COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 22.Juli 2014, 19.30 Uhr Spielend zum Erfolg? Wie die Gamification in die Wirtschaft Einzug hält Von Gabi Schlag und Dörte Wustrack Atmo Seminar Sprecherin Fachbereich Informationstechnologie an der Uni Düsseldorf, Titel der Veranstaltung: "Die Legende von Zyren". 50 Studenten sitzen hellwach und konzentriert im Seminar. Atmo Seminar Sprecherin Sie müssen Quests lösen, auf die Suche gehen, Geheimnissen nachspüren, Erfahrungspunkte sammeln und sich hochleveln. Was nach einem Computerspiel à la "World of Warcraft" klingt, heißt "Legende von Zyren" und ist ein Kurs an der Uni Düsseldorf. Ausgedacht hat sich das "Spielseminar" die wissenschaftliche Projektleiterin Kathrin Knautz. Wer im Studiengang "Informationswissenschaft und Sprachtechnologie" das Modul "Wissensrepräsentation" belegt, kann, statt traditionelle Aufgabenzettel abzugeben, auch das Spiel "durchzocken" - Atmo 1 Seminar Sprecherin - und damit den Schein erlangen. Anja Wintermeyer begleitet das Seminar als Tutorin. O-Ton Anja Wintermeyer Das Problem war die Vorlesung, um die es hier geht: Wissensrepräsentation. Da war auch immer die Durchfallquote sehr hoch in der Klausur, der Stoff ist sehr trocken und wir mussten uns überlegen, wie motiviert man die Leute, besser zu lernen und wie können sie sich besser mit dem Stoff auseinandersetzen und den auch wirklich mal anständig anwenden. Da kam Frau Knautz die Idee, das Ganze zu gamifizieren, und dann haben wir im Wintersemester 2012 begonnen, die Inhalte von Wissensrepräsentation so aufzuarbeiten, dass man verschiedene Quests hat, die in eine Geschichte eingebettet sind und wo die Studenten diese Quests lösen müssen, die beinhalten die Lehrinhalte, und dann durch das Spiel, durch das Buch und den ganzen Vorlesungsinhalt durchgeleitet werden. Und dann zum Schluss der Endgegner ist die mündliche Prüfung, der Professor. Atmo Simulation Sprecherin Im Personalbüro des ADAC München klickt sich Bewerber Daniel P. durch ein Computerspiel. Er soll ADAC-Pannenhilfefahrzeuge zu den jeweiligen Einsatzorten dirigieren, die Pannenhelfer möglichst effizient disponieren und bei mehreren Anfragen gleichzeitig die ADAC-Fahrzeuge auf dem kürzesten Weg zum Unfallort schicken. Auf der Basis dieses Computerspiels wählt Personalleiter Steffen Schabel den geeignetsten Bewerber aus. O- Ton Steffen Schabel Im ADAC arbeiten in den Hilfezentralen viele Disponenten, die damit beauftragt sind, möglichst schnell Pannen an die Straßenwacht zu disponieren. Im Jahr sind das über vier Millionen Einsätze, die durch Disponenten gesteuert werden, d.h. der Disponent hat bis zu 300 Entscheidungen, die er pro Tag fällen muss. Das ist eine Anforderung, die können Sie in einem normalen Auswahlverfahren gar nicht prüfen. Da ist es wichtig, dass Sie ein System haben, einen Leistungstest, wo Sie sagen können, ja, hier kann ich entscheiden, ob jemand dafür geeignet ist. Insofern war für uns wichtig, eine Simulation zu erstellen, die die Anforderungen der Disposition zumindest in einfachen Formen angemessen darstellt. Sprecher "Gamification", Spielifizierung heißt der Trend, wonach die Prinzipien und Mechanismen von Computerspielen auf andere Lebensbereiche wie Schule, Uni, Fitness und Gesundheit übertragen werden. In großen Bereichen des Alltags ist dieser Transfer bereits Realität - und auch die Wirtschaft will diesen Trend nicht verpassen. Nora Stampfl ist Zukunftsforscherin. In ihrem Buch "Die verspielte Gesellschaft" hat sie sich mit