COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel - 3. Januar 2010 "Pistenrenner oder Langschläfer" Trends und Philosophien beim Wandern Eine Sendung von Nadine Querfurth. 1 Rüdiger Nehberg Minimalismus ist meine Lebensphilosophie. Ich reise nicht gerne über ausgerüstet voller Ballast im Grunde genommen. 2 Australische Reisende auf Englisch Wir haben entschieden, unsere Rücksäcke samt der ganzen Ausrüstung gar nicht erst zu wiegen. Wir wollen gar nicht wissen wie schwer sie sind, aber bestimmt 35 bis 40 Kilo! 3 Rüdiger Nehberg Ein bisschen Mitleid habe ich mit den Leuten, die sich da so ausrüsten. Das ist für mich so was von reizlos. Ich brauche wirklich ein paar Turnschuhe, ne Badehose, ein Angelhaken und dann kann ich losziehen. 4 Australische Reisende auf Englisch Heut habe uns entschieden für ein Thailändisches Pad-Thai-Gericht mit Chilis, Lachs und Nudeln. Hoffentlich eine gute Wahl. Wir haben vier Avocados, vier große Karotten und 8 große, GANZE Salamiwürste, dänische und ungarische wohlgemerkt im Gepäck. 5 Rüdiger Nehberg Da esse ich doch lieber meine Insekten. Also ich brauche diesen Komfort nicht und ich komme auch so ganz gut klar. Ich reise manchmal nur mit einer Plane, das ist so mein Ausrüstungsuniversalteil. Wenn ich die auf den Boden lege kann ich Regen auffangen, ich kann mich vor Wind schützen, ich kann mir eine Hängematte draus machen, ein Zelt machen und ein Boot. Gleichzeitig ist es ein Rucksack. Theoretisch brauche ich nur das. Erzähler1 Kelly und Ily Peik, ein junges Pärchen aus Oregon, beide Anfang 30, treffen die letzten Vorbereitungen für eine Wandertour mitten durch Tasmanien, die Insel südöstlich der Australischen Küste. Auf 75 Kilometern schlängelt sich der Overland-Trek - für viele DER schönste Wanderweg Australiens - inmitten des beeindruckenden Cradle-Mountain- Nationalparks durch Moore und Hochplateaus, entlang kristallklarer Seen und kleiner Wäldchen aus Farnpalmen. Weit abgelegen ist er, jenseits der Zivilisation. Ein normal fitter Wanderer schafft diese Strecke in sechs bis sieben Tagen. 6 Kelly auf Englisch Wir nehmen uns viel Zeit, um auch alle Seitentouren zu laufen. Wir wollen ganz früh aufstehen, auf alle Gipfel klettern und einfach so viel wie möglich vom Trek mitnehmen und ihn genießen. Wir planen 7 Tage. Durch ein so abgelegenes Fleckchen Erde zu wandern setzt ein wenig logistische Planung voraus. Wie kommt man an Trinkwasser, wie an Verpflegung, was braucht man an Ausrüstung? 7 Ily Peik auf Englisch Wir haben ein Zelt dabei, Kocher und Schlafsack. Kelly fügt hinzu, dass neben knöchelhohen und vor allem eingelaufenen Trekkingschuhen Gamaschen für solche Touren unbedingt nötig sind. Zum einen geht es durch moorigen Untergrund, Schlammlöcher und kleine Bäche, zum anderen schützen Gamaschen vor Schlangenbissen. Im Cradle-Mountain-Nationalpark gibt es weder Kiosk noch Supermarkt, daher haben Kelly und Ily alles vorher eingekauft. Nahrungsmittel für sieben Tage plus eine Notration. Die beiden sind in ihrer Heimat ständig mit Rucksack und Zelt unterwegs und wissen, was sie brauchen, um satt zu werden. 