Zum Raum wird hier die Zeit Eine Lange Nacht über Hamburg Autor: Dirk Meyhöfer Regie: Jan Tengeler Redaktion: Dr. Monika Künzel Sprecher: Johanna Gastdorf Robert Dölle Sendetermine: 28. April 2018 Deutschlandfunk Kultur 28./29. April 2018 Deutschlandfunk __________________________________________________________________________ Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - insofern zutreffend. 1. Stunde MUSIK 1: Collage aus Bach: Toccata, Albers: La Paloma; Caracho: In Hamburg sagt man ja ja... (1:00) SPR 1: Wo in Hamburg anfangen, wenn man die DNA dieser Hafenstadt erklären möchte? Wenn man den Hamburgern, Entschuldigung den Hanseaten, gerecht werden will? Sollte man dort anfangen, wo man die Hammaburg vermutet? Nach historischen Quellen ist der Gründungsort Hamburgs auf dem Terrain des heutigen Domplatzes zu verorten und wird auf das 8. Jahrhundert datiert. Der Ort ist ein langweiliger Platz mit glatten Rasenflächen. Die archäologischen Schätze sind noch verborgen. Sollen wir im Hafen beginnen? Der führt allerdings nicht in die Tiefe des historischen hanseatischen Raumes, weil das, was zu sehen ist, gerade erst 150 Jahre alt ist. St. Pauli? Aber ist das wirklich mehr als Hans Albers und die Mutter aller Rotlichtviertel, der redlight districts? Also starten wir an der Binnenalster, wo den Hamburgern vor lauter Stolz das Herz aufgeht und die direkt neben der Außenalster liegt, die als tückisches Segelrevier gilt und wo die Superreichen wohnen? Vielleicht ist das neue Weltkulturerbe 'Speicherstadt und Kontorhausviertel' der passende Ausgangspunkt für eine Lange Nacht über Hamburg, vielleicht sind es Hafencity und Schanzenviertel als Bedeutungsträger konträrer Stadtentwicklungen? Alles wird vorkommen in dieser Sendung. Aber beginnen möchten wir hier: Atmo 1 Katharinen-Glockengeläut SPR 1: St. Katharinen. Die Hauptkirche steht wie eine Arche am Nordrand des Zollkanals mitten im geschäftigen Hamburg. Diagonal zur Straße, als Einzelgänger, was das Baujahr betrifft. Gotisch im Ursprung aus dem 15. Jahrhundert, mit dem gedrechselten Renaissanceturm des Zimmermeisters Peter Marquard von 1657. Zerstört im Zweiten Weltkrieg. Wieder aufgebaut und in den letzten Jahren noch einmal sorgfältig saniert. Atmo hoch SPR 1: Die Kirche ist ein wichtiges Wahrzeichen einer Stadt, in der derzeit knapp zwei Millionen Menschen leben; einem Ort, der über die Jahrhunderte erstaunliche architektonische Veränderungen erlebt hat; einer Metropole, die sich auch heute noch ständig neu erfindet, zumindest, was das Stadtbild angeht. Noch nie in den letzten 50 Jahren standen in Hamburg so viele Baukräne wie heute. Das ist gut zu beobachten, wenn man die 300 Stufen auf den Turm von St. Katharinen steigt: Im Süden liegt der Hafen: Mittelpunkt von weltweitem Handel und ein Grund für den Wohlstand der Stadt. Im Norden erstreckt sich das Kontorhausviertel mit dem Rathaus, in dem sich die Stadtoberen um eine hanseatische Demokratie mit sozialem Anstrich bemühen. Und mitten drin steht die Elbphilharmonie: nach vielen Schwierigkeiten das inzwischen anerkannte Symbol für das neue Hamburg und Tempel der Musik. Die Kirche selbst steht für das protestantische Selbstverständnis und das soziale Gewissen der Hansestadt. Musik 2: Bach: Toccata (0:30) 1. Am Anfang steht das Wort - Mission und Reformation) O-Ton 1_1 Engelbrecht (1:25): "Wenn wir in die Katharinenkirche reingehen, betreten wir erst einmal den Turm. Das ist das älteste Gebäude Hamburg, der älteste stehende Gebäudeteil, mit Mauern, die tatsächlich mit diesem gleichen Mörtel seit 750 Jahren hier stehen, und wir treten ein in diesen Turm und haben hier erst einmal eine Kaufmannsdiele nachempfunden, d. h. nach dem Krieg ist die Kirche ja wieder aufgebaut worden, nach ihrer großen Zerstörung im Jahr 1943, man hat in den Innenraum des Turmes, da kann man sich streiten, ob es gelungen ist oder nicht, eine Erinnerung an das, was hier eigentlich üblich war in diesen Gebäuden, rund um Katharinen wieder aufgebaut, und über diesem Eingang steht dieser wunderbare Spruch, aus dem Hebräerbrief, wir haben hier keine bleibende Stadt, die kommende suchen wir', und das ist für mich eine der Grundaussagen des Kirchgebäudes. Diese Kirche ist gebaut, um mit dem Menschen zusammen auf die Suche zu gehen, nach der neuen Stadt, die der Menschlichkeit entspricht, und die wir niemals endgültig haben, sondern die wir uns immer wieder neu erkämpfen, erstreiten und genießen müssen. Viele hören dieses Wort auch als Zeichen der Vergänglichkeit, wir haben ja keine bleibende Stadt, die kommende suchen wir. Aber ich glaube: Denkt nicht, wenn diese Kirche fertiggebaut ist, damals vor 750 Jahren dieser Turm oder heute 2012 die großartige Sanierung, glaubt nicht, wenn sie fertig saniert ist, dann war es das, sondern jetzt geht es erst richtig los!" SPR 1: erzählt Frank Engelbrecht, einer der Pastoren von St. Katharinen. Das Mittelschiff ist im Vergleich zu den Seitenschiffen wesentlich höher, was als Pseudobasilika bezeichnet wird. Die beeindruckende Hallenkirche besticht durch einen ungewöhnlichen Abschluss des Chores und den unregelmäßigen, siebenseitigen Grundriss. Vom ersten Kirchbau von 1250 ist nur noch der Turmunterbau erhalten. Das Kirchenschiff wurde zwischen 1377 und 1426 vergrößert und ist innen 56 Meter lang, 28 Meter breit und im Mittelschiff 26 Meter hoch. Die Turmhöhe beträgt knapp 117 Meter. St. Katharinen besitzt sechs Glocken. Fünf davon sind in Gebrauch, darunter die Gloriaglocke von 1626. Atmo 1: Katharinengeläut SPR 1: Die beschädigte Stundenglocke von 1454 ist heute in der Turmhalle ausgestellt. Im Eingang unter dem Turm leuchten drei Adjektive: Klug, mutig, schön, das Motto der heiligen Katharina - der Schutzheiligen der Kaufleute und der Seeleute. Im Katharinenviertel wohnten zunächst Schiffbauer und Bierbrauer; später kamen wohlhabende Kaufleute, aber auch holländische Religionsflüchtlinge dazu. O-Ton 1_2 Engelbrecht (1:17): "Wenn man in diese Kirche eintritt, sieht man einerseits, dass sie etwas unglaublich Modernes hat, sie ist fast wie ein white cube, sie ist hell, hat diese modernen Fenster aus den 50er Jahren natürlich, es sind farbige Fenster, sie sind modern, und die moderne Empore, die wir mit der modernen Stahlkonstruktion gebaut haben, gleichzeitig ist diese Modernität eine Rückführung auf die Wurzeln dieser Kirche, weil diese Menschen, die diese Kirche nach dem Krieg wieder aufgebaut haben, all das was barocke Überbauung gewesen ist, herausgelassen haben. und sie ganz schlicht mit Einrichtungen aus den 50er Jahren ergänzt und mit den alten gotischen Grundstrukturen wieder herausgearbeitet haben. Die Menschen kommen in eine ganz moderne Kirche und merken, dass die Gegenwart getragen ist von großer Geschichte. Wir laufen in Katharinen in Wirklichkeit über ein Gräberfeld, weil hier früher Menschen begraben worden sind. Zugleich blicken wir auf das Fenster vorne von Stockhausen, das man sich aufrichtet. Das ist so groß, dass man sich immer in die aufgerichtete Stellung geht und das uns in die Zukunft weist, nämlich in das neue Jerusalem, die Stadt in die wir wollen." SPR 1: Das Neue Jerusalem, das "Himmlische Jerusalem" entspringt einer Vision aus dem Kapitel 21 der Offenbarung des Johannes, die verkündet, dass am Ende der Apokalypse eine neue Stadt, ein neues Jerusalem entstehen wird. Wann der alte Himmel und die alte Erde vergangen sein werden, ist allerdings ungewiss. Bekannt dagegen ist, dass sich das Christentum auch ohne Apokalypse immer wieder verändert und auch erneuert hat. Der Reformation von 1517 schloss sich Hamburg schnell an. Schon wenige Jahre nach dem Thesenanschlag wurde die Hafenstadt lutherisch. An dem Fenster des bedeutenden Glaskünstlers Gottfried von Stockhausen lässt sich das ablesen: Die Motive beziehen sich auf die dritte Strophe des Kirchenliedes "Wachet auf, ruft uns die Stimme", eines der bekanntesten evangelischen Kirchenlieder. Es ist ein Hinweis auf den besonderen Weg Hamburgs als deutsche Stadt: Unter Einfluss von Luthers Lehrmeister Johann Bugenhagen wird ein radikaler Reformationsprozess innerhalb von einem guten Jahrzehnt abgeschlossen. Knapp 15.000 Hanseaten werden mit der neuen Kirchenordnung von 1529 Lutheraner. Musik 3: Wachet auf (0:30) [5:00] 2. Die Republik der Pfeffersäcke SPR 1: Die Elbe - energetisch und ehrfürchtig - wird in Hamburg nicht als Fluss, sondern als Strom bezeichnet. (mit scharfem S) Bisweilen ist die Elbe träge, als ob sich das Wasser in der niederdeutschen Flachlandschaft für alle Zeit verteilen wollte; dann ist sie wütend und tobend, wenn es vom Nordwesten her Sturmfluten gibt. Stromabwärts wirkt der Strom oft unheimlich und fremd. Nicht verwunderlich, dass Hamburg sich zunächst nach Osten wendete. Die Stadt führte 1188 das Lübsche Recht ein, in der Folgezeit festigte sich die Beziehung zwischen Hamburg und Lübeck, das an der Ostsee liegt. Zur Sicherung der Verkehrswege zwischen Trave und Elbe schlossen Hamburg und Lübeck 1241 ein Bündnis. Das Netzwerk der Hanse orientierte sich ost- und nordwärts. Die Elbe war noch nicht die Lebensader Hamburgs; dafür war Lübeck die Perle des Nordens und Hamburg allenfalls die kleinere Schwester. Das Bündnis zwischen Lübeck und Hamburg brachte Privilegien für den Handel im Ausland. Die Entwicklung der Hanse zum Städtebund führte in Hamburg zu großem Wohlstand. Zu Beginn des 15. Jh war die Stadt mit 25.000 Einwohnern die führende Kraft der Hanse im Nordseeraum. Der Grundstein zu einer einzigartigen Konstruktion, die wir seit der Antike eher aus den Mittelmeerländern kennen, wurde gelegt: O-Ton 1_4 Hipp (0:52): "Ich sage es platt: Hamburg ist die letzte überlebende Stadtrepublik der Welt. Wir fahren alle nach Todi und Assisi, Bologna, Venedig, Genua und finden es ganz irrsinnig, Ja - Hamburg lebt noch. Die anderen - Venedig, Amsterdam oder Genua sind alle aufgegangen in Flächenstaaten. sind Hauptstädte geworden oder mediatisiert. Hamburg ist bis heute eine Freie Stadt- also im Rahmen, was die Bundesrepublik möglich macht. Es gibt natürlich berühmte und berüchtigte Parallelfälle, aber die begründen sich auf einer Rekonstruktion dieser alten Stadtmodelle, wenn du an Singapur denkst - aber das ist ja auch ein Erfolgsmodell." SPR 1: .Hermann Hipp ist Schwabe, emeritierter Kunstgeschichtsprofessor der Universität Hamburg und war jahrelang im staatlichen Denkmalschutz der Hansestadt tätig. Hermann Hipp ist eine rhetorische Macht, eine Hamburger Bürgerstimme. Wenn er Stellung bezieht, hören sie ihm zu: die Architekten, Intellektuellen und auch der jeweilige Erste Bürgermeister oder der Kultursenator, der zugleich oberster Denkmalpfleger ist. O-Ton 1_5 Hipp (0:45): "Hamburg war kritisch betrachtet, tatsächlich überwiegend oligarchisch organisiert. Letztendlich hatte nur eine kleine Gruppe der Stadt das volle Bürgerrecht und konnte mitwirken. Abe dieses volle Bürgerrecht hat ihnen die Möglichkeit gegeben mitzuwirken, und das ist anders als in jedem anderen Staatswesen der frühen Neuzeit ausgenommen die anderen Stadtrepubliken, die aber alle mehr oder weniger aufgeben mussten. Es gab mal den berühmten Staatsrat und Syndikus Karl Sieveking in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine ganz wichtige Person in der Hamburger Stadtgeschichte und der hat gesagt: Das Wesen einer Republik besteht nicht darin, dass die Geschäfte gelingen, sondern, dass sich alle daran beteiligen." SPR 1: Es geht um Ökonomie und Handel. Sei es aus Unwissenheit, Neid oder Besserwisserei - diesbezüglich hat sich ein besonderes Klischee in den Köpfen der Hamburger und Nichthamburger verfangen; der PFEFFERSACK! O-TON 1_6: (Hipp 1:47): "Pfeffersack ist ein polemisches Wort, das eigentlich mies macht, wovon wir alle leben, wir leben von Handel und Gewerbe. Und die in Hamburg haben es beschränkt auf Handel, Großhandel, Welthandel und Verkehr. Das ist nicht dumm, denn damit macht man sich nicht die Hände so schmutzig. Wie die Großindustrie im Ruhrgebie. Die hat geraucht. So etwas hat Hamburg immer ungern gesehen, in seiner wunderschönen nordischen Luft. Es gibt ein altes Sprichwort, das etwa folgendermaßen geht: Die erste Generation gründet die Firma, die zweite Generation verdient das Geld und die dritte Generation studiert Kunstgeschichte. Das ist eigentlich der Gang der Handlung. Der Pfeffersack möchte nicht eigentlich immer nur Pfeffersäcke, sondern möchte sich damit ein gutes Leben ergattern und das tat die bürgerliche Oberschicht in Hamburg auf eine ziemlich überzeugende Weise. Das hat dazu geführt, dass es eine sehr breite bürgerliche Oberschicht gibt und nicht nur ein paar Reiche wie es im Ruhrgebiet häufig der Fall ist, eine gut organisierte, die vor allem im Auge hatte, wenn das Geld erst einmal in der Stadt ist, dann wollen wir es auch genießen, dann haben sie gut gegessen, es gab tolle Restaurants, haben tolle Musiker eingekauft, tolle Theater gehabt, wunderbare Kunstwerke sich gegönnt. Hamburg hatte jede Menge Kunstsammlungen, sie hatten ja kein königliches Museum. Aber Hamburg hatte private Kunstsammlungen, die damit konkurrieren konnten." Musik 4: August Kühnel: Aria for viola da gamba... SPR 1: Jenseits der Klischees und Polemik schaut man in der übrigen Republik oft mit Hochachtung auf das Hanseatische. Man mag diese Stadt, auch für das stolze backsteinerne Stadtbild, das von zwei Elementen geprägt ist: den Hauptkirchen und dem typischen Hamburger Bürgerhaus, dessen Typus seit 1000 Jahren existiert und das bis zum Zweiten Weltkrieg auch tauendfach vorhanden war: O-TON 1_7 Hipp (0:34): "Gerade die Geschichte des Hamburger Bürgerhauses ist viel zu wenig im allgemeinen Bewusstsein. Das Hamburger Bürgerhaus war ein streng rationaler Organismus, übrigens dasselbe wie in Lübeck oder in Rostock oder in den ganzen Ostseestädten. Das Dielenhaus, das eigentlich nur einen Zweck hatte, für Handel und Wirtschaft gut zu funktionieren. Es war ein Geschäftshaus mit großen Dielen, die wir in Hamburg so lieben,, Werkhallen eines Kaufmanns." SPR 1: Das Hamburger Bürgerhaus war zu Anfang seiner Entwicklung ein Arbeitshaus, mit Kontor und Speicher. Es war ein Mikrokosmos und bot Raum für eine Parallelgesellschaft. Es nur dem Mammon, nur dem Pfeffersäckischen zuzuordnen, wäre nicht richtig. Es war der Beginn einer Gesellschaft von Gleichen, auch wenn die Kaufleute im Senat das politische Sagen hatten: O-TON 1_8 Hipp (1:43): " Es fiel mir persönlich auf, dass hier jeder Mann klar sagt, was Sache ist, ohne jeden Respekt ohne dem anderen Prestige einzuräumen. Man sagt, was los ist. Und jeder Mann. Und das tat der Arbeiter im 19. Jahrhundert auch. Und deswegen ist Hamburg eines der wichtigsten Vor-Orte der deutschen Arbeiterbewegung gewesen. Wenn Ihnen etwas nicht gepasst hat, haben sie gestreikt, organisiert, Parteien gebildet und deswegen hat Hamburg auch frühzeitig eine sozialdemokratische Mehrheit gehabt, im Reichstag aber nur, denn in Hamburg galt ja das alte, oligarchische bürgerliche Wahlrecht, wonach nur vermögende mitwirken durften. Aber die Hamburger haben es geschafft, dass ihr wichtigster Vertreter, August Bebel, der Hamburger Reichstagsabgeordnete war. Das gehört genauso zu Hamburg, wie das, was du Pfeffersack genannt hast. Und eine der angesehensten Personen der Bundesrepublik, Helmut Schmidt, der kommt ja aus diesem kleinbürgerlichen sozialdemokratischen Milieus der 20er, 30er und 50er Jahren, gilt als Hanseat schlechthin. Das ist kein Pfeffersack, nie gewesen, in keiner Weise, nicht einmal ideologisc.h Produkt dieser Arbeiterfreiheit, sein Projekt frei zu vertreten. Wobei es ein Unterschied ist, ob ich die Interessen eine Großkaufmanns oder einer Reederei vertrete oder die eines Arbeiters im Hafen." Musik 