COPYRIGHT: Gesprächspartner Christian Keysers, leitet die Forschungsgruppe Neurobiologie der Empathie am Labor Soziales Gehirn des Instituts für Neurowissenschaft in Amsterdam Claus Lamm, leitet die Abteilung für soziale, kognitive und affektive Neurowissenschaft an der Universität Wien Tania Singer, Direktorin am Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig Jan Slaby, lehrt Philosophie der Emotionen an der Freien Universität Berlin Torsten Schrör, Coach und Unternehmensberater Link Mitgefühl in Alltag und Forschung, kostenloses eBook von Tania Singer und Matthias Bolz, www.compassion-training.org Empathy?s Blind Spot. Jan Slaby, in: Medicine, Health Care and Philosophy, 17(2) 2014 Unser empathisches Gehirn. Warum wir verstehen, was andere fühlen, Christian Keysers, Bertelsmann 2011 Empathie und ihre Grenzen, Thiemo Breyer (Hg.), Fink 2013 Regie Musik O-Ton-1-Keysers Im Grunde wissen wir durch mehrere Experimente, dass wir sehr gut empathisch mitfühlen können, was andere fühlen, wenn wir auch nur entweder wörtliche Beschreibungen haben dessen, was andere im Moment gerade fühlen. Oder auch aus dem Ton der Stimme die Emotionen lesen. Regie Musik Erzählerin Es beginnt mit einem Affen in einem Labor. Der Affe sieht, wie jemand eine Erdnuss nimmt und aufknackt. Neurologen orten die Aktivität im Gehirn des Affen. Das überraschende Ergebnis: Beim Zuschauen wird genau das Hirnareal aktiv, das ihn selber eine Nuss greifen und aufknacken lassen würde. Der Affe versteht, was geschieht, indem sein Gehirn 'spiegelt' oder mitfühlt, was er wahrnimmt. O-Ton-2-Keysers Die Spiegelneuronen haben wir in den motorischen Systemen entdeckt. Was wir beobachtet haben, dass ein Neuron, das dafür zuständig ist, eine Erdnuss zu zerbrechen auch dann aktiv wird, wenn der Affe entweder sieht, hört, oder auch nur ahnt, dass wir gerade eine Erdnuss aufbrechen. Erzählerin Mitte der 1990er Jahre - der Nachweis der Spiegelneuronen und ihrer grundlegenden Bedeutung für unser Wahrnehmen ist ein folgenreicher Durchbruch der Neurowissenschaften. Der Vorgang des 'Spiegelns' findet sich auf allen sinnlichen Ebenen. Christian Keysers leitet die Forschungsgruppe Neurobiologie der Empathie am Labor Soziales Gehirn des Instituts für Neurowissenschaft in Amsterdam: O-Ton-3-Keysers Was wir im Grunde sehen, ist, dass Gehirnareale, die aktiv sind, wenn wir normalerweise selbst eine Handlung ausführen, wie nach einem Glas Wasser greifen zum Beispiel, werden wieder aktiv, wenn man entweder liest, wie jemand nach einem Glas greift, oder wenn Sie hören wie ich selbst gerade: (schlürft Wasser) ein schönes Glas Wasser trinke. Erzählerin So geht es nicht: man hört Schlürfen - und denkt: aha, er trinkt Wasser! Sondern man fühlt das Gehörte mit, gespiegelt in der eigenen Hirnaktivität. O-Ton-4-Keysers Was Sie jetzt erlebt haben, in dem Fall über bloßes Zuhören, das erlaubt Ihnen natürlich nicht nur abstrakt zu wissen, dass ich gerade aus einem Glas Wasser trinke. Sondern auch wirklich die ganze Subtilität mitzufühlen. Was es denn bedeutet, das schöne, kühle Wasser im Mund zu haben, zu spüren, wie es die Stimmbänder wieder etwas beruhigt. All diese komplexen Gefühle: die Gründe, warum ich jetzt gerade das Glas Wasser trinke. Das erschließt sich Ihnen jetzt alles dadurch, dass Sie mithandeln können. Erzählerin Wir stellen also nicht nur fest, was unser Gegenüber tut, sondern wir erleben ihre Aktivität in uns mit. Christian Keysers beschreibt, wie er das am Menschen untersucht: O-Ton-5-Keysers Wir setzen Sie in einen Gehirnspintomographen und messen erstmal, welche Gehirnaktivität vor sich geht, wenn Sie