DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 09.11.2010 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr Analogkäse schmeckt besser! Wie sich Public Relation als fünfte Gewalt etabliert Von Jörg Wagner Co-Produktion RBB/DLF URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - ATMO: Indisches Restaurant , Musik AUTOR: Ein ganz gewöhnliches Restaurant. Eins von über 80 000 in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist zufällig ein indisches. Die Speisekarte hatte gelockt. Der Käse über der Spezialsoße sah verführerisch aus. ATMO: Indisches Restaurant Was ist denn da eigentlich für Käse drauf? NN: Hausgemachter Käse. Wir kaufen frische Milch. Wir machen den selber. So richtig nach indischem Rezept, oder? NN: Ja. (lacht) AUTOR: Das Lachen könnte heißen, wenn Du es hören willst, dass wir den Käse selber machen, frische Milch kaufen und nach indischem Rezept zubereiten, dann erzählen wir diese Geschichte. Geschichtenerzählen ist ein wichtiger Stützpfeiler der Lebensmittelindustrie. Mit Bären, die über die Alm milchkannenschwenkenderweise das Gefühl glücklicher Kühe vermitteln. Rote Windmühlen in Pommern, die es nicht gibt. Mittelalterliche Zubereitung von Haselnusscreme im Waffelgebäck durch liebliche Jungfrauen. MUSIK-AKZENT ATMO: TV-Werbung: Rügenwalder AUTOR: Moderne Kurzmärchen mit einem Riesenbudget. 3,8 Milliarden Euro Werbedruck. Fast dreimal soviel wie in der Automobilindustrie. Nun versuchen die Werbeprofis jeder Zeit, den Gebrauchswert von Waren hochzujubeln, Produkte aus ihrer Anonymität zu reißen, sie mit Bedeutung aufzuladen. MUSIK AUTOR: Ein legales Geschäft mit der Lüge, der Illusion, mit dem Herstellen von Träumen. Doch schleichend, fast unsichtbar besetzt inzwischen eine andere Macht unsere Sinne. Und wird real. Bestimmt unseren gesamten Lebensalltag. MUSIK-AKZENT Sprecherin: Analogkäse schmeckt besser Wie sich Public Relation als fünfte Gewalt etabliert Ein Feature von Jörg Wagner ATMO: WERBESPOT Analogkäse ATMO Pizzeria AUTOR: Hier riecht es nach Pizza. Auch hier ist möglicherweise Käse mit im Spiel. Aber: Käse ist aus Milch gemacht. Dieser Käse ist anders. Er sieht zwar aus wie Käse, wird verkauft als Käse. Ist jedoch kein Käse. 100 000 Tonnen davon landen jährlich auch auf Pizzen. Als Analog-Käse. Lebensmittelchemiker Udo Pollmer: MUSIK O-TON Udo Pollmer, Lebensmittelchemiker Im Analogkäse ist gar kein Käse drin. Und Milchfett wird sowieso nicht verwendet, weil das zu teuer ist. Sondern da nimmt man das billige Pflanzenöl. Auch das kann man entsprechender Weise strecken. Und sie haben jede Menge Wasser drin. Sie wissen ja, man soll ja viel trinken. ATMO: WERBESPOT Analogkäse AUTOR: Entwickelt wurde der Analog-Käse Ende des 19. Jahrhunderts in den USA. Im englischen Original heißt er cheese analogue und meint Käseersatz. Käseimitat oder Kunstkäse. Die Eindeutschung als Analog-Käse war eher ein Versehen sprachunkundiger Journalisten als eine PR-Nebelkerze. Die Lebensmittel-Industrie hat stillgehalten. In anderen Fällen jedoch skrupellos gefälscht. O-TON Udo Pollmer, Lebensmittelchemiker Da gibt es sehr viele Beispiele. Und eins der Klassiker das wäre dann der Seelachs. Damit hat das eigentlich angefangen. Das waren rein kommerziellen Überlegungen, warum dieser Köhler genannte Fisch dann eben in Lachs umbenannt worden ist oder nehmen Sie eine neuere Schöpfung die Invertzuckercreme. Es handelt sich um Kunsthonig. Aber das Wort Kunst hat im Lauf der Zeit ein etwas schlechteres Image bekommen. Oder wenn dann Krabben oder so etwas nachgeahmt werden, dann spricht man von surimi. Das ist dann auch der korrekte Ausdruck. Weil im Japanischen meint das, dass das eben Fischbrei ist und der deutsche Gesetzgeber unterstellt letztlich, dass der Deutsche des japanischen soweit mächtig ist, dass wenn er surimi liest, dann ganz automatisch nicht getäuscht wird. AUTOR: Namenstäuschung im großen Stil durch eine Gewalt, die inzwischen als fünfte etabliert ist. Schleichend, tricksend, manipulierend gewinnt die fünfte an Boden: die Public-Relations-Branche. Hochspezialisierte Fachleute, die für ihre Auftraggeber nicht nur Öffentlichkeit herstellen, sondern in ihrem Sinn beeinflussen. O-TON Udo Pollmer, Lebensmittelchemiker Sie haut erst einmal jahrelang Mist in die Köpfe hinein und nachher fragt sie nach, was der Kunde haben will und da erzählt er natürlich genau das, was er 10 Jahre lang im Fernsehen gesehen hat und auf diese Weise ist ein schier unangreifbares System entstanden, ein System der Täuschung. Die Verbraucher, die müssen einfach essen, was auf den Tisch kommt. MUSIK AUTOR: Trickserei, Schönfärberei, Täuschung, Manipulation, Betrug ? der Handwerkskasten der PR-Branche ist gut gefüllt. Das Internet mit seiner oft ungewissen Quellenlage scheint besonders geeignet für die offene Lüge. ATMO: Bahnprivatisierung AUTOR: Es sieht aus wie eine normale Straßenumfrage, etwas laienhafter als medial üblich. Passend zur YouTube-Plattform im Netz, wo Millionen ruckelige Amateurvideos das echte Leben dokumentieren. Doch diese Straßenumfrage ist eine Fälschung der Agentur European Public Policy Advisers GmbH, verantwortet zusammen mit der Denkfabrik Berlinpolis. Aufgedeckt hat sie 2009 der Verein LobbyControl in Köln. Eine gemeinnützige Organisation, die sich für Transparenz in der Politik einsetzt und Beschränkungen für Lobbyisten fordert. LobbyControl finanziert sich im wesentlichen durch Spenden. Die Mitarbeiter treibt die Sorge, dass die, die das meiste Geld haben, auch am meisten Politik