dem Phänomen "Gamification" auseinandergesetzt: O- Ton Nora Stampfl Man nimmt das, was ein Spiel ausmacht, wie Punkte, Fortschrittsbalken, Aufstieg in höhere Levels, und wendet das an in Kontexten an, die nichts mit Spiel zu tun haben. Der Sinn und Zweck ist, dass man Menschen zu einem Tun oder Unterlassen bringen möchte, dass sie ohne die spielerischen Elemente nicht an den Tag legen würden. Meiner Meinung nach sind das zwei Faktoren, die das gerade jetzt vorantreiben: Zum einen ist es der technologische Wandel, der ermöglicht viele Gamification-Anwendungen, dadurch dass wir mit Mini-Computern in der Hosentasche herumlaufen, dass unsere Welt von einem Datennetz umspannt wird. Alles lässt sich berechnen, d.h. unser Verhalten lässt sich bemessen, kartieren, und dadurch wird die Welt zum Spielbrett. Und der zweite Faktor ist, dass eine Generation heranwächst, die mit Computerspielen aufgewachsen ist, die es als ganz natürlich und selbstverständlich sieht, in virtuelle Welten einzutauchen, und die das nicht nur als selbstverständlich sieht, sondern die diese spielerische Herangehensweise erwartet. Atmo Sprecherin Spätestens seit der ersten eigenen Konferenz, dem Gamification Summit im Januar 2011 in San Francisco, scheint - die Anwendung von Spielmechanismen in spielfremden Kontexten - allgegenwärtig. Schon damals kündigte die Vertreterin von Microssoft an: Bringing Games to the Enterprise. Und die Wirtschaft ließ sich darauf ein. Gewinnmaximierung durch Spielifizierung? Zunächst müssen die Unternehmen investieren. Sprecher Nach einer Erhebung des Marktforschungsunternehmens M2 Research soll der weltweite Markt für den Einsatz von Gamification in der Wirtschaft von etwa 100 Millionen US- Dollar 2011 auf 2,8 Milliarden US-Dollar 2016 anwachsen. Bis 2015 soll es in 70 Prozent aller großen Unternehmen spielerische Anwendungen geben. Sprecherin Steffen Schabel vom ADAC in München, der seine Bewerber "spielend" prüft, ist vom Nutzen der Gamification überzeugt. 0-Ton Steffen Schabel, ADAC München Wir setzen die Simulation seit 2013 ein. Die Erfahrungen sind damit sehr gut. Einerseits bekommt der Bewerber ein Gefühl dafür, was muss der Disponent eigentlich machen, möchte ich das selber den ganzen Tag machen. Sie müssen sich vorstellen, acht Stunden im Schichtbetrieb vor dem Bildschirm zu sitzen und Entscheidungen zu treffen. Und für uns das Ergebnis, ist jemand kognitiv von seiner Leistung her in der Lage über einen längeren Zeitraum hier einigermaßen fehlerfrei gut zu disponieren. Insofern haben beide etwas davon, der Bewerber als Rückmeldung für sich und wir haben was davon, dass wir sagen können, nur die, die über dem Mittelwert liegen, die kommen weiter im Verfahren. Wir stellen fest, in der Einarbeitungszeit verlassen uns weniger neue Mitarbeiter, wir wählen schon richtiger aus. Sprecher In Deutschland ist die IT-Industrie Vorreiter: Gamification wird vor allem in den Bereichen Mitarbeitertraining, Marketing, Produktentwicklung und Personalrekrutierung eingesetzt. Konzerne wie Daimler Benz, die Bayer AG und E plus waren oder sind auf "fliplife" aktiv. Eine online-Lebenssimulationsplattform, auf der man eine virtuelle Karriere starten kann. Die zu absolvierenden Aufgaben sind an reale Projekte geknüpft. Auf der in das Spiel eingebetteten Infoseite werden alle relevanten Karriereseiten und Kontaktmöglichkeiten angebracht. Manche Unternehmen stellen Spiele ins Netz, bei denen Kunden oder Mitarbeiter kostenlos ihre Ideen preisgeben: Sie entwerfen Kleider, gestalten