8 Kelly Peik auf Englisch Wir essen heiße Sachen und trinken Tee. Zum Mittag haben wir Erdnussbutter- Honig-Toast dabei, zum Frühstück essen wir Müsli und für abends dann Couscous und getrocknete Pilze, Tee und Cafe. Verkehrstechnisch liegt der Overland-Trek relativ ungünstig. Selbst in der Hochsaison fahren die Busse dorthin nur dreimal in der Woche. Ganze anderthalbe Tage nimmt die Anfahrt von der tasmanischen Hauptstadt Hobart über Launceston ein. Am Omnibusbahnhof von Devonport wartet ein weiß-grüner Kleinbus. Über eine Anhängerkupplung zieht er einen mächtigen Hänger für das Gepäck. Die beiden 25 Kilogramm schweren Rucksäcke von Kelly und Ily Peik sind verstaut. Fast alle Reisenden im Bus haben das gleiche Ziel: den Cradle-Mountain Nationalpark. Der Busfahrer ist ein gemütlicher Tassie, wie sich die Tasmanier selber nennen. "Wir sind da" ruft er durch den Bus, öffnet die Türen und weist den Weg zum Büro der Nationalpark- Verwaltung. Dort bekommen alle Wanderer ihre weit im Voraus gebuchten Tickets gegen eine nicht unerhebliche Gebühr. 160 Australische Dollar, umgerechnet 100 Euro kostet das Wandervergnügen pro Person. Bis vor vier Jahren noch durfte jeder ohne zu zahlen den Trek laufen. Die Bekanntheit und Schönheit ist dem Overland-Trek zum Verhängnis geworden. In der Hochsaison tummelten sich in den vergangenen Jahren teilweise mehr als 100 Leute in einer Hütte bzw. auf dem Zeltplatz. Zig-tausend Wanderer zählte man pro Jahr. Zu viele, als dass der einzelne den landschaftlich so beeindruckenden Wanderweg noch hätte genießen können. Mittlerweile ist die Anzahl der Wanderer in der Hochsaison begrenzt: 60 dürfen pro Tag starten. Kelly und Ily Peik haben bequem per Internet gebucht und nehmen als nächste in der Warteschlange ihre Tickets entgegen. 9 Ticketverkäuferin auf Englisch Hier sind eure Pässe, die müssen gut sichtbar am Rucksack angebracht sein. Wenn ihr in Ronnies Creek loslauft, tragt ihr Euch in das Buch ein. Dann seid ihr registriert. ATMO Kasse geht auf, Münzen klappern. 10 Geht es Euch gut heute? Seid ihr fit zum Loslaufen? Der Shuttlebus fährt alle 10 Minuten gleich von hier draußen und bringt Euch zum Ausgangspunkt des Treks. In Ronnies Creek ist der Startpunkt der Wandertour. Die Schotterpiste endet vor einer flachen Ebene, die zum Horizont hin langsam ansteigt. Ein kristallklarer Fluss kreuzt hier den Weg. Knapp 20 Wanderer steigen aus dem Bus aus. Sie schultern ihre Rucksäcke, ziehen an den Gurten, um den Sitz des Gepäcks optimal einzustellen und schnüren noch einmal ihre Wanderschuhe fest. Verloren steht eine Schutzwand aus Holz im Grün, auf einer schrägen Ablage liegt ein großes Spiralbuch. Jeder Wanderer muss sich hier eintragen mit Namen, Geschlecht und Passnummer. Dann kann es losgehen. Kelly und Ily sind abmarschbereit als ihnen siedendheiß einfällt, dass sie an eine ganz wichtige Sache nicht gedacht haben. Sie wenden sich zwei anderen Wanderern zu. 11 auf Englisch Habt ihr an Toilettenpapier gedacht?? Also wenn ihr eine übrig habt oder zuviel, wäre das großartig!! Das ist wirklich hilfreich, Danke Euch. Wir sehen Euch unterwegs auf dem Weg. Kelly und Ily Peik finden recht schnell ihren Rhythmus und ihr Lauftempo. Die Beckengurte ihrer Rucksäcke sind