COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Gesunde Mischung oder homogene Quartiere? Gentrifizierung in deutschen Metropolen Beispiele aus Berlin, Frankfurt am Main und München Beiträge von Anke Petermann (Beitrag 1- 06'04'') Katja Bigalke (Beitrag 2- 06'37'') Michael Watzke (Beitrag 3- 06'33'') Redaktion Julius Stucke Sendung 14.07.2011 (13 Uhr 07) Manuskript Sendung MODERATION Ob in Hamburg St. Pauli, in Köln Ehrenfeld - im Frankfurter Nordend oder in Berlin Neukölln. Der Begriff Gentrifizierung ist seit einigen Jahren Schlagwort, teils Kampfbegriff und reich an Konfliktpotential - Menschen streiten über Ursachen der Gentrifizierung und die Frage was überhaupt alles dazugehört. Sie diskutieren, ob es eine besorgniserregende Verdrängung ärmerer Menschen an den Stadtrand gibt - oder nur die ganz normale Veränderung dynamischer Metropolen. Bei all dem bleibt aber festzuhalten: Wohnen in deutschen Städten wird teurer - und in vielen Stadtteilen gibt es Gentrifizierungsprozesse. Der Begriff an sich stammt aus der Soziologie - von Gentrification sprach in den 60er-Jahren die britische Soziologin Ruth Glass. Und beschrieb damit den Zuzug von Mittelklassefamilien in den Londoner Arbeiterbezirk Islington. Gentrifizierung meint eine Veränderung städtischer Wohnlagen durch Erneuerung, Sanierung und den Zuzug einkommensstarker Haushalte. Zu Lasten der Bevölkerungsgruppen, die weniger verdienen. Unser Blick richtet sich zuerst auf Frankfurt am Main. Genauer das Nordend - eine von Gründerzeitbauten geprägte Innenstadtgegend der Bankenmetropole. Anke Petermann berichtet. Beitrag 1: Die Grünen und Ihr Milieu(schutz) - Gentrifzierung in Frankfurt am Main (Autorin: Anke Petermann) AUTORIN Jörn Rebholz und Félix Dufour besprechen im Straßencafe den neuesten Stand der Immobilienentwicklung im Frankfurter Nordend. Der langhaarige Mittzwanziger Dufour gründete die Initiative "Stadtviertelkultur im Nordend" und klebte Todesanzeigen an Häuser, die zum Verkauf standen. Überschrift "Nordend - Opfer schleichender Gentrifizierung". Bis ihm Anwaltsdrohungen ins Haus flatterten, nahmen Dufour und seine Mitstreiter die Immobilien symbolisch vom Markt: O-TON (Dufour) Wir haben Grablichter hingestellt, dann haben wir die Aktion mit den "Nicht-zu-verkaufen"-Schildern gemacht, die wir auch an die Gebäude gehängt haben, haben uns mal mit den Grünen getroffen, waren beim Mieterschutzbund, aber je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr schwindet die Hoffnung. Also so war es bei uns, weil das alles so ein eingefahrener Trott ist. AUTORIN Wenig Hoffnung hat auch Jörn Rebholz. Der Mittvierziger fürchtet, Opfer von Luxussanierung, horrender Mieterhöhung und Verdrängung aus dem begehrten, dicht besiedelten Gründerzeit- Quartier zu werden. Immerhin sieht es so aus, als seien er und seine Mitmieter vorerst mit dem Schrecken davon gekommen. Zunächst hatte eine Immobilienfirma das Haus aufteilen und in Eigentumswohnungen umwandeln wollen, doch dieser Kaufinteressent sprang wieder ab. Glück für die Mieter - keiner hätte eine dieser Wohnungen zum Quadratmeterpreis von 3000 Euro erwerben können. Alle im Haus, darunter das Akademikerpaar Rebholz, teilten die Befürchtung, O-TON (Rebholz) dass praktisch niemand mehr, der jetzt noch im Nordend wohnt, noch mal auf die Wohnungssuche im Nordend machen