Restaurants, erfinden Prototypen. Die Plattform Practically Green versucht, ihre Beschäftigten zu nachhaltigem Handeln zu motivieren. Bei Siemens können Mitarbeiter im Spiel Plantville trainieren, Industrieanlagen erfolgreich zu managen. Der Internetkonzern Google hat bereits 2004 "spielifiziert": das Unternehmen platzierte damals neben dem Highway 101 im kalifornischen Silicon Valley ein riesiges Werbeplakat mit einem Zahlenrätsel. Die Lösung der Aufgabe war eine Internetadresse, die zu einer Bewerbungsseite von Google führte. O- Ton Nora Stampfl McDonalds hat in der Stockholmer Innenstadt einen riesigen Display aufgehängt und darauf konnten potentielle Kunden mit Smartphones das uralte Computergame Pong spielen. Das ist Tischtennis, mit dem einfachen Balken den Ball hin und her spielen. Zufällig wurden zwei Spieler ausgewählt, die spielten gegeneinander und der Gewinner, der durfte sich dann in der nächstgelegenen McDonalds-Filiale ein Geschenk abholen. Atmo Sprecherin Fachbereich Informationstechnologie an der Uni Düsseldorf. Das Seminar beginnt mit einer Geschichte, die die Studenten in die Welt von Zyren entführt. Der Fantasy- Kosmos Zyren ist in vier Reiche aufgeteilt, die von Orks, Goblins, Elfen und Menschen bewohnt werden. Zu Beginn des Seminars wählen die Studenten aus einer der vier Gattungen einen Avatar. Als Helden machen sie sich auf die Suche nach dem "Buch des Wissens", das in den Wirren früherer Kriege verlorengegangen ist. Die vier Fragmente des Buches sind über ganz Zyren verstreut, die Helden erleben unterwegs eine Menge Abenteuer. Nur mit dem kompletten Buch lässt sich das Böse - die mündliche Abschlussprüfung - "besiegen". Atmo Seminar O- Ton Anja Wintermeyer Wir haben insgesamt 14 Level. Also die Erfahrungspunkte, die man sammelt, um das nächste Level zu erreichen, die steigen exponentiell, also es ist wirklich so, dass man in dem späteren Akt wirklich direkt für eine Quest viel mehr Punkte bekommt. Den Schein, den erwirbt man, wenn man Level 10 erreicht und dann ist es so, dass wir das so gemacht haben, dass man ab Level 11 noch einen Notenbonus sich erspielen kann, weil das sehr viel Aufwand ist und wir die Studenten dafür auch belohnen wollen, so dass sie dann bis zu einem Punkt Notenbonus erspielen können, den sie angerechnet bekommen in der mündlichen Prüfung. Sprecherin Den Studenten gefällt diese "spielifizierte" Form der Wissensvermittlung: O- Ton 08 Studentin 1 Wir müssen Punkte erspielen und beim Spielen fängt man von sich aus an zu lernen. O- Ton 09 Studentin 2 Es ist weniger theoretisch und man wird mit den Inhalten wirklich konfrontiert, weil man als Gruppe weiter kommt, wenn man das Wissen hat und den Stoff gelernt hat. Sprecherin Obwohl das Seminar in die Form einer mittelalterlichen Abenteuersaga gegossen wurde, steht der Lernstoff im Mittelpunkt. So trifft man beispielsweise als Schatzsucher in einer Höhle auf eine verschlossene Tür. Um sie zu öffnen, müssen die Studierenden in Patent- Datenbanken einen speziellen Schließmechanismus recherchieren. In anderen Situationen müssen sie das Kurslehrbuch, Suchmaschinen oder auch den Standard- Thesaurus Wirtschaft zu Rate ziehen, um die Quest zu lösen. Der Aufbau des Abenteuers folgt dabei dem Aufbau des Lehrbuchs. Die Studierenden behalten also immer den Überblick über ihren Wissensstand und den Kursverlauf und setzen sich intensiv mit dem Lehrstoff auseinander. O- Ton Student Also die Übung ist schön gestaltet, aber da steckt aber viel mehr hinter. Das Onlineportal