einfach nur beobachten, wenn eine andere Person einen Ekel erlebt. Dann weiß ich eine Landkarte der Gehirnareale, die da aktiv werden. Dann lasse ich Sie selbst Ekel erleben, indem ich Ihnen einen sehr unangenehmen Geruch in die Nase sprühe. Und messe dann wieder, welche Gehirnareale aktiv sind. Die große Entdeckung ist, dass die Gehirnareale, die aktiv sind, wenn Sie Ekel bei jemand anderem verstehen, und die, die aktiv sind, wenn Sie selbst Ekel erleben, dieselben sind. Das zeigt uns, dass dieses Erlebnis eben nicht auf abstraktem Denken beruht, weil diese Gehirnareale werden nicht aktiv. Sondern über Ihr eigenes intuitives Erlebnis des Ekels, weil wir sehen, dass das gleiche Gehirnareal wieder aktiv ist, wie wenn Sie selbst Ekel erleben. Erzählerin Dass die Wissenschaft die Empathie für sich entdeckt hat, nimmt auch Einfluss auf das gängige Menschenbild: Der Mensch steht nun nicht mehr nur als animal rationale sondern auch als animal emotionale im Fokus der Wissenschaft. Claus Lamm leitet die Abteilung für soziale, kognitive und affektive Neurowissenschaft an der Universität Wien: O-Ton-6-Lamm Wir beschäftigen uns mit der Aufklärung der neuronalen Grundlage von Empathie. Das heißt, was ermöglicht uns auf der Gehirnebene, andere Menschen zu verstehen? Empathie ist eine Vorstufe zu Mitgefühl. Und wir wollen wissen, welche Gehirnregionen und welche körperlichen Empfindungen entstehen, wenn man mit jemand anderem mitfühlt. Wenn man das empfindet, was eine andere Person empfindet. Wie interagiert das Gehirn mit dem Körper, wenn es zu Mitgefühl kommt, wie wirkt sich das auf das Verhalten der Personen untereinander aus? Wann wird Empathie zu Altruismus oder prosozialem Verhalten? Warum helfen wir manchen Menschen und andern nicht? Regie Musik Erzählerin Auch der menschliche Körper ist komplexer als eine mit Sinnesorganen ausgestattete Maschine. Nicht umsonst besitzt jeder Mensch eine Körpersprache: O-Ton-7- Keysers Das Ganze muss man im Kontrast sehen zu diesem Verständnis des Menschen als Computer. Der Computer hat keinen Körper, mit dem er handeln kann. Der Computer hat auch keinen Magen, der sich umdrehen kann. Der Computer hat auch keine Haut, auf der er Tastsinn fühlen kann. Er kann, was in einer Person vorgeht, nicht auf den eigenen Körper übersetzen und mitspüren, sondern kann nur durch reines logisches Problemlösen und Analyse verstehen, was in anderen Personen vor sich geht. Das ist wirklich qualitativ anders. Lamm D.h. die Dinge, die in uns Resonanz auslösen, wo mein Körper auf Ihren Körper reagiert, für die brauche ich kaum Sprache. Da gibt's eine Form der Körpersprache, ein körperliches Nachempfinden von Ihrem Zustand, Ihrer Reaktion auf bestimmte Sachverhalte. Die Sprache ist dem nachgeordnet, die bringt das zur Sprache, was Ihr Körper oder Ihr Organismus als Ganzes längst weiß. Dass es da eine Verbindung gibt, die über eine rein logische rationale Ebene hinausgeht. Die Verbindung ist stärker wie eine, die eben nur mit Sprache, oder nur in Anführungszeichen mit ?Mathematik oder Formeln? operiert. Die ist deswegen stärker, weil sie in Emotionen gegründet ist. Die hat dann eine emotionale Grundlage. Erzählerin Was befähigt und befördert den Menschen vom einfachen Mitfühlen zu reifem Mitgefühl? Auch am Leipziger Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften erforscht man die Grundlagen für Kooperation. Die Direktorin Tania Singer arbeitet dafür mit Experten für Mitgefühl aus aller Welt. Eindrücke von einem dieser Treffen in einem Berliner Künstler-Loft hat sie unter dem Titel Mitgefühl in Alltag und Forschung als englischsprachiges eBook