beeinflussen. Heidi Klein von LobbyControl: O-TON Heidi Klein, LobbyControl: Wir haben schon länger bemerkt, jetzt im Falle der Deutschen Bahn, das bestimmte Äußerungen, die von dieser Agentur, die von der Deutschen Bahn beauftragt worden ist, merkwürdig waren, dass wir gedacht haben, warum äußert sich zum Beispiel eine Agentur zur Frage der Bahnprivatisierung, wenn dahinter kein Auftraggeber steckt, warum äußert sich diese selbe Agentur zum Lokführerstreik und zwar immer im Sinne des Bahnmanagements und diese Agentur hat uns dann mehrfach versichert, dass da kein Auftraggeber dahinter steckt, das heißt, da war auch eine Lüge im Spiel. ATMO: Bahnprivatisierung AUTOR: Die Überraschung war, ... O-TON Heidi Klein, LobbyControl: ... dass dabei nicht erkennbar sein sollte, dass die Deutsche Bahn als Auftraggeber dahinter steckte. Das heißt, eine Agentur hat getan, als würde sie sozusagen als einzelne Experten oder engagierte Bürger zum Beispiel Beiträge in online-Foren schreiben, Beiträge in Zeitungen veröffentlichen, Leserbriefe auch in renommierten Zeitungen zum Beispiel der Financial Times und Tagesspiegel oder auch in Foren von Spiegel online sind solche Dinge erschienen. Und da war für den Leser oder die Zuhörer nicht mehr erkennbar, dass dahinter die Bahn steckte, die damit versucht hat, ihr Interesse an einer Privatisierung durchzusetzen. AUTOR: Bei der Bahnprivatisierung geht es um den Vorrang von Kapitalinteressen - vor der Qualität der öffentlichen Dienstleistung. Geschätzter angestrebter Kapitalzufluss: zwei Milliarden Euro. ATMO: WERBESPOT Analogkäse ATMO: Soundbite Internet Wahlkampf/Frank-Walter Steinmeier, SPD und Soundbite Obama (Klingelton) - abwechselnd AUTOR: Seit dem Obama-Wahlkampf 2008 in den USA ist man auch quer durch die bundesdeutsche Politik elektrisiert von der Mobilisierungs- und Darstellungsmöglichkeit des Internets. Wahlkampfstrategen aller Parteien trugen im Bundestagswahlkampf ihre Polit-Botschaften in soziale Netzwerke wie Facebook und studiVZ oder richteten hastig spezielle Webseiten ein, um Sympathisanten zu rekrutieren. MUSIK-AKZENT ATMO: Soundbite Internet Wahlkampf/ Dirk Niebel, FDP MUSIK-AKZENT AUTOR: Im Schneeballprinzip potenzierte sich der Informationsfluss der Parteien in Richtung Wähler. Das klassische Wahlkampfplakat übernimmt schon jetzt nur noch die Funktion eines Erinnerungszettels für den Wahltermin. Noch ist die Kampagnenfähigkeit des Netzes am Anfang. Die digitalen Wahlkampfarenen im web wurden nach der Bundestagswahl 2009 wieder abgebaut. MUSIK AUTOR: Eine absurde Wiederbelebung der hoch gelobten Partizipation mündiger Wähler erlebte das Netz im Früh-Sommer 2010. In zweifelhafter Kombination mit den klassischen Medien! MUSIK ATMO: Collage: Joachim Gauck (im Hintergrund) AUTOR: Ein Team von 20 Leuten der Grünen und der SPD war allein dafür abgestellt, die Pressearbeit für ihren gemeinsam Kandidaten Gauck zu koordinieren. Das heißt, ihn in die Medien zu schleusen. Als ginge es um eine Bundestagswahl. Andreas Schulze, von Bündnis 90/Die Grünen und zweiter Pressesprecher von Joachim Gauck: O-TON Andreas Schulze, 2. Gauck-Pressesprecher Ich gebe zu, dass also in der Pressearbeit dieses erste Wochenende als ein ganz entscheidendes wahrgenommen wurde, weil natürlich klar ist, man braucht sofort einen großen medialen Anschub. Wenn da die beiden großen meinungsbildenden Verlagshäuser mitspielen und die haben wir sofort aufgesucht: Wir waren sofort bei der Bild und auch der Spiegel war sofort bedient. Wenn man die sofort auf seiner Seite hat, dann hat man gute Chancen einen Mainstream in der Berichterstattung hinzukriegen. AUTOR: Am Montag nach der Kandidaten-Vorstellung erschien der SPIEGEL mit dem Titel mit: "Joachim Gauck. Der bessere Präsident." Ein Griff zum Hörer zerstört jedoch den Mythos der Polit-PR. SPIEGEL-Chefredakteur Georg Mascolo dementiert: O-TON Georg Mascolo, Chefredakteur SPIEGEL Da ist ja eine heiße These. Den kenn ich gar nicht. Es ist niemand auf den SPIEGEL zugegangen. Die Entscheidung hat die Chefredaktion getroffen und die Chefredaktion hat darüber weder mit den Grünen noch mit irgendjemandem sonst in der Politik zuvor gesprochen, so wie das hier auch sonst nicht stattfindet. AUTOR: Bild am Sonntag titelte: Sprecher: Yes we Gauck! AUTOR: superIllu: Sprecher: Joachim Gauck ? Präsident der Herzen. AUTOR: Parallel zur Sympathie der Profi-Medien rollte eine Unterstützerwelle für den unterlegenen, fast aussichtslosen Kandidaten an. Sie wirkte ungeplant, spontan. Es entstanden unzählige Facebook-Unterstützerseiten. Auch Joachim Gauck selbst tauchte bei Facebook auf. Zitat: Sprecher: "Wenn ich mich Ihnen vorstelle, möchte ich meine Leitgedanken, meine politischen Schwerpunkte und Ziele nicht in Thesen fassen. Vielmehr möchte ich von Erfahrungen sprechen, die mich geprägt haben und den aus mir gemacht haben, der heute vor Ihnen steht." AUTOR: Im September 2010 verlieh der PR-Berufsverband Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) an Joachim Gauck den: Sprecher: "Internationalen Deutschen PR-Preis 2010" AUTOR: Er wird damit ausgezeichnet als ... Sprecher: "Kommunikator des Jahres 2010" AUTOR: Joachim Gauck reagiert bei Fragen nach der Echtheit der Internet-Zitate zunächst ausweichend. Dann abweisend. Sein erster Pressesprecher unterbricht, doch Gauck besinnt sich. O-TON Joachim Gauck, Bundespräsidentschaftskandidat Sie haben offensichtlich etwas im Kopf, was ich gar nicht kenne, die muss ich dann auch gar nicht weiter kommentieren. Aber ich kann mich