wo man questen muss, ist sehr ausgeklügelt gemacht, dass man sich da richtig reinhängen muss um die Stoffe aufzuarbeiten und zu verinnerlichen und wiederzugeben. Sprecher Den Psychologen ist es schon lange bekannt, dass Spielmechanismen das Verhalten von Menschen positiv beeinflussen. Der Spieltrieb von Menschen kann genutzt werden, um sie für etwas zu begeistern oder ihnen Lerninhalte zu vermitteln. Der Fachbegriff: Intrinsische Motivation. Markus Breuer, Softwareentwickler aus Berlin, hat sich mit diesen psychologischen Wirkungsmechanismen beschäftigt, die der Spielifizierung zugrunde liegen O- Ton Markus Breuer Man unterscheidet in der Verhaltenspsychologie zwischen dieser intrinsischen und der extrinsischen Motivation. Die klassische extrinsische Motivation im beruflichen Umfeld ist, mir Geld zu geben, damit ich das tue, was mein Arbeitgeber möchte. Da gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die zeigen, dass das nicht besonders effektiv ist, dass beispielsweise die Prämienzahlungen nur über kurze Zeit einen motivierenden Faktor auf die Mitarbeiter ausüben und dann verpuffen. Viel effektiver ist es, auf die intrinsische, meine persönliche Eigenmotivation abzuzielen, sprich, dass ich Motivationen anspreche, die bei den Menschen vorher, bevor sie in Kontakt mit einem solchen System gekommen sind, vorhanden waren und eine Schnittstelle herzustellen, zwischen dem was das Unternehmen möchte und dem, was in meinem eigenen subjektiv empfundenen Interesse steht. Sprecher Wenn die persönlichen Ziele und die Ziele des Spiels völlig übereinstimmen erreicht der Spieler den sogenannten Flow Zustand. O- Ton Markus Breuer Flow beschreibt einen Zustand, in dem ich fast auf einer metaphysischen Ebene eins bin mit der Tätigkeit, die ich gerade ausführe. Das kann ich durchaus erreichen bei Tätigkeiten, die häufig als unbefriedigend angesehen werden, d.h. wenn ich eine Tätigkeit ausübe, die sehr stark repetitiv ist, die ich über lange Zeit tun muss. Wenn ich mir aber selber Ziele setze, dass ich diese Tätigkeit besonders gut vollbringen muss oder für mich möchte und ich Feedback bekomme, dass mir das gelingt, dann kann ich in diesen Zustand kommen und im Idealfall, wenn ich ein spielerisches System aufbaue und damit auch kommerzielle Ziele verfolge, wäre es super, wenn meine Anwender in den Flow-Zustand kommen, wo sie vergessen, wie die Zeit vergeht und sie drin bleiben. Sprecher Beschrieben hat diesen Zustand der amerikanische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi. Seit den 60er Jahren versuchte der Wissenschaftler zu ergründen, was Menschen glücklich und zufrieden macht. In seinen theoretischen und empirischen Untersuchungen fand er heraus, dass es eine kleine Menge von Einflussfaktoren gibt, die entscheiden, ob Menschen sich bei einer Tätigkeit glücklich fühlen. Das Wichtigste ist die Übereinstimmung der inneren und äußeren Ziele. Wenn diese Übereinstimmung gegeben ist, erreicht der Mensch einen Zustand des mühelosen Dahinfließens. Er wird eins mit sich und seiner Tätigkeit. Mihaly Csikszentmihalyi nannte diesen Zustand "Flow" und stellte fest, dass Menschen diesen Zustand am häufigsten erreichen, wenn sie spielen. Atmo Computerspiel Sprecherin Weiterbildungsseminar für Mitarbeiterführung im Unternehmen SAP in Dresden. Statt Powerpoint-Präsentationen zu lauschen oder an Flip-Charts Organigramme zu studieren, sitzen die Mitarbeiter an Rechnern und spielen ein Spiel, in dem sie lernen, wie man ein Smartphone programmiert. Atmo