COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 29.Juli 2014, 19.30 Uhr Jobnomaden Zwischen Traumberuf und (Selbst-)Ausbeutung Von Brigitte Schulz Atmo: Flughafen 1.O-Ton: Stefan Jenzowsky Ich lebe ja in Berlin, aber die meisten Mitarbeiter und auch mein Chef befinden sich in Wien, so dass ich mit dem Flugzeug dann zur Arbeit fliege (...), diese Woche wird es sein, dass ich nach Los Angeles fliege, dann nach New York, dann nach Las Vegas und dann nach Berlin zurückkehre. Insofern ist es möglich, dass ich ähnlich viel fliege wie ein Flugbegleiter. Ich glaube, ich fliege so 300 000 Kilometer im Jahr. Atmo: Zug 2.O-Ton Martina Schrader-Kniffki Nach Germersheim, eine Fahrt wären so etwa 600 Kilometer, ich glaube, über das Jahr gerechnet sind das so 70 000 Kilometer. Wenn man die Auslandsreisen allerdings dazuzählt, dann kommt man auf 200 000 Kilometer im Jahr. Atmo Bahnhof: 3.O-Ton Vogl: Es ist so, dass Menschen zunehmend mehr und vor allem auch länger pendeln, es ist so, dass Beschäftigte zunehmend mehr Dienstreisen machen. Von daher kann man schon sagen, dass Mobilitätsanforderungen an Beschäftigte deutlich zugenommen haben. Sprecherin: Jeder fünfte Deutsche ist beruflich mobil, Tendenz steigend. Die Kilometer der Dienstreisen übertreffen bei Weitem die Strecken, die für Urlaub zurückgelegt werden. Hinzu kommt das Heer der Selbstständigen, die von Projekt zu Projekt arbeiten, die Wochenendpendler sowie die Fernpendler: Das sind die, die täglich mehr als eine Stunde zu ihrem Arbeitsplatz fahren. Allein nach Frankfurt am Main strömen täglich fast 350 000 Pendler - das sind zwei Drittel der in Frankfurt Beschäftigten. Beruflich mobil ist, wer mehr als 10 Stunden pro Woche außerhalb seines Wohnortes arbeitet - so lautet die Definition laut der sogenannten ECaTT-Norm, die sich auf die Ergebnisse eines EU- Forschungsprojektes stützt. Immer mehr Menschen sind häufiger und länger unterwegs. Trendforscher glauben, dass wir damit erst am Anfang einer Entwicklung stehen: Schon in zehn Jahren könnte sich die Zahl der Jobnomaden verdoppelt haben: 4. O-Ton: Janszky Auf jeden Fall werden wir mobiler sein im Jahr 2025, wobei man sagen muss, dass das natürlich nicht 100 Prozent für alle Menschen gilt, sondern für einen Prozentsatz von sagen wir 30 bis 40 Prozent und natürlich ein Flugmeilenkonto ansammeln werden, was mit heutigen vielleicht nicht zu vergleichen ist. Sprecherin: Trendforscher Sven Janszky, 41, hat ein Buch darüber geschrieben, wie wir in zehn Jahren arbeiten werden - die steigende Mobilität steht dabei an vorderster Stelle. Dabei dachte man noch vor wenigen Jahren, technische Errungenschaften und moderne Kommunikationsmittel würden die Berufsmobilität drastisch verringern - genau das Gegenteil ist der Fall. 5.O-Ton: Janszky Erstaunlicherweise nimmt ja beides zu, also sowohl die Nutzung moderner Technik und Videotelefonie und Konferenzen in 3-D-virtuellen Räumen, nimmt eben alles zu, aber es nimmt eben auch die Fliegerei zu und die Mobilität insgesamt. Sprecherin: Gründe für die steigende Mobilität gibt es viele: befristete Arbeitsverträge, fehlende Stellenangebote im ländlichen Raum, die Globalisierung der Märkte. Mobilitätsforscherin Gerlinde Vogl: 6.O-Ton: Vogl Das hängt einfach damit zusammen, dass mit dieser Internationalisierung es einfach auch notwendig geworden ist, dass Menschen zu den Märkten hinreisen oder Unternehmen Tochterfirmen gründen, dass outgesourct