festgezogen, die Schulterriemen sitzen locker, so liegt das ganze Gewicht auf der Hüfte. Die erste Etappe von 10 Kilometern liegt vor den beiden Amerikanern. Das ganze Hab und Gut auf dem Rücken zu tragen beflügelt, der ständig wehende Wind bläst einem förmlich die Gedanken aus dem Kopf. Alltag und Eintönigkeit existieren hier nicht. Der Weg führt nie schnurstracks gerade aus. Hinter jeder Kurve sieht die Landschaft anders aus. Buttongrass, so genanntes Knopfgras, wächst in halbkugelförmigen großen Büschen und streckt am Ende der Halme knopfartige Blüten in die Luft. Bäume und Büsche leuchten in vielen verschiedenen Grüntönen. Vereinzelt durchbrechen graue Felsen die grünen Hügel. Immer wieder tauchen kleine Wälder von Pandanus-Bäumen auf. Ihre Silhouetten sehen im Gegenlicht wie Kraken mit unzähligen Tentakeln aus. Erzähler 2 Dass die Schönheit des Overlandtreks bis heute erhalten ist, geht unter anderem auf einen gebürtigen Österreicher zurück. Gustav Weindorfer wanderte nach Tasmanien aus und war fasziniert von der Schönheit rund um Cradle-Mountain. Die Landschaft hatte ihn so berührt, dass er sich 1911 dort ein Haus baute - sein Waldheim, wie er es nannte. Er wollte die Gegend um Cradle-Mountain auch anderen zugänglich machen und erweiterte es zu einem Gasthaus. Bereits 1912 kamen die ersten Besucher. Weindorfer selbst zog es immer wieder auf den Berg hinauf. Schwarz-weiß Fotos zeigen ihn mit seiner Frau in Begleitung von Freunden auf Cradle- Mountain. Gekleidet sind die Herren in Knickerbocker-Hosen, sie tragen Filzhüte und kniehohe Lederstiefel. Die Damen lange Loden-Röcke, Blusen und Hüte mit großen Schleifen. So erklomm die Seilschaft damals die Berge. Weindorfer war begeisterter Botaniker. Auf sein Drängen hin entstanden 1922 zwei Reservate, die später zum Cradle-Mountain Lake St. Claire- Nationalpark wurden. Gustav Weindorfer war ein guter Herbergsvater für die Gäste in seinem Waldheim, servierte Wombat-Gulasch und erzählte Geschichten aus seiner Heimat, dem alten Wien. In den 1930 Jahren entwickelte sich am Cradle Mountain regelrecht eine Art Wandertourismus, einer Gegend die sonst von Trappern und Aboriginies bewohnt war. Die erste Wandergruppe begleitete der Tasmanier Evelyn Temple Emmett, der Gründer des Hobart Wanderclubs. Vor 78 Jahren im Januar 1931 lief er den Overland-Trek mit sieben weiteren Wanderern zum ersten Mal. Damals war der Overland-Trek in fünf Tagen zu schaffen, die unter Kennern als "the five most thrilling days of your life" - als "die 5 aufregendsten Tage des Lebens" galten. Erzähler 1 Seitdem Emmett den Overland-Trek einweihte, hat das Interesse nicht nachgelassen. Bis zu 8.000 Wanderer laufen den Trek pro Jahr. Ein detaillierter Management-Plan ist nötig, um ihn zu bewirtschaften. Darren Emmett, ein Urenkel von Evelyn Temple Emmett, ist in dessen Fuß- Stapfen getreten und arbeitet heute als Ranger auf dem Overland-Trek. 12 Darren Emmit auf Englisch Ich arbeite schon seit 8 Jahren für die Nationalparkverwaltung Tasmaniens, vier Jahre jetzt schon hier auf dem Overland Trek. Neun Tage lang bin ich hier draußen und laufe den Trek einmal bis zum Ende und zurück, dann habe ich fünf