Computerspiel Sprecherin Auf dem Computerbildschirm erscheint wie bei Super Mario eine große Karte, auf der die Teilnehmer sehen, welche Missionen erfüllt werden müssen. Sie sehen andere Kollegen, die sich ebenfalls im virtuellen Raum bewegen und können sich mit ihnen austauschen. In dem Spiel müssen Rätsel gelöst und Puzzles zusammengesetzt werden, die den Lerninhalt wiedergeben. Dass Spielmechanismen ein Teil der Arbeitswelt werden sollen, dafür plädiert Philipp Herzig, der zum Gamification-Team von SAP gehört. O- Ton Philipp Herzig Auf die Frage, ob man nicht typische Trainingsemotionen hat - die typischen Trainingsemotionen sind eben "ich bin gelangweilt, ich habe nicht das Durchhaltevermögen, um am Ball zu bleiben" usw. - sagen viele, dass sie solche nicht-typischen Emotionen hatten. Nicht-typische wären, dass sie Spaß hatten, das sie engagiert dabei waren, dass sie Freude oder eine gewisse Passion dabei empfunden haben, und dass über 90% sagen, dass sie ein besseres Durchhaltevermögen über diese 2-3 Wochen hatten als ohne diese Gamification. Sprecher Es liegt nahe, dass Unternehmen gerne Mitarbeiter beschäftigen, die ihren Aufgaben mit intrinsischer Motivation nachgehen, sich in ihre Aufgabe vertiefen und darin aufgehen und diese dann im Flow-Zustand verrichten. Doch unternehmerische Aufgaben zu gamifizieren, das heißt zum Beispiel knallharte Marketingaufgaben oder Kosten-Nutzen- Analysen in eine Spielumgebung zu "übersetzen", ist gar nicht so einfach. Die Kosten einer solchen Softwareentwicklung sind hoch. Viele mittelständische Unternehmen können sich die Entwicklung dieser Anwendungen nicht leisten. Die TU München hat deshalb ein großes Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das den Einsatz von Gamification im Cost-Engineering erprobt. Cost Engineering hat zum Ziel, Produkte möglichst leistungsfähig und kostengünstig zugleich zu entwickeln. 18 deutsche - vor allem mittelständische - Unternehmen beteiligen sich an diesem Projekt. Professor Horst Wildemann ist Leiter des Forschungsinstituts für Unternehmensführung, Logistik und Produktion der TU München. Bei bisherigen Projekten stand er immer wieder vor dem Problem: O-Ton Horst Wildemann dass viele Entwickler zunächst kein Interesse an einer Produktkostenreduzierung haben, da sie diese mit einer Verschlechterung des Produktes gleichsetzen. Hier kommt die Spielifizierung zum Einsatz. Durch die Einbettung der Produktkostenreduktion in einen Wettbewerb können wir bei den teilnehmenden Unternehmen ein vollständig anderes Verhalten beobachten. Unser Ansatz ist ein digitaler, interaktiver Ideenwettbewerb, bei welchem die Spieler für eine definierte Cost-Engineering-Problemstellung Ideen einstellen und bewerten. Die Spieler mit den meisten und besten Ideen gewinnen dann das Spiel. Man kann beobachten, dass die Entwickler oder Teilnehmer auch in ihrer Freizeit an solchen Ideen tüfteln, um Punkte im Spiel zu bekommen. Sprecher Die Gamifizierung bietet noch einen weiteren Vorteil: aufgrund der digitalen Vernetzung lassen sich viel mehr Mitarbeiter motivieren, sich an dem Ideenwettbewerb zu beteiligen. Keine Idee geht verloren. O- Ton Horst Wildemann Wenn ich eine Idee habe und Sie auch eine Idee haben und wir tauschen diese beiden Ideen aus, dann hat jeder zwei.Das Problem beim Austausch von Wissen ist aber, dass eben dieser Austausch schwierig anzuregen ist und natürlich aufrechterhalten werden muss, denn der Dialog unter Wissenden, der führt natürlich zu einer weiteren Idee. Durch Spielifizierung