ins Internet gestellt. Für die Wissenschaftlerin beginnt Empathieforschung mit einer Ordnung der Gefühle und ihrer Begriffe: O-Ton-8-Singer (Voiceover) Sprecherin Durch unsere Forschung der letzten Jahre haben wir verstanden, dass Empathie und Mitgefühl zwei vollständig unterschiedliche soziale Emotionen sind. Empathie repräsentiert unsere Kompetenz der emotionalen Resonanz mit anderen. Wenn wir mit den Schmerzen anderer konfrontiert sind, kann das überhand nehmen und bei uns zu Stress und Verzweiflung führen. Mitgefühl ist im Gegensatz dazu tatsächlich ein Gefühl, das positiv stimmt und Gehirnnetzwerke aktiviert, die belohnen und verbinden. Das wirkt sich auch gesundheitlich und sozial positiv aus, wie zum Beispiel darauf, anderen zu helfen und wirklich Anteil zu nehmen an ihrem Leid. Erzählerin Tania Singer ist überzeugt: wenn man Empathie trainiert, entwickelt sich ein soziales Mitgefühl. Der erste Schritt dahin besteht in einer Klärung zwischen eigenem Fühlen und dem Fühlen des anderen. Claus Lamm: O-Ton-9-Lamm Wenn Sie traurig sind, dann aktivieren Sie in meinem Gehirn und meinem Körper so etwas wie ein Gefühl der Trauer. Als ob ich selbst traurig wäre. Das Entscheidende ist nun, dass gute Empathie erfordert, dass man in der Lage ist zu trennen zwischen Ihrer Trauer und meiner eigenen Trauer. Das ist dann wichtig, wenn ich als Reaktion auf Ihr Gefühl selbst ein starkes Gefühl empfinde, und auf einmal nicht mehr in der Lage bin zu erkennen, dass ich eigentlich nicht selbst traurig bin, sondern dass ich Ihre Trauer in mir spüre. Wenn ich Ihre Trauer zu meiner eigenen mache, dann ziehe ich mich im Regelfall aus der Situation zurück. Erzählerin Normalerweise fühlt ein Kind bis zum Alter von 3-4 Jahren die andere Trauer als die eigene - und fühlt sich überfordert vom traurigen Anderen. Erst danach entwickeln sich neuronale Strukturen, die für eine Trennschärfe zwischen Fühlen des eigenen Befindens und Mitfühlen des anderen sorgen. Eine grundlegende Bildung von Empathie klärt daher die eigene Verfassung. So klar und kompetent man sich selbst zu fühlen vermag, so kann man auch den Gefühlen des Anderen begegnen und sie unterstützen. Der zweite Empathie-Faktor heißt Regulation: O-Ton-10-Lamm Es ist eine ganz wichtige Grundvoraussetzung dafür empathisch zu sein, dass man seine Gefühle auch regulieren kann. Also dass das Gefühl nicht zu stark wird, dass man noch damit umgehen kann, dass man konstruktiv das nutzen kann. Keysers Stellen Sie sich vor, Sie sind Chirurg, sehen einen Unfall, haben keine Anästhesie mit sich, müssen aber ein Stück Metall aus dem Körper rausschneiden. Dann müssen Sie sehr effektiv den Mitschmerz runterregulieren, um überhaupt diesen Einschnitt vorzunehmen und das Stück Metall aus dem Körper rauszuholen. Diese Fähigkeit haben wir alle, selbst unser Mitgefühl hoch und runter zu schalten. Einige stärker, andere schwächer, die Naturtalente sind da leider die Psychopathen, die fähig sind als Grundeinstellung nicht empathisch zu sein. Aber wenn sie empathisch sein wollen, können sie einen mentalen Schalter anschalten und dann mitfühlen. Regie Musik Erzählerin Empathie und ihre neuronale Erforschung rückten immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Das liegt auch daran, dass zwischenmenschliche Phänomene in den letzten Jahren verstärkt im High-Tech-Labor untersucht wurden. Aber so beliebt dieser neurowissenschaftliche Ansatz ist, so wenig beachtet sind seine Grenzen, meint Jan Slaby. Er lehrt Philosophie der Emotionen an der Freien Universität Berlin: O-Ton-11-Slaby Gerade der Diskurs in den letzten Jahren geht einseitig, vor