nicht für alles verbürgen, was im Netz steht. Ich bin dort gar nicht unterwegs. Aber es ist jetzt relativ banal zu sagen, kann sein, kann nicht sein. AUTOR: Doch wer war dann mit dem Namen Joachim Gauck im Netz unterwegs? Anfragen blieben unbeantwortet. Dafür landeten E-Mails von den Grünen im Postfach, mit Spendenaufrufen. Sprecher: "Die vielen Unterstützerideen, die es gibt, kosten neben viel Zeit auch Geld. ( ... ) Wenn Du selbst spenden willst oder andere zum Spenden aufrufen willst, findest Du hier einen Textbaustein vom Unterstützerteam." AUTOR: Das Vortäuschen einer Graswurzelbewegung, einer spontanen Aktion von Privatpersonen für kommerzielle oder politische Werbeprojekte, ist kein Einzelphänomen. Dafür gibt es inzwischen einen eigenen Fachbegriff. Astroturfing. Ein Wortspiel mit Graswurzel und dem seit 1965 eingeführten Markennamen AstroTurf für KUNSTrasen. ATMO: Anwählen Internet-Telefonie Autor: Es mehren sich Anzeichen, dass auch bei den Protesten gegen Stuttgart 21 PR-Agenturen per facebook und twitter Bürgerproteste mit Pro-Stimmen neutralisieren wollen. John F. Nebel vom Medienblog Metronaut O-TON John F. Nebel, Medienblog Metronaut Im Zusammenhang mit Stuttgart 21 bin ich auf Astroturfing aufmerksam geworden, nachdem dort relativ viele twitter-Accounts aufgetaucht sind, die massiv und auf eine ganz besonders aggressive Art und Weise Stimmung gemacht haben, gegen die Gegner von Stuttgart 21. ATMO: WERBESPOT Analogkäse AUTOR: Im modernen politischen Kommunikationseifer geht es vor allem darum, Botschaften mit dem gewünschten Manipulationseffekt an Journalisten vorbei, über das weltweite Web direkt an den Empfänger zu leiten. US-Präsident Obama machte es vor. Noch heute profitiert er vom Wahlkampf-E-Mail-Verteiler, um direkt für seine Politik zu werben. Die Journalisten erhalten zeitgleich mit dem Normalbürger die Argumente des Präsidenten. Der Wissensvorsprung, Gelegenheit für Recherche geht gegen Null. So dramatisch ist es in der Berliner Republik noch nicht. ATMO: Videopodcast Angela Merkel AUTOR: Der Videopodcast der Kanzlerin: eher konventionell. Aber mit kalkulierter Wirkung. Der Ex-Journalist Michael Spreng, heute Medien- und Politikberater, weiß, wovon er spricht. Er hatte Edmund Stoiber gegen Gerhard Schröder bei den Bundestagswahlen 2002 in Stellung gebracht: O-TON Michael Spreng, Politikberater Angela Merkel und ihre Berater beherrschen natürlich das Handwerk der politischen Inszenierung. Viel auffallender aber finde ich bei Angela Merkels Öffentlichkeitsstrategie, dass es ihr am meisten von allen Regierungschefs bisher gelungen ist, Herrin über ihr eigenes Wort zu sein. Also durch die Einführung des Videopodcastes zum Beispiel und dadurch, dass diese Videopodcasts auch von öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, von Fernsehsendern in Nachrichtensendungen übernommen werden, hat sie die völlige Kontrolle über das, was sie sagt. AUTOR: Polit-PR im Tarnkleid des web 2.0. Merkel-Vertrauter und Kommunikationsexperte Thomas Heilmann. O-TON Thomas Heilmann, Kommunikationsexperte und Merkel-Vertrauter Das Videopodcast ist ja eine absenderzentrierte Botschaft, nur nicht in Form einer Pressemitteilung, sondern in der Form eines Videos eben. Das ist aber gerade keine interaktive, partizipative Kommunikationsrolle. Gibt es auch gar nicht vor, dass es das sei. Frau Merkel bildet ihre Meinung eben nicht in Foren und ist da auch nie. Die surft abends nicht. AUTOR: Die Steuerung der Medien funktioniert weiterhin vornehmlich mit gewohnten, wenn auch leicht modifizierten Tricks, wie die Hamburger Medienwissenschaftler Leif Kramp und Steffen Weichert erfuhren. ATMO: Leif Kramp, wissenschaftlicher Mitarbeiter/Stefan Weichert, Professor für Journalistik Kramp: Ein solcher Trick wurde uns auch geschildert. Aus erster Hand. Den Namen brauche ich jetzt hier nicht zu nennen, dass tatsächlich Chefredakteure wieder mal wieder in der viel besagten Provinz angerufen werden, um den Korrespondenten, der wiederum in Berlin tatsächlich sitzt und es eigentlich besser weiß, vorgeben beziehungsweise sagen, geh doch mal dieser Geschichte nach. Ich habe da so meine Quellen. Also, dass auf diesem Umweg tatsächlich versucht wird, Themen zu setzen und die Medienarbeiter, die Journalisten vor Ort gefügig zu machen. Weichert: Es wurde auch in einem der Gespräche geäußert, es gäbe so etwas wie eine Springer-Döpfner-Connection, also tatsächlich auf der verlegerischen Ebene, wo Politiker im höchsten Amte tatsächlich Anrufe tätigen oder zumindest Nachrichten überbringen lassen, dass man Themen-Agenden etwas anders setzt, als sie vorgesehen waren. Also so etwas hat man uns schon bestätigt und auch aus Kreisen im Kanzleramt war zu hören, dass es direkte Kontakte aus der Politik zum Journalismus natürlich gibt. Zweifellos, wenn auch nicht vielleicht per Telefon, wie es früher der Fall war, sondern eher per SMS wird hier direkt zwischen Kanzleramt und Journalismus kommuniziert. ATMO: Straße AUTOR: Zwei Autominuten vom Reichstag, dem Sitz des Deutschen Bundestags entfernt, befindet sich das ZDF-Hauptstadtstudio. ATMO: ZDF innen AUTOR: Hier entsteht alle zwei Wochen im Wechsel mit der ARD das Morgenmagazin. Der ehemalige FAZ-Journalist Wulf Schmiese ist relativ neu dabei und kennt die Begehrlichkeiten der Politik, mit ihren PR-Texten in die Medien zu kommen. Doch bei der Zeitung hatte man als Journalist Zeit, Texte zu recherchieren und zu redigieren. Das Live-Fernsehen ist gnadenlos. Was raus ist, ist raus. Fast mühelos auf dem