Regionale Wirtschaftspolitik Neustart - Die Wiedergeburt bayerischer Luftfahrt-Standorte Von Stephan Lina Noch vor wenigen Jahren sah es düster aus für zwei bayerische Traditionsstandorte der Luft- und Raumfahrtindustrie. Heute herrscht in Ottobrunn-Taufkirchen und Oberpfaffenhofen Aufbruchsstimmung, die Zahl der Mitarbeiter steigt. Beide setzen auf eine Mischung aus Industrie, Mittelstand und Forschung. Oberpfaffenhofen. Eine gute halbe Stunde westlich von München werden seit Jahr-zehnten Flugzeugteile montiert. Es wird vor allem genietet, wie zu den Zeiten von Luftfahrtpionieren wie Claude Dornier, Hugo Junkers oder Willy Messerschmitt. Das hat sich bewährt und ist robust, aber es hat einen entscheidenden Nachteil: Das Gewicht. Bauteile müssen überlappen oder unterlegt werden, damit die Nieten sie zusammen-halten können. Und es ist laut. Wenn es nach Urs Breitmeier geht, dem Chef des RUAG-Konzerns, dann ist die Niet-Technik im Flugzeugbau ein Auslaufmodell. Die Zukunft dagegen soll sehr viel leiser ? und leichter - sein. Und sie trägt einen sperrigen Namen: Reibrührschweißen. In der Werkshalle von RUAG Aerostructures in Oberpfaffenhofen steht der Prototyp dieser Technologie, die nach dem Willen ihrer Erfinder schon bald eine Revolution in der Luftfahrt auslösen könnte. Beim Reibrührschweißen werden zwei Metallteile aneinandergepresst, ein Roboterkopf erhitzt sie, zwei Bauteile verschmelzen regelrecht zu einem einzigen, und das ohne eine sichtbare Naht oder Kante. Und das ganze dauert nur wenige Sekunden. Urs Breitmeier ist sichtlich stolz auf die Technologie, die seine Leute gemeinsam mit Forschungspartnern entwickelt haben. Der RUAG-Chef ist überzeugt, dass künftige Flugzeugmodelle so gebaut wer-den. Es könne aber noch eine Weile dauern, bis Zulassungsbehörden, Konstrukteure und Hersteller das Reibrührschweißen als Luftfahrt-Standard etablieren: "Aus unserer Sicht würden wir das natürlich sehr gerne einführen. Die Luftfahrtindustrie ist aber eine sehr konservative Industrie. Da braucht es Jahre, manchmal auch Jahrzehnte, bis neue Technologien Fuß fassen. Heute ist das Nieten immer noch die Verbindungstechnik Nummer Eins. Wir gehen aber davon aus, dass spätestens, wenn ein Nachfolgemodell des Airbus A 320 konstruiert wird, dass man sich dann ganz intensiv mit diesen neuen Produktionsmethoden befasst." Bis dahin aber wird in der Halle der RUAG Aerostructures weiter ganz klassisch genietet. Und das sehr erfolgreich. Wieder erfolgreich, muss man sagen. Denn vor einigen Jahren stand Oberpfaffenhofen vor dem Aus. Die Dornier Flugzeugwerke hatten hier über Jahrzehnte ihren Sitz, bauten vor allem sehr erfolgreich kleine Regionalmaschinen wie die DO 228 und die DO 328. Daraus wurde die Firma Fairchild Dornier mit mehr als 3.000 Mitarbeitern. Um die Jahrtausendwende wollte das Unternehmen expandieren. Man entwickelte mit riesigem Aufwand eine 70-sitzige Passagiermaschine. Doch dann kamen die Terroranschläge des 11. September 2001, der Luftfahrtmarkt brach ein. Fairchild Dornier fand keine Kunden für die neue DO 728 und rutschte in die Pleite. Kurzzeitig gab es Hoffnung. Ein US-Investor wollte die bestehenden Flugzeugmodelle weiterbauen, ohne Erfolg, die nächste Insolvenz kam nach wenigen Monaten. Ein Schock für die Beschäftigten. Denn dem Industrie-Standort Oberpfaffenhofen