kann man individuelle Anreize setzen, sein Wissen in einer Community weiterzugeben. Dadurch kann der Impuls eines Genialen durch viele Normale weiter bearbeitet und weiter entwickelt werden. Der Austausch wäre sonst in einer solchen Form nicht möglich. Sprecher Voraussetzung für gemeinsames Spiel: eine entsprechende Spielumgebung, ein verlockendes Spieldesign, um die Weisheit der Vielen mit den Einfällen der Genialen zu kombinieren. Wie aber findet man das richtige Design? Um intrinsische Motivation und den Flow hervorzurufen? O- Ton Horst Wildemann Wir müssen viele Parameter bei der Gamifizierung berücksichtigen. Die Zielsetzung, die Komplexität der Aufgabe, das gesamte Umfeld in dem das stattfindet - das ist überhaupt keine triviale Aufgabe. Man muss Entscheidungssituationen, vor denen diese Leute stehen, antizipieren und muss daraus ein Modell machen mit einem Anreiz, und das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Sprecher Aufgrund der Komplexität kann Gamification kein Baukastensystem sein, das sich in jeglichem Firmenkontext ganz einfach installieren ließe, sagt Philipp Herzig von SAP. O- Ton Philipp Herzig Man denkt, man nimmt ein Allheilmittel. Man nimmt unkte/Auszeichnungen/Leaderboard und führt die in alle möglichen Applikationen ein, ohne darüber nachzudenken, passt das jetzt vom Kontext her.[...] Die meisten berücksichtigen das nicht, weil sie darüber nicht Bescheid wissen oder es ihnen egal ist und dementsprechend führt man es ein und alle sagen, Gamification, das ist ja Blödsinn, das hat das Gegenteil bewirkt, denn wenn ich es nicht korrekt mache ist es so, dass es die Leute mehr verärgert als dass es nutzt. Es gibt ja viele schlechte Applikationen, und man nimmt Gamification obendrauf, wie einen Zucker auf einen schlechten Kuchen, das ändert aber nichts daran, dass der Kuchen schlecht ist und das dann auch entsprechend von den Leuten gewürdigt wird, weil man mitkriegt, macht doch erst mal die Applikation richtig, bevor ihr euch schon wieder über neue Aspekte Gedanken macht. Sprecher Denn dass allein Rankings, Levels und Belohnungen nichts bringen, zeigt eine Studie von IBM aus dem Jahr 2012. Verhaltensänderungen, die das Unternehmen versuchte zu erzielen, wurden nicht erreicht, das "Belohnungsinstrument" verselbständigte sich. So hatte IBM ein Intranet - ein so genanntes Enterprise Social Network - mit Gamification- Elementen eingeführt. Ziel war es, die Kommunikation innerhalb des Unternehmens anzuregen, demzufolge erhielt der Nutzer für jeden Beitrag einen Punkt und konnte sich bei entsprechender Punktzahl irgendwann ein Experten-Badge anheften. Wie die IBM- Forscher feststellten, entwickelten einzelne Mitarbeiter, die darauf abzielten, die vorderen Plätze der Rankings einzunehmen, eigene "Scoring-Strategien", um eine größtmögliche Anzahl an Punkten zu sammeln. So hinterließen sie häufig relativ substanzlose Kommentare nach dem Motto: "Na, wie läuft's?" einfach nur, um dank vieler Beiträge in den Rankings aufzusteigen. Als dann schließlich die vom Missbrauch betroffenen Gamification-Elemente des firmeninternen sozialen Netzwerkes deaktiviert wurden und es keinen äußeren Anreiz mehr gab, das Netzwerk zu nutzen, reduzierte sich die Zahl der User deutlich. O- Ton Markus Breuer Es gibt gewisse Mechanismen, wenn man die anwendet, verwendet man gern den Begriff Gamification. Das sind so etwas wie Belohnungen für das Verhalten zu geben, Rangstufen einzurichten, Auszeichnungen zu verleihen. Ich kann diese Mechanismen in Programme