allem seit es diese Spiegelneuronen gibt, dahin, hier von einer Art Wunderwaffe der Intersubjektivität auszugehen. Aber wenn wir von Neuroimaging, dem Hirnscanner, sprechen, dann haben wir die Situation, dass ein Individuum in die Maschine gehen muss. Was kann man dann noch groß machen? Man kann Bilder zeigen, Computerspiele einblenden, Filme. Wir haben ein fixiertes Individuum, dem irgendwelche Reize präsentiert werden, und können dann messen, wie es im Gehirn abläuft. Erzählerin Wer einmal selbst in einer solchen High-Tech-Röhre gesteckt hat, kann sich nur schwer vorstellen, wie man auf diese Weise zwischenmenschliche Phänomene erforschen will. Denn derartige Versuchsanordnungen reduzieren die reale Komplexität des fühlenden Menschen. Für Jan Slaby stellt sich hier die Frage, welche Experimente den Forschungsgegenstand überhaupt angemessen erfassen können: O-Ton-12-Slaby Es gibt eine wundersame Fähigkeit, was jemand anderes macht oder empfindet, zu spiegeln. Aber man darf nicht vergessen, dass das limitiert ist auf offene, einfache Handlungen - wenn etwas Schlimmes passiert, wenn jemand sich ängstigt oder zornig ist - dass wir dann mitschwingen. Aber genau in den Situationen, wo es auf das Verstehen der anderen Person wirklich ankommt, wo es auf Entscheidungen - wo es wirklich zählt - in diesen Situationen sind wir unvertretbar. Da kann man uns nicht innerlich kopieren. Da kopiert man dann was Falsches rein, nämlich immer die eigene Perspektive. Erzählerin Nicht die Fähigkeit des unmittelbaren Mitempfindens allein lässt uns mitfühlen, sondern auch unsere innere Haltung zu ihr. Die ist in neurowissenschaftlichen Versuchsanordnungen nur schwer zu berücksichtigen ? mahnt Jan Slaby aus Sicht der Philosophie an. O-Ton-13-Slaby ?unser Geist ist eben nicht so was wie ein Container, in dem diverse mentale Zustände statisch vorkommen: Gefühle, Gedanken und dergleichen. Sondern ein Bewusstsein zu haben, bedeutet eben immer Stellung nehmen zu können, Impulse aufzunehmen, auszuwählen - und vor allem sich zu entscheiden, auf eine bestimmte Weise zu handeln. Dieses Handlungsvermögen ist schwierig aus anderer Perspektive zu übernehmen. Erzählerin Fühlen, Denken, Handeln sind unentwegt ablaufende Aktivitäten. Wenn man das in ein Labor und eine Maschine packt, geht die Aktivität weiter, aber eben unter Laborbedingungen. Es ist schwierig, damit so umzugehen, dass es vergleichbar ist mit der alltäglichsten Situation in einem Straßencafé. Dafür braucht man eine erweiterte soziologische Perspektive - Jan Slaby: O-Ton-14-Slaby Die Haltung, die diesem Handlungsvermögen angemessen ist im interpersonalen Verkehr, ist die Anerkennung: man lässt den anderen sein, man gibt ihm den Raum, er selbst zu sein. Was man in Begriffen von Respekt beschreiben könnte. Von da aus gibt es dann Formen des sozialen Zusammenseins, die zu viel reichhaltigeren Erfahrungen und auch zu genuinem Verstehen führen können. Erzählerin Die Frage bleibt: Wie entwickelt der Mensch seine Anlagen zu einem sozial engagierten Mitgefühl? Das beschäftigt nicht nur Philosophen und Neurosoziologen, sondern zunehmend auch Manager und Entscheidungsträger - Torsten Schrör ist Coach und Unternehmensberater: O-Ton-15-Schrör Empathie ist angesagt. Es kommt kaum noch jemand, der sagt: Nee, ich will nicht empathisch sein, das ist für Weicheier! Aber es ist diese Angst da, gerade von männlichen Führungskräften, - muss man sagen, muss man irgendwie differenzieren - dass sie zum Weichei werden, wenn sie empathisch sind. Dass sie irgendwie überschwemmt werden von den Mitarbeitergefühlen, dass sie ihr eigenes Profil verlieren, wenn