drohte das Aus: "Wir hoffen natürlich auf einen neuen Investor. Das Produkt ist ein sehr gutes Flugzeug, und wir können uns überhaupt nicht vorstellen, dass es dafür keinen Markt geben soll. Wir hoffen unbedingt, dass hier jemand einsteigt. - Da wird einfach alles in Grund und Boden gefahren. Keiner kann begreifen, warum eigentlich. Da wurden erst die Zahlen ganz hoch gehalten. Und im Endeffekt ist nichts Wahres dran gewesen. - Das ist praktisch die zweite Insolvenz innerhalb kurzer Zeit. Dass das für die Familien genauso hart ist wie für den, der hier arbeitet ist klar. Wie es jetzt weiter geht? Abwarten. Und schauen, was die Zeit bringt." Die Zeit brachte zweierlei: Zunächst einen Investor, der zumindest Teile der alten Fairchild Dornier übernahm. Der Schweizer RUAG-Konzern hatte zwar am Anfang kein Interesse an kompletten Flugzeugen. Aber er entwickelte den Standort zu einem wichtigen Lieferanten für Airbus. Heute produziert die Sparte RUAG Aerostructures Rumpfteile für den Großkunden, ein Wachstumsgeschäft. Denn Airbus baut von Jahr zu Jahr mehr Flugzeuge, und braucht deshalb ständig mehr Bauteile, wie RUAG-Chef Urs Breitmeier sagt: "Wir sind heute in einer Situation, dass die Raten enorm hochgehen. Sie haben sich in den vergangenen Jahren verdoppelt oder sogar verdreifacht, und sie werden in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Das ist für die Zulieferer eine sehr große Herausforderung. Sie müssen heute ähnlich wie in der Automobilindustrie arbeiten. Es geht heute darum, in Top-Qualität zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort zu liefern. Wir sind heute mehr integriert in die Supply-Chain der großen Systemhäuser wie Airbus und Boeing. Und unsere Aufgabe ist es, die Lieferkette so zu gestalten, dass sie genau den Bedürfnissen dieser Kunden entspricht. Gerade in Oberpfaffenhofen basieren wir auf sehr gut ausgebildeten Fachkräften. Viele Innovationsschritte, etwa: Wie man ein Teil noch besser, schneller, effizienter herstellen, diese Ideen kommen von unseren sehr gut ausgebildeten Fachkräften.? Inzwischen beschäftigt die RUAG in Oberpfaffenhofen wieder 1.200 Mitarbeiter. Das ist zwar nur ein Drittel der früheren Fairchild Dornier. Aber die RUAG ist auch nur ein Teil des Gesamtstandortes. Denn nach der Fairchild-Pleite wurde für das Areal um die Startbahn des lokalen Flughafens ein neues Konzept entwickelt. Nie wieder sollte der Standort von nur einer Firma abhängig sein, sagt Bernd Schulte-Middelich. Er ist einer der beiden geschäftsführenden Gesellschafter von astopark. Das Unternehmen hat sich auf die Entwicklung von Technologiezentren spezialisiert. Nach dem Untergang von Fairchild Dornier wurden die Experten von der Bayerischen Staatsregierung ins Boot geholt, um das Ruder herumzureißen. Denn damals gab es vor Ort nur noch die Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR, und die Bereitschaft der RUAG zum Einstieg. Das war zwar ein Anfang, aber nicht genug, so Bernd Schulte-Middelich: "Auf der einen Seite war damals natürlich die Ansiedlung von RUAG ein wichtiger Punkt. Es war zum Zweiten die Bereitschaft des DLR, sich aus dem Campus des DLR heraus auch in die Region zu entwickeln. Und zum Dritten war es wohl das, was wir auch thematisch hier gemacht haben. Wir haben versucht, die ganzen Nachbargemeinden mit einzubeziehen. Und