einfach integrieren. Aber wenn da kein Konzept dahintersteht, wie ich die Leute bei ihren intrinsischen Motivationen packe, verpufft das relativ schnell bzw. funktioniert das gar nicht. Atmo Seminar Sprecherin Universität Düsseldorf, Hauptsemianar "Die Legende von Zyren" Atmo Seminar Sprecherin Lautstark wird in den Gilden über die Lösungen der Aufgaben diskutiert. Denn neben den vielen Einzelquests, die die Studierenden vor allem auf der Online-Plattform lösen müssen, gilt es heute, für die Gildenwertung Punkte einzusammeln. Atmo Seminar O- Ton Anja Wintermeyer Wir haben uns orientiert an einem bestimmten Spielmodell, dass man durch Wettbewerb und Kollaboration den Lernerfolg auch fördern kann, dass sie innerhalb der Gilden kollaborativ das Wissen erarbeiten und ein kollektives Verständnis entwickeln und dann halt motiviert werden durch die Wettbewerbssituation zwischen den Gilden und bisher klappt es sehr gut. Sprecherin Das Hauptseminar an der Universität Düsseldorf ist der beste Beweis: Wenn es gelingt, die Ziele in eine entsprechende Spielumgebung einzubinden, kann das Spiel sich äußerst positiv auf das Verhalten der Spieler auswirken. Viele weitere Beispiele bestätigen dies. Ralph Stock ist Softwareentwickler und Geschäftsführer bei Serious Games in Potsdam O- Ton Ralph Stock Dass man mit Spielen Verhalten ändern kann, zeigt eindrucksvoll das Spiel "Remission", ein Spiel für krebskranke Kinder entwickelt, dort geht es darum, Krebszellen mit Waffen abzuschießen. Es ist ein Shooter. Man hat festgestellt, dass Kinder mit einer höheren Zuverlässigkeit die Medikamente einsetzen, die Bereitschaft der Kinder ist größer, das zu tun, weil sie gelernt haben, dass sie den Kampf gegen Krebszellen gewinnen kann und die Waffen sind die Medikamente. Und so kann man sagen, dass Spiele Leben retten, indem es nachweisbar das Verhalten der Kinder beeinflussen. Sprecher Gamification ist Ausdruck eines Paradigmenwechsels: Computerspiele werden nicht mehr als suchtförderndes Vereinsamungsinstrument verteufelt und angeprangert, sondern als effizientes Problemlösungsmodul gepriesen. Jeden Tag versammeln sich Hunderttausende von Menschen in komplexen virtuellen Welten und arbeiten gemeinsam und selbstorganisiert an der Bewältigung verschiedenster Aufgaben, bilden dabei Fähigkeiten aus und schlüpfen in die unterschiedlichsten Rollen. Führungsqualitäten werden an den Tag gelegt, die sich in der Anwerbung, Organisation, Motivation von großen Gruppen von Spielern niederschlagen. Multiplayer-Online-Games sind ein Spiegel des Unternehmenskontextes von heute. In Spielen erledigen Spieler Aufgaben, mit denen sie später in der Arbeitswelt konfrontiert werden. Dass Unternehmen genau diese Motivationsquelle anzapfen wollen, die Menschen dazu motiviert, eine große Zeit ihres Leben mit Videospielen zu verbringen und diese für ihre unternehmerischen Ziele nutzbar machen möchten, wird von vielen Kritikern als unmoralische Manipulation der Arbeitnehmer empfunden. Der Softwareentwickler Markus Breuer kennt die Einwände. O- Ton Markus Breuer Bei Gamification geht es unbestritten darum, das Verhalten von Menschen zu steuern und ich sage mal der Grat zwischen Beeinflussung und dem, was wir Manipulation bezeichnen ist ein sehr schmaler. Im Kern der Kritik der Gedanke aufklärerisch betrachtet: Der Mensch ist grundsätzlich ein freies Wesen, und wenn man ihn mit hinreichend Informationen versorgt, trifft er schon die richtigen Entscheidungen für sich und für andere. Es ist nicht notwendig, ihn