5: Heil über dir Hammonia: an der Elbe Auen! (Hamburger Landeshymne (1:00...) [10:00] 3. Sinfonie einer Hafenstadt - die musische Seite der Koofmichs SPR 3: "Es war aber ein gar lieblicher Frühlingstag, als ich zum erstenmal die Stadt Hamburg verlassen habe. Noch sehe ich wie im Hafen die goldnen Sonnenlichter auf die beteerten Schiffsbäuche spielen, und ich höre noch das heitre lang hingesungene Hoiho! der Matrosen. So ein Hafen im Frühling hat überdies die freundlichste Ähnlichkeit mit dem Gemüt eines Jünglings, der zum erstenmal in die Welt geht, sich zum erstenmal auf die hohe See des Lebens hinauswagt - noch sind alle seine Gedanken buntbewimpelt, Übermut schwellt alle Segel seiner Wünsche, hoiho! - aber bald erheben sich die Stürme, der Horizont verdüstert sich, die Windsbraut heult, die Planken krachen, die Wellen zerbrechen das Steuer, und das arme Schiff zerschellt an romantischen Klippen oder strandet auf seicht-prosaischem Sand - oder vielleicht morsch und gebrochen, mit gekapptem Mast, ohne ein einziges Anker der Hoffnung, gelangt es wieder heim in den alten Hafen, und vermodert dort, abgetakelt kläglich, als ein elendes Wrack!" SPR 1: Ein Ausschnitt aus Heinrich Heines Erzählung ‚Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski'. Einige Kilometer stromabwärts vom alten Hafen schaut man auf die Anlagen vom Ufer der Norderelbe. Hier gibt es die Elbe zweimal: Norder- und Süderelbe haben ein sogenanntes Stromaufspaltungsgebiet geschaffen, die größte Flussinsel Europas. Dort liegt der Stadtteil Wilhelmsburg. Wo sich die beiden Flussläufe wieder vereinen, ist es nicht mehr ganz so maritim und melodramatisch, wie es einst Heinrich Heine beschrieben hat. Musik 6: Ick heff mol en Hamburger Veermaster sehn... (0:30) SPR 1: Dort, wo Norder- und Süderelbe wieder zusammentreffen, am Altonaer Balkon, findet sich eigentlich kein Ort, der von sich behaupten könnte, er sei typisch für Hamburg. Doch oben am Hang haben Volkwin Marg und Meinhard von Gerkan in einem schneeweißen Gebäude ihr Architekturbüro eingerichtet. Volkwin Marg, gebürtiger ostpreußischer Pastorensohn, ist in Hamburg zusammen mit Partner Meinhard von Gerkan die Nummer eins unter den lebenden Architekten. Beide haben auf der gesamten Welt gebaut, in Brasilien und Südafrika Fußballstadien, in China eine komplette Stadt. Der Besprechungssaal ganz oben im Haus besitzt die Charakteristika einer Kommandobrücke. Von dort blickt man auf das ‚Alte Land' südlich der Elbe sowie auf Teile des Containerhafens. Sie liegen einem wie ein Vorgarten zu Füßen. Was ist für den ostpreußischen Pfarrerssohn Volkwin Marg das hanseatische Charakteristikum? O-Ton Marg 1/9 (0:32): "Natürlich von der Geschichte und Vitalität her, die Wirtschaft, es waren immer der Handel, die Seeverbindungen über Deutschland hinaus; dann aber eigentlich sofort die Musik. Hamburg ist als Kaufmannstadt die erste Stadt, die vom Bürgerwillen her eine Oper hatte.." SPR 1: Der Architekturprofessor Volkwin Marg hat Hamburgs und seine eigen Liebe zur Musik zu einem Thema seiner Lehre an der RWTH Aachen gemacht. Die Architekturstudenten sollten verstehen, dass Musik und Architektur beide komponierte Artefakte sind, leider aber jeweils eigenständig gesehen oder gehört werden: O-Ton Marg 1/11 (0:17) "Ich habe z.B. erwartet, dass man wenn man gotische Architektur sieht, sie auch hört, dass wenn man Musik aus der Frührenaissance hört, sich auch vorstellen kann, worin das passiert.". SPR 1: Volkwin Marg glaubt an eine besondere und eigenständige Hamburger Beziehung zwischen Architektur und Musik, insbesondere Kirchenmusik. Das sieht auch der Kunsthistoriker Hermann Hipp in der Stadt von Bach und Telemann die Barockkirche St: Michaelis ins Spiel: O-Ton 1 _12 Hipp (0:32): "Wahrzeichen ist die Michaeliskirche, wie man so sagt, der Michel, sie ist die wahre Hamburger Staatskirche, Große Staatsaktionen finden dort statt, wie wir alle wissen, und das ist kommt nicht von ungefähr. Denn die protestantische Tradition, das evangelische Hamburg, diesen Titel führte die Stadt im 17. und 18. Jahrhundert, denn diese Tradition darf man nicht außer Acht lassen, denn sie hat ja eine protestantische Ethik verankert_ hanseatisch und im Pfeffersack.." SPR 1: Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass die Freie Reichsstadt zu einer Musikhauptstadt wird und dass wir heute Bach, Telemann, natürlich Brahms und andere mit ihr verbinden können? Volkwin Marg. O-Ton Marg 1_13 (0:29): "Bach zum Beispiel. Das galt auch für Telemann und andere Leute, war ein gläubiger Lutheraner, auf der anderen Seite hätte er genauso gut Opern komponieren können. Er verband lutherische Frömmigkeit mit musikalischer Sinnlichkeit. Und diese Tradition ging hier in Hamburg weiter, auf der Ebene der Kirchenmusik." Musik 2: Bach: Toccata... (0:30) O-Ton Marg 1 _14 (0:36): "Hamburg hatte noch eine Mitgift aus dem Mittelalter: Die berühmtesten Orgeln, die es überhaupt gibt, einige davon sind natürlich verbrannt, weil sie nicht ausgelagert wurden vor dem großen Gomorrha-Angriff 1943, aber jetzt sind sie wieder restauriert. Die berühmteste Orgel ist in der Jakobi-Kirche, eine Art Schnittger-Orgel. Jetzt ist sogar in der Katharinenkirche eine entsprechende Orgel installiert. Hamburg ist auch die Stadt mit gewaltig großen Orgeln. Musik 2: Bach: Toccata... O-Ton Marg 1/15 (1:41): "Hamburg hat eine lange, großartige musikalische Tradition, nicht nur in der frühen Zeit aus der Renaissance her, der erste große Höhepunkt war die barocke Zeit, während man anderswo nur an aristokratischen Höfen und für absolutistische Herrscher komponierte, war das hier zum Beispiel ein Telemann, der für Beerdigungen und Hochzeit, für Ratsmusik das berühmte Stück "Ebbe und Flut" komponierte... Einfügen: Musik 7: PE Bach Ouvertüre Hamburger Ebb und Fluth ... (0:30) "... das heißt, so komponierte wie ein Bäcker anderswo Brötchen bäckt, das ist erstklassig gebaute Musik, es war dann aber nicht nur Telemann, der Zeitgenosse Bach, der damals höher gehandelt wurde als Bach, es war dann auch der Bachsohn, Philipp Emanuel, der hier eine Hochzeit hatte. Wenn man in der Zeit des Frühklassizismus, etwa zu Mozarts Zeiten etwa von Bach redete, dann redete man immer von dem großen Bach, das war Philipp Emanuel, nicht Sebastian. Philipp Emanuel war derjenige, der das erste Lehrbuch, wie spielt man ein Klavier schrieb. Er war ursprünglich Hofcembalist beim alten Fritz gewesen. Der hat hier seine große Karriere gehabt, es gab ja noch in London eine ganze Sippschaft, Philipp Emanuel war die große Glanzfigur in der Zeit nach Telemann. An dem haben sich Leute wie Mozart orientiert. Das war Hamburg." SPR 1: Carl Philipp Emanuel Bach ist der Hamburger Bach. Der zweite Sohn von Johann Sebastian wurde am 1714 in Weimar geboren. Sein Grabmal ist im Hamburger Michel zu finden, denn Philipp Emanuel war 20 Jahre bis zu seinem Tod 1788 als städtischer Musikdirektor in der Hansestadt beschäftigt. 1767 starb ebenfalls in Hamburg Carl Philipp Emanuels Taufpate, der große deutsche Barockkomponist Georg Philipp Telemann. Er war in Hamburg Musikdirektor der fünf Hauptkirchen sowie sogenannter Kantor am Johanneum. Dort sollte er für die musikalische Bildung der Schüler sorgen, außerdem war er für die Musik zu feierlichen Anlässen verantwortlich. Telemann und Bach stehen beide für den beinahe staatskirchlichen Einfluss und der drückt sich nicht nur in der geistlichen Arbeit, sondern auch in Bildung und Musik aus. O-Ton Marg 1/16 (1:23): "Damals hat Hamburg eine Blüte erlebt, nicht nur weil es die ganze Zeit eine Oper hatte, die erste bürgerliche Oper Deutschlands, überhaupt in Mitteleuropa. Alle anderen Opernhäuser waren aristokratisch oder monarchistisch gestiftet. Neben der Oper gab es jetzt ein aufblühendes Konzertleben. Und es ist bezeichnend, dass 1904 zu Wohlstand gekommene Reeder die Musikhalle stiften. Es war die Familie Laisz, die haben es ganz bescheiden Musikhalle genannt und sind im Hintergrund geblieben.t. In dieser Musikhalle waren dann die berühmten Komponisten tätig wie etwa Gustav Mahler, die haben hier in Hamburg reüssiert, mit berühmten Dirigenten. Es war hier immer ein Musikpublikum aus dem Bürger- und Großbürgertum, aus einem bourgeoisen Darstellungs-bedürfnis, man kann ja eben nicht nur mit Geld- und Wohlstand konkurrieren, man möchte das auch mit Kultiviertheit und Kunst tun. Das ist damals passiert." SPR 1: Brahms und auch Mahler gehören zum festen Hamburger Musikerpersonal. Sie sind das, was man heute als global player bezeichnen könnte und das mögen die Hamburger. Johannes Brahms wurde am 1833 in einem Hamburger Gängeviertel in der Neustadt geboren, das auch Ehebrechergang genannt wurde. Gängeviertel waren Quartiere der Armut und später der Ort, wo Pest und Cholera die Bevölkerung ausrotteten. Solche Viertel wurden daher abgerissen und schufen Platz für die Großstadt Hamburg. Die Sinfonien von Brahms gehören auch zu den ersten Aufnahmen, die nach der Eröffnung im Januar 2017 in der neuen Elbphilharmonie entstanden sind. Musik 8:( irst recording Elbphil) Johannes Brahms 4. Sinfonie 1. Satz 1:00) SPR 1: Brahms Vater Johann Jacob war der einzige Musiker in der Ahnenreihe der Familie. Er ließ sich 1826 in Hamburg nieder und betätigte sich u.a. als Unterhaltungsmusiker, bis er endlich eine feste Stelle als Kontrabassist am "Städtischen Orchester Hamburg" annehmen konnte. Der junge Johannes Brahms galt als pianistisches Wunderkind. Nach Lehr- und Wanderjahren zog es ihn immer wieder nach Hamburg zurück, doch die Hansestadt behandelte ihn nicht wirklich gut. Brahms hat den Hamburgern nie vergessen, dass sie ihm niemals eine Stelle als Dirigent der Hamburger Philharmonischen Konzerte anvertrauten. Die Wiener hingegen erkannten seine Qualitäten schnell. Im Jahre 1863 übertrugen sie ihm die Leitung der Wiener Singakademie. Schon nach zwei Jahren kehrte er wieder zurück. Er kam, um die Mutter zu Grabe zu tragen. Der Verlust seiner tiefsten Bindung zur Heimat trieb ihn an, sein "Deutsches Requiem" nun zu vollenden. Aber es wurde nicht in Hamburg, sondern im Dom zu Bremen aufgeführt. Erst in Hamburg fügte er die verklärte Frauenstimme hinzu: "Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet!" Musik 9: Johannes Brahms Deutsches Requiem: Ihr habt nun Traurigkeit... (0:30) SPR 1: Immerhin verliehen die Hamburger ihrem großen Sohn 1889 den Ehrenbürgerbrief: SPR 3: "Wir, der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, beurkunden hierdurch, daß wir im Einvernehmen mit der Bürgerschaft dem im In- und Auslande infolge seines hervorragenden schöpferischen Genies und edlen Wirkens hochgefeierten Tonkünstler und Componisten, Herrn Johannes Brahms, dem werten Sohne unserer Stadt, in welcher von alters her die Tonkunst mit Vorliebe gepflegt wird - die höchste Auszeichnung unseres Gemeinwesens: Das Ehrenbürgerrecht der Freien und Hansestadt Hamburg verliehen haben. (Hamburg, den 14. Juni 1889." Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg. Carl Petersen, Direktor.) SPR 1: Es ist eine äußerst seltene Ehrung, die damals nur noch Bismarck und Moltke zuteil wurde. Und es wirkt wie eine Wiedergutmachung. Für die Nachwelt bleibt aber die Erkenntnis: Viele Nicht- oder Halbhanseaten, viele, denen das bürgerliche Gen nicht per Vererbung in die DNA geschrieben ist, fremdeln mit Hamburg und müssen um Anerkennung heischen. Das galt und gilt für Künstler, Musiker und Wissenschaftler. Auch für Wirtschaftsflüchtlinge aller Art - bis heute. Brahms starb am 1897 und wurde auf dem Zentralfriedhof in Wien in unmittelbarer Nachbarschaft zu Ludwig van Beethoven und Franz Schubert begraben. Ehre und letzte Ruhe also in der Fremde. Er vermisste das, was der Schriftsteller Wolfgang Borchert 50 Jahre später kurz vor seinem Tod so beschrieben hat: SPR 3: "Hamburg! Das sind die tropischen tollen Bäume, Büsche und Blumen des Mammutfriedhofs, dieses vögeldurchjubelten gepflegtesten Urwald der Welt, in dem die Toten ihren Tod verträumen und ihren ganzen Tod hindurch von den Möwen, den Mädchen, Masten und Mauern, den Maiabenden und Meerwinden phantasieren. In Ohlsdorf - da schwatzen die Toten, die unsterblichen Toten, vom unsterblichen Leben! Denn die Toten vergessen das Leben nicht - und sie können die Stadt, ihre Stadt nicht vergessen." SPR 1: Ein anderer Musiker, der für Hamburg von Bedeutung wurde, ist einer der bedeutendsten Komponisten der Spätromantik und einer der wagemutigsten. Von 1891 bis 1897 wird Gustav Mahler erster Kapellmeister am Stadt-Theater und legt mit seiner revolutionär szenografischen Opernarbeit den Grundstein zu einem neuen Musiktheaterstil. Sein Weg führt ihn bald fort von Hamburg - zunächst nach Wien und dann nach New York. Er trifft die jungen Komponisten Arnold Schönberg, Alexander von Zemlinsky und Alban Berg. Mahler liebt Wagner, in New York arbeitet er mit allen musikalischen Größen seiner Zeit zusammen. Mit ihm deutet sich an, was später in den 1950er Jahren und heute mit der Elbphilharmonie passiert: Hamburg ist weltweit vernetzt und eine erste Adresse der klassischen Musik. Musik 10: Mahler: 5.Sinfonie Adaggietto (2:00) [21:30] 4. Von Hamburg auf den Zauberberg SPR 1: Der hanseatische Charakter Hamburgs erschließt sich im Dreieck von Religion, Kultur, insbesondere der Musik und Handel. 1767 ging Lessing für drei Jahre als Dramaturg und Berater an das Hamburger Nationaltheater, es war der erste Versuch, ein deutsches Nationaltheater zu etablieren. Hier wurde Lessings Stück Minna von Barnhelm aufgeführt. Der Aufklärer Lessing spielte also durchaus eine Rolle in Hamburg; geehrt hat ihn diese Stadt mit einem Denkmal auf dem zentralen Gänsemarkt. Allein - das empfindet mancher Kritiker als Beleidigung - das Denkmal steht nicht in der Mitte, sondern ist an den Rand verschoben. Heinrich Heine lässt sich ebenfalls gut in dieses hanseatische Bild und seiner kultur-wirtschaftlichen Ambivalenz einbeziehen. Heine, 1797 in Düsseldorf geboren und 1856 in Paris verstorben, gilt als "letzter Dichter der Romantik" und als ihr Überwinder. Fast könnte man ihn zum Paten all der Edelfedern und Printjournalisten der Hamburger Magazine von ‚Zeit', Spiegel und Stern, von Geo bis Merian ausrufen. "Heine erhob quasi das Feuilleton und den Reisebericht zur Kunstform und verlieh der deutschen Literatur eine zuvor nicht gekannte elegante Leichtigkeit." Kann man heute im Lexikon über ihn lesen. Und: SPR 3: "Die Werke kaum eines anderen Dichters deutscher Sprache wurden bis heute so häufig übersetzt und vertont. Als kritischer, politisch engagierter Journalist, Essayist, Satiriker und Polemiker war Heine ebenso bewundert wie gefürchtet. Wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Haltung wurde er von Antisemiten und Nationalisten über seinen Tod hinaus angefeindet. Die Außenseiterrolle prägte sein Leben, sein Werk und dessen Rezeptionsgeschichte." SPR 1: Heine, dessen Werke stets von seinem Hamburger Verleger Campe verbreitet wurden, lebte nur kurz in Hamburg. Er wohnte bei seinem wohlhabenden und erfolgreichen Onkel Salomon, der ihn bis zu seinem eigenen Tod im Jahr immer unterstützte und ihm sogar eine eigene Firma einrichtete, das Tuchgeschäft "Harry Heine & Comp.". Onkel Salomon brachte seines Neffen Händchen fürs Geld so auf den Punkt: SPR 3: "Hätt' er gelernt was Rechtes, müsst er nicht schreiben Bücher." SPR 1: Das Geschäft war 1819 pleite. Als Großliterat hatte Heine dagegen mehr Glück. Musik 11 Nils Frahm, Übernormallmensch, Titel 01 (1:00) SPR 3: "Die Ufergegenden der Elbe sind wunderlieblich. Besonders hinter Altona, bei Rainville. Unfern liegt Klopstock begraben. Ich kenne keine Gegend wo ein toter Dichter so gut begraben liegen kann wie dort. Als