sie eben empathisch sind, wenn sie sich öffnen. Erzählerin In den Führungsetagen der Welt spielt Empathie anscheinend keine Rolle - und Mitgefühl erscheint fast schon als behindernd. Noch wenig öffentlichkeitswirksam regt es sich aber hinter dieser Fassade vor allem männlicher Führungskraft, berichtet Coach und Unternehmensberater Torsten Schrör: O-Ton-16-Schrör Die Wirtschaftswelt ist hart, die fordert viel, sie hat 'ne wahnsinnige Schnelligkeit, und empathisch zu sein braucht manchmal mehr Zeit als es nicht zu sein. Das ist so die Klippe, die man nehmen muss: ihnen diese Angst zu nehmen vor Empathie. Ich erlebe ganz selten, dass da Führungskräfte sitzen, die da überhaupt nicht die Fähigkeit dazu haben. Die Ressourcen für Empathie, Sensibilität, Antennen - das ist ganz oft da. Denen klar wird, dass das klassische Managerleben nur ein Stückweit trägt. So die Insignien von Erfolg und Macht nutzen sich einfach ab. Erzählerin Beim gesellschaftlichen Umgang mit globalen Krisen, aber auch innerhalb einer zunehmend krisenhaft erlebten persönliche Situation können emphatische Ansätze wichtige Anstöße liefern. O-Ton-17-Keysers Was wir klar sehen, sowohl mit Handlungen als auch mit Emotionen, ist dass wir immer dann gut mitfühlen können, wenn wir die Erlebnisse, die wir beobachten, selbst schon einmal erlebt haben. Wir müssen erst einmal erlebt haben, was es bedeutet zu scheitern, um wirklich miterleben zu können wie eine andere Person scheitert. Und so kann man sich vorstellen, dass unser gesamtes Mitgefühlvermögen jedesmal etwas besser trainiert wird, wenn wir selbst unsere Gefühlswelt vergrößern. Lamm Wir sind alle mit der Grundfähigkeit ausgestattet, je nachdem wie stark die gefördert wird oder auch unterdrückt. Das Gehirn ist extrem plastisch, ist formbar. Ergo sind auch Emotionen und die Möglichkeit, Emotionen zu empfinden, formbar. Sowohl was die eigenen Emotionen betrifft, als auch das Empfinden der Emotionen von anderen. Da gibt es unterschiedlichste Methoden, die momentan auch ausgelotet werden in experimentellen Studien, wie man dieses Mitfühlen trainieren kann. Klassischer Weise wird da der Weg verfolgt, buddhistische Lehren heranzuziehen oder Achtsamkeitsmethoden. Erzählerin Tania Singer und Jan Slaby sehen in der evolutionär geprägten Grenze zwischen unserer inneren und äußeren Bezugsgruppe eine der größten Herausforderungen: O-Ton-18-Slaby Der Knackpunkt ist das gemeinsame Handeln. Was erhoffen und erwarten sich Grundschulkinder voneinander? Sie wollen, dass sie dabei sind, dass sie mitspielen dürfen. Und die schlimmsten Erfahrungen sind für Kinder, wenn sie nicht mitspielen dürfen, wenn die In-Group ein Kind ausschließt. Das Kind möchte mitmachen, mitspielen dürfen, in einer gemeinsamen Handlung in einer Gruppe involviert sein. Insofern kommt es darauf an, den Kreis derer, die sich verbinden, gemeinsam handeln, Ziele verfolgen, zu erweitern. Singer (Voiceover) Sprecherin Unsere Gehirne sind von der Evolution her eingerichtet für die Unterscheidung zwischen Innen- und Aussen-Gruppe. Wir können das in Gehirnscans sehr leicht zeigen: ich sage dir einfach, diese Person ist Außengruppe - und anstatt mit deren Leid mitzufühlen, empfindest du Schadenfreude. Und ich kann jeden Studenten in meinem Labor in diese Verfassung bringen, nicht nur Psychopathen, jeden netten Studenten. Da ist eine tief eingerichtete Haltung in uns, ein Überlebensinstinkt, der sich an der Innen-Außen-Gruppe festmacht. Wie kommen wir auf die nächste Ebene und erleben Außengruppe einfach nicht mehr? Erzählerin Wie wird aus einer trennscharfen und gut regulierten Empathie ein