kann, weil die Preise mittlerweile so gestiegen sind, dass das Nordend für uns nicht mehr als Wohngebiet in Frage kommt. AUTORIN Mit fast 43 Prozent der Stimmen bei der Kommunalwahl im vergangenen März sind die Grünen im Nordend Volkspartei. Die Hoffnungen vieler verängstigter Mieter, konzentrieren sich seitdem auf den designierten Planungsdezernenten Olaf Cunitz. Der gibt zu, die Kommunalpolitik habe lange verschlafen, O-TON (Cunitz) dass durch die Umwandlung in Eigentumswohnungen und die Luxussanierungen zu einer Verdrängung der angestammten Wohnbevölkerung kommt, und wir wollen mit der Umwandlung der Erhaltungssatzung in eine echte Milieuschutzsatzung dem versuchen, ein Stückweit einen Riegel vorzuschieben. AUTORIN Erhaltungssatzungen regeln derzeit eine einheitliche Bebauung im gründerzeitlichen Nordend und anderen historisch gewachsenen Frankfurter Quartieren. Die künftigen Milieuschutz- Satzungen sollen darüber hinaus die soziale Mischung in begehrten Vierteln sichern. Bei Eigentümerwechsel soll dann ein Vorkaufsrecht für die Stadt greifen. Was nicht heißt, stellt Olaf Cunitz klar, dass die Stadt möglichst viele Immobilien aufkaufen will, O-TON (Cunitz) sondern es geht vor allem darum, dass die Stadt einen Fuß in die Tür bekommt, wenn ein solches Immobiliengeschäft stattfindet. Und die Stadt hat dann die Möglichkeit mit dem potentiellen Käufer in Gespräche zu treten und mit ihm auszuhandeln, dass bestimmte Maßnahmen nicht stattfinden, wie zum Beispiel Luxussanierungen oder Umwandlung in Eigentumswohnungen. Das kann man sehr wohl festschreiben lassen, sodass die Stadt nicht massenhaft Grundstücke aufkaufen muss, aber trotzdem einen steuernden Effekt über das Vorkaufsrecht erzielt. AUTORIN Ob eine Milieuschutz-Satzung tatsächlich garantiert, dass das Nordend künftig auch Wohnraum für Normal- und Kleinverdiener bietet, da ist der designierte Planungsdezernent von den Grünen selbst skeptisch. In München haben die Satzungen seiner Wahrnehmung nach die Preise kaum drosseln können. Potentielle Grünenwähler wie Félix Dufour und Jörn Rebholz nehmen der Partei diese Skepsis übel, legen sie als Hilflosigkeit aus. Félix Dufour radelt durchs Nordend und zeigt weitere Fixpunkte fortgeschrittener Gentrifizierung. Hier ein ehemaliges 6-Parteien Mietshaus, das nun von einer Familie bewohnt wird. Dort musste eine Rentnerin nach 30 Jahren ausziehen, weil sie nach der Sanierung plus Balkon die Miete nicht mehr bezahlen konnte. Dufour hält vor einem eleganten, neuen Mehrfamilienhaus. Die Besitzer der 250 Qm-Penthouse Wohnungen - Quadratmeter- Preis um 4.700 Euro - kennt der Abendschüler nicht, aber O-TON (Dufour) Ich kenn' Leute, die hier im Hinterhaus wohnen, die wissen schon Bescheid, die haben noch ein Jahr, dann müssen sie ausziehen, weil ihr Haus dann auch saniert und dem angeglichen wird. Wir sehen, das links daneben steht schon leer, da wird dann schon was passieren. Dahinter ist noch eins, und da müssen die Leute jetzt auch raus. AUTORIN "Träume kann man leben. Und darin wohnen" - wirbt der Vermarkter dieser sogenannten Residenz für die "Garden"- und Penthouse-Wohnungen mit Fußbodenheizung und Elektro- Rolläden, Bädern im Edeldesign und Sprechanlage mit Video- Monitoring. Ein Traum für Architekten, Makler, gut betuchte Wohnungssuchende. Ein Alptraum für Mieter in der Straße, die den Sog