wir haben versucht, ein zentrales Thema für diesen Standort zu entwickeln. Das heißt einen Cluster aus Industrie-Unter-nehmen, die den Bereich Luft- und Raumfahrt, Satellitennavigation und inzwischen auch Automotive abdecken. Und die dafür sorgen, dass neben dem Flughafen, neben der Forschung und Entwicklung im DLR auch Industrie-Unternehmen sich hier ansiedeln. Und erkennen, dass dieser Standort wirklich ein wichtiger Hot Spot im Bereich Luft- und Raumfahrt ist." Rund 10 Jahre später hat sich dieses Engagement gelohnt. Heute arbeiten rund 6.000 Menschen auf dem Areal. Von einem Eckfenster der astopark-Verwaltung zeigt Schulte-Middelich, was sich in den vergangenen Jahren getan hat: "Auf der einen Seite sehen wir, auf der südlichen Seite, unseren großen Nachbarn das DLR, Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt. Ein wichtiger Anker, der hier mit der Technologie der Luft- und Raumfahrt, wie Satelliten-Navigation, uns natürlich thematisch befeuert. Dann sehen wir einen neuen Nachbarn: OHB, ein Unternehmen aus Bremen, das aber erkannt hat, dass man im Süden Deutschlands Luft- und Raumfahrt noch besser betreiben kann als im Norden als Satellitenbauer. Dann sehen wir hier drüben den Inkubator der ESA, der European Space Agency. Wir sehen hier das Gebäude von AOA, ein Preferred Supplier von Airbus und der Lufthansa. Und wir sehen eine ganze Reihe ? und das ist uns sehr wichtig ? von kleineren Firmen, die sich um den Flughafen herum angesiedelt haben, weil wir hier einen großen Wert auf mittelständische Firmen gelegt haben. Wir sehen natürlich auf dem Flughafen die Firma RUAG, die sich damals nach der Fairchild Dornier-Pleite an-gesiedelt hat und heute wieder neue Flugzeuge baut." Neben Bernd Schule-Middelich steht Peter Schwarz und nickt zustimmend. Schwarz ist eine Art Nervenzentrum der Bayerischen Luft- und Raumfahrtindustrie. Er leitet als Geschäftsführer den Verband bavAIRia, zu dem sich die Branche im Freistaat zusammen-geschlossen hat. Seit fast drei Jahren hat er sein Büro in Oberpfaffenhofen: "Ich war eine ganze Zeit lang ? das waren über 10 Jahre ? nicht hier nach der Insolvenz. Und ich war ganz verwundert, was da alles entstanden ist, als ich wieder kam. Ich hatte im Kopf: Mehr oder weniger Brachland, wo sich nicht viel entwi-ckeln wird. Aber weit gefehlt. Was hier entstanden ist, das hat mich ? das muss ich ehr-lich sagen ? überrascht." Eine entscheidende Rolle hat wohl das DLR gespielt, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Die Einrichtung ist so etwas wie die hiesige Schwester der amerikanischen NASA, und sie ist der wichtigste Nutzer der Start- und Landebahn in Oberpfaffenhofen. Denn von hier aus starten die Flugzeuge des DLR unter anderem zu Wetter-Missionen, sagt Zekheriya Ceyhanli, der stellvertretende Standortleiter. Insgesamt hat das DLR hier 1.700 Mitarbeiter in zehn Forschungs-Instituten. Sie beschäftigen sich unter anderem mit Robotik und mit Satelliten-Navigation. Aber am bekanntesten sind wohl das Kontroll-Zentrum für europäische Weltraummissionen und die Flotte von Versuchs-Flugzeugen. Die Maschinen sorgten zum Beispiel für Schlagzeilen, als vor einigen Jahren Europas Luftraum wegen isländischer Vulkan-Asche für einige Tage gesperrt wurde. Die Jets stiegen damals binnen kürzester Zeit auf, um zu messen, wie viel Asche wirklich in der Luft war, sagt Ceyhanli sichtlich stolz: "Da waren wir involviert. Das gab es auch eine markante Hektik. Da haben wir wirklich sofort agiert und haben ein Flugzeug vorbereitet. Dann sind wir in die Luft gegangen, haben dann Messungen durchgeführt und den Input dann an die Behörden und die Fluggesellschaften weitergegeben. Und das war für uns ein sehr wichtiges Projekt. Auch, weil wir es in der Kürze der Zeit hinbekommen haben." Das DLR, die RUAG, zahlreiche Neuansiedlungen. 