zu überreden oder zu manipulieren. Es würde einen Mangel an Respekt dieser Person gegenüber Ausdruck zeigen und dementsprechend ist es verwerflich. Sprecher Andere Kritiker sehen in Gamification lediglich alten Wein in neuen Schläuchen. Zukunftsforscherin Nora Stampfl. O- Ton Nora Stampfl Es hat Spielelemente im Arbeitsleben immer schon gegeben und diese Spielmotivationen wurden immer schon ausgenutzt. Natürlich ist es Trend, jetzt alles zu gamifizieren, und Unternehmen nutzen das heute bestimmt auf viele andere Arten und Weisen, wie das früher nicht der Fall war, dass speziell virtuelle Welten ins Leben gerufen werden, um Arbeiten wie ein Computerspiel aussehen zu lassen. [...]. Es ist überhaupt nichts Neues. Den Mitarbeiter des Monats kann man auch als Spielmechanismus deuten oder die Rabattmarke, um den Kunden zum Wiederkommen zu bewegen. All das gibt es schon immer und ewig. Atmo Seminar Sprecherin Universität Düsseldorf, Hauptsemianar "Die Legende von Zyren" Atmo Seminar Sprecherin Der Epilog der "Legende von Zyren" wird vorgelesen. Das Abenteuerspiel und damit das Seminar sind abgeschlossen. Die Studenten haben sich in historischen Gilden mit sogar nicht mittelalterlichen Fragen wie Wissensmanagement auseinandergesetzt. Sie habe Prüfungen bestanden, Rätsel gelöst und Herausforderungen gemeistert. Und sie sind besser geworden. Zufrieden verlassen die Studenten die von Legenden bevölkerte Welt von Zyren. O- Ton Anja Wintermeyer Wir haben das letztes Jahr schon gemacht, da waren die Ergebnisse der Evaluation sehr gut. Die Durchfallquote ist gesunken, die Notenstufe ist um eine ganze Note nach oben gegangen und die Studenten waren alle sehr begeistert. Sprecher Fazit: Sicherlich verbirgt sich hinter vielen Gamification-Anwendungen alter Wein in neuen Schläuchen. Doch da sich Gamification-Entwickler der neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaften bedienen, ist die Befürchtung, dass hier ein neues Manipulationsinstrument entsteht, nicht ganz unbegründet. O-Ton 26 Horst Wildemann Ich denke schon, dass man mit der Spielifizierung verantwortungsvoll umgehen muss. Die Gefahren liegen auf der Hand. Der Manipulationsvorwurf ist im Raum, Abfragen von sensiblen Daten, die Abhängigkeit der Spielerist im Raum. Aber: Was ist die andere Alternative, wenn wir es volkswirtschaftlich sehen? Wir haben nur eine Ressource, und das ist Intelligenz und diese Intelligenz müssen wir nutzen, um Beschäftigung hier zu halten, und wenn wir jedes Instrument jetzt mit negativen Dingen belegen, dass diese Effizienz erhöht, dann kommen wir nicht weiter. Dann wird die Ressource, die Beschäftigung und Wohlstand hier in der BRD schafft, nämlich Intelligenz und Wissen, die wird brach liegen gelassen, und ich glaube, das können wir uns nicht leisten. Sprecherin Deshalb ist auch ein positives Verständnis denkbar und lässt Gamification als ein Mittel verstehen, die Kluft zwischen Arbeit und Spiel abzubauen und vielen Menschen ihren manchmal grauen Arbeitsalltag etwas abwechslungsreicher zu gestalten. O- Ton 24 Ralph Stock Dass Spielen das neue Arbeiten ist, kann man vielleicht überspitzt so sagen. Das ist allerdings ein sehr hehres Ziel, dass so breitflächig zu implementieren. Ich würde mal sagen, mir würde es ausreichen, dass man den Effekt erzielt, dass Menschen mit den Methoden des Spiels ihre Ergebnisse in ihrem persönlichen Arbeitsumfeld verbessern können, das auch so wahrnehmen für sich und damit insgesamt die Arbeits- und Lebensqualität erhöht werden kann. 1