wird. Das alles führt dazu, dass mehr gereist wird und auch Beschäftigte reisen, die man früher im Büro vermutet hätte. Es kommt also zur Normalisierung der betrieblichen Mobilitätsanforderungen. Flughafenatmo 7.O-Ton: Jenzowsky Nun ist es so, dass Kunden und Partner einen oft sehen wollen, die wollen einem in die Augen gucken, die wollen einem die Hand schütteln. Das heißt, dass man vor Ort ist, dass man einen Kunden überzeugen kann, denn der hat ja Auswahl, der kann ja auch bei jemand anderem einkaufen, nicht nur bei uns. Insofern ist es extrem wichtig, dass man dort vor Ort und präsent ist, auch im wahrsten Sinne des Wortes. Sprecherin: Stefan Jenzowsky ist Manager bei einem international tätigen Großkonzern. Er hat ein Büro in Wien und eins in Berlin, an beiden Orten auch eine Wohnung, zwischen denen er hin- und herpendelt. Dazu kommen Reisen rund um die Welt: Nicht nur, um Kunden zu gewinnen, sondern auch, um sich auf internationalen Messen über Innovationen und Produkte der Konkurrenz auf dem Laufenden zu halten. Wer so viel unterwegs ist wie Stefan Jenzowsky, muss besondere Strategien entwickeln, um leistungsfähig und gesund zu bleiben 8. O-Ton: Jenszowsky Der ganze Trick am vielen Reisen und am vielen Zeitzonen-Überwinden liegt an der Menge an Schlaf, die Sie bekommen. Sie müssen dafür sorgen, dass sie so etwas wie eine Nacht erleben und darin schlafen, sonst sind sie am nächsten Tag nicht leistungsfähig. In der Tat habe ich nun das Glück, dass ich relativ gut einschlafen kann und dadurch auch meinem Körper recht gut sagen kann, wann er schlafen soll. Und eine Empfehlung: Ziehen sie sich nen Schlafanzug an, die wirklich Profireisenden tun das alle, die sehen halt auch nicht schick aus im Flugzeug, macht ja auch nicht so viel Sinn, gut auszusehen, wenn man eigentlich nur schlafen will. Sprecherin: Das mobile Leben will gelernt sein, das haben auch die Untersuchungen der Mobilitätsforscherin Gerlinde Vogl ergeben. 9.O-Ton: Vogl Dann gibt es natürlich Belastungen, die einhergehen mit dieser ständigen Erreichbarkeit, diese Entgrenzung, also wann ist Arbeitszeit, wann ist Freizeit, wann bin ich erreichbar wann bin ich nicht erreichbar, man wird sozusagen selber zum Kontrolleur seiner Leistungsverausgabung und das will auch erlernt sein. Man braucht natürlich starke Fähigkeiten im kommunikativen Bereich und im Bereich von Selbstorganisation. Sprecherin: Stefan Jenszowsky hat sich angewöhnt, das Smartphone nachts auszustellen, wenn er sich in anderen Zeitzonen befindet - dringende Fragen beantwortet er morgens per E-Mail. Und lange Nachtflüge nutzt er, um zu schlafen: Trotzdem ist Stress unvermeidbar, und meistens ist er mit der Reise selbst verbunden: 10. O-Ton: Jenzowaky: Stressig ist es immer dann, wenn die Dinge nicht so funktionieren, wie man sie ursprünglich geplant hat. Manchmal kommen die Koffer von mir dann an, wenn ich schon wieder abgereist bin. Sprecherin: Mobilitätsforscher sind sich einig: Ob berufliches Reisen als Belastung empfunden wird und wie es die seelische und körperliche Gesundheit beeinflusst, hängt stark davon ab, ob Mobilität als Zwang erlebt wird. Denn berufliches Unterwegssein bedeuten auch Freiheit, Autonomie und Weiterentwicklung: 11.O-Ton Janzowsky: In der Tat bin ich in der glücklichen Situation, auch mal eine Reise ablehnen zu können und einen Mitarbeiter fragen zu können, ob er das übernimmt. Insofern ist es für mich immer noch in