14 Jahre nach der Pleite von Fairchild Donier hat der Luftfahrt-Standort Oberpfaffenhofen die Trendwende geschafft. Und es geht weiter aufwärts. Offiziell will dies zwar niemand laut aussprechen, aber in einigen Jahren könnten dort insgesamt 10.000 Menschen beschäftigt sein. Und auch am zweiten großen Luft- und Raumfahrtstandort im Raum München ist man zuversichtlich. Ortswechsel. Im Osten Münchens, gut eine dreiviertel Stunde von Oberpfaffenhofen entfernt baut das Team von Georg Rehorst kleine Kraftwerke. Genauer: Solargeneratoren für das Weltall. Sie versorgen Satelliten mit Strom. Den ersten Arbeitsschritt erledigt dabei eine Maschine: "In dieser Maschine werden die Solarzellen, die vorher angeliefert wurden, im Prinzip als leere Zelle, wo noch nichts dran ist erst einmal vorbereitet, und die elektrischen Kontakte werden automatisch angeschweißt. Von hier aus geht die Solarzelle mit den geschweißten Kontakten auf die nächste Station, wo dann zusätzlich noch ein Deck-Glas draufgeklebt wird. Dieses Deck-Glas ist wiederum gerade bei Space-Applikationen notwendig, weil es sehr hohe Strahlungen gibt. Auf der Erde werde diese durch die Lufthülle gefiltert. Im All habe ich sie aber voll auf der Solarzelle. Und das Deck-Glas schützt die Solarzelle vor der Strahlung." Georg Rehorst leitet die Abteilung Solargeneratoren in der Raumfahrt- und Verteidigungssparte des Airbus-Konzerns am Standort Ottobrunn-Taufkirchen. Seine Mitarbeiter bauen dort sogenannte Panele. Das sind ? vereinfacht gesagt ? Tafeln von der Größe einer Tischtennisplatte, gespickt mit Solarzellen. Je nach Größe und Strombedarf eines Satelliten werden einige dieser Panels zusammengefügt: "Wir bauen natürlich Solargeneratoren in unterschiedlichen Größen. Die größten, die wir bauen sind für die Telekom: Bis zu 10 Panels pro Generator, der dann in der Entfaltung eine Spannweite von 50 Meter hat. Der wiegt dann etwa 250 Kilogramm. Das ist dann auch gleich das nächste Problem, dass Leichtbau extrem wichtig ist. Und er hat dann ca. 20.000 Zellen." Mit den Solarmodulen, wie man sie oft auf Feldern oder Hausdächern sieht, haben die Solargeneratoren aus Ottobrunn-Taufkirchen aber nur wenig zu tun. Sie müssen erheblich robuster sein. So kann schließlich kein Mechaniker schnell mal ins All fliegen, wenn es eine technische Panne gibt. Solartechnik auf der Erde und im Weltraum seien aber nicht nur deshalb zwei paar Stiefel, sagt Georg Rehorst: "Es gibt signifikante Unterschiede. Der erste ist schon vom Start. Dass natürlich während des Startes massive Beschleunigungskräfte auf den Solargenerator und den Satelliten wirken ? bis zu hundertfache Erdbeschleunigung -, ein sehr hoher akustischer, Noise-Level, der den Generator und den Satelliten in Schwingung versetzen kann, das zum Einen. Und sobald der Satellit mit dem Generator im All