Tage frei. Dann freue ich mich, wenn ich wieder. Es ist eine fantastische Natur. Vor 10.000 Jahren war hier, wo wir gerade sitzen, alles unter einer dicken Eisschicht und heutzutage prägen Täler und Hügel aus dieser Zeit die Landschaft, ziehen einzigartige Tiere an: Tüpfelbeutelmarder, kleine Kängurus, tasmanische Teufel, Plumpbeutler, die genau das machen, was sie seit Jahrtausenden machen. Das ist einzigartig. Darren Emmett übernachtet auf dem Trek in einer kleinen Rangerhütte. Er trägt einen sehr kleinen Rucksack auf dem Rücken, Gamaschen reichen ihm bis zum Knie und sein Cowboy-Hut wirft an sonnigen Tagen wie heute Schatten auf sein Gesicht. Mit zwei weiteren Rangern hält er den Trek instand. 13 Darren Emmit auf Englisch Wir machen jegliche Art von Instandhaltung hier. Wir säubern teilweise den Weg von umgefallenen Bäumen oder heruntergefallenen Ästen, halten die Hütten instand und machen auch sauber. Material wie Gas, Kohle oder Baustoffe kommen zwei bis dreimal im Jahr mit dem Hubschrauber. Hier an der Waterfall Valley Hut, der ersten Übernachtungsmöglichkeit auf dem Trek, fließt ein kleiner Fluss die Hügel hinab. Kühles Nass zur Erfrischung. Die Wanderer müssen ein paar Regeln befolgen, damit auch alle Nachfolgenden das Wasser trinken können und die Natur hier intakt bleibt. 14 Darren Emmit auf Englisch Normale Seifen und Shampoos sind natürlich auch tabu. Da wir kein Abwassersystem hier haben, geht alles in die umliegenden Flüsse. Und was den Müll angeht: Das Motto ist, was du mit reinbringst in den Park, trägst du auch wieder heraus. Also Verpackungen, Dosen und so etwas soll jeder in Müllbeuteln sammeln und wieder mitnehmen. Es gibt keine Mülleimer hier draußen. Hinter der Waterfall Valley Hütte ragt in der Ferne aus den leichthügeligen Wiesen der Gipfel Barns Bluff empor. Neben einem Buttongrass Hügel sitzt ein kleines, wollenes, rundes Wesen: ein Wombat - ein Plumpbeutler. Er streckt den hier nächtigenden Wanderern aus Deutschland, Amerika und Australien seine nackte Nase entgegen - scheu ist er nicht. Laut Darren Emmett gehört er zum "Inventar" dieser Hütte und hält sich fast immer hier auf. Der Ranger schmunzelt, als er die Wanderer mucksmäuschenstill auf dem Boden liegen sieht, die Kameras mit ruhiger Hand auf den Wombat gerichtet. 15 Darren Emett auf Englisch Der Trek ist auch gewissermaßen ein sehr sozialer Wanderweg, denn man trifft Gleichgesinnte aus so vielen unterschiedlichen Ländern. Manchmal begegnet man auf Abschnitten gar keinem, aber abends auf den Zeltplätzen kommen doch die gleichen Leute wieder zusammen. Die Ansichten und Erfahrungen der Anderen kennenzulernen, macht mir persönlich sehr viel Spaß und deshalb liebe ich meine Arbeit hier so sehr. Menschen aus aller Herren Ländern teilen die Leidenschaft, sich draußen zu bewegen, zu zelten, die kleinen und großen Wunder der Natur zu bestaunen. Outdoor-Freaks gibt es überall. Eine solche Wandertour bei jedem Wetter, egal ob Sonne, Hagel, Regen oder Schnee, genießen zu können, setzt auch die entsprechende Bekleidung und Ausrüstung voraus. Outdoor- Ausrüstungsgeschäfte haben sich darauf spezialisiert. Auf dem Europäischen Markt ist der