einer gewissen Weise ein Genuss zu reisen, zu Kunden zu kommen, auf Messen zu kommen, zu sehen, welche anderen Innovationen da draußen passieren in anderen Ländern, das ist für mich immer noch ein Dürfen und kein Müssen, und von daher finde ich es eigentlich auch gut, sich einmal mit andern Kulturen auseinanderzusetzen und auch mal son bisschen anderes Erlebnis zu haben. Sprecherin: Um extreme Mobilität gut verkraften zu können, braucht man auch einen Ruhepol und Beständigkeit. Für Stefan Jenzowsky ist es die Wohnung in Berlin. Dort fühlt er sich zu Hause, auch weil sein 13-jähriger Sohn in Berlin lebt. Wann immer es möglich ist, verbringen die beiden Zeit miteinander. Und sie verreisen: Gerade waren sie zusammen in den USA, im Sommer gehen sie oft campen. Denn auch in seiner Freizeit ist Stefan Jenzowsky gern unterwegs. Musik Sprecherin: Die fortschreitende Globalisierung sowie die Tatsache, dass Deutschland zu den bedeutendsten Exportnationen gehört, führt dazu, dass auch mittelständische Unternehmen ihre Mitarbeiter viel öfter auf Dienstreisen schicken. Da dies hohe Kosten verursacht, versucht man zu sparen - der Druck auf die Mitarbeiter steigt: 12. O-Ton Vogl In dem Bereich wird sehr stark rationalisiert. Es wird versucht, möglichst viele Termine in möglichst kurzer Zeit zu absolvieren, dass Komfort-Klassen gestrichen werden, dass nicht mehr Business geflogen wird, sondern Economy, was natürlich auf Langstreckenflügen, wenn man hinterher gleich einen Termin bei einem Kunden hat, ne echte Belastung werden kann. Es wird in Hotelkategorien downgegradet, und es wird natürlich auch rationalisiert durch die Ausstattung mobiler Technologien, das während des Unterwegsseins dauerhaft gearbeitet wird, man muss sich nur Flughäfen und Züge anschauen, das sind ja alles mobile Büros heutzutage. Sprecherin: Gerlinde Vogl hat im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung die Auswirkungen von Dienstreisen erforscht und fand heraus, dass es vor allem für Frauen schwer ist, Familie und berufliches Unterwegssein zu vereinbaren: Nur 6 Prozent Frauen mit Kindern arbeiten beruflich mobil, bei den Männern dagegen sind es 26 Prozent: 13. O-Ton Vogl In unseren Forschungen haben wir festgestellt, dass hochmobile Männer häufig Frauen zu Hause haben, die eben diese immobile Rolle übernehmen und den Männern den Rücken freihalten und auch viele Sachen abfangen und organisieren, wohingegen hochmobile Frauen entweder alleinstehend sind oder ebenfalls mit mobilen Männern zusammen sind. Von daher kann man schon sagen, dass die Tendenz geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung hier durchaus der Fall ist. Atmo Bahnhof/ Zug Sprecherin: Sind beide Elternteile beruflich viel unterwegs, muss nicht nur das Reisen, sondern auch die Kinderbetreuung gut organisiert sein. Doch wenn dies gelingt und Eltern sich bewusst für berufliche Mobilität entscheiden, bringt ihnen diese Lebensform auch Vorteile: 14. O-Ton Oliver Reifenhäuser: Wir wissen, dass der andere auch gerne reist. Wir haben natürlich Familienleben mit den ganzen Verpflichtungen von Eltern, die ein sechsjähriges Kind haben und wir wissen, dass es auch schön ist, da wieder aussteigen zu können. D.h., wenn Carola unterwegs ist, dann genießt sie eben, nicht diese Familienpflichten zu haben und derjenige, der zu Hause ist, übernimmt dann eben die Elternrolle. Wir merken auch schon, wenn jemand von uns 3 Wochen am Stück zu