Weg zur Arbeit in die politische Mitte, schnell im Vorübergehen beim ZDF gebührenfinanzierte PR-Nachrichten für den Tag zu produzieren, ist eine große Versuchung, die zu einer langen Gästeliste führt. O-TON Wulf Schmiese, ZDF-Moderator und EX-FAZ-Journalist Wir gehen recht strikt damit um, ehrlich gesagt. Wir hatten in der vorvergangenen Woche jemanden aus dem Kabinett, der mit einer Botschaft reindrängen wollte. Diese Botschaft hielten wir aber für, ehrlich gesagt, eine aufgebauschte Propagandabotschaft für sein eigenes Haus und deswegen haben wir gesagt und entschieden hier, das machen wir nicht. Wir wollen nicht Verlautbarungen geben von irgendwelchen Politikern. ATMO: Morgenmagazin MUSIK-AKZENT O-TON: Wulf Schmiese, ZDF-Moderator und Ex-FAZ-Journalist Klar, setzen die Politiker an die Stellen, die für sie das Scharnier sind zwischen der Presse und damit der Öffentlichkeit und dem politischen Betrieb immer Spin-Doktoren. Man hat das früher nicht sogenannt. Ein Regierungssprecher ruft entweder vor einem Artikel an: "Ich wollte Ihnen noch sagen, das Gespräch mit Merkel und Sarkozy ist großartig gelaufen. Sarkozy hat dies und jenes gesagt und ist damit Frau Merkel gefolgt." Das ist der Spin einer Geschichte, der dann vorgegeben wird und man muss immer auf Distanz sein und damit skeptisch umgehen. AUTOR: PR-Mann Klaus Kocks denkt größer. Er ist Meinungsforscher und Kommunikationsberater. Für ihn ist die Macht der Spin-Doktoren eine Verschwörungstheorie, die den Blick vernebelt auf die wahren Strukturen. O-TON Klaus Kocks, PR-Mann Die Pflege der öffentlichen Meinung ist eine Industrie geworden. Und das ist historisch neu. Als Industrie. Und die andere Gruppe ist eine völlig diffuse breite Öffentlichkeit, die das Internet eröffnet hat. So. Wir verlieren das Monopol der klassischen Medien. Es dringt eine neue kapitalkräftige und handwerklich nicht schlecht gestellte Gruppe ein und das ist PR. Und es dringt eine dritte Gruppe ein, die Einfluss hat und über die man Einfluss nehmen kann. Und das ist das, was man so die Blogossphäre nennt. Also, das web. ATMO: wikileaks-Video im Netz vom Hubschrauberangriff auf Zivilisten AUTOR: Wikileaks. Wiki hat sich als Begriff für eine thematisch sortierte Sammlung von Informationen etabliert. Leak, heißt soviel wie Durchsickern. Und im Frühjahr 2010 sickerte mittels gezielter Indiskretion auf wikileaks.org durch, dass die Besatzung eines US-Helikopter in der irakischen Hauptstadt Zivilisten erschossen hatte - festgehalten auf einem Video, das mit dem Rekorder des Hubschraubers gemacht wurde. In mehreren Salven werden mit zynischen Sprüchen begleitet auch zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters getötet. ATMO: wikileaks-Video im Netz vom Hubschrauberangriff auf Zivilisten AUTOR: In der US-Regierung ist man empört. Nicht wegen der Morde an Zivilisten. Wegen des Verräters, mutmaßlich ein US-Armist, der dieses geheime Militärvideo anonym wikileaks zugespielt hatte. Kurz darauf die nächste Enthüllung. ATMO: Tagesschau: "Die Internetseite wikileaks stellte rund 75 000 Dokumente des US-Militärs frei abrufbar ins Netz."/Bericht AUTOR: Der ehemalige wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt zur eingeleiteten Diffamierungs-PR des Pentagon. O-TON Daniel Schmitt, Ex-Sprecher wikileaks Es gibt eine extrem ausgefeilte PR-Strategie. Das sind sehr subtile Dinge. Das beginnt damit, dass man versucht, die Geschehnisse in dem Video zu relativieren, ja? Man versucht überhaupt abzuwiegeln, wie relevant dieses Material ist. Das sehen wir bei den Afghanistan-Papieren ja jetzt auch. Das heißt immer wieder, dass es alles vorher schon bekannt ist, keine Neuigkeiten, ja man versucht das herunterzuspielen. Und auf der anderen Seite sagt man, das ist eine Gefährdung der nationalen Sicherheit oder wie auch immer. Diese beiden Aussagen widersprechen sich halt einfach, ja. Wenn wir sehen, dass vom US Militär eine Studie veröffentlicht wurde, die sich damit beschäftigt, wie man unsere Veröffentlichungen diskreditieren kann, dann gehe ich davon aus, dass dort schon ein recht hoher Aufwand investiert wird. AUTOR: Laut AP-Recherchen verfügt das Pentagon über 27 000 Personen, die ausschließlich für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig sind und jährlich 4,7 Milliarden Dollar kosten. ATMO: Krieg AUTOR: Im Krieg stirbt die Wahrheit bekanntlich zuerst. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs: ATMO: Adolf Hitler: "Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurück geschossen!" AUTOR: Eine Inszenierung der SS. Der Eintritt der USA in den Vietnamkrieg 1964? Vietnamesische Torpedoboote beschießen den US-Zerstörer "Maddox" im Golf von Tongking. Nach fünf Stunden wurde zurück geschossen. Vier Jahre später kommt ein Untersuchungsausschuss zum Urteil: Sprecher: "Die noch malige Überprüfung der Akten lässt viele der gemeldeten Feindberührungen und registrierte Torpedo-Abschüsse zweifelhaft erscheinen" AUTOR: Der Golfkrieg 1991 wird emotional vorbereitet mit: einer Lüge. ATMO: Nijirah al Sabah, die Tochter des Kuwaitischen Botschafters AUTOR: Irakische Soldaten hätten Babys aus Brutkästen eines kuwaitischen Krankenhauses geworfen. ATMO: George Bushs Empörung AUTOR: Die Empörung des Präsidenten Bush war gespielt, das Drehbuch kam von der PR-Firma Hill & Knowlton. Honorar: 10 Millionen Dollar. Der jüngste Irakkrieg? Die CIA wollte Massenvernichtungswaffen entdeckt haben. Sie wurden nie gefunden. Eine ehemalige Mitarbeiterin von Hill & Knowlton erfand die Strategie das "embedded journalism?, des vom Militär kontrollierten Journalismus. O-TON Klaus Kocks, PR-Mann Für einen Historiker ist der sogenannte Kriegsgrund Casus Belli nie eine Frage der Wahrheit gewesen. Casus Belli ist immer eine Geschichte gewesen, die Verteidigungsbereitschaft erzeugen soll. Also, den unnatürlichen Hang meine eigenen Kinder zu opfern. Wir haben bei den amerikanischen Beispielen erlebt, dass es eine erstaunliche Skrupellosigkeit von PR Agenturen gab, eben auch wirklich zu fälschen. Das heißt, die Nichte des Botschafters als gefakte Krankenschwester da im Fernsehfilm einzusetzen. MUSIK AUTOR: 2009. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erhält beim Politikkongress in Berlin einen Preis - den Politikaward. Gestiftet von der Fachzeitschrift "politik und Kommunikation" einem Blatt aus dem Hause Helios Media. Verteilt zur Förderung der Professionalisierung der politischen Kommunikation. Selbstbeschreibung: Sprecher: "Helios Media stellt seit dem Jahr 2000 Informationen für die Berufsgruppen an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Medien bereit." AUTOR: Thomas Leif, Chefreporter des Südwestrundfunks und Vorsitzender der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche: O-TON Thomas Leif, Vorsitzender Netzwerk Recherche Helios GmbH ist im Grunde so etwas wie eine große Drehscheibe der Lobbyszene und PR-Szene. Die Gründer haben das zu einem Geschäftsmodell entwickelt, dass sie die Anziehungskraft des Lobbyismus und die vielfältigen Aktivitäten und die Geldquellen anzapfen, und um diesen Kreis, um diesen Tätigkeitskreis Geschäftsmodelle, Dienstleistungen, Service, aber auch gekaufte Kommunikation anbieten. AUTOR: Politikaward-Preisträger Karl-Theodor zu Guttenberg erhielt die Auszeichnung aus den Händen des heutigen Focus-Chefs Wolfgang Weimer, denn Politneuling zu Guttenberg machte besonders durch seine medialen Auftritte von sich reden. Medien faszinierten ihn schon früh. Bevor er 2002 in die Politik eintrat, absolvierte er ein Praktikum bei der WELT. Der damalige Chef: Laudator Wolfgang Weimer. O-TON Karl-Theodor zu Guttenberg, Bundesverteidigungsminister Der Journalismus war damals ein Gebiet, das mich unglaublich fasziniert hatte, das mich gereizt hatte. Die Faszination hält bis heute an. Das hat jetzt eine unterschiedliche Sichtweise bekommen. Aber zu wissen, heute auch wie man auf der jeweiligen Seite denkt, wie man handelt, auch seine Eitelkeiten jeweils mit ins Spiel bringt, kann manchmal nicht nur ganz hilfreich sein, sondern ist Teil vieler großer Facetten, mit denen wir befasst sind. AUTOR: PR-Profi Klaus Kocks O-TON Klaus Kocks, PR-Mann Das, was da Herr, äh der Bundesverteidigungsminister, der nun, wie ich das richtig verstanden habe, auch Bundeskriegsminister genannt werden darf, weil er einen Krieg führt, vollführt, ist eine hoch professionelle Mischform, bei dem die Nackenhaare aller Demokraten gefordert sind. Ich weiß nicht genau, bei dem, was sich dort sehe, ist das die Armani-Reklame für den neuen Anzug? Ist das eine Inszenierungskampagne für einen fränkischen Popstar? Oder ist das ein Regierungsmitglied bei Amtsausübung? AUTOR: Zu Guttenberg im Hoch der Finanzkrise mit Sektlaune auf dem New Yorker Time Square, im AC/DC-T-Shirt und als altmeisterliches Porträt im diffusen Licht einer Bundeswehr-Transportmaschine hoch in der Luft zwischen Afghanistan und Deutschland. O-TON Karl-Theodor zu Guttenberg, Bundesverteidigungsminister Ich sehe das mit Distanz und mit dem notwendigen Humor. So ein Bild wie in dieser Maschine nach Afghanistan lässt sich gar nicht inszenieren und ich ziehe den Hut vor diesem Fotografen in dem Moment. Das ist großartig gelungen, ein tolles Bild. Mir liegt nicht an Inszenierung. Ganz und gar nicht. Aber manchmal wundert man sich, welche Bilder tatsächlich entstehen können und wie man sich danach mit den Bildern auseinander zusetzen hat. MUSIK Sprecher: "Deutschland steht vor einer zentralen Zukunftsfrage: Wie sieht eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung aus?? AUTOR: "Energiepolitischer Appell? steht über der Anzeige der Energiewirtschaft. In Wahrheit ist es der Appell, die Energiewirtschaft finanziell zu entlasten, die Profitabilität ihrer Dienstleistung zu erhöhen. Das Aussetzen der von rot-grün beschlossenen Kernkraftwerksstilllegungen brächte immerhin zusätzlich eine Million Euro. Pro Tag und abgeschriebenem Kernkraftwerk. Thomas Leif, Netzwerk Recherche: O-TON Thomas Leif, Vorsitzender Netzwerk Recherche Dieser Lobbyismus und die Anzeige ist das letzte Glied in einer langen Kette. Vorangegangen ist eine große Studie im Auftrag von EON, wo alle schmutzigen Tricks der PR auf einen Schlag nachzulesen sind und auch im Internet verfügbar ist. Und diese Anzeigenkampagne wird, meiner Ansicht nach, in der Öffentlichkeit vollkommen falsch interpretiert. Dies ist kein Zeichen der Offenheit, sondern das war das Schlusssignal einer Erpressung der Kanzlerin. Sprecher: "Erneuerbare Energien ? insbesondere die Sonnenenergie ? verursachen aber auf lange Sicht noch erhebliche Mehrkosten, in diesem Jahr allein acht Milliarden Euro. Damit die Preise für alle bezahlbar bleiben, können wir bis auf Weiteres nicht auf kostengünstige Kohle und Kernenergie verzichten.? AUTOR: Heidi Klein, LobbyControl O-TON Heidi Klein, LobbyControl Das ist ja nicht die erste Anzeigenkampagne der Atomindustrie, die wir zurzeit erleben. Das ist eine Strategie, die schon seit mehreren Jahren gefahren wird und die sicherlich eingebettet ist in eine umfassende