Hamburger Outdoor-Spezialist Globetrotter der größte Fachhändler. In den sechs deutschen Filialen verzeichnet er 2009 15 Prozent Umsatzsteigerung im Vergleich zum Vorjahr und reagiert auf den Zuwachs mit neuen Filialen in Hamburg und München. Der Sportfachhändler- Verbund Intersport mit 1400 Läden weltweit verzeichnet einen ähnlich höheren Umsatz mit Rucksäcken, allwettertauglichen Jacken und Wanderschuhen. Kurz gesagt: die Branche boomt. Europaweit liegt der Umsatz bei rund sechs Milliarden Euro schätzt Rolf Schmid, Präsident des Branchenverbands European Outdoorgroup. 16 Rolf Schmid Der Outdoor-Branche geht es nach wie vor gut. Ich glaube nicht, dass es jetzt noch so boomt wie vergleichsweise vor ein zwei Jahren, aber nichts desto trotz oder sogar wegen der Krise geht es uns gut. Die Gründe für die schwarzen Zahlen in der Branche sieht Rolf Schmid in der Psyche der Verbraucher. 18 Rolf Schmid Der Konsument hat es teilweise satt, von der Krise zu hören. Der Konsument flieht ein bisschen von dem Alltag. Er hört nur Negatives und wir, die Branche, gibt Alternativen, man kann am Wochenende weg, man kann raus in die Natur, man kann die Stille suchen, man kann Bewegung suchen, Wellness. Und die Natur gibt einem wieder die Möglichkeit, sich an einfachen Dingen zu erfreuen. All das bietet Outdoor. Kelly und Ily Peik kommen nach viereinhalb Stunden Marsch an der Waterfall Valley Hut an. Neben der Holzhütte ist ein Rasenstück für Zelte. Die beiden öffnen ihre Rucksäcke, ziehen Zelttaschen, Kocher und Isomatten heraus und bauen ihr mobiles Zuhause auf. Offenes Feuer ist im Nationalpark nicht erlaubt, deshalb zündet Kelly den Benzinkocher an für Couscous mit getrockneten Pilzen. Gute zwanzig Meter entfernt haben die Australier Phil und Anton ihr Lager aufgeschlagen. Sie sitzen vor ihrem Zelt und haben den gesamten Inhalt ihrer Rucksäcke auf dem Gras ausgebreitet. Fast ausschließlich Nahrungsmittel. 19 Phil & Anton auf Englisch Wir suchen gerade etwas mit Gemüse und Reis drin, so dass wir noch Thunfisch untermengen können. Die meisten Fertiggerichte, die wir mithaben, sind mit Hühnchen, Schinken oder Fleisch. Heut habe uns entschieden für ein Thailändisches Pad-Thai-Gericht mit Chilies, Lachs und Nudeln. Hoffentlich eine gute Wahl. Das klingt fast nach einem richtigen Menü. Die Auswahl ist den beiden bei ihrem enormen Vorrat nicht leicht gefallen. 20 Phil & Anton auf Englisch Wir haben vier Avocados, vier große Karotten und 8 große, GANZE Salamiwürste, dänische und ungarische wohlgemerkt im Gepäck, das wiegt ganz schön viel, Nein, wir reisen nicht leicht.!! Wandern heißt bei diesen zwei Herren definitiv nicht Entbehrung. Mit anfänglichen 25 Kilogramm Nahrungsmitteln plus 10 Kilogramm Ausrüstung haben die beiden erst gegen Ende der Wanderung leichte Rucksäcke. Schaut man sich bei den Wanderern auf dem Zeltplatz um, fällt auf, dass die einen, wie Phil und Anton, eher üppig leben, die anderen, wie Kelly und Ily, sich doch eher beschränken. Sie teilen sich ein Einmann-Zelt, schlafen auf halben Isomatten und nutzen ihre leeren Rucksäcke als Kopfkissen. Wer auf dem Overland-Trek kein Zelt mitschleppen möchte, kann in der Holzhütte