Hause ist, dass der dann klagt und sagt, ich würde auch ganz gerne mal wieder wegfahren, O-Ton Carola Reifenhäuser Ich bin gerne unterwegs, also mir macht es mehr aus, wenn jeder Tag gleich abläuft, wenn der Arbeitsweg immer gleich ist, wenn ich immer an der gleichen Ampel stehen muss und immer den gleichen Parkplatz benutze und immer mein gleiches Büro, immer jeden Tag das Gleiche habe. Sprecherin: Carola und Oliver Reifenhäuser sind selbständige Berater im Freiwilligenmanagement: Sie beraten Vereine und Organisationen bei deren Arbeit mit freiwilligen Mitarbeitern. Etwa drei Tage die Woche leitet je einer von ihnen Seminare; dafür reisen sie durch die ganze Republik, manchmal auch nach Österreich und in die Schweiz: 15. O-Ton Oliver und Carola Reifenhäuser: Dieses sich immer wieder ganz schnell auf neue Situationen einstellen, das ist das, was man eigentlich lernt, wenn man so mobil ist. Das ist auf alle Fälle eine Kompetenz, dieses schnelle Orientieren und schnell umschalten, Pläne machen, aber auch wieder verlassen können, es ist auch son bisschen die Kompetenz, Unvorhergesehenes akzeptieren können. Sprecherin: "Mobilitätskompetenzen" nennen dies die Experten: Die Fähigkeit, souverän mit neuen und oft schwierigen Situationen umzugehen und Stress auszuhalten. Vor einigen Jahren haben die Diplompädagogin und der Ingenieur ihre festen Stellen gekündigt, um unabhängig zu sein - eine Entscheidung, die beide nicht bereuen. Trotzdem gibt es Situationen, die äußerst aufreibend sind: 16. O-Ton: Carola Reifenhäuser Das Zugfahren finde ich sehr belastend, also diese Verspätungen sind manchmal wirklich eine Katastrophe, weil es oft darum geht, ob ich mein Kind noch sehe oder nicht am Abend, oder dass der Babysitter noch da ist. Das ist dann richtig bedrohlich, so dass ich richtig stark gestresst bin, das finde ich fast am schlimmsten. Sprecherin: Denn nicht immer kann ein Elternteil in Berlin bei der sechsjährigen Tochter bleiben - dann springen Freunde oder die Großmutter ein. Musik Fast alle mobil Berufstätigen geben an, dass Unvorhergesehenes auf Reisen sie am stärksten belastet: Staus, Zugausfälle, Verspätungen - das sind unberechenbare Situationen, die sie als Kontrollverlust empfinden. Droht ein wichtiger Geschäftstermin dadurch zu platzen, steigt der Druck. Eine britische Studie bestätigt diesen Eindruck. 17. O-Ton Vogl: Da wurde Puls und Blut von Pendlern in Stresssituationen verglichen mit Kampfpiloten in Trainingseinsätzen, und was da rausgefunden wurde ist, dass unter bestimmten Bedingungen das Stresslevel von Pendlern höher ist wie bei diesen Piloten und zwar deshalb, von daher ist es gar nicht mehr so spektakulär, die Pendler den Stress als höher bewerten, weil sie ihre Situation nicht beeinflussen können und damit verbunden ist das Gefühl des Ausgeliefertseins, was total stressig wird. Sprecherin: Auch das Krankheitsrisiko steigt bei mobil Arbeitenden: Kopf- und Rückenschmerzen, Übergewicht, Infektionskrankheiten sowie chronische Erschöpfung zählen zu den häufigsten Symptomen: 18. O-Ton: Carola Reifenhäuser Ich bin häufiger krank als früher, gerade wenn ich viel reise und unterwegs bin, merke ich schon, dass ich anfälliger bin: Das hat sicher auch mit Ansteckungsgefahr zu tun, aber einfach auch mit Erschöpfung und so einer starken Belastung, dass ich dann schneller krank werde. Sprecherin: Früher haben Carola und Oliver Reifenhäuser regelmäßig Sport in einem Verein