fürchten, den ein solches Objekt in der Immobilienbranche entwickelt. Frustrierend findet Félix Dufour, dass sich in Frankfurt am Main auch die städtischen Wohnungsgesellschaften an der Luxussanierung beteiligen. Beispiel Wiesenhüttenstift, vormals Altenheim. O-TON Ich frag mich, warum Luxuswohnraum geschaffen wird anstatt bezahlbarer Wohnraum! AUTORIN Die Wohnungsgesellschaften trügen sehr dazu bei, den Immobilienmarkt zu entspannen, kontert der grüne Planungsdezernent Olaf Cunitz. O-TON (Cunitz) Na ja, das Wiesenhüttenstift ist ja kein Hochsicherheitstrakt - das Entscheidende ist: da ist kein günstiger Wohnraum in teueren umgewandelt worden, sondern es ist zusätzlicher Wohnraum geschaffen worden, und prinzipiell muss man sagen, brauchen wir in Frankfurt auch hochpreisigen Wohnraum für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Es gibt viele ältere Menschen, die wieder in Stadt zurück ziehen wollen, die sehr finanzstark sind, die gute Renten haben. Für die brauchen wir auch Angebote. Da sehe ich kein grundsätzliches Problem drin. AUTORIN Die grüne Wählerklientel kann da zu großen Teilen nicht folgen, manche liebäugeln schon mit der Linken als der Partei, die Eigentumsrechte stärker beschneiden will. Schreitet jedenfalls die Gentrifzierung im Nordend und anderswo weiter voran, könnte aus dem kommunalpolitischen Höhenflug der Grünen in Frankfurt am Main langfristig eine Bauchlandung werden. - ENDE 1 - MODERATION Von Gentrifizierung zu sprechen heißt auch über Verdrängung zu reden. Die Angst derjenigen Menschen, die sich teurere Mieten oder Eigentum nicht leisten können - wie gerade am Beispiel Frankfurt Nordend gehört. Am Beispiel Berlin wollen wir diesem Aspekt genauer nachgehen. In der Hauptstadt bekam man in den vergangenen Jahren das Gefühl, Gentrifizierung sei eine Welle, die einen Stadtteil nach dem anderen erfasst. Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg, Neukölln ... nur: wer sich das Leben dort nicht mehr leisten kann - wo soll derjenige dann hinziehen? und: welche Folgen hat das für eine Stadt? Polarisierung zwischen reichen, innerstädtischen Lagen und armen Ghettos am Rande der Stadt? Katja Bigalke ist dem nachgegangen. Beitrag 2: Letzte Ausfahrt Hellersdorf? Verdrängung & Polarisierung in Berlin (Autorin: Katja Bigalke) ATMO (Wartesaal Wohnungsbaugesellschaft) "Wo wollten sie denn eine Wohnung? hier Rollbergsiedlung. Dann müssten sich auch ein bisschen gedulden...." AUTORIN Es ist eine Situation, die Petra Berjawi in und auswendig kennt. Die 49-jährige Mutter von fünf Kindern sitzt im Kundenzentrum der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land in Neukölln, wartet darauf, dass ihre Nummer aufgerufen wird. Schon vor zwei Jahren hat sie hier ihr ein Wohnungsgesuch aufgegeben, bislang ergebnislos. So wie auch ihre anderen Wohnungsbewerbungen. O-TON (Berjawi) Hoffnungslos: weil, die vielen Kinder, sind zu alt oder zu jung, machen viel Lärm ... Ich bin zu den Vermietern, hi,n hab alles abgegeben und dann hab ich Absagen gekriegt. Bei 300 Absagen hab ich aufgehört. Wat soll det eigentlich. Hab ich dann alle weggeschmissen. AUTORIN Vor zwei Jahren wurde Petra Berjawi, damals arbeitslos und in finanziellen Schwierigkeiten, die Wohnung in Neukölln gekündigt. Seitdem lebt sie mit ihren fünf Kindern bei einer Freundin in einer Zwei-Raum-Wohnung. Daran