übernachten. Marc Green und seine drei Söhne aus Sydney haben sich für die Hütte entschieden. Die vier laufen kürzere Etappen, denn Marcs Jüngster ist gerade sieben Jahre alt. Jeder der drei Jungs trägt einen eigenen Rucksack. Darin versteckt sind ein paar besondere Köstlichkeiten wie Schokoladenpudding oder Marshmellows. Die gibt es zur Belohnung oder abends vor dem Schlafen gehen, verrät der achtjährige Sam. Marc hat diesen Urlaub ganz bewusst als Familienurlaub geplant. 21 Marc Green auf Englisch Meine Söhne sind grade in dem Alter, wo sie so eine Wanderung eben auch interessieren könnte. Dann hatten wir die Idee, es nur als Vater Sohn Wanderung zu starten. Ich fand die Idee sofort sehr gut, weil heutzutage in der westlichen Welt die intensive Zeit zwischen Vater und Söhnen wirklich selten geworden ist. Man muss sich diese Zeit das ganz bewusst frei schaufeln und es einfach machen - nur Vater und Sohn. Marc möchte während dieser intensiven Zeit seinen Söhnen etwas ganz Besonderes mit auf den Weg geben. 22 Marc Green auf Englisch Eben auch in Zeiten, wenn es mal schwierig oder anstrengend wird, durchzuhalten und die Erfahrung machen, man kommt trotzdem ans Ziel. Solche Erfahrungen sind wichtig im Leben, besonders wenn meine Söhne älter werden und zur Uni gehen. Auch da wird es ihnen zu Gute kommen, dass sie wissen, wenn sie in anstrengenden Zeiten durchhalten, erreichen sie ihre Ziele. Ausrüstungsgegenstände wie Zelt, Schlafsäcke oder Bekleidung müssen auf einer solchen Wanderung einiges aushalten. Schnee, Regen, Hagel: alles ist möglich. Die Materialien dieser Bekleidung sollten atmungsaktiv und wasserabweisend sein, obendrein noch die Körperwärme halten. Textilien mit solchen Eigenschaften kommen heutzutage nicht mehr ohne Technologie aus, sagt Rolf Schmid. 23 Rolf Schmid: Der Endkonsument will möglichst leichte Produkte, er will nicht unnötige Kilos mitschleppen und je nach Produkt ist das eben nicht mit herkömmlicher Ware möglich, deshalb braucht es Hightech Materialien. Der Trend geht dahin, dass ein Produkt alle guten Eigenschaften in sich vereinen sollte, also multifunktional sein und noch dazu extrem leicht. Diese Entwicklung hat aber ihre Grenzen. 24 Rolf Schmid: In der Entwicklung der Produkte gehen wir heute schon sehr weit, teilweise könnten wir nochweiter gehen, aber meist ist es ein psychologisches Problem. Am einfachsten ist zu erklären am Seil. Die Seile wurden in den letzten Jahren immer dünner, auch besser, also man kann effektiv sehr viel mehr Stürze mit einem Seil machen, bevor es reißt. Ein Seil könnte heute halb so dick sein und würde immer noch effektiv sein und halten, nur kommt das Seil dann beim Konsumenten nicht mehr an, weil wenn man denkt, das Seil ist so dünn, das kann mich nicht mehr halten, das kaufe ich jetzt nicht mehr. Ein Unternehmen, das sich mit der Entwicklung neuer Textilien beschäftigt und viele Hersteller von Outdoorbekleidung mit Stoffen beliefert, ist Schöller mit Sitz in der Schweiz. Hier kommen Hightech-Materialien her. Die Entwicklungsabteilung von Schoeller gleicht einem Chemie-Labor. Reagenzfläschchen und Chemikalien stehen in Regalen. In einer Ecke ragt ein zwei Meter langer hohler Zylinder aus Metall gen Decke. Oben ist ein Duschkopf angebracht: es ist ein so genannter Regenturm. Hier werden Textilien daraufhin getestet, ob sie wasserdicht sind, erklärt Christine Hübner. 