lebendiger Dichter dort zu leben, ist schon weit schwerer. Wie oft hab ich dein Grab besucht, Sänger des Messias, der du so rührend wahr die Leiden Jesu besungen! Du hast aber auch lang genug auf der Königstraße hinter dem Jungfernsteg gewohnt, um zu wissen, wie Propheten gekreuzigt werden." SPR 1: Ein kleiner Hinweis, dass auch der Dichter Klopstock in seiner Wahlheimat Hamburg nicht glücklich geworden ist. Friedrich Gottlieb Klopstock wurde 1724 in Quedlinburg geboren. Ab 1748 widmete er sich seinem zentralen Werk, dem Messias. Friedrich V., König von Dänemark, der ein Bewunderer des "Messias", war, berief Klopstock nach Kopenhagen und auf der Reise dorthin lernte dieser in Hamburg seine spätere Frau, die Kaufmannstochter Meta Moller kennen. Erst 1773, ein Vierteljahrhundert nach dem Erscheinen der ersten drei Gesänge, wurde der Messias vollendet. Da lebte Klopstock schon in Hamburg, das er bis zu seinem Tode nicht mehr verlassen hat. (Er wurde mit großem Pomp in Altona begraben.) Klopstocks Einfluss auf die Entwicklung einer eigenständigen deutschen Literatursprache war ganz außerordentlich. Klopstock hat, wie kein anderer in seiner Zeit, für die Unabhängigkeit des selbständigen Schriftstellers und das Recht auf politische Meinungsäußerung gekämpft. Er hat sich auch um eine grundlegende Rechtschreibreform bemüht. Aber als er starb, wirkte er auf die jüngeren Zeitgenossen nur noch wie ein ehrwürdiges, eher belächeltes Monument, schreibt Andreas Pfeiffer in seinem Internetblog ‚Mein altes Hamburg'. Vielleicht zu Unrecht, denn Klopstock hat Hamburg einen passenden Vers ins Poesiealbum geschrieben: SPR 3: "Verstand ist ein Edelstein, der am schönsten glänzt, wenn er in Demut gefasst ist." Musik: Messias von Händel Schlussakkord (0:30) SPR 1: Es ist später übrigens ein Lübecker, der in einem Großwerk der deutschen Literatur der Lebensart und dem Milieu, aus dem die Hanseaten stammen, ein Denkmal setzt. Gemeint ist Thomas Manns zweite Romanveröffentlichung, der Zauberberg. Darin schickt der Autor seinen Protagonisten Hans Castorp für einen Aufenthalt von sieben Jahren in ein Sanatorium in die Schweizer Alpen, obwohl nur drei Wochen geplant waren. Castorp ist in Hamburg geboren und nach dem Tod seiner Eltern bei seinem Großonkel Tienappel und dessen Söhnen aufgewachsen. Hans, der Erbe einer langen, soliden Tradition, sieht "blond und korrekt aus", hat blaue Augen und einen "kleinen rotblonden Schnurrbart". Er ist etwas schläfrig und blutarm. Die Zeit, in der er lebt, gibt ihm keinen "Sinn". Aber er fühlt, dass er andere Wege hätte gehen sollen, vielleicht so, wie der junge Heine. Das Ingenieurstudium hat er absolviert und will nun als Volontär in eine Schiffsbau-Firma eintreten. Doch der Aufenthalt in der Ferne lässt ihn seine Herkunft überdenken. SPR 3: "Er hatte nicht beabsichtigt, diese Reise sonderlich wichtig zu nehmen, sich innerlich auf sie einzulassen. Seine Meinung vielmehr war gewesen, sie rasch abzutun, weil sie abgetan werden musste, ganz als derselbe zurückzukehren, als der er abgefahren war und sein Leben genau dort wieder aufzunehmen, wo er es für einen Augenblick hat liegen lassen müssen. Er hatte sich mit dem unmittelbar bevorstehenden, seinen Eintritt in die Praxis bei Tunder & Wilms, der Schiffswerft, Maschinenfabrik und Kesselschmiede beschäftigt und über die nächsten drei Wochen mit soviel Ungeduld hin weggeblickt, als seine Gemütsart nur immer zuließ. Jetzt aber war ihm doch, als ob die Umstände seine volle Aufmerksamkeit erforderten. Dieses Emporgehoben werden in Regionen, wo er noch nie geatmet und wo, wie er wusste, völlig ungewohnte, eigentümlich dünne und spärliche Lebensgewohnheiten herrschten, es fing an, ihn zu erregen, ihn mit einer gewissen Ängstlichkeit zu erfüllen. Heimat und Ordnung lagen nicht nur weit zurück, sie lagen hauptsächlich klaftertief unter ihm, und noch immer stieg er darüberhinaus. Vielleicht war es unklug und unzuträglich, dass er geboren und gewohnt, nur ein paar Meter über dem Meeresspiegel zu atmen, sich plötzlich in diese extremen Gegenden befördern ließ..." SPR1: Das Spannungsverhältnis zwischen Fernweh und der Überzeugung, dass Hamburg der wichtigste Ort der Welt ist, wird in Thomas Manns Buch ‚Der Zauberberg' eingehend behandelt. Zu Beginn wird dabei die Pfeffersack-Mentalität betont, z.B. wenn es um das Thema Elbregulierung geht: SPR 3: "Epochal für die Entwicklung unserer Schifffahrt, gar nicht zu überschätzen. Wir setzen 50 Millionen als sofortige einmalige Ausgabe dafür ins Budget, und du kannst überzeugt sein, wir wissen genau, was wir tun!" SPR1: Wir wissen, wie es Castorp auf dem Zauberberg ergeht: er bleibt lange, vielleicht wäre er für immer geblieben. Aber Thomas Mann konfrontiert ihn mit dem Untergang des Abendlandes, dem Ersten Weltkrieg. Schon Ende des 19. Jahrhunderts musste und wollte sich Hamburg neu erfinden, geschuldet der Gründung des Zweiten Deutschen Reiches und dem vorläufigen Sieg über die Franzosen. Sogar Napoleon war ja in Hamburg gewesen und hat diverse Dinge wie Weißwurst und die ersten Elbbrücken hinterlassen. Solche hatte es bis dato in Hamburg nie gegeben, weil Hamburg sich nur nach Norden und Osten orientierte. Auch hatten Katastrophen wie der Große Brand von 1842 und die späteren Choleraepidemien Grundlagen für einen städtebaulichen Neuanfang gelegt. Die Leistungen jener Tage sind inzwischen Welterbe: Speicherstadt und Kontorhausviertel. Das Werden einer Großstadt, einer Weltstadt begann. Davon gleich nach den Nachrichten mehr in der Langen Nacht über Hamburg. MUSIK: 11: Nils Frahm, Übernormallmensch, Titel 09 (2:30) 2. Stunde Atmo 2: Schiffsgeräusche... 5.: Speicherstadt, Jedermann und das Weltkulturerbe SPR 1 Von St. Katharinen aus ist man schnell in der Speicherstadt, dem Weltkulturerbe. Mittelalter? Nicht ganz, das Quartier ist erst Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, das Ensemble vermittelt vielleicht am besten, wes Geistes- und Seelenkind die Hansestadt ist: Haussprecherin: "Ein effektvolle Inszenierung zur Verherrlichung Hamburgs wirtschaftlicher Kraft" SPR1: hat es einmal die Kunsthistorikerin und Biografin der Speicherstadt Karin Maak genannt. Keine zehn Jahre hat es gedauert, bis am 29. Oktober 1888 die Speicherstadt und der Freihafen in Anwesenheit des Kaisers Wilhelm II. eingeweiht wurden und der feierliche Höhepunkt durch die Schlusssteinlegung der Brooksbrücke dokumentiert wurde. Sie war eine der drei Zufahrten zu dem damals modernsten Lagerhauskomplex der Welt, der als Zollausland und Freihafen im neuen Kaiserreich etabliert wurde. Heute ist die Brücke eine der wichtigen Verbindungsstränge zwischen Altstadt und der neuen Hafencity. Atmo 2: Schiffsgeräusche... SPR 1: Damals war es ein radikaler Eingriff in die lebendige Hafenstadt und vor allem in das Kirchspiel St. Katharinen - ein Schlag, von dem sich die Gemeinde bis heute nicht erholt hat - Pastor Frank Engelbrecht: O-Ton2_1 Engelbrecht (1:10): "Katharinen ist amputiert worden, da ist ein ganzer Stadtteil, das Wandrahm-Viertel ist einfach mal dahingewischt worden, 15.000 - 20.000 Menschen sind, die Zahlen variieren ein bisschen, je nachdem welcher ideologischen Richtung man angehört. Wenn man bedenkt, dass die Speicherstadt, die ja gebaut worden ist, als wunderbares historisches Gebäudeensemble geachtet wird], sie war gerade mal in ihrer Funktion 60 Jahre, wenn es hochkommt 70 Jahre. Heute ist, ich sage das ml ein bisschen salopp, ist das Micky Maus, wir haben Agenturen, wir haben Museen, wir haben Restaurants, aber die eigentliche Funktion des einstmals modernesten Hafenteils Hamburgs, für den man bereits war, 20.000 Leute ihre Wohnung zu enteignen mit wenig Entschädigung und in andere Stadtteile zu schicken hat gerade mal 60 Jahre gedauert. Das war nur der Anfang von dem, was man heute Entmischung der Stadt nennt. Es ging weiter mit dem Kontorhausviertel, es ging weiter mit der Kriegszerstörung und dann ging es weiter in der Nachkriegszeit mit einer zweiten Zerstörungswelle, die die Entmischung der Stadt auf die Spitze getrieben hat... Musik 12: Wagner: Walküre/Nibelungen (1:00).. O-Ton2_2 Frank Engelbrecht, (1:16): .."Für mich ist Katharinen seitdem ein verwundetes Reh gewesen. Und gibt es das Wunder mit der Hafencity und dem Entstehen darum herum der neuen Wohnbebauungen gibt es so etwas wie Heilungsprozesse, an denen wir, und das finde ich eine große Aufgabe für St. Katharinen, an denen wir mitwirken können und wollen. Kennen Sie das, wenn man verwundet ist, dann schlägt man die Arme um sich und krümmt sich selber ein: Der Heilungsprozess dieser Kirche ist jetzt, dass man sich aufrichtet, die Straße ausstreckt in die Nachbarschaft und tatsächlich die Aufgabe hat Bindungsglied zu sein, das die Hafencity und die Innenstadt zusammen hält und dafür sorgt, dass es eine Stadtverbindung gibt, die wieder dahinführt, das ist mein Traum, in zehn, zwanzig, dreißig Jahren, wieder die zusammenhängende Stadt wieder hier haben, die wir zu Beginn des 19. Jahrhundert schon gehabt haben." Musik 12: Wagner: Walküre/Nibelungen ...(0:30) SPR 1: Frank Engelbrecht hat gerade einen Zeitsprung von eineinhalb Jahrhunderten gemacht. An dieser Stelle muss man erst einmal verdeutlichen, was dieser Lagerkomplex, der 2015 zum Weltkulturerbe durch die UNESCO anerkannt wurde, darstellt. Manfred Sack, der frühere Architekturkritiker der ZEIT, nannte es: SPR 3: "Ein Jahrhundertprojekt zwischen nationaler Aufgabe und sozialer Dramatik". Und: "Der Freihafen ist eine Erfindung des Nationalstaates und ein Garant für die Entwicklung des Hafens. Das Gerangel um Privilegien, Stapelplätze und Zölle steht schon seit dem Mittelalter im Zentrum Hamburgischer Handelspolitik." SPR 1: Die Hamburger Speicherstadt liegt auf der rund 26 Hektar großen Fläche der ehemaligen Elbinseln Kehrwieder und Wandrahm, auf einer Länge von etwa 1,5 Kilometer und 150 bis 250 Metern Breite im nordöstlichen Hamburger Hafen. Sie zieht sich von der Kehrwiederspitze und dem Sandtorhöft im Westen bis zum ehemaligen Teerhof bei der Oberbaumbrücke im Osten. Die Speicherstadt wurde zwischen 1883 und 1927 alsTeilstück des Hamburger Freihafens in drei Abschnitten erbaut. Es ist der weltgrößte erhaltene Lagerhauskomplex. Musik 12: Wagner: Walküre/Nibelungen... SPR 1: Gleich hinter der Brooksbrücke mit dem wichtigen Schlussstein lockt eine mächtige, mittelalterlich wirkende Bildkulisse mit Ziegeln, Zinnen, Türmchen und Toren. Die ursprünglichen Anlieger, im Fachbegriff Consorten genannt, sind fast alle gegangen. Trotzdem ist hier auch an Werktagen viel los, zu Schulferienzeiten gibt es kein Durchkommen. Auf den güldenen großen Buchstaben an den rotdunklen Backsteinen stehen Dinge wie MODELLEISENBAHN WUNDERLAND, HAMBURG DUNGEON, aber auch KAFFEERÖSTEREI. Im Hintergrund thronen aus Draht geflochtene Schornsteine über der ehemaligen Kraftzentrale der Speicherstadt. Heute liegt in diesem Kesselhaus das Infocenter der neuen Hafencity, einem der aktuell größten Stadtentwicklungsprojekte in Europa. Hamburg möchte sich für das 21. Jahrhundert neu erfinden. Auch mit zahlreichen kulturellen Angeboten: im Theater in der Speicherstadt ist Michael Batz der Intendant. Atmo 2: Schiffsgeräusche... O-Ton 2_3 Michael Batz (1:20): "Zunächst einmal muss man feststellen, dass die Speicherstadt angelegt ist wie eine Wasserburg, d.h., sie ist umgeben von Wasser, durchzogen von Wasser, sie ist über Brücken zu erreichen und sie ist auch abgeschottet durch einen Zollzaun und war eine Welt für sich. Und insofern hat sie auch für lange Zeit diesen Charakter für sich behalten können und sie war wie eine Wagnerische Kulisse dargestellt und so ist sie auch gestaltet worden. Es gibt einen Brief des damaligen Senatoren Versmann an den Ober-Architekten Andreas Meyer, womit er sich beschwert, dass diese Nutzbauten in der Planung viel zu einfach und zu nüchtern seien und das müsste man doch alles ein bisschen schöner und dekorativer machen ,und das wurde auch gemacht. D.h. man hat hier symbolisch das hanseatische Selbstverständnis baulich ausgedrückt. Das ist das, was sich die Stadt zu Nutze macht, wo es nicht mehr um die Lagerfähigkeit geht, sondern um die Bildmächtigkeit. So wird auch der Speicher anders definiert nicht mehr für Kaffeesäcke, die sind längst wo anders, sondern als Speicher für Bilder. Für Phantasmen, für Imaginationen. Und für Klischees natürlich auch." SPR 1: Michael Batz, 1951 in Hannover geboren, ist ein kreativer Menschen mit einer abwechslungsreichen Vita: Der studierte Germanist ist Dramaturg, Regisseur, Lichtkünstler und Autor. Seit 1976 lebt und arbeitet er in Hamburg. Musik 13: Jan Fedder: Tüddelband/ sog. Hamburger Nationalhymne (1:00) SPR 1: Es sind verschiedene Leistungen, die Michael Batz zu einer besonderen Person der Hamburger Kulturszene gemacht haben: zum einen sind da seine neuartigen Lichtinszenierungen, gekrönt von der Farbe Blau, die den Hafen schon oft zu einem Blue Port gemacht machen. Etwa im August 2008, als für die Veranstaltung der Cruise Days 30 Schiffe und Gebäude im und am Hamburger Hafen mit 2000 blauen Lichtquellen illuminiert wurden. Die Veranstaltung wird inzwischen jährlich wiederholt. Mehr und mehr wird die Speicherstadt zu seinem Wirkungsfeld. Zum 125. Jubiläum der Speicherstadt 2013 veröffentlichte er verschiedene Essays, u.a. über die Speicherstadt in der Nazizeit. In einem anderen Aufsatz mit dem Titel "Regal der Zeit" schreibt er über das neue Warenlager als steinernes Herz der Stadt. 