fliegt, bewegt er sich manchmal direkt im Sonnenschein und manchmal im Schatten. Und dadurch entstehen sehr hohe Temperatur-Unterschiede. Innerhalb von wenigen Stunden geht das von Minus 180 Grad bis plus 130 Grad. Was natürlich zu erheblichen mechanischen Belastungen führt, weil sich die Materialien unterschiedlich ausdehnen. Und die Kleber müssen weiter funktionieren, und die elektrischen Verbindungen müssen weiter funktionieren." Die Anforderungen sind extrem hoch. Während Autos oder Flugzeuge regelmäßig in die Werkstatt gehen, müssen Satelliten 15 Jahre oder mehr ohne Wartung durchhalten. Deswegen wird bei der Produktion immer wieder getestet. Zum Beispiel mit einer Art Licht-Kanone: "Das ist sozusagen der Sonnensimulator. Wo dann das gesamte Panel, wenn es verkabelt ist, mit Licht geblitzt wird, das sehr nah an die Sonnenstrahlung her-ankommt, um die Funktion des Panels nochmals in dem integrierten Zustand zu testen. Dass alles richtig verkabelt wurde, dass alles funktioniert, dass ich keine Einschlüsse drin habe, etc., das wird alles hier gemessen, mit einem Blitz." Es geht wieder bergauf in Ottobrunn. Ähnlich wie in Oberpfaffenhofen ist das aus der Sicht vieler Beobachter ein kleines Wunder. Denn auch hier, im Osten von München, schien es über Jahre nur abwärts zu gehen. Der Airbus-Konzern, der vor einigen Jahren noch EADS hieß, verlagerte ganze Abteilungen weg von seinem alten deutschen Firmensitz. Gebäude standen leer, die riesigen Parkplätze verwaisten. Gras wucherte durch den Beton, junge Leute aus der Umgebung veranstalteten illegale Autorennen rund um das Gelände. Bei den verbliebenen Mitarbeitern wuchs die Sorge vor dem Aus. ?Aus unserer Sicht muss Ottobrunn als etablierter Forschungs- und Entwicklungsstandort der Luft- und Raumfahrtindustrie erhalten bleiben. ? Hier sind Forschungen und Entwicklungen, die weltweit für Aufsehen gesorgt haben, entstanden. Beispielsweise die Magnetschwebebahn, Airbus, Eurofighter, Tornado, auch Lenkflugkörper?Und wenn der Standort aufgelöst wird, dann schaut es für uns auch sehr schlecht aus..Das ist ziemlich übel, vor allem wenn der Lebensgefährte auch irgendwo da draußen arbeitet?? Der letzte Macht das Licht aus, das war ein Spruch, den man vor einigen Jahren oft hörte. Dann kam die Trendwende, erzählt Alexander Mager, der den Standort schon lange kennt. Die bayerische Staatsregierung, Abgeordnete aus der Region, aber auch Wissenschaftler und Unternehmen setzten sich vor sechs Jahren zusammen und überlegten, wie man Ottobrunn-Taufkirchen retten könnte. "Es kam dann tatsächlich die Frage auf: Wie soll es denn mittel- bis langfristig weitergehen mit diesem Standort. Diesem traditionsreichen Standort. Hier begann ja in den 50er Jahren wieder Luft- und Raumfahrt in Deutschland zu entstehen. Das war dann in der Tat der Grund, um zu sagen: Diesen Abwärtstrend müssen wir aufhalten. Dazu brauchen wir allerdings eine gute Idee. Und genau diese Idee wurde in den Jahren 2010 und 2011 konzeptionell entwickelt." Das Ziel: Eine Art bayerisches Silicon Valley der Luft- und Raumfahrt. Am Ende entstand der Ludwig-Bölkow-Campus, benannt nach dem Branchenpionier, der in den 50er Jahren den Grundstein für den Standort Ottobrunn gelegt hatte. Geschäftsführer des Campus ist Alexander Mager: "Wir haben uns in den Jahren 2010 und 2011 ganz intensiv