muss sich etwas ändern. Aber obwohl sie mittlerweile einen Job als Elternreferentin an einer Schule hat, die Schufa ihr Schuldenfreiheit bestätigt und das Jobcenter für sie als Aufstockerin die Miete übernehmen würde, klappt es nicht mit einer größeren Wohnung. Dabei ist sie zu jedem Kompromiss bereit, nur nicht dazu, aus Neukölln wegzuziehen: O-TON (Berjawi) Meine Kinder sind hier aufgewachsen, alle, hier geboren, die können nicht aus Neukölln raus. Ich will die Kinder nicht kaputt machen. Sie haben Freunde, sind gut in den Schulen, gut angenommen. Zwei Kinder sind lernbehindert. Die sind hier total beliebt. Warum soll ick die kaputt machen? Mach ick nicht. AUTORIN In der Hoffnung, dass es bei der Wohnungsbaugesellschaft diesmal etwas besser läuft, hat sich Petra Berjawi heute Unterstützung mitgebracht: die Sozialpädagogin Stella Becker, die Menschen in Not bei der Wohnungssuche hilft. Aber auch dieses Beratungsgespräch, bei dem das Mikrofon ausgeschaltet bleiben muss, enttäuscht. Damit die Wohnung nicht überbelegt ist, braucht Frau Berjawi mindestens fünf Zimmer. Aber Fünf Zimmer kosten mittlerweile auch im sozialen Brennpunkt Rollbergkiez mehr, als das Job-Center übernehmen würde. Und Berjawis monatliches Einkommen von knapp 900 Euro reicht als Sicherheit für eine gut 800 Euro teure Wohnung allein nicht aus. Der Rat der Sachbearbeiterin: "Wenden Sie sich an einen privaten Vermieter." Geknickt verlassen die beiden das Büro, versuchen sich gegenseitig Hoffnung zu machen. Aber die Situation wird immer schwieriger in Neukölln: Die große Nachfrage, lässt die Preise steigen. Diesen Eindruck bestätigen auch die Zahlen des Immobilienspiegels. Reiner Wild, Chef des Berliner Mietervereins: O-TON (Wild) Wir stellen fest dass das Mietpreisniveau innerhalb des S- Bahn-Ringes grundsätzlich deutlich ansteigt. Es gibt nur noch wenige Quartiere in der gesamten Stadt, die ein stagnierendes Mietniveau haben. Marzahn Hellerdorf und Spandau gehören dazu. Und im Prinzip bedeutet das, dass die Menschen, die auf neuen Wohnraum angewiesen sind,die Preise in der Innenstadt aber nicht zahlen können aus dem S-Bahn-Ring hinausgedrängt werden. AUTORIN Natürlich, räumt Wild ein, sei das Mietniveau in der Stadt mit durchschnittlich 5,21 EUR Kaltmiete noch relativ niedrig. Und natürlich sei es auch eine Chance, wenn soziale Problemgegenden durch den Zuzug wohlhabenderer Haushalte besser durchmischt würden. Aber wenn die normale Wohnungsfluktuation von ca. 10 Prozent dazu genutzt werde, Mietsteigerungen im zweistelligen Bereich durchzusetzen, wie das etwa in Neukölln in den letzten zwei Jahren passierte, dann bestünde durchaus die Gefahr der Ghettobildung. Um dem etwas entgegen zu setzen, mangelt es laut Wild an politischem Engagement und mietrechtliche Instrumente wie etwa einer Begrenzung der Neuvertragsmieten. Folgt man dem Chef des Berliner Mietervereins setzt die Stadt derzeit aber immer noch lieber auf die Feuerwehrpolitik der letzten Jahre. Sprich statt auf Durchmischung in allen Bezirken zu achten, schickt man lieber das Quartiersmanagement wenn ein Stadtteil schon verarmt ist und zu kippen droht. Präventive Maßnahmen fehlen. Das bekommen mittlerweile auch die Viertel am Rand der Stadt zu spüren. ATMO (Buntes Haus Hellersdorf) AUTORIN Das bunte Haus, eine Anlaufstelle für Familien mit