2017 folgte das Buch "Speicherstadt Story - Eine Geschichte von Menschen und Handel". Nicht zuletzt aber lieferte Batz bereits in den 90er Jahren als Regisseur seine Version des Theaterstückes ‚Jedermann'. O-Ton 2_4 Batz (0:57): "Die Idee für den Hamburger Jedermann entstand nach dem Berliner Mauerfall, als Hamburg plötzlich ein anderes Gewicht bekam. Man sagt den Hamburgern ja nach, dass sie ihr Geld eher verstecken, was die Münchner nicht tun, die Münchner zeigen, was sie haben, die Berliner auch, die Hamburger seien also diskret in diesen Dingen. Und plötzlich zeigt der Hamburger sein Geldgesicht. Der Bürgermeister wurde im Abendblatt zitiert, dass er die Baukräne zählt in der Stadt. Das die Stadt jetzt aus der Randposition in die Mitte Europas gelangt sei, das jetzt wieder Milliarden in die Stadt fließen hier floss plötzlich Milch und Gold zusammen. Da war die Idee sozusagen ein Stadtporträt zu machen. Dazu brauchte ich einen Protagonisten und einen Ort." Atmo 3: Hamburger Jedermann O-Ton 2_5 Batz (0:57): "Die Speicherstadt galt ja traditionell als Hamburger Schatzkästchen, so wurde sie auch einmal angelegt, als eine Art Goldtruhe sozusagen, des Hamburger Kaufmanns. Und um dieses Porträt zu schreiben, ist die Frage des Jedermanns das Richtige. Ich hatte ja auch den Irrtum, dass Jedermann eine Erfindung von Hoffmannstal sei. Das ist ja mitnichten so, der Stoff geht ja zurück auf das 15. Jahrhundert. Es ist ein anonymer Autor gewesen, ja es sind mehrere Autoren gewesen, der Stoff ist ja in einer Handelsmetropole entstanden, in London wohl und in Amsterdam auch. Es war einmal ein kirchliches Stück gewesen, in der Kritik an den aufkommenden Handelskapitalismus." SPR 1: Inzwischen inszeniert Michael Batz das Theaterstück ‚Jedermann' in der Hamburger Speicherstadt, jedes Jahr im Sommer. Wenn der Teufel den Jedermann holt, ist es schon Nacht - das heißt die Kulisse der Speicherstadt glüht und Backstein, Fleet, Schauspieler und Zuschauer bilden eine verschworene Gemeinschaft. Den ganz speziellen Charme dieser Hamburger Version eines erfolgreichen Kaufmannes kann man nun genau hier in der Stadt der Pfeffersäcke erleben - und an diesem Ort wird das weder als zynisch noch als abwertend verstanden. Michael Batz bietet viel Theaterdonner: "Da gibt es Rausch und Sex und Tanz und gleich sieben betrunkene Matrosen" schrieb der Spiegel. Die Speicherstadt sieht im Licht der Bühnenscheinwerfer so schön aus, wie es die Postkarten versprechen. Es gibt schaurig-schönen Gesang wie in den Karaokebars auf der Reeperbahn nachts um halb eins und jede Menge Anspielungen auf aktuelle Ereignisse, wie Olympiabewerbung oder Hafencity. Es ist bissig, wie im politischen Kabarett. Wer sich unsicher ist, ob er das Geflecht, das sich hanseatische Gesellschaft nennt, begreift, sollte diese Aufführung sehen. Atmo 3: Hamburger Jedermann O-Ton 2_6 Batz (2:30): Was bringt eine Gesellschaft zusammen, was hält Menschen zusammen, woran orientiert man sich in Hamburg. Das war genau die Frage nach dem Ende des Systemkampfes. Der Osten hatte also verloren und das Geld schien also triumphiert zu haben und zeigte das auch unverhohlen. Der Kapitalismus stand also dar als Sieger und das war mir dann doch nicht ganz geheuer und die Geschichte wollte ich dann anders erzählen. Die Merkmale des Hamburger Jedermanns ist die Frage nach der Rolle, die jeder in dieser Stadt spielen kann und die Erwartungen, die jeder an seiner Stadt stellt, das an einem Ort, der ja für Vertreibung stand. Denn es war ja ursprünglich einmal Brachland, hier wurde Störtebecker geköpft, hier wurden Schafe und Kühe geweidet und hier war der Armenfriedhof. Sozusagen der Friedhof der namenlosen Toten, etwas, das exterritorial war, später zum dreißigjährigen Krieg sind hier Bollwerke entstanden, man hat hier nach holländischem Vorbild gebaut. Man hat der Stadt einen Panzer gegeben, damit sie sich verteidigen konnte. Und das hat sie auch sehr erfolgreich getan, bis eben Napoleon auftauchte und sagte, diese Stadt soll nicht so gut gepanzert sein sein und dann wurden die Anlagen geschliffen. Der Grundriss ist geblieben und auf diesem ein neuer Stadtteil entstanden, das hat zu tun mit holländischen Glaubensflüchtlingen, die hier angesiedelt wurden, das hat zu tun mit der Barockzeit, hier standen ja die schönsten Barockpalais der Stadt, das hat auch mit dem Hafen zu tun, mit den vielen die mit dem Hafen und für den Hafen lebten, und so entstand hier das Wandrahmbrook-Kehrwiederquartier. Und für die Speicherstadt wurde all das hier aufgegeben. Das heißt für die Interessen des Kaufmann. Für die Interessen des kaufmännischen Hamburgs wurde das Herz verkauft, abgerissen, geschliffen, 20.000 Menschen vertrieben. Ein unvorstellbarer Vorgang, aus heutiger Sicht. Damals alles möglich in kürzester Zeit, dann wurde das Schatzkästchen des Hamburger Kaufmanns hier errichtet. Musik 5: Heil über dir Hammonia: an der Elbe Auen! Hamburger Landeshymne ... (kurz! : Hammonia, Hammonia) SPR 1: Michael Batz versteht sein Theaterstück ‚Jedermann' mehr als Frage denn als übergeordnete Kritik an der hanseatischen Gesellschaft: Wer macht die Regeln, die Rules in Hamburg? Der, der am meisten Geld hat und damit vermeintlich auch die Macht? O-Ton 2_7 Batz (0:29): "Und nun passiert genau dem, der die Rules macht, dass der Tod ihm ganz andere Rules vorsetzt; dass er sterblich ist und das ganz plötzlich und so ist die Geschichte dann zu erzählen. Es ist eine Hinterfragung unserer Werte. Und das ist nicht auf das Individuum bezogen, sondern auf das System, Gesellschaft auf das, was wir leben insgesamt und da sind wir dann davon betroffen." Atmo 3: Hamburger Jedermann SPR 1: Ein Satz aus dem Hamburger ‚Jedermann' bleibt hängen: "Lass, was du zu lassen hast, los!" Genau das fällt den Hamburgern aber sehr schwer, wie auch die baulichen Entwicklungen zeigen: in der Speicherstadt steht ein großes Modell, an dem sich die gewaltigen Veränderungen erkennen lassen. Denn der Hamburger Entwicklungswahnsinn ist ja weiter gegangen: Vor der Speicherstadt liegt inzwischen wieder ein völlig neuer Stadtteil: die Hafencity. Und seitdem diese überdimensionierte Legobausteinstadt Form angenommen hat, hat auch die Speicherstadt eine neue, wichtige Rolle: Sie verbindet Altstadt und Hafencity auf dem Weg an die Waterfront. O-Ton 2_8 Batz (0:58): "Es war damals ein unentdeckter Bezirk, der hat mich immer erinnert an die letzten Tage der DDR, das war politisch blockiert, weil die Zollfrage nicht geklärt war. Es war wirtschaftlich am Ende. Es hatte so einen morbiden Charme, eine gebirgige Stille, über allem, wenn man hier Freitags hinkam, das hatte man in der Hansestadt Hamburg nicht erwartet, wie ruhig es hier sein kann. Es war ruhig und still, wie man es sich heute nicht mehr denken kann und ein Mond darüber. Eine atmosphärische Stille, wie man es sie heute nicht mehr denken kann. Die Denkmalpfleger nannten es auch das dunkle Tier. Und dann haben wir bei Null angefangen, und obwohl direkt vor der City gelegen, war es dennoch ein Ausland, auch visuell war es ein Ausland und da konnte man von Grund an wieder formulieren, und da Licht für mich ja ein Text ist, eine Erzählung, eine Literatur der Nacht, konnte ich das hier was ich im Theater gelernt hatte hier auch übertragen. SPR 1: Heute ist die Speicherstadt ein zentraler Baustein des Hamburger Touristenkonzepts. Weil Hamburgs eigentliche Altstadt kriegszerstört ist und nur geringe Teile - etwa die Deichstraße - als Museumsinsel wieder aufgebaut wurden, wird sie zu einem Surrogat der Altstadt - und die Touristen glauben diesem Disneyland. Musik 14: Richard Wagner, fliegender Holländer, Steuermann... (1:00) 6. Das Werden der Großstadt SPR 3: Großstadt Die Göttin Großstadt hat uns ausgespuckt in dieses wüste Meer von Stein. Wir haben ihren Atem eingeschluckt, dann ließ sie uns allein. Die Hure Großstadt hat uns zugeplinkt - an ihren weichen und verderbten Armen sind wir durch Lust und Leid gehinkt und wollten kein erbarmen. Die Mutter Großstadt ist mild und groß - und wenn wir leer und müde sind, nimmt sie uns in den grauen Schoß - und ewig orgelt über uns der Wind! SPR 1: Wolfgang Borchert, 1946 Der Bau der Speicherstadt war im 19. Jahrhundert eine wichtige Veränderung. Für das Stadtbild und den Charakter waren noch andere Dinge verantwortlich: Katastrophen! Als am 5. Mai 1842 der schauerliche Ruf Füer in de Diekstraat erklang und innerhalb von drei, vier Tagen das alte Stadtzentrum an der Trostbrücke dem tückischen Brand zum Opfer fielen, war das eine dramatische Zäsur. Etwa ein Drittel Hamburgs wurde zerstört, es war das Ende der mittelalterlichen Struktur. Denn im Jahrhundert der Industrialisierung war nun in der Hansestadt - auch durch weiteren Abriss - Raum für moderne Neubebauung geschaffen. In der Stadt der Pfeffersäcke hatte man die Renditen - auch von Grundstücken - genau im Blick. Die Immobilienspekulation begann im großen Stil. Die Stadt wurde nicht mehr nach dem alten Grundriss aufgebaut, sondern in begradigter Form. Dafür ließ man den Straßen aber ihre alten Namen. Tradition war und ist wichtig - dem Namen nach. Es waren die Jahrzehnte des Wachstums, die zu radikalen Einschnitten ins Stadtbild führten. 1842 zählte Hamburg knapp 140 000 Einwohner, 1910 bald ein Million. [Musik 15 SPR 1: Mit dem Areal an der Binnenalster, das Fritz Schumacher später das große Kunstwerk nennen wird, und dem neogotischen Wiederaufbau der Nikolaikirche hatte man sich noch baukünstlerischen Aufgaben verpflichtet. Man wird Stadtteile wie Eppendorf oder Eimsbüttel später die Innere Stadt nennen. Die architektonische Leistung führte dazu, dass Straßen und Häuser dieser Epoche, etwa die Isestraße, zu den beliebtesten Domizilen von Neu-Hamburgern wurden. Die meisten dieser Häuser wurden von Maurermeistern nach schablonenhaften Mustern hochgezogen und der architektonische Schmuck kam von der Stange. Dass es dabei möglicherweise nicht immer ohne Schiebung und Korruption zugegangen ist, ist wahrscheinlich. Boris Meyn sieht das in seinem preisgekrönten Historischen Kriminalroman Der Tote im Fleet genauso und lässt einen seiner Protagonisten zur aufkommenden Spekulation mutmaßen: SPR 3: "Es sind die Wohnquartiere der Armut, welche die lebenswichtigen Adern der Stadt blockieren. Du siehst, es läuft wieder auf die Vorstädte hinaus - und auf die Öffnung der Tore. Ich vermute, das ist bereits beschlossene Sache. Nur in den Vorstädten finden sich entsprechende Flächen. Und außerdem scheinen deine Recherchen meine Ahnungen zu bestätigen. Es passt doch alles wunderbar zusammen: Die Planungen für den Hammerbrook. Die einsetzende Bebauung auf der Uhlenhorst und auch die Verteilung dieses Bodens auf einige wenige Erbgesessene bestätigen das." SPR 1: Erbgesessene - das sind die Oligarchen. Die Cholera-Epidemien des 19. Jahrhunderts führten zum rabiaten Stadtumbau. Die letzte und schwerste dieser Epidemien von 1892 kostete etwa 8600 Menschen das Leben. Danach wurde der technisch anspruchsvolle Sielbau, also der Abwasserkanalbau, begonnen. Er sollte für eine saubere Elbe sorgen. Allerdings mussten zuvor noch die Gängeviertel in der Altstadt, die der Große Brand verschont hatte, abgerissen werden. Sie galten als Slums und mussten nun in der Altstadt zugunsten großzügiger Bebauung verschwinden. In der prosperierenden Zeit nach der Jahrhundertwende wurden in Hamburg Strukturen einer modernen Dienstleistungsstadt sichtbar. Es entstand ein neues Stadtgebilde in der sich formulierenden Großstadt, die City: O-Ton 2_9 Hipp (1:51): "Der City-Begriff ist wirklich interessant, die meisten Menschen denken, er kommt aus Amerika, stimmt nicht, er kommt aus England. Von der City of London. Und es ist eine Errungenschaft der deutschen Soziologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts die erkundet hat, wie die alten Altstädte ihren Sinn verloren haben, weil man hinauszieht vor die Wälle und anderswo wohnt und sich in den Altstädten zunehmend der tertiäre Sektor breitmacht. Dazu politische und private Verwaltung. Keine Stadt hat das so schnell und so konsequent erlebt wie Hamburg. Das wird in den damaligen theoretischen Analysen immer herausgearbeitet. Ich finde aber auch, keine andere Stadt hat das so geschickt architektonisch gemacht Was noch viel wichtiger ist, sie hat diese Citybildung zum Anlass der Entwicklung einer eigenständigen Bauaufgabe, nämlich des Kontorhauses gemacht. Das den Stadtkörper tatsächlich auch verwandelt hat. Man hat die Bürgerhäuser abgerissen und Kontorhäuser an ihre Stelle errichtet. Vermietbare Bürohäuser, schlicht gesagt. Die sind etwas größer als die alten Bürohäuser. Aber, was dabei ganz entschieden wesentlich war, man war sich bewusst darüber, sie dürfen einen gewissen Maßstab nicht überschreiten und müssen sich neu zu einem Stadtkörper verbinden. Das ist auch gelungen, von der Mönckebergstraße bis zum Neuen Wall. Überall, das ist die alte hanseatische Überlieferung, das war auch allen klar. 1909 wurde darüber ein Buch veröffentlicht, vom Architekten und Ingenieursverein, das Hamburger Kontorhaus, da haben sie geschrieben: "Unser Kontorhaus ist aus dem selben Geist entstanden wie das alte Bürgerhaus und nur dann funktioniert es, wenn es so ist!" SPR 1: Das Kontorhausviertel wurde 2015 mit der Speicherstadt zusammen zum Welterbe. Wesentliche Schritte zur neuen Großstadt wurden mit einem neuen Baudirektor verwirklicht. Unter Fritz Schumacher, einem Bremer, der auch in Leipzig und Dresden tätig gewesen war, wurde ab 1906 der Staatsbau reformiert. Dazu gehörten Schulen und Krankenhäuser und auch Feuer- und Polizeiwachen. Sie alle sind stilistisch leicht im Stadtbild zu erkennen: am Ziegelkleid und an der herrschaftlichen Geste, mit gewaltigen Dächern und Dachreitern. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde auch das Netz der Hochbahn, so heißt die Hamburger U-Bahn der vielen eisernen Viadukte wegen, in einem Ring um die Innere Stadt installiert. Sie besorgte den Haupttransport von den neuen Wohnquartieren zu den Landungsbrücken, wo die Hafenarbeiter mit Fähren in den Hafen übersetzten. Fritz Schumacher, der das Amt des obersten Baubeamten an der Spitze der mächtigen Behörde von 1906-1922 und von 1923-1933 bekleidete, schrieb in seiner Autobiographie "Stufen des Lebens": SPR 3: "Eines war mir von vornherein klar: Hamburg verlangte einen ganz anderen Baucharakter als ich ihn für Mitteldeutschland anzuschlagen gewohnt war, Ich kannte ja sein Wesen, es saß mir ja auch meiner eigenen Vaterstadt im Blute. Etwas Herbes, Strenges, musste in diesem Klima reifen, zugleich etwas, von den man das Gefühl haben musste, dass Nebel und Seewind ihm nichts anhaben können. Es war mir kein Zweifel, dass nur das alte Baumaterial des norddeutschen Landstriches, der Backstein zu diesem Charakter führen könnte. Ohne viel zu überlegen, sah ich meine Vorstellungen sich ganz von selber aufbauen." O-TON 2_10 Marg (1:04): "Hamburg liegt 100 Kilometer landeinwärts dem Elbestrom hinauf in einer ehemaligen eiszeitlichen Landschaft, wo die Gletscher geendet hatten. Hier gibt es keine Felsen, hier gibt es keinen anstehenden Stein. Wenn man ganz viel Glück hat, kann man in den Endmoränen Findlinge finden, flusskieselartige runde Steine, die man auch gerne bei den mittelalterlichen Kirchen, weil sie aus Granit sind auch als Fundamente benutzte. Ursprünglich konnte man nur mit Holz bauen, mit Schilf bauen und daher die Fachwerkbauweise. Wenn man Steine brauchte, musste man sich diese aus Ton brennen, Ton gab es hier überall reichlich. Das man hier in Backstein baute, ist schlicht das Ergebnis uralter Geschichte." SPR 1: Sagt Architekt Volkwin Marg. Prinzipiell spiegelt seit der Backsteingotik der Ziegel in gewisser Weise die Seele der Hamburger. Nach einer Pause von wenigen Jahrzehnten wurde der Ziegel Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur rehabilitiert, sondern zum einzig wahrhaftigen Material erklärt: O-TON 2_11 Marg (0:41): "Als dann dieser Richtung in den 1920er Jahren der Expressionismus folgte, hat er sich hier im Norden ekstatisch ausgebreitet, wurde der Backstein noch mehr mystifiziert, er sei ein Edelstein aus Feuer und Erde. So nannte man das. So entstanden die berühmten Hamburger expressionistischen Bauten, am bekanntesten wurde dann in der Zeit der gewaltigen Inflation der 20.Jahre das Chilehaus von Höger." SPR 1: Dieses monumentale Bauwerk entstand 1923, errichtet als ein Fanal einer geschlagenen Nation, die wieder aufsteht. Der Zeit entsprechend sang der Schriftsteller und Rechtsgelehrte Rudolf Georg Binding in damals üblicher, national überhöhter Sprache dem Haus ein Hohelied: SPR 3: "Wer dieses Haus nicht erschüttert betrachtet, weiß nichts vom Mut, nichts von Freiheit, Selbstbewusstsein, Zuversicht, Unterliegbarkeit und Unbesiegbarkeit. Und: "Auf einem schmalen zungenhaften Fetzen Land, über Hunderte von Menschen hingezogen, an einem Ende in den spitzen Winkel laufend, am anderen breiteren Ende an schon bestehende Gebäude anwurzelnd, erhebt sich, zu jener Spitze förmlich hineilend, ein einziger Häuserleib; gestreckt wie ein Forelle, schlank wie die Schwungfeder eines Adlers und sich entrollend wie ein Fahne im Wind". O-Ton 2_12 Hipp (1:46): "Es ist ohne jeden Zweifel eine Mischung aus allem. Und vor allem ist es von Anfang an auch ein Stück Propaganda. Das Chilehaus wurde entschieden ein Muster, was das 20. Jahrhundert eben auch kann, ein Bildmittel, mit Medien Propaganda zu machen. Das Chilehaus ist das meist abgebildete Haus der 20er Jahre, möchte ich wetten. Und wo gegen hat man Propaganda gemach, natürlich gegen die Konkurrenz der klassischen Moderne, die von Fritz Höger, dem Architekten des Chilehauses perhorresziert wurde. Übrigens auch von Fritz Schumacher. Die wollten etwas anderes, die wollten eine ortgebundene, in die Tiefe der Überlieferung reichende eigenständige Architektur. Höger mit völkischen Ideologemen im Hintergrund, die einem die Nackenhaare aufstellen. Der war ja Rassist. Das spielt für das Chilehaus keine Rolle, das war ja ein Kunstwerk. Letztendlich auch durch die Verfügbarkeit von Devisen in dieser Zeit auffallend groß geraten und damit auffallend in der öffentlichen Wahrnehmung wurde. Höger war ein Filou, er hat ein extrem gutes Gefühl für Propaganda gehabt. Und hat es geschafft, dass expressionistische Schriftsteller und Dichter ihm zu Diensten waren. Vermutlich hat er Herrn Binding auch bezahlt für das expressionistische Gedicht, um das er ihn gebeten hatte. Großtat des Geistes, Machttat. Nietzsche-Tradition. Es gibt ja auch die nicht bewiesene Legende, das Höger abends im Taxi vorbeifuhr, ausstieg und auf die Knie fiel. Fiel vor seinem Werk, das ihm der Herr eingegeben hat. Also, die wussten schon, wie man Aufmerksamkeit erregt und Mythen in die Welt setz und damit klar kommt." Musik 16: [ggf. aussuchen] SPR1: Das Chilehaus hat als unangefochtener Primes inter Pares des Kontorhausviertels wesentlich zum Welterbe-Status von 2015 beigetragen. Nüchtern und sachlich betrachtet ist der Hype ums Chilehaus erst später entstanden. Die extravagante Form, mit der auch Teufelsspitze genannten Ostecke hatte sich eigentlich nur dem Grundstück anzupassen. Das aufregende, die Spitze dramatisch überhöhende Foto, das später durch die Welt ging, ist aus der Fußgängerperspektive mit eigenen Augen nicht zu erleben. Und das Haus wurde nicht von öffentlicher Hand finanziert, sondern von einem reichen Hamburger, dem Kaufmann Henry Brarens Sloman, der ein Vermögen mit Salpeter in Chile gemacht hatte. Selbst der Dichter Rudolf Binding bemühte sich zu sagen, dass es ein ganz normales Kontorhaus ist: "Es geht nur um Bureaus"! Alle diese Bürohäuser, die hier entstanden sind - Ballinhaus, Sprinkenhof, Montanhof und andere - zeigen dennoch sehr deutlich, dass sie backsteinern für die Ewigkeit gebaut sein wollen! Musik 17: Hammonia-Hymne/Paloma (zusammenbauen!)