Lobby-Strategie. Das ist etwas, was man häufig beobachtet, dass eine Industrie, die unter Druck kommt durch anstehende Regulierung von Seiten der Politik, dass sie versucht durch eine umfassende Lobby-Kampagne, die eben auch PR-Maßnahmen wie Anzeigen umfasst, diese politische Regulierung zu verhindern. Sprecher: "Realistisch bleiben: Deutschland braucht weiter Kernenergie und Kohle? MUSIK AUTOR: Kommunikationsberater Klaus Kocks: O-TON Klaus Kocks, PR-Mann Wenn Sie sich dafür eine ganze Seite in einer Tageszeitung kaufen und dann, wenn Sie einmal ganz genau hingucken, die Inhalte mager drucken und die Unterschriften darunter fett, und genauso war das, dann war die Botschaft ja wohl nicht das, was da drin steht. Sondern die Botschaft war, wer darunter steht. Es ist ungewöhnlich in einer parlamentarischen Demokratie unmittelbar vor einer Entscheidung die Entscheidungsträger, namentlich die Kanzlerin in einer Anzeige zurechtzuweisen. AUTOR: Christian Rohde, Recherche-Journalist beim ZDF-Politmagazin Frontal 21: O-TON Christian Rohde, investigativer Journalist frontal 21, ZDF Das ist aber natürlich eine Seite von Lobbyismus. Eine andere Möglichkeit ist natürlich ganz anders zu arbeiten, indem man zum Beispiel vor der Bundestagswahl Kommunikationsfirmen damit beauftragt, Gutachten darüber zu schreiben, wie man am besten Journalisten beeinflusst. Eine Unternehmenskommunikation-Beratungsfirma aus Berlin hat auf über 100 Seiten genau das zusammengeschrieben. Man ist auf Journalisten zugegangen, hat ihnen versucht klarzumachen, wie berichtet werden sollte, man hat Journalisten sogar eingeteilt in Gruppen. Die einen, die so eher gegen den Atomausstieg schreiben, die anderen so mittel. Und die anderen, die dafür sind, die spricht man dann an. Da ist die Rede von Gutachten, die zum Teil gekauft sind. Da ist die Rede von Gutachten, die man angreifen kann, mit welchen Argumenten und so weiter. Das ist dann schon was anderes, als nur eine Anzeige zu schalten. MUSIK O-TON Hajo Schumacher, Journalist und PR-Lehrer Also, exemplarisch ist für mich und da habe ich mich damals zu SPIEGEL-Zeiten etwas eingehender mit befasst nach wie vor, weil ich es auch so selber miterlebt habe, diese Brent-Spar-Hysterie, wo beide Seiten nicht ganz sauber gespielt haben, weder der Mineralölkonzern noch die Umweltschützer. Beide haben mit falschen Zahlen hantiert. ATMO: Tagesthemen: Zahlen der Chemikalien und Materialien O-TON Hajo Schumacher, Journalist und PR-Lehrer Am Ende kam dann raus, dass zumindest die einen ein bisschen dichter dran lagen. Und die Macht der Bilder, da ketten sich Leute an und da gehen Hubschrauber und Wasserwerfer hin und her. Es kam ja soweit, dass es Schüsse auf Tankstellen gab und sowas. AUTOR: Hajo Schumacher ist freier Publizist, Journalist. O-TON Hajo Schumacher, Journalist und PR-Lehrer Da hat mir schon ein bisschen Angst gemacht, auch wie mobilisierbar eine große Zahl von Bürgern ist, wie mobilisierbar eine große Zahl von Medienvertretern ist. ATMO: Café AUTOR: Der Leiter der Recherche-Abteilung von Greenpeace, Manfred Redlefs, wehrt sich gegen den Eindruck, dass Greenpeace mit einer gigantischen PR-Aktion unverantwortlich mit den Medien und Autobesitzern gespielt habe, weil man mit falschen Zahlen versucht habe, Shell zum Umweltsünder zu machen. O-TON Manfred Redelfs, Leiter der Rechercheabteilung von Greenpeace Greenpeace hat diese Öllagerplattform besetzt und die Aktivisten haben eigene Proben genommen, indem sie ein Lot in die Tanks der Brent Spar gelassen haben. Dabei haben sie leider nicht, wie sie glaubten, den Haupttank erwischt, sondern ein Entlüftungsrohr und indem sie die Probe an einer anderen Stelle genommen haben, als von Ihnen eigentlich beabsichtigt, wurden dann auch die Rest-Mengen falsch hochgerechnet. Die Leute haben nur noch darüber geredet, insbesondere die Journalisten: Hat Greenpeace da eine falsche Zahl benutzt? Ja oder nein? Wie es zu dieser falschen Zahl gekommen ist, dass wir selber den Fehler öffentlich gemacht haben und dass er an der Grundsatz-Argumentation nichts änderte, das spielte keine Rolle mehr für die öffentliche Debatte. Das ist eben auch eine ganz wichtige Erfahrung in Kampagnensituationen, dass man häufig differenziertere Argumente dann nur noch schwer vermitteln kann. O-TON Hajo Schumacher, Journalist und PR-Lehrer Für unsere Branche heißt das, kritische Distanz in jedwede Richtung. Und das auch kann ja auch Unterrichtsmaterial für angehende PR-Kräfte sein, zu sagen, he wir sind nicht Eure Freunde oder Partner, ja? Sondern, wir sind die andere Seite und auf dieser Grundlage können wir dann mal vernünftig miteinander reden. Und da ist Brent Spar ein Lehrstück, was interessanterweise aber nie so wirklich ins Bewusstsein, bis heute nicht, der Öffentlichkeit getreten ist. AUTOR: Das ruft nach einer besseren Ausbildung von Journalisten und vielleicht auch von PR-Strategen. Wie wäre es, wenn man beide Berufsgruppen zueinander brächte? Als Akt der friedlichen Koexistenz. Man erzählt sich gegenseitig die Tricks, neutralisiert damit Manipulation und Enttarnung. ATMO: WERBESPOT Analogkäse ATMO: Quadriga AUTOR: Die Quadriga Hochschule in Berlin. Sie bildet Führungskräfte der PR-Branche aus. Mit Hilfe von Journalisten. ATMO: Quadriga, Peter Voß AUTOR: Der ehemalige ARD-Vorsitzende und SWR-Intendant Peter Voß ist Präsident der Quadriga-Hochschule. Und der Journalist Hajo Schumacher möchte dort PR-Lehrer werden. Während sich der Präsident einer mehrmaligen Anfrage entzieht, E-Mails und