gemacht. Das fällt nun weg, da sie zu unregelmäßig arbeiten - ganz aufgegeben haben sie es allerdings nicht. Allein schon das Arbeits- und Familienleben unter einen Hut zu bekommen, ist eine Herausforderung: 19. O-Ton: Oliver Reifenhäuser Das ist natürlich belastend für die Beziehung, und wir haben auch erst im Laufe der letzten Jahre gelernt, ein bisschen entspannter zu planen und nicht die Wochen zuzubrettern mit Aufträgen. Wir versuchen uns wirklich jetzt Spielregeln, Planungsregeln auszudenken, wie wir zukünftig das besser hinkriegen, dass wir auch mehr Familienzeit und mehr Beziehungszeit haben. Sprecherin: Zweimal im Jahr nehmen sie sich einen Monat frei. In diesen Urlauben verreisen sie als Familie, oft in ferne Länder oder von Ort zu Ort mit dem Wohnwagen - auch in ihrer Freizeit sind sie gerne als Nomaden unterwegs. Carola Reifenhäuser allerdings überlegt, ob sie sich beruflich ein zweites Standbein aufbauen soll, um wieder mehr in Berlin zu sein - ihrer Gesundheit zuliebe und um mehr Zeit für die Tochter zu haben - zumindest vorübergehend. Musikzäsur Sprecherin: Wie Carola und Oliver Reifenhäuser werden künftig immer mehr Menschen leben: Phasen der Mobilität werden abwechseln mit Phasen der Sesshaftigkeit, bestätigt Trendforscher Sven Janszky: 20.O-Ton: Jansky Das ist ein Trugschluss, dass Menschen am Anfang eines Lebens mobil sein wollen und plötzlich irgendwie alles umkippt. Also diese, ich nenne das mal stabile Familienphase, die geht in unserem Leben auch wieder zu Ende und danach wollen Menschen wieder mobil sein und wollen auch wieder neue Herausforderungen in Angriff nehmen. Atmo Flugzeugstart 21. O-Ton: Martina Schrader Kniffki Das ist ein Beruf, der mich ausfüllt, ein Beruf, in dem ich ganz viel verwirklichen kann und ganz viel umsetzen kann und eigentlich große Freiheiten habe, Dinge zu tun. Sprecherin: Martina Schrader Kniffki ist Professorin an der Universität Mainz. Ihr Institut, der Fachbereich für Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft, befindet sich in Germersheim, 700 Kilometer entfernt von ihrem Hauptwohnsitz Berlin. Dort hat ihr Mann eine Professur - ein Umzug kommt schon deshalb nicht in Frage. Martina Schrader Kniffki ist eine typische Wochenendpendlerin, mindestens 1400 Kilometer legt sie wöchentlich zurück. Dazu kommen Tausende Flugmeilen für Forschungsreisen und Kongresse nach Übersee. Erst vor einem Jahr bekam die 54-Jährige ihren Traumjob, verbunden mit sozialer Sicherheit und einem angemessenen Gehalt - seitdem hat sie auch eine Zweitwohnung in Germersheim. Doch mit der Professur erhöhte sich auch der Druck: Bis zu 70 Stunden arbeitet sie wöchentlich, dazu kommen die 14 Stunden Zugfahrt. Die knappe Freizeit am Wochenende verbringt sie mit ihrem Mann, manchmal trifft sie ihren erwachsenen Sohn - für Freunde und Bekannte bleibt da kaum Zeit: 22. O-Ton: Martina: Schrader Kniffki Weil ich ja nicht sagen kann, jetzt bin ich in Berlin und hab jetzt hier frei, sondern nur den Schreibtisch verlege. Dass ich mir sehr gut überlegen muss, kann ich mich verabreden, bis hin: Kann ich telefonieren oder die 2 Stunden, die ich telefoniere, fehlen die mir am Ende, wird der Druck dann wieder noch größer. Vielleicht habe ich Glück, dass die sozialen Kontakte so geschaffen sind, dass da ein gewisses Verständnis da ist. Auf der anderen Seite merkt man natürlich, dass man auch son bisschen draußen ist, dass sich andere in der Zeit getroffen