistens über diese limbischen Strukturen erfolgt, durch die Konfrontation weg. So können Sie auf den Turm gehen. SPR. 2: Was sagen Psychoanalytiker zu dieser Verhaltenskonditionierung? Erst einmal sei zu beobachten, dass nach geraumer Zeit viele Patienten erneut über dieselben Ängste klagen würden. SPR. 1: Im Umkehrschluss hieße es, dass Patienten, die mit verhaltenstherapeutischen Methoden behandelt wurden, keine Veränderungen ihrer Hirnstrukturen aufweisen dürften. Dies zu belegen, setzte - analog der Neuro-Psychoanalyse-Studie von Gerhard Roth - eine Langzeit-Beobachtung voraus, die bisher allerdings nicht zustande gekommen ist. SPR. 2: Zurück zum Streit zwischen Verhaltenstherapeuten und Psychoanalytikern. Es geht um Ursachenforschung. Psychoanalytiker wie Georg Bruns versuchen zusammen mit den Patienten das tieferliegende Verhaltensmuster zu erkunden. Warum reagieren manche in bestimmten Situationen ängstlich? Andere aggressiv, schüchtern, depressiv? In der Psychoanalyse soll der Patient ein Verständnis von sich und seinem Verhalten gewinnen, das über eine einzelne Situation hinausgeht. CUT 16: 2-A) 466-491 1:12 (Bruns) Da gibt es inzwischen einige große Studien, die bekannteste ist die consumer reports study aus den USA, die nachweist, dass die Behandlungserfolge bei höher frequenten, länger dauernden Therapien, das sind in der Regel die psychoanalytischen Behandlungen, deutlich stabiler sind, weil diese Behandlung nicht nur auf Symptome abzielt, sondern die zugrundeliegenden psychischen Strukturen so verändert, dass es nicht zur Entstehung neuer Symptome kommt. SPR. 2: Die Veränderung ist das Ziel jeder Therapie. Der Weg dorthin scheint jedoch vielfach schwieriger zu sein, als es die Verhaltenstherapeuten darstellen. Im Wissen, dass das Gehirn immer danach trachtet, Dinge zu automatisieren, blicken Psychoanalytiker dagegen in die Vergangenheit, spüren im Unbewussten ihrer Patienten Erlebnisse auf, die nicht nur ihr späteres Verhalten prägen, auch Einfluss haben auf die eigene Gen-Expression, auf die Entfaltung ihrer Erbguts. CUT 17: 2-B) 348-363 0:36 (Bruns) Auch im Bereich der Genetik ist es nicht einfach so, dass eine Eigenschaft vererbt wird oder nicht vererbt wird, sondern ob eine vererbte Eigenschaft überhaupt im Leben verwirklicht wird, hängt von der sogenannten Gen-Expression ab. Die Gen-Expression ist etwas, was sich in der Regel erst nachgeburtlich einstellt, das heißt durch bestimmte Faktoren wird ein Gen, das vorhanden ist, erst aktiviert. Was alles zu Gen-Expression führt, das ist etwas, worüber heute auch noch nicht alles bekannt ist. SPR. 1: Auf komplexe Fragen des menschlichen Verhaltens gibt eine einfach strukturierte Vererbungslehre klare und übersichtliche Antwort. Nach Ansicht us-amerikanischer Evolutionspsychologen stammt das Grundmuster unseres Verhaltens nach wie vor aus Urzeiten - und sei somit abgeschirmt vor äußerlichen Einflüssen. Eine These, die auch für Jörn Bullerdiek umstritten ist. CUT 18: 3-A) 74-83 0:34 (Bullerdiek) Weil wir im Moment lernen, das war ja lange eine Dogma, dass die Umwelt an der Hardware der Genetik gar nicht viel ändern kann. Wir sehen jetzt, dass es DNA- Modifizierungen geben kann, die offenbar von der Umwelt geprägt werden und die uns unser ganzes Leben lang begleiten. Wir sagen dazu auch Epigenetik, was auf die die Genetik draufgestülpt ist. SPR. 1: Jörn Bullerdiek ist Professor für Humangenetik an der Universität Bremen. CUT 19: 3-A) 132-140 0:48 (Bullerdiek) Dann gibt es eine große Anzahl von Genen, die werden reguliert, die werden immer nur unter bestimmten Bedingungen und in bestimmten Zellen als Information abgerufen. Das Abrufen nennen wir Gen-Expression. So ist es auch vorstellbar, dass bestimmte Verhaltensweisen, die wir haben, zumindest teilweise auf unterschiedliche Gen- Expressionen zurückzuführen sind und die Gen-Expressionen können wiederum in Wechselwirkung zur Umwelt stehen. Stress zum Beispiel ist ein Faktor, der in vielerlei Weise von der Umwelt gesteuert wird. Wir kennen auch den Stress, der auf die einzelnen Zellen wirkt und die Zellen dazu bringt, sich sehr schnell zu teilen. Das ist auch eine Form von Stress. SPR. 1: Traumatische Erlebnisse verändern das Erbgut. Stress gehört dazu. Selbst das ungeborene Kind kann im Mutterleib Stress ausgesetzt sein - mit bleibenden Folgen ein Leben lang. Es ergibt sich eine unauflösliche Vermischung zwischen genetischen und entwicklungsbedingten Merkmalen wie vorgeburtlichen Einflüssen und frühkindlichen Bindungserfahrungen. SPR. 2: Die