...(1:00) 7. Das Tor zur Welt SPR 3: "Die Freie und Hansestadt Hamburg hat als Welthafenstadt eine ihr durch Geschichte und Lage zugewiesene, besondere Aufgabe gegenüber dem deutschen Volke zu erfu¨llen. Sie will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Vo¨lkern der Welt sein. Durch Förderung und Lenkung befähigt sie ihre Wirtschaft zur Erfüllung dieser Aufgaben und zur Deckung des wirtschaftlichen Bedarfs aller. Auch Freiheit des Wettbewerbs und genossenschaftliche Selbsthilfe sollen diesem Ziele dienen. Jedermann hat die sittliche Pflicht, für das Wohl des Ganzen zu wirken. Die Allgemeinheit hilft in Fällen der Not den wirtschaftlich Schwachen und ist bestrebt, den Aufstieg der Tüchtigen zu fördern. Die Arbeitskraft steht unter dem Schutze des Staates. Um die politische, soziale und wirtschaftliche Gleichberechtigung zu verwirklichen, verbindet sich die politische Demokratie mit den Ideen der wirtschaftlichen Demokratie. Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates." SPR1: So heißt es in der Präambel in der gültigen Hamburger Landesverfassung von 2012. Das Schlüsseljahr für die heutige moderne Struktur der alten Hansestadt liegt im Jahr 1919: die Oligarchie geht nach Hause, Hamburg wird in der Demokratie zu sozialdemokratischen Stadt. Bis 1919 war Hamburg eine autokratische Oligarchie, regiert durch den Senat. Später dann entstand das eigenwillige Konstrukt einer "sozialdemokratischen Bürgerstadt". Gleich, frei und geheim waren die Wahlen; die Volksvertreter wurden erstmals nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen gewählt. Die Staatsgewalt ging jetzt tatsächlich vom Volke aus. Oberbaudirektor Fritz Schumacher definierte seine Hauptaufgabe damit, dass er "einen neuen Wohngürtel um Hamburgs alten Leib schnallt". Massenwohnungslosigkeit und die Pflicht des Staats zur Sorge für die Volkswohlfahrt wurden die großen Themen in der Öffentlichkeit. Es sind allerdings nur die Jahre zwischen Inflation 1923 und Weltwirtschaftskrise 1929 gewesen, in denen sich wirklich etwas bewegen ließ. Schumacher war es auch, der zum ersten Mal ein geordnetes Siedlungssystem der Hamburger Stadtlandschaften entwickelte. Seine Stadtentwicklung folgte den topographischen Bedingungen - wie dem Lauf der Elbe - strahlenförmig breiteten sich die Siedlungsachsen vom Kern nach außen hin aus und wurden durch Grünräume getrennt und gegliedert. Dieses Ordnungssystem wird auch im 21. Jahrhundert anerkannt und weiterverfolgt. Musik 5: Hammonia-Hymne, (kurz!) SPR 1: Obwohl es erst einmal keine Kriegsmarine im großen Stil mehr gab, blieb man dem Schiffsbau und der Hafenindustrie verpflichtet. Das bezog die Herstellung von Schiffsmotoren, Schiffsschrauben etc. mit ein. Der Arbeiteranteil an der Bevölkerung war hoch und entsprechend groß war der Bedarf an neuen "Kleinst"-Wohnungen. Große Siedlungen in akkuratem Backsteinkleid mit weißen Sprossenfenstern entstanden inmitten kleiner grüner Parks auf der Veddel, in Barmbek Nord, Dulsberg und in anderen Wohngebieten. Das war nicht nur schön anzuschauen, sondern auch gesund, weil in die neuen Räume dieser Wohnhäuser erheblich mehr Licht und gut verträgliche Luft eindrang als in jene des Arbeiterwohnungsbaus im 19.Jahrhundert. Es war die sozialdemokratische Antwort auf heruntergekommene Arbeiterquartiere der Innenstadt, die krankheitsgefährdend und überbelegt als Nährboden kommunistischer Revolutionsgedanken galten. Für die neuen Siedlungen musste die Infrastruktur bereitgestellt werden, vor allem mussten Schulen gebaut werden. Musik 18: Käempfert: Wunderland (0:30) SPR 1: Und die Hafenromantik? Zu diesen Zeiten sind die Viermaster und andere Segelschiffe schon Geschichte. Aber Hamburg bleibt die Hafenstadt, das Tor zur Welt und das bedeutet: Es sind nicht nur die Bürger der Stadt hier, sondern auch Matrosen, Reisende, Sehleute. Es gibt Einrichtungen und Dinge in der Stadt, die es woanders nicht gibt. Ein Tropeninstitut und ein Rotlichtviertel: St Pauli, heute wieder einer der Mythen dieser Stadt! Udo Lindenberg textet und singt: Spr3: "Ich höre Opern in Bayreuth Da fehlt mir eine Kleinigkeit Und irgendwie bin ich wieder so traurig Ich weiß nicht, warum ich nicht so richtig happy bin Und nach 'ner Weile kommt's mir wieder in den Sinn Da gibt es so 'nen Boulevard Die große Freiheit auch ganz nah Und ich weiß, mich zieht's zum Kiez Reeperbahn - ich komm an Du geile Meile, auf die ich kann Reeperbahn - alles klar Du alte Gangsterbraut, jetzt bin ich wieder da Überblenden in Musik 19: Lindenberg Reeperbahn... SPR 1: Querab zur Reeperbahn gibt es eine ebenso bekannte Straße, die Große Freiheit heißt. Ihren Namen hat sie schon im 17. Jahrhundert bekommen, wie auch die benachbarte Kleine Freiheit: gemeint waren die Religions- und Gewerbefreiheit, die auch für unzünftige Handwerker und fremde Glaubensgemeinschaften in der Stadt Altona galten. 1601 hat Graf Ernst von Schauenburg dem mennonitischen Händler François Noe das Privileg gestattet, in Altona eine besondere Wirtschaftszone einzurichten, die schließlich unter dem Namen Freiheit bekannt wurde. Am Rande der bis 1866 dänischen Stadt wurde auch religiösen Randgruppen Raum gelassen. So muss man nicht überrascht sein, wenn man heute in der protestantischen Stadt auf der Großen Freiheit auf eine intakte barocke katholische Kirche trifft. Das Gebäude mit konkaver Fassade ist von bescheidener Größe und nach starken Kriegszerstörungen außen und innen wiederhergestellt worden. Dem Geist von Minderheitenschutz und Liberalität gemäß, setzt sich die Gemeinde heute auch für Flüchtlinge ein. Musik 21: Albers/ Quinn: Heimweh nach St. Pauli (0:30) SPR 1: Der Filmklassiker Große Freiheit Nr. 7" aus dem Jahr 1944 brachte St. Pauli internationalen Ruhm. Unter der Regie von Helmut Käutner, drehten Hans Albers und Ilse Werner allerdings in Prager Studiokulissen. So kann man das legendäre Hippodrom, in dem der Protagonist Hannes arbeitet, auf St. Pauli nicht finden. Stattdessen stand dort das Salambo, ein Erotiktheater, das dem Kiez den Ruf als sündigste Meile der Welt einbrachte. In der Großen Freiheit wurde auch Musikgeschichte geschrieben: Die Nummer 36 beherbergt heute noch den Kaiserkeller, in dem die Beatles ab 1960 achtundvierzigmal auftraten. Bekannt durch die Beatles wurde auch der Star Club, eröffnet 1962, geschlossen 1969. Heute erinnert ein Gedenkstein an den Club und an zahlreiche prominente Künstler, die dort gastierten: Jimi Hendrix, Ray Charles, Fats Domino, Jerry Lee Lewis und andere. Musik 20: Beatles: Komm, gib mir deine Hand (deutsch!) (0:30) ... SPR 1: Es gehört zu den merkwürdigen Geschichten, dass Hamburg im 20. Jahrhundert einen Teil seines Rufes und Bedeutung dem Nationalsozialismus verdankt. Das Großhamburg-Gesetz, das Hamburg, Altona, Wandsbek, Harburg und Bergedorf 1937 vereinte, wäre in demokratischer Ordnung schwer denkbar gewesen. Auch Käutners cineastische Huldigung von St-Pauli ist dem großen Fernweh und einer 1944 nicht mehr vorhanden heilen Welt gewidmet. Hitler selber hat Hamburg zur Tor zur Welt-Stadt erkoren und visualisierte das Tor zur Welt: Eine Skizze des Diktators aus dem Jahr 1936 zeigt den Pylon, die Tragekonstruktion, einer Hochbrücke über die Elbe mit kräftigen Kreidestrichen. Im Hamburger Staatsarchiv ist eine Notiz des damaligen Direktors Ahrens aus dem Jahr 1941 erhalten geblieben: SPR 3: "Den Gedanken der Elbufergestaltung brachte meines Wissens der Führer zum ersten Mal zum Ausdruck nach einem Stapellauf in Hamburg [...]. Der Führer stand mit einigen Herren auf dem Achterdeck der Grille und blickte elbabwärts. Er machte dabei, als er von dem Bau der Hochbrücke sprach, eine Handbewegung gleich einem Brückenbogen über die Elbe und fügte an den Höhen am Altonaer Ufer gewendet die Worte hinzu: Hier sehe ich ein großes monumentales Bauwerk". SPR 1: Hitler sah noch viel mehr: einen deutschen Wolkenkratzer an der Elbe für das Gauhochhaus. Er sah in Deutschlands Tor zur Welt den Widerpart zu New York und seinen Hudsonbrücken. In Deutschland traten mit Werner March oder Paul Bonatz die besten Kreativen zum Entwurf an. Es ist nie zu einer Realisierung gekommen, weil sich Hamburg schon seit den frühen 1940er Jahren um den Wiederaufbau zerstörten Wohnraums kümmern musste. Allerdings dümpelten bis zum Bau des Elbtunnels riesige Betonbausteine im Elbsand, an denen die Standfestigkeit der Pylone untersucht werden sollte. Wenigsten diese waren für die Ewigkeit gedacht... SPR1: Angesicht einer noch nie dagewesenen Zerstörung der Stadt hält am 10. Oktober 1945 Fritz Schumacher im Hamburger Rathaus eine Rede. Das Bild Hamburgs als moderne Stadt war ja auch aufgrund seiner ganz persönlichen Anstrengungen und Gestaltungen, Philosophien und Konstruktionen entstanden und inzwischen brutal zunichte gemacht worden. Die Rede ist erhalten und schon ein ganz kleiner Ausschnitt beweist, warum dieser Mann so wichtig für die Architektur Hamburgs im 20. Jahrhundert geworden ist. Und wenn man seine konkreten Worte zum Thema "Sich die Zerstörung zu Nutze machen" als Abstraktion oder Vision versteht, dann ist so, als hielte er sie am 10. Oktober 2017: O-Ton 2_13 Schumacher (CD 6, 0:15 - 3:21, DM stellt zur Verfügung): "Ich will nur sprechen von der Wohnungsfrage als Problem der breiten Masse, so würde ich vor dem ersten Weltkrieg gesagt haben. Aber diese Spezialcharakterisierung ist ja heute überflüssig. Wir alle gehören zur breiten Masse. Es handelt sich dabei um den soziologischen Typus, den die Stadt in jeden Gebieten die einstmals neu entstehen werden, entgegensteuert, sie müssen in ihren Bebauungsplan auf weite Sicht eingeleitet werden [...]. Auf dem Gebiet des Wohnungswesens, da hat Hamburg an den Sünden der Jahre bis zum ersten Weltkrieg schwer zu leiden gehabt. Das hohe Mietshaus mit seinen Hinterflügeln, und sozusagen luft- und lichtlosen Vierspännern, das braucht ich Ihnen nicht zu schildern. Wenn das Wort Großstadt mit düsteren Vorstellungen behaftet ist, so liegt das in erster Linie an diesen Sünden. Nach dem Weltkriege trat eine Reform dieses furchtbaren Typs ein, die man für Jahrzehnte für unmöglich hielt, das dürfte dazu führen, das vorzugsweise diese Wohngebiete, die nach dem Weltkrieg entstanden, für die Wiederherstellung in Frage kommen, aber diese Reform konnte durch hochgetriebene Bodenpreise und der Unmöglichkeit, die Rechte der völlig aus der Zeit gefallenen Bebauungspläne aus dem Weg zu räumen, nicht bis zum letzten wünschenswerten Ziele durchgeführt werden. Die Wohnungsbauten wurden zwar in Nutzung in Richtung Licht und Luft einwandfrei, aber ihr Wesen als mehr oder minder hohe Mietshäuser musste bleiben. In Zukunft muss die Reform einen Schritt weiter gehen: Wo neu in größeren Zusammenhängen gebaut wird, da muss das Einzelhaus in Form von ein bis zwei geschossigen Reihenhäusern entstehen - mit bescheidenem Garten, nicht die Ausnahme, sondern die Regel werden." SPR 1: Fritz Schumacher, hatte ja in der Zwischenkriegszeit die Infrastruktur der sozialdemokratischen Hafenstadt gebaut: Schulen, Verwaltungsgebäude, Wohnhäuser, die Jarrestadt. Ganz klar, dass er in einer solchen Form weiterbauen wollte: solidarisch und demokratisch. Merkwürdig nur, dass 70 Jahre später immer noch um diese Themen gerungen wird, wenn Gentrifizierung, Betongold und ähnliches die Stadt beherrschen. O-Ton 2_14, Schumacher (CD 12, 1.00 - 2:42; DM): "Ich denke an ein merkwürdiges Wort, das ich in Goethes Nachlass fand: Was die letzte Hand tun kann, das muss die erste Hand schon entschieden aussprechen, hier muss schon bestimmt sein, was getan werden soll, was einmal ausgeführt werden soll, das kann dies nur werden, wenn es als Ziel von Anbeginn erkannt wird. [...]. Wir haben nicht nur die Not der Gegen-wart mit allen Kräften zu meistern, sondern zugleich das Fundament der Zukunft zu legen und deswegen müssen wir uns immer bewusst sein, dass wir und gerade wir, die wir gerade das Gefühl haben vom Schicksal machtlos dahingetrieben zu werden, die Verantwortung von Zukunft für Generationen tragen." SPR 1: Fritz Schumacher durfte nicht mehr als führender Baumeister weiter machen, auch wenn der damalige Bausenator Max Leuteritz das in seiner Erwiderungsrede forderte. Im Wiederaufbau folgte man allerdings lange seinen Forderungen nach Vernunft und Einfachheit. Wir wissen, dass im Adenauer Deutschland das Einfamilienhaus und die eigene Scholle auch als Bollwerk gegen den Sozialismus galt. Das Tor zur Welt macht nach dem Zweiten Weltkrieg erst einmal Zwangspause. Aber nur wenige Jahre. Spätestens nach der Wende ist alles wieder wie zu Bauzeiten von Speicherstadt und Kontorhausviertel. Ein neues Hamburg soll entstehen: die Metropole des Nordens mit allerlei Superlativen, neuen Landmarken und einer erneuten Elbvertiefung. Musik: Lonzo: Hamburg 75, (2:00) 3. Stunde Metropolenwahn oder Rückbesinnung? Musik 23: Brahms 1. Sinfonie (1:00) 8. Hafenstadt, Stadt mit Hafen, Hafen mit Stadt? SPR 3: "Ich erinnere mich bei der Kampnagel-Fabrik an die Pfiffe der Arbeiter: ‚Macht unsere Kranfabrik nicht kaputt'. Ès ging um den großen weltweiten Wandel im Umschlag: vom Kran zur Kiste, vom Rasselkonzert der Kräne zur Quietschsinfonie der Containerbrücken. Kampnagel-Kräne mit ihrem stolzen Namenszug hoch über den Hafenbecken hatte ich gesehen in Brasilien, im Hafen von Buenos Aires, im alten Hafen von New Jersey und später auch mit verblichenen Schriftzügen im verfallenden Hafen von Kaliningrad oder Gedansk; die Kräne waren gekauft worden, als die Städte noch Königsberg und Danzig hießen. Kampnagel ist heute eine Kulturfabrik, der Hafen umgebaut und ausgebaut, an der einen Stelle stillgelegt und woanders neu belebt." SPR 1: Schrieb der Politiker und ehemalige Rowohlt-Lektor Freimut Duwe 1995. Das war lange bevor die erste Grube für ein Haus in der Hafencity ausgeschachtet wurde. "Am Hafen wohnen?" fragte sich Duwe ebenfalls und antwortete selbst "Im Hamburger Hafen wohnt fast niemand!" Heute wohnen mehrere Tausend Menschen am Hafen, südlich der Speicherstadt. Die Sonderwirtschaftszone Freihafen ist verschwunden. Als am 31. Dezember 2012 zum Jahreswechsel die letzten Zollschranken im Freihafen aufgehoben wurden, war das zunächst kein Grund öffentlicher Würdigung. Das frühere Erfolgsmodell wurde einfach aufgehoben. Erst ein gutes Jahr später gab es doch noch einen symbolischen Festakt - mit Volksfeststimmung. Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz setzte sich höchstpersönlich auf den Abbruchbagger und riss mehrere Paneele des Zollzauns auf dem Hauptdeich aus ihrer langjährigen Verankerung. Seine sozialdemokratische Idee bestand darin, die Stadtentwicklung dieses ehemaligen sozialen Brennpunkts mit den Bürgern zusammen zu forcieren. Hamburg hatte dazu eine Internationale Bauausstellung und eine internationale Gartenschau ausgerichtet. Leider nur mit mäßigen Erfolg, weil auch Jahre danach nicht klar ist, wer mehr davon profitiert hat: die Bürger oder die Investoren? SPR 1: Die alten Zollgrenzen sind gefallen, aber der Hafen mit seinen Containerbrücken und Logistikflächen bleibt autark. Bis heute wird der Streit anhalten: Ist Hamburg eine Stadt mit Hafen oder ein Hafen mit einer Stadt? Musik 24: Lake: More than a feeling (0:30) SPR 1: Mit der Wiedervereinigung 1990 kam für den Hamburger Hafen eine Wende - zum Erfolg. Weil es nun mit Mecklenburg und Brandenburg wieder ein Durchgangs- und Hinterland gab, boomte der Hafen und kurzfristig glaubte man, schon bald wieder die Nummer Eins der Häfen in Europa werden zu können. Olaf Scholz machte, nachdem er 2011 mit absoluter Mehrheit ins Amt des Ersten Bürermeisters gewählt worden ist, folgendes Buch zur Pflichtlektüre seiner Mitarbeiter: "Triumph of the City - wie uns unsere größte Erfindung - die City - reicher, smarter, grüner, gesünder und glücklicher macht". Geschrieben wurde das Werk 2011 von Edward Glaeser, einem Ökonomieprofessor aus Harvard. Er schreibt u.a.: SPR 3: "Wir verzeichnen fünf Millionen Menschen Zuwachs pro Monat in den Städten und 2011 leben mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. [...] Städte als die dichtesten Agglomerationen haben sich seit Plato und Socrates als Motoren der Innovation erwiesen, verdichtet in der Auseinandersetzung auf den Marktplätzen der griechischen Polis, später in den Straßen von Florenz in der Renaissance, oder in Birmingham zu Zeiten der industriellen Revolution. Die großartige Prosperität von London; Bangalore und Tokio kommt von ihrer Möglichkeit des Neuen Denkens!" Musik 25: Palais Schaumburg: Wir bauen eine neue Stadt... (0:30 Min) SPR 1: Die Aussagen von Glaeser stimmen mit denen eines anderen Hohen Priesters des Urbanismus, Richard Florida, überein, der zur gleichen Zeit seinen Bestseller "The Rise oft the Creative Class" herausgebracht hat. Über die Ideen heißt es: SPR 3: "Die Theorie der Kreativen Klasse (Creative class) ist eine Wirtschaftstheorie. Die Grundaussage ist, dass die kreativen Köpfe einer Gesellschaft und die von ihnen ausgehenden Innovationen entscheidend für das ökonomische Wachstum von Regionen sind. Zugehörige der Kreativen Klasse sind in allen Bereichen der Arbeitswelt zu finden, entscheidend sind ihr "kreativer Output" und die daraus entstehenden Innovationen. Florida legt in seinen Forschungen auch Augenmerk auf die räumliche Verteilung der Creative Class und versucht, damit die Entwicklung von Regionen zu erklären." SPR 1: Gerade fünf Jahre später wird Florida kräftig zurückrudern, ein Buch mit dem Titel "The New Urban Crisis" schreiben und darin ganz andere Dinge herausfinden. Auch Edward Glaeser hatte schon eine Ambivalenz in der städtischen Entwicklung erkannt, aber nicht berücksichtigt: SPR 3: "Slogans wie Think global, act locally sind als Umweltentwicklung-Mantra albern. Gute Stadt- und Regionalplanung erfordern weltweite Perspektiven und globale Aktionen, nicht die niedliche Perspektive einer einzigen Nachbarschaft, die immer versucht, Entwickler zu verhindern". SPR 1: Zur Zeit des Milleniumswechsels schien das richtig. Allerdings zeigte sich während der weltweiten Finanzkrise auch, dass globale Vernetzung und auch die Global Cities durch Digitalität und Eroberungskapitalismus eher anfällig sein würden. Musik 25: Palais Schaumburg: Wir bauen eine neue Stadt... (0:30 Min) SPR 1: Global betrachtet schien alles bestens geordnet. Die Erfinderin und Protagonistin des Begriffes, Global City, Saskia Sassen, räumte Hamburg eine echte Chance ein, partiell eine solche zu sein. Das ist verwunderlich, da Städte wie Berlin und Paris keine sind, London und Zürich hingegen doch, folgt man der folgenden Definition von Saskia Sassen: HausSprecherin: "Es gibt etwa 40 globale Städte auf der Welt, und Hamburg ist eine davon. Ich würde gern wissen, ob Hamburg eine Plattform für die globalen Operationen nicht nur deutscher, sondern auch ausländischer Handelsfirmen ist. Hamburg ist auch Deutschlands Medienzentrum. Die Stadt ist Sitz wichtiger Medienkonzerne, wenn auch nicht in dem Maßstab wie Hollywood. Je mehr man Hamburg vor dem Hintergrund seiner spezialisierten Fähigkeiten sieht, die sich aus seiner Wirtschaftsgeschichte herleiten, desto weiter entfernt man sich von der Auffassung, Städte würden einfach gegeneinander konkurrieren." SPR 1: Es sind genau diese Einschätzungen von anerkannten Fachleuten, die den Nerv der Metropole Hamburg treffen. Natürlich kann man Hamburg bezogen auf seine Shiping-Agencies - einer Art Börse weltweiter Buchung von Containern und Ladungen - den globalen Anspruch nicht nehmen. Damit einhergehen qualifizierten Arbeitsplätze, die Hamburg braucht. Die Hansestadt glaubt aber, dass so eine Aufgabe nur zu erfüllen ist, wenn an dem Standort selbst, auch ein sehr großer Hafen betrieben wird. Ob dieser Hafen aber immer noch weiter wachsen kann und zu welchem Preis, weiß zum jetzigen Zeitpunkt allerdings niemand. Immerhin gibt es eine passende, aber sehr umstrittene Bezeichnung für den Wunsch der Stadtverwaltung, als Metropole sowohl wegen eines großen, florierenden Hafens, als auch aufgrund einer gut entwickelten Innenstadt erfolgreich dazustehen: Hafen City. Kunsthistoriker Hermann Hipp ist mit dem Begriff und ihrem neuen Symbol, der Elbphilharmonie, höchst unzufrieden: O-Ton 3_0: Hipp (0:50): "Also ob sie alleine auf der Welt wäre. Dabei konkurriert sie mit dem herrlichen barocken Stadtbild des 17. Jahrhunderts das jeder alte Pfeffersack sofort wieder erkennen würde. Heute noch durch die Kirchtürme und der Einheit des Körpers der inneren Stadt. Stattdessen trumpft die Elbphilharmonie auf, trumpft die Hafencity auf als wär sie das wahre Hamburg. Allein die Idee, eine Hafencity zu bauen, ist eine vGeschchts vergessene Vorstellung. Es gibt nur eine City. Das ist die Verwandte der Altstadt, das ist überall auf der Welt so. Die Civitas steckt ja als Begriff dahinter, die bürgerliche Gemeinde der alten Zeit. Eine neue City kann man konstruierten und City-Nord oder City-Süd, aber nicht Hafencity, denn der Hafen ist genau das Gegenteil von City. Absurd." Musik 25: Palais Schaumburg: Wir bauen eine neue Stadt... (kurz!) 9. Zwischen Erde und Himmel: Die Elbphilharmonie Musik 26: Beethoven, Freude Schöner Götterfunken... (1:00) SPR 1: Hafencity und Elbphilharmonie stehen heute für das Neue Hamburg. Sie bilden das Herzstück der "Marke Hamburg" und des rasch anwachsenden Stadttourismus. Die bürgerliche Kreativklasse feiert inzwischen mit der Elbphilharmonie ihren größten Erfolg, das Lob ist groß. SPR 3: "Die Elbphilharmonie wurde mit dem Ziel geplant, ein neues Wahrzeichen der Freien und Hansestadt als Konzertsaal für alle zu schaffen. Das 110 Meter hohe Gebäude steht mitten in der Norderelbe im Westen des Hamburger Stadtteils Hafencity und wurde auf der westlichen Spitze der Elbinsel Grasbrook unter Einbeziehung der Hülle des früheren Kaispeichers A errichtet. Auf diesen mächtigen Backsteinblock aus dem Jahr 1963 des renommierten Hamburger Architekten Werner Kallmorgen, etwas Kristallines zu setzen, das an Segel, Wasserwellen und dergleichen erinnert sollte, war eine mutige Vision." SPR 1: Ein kleiner Rückblick zeigt jedoch, wie ambivalent das Unternehmen Elbphilharmonie gewesen ist: Das Konzept des Konzerthauses geht auf eine Idee des Hamburger Architekten Alexander Gérard zurück. Der Bau wurde 2007 durch die Bürgerschaft unter Bürgermeister Ole von Beust beschlossen. Entwurf und Planung der Philharmonie stammen vom Architekturbüro Herzog & de Meuron, die in der Welt zu den Top Ten der Architektenschaft gehören. Bauherr und Hauptfinanzier ist die Freie und Hansestadt Hamburg mit Steuermitteln. Allerdings gelingt es innerhalb kurzer Zeit ungefähr 60 Millionen Euro aus privater Hand in Hamburg zusammenzubringen und den Eindruck zu erzeugen: die Elbphilharmonie ist ein von einer breiten Bürgerschaft getragenes Projekt! Die Fertigstellung des Gebäudes ist nach einem mehrjährigen Vorlauf für das Jahr 2010 vorgesehen, verzögert sich jedoch mehrfach, vor allem durch einen anderthalbjährigen Baustopp, nach dem alle Parteien - Bauherrnschaft, Architekten und Baufirma maßlos zerstritten sind. Geschuldet ist dieses Fiasko einer unseriösen Kosten-einschätzung, die sich je nach Betrachtungsweise von der ersten Schätzung bis zur Fertigstellung mit etwa 800 Millionen Euro verzehnfacht hatte. Die Gründe dafür liegen einmal in der stetigen Vergrößerung des Bauvolumens auf zuletzt etwa 120.000 Kubikmeter. Zum andern handelt es sich um eine Bauaufgabe, die in dieser Form noch nie realisiert wurde. Das multifunktionale Haus für Konzerte, Wohnungen, Hotel, Technikräume, Parkhaus und vielem mehr war zu Beginn unkalkulierbar. Ein völlig neuer Vertrag zwischen den Architekten, dem Bauherren und der Baufirma, war nötig, um den Baustopp zu beenden. Erst im Januar 2017 konnte die Einweihung des Großen Saals und des gesamten Gebäudes mit dem Konzert "Zum Raum wird hier die Zeit" des NDR Elbphilharmonie Orchesters gefeiert werden. Musik 27: Bruckner 5. Sinfonie 1. Satz (1:00) SPR 1: Es sieht aus, als wäre der Ärger um die Elbphilharmonie schon wieder vergessen, Amtsträger weisen auf einen guten Ausgang und einen Prestigegewinn für die Stadt hin. Der sei auch das Ergebnis eines internationalen Netzwerkes. Die Architekten kommen aus Basel, das sogenannte Erfinderehepaar Alexander Gérard und Jana Marko aus New York und Wien. Jetzt sitzen sie in einem Atelier der neuen Hafencity-Universität: O-Ton 3_1 Jana Marko (044): "Ich habe natürlich nicht nur in Wien gelebt, sondern auch in New York, und ich bin Europa ziemlich weit herumgekommen, aber aus irgendeinem Grund bin ich immer in Hamburg hängen geblieben. Warum? Es hatte für mich immer einen gewissen Zauber, Hafen, Pfeffersack, Reeder. Dieser sehr, sehr unterkühlte Eindruck, den die Stadt zum Anfang immer vermittelt. Und gleichzeitig eine implizierte Leidenschaft, die plötzlich auftaucht, wenn die Hamburger und Hamburgerin plötzlich für irgendetwas begeistert werden können. Dann passiert etwas, was wahrscheinlich einzigartig ist. Am Anfang stand die Begeisterung!" SPR 1: Zusammen mit ihrem Mann, dem in New York geborenen Architekten und Projektentwickler Alexander Gérard hat die Kunsthistorikerin Jana Marko den Konzertpalast in der Elbe erfunden und auf den langen Weg gebracht. In welcher Situation kam Ihnen der Gedanke, ein neues Konzerthaus im Hafen für Hamburg zu erfinden? O-Ton 3_2: Gérard ( 1:08): "Dazu gibt es natürlich eine Vorgeschichte, nämlich die des Hanseatic Trade Centers und die Erfahrung, dass es damit nicht möglich war die Stadt gut zu entwickeln. Weil damals noch die Finanzbehörde das absolute Sagen hatte und die Vorstellung, neben Büros andere Nutzungen zu realisieren, an den Verkaufsvorstellungen der Finanzbehörde scheiterten. Es gab auch einen Abrissauftrag, der ist genehmigt worden. Das hat uns dann auf den Plan gerufen und wir haben dazu gesagt, es ist falsch für diesen Standort, eine nichtöffentliche Nutzung zu entwickeln und eine generelle Sorge um die Hafencity, weil in der Vergangenheit die Erfahrung bei solchen Projekten immer gewesen ist, dass man mit der sozialen und kulturellen Infrastruktur immer viel zu spät angefangen hat." O-Ton 3_3 Marko (0:50): "Kann man es durchsetzen, ist es möglich von außerhalb zu kommen, mit einem Entwurf eine Stadt unter Umständen verändern zu wollen? Uns ist uns ja manchmal maßlose Selbstüberschätzung vorgeworfen worden. Da muss ich dazu sagen dass ich als Ausländerin und Frau innovativ genug bin, Selbstüberschätzung und durchaus Unterschätzung kompensieren zu können. Das was hier in Hamburg passiert ist, - wir sind ja sehr angegriffen worden, für die Verwirklichung dieses Projekts, - ist vielleicht vor dem Hintergrund, dass ich tatsächlich in Wien das Stühle Sägen miterlebt habe und vielleicht besser zu verwirklichen gewesen, denn in Wien werden die Stühle so abgesägt, dass Sie gar nicht merken, wenn Sie am Boden liegen. In Hamburg geht man wirklich kultivierter vor. Sie haben also Zeit, noch einmal kurz Luft zu schnappen." O-Ton 3_4: Gérard (0:31) "Wir hatten eigentlich keine Probleme, bis die Stadt selber in das Projekt eingriff, Sie wissen ja, dass das Grundstück der Stadt gehörte und wir auf ene Kooperation mit der Stadt angewiesen waren. Das Angebot war, die Stadt gibt uns das Grundstück und erhält im Gegenzug zwei Konzertsäle - in Teileigentum. Vergleichbar einem Wohneigentum in einem Mehrfamilienhaus" SPR 1: Das hat nicht geklappt, dafür ist das Projekt innerhalb von drei Monaten von 84.