Spielzimmer, Bibliothek und Werkstatt liegt in einer etwas heruntergekommenen grauen Plattenbausiedlung im nördlichen Teil von Hellersdorf. Hier, am Rande zu Brandenburg, wohnt man noch zuverlässig für vier Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Und so verweisen auch immer mehr Jobcenter Wohnungssuchende auf das günstige Quartier. Eine 25-jährige, arbeitslose Mutter, die hier regelmäßig vorbeischaut um Erziehungsfragen oder Probleme mit den Ämtern zu besprechen, bringt die soziale Entwicklung folgendermaßen auf den Punkt: O-TON Umso mehr Plattenbauten, umso mehr Hartz IV Empfänger. Keine Arbeit ... AUTORIN Nachdem in den letzten Jahren die Bewohner die Gegend eher verließen wenn sie konnten, beobachten Quartiersmanager seit einiger Zeit, dass vermehrt junge Familien unter 30 mit mehreren Kindern hierherziehen. Sie kommen aus Nachbarbezirken, die etwas näher gen Zentrum liegen und die im Zuge der Gentrifizierung auch langsam teurer werden. Benjamin Stefan, arbeitet seit eineinhalb Jahren im bunten Haus, er findet diese Dynamik besorgniserregend. Die Menschen kommen, weil sie müssen, nicht weil sie wollen sagt er. Dieses Gefühl, abgeschoben zu werden kombiniert mit einer sozial schwierigen Situation schüre Konflikte. O-TON (Stefan) Wenn neue Menschen dazukommen, gibt es neue Probleme. Und natürlich können diese Konflikte aus der finanziellen Situation dieser Menschen resultieren. Sicherlich spielt das Alter eine Rolle aber auch migrantische Mitbürger, die natürlich auch vielleicht Schwierigkeiten haben Fuß zu fassen, und sicherlich erstmal auf günstigen Wohnraum angewiesen sind. Die haben alle unterschiedliche Vorstellungen wie ihr Bezirk aussehen soll. AUTORIN Das bunte Haus war bislang ein Angebot, das Druck aus der angespannten Situation nehmen sollte. In dem kinderreichen Stadtteil, in dem es an schönen Spielplätzen mangelt, unterstützten 45 Mitarbeiter Eltern und ihre Kinder in ihrer Freizeit. Sie regten an zum gemeinsamen Lesen, oder Malen, sie standen für Ernährungs- oder Erziehungsfragen zur Verfügung. Seit diesem Jahr muss das Haus mit zehn Mitarbeitern auskommen. Die Mittel wurden gekürzt. Es ist das Gegenteil dessen, was Hellersdorf helfen würde, sagt Benjamin Stefan: aktiv daran zu arbeiten, dass Hellersdorf so attraktiv wird, dass Menschen in Zukunft nicht nur wegen der niedrigen Mieten hierherziehen. - ENDE 2 - MODERATION Einige Berliner Bezirke seien auf dem Weg zu Münchner Verhältnissen - das äußerte der Präsident des Mieterbundes Franz-Georg Rips vor einiger Zeit in einem Interview gegenüber dem Berliner Tagesspiegel. Wenn in Berlin die Rede ist von steigenden Mieten - dann wird oft verwiesen auf das, was man nicht erreichen will - München. Was Mieten angeht die teuerste Stadt hierzulande. Am Beispiel Münchens wollen wir einen Blick werfen auf den Versuch einer Gegenmaßnahme. Den Versuch etwas gegen hohe Mieten zu unternehmen - und gleichzeitig gegen die zunehmende Trennung in arme und reiche Gegenden. Also etwas für die gesunde Mischung. Michael Watzke berichtet: Beitrag 3: "Wir wollen weg von diesen Ghettos" München quartiert wohnungssuchende Sozialhilfe-Empfänger in teuren Wohnlagen ein (Autor: Michael Watzke) AUTOR Einmal, als Frau Kern auf dem Balkon ihrer kleinen Wohnung saß, da belauschte die 51-Jährige das Gespräch zweier Herren aus der Nachbarschaft: O-TON (Kern) ... und dann sagt der eine: Schau mal, was sie da für ein Haus hingestellt haben, da sind lauter Ausländer drin. Und das hab ich gehört. AUTOR Pia Kern wohnt in der Eberwurzstraße 135. Die Hartz4- Empängerin war jahrelang obdachlos. Seit drei Jahren wohnt sie in einem Haus - zusammen mit 9 Familien aus der ganzen Welt. Zwei- bis dreimal in der Woche kommt Hausverwalter Daniel Richter zur Sprechstunde in die Eberwurzstraße. Der 26-Jährige vertritt den Wohnungseigentümer - die private Terra Bau GmbH. Richter muss immer auch ein bisschen Sozialarbeit leisten. O-TON (Richter) Hier ist es doch so, dass man sich auf die Leute konzentrieren muss, weil sie teils aus schwierigen Wohnlagen kommen oder obdachlos waren. Und sie deshalb den Bezug zur Hausverwaltung viel mehr pflegen. Quasi wie zu einem Bekannten. Man muss auf die Mietparteien mehr zugehen, Streitigkeiten untereinander schlichten und auch mehr Zeit investieren, um das Konzept hier auch zu wahren, als Hausgemeinschaft, so wie es angedacht ist. AUTOR Das Konzept hat das Sozialreferat der Stadt München erarbeitet. Bernd Schreyer, Leiter der Abteilung Soziale Wohnraumförderung, nennt es die "Münchner Mischung". O-TON (Schreyer) Wir wollen weg von diesen Ghettos: alle Sozialwohnungen und soziale Brennpunkte konzentriert in einigen Stadtrandgebieten. Wir gehen den umgekehrten Weg und zeigen, glaube ich, auch vorbildhaft, wie eine Integration anders läuft als andere Städte, die dann einfach so homogene und nicht gemischte Stadtteile haben. AUTOR Die Stadt München quartiert immer mehr wohnungssuchende Sozialhilfe-Empfänger in teuren Wohnlagen ein, in gut situierter Nachbarschaft. Das soll nicht nur Ghettobildung verhindern, sondern auch die exorbitanten Mietpreise in den schicken Wohnvierteln drücken. O-TON (Schreyer) Sonst kriegen wir hier eine Stadt wie Silicon Valley, wo keine Pflegekraft, kein Feuerwehrmann, alles, was sich an der Infrastruktur beteiligt, sich diese Stadt nicht mehr leisten kann. Und die Reichen an ihrem eigenen Dreck ersticken. AUTOR Die Eberwurzstraße 135 liegt im Münchner Stadtteil Milbertshofen. In einer gutbürgerlichen, ordentlichen Wohngegend. Hier hat die Münchner Baugesellschaft Terra in Kooperation mit der Stadt München ein sogenanntes Kompro- Haus gebaut, erklärt Terra-Geschäftsführer Lorenz Dick: O-TON (Dick) KomPro ist ein kommunales Förderprogramm, das die Stadt München aufgelegt hat als Ersatz für den Rückzug des Staates aus Förderprogrammen. Denn der Staat sieht die Förderung von Wohnungen nicht mehr als so wichtig an. AUTOR Die Stadt München investiert deshalb jährlich dreistellige Millionenbeträge in ihr kommunales Wohnungsbauprogramm. Die teuerste Stadt Deutschlands will, dass auch sozial schwache Bürger genügend Wohnraum in der Stadt finden. Keine leichte Aufgabe bei Miet-Preisen von durchschnittlich 500 Euro für eine 30qm-Wohnung. Das kommunale Wohnungsbauprogramm hat drei Stufen, A, B, C. Gestaffelt nach sozialem Härtegrad: O-TON (Dick) KomPro B, wie unser Objekt an der Eberwurzstraße, das ist ein Programm für Familien, die wohnungslos waren, aus Unterkünften kommen und hier eine neue Heimat finden. Und meistens in Neubau-Projekten wunderbar integriert werden. AUTOR Wunderbare Integration - das klingt blumig, funktioniert aber nicht immer reibungslos. Mancherorts protestieren