universelles Mitgefühl? Wie erlangt man eine Gefühlsstärke und -klarheit, die sich jedem fühlenden Wesen gegenüber äußert? O-Ton-19-Slaby Unter welchen Umständen sagen denn Personen, dass sie glücklich in ihrer Gruppe sind? Man könnte Einstellungen messen: wann sind Menschen tatsächlich so, dass sie den Kreis derer, für die sie ein ernsthaftes Bemühen zeigen, erweitern - also über Familie und engen Freundeskreis hinaus? Erzählerin Dass sich durch positive Erfahrungen und mentales Training auch neuronale Strukturen verändern können, wird als Plastizität bezeichnet. Tania Singer erläutert den Unterschied zwischen einfachen und komplexen plastischen Potenzialen: O-Ton-20-Singer (Voiceover) Sprecherin Wenn wir wissen wollen, wie wir unsere Gehirne durch Klavierspielen verändern können, nehmen wir einen Profipianisten und scannen ihn und sehen, dass die Teile seines Gehirns wachsen, die seine Finger repräsentieren. Das nennt man Plastizitätsforschung. Das wurde über Jahre gemacht im Bereich Finger, Motorik und Gedächtnis, aber nie mit subtileren Formen wie Mitgefühl, Herzöffnen, positiven Empfindungen, oder Aufmerksamkeit. Erzählerin Immer mehr Menschen wünschen sich mehr Empathie im sozialen Miteinander. Die gute Nachricht der Empathieforscher und -experten lautet: Jeder einzelne Mensch verfügt über das Potenzial hierfür. Dennoch gibt es für besondere Hirnpotenziale Experten. O-Ton-21-Singer (Voiceover) Sprecherin Man braucht Experten, man braucht Leute, die 30-40 Jahre ihre mentalen Muskeln im Gehirn trainiert haben. Was einem ermöglicht, nicht nur mit dem eigenen Kind mitfühlen zu können, sondern mit allem - auch wenn man das vielleicht zuerst nicht mag. Diese Experten haben wir in den Scanner gesetzt und gesehen: wenn das Gehirn dieser Experten zum Beispiel konfrontiert wird mit starken negativen Belastungen oder starken schmerzhaften Reizen, reagiert es ganz anders als ein nicht trainiertes Gehirn. Wenn Mitgefühl wirklich gefordert wird, können normale Menschen das nicht halten. Regie Musik Erzählerin Mehr Empathie führt nicht zwangsläufig zu einer besseren Welt. Unser Mitgefühl ist nicht grenzenlos ? und leider auch nicht für alle Menschen gleich. Stattdessen lassen sich auch hier evolutionär bedingte Muster erkennen: Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen den Mitmenschen am meisten Empathie entgegenbringen, die ihnen am ähnlichsten sind ? also die gleiche Hautfarbe, Nationalität oder familiäre Herkunft besitzen. Dennoch sieht Jan Slaby Handlungsbedarf: O-Ton-22- Slaby Meine Orientierung wäre, das vorhandene Wissen, was wir alle mit uns herumtragen, auf die richtige Weise rauszubringen. Durch Fragen, Nachfragen bezüglich solch gelingender Erfahrungen. Da schlummert eine Menge verborgene Lebensweisheit in uns allen, nur uns werden diese Fragen nicht gestellt. Erzählerin Nicht Kalkül, sondern Gefühl und Mitgefühl können Wegweiser in einem komplexen Leben sein. Denn beim Fühlen geht es nicht um Abgrenzung, sondern um Kontakte und Beziehungen. Die Erforschung menschlicher sozialer Beziehungen in einer Netzwerkgesellschaft steht dabei noch am Anfang. Claus Lamm: O-Ton-23-Lamm Man macht sich die Welt künstlich kleiner. Durch diese bewusste Begrenzung auf einen bestimmten Ausschnitt wird man nicht verrückt. Das Entscheidende ist, dass jeder einzelne Neurowissenschaftler nicht vergisst, dass er sich methodenbedingt immer auf einen bestimmten Ausschnitt beschränken muss, dass er aber am Ende des Tages den größeren Kontext wieder herstellen muss: was ist das Big Picture? - nur da sind wir wirklich noch sehr sehr naiv, was dieses Big Picture betrifft. 14