25 Christine Hübner Da unten ist ein Stoff eingespannt mit einer Membran. Und es kommt eine definierte Wassermenge raus, die immer auf den Stoff gespritzt wird. Und sie sehen: die Tropfen perlen ab. Sie müssen sich vorstellen, sie stehen mit der Jacke im Regen und da perlt der Regen wunderbar ab. In jedem Textil der Outdoor-Branche steckt Know-How. Christine Hübner zufolge gibt es fast kein Textil mehr ohne Technologie. Die Produktentwickler des Unternehmens schauen sich in den meisten Fällen Tricks von der Natur ab. So auch bei der so genannten Nanosphere- Bekleidung. Vorbild ist das Lotos-Blatt, das nie schmutzig wird. 27 Christine Hübner Wenn man in ein Mikroskop reinschaut und mit dem Rastermikroskop ein Lotosblatt anschaut, dann ist die Oberfläche nicht glatt sondern, hügelig und wellig. Und auf diesen kleinen Hügeln und Wellen bleiben die Wassertropfen nicht stehen, sondern können abfließen. Das sind jetzt Nanopartikel und da kullern die Schmutz- und Wassertropfen einfach ab. Deshalb bleibt das Lotosblatt sauber und unsere Klamotten mit dem Nanosphere. Das Neuste aus dem Hause Schöller ist "coldblack" - kaltes Schwarz. Dahinter verbirgt sich eine neuartige Technologie für Gewebe, die sich dadurch nicht so aufheizen. 28 Christine Hübner Mit unserer Entwicklung ist es uns jetzt gelungen, dass Schwarz und alle dunklen Farben genauso reagieren wie Weiß, also sie reflektieren die UV Strahlung und nehmen sie nicht mehr auf, d.h. das Textil reagiert genauso wie Weiß. In einem Testlabor haben Ingenieure den coldblack-Effekt mit einem Schwitztorso simuliert. Sie bestrahlten den mit einem schwarzen coldblack-Shirt bekleideten Torso mit Infrarotlicht. Im Vergleich dazu ein herkömmliches schwarzes Polo-Shirt. Das coldblack-Gewebe blieb um circa fünf Grad Celsius kühler als das herkömmliche Hemd. Es gibt Menschen, die von solchen Technologien nicht viel halten und sich auch nicht überausgerüstet auf Wanderungen begeben. Rüdiger Nehberg zählt zu den bekanntesten Vertretern. Er ist Überlebenskünstler, Minimalismus seine Lebensphilosophie. 29 Rüdiger Nehberg Als ich den Deutschlandmarsch plante, wollte ich mir beweisen, dass ich ohne Nahrungsmittel und ohne Ausrüstung 1000 Kilometer bewältigen kann. Da musste man wohl trinken, aber ich brauchte nichts zu essen. Ich lebte von meiner Körpersubstanz und habe pro Tag ein Pfund verloren. Nach drei Tagen hatte ich auch kein Hungergefühl mehr, das war eine der wertvollsten Erfahrungen und das ich in den ersten Wochen abspeckte und mich das beflügelt hatte. Einen Overall, Unterhemd, Unterhose, Turnschuhe, Socken und eine Mütze - sonst hatte Rüdiger Nehberg nichts dabei, als er zu dem Marsch von Hamburg nach Oberstdorf aufbrach. Nachmittags buddelte er sich im Wald eine Mulde, die er mit Laub auslegte - quasi als Isomattenersatz - und deckte sich mit Ästen und Humus zu. Seiner Lebensphilosophie ist Nehberg bis heute treu. 30 Rüdiger Nehberg Ich wollte mir immer