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche um 42 Prozent auf 120.000 Quadratmeter vergrößert worden. Und entsprechend komplexer und teurer.Trotzdem ist es gut ausgegangen. Auch für die Erfinder: Nach gut einem Jahrzehnt hängt nun im eröffneten Gebäude für alle Besucher gut sichtbar eine Plakette mit den Namen der Architekten und denen von Alexander Gerard und Jana Marko. Musik 26: Beethovens Freude (1:00) oder Musik 8: Brahms 2. Sinfonie... SPR 1: Nach jahrelanger Häme bei der Berichterstattung über die Elbphilharmonie überschlägt sich das deutschsprachige Feuilleton im November 2016: Gottfried Knapp bestand in der Süddeutschen darauf, dass "etwas Großes Wirklichkeit geworden ist." Hanno Rauterberg in der ZEIT ließ mit der Elbphilharmonie ein neues Zeitalter beginnen und sprach vom "Kristall, der als höchste Form des Lebens begriffen wurde, versteinert und doch auf geheimnisvolle Weise lebendig!" Dabei bleibt die Äußerung in der Welt mit dem Vergleich "Kathedrale der Klänge!" geradezu irdisch. Hanno Rauterberg hatte das Haus auf der Grenze zwischen Himmel und Erde verortet. Die FAZ fragte, ob es "genial oder Wahnsinn" ist. Die Elbphilharmonie ist ein Fall für alle möglichen Sinne, ein Wahrnehmungskonstrukt, das allerdings persönlich und individuell ist, wie all ihre jeweilig 2000 Zuschauer und Hörer es aufbringen können - in Abhängigkeit vom Dirigenten, dem Orchester, dem Sitzplatz, der verbliebenen Hörfähigkeit und Befindlichkeit des Besuchers. Und im Hamburger Architekturjahrbuch stand: "Sie allerdings hochzuschreiben zur Landmarke, zum Welterbe und zu was nicht allem - das ist unnötig, dafür werden die nächsten Jahrzehnte schon ganz allein sorgen." Das Parallelmodell Sydney Opera hat etwa fünfzig Jahre gebraucht, um zum Weltkulturerbe erklärt zu werden. Musik: Beethoven Freude... SPR 1: Aber 50 Jahren will Hamburg nicht warten: Zur Jahresfeier der Eröffnung der Elbphilharmonie-Plaza strotzen die Medien mit Superlativen ohne Ende, unter anderem mit der Angebermeldung: "Dreimal so viel Besucher wie Schloss Neuschwanstein!" Der Vergleich mit König Ludwigs global vermarkteter Kitschburg amüsiert. Aber er entlarvt auch, um was es eigentlich geht: nicht um den kulturellen, sondern um dem pekuniären Mehrwert. Das ist allerdings nicht im Sinne der Ideengeber: O-Ton 3_5 Gérard (0:10): "Wir hatten damals gesagt, wir würden gern einen Ort kreieren als das Potenzial in eine Art geistiger Hafenarbeiterkantine einfließen kann." SPR 1: Das offizielle Hamburg hat zwar darauf regiert und versucht, die Elbphilharmonie als Konzerthaus für alle zu vermarkten - mit akzeptablen Preisen. Günstige Plätze kosten nicht mehr, als eine Karte in einem gut ausgestatteten Kino. Allerdings hat die Medaille eine Kehrseite: Noch kommen die Karten nicht immer dort an, wie vorgesehen; also bei allen Hamburger Bürgern. Der internationale Tourismus hat Hamburg jetzt im Visier und so ist es einfacher, eine Karte in New York zu bekommen als in Hamburg. Da werden auch andere Preise bezahlt... Musik 28: Deichkind: Pump it up. Hamburg brennt... SPR 1: Hamburg steht in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts und die Stadtoberen sind in einer zwiespältigen Situation: einerseits können und müssen sie den neuen Hype der Metropole ausnutzen: Hamburg will ja nicht nur Tor zur Welt sein, sondern auch Ziel! Anderseits stellt sich die Frage: wie viele Bürger erreichen sie damit wirklich? Musik 28: Deichkind: Pump it up. Hamburg brennt... (1:00) 10. Stadt, Land, Frust SPR 1: Zur Mitte der 2010er Jahre kann man an einer Handvoll von Ereignissen ablesen, wie die beiden wichtigen Antriebskräfte hanseatischen Denkens beginnen, sich zu neutralisieren: einerseits der Wunsch, eine erfolgreiche Hafen- und Handelsstadt zu sein, die im globalen Maßstab agiert. Andererseits der Wunsch, in der Tradition einer protestantischen und sozialdemokratischen Bürgerstadt, möglichst alle Beteiligten davon profitieren zu lassen. Zu den Ereignissen gehören die Entwicklungsgeschichte der Elbphilharmonie, aber auch das 500. Jubiläum der Reformationsthesen von Wittenberg im Jahre 2017. Zweimal versucht die Hansestadt zudem, zum Austragungsort olympischer Sommerspiele zu werden. Beim zweiten Versuch von 2015 sagten schon die Bürger selbst NEIN zu Olympia. So wie sich die Bürger zuvor auch schon für den Rückkauf der Stromnetze ausgesprochen hatten, obwohl die politisch Verantwortlichen das nicht wollten. Eine neue Zeit beginnt - erst unmerklich, dann immer offensichtlicher. O- Ton 3_6 Twickel (1:16): "Es fällt mir schwer, eine konkrete Zukunft vorzustellen, da ich als die wesentliche Entwicklung im Moment beobachte, dass das was die Leute zahlen können und das was gebaut wird, extrem auseinander fällt. Die Stadt die gerade geplant wird, ist eine Stadt, die vielleicht ein Drittel der Leute sich leisten können. Bei einer der zahlreichen Diskussionen zur Stadtentwicklung stand ein älterer Architekt auf und sagte: Alles ganz schön mit der Forderung nach bezahlbaren Wohnraum, aber wenn man heute bauen würde, könnte man das nicht unter 11 Euro pro Quadratmeter können. Vielleicht hat der Mann sogar recht. Das ist natürlich ein wahnsinniges Problem, dass in einer Großstadt wie Hamburg die Politik quasi einen oberen Mittelstands-Bias anlegt, der zwei Drittel der Bevölkerung erst einmal außen vorlässt, weil sie sich das nicht leisten können. Und dann fragt man sich, wie geht man damit um? Sicherlich wird man in Zukunft reden über sozialen Wohnungsbau, sicherlich wird man weiter darüber rede,n über die Segregation der Stadt, die Aufteilung der Stadt in exklusive Wohlfühlzonen und abgehängte und etwas weiter draußen liegende Wohngebiete für die ärmeren Leute. Ich habe noch keine Vorstellung davon, wie eine klimafreundliche, autorarme oder sonst wie kreative Stadt aussehen könnte, die irgendwie die Gesamtbevölkerung einschließen könnte." Musik 29: Beginners - Ahnma feat. Gzuz & Gentleman ... (1:00} SPR 1: Christoph Twickel ist einer der jüngeren Stadtkritiker, die die urbane und kulturelle Entwicklung Hamburgs im Fokus haben. Er arbeitet für Spiegel-Online und die Hamburg-Ausgabe der ZEIT. Er hat die urbane Zukunftsbetrachtung GENTRIFIDINGSBUMS oder Eine Stadt für alle geschrieben. Der Superhype um die Metropolen und die Stadt hat sich umgekehrt. Der US-Ökonom Richard Florida schreibt es inzwischen auch über die New Urban Crisis, die genau das meint: Segregation und Gentrifizierung müssen in Zukunft überwunden werden, wenn es mit der Stadt gut weitergehen soll. O-Ton 3/7 Twickel (0:31) "Ich glaube, dass die Bewegungen, die um die Mietenfrage und Bodenfragen kreisen, immer wichtiger werden, weil die Stadt nicht mehr nur Ort ist, wo ich wohne und zur Arbeit fahre und, dass die Stadt das Netzwerk ist, die mir ermöglicht, das zu tun. Recht auf Stadt ist nicht nur das, was sich auf die Mietenfrage beschränkt, sondern das was auch die Zugänge in die Stadt schafft." SPR 1: Christoph Twickels Büro befindet sich im ehemaligen Schlachthof. Hier haben viele Kreative ein Büro gefunden. Die Konversionsfläche, wie Stadtplaner sagen, liegt an der Nahtstelle zwischen Schanzenviertel und Messegelände. Was Christoph Twickel bewegt, ist eine neue partizipative Stadtplanung, das sogenannte Bottum up - und das ist in Hamburg immer noch schwach ausgebildet. Die großen Stadtentwicklungsprojekte wie ‚Waterfront' in der Hafencity, die ‚Mitte Altonas' oder jetzt auch der ‚Billebogen' im Hamburger Osten werden immer noch top down arrangiert, also von der politischen und administrativen Ebene abwärts. In Wilhelmsburg aber, wo es 2013 eine Internationale Bauausstellung gab, kann man sehen, wie sich etwas ändern könnte: O-Ton 3_8 Twickel (1:16): "Was auffällt an Wilhelmsburg ist, dass sich die Paradigmen von Stadtentwicklungspolitik verändert haben, Stadtentwicklungspolitik bis in achtziger Jahre, da ging es um harte Standortfaktoren, gibt es eine U-Bahn und ordentliche Buslinien oder Straßenbahnen. Gibt es eine Autobahn, gibt es Wohnungen? Das musste alles gebaut werden. In den letzten 20 Jahren hat sich das alles in Richtung weiche Standortfaktoren verändert. Wir brauchen Künstler, Kreative, Studenten, Mittelschicht, die dem Stadtteil Leben einhauchen. Worüber redest du, wenn du heute über Stadtentwicklung redest? Da redest du ganz selten darüber, wir könnten ja mal was bauen, wie könnte das aussehen und wer könnte sich das leisten? Wir reden eher darüber, wie schaffen wir Bedingungen, damit sich das Immobilienkapital sich anfängt dafür zu interessieren. Wir leben eigentlich in einem optionalen Investionskapitalismus, du schaffst den Boden, wo die Leute dann Claims abstecken, die Sozialpolitik besteht bestenfalls darin, hier müsst ihr einige Sozialwohnungen bauen." Musik 30: Blumfeld: l'etat et moi... SPR 1: Auch in der alten Handelsstadt Hamburg geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf. Der Wohlstand müsste solidarisiert werden - aber wie? Im Augenblick tut die Stadtregierung das Gegenteil und forciert eine prozyklische Stadtentwicklung; der Wohnungsmarkt ist überhitzt, weil sich mindestens zwei Drittel neuer Bauprojekte verteuern und damit zu spekulativen Projekten werden. Leisten können sich die Preise nur die Wenigsten. O-Ton 3/9 (Twickel (0:26): "Du müsstest viel konsequenter antizyklischer agieren, die Stadt müsste mehr ihr Vorkaufsrecht ausnutzen, und sehr konsequent sozialen Wohnungsbau einrichten, wenn du der Gentrifizierung der Inneren Stadt etwas entgegen setzen willst. Tendenziell geht Hamburg eher in die Richtung London oder Paris oder New York." SPR 1: Das ist weder zufällig noch ungesteuert. Das Abschiedsbuch des früheren Oberbaudirektor Jörn Walter heißt ja schließlich: "Von der Großstadt zur Metropole". Deswegen Elbphilharmonie und Olympiabewerbung oder eben auch ein G 20 in Hamburg. Nach der Wende hatte Hamburg begriffen, als Berlin immer mehr in die Funktion der deutschen Hauptstadt übernahm, dass etwas zu tun sei: O-Ton 3_10 (Twickel (0:56): "Hamburg kommt gleich hinter Berlin, Hamburg war immer auch die Stadt, in der all das passierte was in Berlin nicht passierte. Hamburg ist als Musikstadt seit den Endsiebziger, Achtziger Jahren sehr wichtig, Das ist etwas, das bis Anfang der Nuller Jahre von der Stadtpolitik keiner auf dem Zettel hatte. Ich erinnere mich als 1997 das Heinz-Kramers abgerissen wurde, Epizentrum der Hamburger Schule, ganz wichtiger Laden, dem all das passierte, was heute dann Legende ist, in dem zum ersten Mal Tocotronic aufgetreten sind. Als das abgerissen wurde, da wusste man in der Baubehörde überhaupt nicht, dass es diesen Laden gibt. Geschweige denn, dass da irgend so etwas wie Musik stattfindet. Heutzutage würde so etwas Bestandschutz genießen, da es nicht mehr ist, steht es sehr stark in der Aufmerksamkeit der Politiker, weil man damit werben will - nach außen." SPR 1: Tocotronic ist eine deutsche Rockband aus Hamburg, die sich Mitte der 1990er Jahre gründete. Der Bandname ist abgeleitet von einer japanischen Spielkonsole namens Tricotronic, einem Vorgänger des Game Boys. In ihrer Ursprungsphase galt Tocotronic als zentraler Teil der Stilrichtung Hamburger Schule neben den Bands Blumfeld und Die Sterne. Textauszug: SPR 3: "Pure Vernunft darf niemals siegen Wir brauchen dringend neue Lügen Die uns durch's Universum leiten Und uns das Fest der Welt bereiten Die das Delirium erzwingen Und uns in schönsten Schlummer singen Die uns vor stumpfer Wahrheit warnen Und tiefer Qualen sich erbarmen Die uns in Bambuskörben wiegen Pure Vernunft darf niemals siegen" [überblenden:] Musik 31: Tocotronic: Pure Vernunft darf niemals siegen... SPR 1: Vor der Wende war Hamburg auf dem Sektor der U- und E-Musik Hauptstadt der alten Bundesrepublik. Hamburg wurde durch die Plattenfirma Polydor ein Hauptort der Schallplattenproduktion und schickte von hieraus den Unterhaltungsmusiker Bert Kämpfert in die weite Welt. Natürlich gab es auch viele Produktion der Deutschen Grammophon mit klassischer Musik. Als dann 2004 die Deutschlandzentrale des globalen Musikunternehmens Universal nach Berlin abwanderte und sogar Local Hero Udo Lindenberg sein Musical in Berlin uraufführte und nicht in Hamburg, spätestens dann wurde klar, dass die neue alte Hauptstadt einen unheimlichen Sog ausübt - auf die Kreativen und auf die Medienarbeitsplätze. Was die Kunst- Musik- und Alternativszene betraf, wollte man ein bisschen sein wie Berlin - wo damals Gentrifizierung und Betongold noch keine Rolle spielten. (Doch das offizielle Hamburg ging auch dabei seinen eigenen Weg - Bekämpfen durch Umarmung der Unruhestifter.) Musik 32: Udo Lindenberg; Reeperbahn 2011 feat. Jan Delay (1:00) SPR 1: Etwa 2011 wird in Hamburg das Wort von der Kreativindustrie erfunden. Die senatseigene Kreativ GmbH wird gegründet, sie soll alte Hallen im Oberhafen der Hafencity vermieten. Einer der ersten Mieter ist 2013 der Art Directors Club von Deutschland, ein Verbund von Werbeschaffenden, der gleich ganz frech die "Republik Neuland" im Oberhafen ausruft. "Wir küssen den Oberhafen wach" - so der Slogan der Werbemanager. Die Anrainer betrachteten das Ganze eher als eine Art unerlaubte Eroberung von außen, ja fast als Angriff. Inzwischen ist der Oberhafen, der in der Glitzer-Hafencity ein Antipode in Gestalt einer lokalen Künstler- und Kreativenkolonie werden sollte, auf gutem Wege, aber noch nicht angekommen. In Richtung Politik sagt Christoph Twickel zum jungen Hamburger Gewächs der selbstbestimmten Stadtentwicklung: O-Ton 3_11 Twickel (2:09): "Macht nicht kaputt, wovon Ihr keine Ahnung habt. Das ist etwas, was sich Politiker immer hinter die Ohren schreiben sollten. Speziell im Falle von St. Pauli. Ich bin 1988 nach St. Pauli gezogen. Ich bin ja kein Hamburger, ich komme aus Düsseldorf. Und als Düsseldorf dann richtig langweilig wurde, popkulturell bin ich nach Hamburg gezogen. Zufällig hatte ich auch gerade Abi gemacht. Da bin ich nach St. Pauli gezogen und hatte das Gefühl, dieser Stadtteil wird schwer gentrifizierbar sein. Weil er jedes Wochenende überrollt wird von 100.000 Touristen, die in die Ecke pinkeln und kotzen und laut sind. Und unter diesem Lernevent Tourismusstrom ist es möglich sich Nischen zu erobern, weil es ja kein gutbürgerlicher Stadtteil werden kann.. Wenn Politiker versuchen, Räume zu schaffen für Subkultur, wird es oft schwierig, weil mittlerweile in der Politik alles wirtschaftlich verortet werden muss, du musst quasi den Künstler, die Künstlerin, die Band oder das Lable muss du wirtschaftlich verargumentieren. Muss aus denen ein Start up - Unternehmen machen. Was es ganz häufig gar nicht ist. Wenn man sich anguckt, was der Cluster Kreativwirtschaft - Senatspapier in Hamburg - wie die über Künstler sprechen, hat man das Gefühl, es gibt nur Künstler, die auf dem Weg nach oben sind. Die Realität in der Stadt, dass es ganz viele Leute gibt, die sind zwar nicht auf dem Weg nach unten, aber die haben die gläserne Decke schon erreicht, die müssen halt gucken, dass sie von den paar Kröten, die sie mit ihrer Kunst vielleicht verdienen, plus den ganzen Jobs, die sie machen, ein Leben führen können in dieser Stadt. Man würde sich wünschen, dass man versteht, dass es neben anderen in dieser Stadt auch ein Prekariat gibt, das Dinge schafft wie Kunst oder Musik." Musik 33: Fettes Brot Bella B: Tanzverbot... (1:00) SPR1: Im Juli 2017 wurde der G 20-Gipfel in Hamburg zur politischen und kommunikativen Katastrophe. Der Gipfel war noch im Olympia-Hype und angesichts der Elbphilharmonie sozusagen Top down, von oben herab, an weiten Teilen der Hamburger Bevölkerung vorbeiverordnet worden. Schon bevor der Gipfel eskalierte, empfanden viele Hamburger ihn als unerhörte Einmischung in die Abläufe ihrer Stadt. Schließlich ist Hamburg nicht die Hauptstadt. O-Ton 3/12 Christopher: (2:00): "Wir saßen da am Schulterblatt, haben noch Döner gegessen, weil wir Hunger hatten. Dann ging es los. Dann liefen die an uns vorbei einmal die Vermummten, dann andererseits die ganzen Schaulustgen, die auch da waren. Auf einmal lief dann so ein Block an uns vorbei, mit Vermummten, Riesenbrecher, man erkennt die alle nicht, nur schwarze Klamotten, fünfzehn Männer und Frauen, ich sitze friedlich rum, gucke hoch, weglaufen? überlege eine Sekunde, zwei Sekunden, jau! Dann müssen wir auch gehen, weil die Polizei von der anderen Seite kam. Ich finde es spannend, wie er mit mir als Zivilisten, als Pressemenschen umgegangen ist, die ja in solchen Gruppen nicht sehr beliebt sind, dass er mir nach einer Sekunde rät, aufzustehen oder nicht. Das zweite Erlebnis hat auch am Schulterblatt stattgefunden und zwar war es in dem Moment, als das SEK angerückt ist, eigentlich nur noch Vermummte um uns herum waren, ich und meine Gruppe und Fotografen. Alle sind abgehauen und dann standen immer noch zwei Jungs rum, fünfzehn, sechzehn Jahre alt und haben immer noch Selfies gemacht von den Barrikaden. Und ich habe dann gesagt: guck dich mal um, irgendwie, hier sind nur noch Vermummte. Ja - was ist den los? Die Polizei twittert, dass alle Schaulustigen jetzt das Schulterblatt verlassen sollen. War ja möglich, war ja nicht gekesselt. Und die beiden Jungs machen noch ein Foto und auf einmal fliegt die erste Reizgasgranate. Das Gas habe ich auch noch in den Augen. Gucken mich an: Danke Alter und hauen dann ab... SPR 1: Christopher ist Hamburger, in der X.Generation. Aufgewachsen im Alstertal, auf ein Gymnasium gegangen, das auch schon ein Erster Bürgermeister von Hamburg besucht hat. Jura studiert in Leipzig und dann irgendwann aus Neugierde in der Hauptstadt gelandet, wo er heute Kulturjournalismus studiert. Die Zeitschrift der Freitag schickte ihn nach Hamburg, um über den G 20 Gipfel zu berichten. Für den Jungen aus dem Alstertal eine völlig neue Erfahrung. Als Zuschauer in seiner eigenen Stadt: O-Ton 3/13 Christopher (0:40) "Ich persönlich hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Ich war auf einem Adrenalinfilm. Du hast immer einen Blick über die Schulte, fragst, wo fliegt eine Flasche, wo ist die Polizei, wo verschwindest du? Ich war ja als Journalist da, ich hatte ja kein politisches Anliegen, hier geht was ab, hier passiert was, ich kann es selber gar nicht so einordnen. Im Nachhinein fragt man sich natürlich, was war da los? Wie schnell geht das, dass so eine Situation entsteht, war es nötig, die Twingos, Polos oder auch die Schanze zu zerstören?" SPR 1: Wie geht Hamburg mit Anarchie um? O-Ton 3/14 Christopher (0:03) "Es sind zwei Realitätenn, die unabhängig voneinander funktionieren!" SPR 1: Nach dem G 20 Gipfel tauchen erste Zweifel bei Senat, Bürgerschaft und dem Ersten Bürgermeister auf, ob es richtig ist, weitere Spaltungstendenzen und Prozesse der Segregation zu befördern. Die hedonistische Metropolenliebe steht in der Kritik. Die Politik realisiert, was in der Bevölkerung schon lange angekommen ist: vom Weltstadtflair haben nur Wenige wirklichen nutzen, er taugt Bühnenarrangement für die Besucher von Außen, aber bietet für den Großteil der Bevölkerung keine Lebensqualität. Musik 25: Palais Schaumburg: Wir bauen eine neue Stadt...