Telefonate im Dickicht der Hochschule gefiltert irgendwo hängen bleiben, beschreibt der zukünftige PR-Lehrer seine Motivation sehr offen: O-TON Hajo Schumacher, Journalist und PR-Lehrer Die PR der alten Schule, die geht von einer PR als Täuschungskunst aus, also wir wollen eigentlich was ganz anderes, als wir vorgeben zu tun. Diese Zeiten von PR sind jetzt in einer Ära der Total-Kommunikation immer schwieriger durchzuziehen, weil eigentlich dann doch irgendwann alles mal öffentlich wird und es ist jetzt ein guter Moment, es klingt ein bisschen naiv, aber offen und ehrlich PR zu machen. AUTOR: Diese Auffassung stößt in der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche auf brüske Ablehnung. Thomas Leif ist als ihr Vorsitzender nicht müde, immer wieder vor dem Verwischen der Grenzen zwischen PR und Journalismus eindringlich zu warnen und mobil zu machen gegen eine friedliche Koexistenz. MUSIK O-TON Thomas Leif, Vorsitzender Netzwerk Recherche Ja, ich nehme Hajo Schumacher schon ab, dass er das glaubt. Ich kann aber diese Position nicht teilen, weil sie in der Praxis ständig widerlegt wird. Die Ausbildung, die PR-Leute heute genießen, die auch weltweit praktiziert wird, dient immer nur einem einzigen Prinzip, perfekter, origineller, intelligenter und vielleicht auch hartnäckiger zu sein, als der Journalismus selbst. O-TON Hajo Schumacher, Journalist und PR-Lehrer Ich glaube aber auch, dass diese schmutzigen Spielchen ein wenig aufhören, wenn es transparenter wird. Denn ich würde so deutlich lieber arbeiten, und ich denke, das kann man auch in der Quadriga ganz gut den jungen Menschen vermitteln. Das ist eine relativ teure Ausbildung. Das sind jetzt nicht irgendwelche, sondern, die wollen irgendwann mal Unternehmenssprecher werden. Den sollte man frühzeitig sagen, mit wem und mit was sie es zu tun haben. Ich möchte auch sehr, sehr um Verständnis werben, wie funktioniert eigentlich die journalistische Branche. Das ist wieder ein zweiter Punkt. O-TON Thomas Leif, Vorsitzender Netzwerk Recherche Und die zweite große Botschaft ist, dass man versucht, in das journalistische Denken einzudringen. Also, das System des Journalismus zu analysieren und entsprechend der Schwachstellen des Journalismus die PR dort anzusetzen. Und das wird dort gelehrt, meiner Ansicht nach, bei der Quadriga, sonst bräuchte man ja auch keine Journalisten. O-TON Hajo Schumacher, Journalist und PR-Lehrer Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn jemand für irgendein Unternehmen sagt, ich vertrete die Interessen eines Energiekonzerns. Natürlich musste der sagen, dass er für die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken ist. Dann weiß ich wenigstens, woran ich bin. Wenn der jetzt um die Ecke kommt und sagt, oh wir haben aber drei neue Windräder auf den Kindergarten gebaut, dann denke ich mir ja peace, komm, spar dir deinen Quatsch. Dem kannst du wem anders erzählen. O-TON Thomas Leif, Vorsitzender Netzwerk Recherche Es ist am Ende auch eine Mogelpackung, weil sie ja sehen, dass die PR-Industrie in der Lage ist Top-Journalisten abzuwerben. Und im Grunde sind auch im Berliner Milieu, die Agenturen am erfolgreichsten, die von Topjournalisten beraten oder auch beflügelt werden, weil die genau das tun, dass sie in das System möglichst lautlos des Journalismus eindringen und dort ihre Botschaften vermitteln. O-TON Hajo Schumacher, Journalist und PR-Lehrer Wir müssen ja auch mal sehen, die Verhältnisse, die Kräfteverhältnisse von PR und Journalismus haben sich in den letzten Jahren dramatisch verschoben. Im politischen, wirtschaftlichen, im Verbände-Berlin arbeiten mehr Journalisten auf PR-Seite, als auf unabhängiger journalistischer Seite. Da ist die entscheidende Frage: Sind wir als journalistisches System eigentlich noch zur Gegenwehr in der Lage oder wird nicht alles durch-pr-isiert? O-TON Thomas Leif, Vorsitzender Netzwerk Recherche PR ist ja von der Natur her Fehlinformation. Man will ja bestimmte Botschaften eines Themas oder eines Problemkomplexes hervorheben und die kritischeren Seiten oder problematischen Seiten ausblenden. Das ist das Ziel, gefilterte Informationen in die Öffentlichkeit zu tragen. Und das Problem ist, dass dies immer professioneller betrieben wird und meist auch von Journalisten, die das System selbst kennen. O-TON Hajo Schumacher, Journalist und PR-Lehrer Unsere Branche verändert sich rapide. Das Berufsbild des freien Journalisten, der alles mögliche in alle möglichen Richtungen liefert, wird in Zukunft doch eher zahlenmäßig gewinnen. Es werden weniger Festangestellte, dafür deutlich mehr Freie durch die Lande laufen. Will man denen sagen, nein du darfst für das und das Unternehmen oder die Behörde oder die Partei oder die Organisation keinen Flyer erstellen oder keine Website betreuen, weil das ja PR ist? Können wir das wirklich machen? Ist es nicht so eine Art Berufsverbot? Oder aber müssen wir sehen, dass wir Mischformen, Journalismus und PR, zulassen, aber dann transparent machen? MUSIK AUTOR: Der PR-Spezialist Klaus Kocks glaubt nicht an das Durchsetzen der Wahrheit. Er rät zur Selbsthilfe. O-TON Klaus Kocks, PR-Mann Nichts glauben! Nichts glauben! Nichts glauben! AUTOR: Seine Kunden kommen aus der Energiewirtschaft, Versicherungs- und Medienbranche. Wer namentlich von seiner Beratung profitiert, bleibt geheim. Ansonsten gibt er sich offen selbstkritisch, was das PR-Geschäft anbelangt. So offen selbstkritisch, dass ihn sein Berufsverband, die Deutsche Public Relations Gesellschaft, ausgeschlossen