beweisen, dass ich nicht unbedingt abhängig bin von der Zivilisation, dass ich im Notfall mir die Welt anschauen kann, tolle Erlebnisse haben kann in den abgelegenen Gebieten in der Einsamkeit dieser Welt ohne den Luxus der Zivilisation, reduziert auf die Bedürfnisse, die ein Tier hat. Luxus mache ihm Angst, sagt Nehberg. Wenn er in die Kataloge der Ausrüster schaut, schüttelt er mit dem Kopf. Das sei absurd, sagt er. 31 Rüdiger Nehberg Da wird ja sogar Brennholz angeboten schon fertig gespalten für Leute, die nicht mal in der Lage sind sich ein Feuer zu machen. Man könnte das schnell so interpretieren, dass ich arrogant wäre, das so abzulehnen, aber das hat mich einfach nie gereizt. Menschen möchten heutzutage reisen, aber ohne ein Risiko einzugehen. Sie möchten im Regen stehen, ohne nass zu werden. Sie wollen alles, aber möglichst bequem. 32 Rüdiger Nehberg Daher boomt diese Branche und man rüstet sich übermäßig aus. Hier in Berlin gibt es ja Globetrotter Ausrüstung und ich war gerade in München, da entsteht ein 8-Stöckiges Globetrotterhaus. Ich gehe da gerne durch, da sind Frostkammern, da sind Kletterwände, wo man all die Dinge schon mal testen kann, aber ja, mir bedeutet das nichts. Ich gehe da staunend durch. Alleine diese Zeltstadt, das ist eine Stadt, da stehen so viele Zelte, das ist aberwitzig. Der 74-jährige Nehberg hat in seinem Leben nie aufgehört, seine Grenzen auszutesten. Er war in vielen Situationen bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzen und hat wie vielleicht kaum ein anderer, seine Limits kennen gelernt. 33 Rüdiger Nehberg Ich glaube, die Qualität einer Reise gewinnt und auch das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen kann man unheimlich steigern und das hilft einem auch wiederum hier in der Zivilisation, wenn man einfach mal versucht mit nichts loszureisen und irgendwann ist man frei wie ein Zugvogel. Auf dem Overland-Trek sind Menschen wie Rüdiger Nehberg, die ohne Ausrüstung und Nahrung wandern, kaum zu finden. Keiner verzichtet hier freiwillig auf sein Zelt, die heiße Tasse Tee oder die warme Mahlzeit am Abend - auch wenn es nur trockener Couscous oder Reis mit Soße ist. Kelly und Ily, Phil und Anton, Marc und seine Söhne sind nach 7 Tagen Wandertour am Ziel: Erschöpft, aber glücklich. 34 auf Englisch Wir fanden es ganz großartig, wir haben tolles Wetter erwischt. Der Weg ist gut in Stand gehalten, es könnte viel schlammiger sein, nein, keine Beschwerden, alles prima. 35 auf Englisch Ich empfehle es wirklich jedem, es ist ein wunderschöner Trek. Jeder wird seinen Körper spüren auf der Tour, egal wie fit er ist, aber es lohnt sich auf jeden Fall. Für Karenza aus Sydney war der Overland-Trek ein besonders einprägsames Erlebnis. Am Ziel aber hat ihre Freundin ihr zum 30. Geburtstag eine Überraschung gezaubert: 37 Karenza auf Englisch Ich hatte ein sehr leckeres Geburtstagdinner mit einer Flasche Rotwein und zum Nachtisch eine Eiscreme-Torte. TEXTENDE Verwendete Musik Cafe Penguin Orchestra Album "Oskar und Leni" Titel "Silver Star" Titel "nothing really blue" LC03567 Cafe Penguin Orchestra Album "Preludes, Airs and Yodels" Titel "Perpetuum Mobile" LC13098 14 12