(0:30) SPR 1: Inzwischen gibt es Ansätze. Pastor Frank Engelbrecht von der Altstadtgemeinde St. Katharinen forciert beispielsweise mit einer Gruppe von interessierten Bürgern die Aktion Altstadt entfesseln. Ein Thema: Wie kriegt man die Verbindung von der Stadt zum historischen Katharinen- Viertel über die fußgängerfeindliche Ost-Weststraße wieder hin. Die sechsspurige Stadtautobahn heißt inzwischen Willy Brandt Straße. Frank Engelbrecht: O-Ton 3_15 Engelbrecht (ca. 2:20): (Bitte markierte Passage nachträglich entfernen!) "Wir haben festgestellt, wenn man nach Hamburg geht, dann steht auf den Zinnen des Rathauses, nach Südosten weisend die Katharina, da haben wir dann erst einmal eine Linie gezogen, von dieser Katharina über die Ost-Weststraße. Eine Linie gezogen bis zur Katharinenkirche und dann noch weiter über die Hafencity bis zur Elbe und noch weiter bis nach Harburg und haben mit Fahrrädern und vielen Menschen, darunter auch Künstlern, diesen Weg bespielt und deutlich gemacht, wie dicht hier alles beineinander liegt. Die Wegstrecke gerade zwischen Rathaus und durch die Kleine Johannesstr. Über die Willy-Brandt-Str., der Grimm, diese wunderbare Straß nach Katharinen in die Hafencity - das ist der kürzeste und schönste und organischste barrierefreie Weg zwischen Rathaus und dem Elbufer. Wir wollen gerne, dass dieser Weg sich noch stärker einprägt in das Gedächtnis und Bewusstsein der Hamburger und Hamburgerinnen. Und das bedeutet, dass man verschiedenen Stellen hier auch den Stadtraum noch stärker aufwerten muss, Nicht im Sinne von mehr Geld, sondern im Sinne von mehr Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Die Flussläufe, hat der Architekt Christoph Kottmeier mal gesagt, müssen wir eigentlich aufwerten, die müssen eigentlich der Canale Grande Hamburgs werden, als Verbindung zwischen der Alster, dem Zollkanal und der Elbe, der auch bespielt wird. Atmo 1 Glockengeläut Katharinen... "Das andere ist die Willy Brandt-Straße. Wenn man Katharinen anschaut, ist diese Kirche für 23 Millionen Euro saniert worden, und ist ein wirkliches Juwel in dieser Stadt. Dass nördlich davon, nur ein paar Meter davon entfernt eine Bundestraße durch diese Stadt verläuft, ist nicht ein Kontrast, sondern ein krasser Widerspruch, ein derartiger Widerspruch, der nach Auflösung verlangt. Das kann man nicht auflösen. Entweder fällt irgendwann diese Kirche, oder es fällt diese Straße. Lassen Sie mich ein bisschen pathetisch sein, es ist wie die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland - das konnte ja keinen Bestand haben. Ich glaube daran, dass noch in meiner Lebenszeit, die Willy-Brandt-Straße fallen wird. Wie auch immer und dann wird man hinterher sagen, wie beim Mauerfall, warum nicht gleich? Musik 34: Marius Müller-Westernhagen: Freiheit... (1:00) Resümee: Wer sind wir und wenn ja wie viele? SPR 3: "Schwer ist es in Hamburg einen Hamburger zu ertappen. Auf eiliger, auf oberflächiger Suche trifft man nur Krebse, Pinneberger, Bergedorfer, man begegnet den genügsamen Bücklingen einer strebsamen Gesellschaft, Makrelen aus Stade, Ewerschollen aus Finkenwerder. Heringe aus Cuxhaven schwimmen in erwartungsvollen Schwärmen durch die Straßen meiner Stadt. Hummer bewachen mit geöffneten Scheren die Börse; Knurrhähne begeben sich zu einer Konferenz im Rathaus, man begegnet dem Seelachs und dem Dornhai und verfolgt volkreiche Wanderungen von Dorschen, die zum Hafen hinabziehen." SPR 1: schrieb Siegfried Lenz in einem kleinen Büchlein mit dem Titel Leute von Hamburg. Herausgeber Helmut Schmidt sinnierte im Prolog: SPR 3: "Es ist mir nicht ganz klar, wie weit ich der These meines Freundes Siegfried Lenz zustimmen kann, dass die Hamburger Leute sind, die sich selbst für Hamburger halten. Für mich zählen Geburt und Überzeugung nicht so viel wie die hamburgische Gesinnung der Menschen." SPR 1: Helmut Schmidt hat dafür einmal das Wort anständig mit scharfem S erfunden und sich selbst gemeint. Man muss auch Siegfried Lenz nicht ganz ernst nehmen, wenn er schreibt, dass SPR 3: "...alle Hamburgerinnen langbeinig sind und während der Überfahrt zwischen London und Hamburg geboren sind." SPR1: Und der typische Hamburger Hafenarbeiter... SPR3: "...hat seine Stummelpfeife auf dem Nachtisch liegen, er raucht vor dem Einschlafen und vor dem Aufstehen. Mit seiner Frau geht er nur einmal im Jahr aus: am vierundzwanzigsten Dezember zum Fischgeschäft, um dort den Karpfen für den Hafen abzuholen". SPR1: Inzwischen gibt es kaum noch Hafenarbeiter und nur wenige Fischgeschäft. Geblieben sind die Klischees über Hamburger Eigenarten, noch einmal Siegfried Lenz: SPR 3 "Ist das Hamburgische ein besonderer Schutzanstrich, der von keinem Regen abgewischt werden kann? Eine Lehrerin behauptete einmal gegenüber französischen Pädagogen, das Hamburgische sei die Kunst, die Welt am Lieferanten zu empfangen und ihr das Gefühl zu geben, dies sei die größte Auszeichnung, die man zu vergeben hat!" Musik 35 (1): La Paloma (ganz kurz)... SPR 1: Matthias Batz, der Theaterregisseur und Kenner der Speicherstadt arbeitet bei aller Kritik gerne in der Hansestadt: O-Ton 3/16 Batz (2:12): "Positiv an Hamburg ist, man kann hier arbeiten, man muss hier nicht zwanghaft irgendwelchen Gruppierungen angehören, vielleicht gilt das für bestimmte Gesellschaftskreise, da kann segeln oder reiten oder sonstwas; aber das muss man hier ja nicht. Man kann es lassen und ist deswegen trotzdem angesehen. Es gibt immer die Möglichkeit, am Wasser zu sein; es ist gewisser Pragmatismus vorhanden, eine gewisse Sachlichkeit, es ist eine Vielfalt hier anzutreffen, die es vielleicht in kleineren Städten nicht so geben kann. Bamberg und Lübeck sind einfach überschaubarer und haben vielleicht nicht diese große Vielfalt, die gibt es hier schon rein flächenmäßig, man kommt hier auch schnell ins Umland und findet sich da in anderen Welten wieder. Es ist eine gewisse Unaufgeregtheit vorhanden, die manchmal schon fast langweilig ist]. Es wird immer nur dasselbe skandaliert, es gibt eigentlich nichts Neues, was man skandalieren kann. da führt man sich bestätigt, wenn es andere auch so tun. Es ist dann wie ein ewiger Neujahresempfang. Es treffen sich immer wieder dieselben und überall und finden sich gegenseitig gut [...]. Das ist so ein Wanderzirkus auch, der so seine Gewöhnung hat und an die man sich auch gewöhnen kann, man kann sich selten schneller gewöhnen an Gewohnheiten als hier." ... Musik: La Paloma (ganz kurz)/ Atmo 3... ... Der alte Satz, man muss sieben Sack Salz gegessen haben, bevor man einheimisch ist, das gilt irgendwo auch hier, man glaubt aber auch, dass man es mit dem ersten Fischbrötchen schon geschafft hat, alle andere widersprechen nicht, denn alle andere wollen, dass du noch ein zweites und drittes Fischbrötchen ist und so gehst du ihnen dann auf den Leim." Musik 36: Heidi Kabel: In Hamburg sagt man Tschüss. SPR 1 Absage: Sie hörten: Zum Raum wird hier die Zeit. Eine Lange Nacht über Hamburg. Von Dirk Meyhöfer. Es sprachen Ton und Technik: Regie: Jan Tengeler Redaktion: Monika Künzel. Musik hoch Musikliste 1. Stunde Titel: Wie siehts aus in Hamburg Länge: 02:10 Interpret und Komponist: Tomte Label: Hotel Van Cleef Plattentitel: Hamburg Titel: Toccata und Fuge für Orgel d-Moll (dorisch), BWV 538 Länge: 01:55 Solist: Keith John (Orgel) Komponist: Johann Sebastian Bach Titel: aus: Wachet auf, ruft uns die Stimme. Kantate zum 27.Sonntag nach Trinitatis für Soli, gemischten Chor und Kammerorchester, BWV 140 (Dominica vicesima septima post Trinitatis) Länge: 01:50 Solisten: Letizia Scherrer (Sopran), Gerhild Romberger (Alt), Werner Güra (Tenor), Thomas E. Bauer (Bariton) Chor: RIAS Kammerchor Orchester: Akademie für Alte Musik Berlin Dirigent: Hans-Christoph Rademann Komponist: Johann Sebastian Bach Label: Eigenproduktion DLF Titel: Fantasie für Klavier G-Dur, Wq 117 Nr. 11 (H 223) Länge: 00:24 Solist: Ana-Marija Markovina (Klavier) Komponist: Carl Philipp Emanuel Bach Label: hänssler-classic/Laudate Best.-Nr: 98.003 Titel: Hamburg Länge: 02:28 Orchester: RIAS-Orchester Dirigent: Helmuth Brandenburg Komponist: Albert Gottlieb Methfessel Label: DeutschlandRadio Berlin Titel: Hamburger Veermaster Länge: 01:42 Interpret: Der Große Hamburger Seemannschor Komponist: Unbekannt Label: Heimatland Best.-Nr: 287.17.007 Plattentitel: Die schönsten Seemannslieder Titel: Canzon in C Länge: 02:30 Interpret: Konstantin Reymaier Komponist: Franz Tunder Label: PRIORY RECORDS Best.-Nr: oA Plattentitel: Great European Organs No 55 - St. Jacobi Titel: aus: Ouvertüre für 2 Blockflöten, 2 Traversflöten, Fagott, Streicher und Basso continuo C-Dur, TWV 55: C3. "Hamburger Ebb' und Flut" [Schweriner Handschrift]. Bearbeitung für Bläserquintett, 6. Satz: Harlequinade. Der schertzende Tritonus Länge: 01:04 Ensemble: Elbeblech Komponist: Georg Philipp Telemann Label: GENUIN Best.-Nr: GEN88114 Titel: Solfeggio für Klavier c-Moll, Wq 117 Nr. 2 (H 220) Länge: 00:55 Solist: Ana-Marija Markovina (Klavier) Komponist: Carl Philipp Emanuel Bach Label: hänssler-classic/Laudate Best.-Nr: 98.003 Titel: aus: Ouvertüre für 2 Blockflöten, 2 Traversflöten, Fagott, Streicher und Basso continuo C-Dur, TWV 55: C3. "Hamburger Ebb' und Flut" [Schweriner Handschrift]. Bearbeitung für Bläserquintett, 4. Satz: Loure. Der verliebte Neptunus Länge: 00:55 Ensemble: Elbeblech Komponist: Georg Philipp Telemann Label: GENUIN Best.-Nr: GEN88114 Titel: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90, 1. Satz: Allegro con brio 2. Satz: Andante 3. Satz: Poco Allegretto 4. Satz: Allegro Länge: 05:00 Orchester: Philharmonisches Orchester Vorpommern Dirigent: Per Borin Komponist: Johannes Brahms Label: DeutschlandRadio Berlin Titel: aus: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90 Länge: 03:00 Orchester: Philharmonisches Orchester Vorpommern Dirigent: Per Borin Komponist: Johannes Brahms Label: DeutschlandRadio Berlin Titel: Ein deutsches Requiem nach Worten der Heiligen Schrift für Soli, Chor und Orchester (Orgel ad lib.), op. 45, 1. Satz: Ziemlich langsam und mit Ausdruck (Chor) Länge: 02:20 Solisten: Sibylla Rubens (Sopran), Stephan Genz (Bariton), Chor: Collegium Vocale Gent Orchester: Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam Dirigent: Philippe Herreweghe Komponist: Johannes Brahms Label: EIGENPRODUKTION DLF Titel: Adagietto (4) Länge: 02:33 Interpret: The Royal Concertgebouw, Amsterdam Komponist: Gustav Mahler Label: MCA RECORDS Best.-Nr: MCD10782 Titel: Grace for all and a few Länge: 05:00 Interpret: Carsten Bohn's Bandstand Komponist: Bohn Label: Big Note Music Plattentitel: Brand New Oldies Vol. 3 2. Stunde Titel: Wie siehts aus in Hamburg Länge: 02:10 Interpret und Komponist: Tomte Label: Hotel Van Cleef Plattentitel: Hamburg Titel: Wachet auf, ruft uns die Stimme, BWV 645. Choralbearbeitung für Orgel Länge: 02:21 Solist: Siegfried Petri (1963-)(Orgel)(Orgel: Neubau durch Vleugels Orgelmanufactur im Stile von Aristide Cavaillé-Coll (2006-2011)) Komponist: Johann Sebastian Bach Label: Querstand Best.-Nr: VKJK1308 Titel: aus: Das Rheingold. Oper, WWW 86a Vorabend zu dem Bühnenfestspiel "Der Ring des Nibelungen". Länge: 05:00 Solisten: Karsten Mewes (Bariton)(Alberich), Agata Wilewska (Sopran)(Woglinde), Bettina Ranch (Alt)(Floßhilde), Isa Katharina Gericke (1973-)(Mezzosopran)(Wellgunde) Orchester: Bremer Philharmoniker Dirigent: Markus Poschner Komponist: Richard Wagner Titel: ÜbernoramllMensch Länge: 05:00 Interpret: Niels Frahm Komponist: Frahm Label und Best.-Nr: oA Plattentitel: ÜbernormallMensch Titel: klaun, klaun Länge: 02:20 Interpret: Jochen Wiegandt Komponist: wiegandt Label: DOCUMENTS Best.-Nr: 231727 Plattentitel: Waterkant und Tüdelband Titel: Reeperbahn Länge: 02:16 Interpret: Udo Lindenberg Komponist: John Lennon, Paul McCartney Label: W S M Best.-Nr: 4671027-2 Plattentitel: Kompletto - Alle Hits Titel: Auf der Reeperbahn nachts um halb eins Länge: 02:07 Interpret: Hans Albers Komponist: Ralph Arthur Roberts Label: MUSICTALES Best.-Nr: 2087061 Plattentitel: Die Schlager des Jahres 1936 Titel: HH 75 (Hamburg 75) Länge: 03:40 Interpret: Gottfried & Lonzo Komponist: Gottfried Böttger, Lorenz L. Westphal Label: Brunswick Best.-Nr: 583120-2 Plattentitel: Hamburger Szene 3. Stunde Titel: Wie siehts aus in Hamburg Länge: 01:30 Interpret und Komponist: Tomte Label: Hotel Van Cleef Plattentitel: Hamburg Titel: More than a feeling Länge: 02:05 Interpret: Boston Komponist: Tom Scholz Label: Epic Best.-Nr: 484333-2 Plattentitel: Greatest hits Titel: Wir bauen eine neue Stadt Länge: 01:27 Interpret: Palais Schaumburg Komponist: Holger Hiller, Thomas Fehlmann, Timo Blunck, Ralf Hertwig Label: POLYPHON Best.-Nr: 515469-2 Plattentitel: NDW - Die Vierte Titel: aus: Parsifal. Ein Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen, WWV 111, Vorspiel zum 1. Aufzug Länge: 03:20 Orchester: Elbphilharmonie NDR Dirigent: Thomas Hengelbrock Komponist: Richard Wagner Label: faszination musik Best.-Nr: SWR19036CD Titel: aus: Sinfonie No 2 Länge: 03:00 Orchester: Elbphilharmonie NDR Dirigent: Thomas Hengelbrock Komponist: Johannes Brahms Label und Best.-Nr: oA Titel: Pump it up Medley Länge: 02:00 Interpret: Jan Delay feat. Deichkind Komponist: Eißfeld Label: VERTIGO BERLIN Plattentitel: Hamburg brennt Titel: Ahnma Länge: 02:30 Interpret: Beginner Komponist: Eißfeld Label: VERTIGO BERLIN Plattentitel: Advanced Chemistry Titel: Pure Vernunft darf niemals siegen Länge: 02:20 Interpret: Tocotronic Komponist: Tocotronic Label: ROCK-O-TRONIC records Plattentitel: Pure Vernunft darf niemals siegen Titel: Reeperbahn Länge: 01:50 Interpret: Udo Lindenberg Komponist: Udo Lindenberg Label: STARWATCH music Best.-Nr: 505249879022 Plattentitel: MTV unplugged - Live aus dem Hotel Atlantic Titel: Hamburger Deern Länge: 02:40 Interpret: Senioren Band Komponist: Dominic Behan Label: Karussell Best.-Nr: 845024-2 Plattentitel: Schön ist der Norden - Wie das Land, so die Lieder Titel: In Hamburg sagt man Tschüß Länge: 02:39 Interpret: Heidi Kabel Komponist: Kurt Lindau Label: ELITE SPECIAL Best.-Nr: 77065 Plattentitel: Hamburg Titel: Wunderland bei Nacht Länge: 03:14 Interpret: Bert Kaempfert Komponist: Klaus Günter Neumann Label: Polydor Best.-Nr: 583784-2 Plattentitel: The Bert Kaempfert story - A musical biography Zum Raum wird hier die Zeit Eine Lange Nacht über Hamburg Seite 8