haben und man da nicht dabei war, und na ja, dann bekommt man auch hin und wieder son paar Spitzen: "Du bist ja nie da" , oder "Man kann dich ja nicht einladen, man weiß ja nicht, ob du da bist". Sprecherin: Martina Schrader Kniffki hat sich an das Nomadenleben gewöhnt: Bevor sie in Germersheim und Heidelberg arbeitete, fuhr sie wöchentlich von Berlin nach Bremen - dort hatte sie 9 Jahre lang eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Lehrveranstaltungen und Sprechstunden konnte sie auf zwei Tage pro Woche legen, geforscht und geschrieben hat sie zu Hause in Berlin - auch, um bei ihrem 12-jährigen Kind zu sein. Ihr Mann war zu der Zeit beruflich oft in Lateinamerika und dann für den Sohn nur telefonisch präsent: 23. O-Ton: Martina Schrader-K. Das war ganz am Anfang schwierig, wurde immer leichter, weil er natürlich jedes Jahr ein Jahr älter wurde und selbständiger. Das war so, dass er relativ früh mal alleine bleiben musste auch über Nacht, also dann durchaus auch bei einer Freundin geschlafen hat oder bei Freunden von ihm geschlafen hat, und das war durchaus schwierig mit 12. Also das war straff durchorganisiert, also sehr abgesprochen mit ihm; er hatte sehr früh ein Handy und wir waren über Handy in Kontakt, ich war informiert über alles, was er außerhalb der Schule tat. Also Hausaufgaben-Betreuung durchaus auch über das Handy hin und wieder. Sprecherin: Auch Martina Schrader-Kniffki kann sich schnell umstellen, ist gut organisiert und nutzt die Zeit im Zug, um zu arbeiten. Nach Langstreckenflügen leidet sie kaum noch unter Jetlegs - Mobilitätskompetenzen, die sie über all die Jahre erworben hat. Doch auch sie weiß, dass dieses Leben seinen Preis hat: 24. O-Ton: Martina Schrader-Kniffki Ich würde schon sagen, dass man Stresssymptome hat, allein schon durch diesen Zeitdruck: Dann isst man zu schnell und hat hinterher Magenschmerzen und hin und wieder schlägt das auch auf die Stimmung, das ist jetzt nicht unbedingt gesundheitlich, aber man ist son bisschen unfreundlich vielleicht zu anderen, was man sonst nicht wäre, weil man so gereizt ist durch den Druck und gut, man kann sich dann überlegen, ob das auf die Gesundheit sich auswirkt. Ich glaube, dass ich Glück habe, dass ich da nicht so besonders empfindlich bin, ob das langfristig irgendwie gesundheitlich sich niederschlägt, das hoffe ich nicht. Sprecherin: Trotz allem ist es für Martina Schrader-Kniffki ein Glücksfall, diese Professur bekommen zu haben - als Wissenschaftlerin für spanische und portugiesische Sprachwissenschaft gibt es kaum freie Stellen. Nur manchmal träumt sie davon, am Montagmorgen nicht wieder durch die ganze Republik reisen zu müssen: 25. O-Ton: Martina Schrader K. Fände ich sehr schön, also dieses Gefühl, ich könnte mit dem Fahrrad ins Büro fahren, ich müsste keinen Koffer packen, ich müsste da nicht diese Stunden im Zug verbringen, der Gedanke ist schon, dass das entspannender wäre, dass ich mehr Zeit hätte, nicht gereizt, nicht unter Druck wäre, das könnte ich mir schon gut vorstellen. Straßenverkehr, Klingeln Sprecherin: Sarah Hoffmann hat sich diesen Traum erfüllt: Nachdem sie jahrelang zwischen Berlin und Braunschweig pendelte, hat sie nun eine Stelle an der Freien Universität in ihrem Wohnort Berlin. Hinter sich ließ sie eine Arbeit, die ihr Spaß machte und die sie herausforderte, ein gutes Team - und 1500 Kilometer Bahnfahrt pro Woche. Bereut hat sie diesen Schritt nicht: 