Anwohner gegen die Kompro-Häuser. Bisweilen kann die Stadt ein Projekt wegen der Proteste nicht realisieren. Die Terra GmbH hat eher positive Erfahrungen gemacht. Für die private Wohnungsbaugesellschaft bemisst sich der Erfolg ihrer Kompro- Projekte an der Rendite. Sie will Geld verdienen, ihr Ziel: O-TON (Dick) Nach zehn Jahren muss ein geförderter Wohnungsbau genauso funktionieren wie ein frei finanzierter Wohnungsbau. AUTOR Das gelingt nicht immer, aber häufig, sagt Lorenz Dick. In der Eberwurzstraße 135 beispielsweise ist er zufrieden. O-TON (Dick) Das funktioniert, nehmen wir an, zum einen wegen der guten Auswahl der Mieter durch das Sozialreferat. Dass die Familien zusammenpassen. Dass das Gefüge im Haus richtig ist. Mit Sicherheit ist es auch wichtig, dass die Wohnanlagen nicht zu groß sind. Weil damit fallen sie einerseits nicht so auf, andererseits ist die Anonymität nicht so groß. Die Leute identifizieren sich dann mit ihrem Haus. Mental muss es den Leuten verständlich gemacht werden, dass es ihr Haus ist, in dem sie wohnen. Ihr Treppenhaus. Und je schöner das Treppenhaus, desto schöner das Wohnen. AUTOR Dieses Verantwortungs-Gefühl will vor allem Daniel Richter fördern, der Hausverwalter. Mit regelmäßigen Mieter- Versammlungen im Gemeinschaftsraum des Hauses. Und mit Einzelgesprächen. Etwa bei Frau Kern. O-TON (Kern) Der Herr Richter der ist sehr wichtig für mich. Mit dem Herrn Richter kann ich reden, weil ich den jetzt schon drei Jahre kenne. Weil er freundlich ist und alles. Da haben wir einen guten Fang gemacht. AUTOR Richter schaut oft vorbei in der Eberwurzstraße 135. Viel häufiger als bei jenen Objekten der Firma Terra, in denen Wohnungseigentümer oder gutsituierte Mieter leben. Die Kosten für die intensive Betreuung trägt das Sozialreferat, sagt Amtsleiter Schreyer. O-TON (Schreyer) Die Hausmeister und Hausverwalter sind sozial kompetent. Und hier geben wir auch für die ersten drei bis fünf Jahre die doppelte Verwaltungspauschale aus. Sodass hier mehr Präsenz möglich ist. AUTOR Die "Münchner Mischung" kostet weit mehr als unbetreute Sozialwohnungen in Ghetto-Bezirken. Aber diese Rechnung, sagt Schreyer, sei zu kurz gedacht. Denn am Ende sei es für die Stadt günstiger, wenn auch Familien, die von Hartz-4 leben, Obdachlose oder Migranten gut integriert werden. O-TON (Schreyer) Auch wenn das Haus 50 Prozent, 60 Prozent, 70 Prozent Migranten hat, treffen die doch in der Klasse auf Deutsche. Die Migranten sind dort nicht in der Mehrheit, sondern in der Minderheit. Sie integrieren sich ganz anders in die Gesellschaft, als wenn eine große Mehrheit Migranten sind, an einem Ort, wo sie nur unter sich sind. Und es dort auch überhaupt nicht nötig haben, mit deutschen Kindern zu spielen oder sich auf unsere Kultur einzulassen. AUTOR In der Eberwurtzstraße hörte Frau Kern einmal, wie ein Nachbar über die Ausländer aus der Nummer 135 schimpfte. Das wollte die resolute Münchnerin nicht auf sich und ihren Mitbewohnern sitzen lassen. O-TON (Kern) Da haben ich ihnen zugerufen: Halt, halt, die brauchen auch eine Wohnung. Weil diese Leute, wenn man schaut, die müssen sich auch erst eingewöhnen. Gell? Man kann doch nicht alle in einen Sack schmeißen. Oh, oh, entschuldigen Sie, hat der andere da gleich gesagt. AUTOR Seitdem hat Frau Kern keine Klagen mehr gehört. -ENDE SENDUNG - 1