psychoanalytische Sichtweise, wonach präverbale und unbewusste Erlebnisse die spätere Entwicklung maßgeblich bestimmen, gewinnt so an Verständnis und Überzeugungskraft. Verhaltenstherapeutische Ansätze hingegen, die sich darauf beschränken, Verhaltensmuster abzutrainieren, verlieren notgedrungen an Attraktivität. Ein Kind mit guten, verlässlichen und tragfähigen Bindungserfahrungen hat nach psychoanalytischer Vorstellung den besseren Start ins Lebens als ein Kind, das unter Beziehungsstörungen leidet. Gilt dasselbe auch aus Sicht der Genetiker? CUT 20: 3-A) 182-196 0:41 (Bullerdiek) Wenn Sie das vor 10 Jahren gefragt hätten, hätte man sicherlich gesagt, das wäre völlig im Bereich der Phantasie. Ich glaube, ich auch. Wenn wir das heute fragen vor dem Hintergrund einiger aktueller Publikationen, dann muss man sagen, das sind Ansätze, die man bedenken muss. Ob das ist so ist, kann ich schlecht beurteilen, aber ich würde es zu mindestens nicht ausschließen. Und man hätte Mechanismen, über die man sich das erklären kann. Das ist ja auch immer ein Problem in der Naturwissenschaft, das man gar nicht so genau den Mechanismus dahinter ableiten kann, den hätte man über solche epigenetische Veränderungen möglicherweise zur Verfügung. SPR. 1: Ob vererbte Eigenschaften zum Tragen kommen, hängt von der Epigenetik ab, von Gen-Expression ab, also der Frage, unter welchen sozialen Umständen der Einzelne aufwächst und lebt. Die Zeit scheint für die Psychoanalytik zu arbeiten. Auch die Neurobiologe hat die unbewussten Verhaltensmuster entdeckt und sie in Verbindung mit bestimmten Hirnarealen gebracht. Der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth, der die Neuro-Psychoanalyse-Studie initiierte, hat mithilfe bildgebender Verfahren sichtbar gemacht, dass sich im Laufe einer psychoanalytischen Therapie Gehirnfunktionen verändern. Er hat gezeigt, wie sich die abgebildeten Hirnfunktionen depressiver Patienten im Laufe der Psychoanalyse denen der nicht-depressiven Kontrollgruppe angeglichen haben. CUT 21: 1-B) 96-118 0:21 (Roth) Die Schwierigkeit beginnt mit der Feinheit, also worin unterscheidet sich ein Patient mit einer Angststörung von einem Patienten mit einer Depression. Das ist die große Schwierigkeit, das wird man erst in 10, 15 Jahren können, dass man so subtile Messmethoden hat, die werden gerade von einem Kollegen von mir entwickelt, dass man sogar auf individuelle Ebene was zeigen kann. SPR. 2: Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, war selbst Neurologe und Hirnforscher und wollte seine Erkenntnisse über das Unbewusste der Menschen naturwissenschaftlich belegen. Das misslang ihm, er musste scheitern. In der damaligen Zeit gab es keine bildgebenden Verfahren, keine Kernspintomografie und keine funktionelle Magnetresonanztomografie. Dem Gehirn konnten Freud und seine Mitstreiter bei der Arbeit nicht zusehen. In der Folgezeit zog sich die Psychoanalyse, manche sprechen auch vom psychodynamischen Therapieansatz, zunehmend zurück und fürchtete, empirische überprüft zu werden. CUT 22: 1-B) 325-328 0:20 (Roth) Und davor hatte man Angst. Und man muss sagen, bis vor fünf, sechs Jahren war das auch nicht untersuchbar. Heute kommt das Umgekehrte heraus, das es sehr schwierig ist, den klassisch orthodoxe Ansatz der kognitiven Verhaltenstherapie zu verifizieren, während der psychodynamische Ansatz eigentlich eher von der Hirnforschung unterstützt wird. Das ist die Ironie der Geschichte. SPR. 1: Hirnforscher Gerhard Roth sucht nach Gründen, warum sich Menschen so schwer tun, sich zu verändern. Naturwissenschaftler wollen erklären, Psychotherapeuten verstehen. Der Dialog zwischen Psychoanalytikern und Neurobiologen ist noch neu. Beiden geht es darum, die Macht des Unbewussten auf das menschliche Verhalten zu entschlüsseln. SPR. 2: Psychoanalytikern wird häufig vorgeworfen, ihre Therapie dauere zu lange, sei zu teuer und ihr Ansatz zu vage. Für Psychoanalytiker zählt vor allem der Nachweis der Wirksamkeit, allein er sichert den Verbleib ihres Therapieverfahrens im Leistungskatalog der Krankenkassen. Indem Gerhard Roth neurobiologische Veränderungen mithilfe bildgebender Verfahren dokumentiert und so die Wirksamkeit der Therapien naturwissenschaftlich belegt, gibt nun erstmals ein Hirnforscher der psychoanalytischen Deutung recht. *** Zitate: PEV: Gerhard Roth: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern; Klett-Cotta 2007 PNT: Marianne Leuzinger-Bohleber, Gerhard Roth, Anna Buchheim: Psychoanalyse, Neurobiologie, Trauma; Schattauer 2008 2