damit beschäftigt, auf welchen Forschungsgebieten wir hier Innovation betreiben wollen. Und da haben wir uns festgelegt, mit fünf Forschungsgebieten zu starten. Ein Thema wäre, was wir Green Aerospace nennen, dahinter verbirgt sich im Prinzip nachhaltiges Fliegen. Hier reden wir über die Entwicklung vollelektrischer Antriebstechniken für die Luftfahrt, wir reden über hybride Antriebstechniken für die Luftfahrt. Das ist auch mit ein Grund dafür, dass wir hier im letzten Jahr das Algentechnikum für die TU München eröffnen konnten. Das sind typische Beispiele, mit denen wir uns hier auf dem Campus beschäftigen." Im Prinzip geht es darum, dass ein Netzwerk entsteht. Auf dem Gelände des Branchen-riesen Airbus sitzen nun auch Wissenschaftler und junge Start-Up-Firmen wie Munich Composites. Das Unternehmen mit knapp 20 Mitarbeitern entwickelt und produziert Bauteile aus Kohlefaser-Verbundmaterial, kurz CFK. Schwarze Fasern werden auf einem speziellen Flechtgerät verwoben und danach in Form gebacken. Dieser Technologie wird in der Autobranche und der Luft- und Raumfahrt eine große Zukunft vorhergesagt, denn das Material ist leichter als Aluminium aber härter als Stahl. Gleichzeitig sei es aber gerade für junge Firmen nötig, gute Kontakte in Wissenschaft und Industrie zu haben, um einen guten Start zu erwischen. Deswegen ist Munich-Composites-Manager Martin Stoppel glücklich, dass man sich auf dem Ludwig-Bölkow-Campus ansiedeln konnte: "Für uns war natürlich vor 5 Jahren wichtig, als wir gegründet wurden, dass wir uns auf das konzentrieren, was am Anfang wirklich wichtig ist bei einem jungen Unternehmen: Unsere Technologie zu entwickeln. Kunden zu gewinnen. Deswegen war es gut, einen Standort zu finden, wo wir gewisse Fördermöglichkeiten haben. Wo wir in ein Umfeld reinkommen, relativ günstige Räume bekommen. Aber eben auch ein Netzwerk haben, wo wir dann auch perspektivisch Kunden finden können. Für uns als Carbonfirma ist es eben besonders spannend, auch in die Luftfahrt-Industrie zuzuliefern. Und von daher hat man hier auch ein gutes Netzwerk, um sich austauschen zu können." Vom großen Netzwerk auf dem Gelände und einer regelrechten Aufbruchs-Stimmung schwärmt auch Insa Ottensmann. Sie ist Vorstand im Bauhaus Luftfahrt, das vor kurzem mit mehreren Dutzend Mitarbeitern aus Schwabing nach Ottobrunn-Taufkirchen umgezogen ist: "Dazu kann ich sagen, dass wir mit sehr offenen Armen empfangen wurden. Begrüßt wurden von Personen, von denen ich nicht erwartet hätte, dass sie uns explizit ansprechen würden. Es wurde sehr deutlich gemacht, dass der Standort in den letzten Jahren doch eher im Rückschritt war, dass weniger Menschen hier waren, dass Leerstände waren. Dass man fast das Gefühl hatte, es wäre eine Geisterstadt oder ein Geisterstandort. Und jetzt durch neue Mieter wie eben das Bauhaus Luftfahrt andere Signale gesendet wurden. Und dadurch auch ein Aufschwung deutlich wurde. Und das hat die Menschen sehr froh gemacht." Anders als etwa das Start-Up Munich Composites oder die Entwickler von Airbus beschäftigt sich das Bauhaus Luftfahrt kaum mit aktuellen Trends der Branche. Das Team um Insa Ottensmann blickt weit in die Zukunft. Besucht man die Büroflucht des Bau-hauses, dann sind dort futuristische Geräte ausgestellt, die kaum etwas mit heutigen Flugzeugen zu tun haben. Deswegen