hat. Er sympathisiert auch mit dem Netzwerk Recherche, ist dort Stamm-Gast. O-TON Klaus Kocks, PR-Mann Also, ich halte viel von dem Netzwerk Recherche, also kritischen Journalisten. Also, ich halte viel von Thomas Leif. Aber eine abgrundtiefe Naivität kennzeichnet ihn doch. Er glaubt, wenn er in der Ausbildung und später im Leben PR-Leute und Journalisten räumlich trennt, dass dann nichts passieren kann. Das ist Unsinn. Bei der Übermacht der fünften Gewalt, wie sie möglicherweise entsteht, muss die vierte Gewalt lernen, die fünfte zu durchschauen. Das heißt, gerade als Journalist muss ich PR durchschauen können. Ich muss ein PR-Experte sein. Nicht um es zu tun. Sondern, um es zu durchschauen. Und darauf zu reagieren mit dem Erhalt der Grundnaivität, wissen Sie, da ist Angst vor Befleckung. Ich versteh' das ja. Aber es hilft nichts. Das ist vorkritisch. Das Netzwerk Recherche hat, was PR angeht, eine vorkritische Einstellung. MUSIK ATMO: Tagesschau: Hartz IV-Erhöhung um 5 Euro "Die Koalition hat sich verständigt. Die Leistungen für Langzeitarbeitslose sollen aufgestockt werden. - (Ursula von der Leyen) ... gibt es eine leichte Erhöhung bei den Regelsätzen für Erwachsene um 5 Euro ...? AUTOR: Das Bundesarbeitsministerium wird 2010 fast 13,2 Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit ausgeben - das wären 3,8 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Größer ist nur der Etat des Bundespresseamtes, der 16 Millionen Euro betragen soll. ATMO:WERBESPOT Analogkäse AUTOR: PR ist inzwischen zu einer Multi-Milliarden-Industrie angewachsen. Der Kampf um die Hirne ist defacto zu einem psychologischen Krieg herangereift. Das Opfer: die Demokratie. O-TON Christian Wulff, Bundespräsident Die Gefahr für die Demokratie ist, dass Menschen die Streitfragen nicht mehr so aufbereitet werden, dass sie selbst teilnehmen können, Einfluss nehmen können, sich ein eigenes Urteil bilden können. AUTOR: Christian Wulff, Bundespräsident: O-TON Christian Wulff, Bundespräsident Dazu, um das zu ermöglichen, braucht man qualifizierte Journalistinnen und Journalisten in ausreichender Zahl, weil es eben immer schwieriger wird, kompliziertere Sachverhalte mit Grafiken, mit Erklärungen, mit Hintergründen zu versehen. Ohne Pressefreiheit, ohne Meinungsfreiheit gibt letztlich keine Demokratie. AUTOR: Klaus Kocks, PR-Mann: O-TON Klaus Kocks, PR-Mann Sehen Sie mal, ich finde, man sollte nicht davon ausgehen, dass Journalisten die Wahrheit sagen. Ich gehe nicht einmal davon aus, dass der Papst die Wahrheit sagt, wenn ich das persönlich anfügen darf. Ich geh schon gar nicht davon aus, dass der Bundespräsident sie sagt. Das heißt, was ich einfach einfordere, ist eine kritische Einstellung gegenüber dem, was an PR da in der Republik passiert. AUTOR: Michael Rediske, Reporter ohne Grenzen O-TON Michael Rediske, Reporter ohne Grenzen: Ich sehe auch gerade in Europa den Einfluss der PR auf den Journalismus als das größere Problem, als größeres Problem, verglichen mit staatlichem Einfluss, jedenfalls in den EU-Ländern. Das hängt natürlich auch mit den knappen Ressourcen zusammen. Dass immer mehr PR-Leute auf immer kleinere Redaktionen stoßen und in den Redaktionen immer mehr PR-Material direkt übernommen wird, das ist sicherlich eine Gefährdung der Pressefreiheit, weil es den Kunden, den Lesern, den Zuschauern nicht mehr unabhängige, das heißt, nicht PR-gesteuerte Informationen liefert. AUTOR: Wolfgang Blau, Chefredakteur ZEIT online: O-TON Wolfgang Blau, Chefredakteur ZEIT online Tatsächlich kann man sagen, es ist auch immer ein Wettrüsten zwischen denen, die informieren wollen und denen, die desinformieren wollen. Ja, selbstverständlich gibt es ganz neue Methoden der Infiltration und das bedeutet eine weitere Zusatzqualifikation, die wir Journalisten erlernen müssen, das wieder zu erkennen und damit weiterhin einen Dienst gegenüber unseren Lesern leisten zu können. AUTOR: Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur Der SPIEGEL: O-TON Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur Spiegel ... ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, die Tricks oder die Geschichten hinter der schön gemalten Fassade zu entdecken und aufzuschreiben. Natürlich hat die PR Branche neue Möglichkeiten, aber wir haben auch neue Möglichkeiten hinter die Kulissen zu gucken. Denken Sie nur daran, dass viele Kommunikation intern mittlerweile elektronisch läuft und plötzlich dann doch seinen Weg nach außen findet und man die Wahrheit über ein Produkt erfährt. MUSIK Sprecherin Analogkäse schmeckt besser Wie sich Public Relation als fünfte Gewalt etabliert Ein Feature von Jörg Wagner Sprecher: Axel Prahl, Jürgen Schulze, Laurentia Schreiber und der Autor Musik: Michael Heubach Ton: Martin Seelig und Iris König Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Jürgen Balitzki ATMO: WERBESPOT Analogkäse O-TON Klaus Kocks, PR-Mann Sie dürfen mir aus mehreren Gründen nicht trauen. Erstens bin ich PR-Mann. Sie wissen im Zweifel nicht, wer mich bezahlt hat. Zweitens bin ich großer, wie alle Publizisten, großer Fabulierer. Sie wissen nicht einmal, ob ich meiner eigenen Fabulierkunst nachgebe. Drittens könnte es sogar sein, dass ich die Wahrheit sage, ohne dass sie es merken, das heißt also zu unserem Umgang miteinander, wir reden ja jetzt nicht über familiäre Verhältnisse oder Freundschaften, sondern zum öffentlichen Umgang miteinander gehört: Nichts glauben. Sprecherin: Eine Produktion des Rundfunk Berlin-Brandenburg mit dem Deutschlandfunk 2010 2