spricht so mancher Airbus-Mitarbeiter von ?den Spinnern?. Dahinter steckt aber ein sehr ernster Hintergrund, sagt Ottensmann: "Das Bauhaus Luftfahrt ist ein Think Tank, der sich mit der Mobilität der Zukunft beschäftigt. Und da sprechen wir über das Jahr 2050 und danach, und da speziell über die Luftfahrt. Unser Ansatz ist ? und das ist etwas ganz Besonderes ? ein interdisziplinärer Ansatz. Das heißt, wir verbinden die Ingenieurfähigkeiten mit Naturwissenschaften. Und wir haben zudem als dritte Säule Geisteswissenschaftler mit an Bord. Und wir schaffen so ganzheitliche Konzepte und denken neue Wege für die Luftfahrt im Speziellen, aber durchaus auch für allgemeine Mobilitätsthemen: Flugzeugdesign, Antriebe, Kraftstoffe. Prozesse an Flughäfen, aber natürlich auch die Menschen die bewegt werden wollen und sollen. Die betrachten wir auch mit." Futuristen, Start-Ups, Lehrstühle, ein etablierter Großkonzern wie Airbus. Der Standort Ottobrunn-Taufkirchen brummt wieder. Die Parkplätze sind gut gefüllt, die Gebäude ausgelastet. Das freut auch Ulrich Sander, den Bürgermeister der Gemeinde Taufkirchen, auf deren Gelände der Großteil der Anlagen liegt. Ihm geht es jetzt darum, das weitere Wachstum zu organisieren. Schließlich ist es für einen Kommunalpolitiker wichtig, Gewerbesteuer zu generieren: "Der Standort von Airbus ist sicher das Aushängeschild für Taufkirchen, weil es sich hier um eine Weltfirma handelt. Zusammen mit den umliegenden Firmen ist das der Magnet für Taufkirchen, um bekannt zu sein und vielleicht auch weitere Firmen hierher anzuziehen. Außerdem ist es natürlich mit dem neuen Uni-Standort, dem Ludwig-Bölkow-Campus auch eine Bildungsstätte sondergleichen. Wir sind als Gemeinde Taufkirchen irrsinnig stolz auf diesen Standort und sind froh, dass es hier wieder bergauf geht." Ein weiteres Indiz dafür, dass es bergauf geht ist die Zahl der Baustellen auf dem Gelände. An vielen Stellen wird gebaggert, gehämmert und gemauert. Der Betonturm der Hauptverwaltung, intern Gebäude 74 genannt, erhält ein neues Eingangsportal, nebenan wurde ein Glaskasten hochgezogen, das sogenannte Algentechnikum. Einen guten Überblick hat man, wenn man aus dem Büro von Airbus-Standortleiter Stephan Lindemann über das Gelände blickt. Zuerst aber muss Lindemann das Sonnenschutz-Rollo hochziehen: "Wenn Sie hier zum Fenster rausschauen, dann sehen Sie die neue Entwicklung des Standortes Ottobrunn-Taufkirchen. Zum Beispiel das neu erstellte Algentechnikum. Oder der neu erstellte Anbau der Konzernforschung für den Bereich Materialien, Metalle und Oberflächen. Des Weiteren sehen sie den Neubau für das Rechenzentrum. Wo verschiedene Rechenzentren-Leistungen aus verschiedenen Standorten konsolidiert werden sollen. Oder Sie sehen auch hier rechter Hand die Ergänzung vom Gebäude 74 bezüglich Showroom und University, also die interne Weiterbildung bei Airbus und die Erstellung eines neuen Konferenzzentrums.? In den kommenden Jahren wird sich viel tun in der Luft- und Raumfahrt. Was vor zehn bis 15 Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte: Die beiden bayerischen Standorte Ottobrunn-Taufkirchen und Oberpfaffenhofen werden dabei wohl eine wichtige Rolle spielen. Übernahme von BR 2 Sdg. "Nahaufnahme" vom 2.9.2016, 15 Uhr 30 bis 16 Uhr Originallänge: 27:12 Länge jetzt:   24:04 (gekürzt um 3:08)