26. O-Ton: Sarah Hoffmann: Dass man sich abends auch mal während der Woche verabreden könnte, das war ausgeschlossen während er Braunschweiger Zeit. Ich kann jetzt mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, da ich habe meine Bewegung schon mal gleich, und als ich in Braunschweig gearbeitet habe, da habe ich mich einfach auch nicht genug bewegt. Schon alleine das Gefühl zu haben, nicht sich ständig aufzusplittern, das ist einfach großartig. Sprecherin: Bis zu vier Stunden täglich war sie unterwegs, voriges Jahr waren es sogar fünf, da der Zug aufgrund einer gesperrten Eisenbahnbrücke umgeleitet wurde. Dazu kamen noch etliche Kilometer im Jahr als freiberufliche Beraterin. Die Hinfahrt nutzte sie, um zu arbeiten, aber auf der Rückfahrt war sie dafür meistens zu erschöpft - wie die meisten Pendler. Abends hätte sie gerne Universitätsveranstaltungen besucht, die für sie beruflich interessant waren - doch dann wäre sie noch später zu Hause gewesen: 27. O-Ton: Hoffmann Im Nachhinein gesehen habe ich auch nicht mehr richtig in Berlin gelebt, ich war weder in Braunschweig noch in Berlin. Eigentlich nicht wirklich zu Haus zu sein, sich nicht wirklich nicht mit etwas verbinden zu können. Wenn man freiberuflich arbeitet, dann ist das ja sowieso so, dann hat man hier einen Einsatz, da einen Einsatz, macht den dann gut, aber dann ist man eben immer wieder weg. Aber wenn man eine Anstellung hat, dann will man sich auch drauf einlassen, und will was gestalten und das finde ich jetzt im Nachhinein gesehen das Schwierigste an der ganzen Geschichte, dass ich mich nicht wirklich darauf einlassen konnte. Sprecherin: Sarah Hoffmann bewarb sich auf eine Stelle in Berlin und wurde genommen. Der Wechsel hat sich gelohnt, denn nun ist sie abends zwei Stunden früher zu Hause und längst nicht so erschöpft, um auch in der Woche etwas zu unternehmen. Flugzeug, Zug, Idylle: Mischen Sprecherin: Freiberufler können bei Überlastung weniger Aufträge annehmen - zumindest theoretisch. Für Festangestellte allerdings muss es mehr Lösungen geben als die Kündigung, wenn sie nicht mehr ständig unterwegs sein wollen oder können. Daran müssten auch die Unternehmen interessiert sein, denn schon jetzt herrscht Fachkräftemangel und perspektivisch wird es bald keine Arbeitslosigkeit von gut Qualifizierten mehr geben. Die sind dann in einer viel stärkeren Position als heute und können Forderungen stellen, so Mobilitätsforscherin Gerlinde Vogl: 28. O-Ton Vogl Dass die Flexibilität und Mobilität, die Unternehmen fordern, dass die Beschäftigten die auch von ihren Unternehmen einfordern sollten, nämlich mobil und flexibel auf wechselnde Situationen der Beschäftigten zu reagieren: Wenn sich Lebenssituationen ändern, dass Unternehmen in der Lage sind, darauf zu reagieren. Also Stichwort einfordern einer lebensphasenorientierten Personalpolitik, die drauf abstellt, dass Phasen von hoher Mobilität und von geringer Mobilität, dass sich das irgendwie abwechseln kann und dass es nicht so voraussetzungslos eingefordert wird. Sprecherin: Dass viele Unternehmen das noch nicht genug berücksichtigen, bestätigt auch Trendforscher Sven Jansky. Einmal im Jahr trifft er sich als Leiter der Denkfabrik 2b AHEAD mit über 200 Vertretern großer Unternehmen, um Arbeitsszenarien der Zukunft zu entwerfen. Die Mobilität von Mitarbeitern spielte bislang dabei keine große Rolle: 29. O-Ton: Jansky Genau an dieser Stelle sind wir an einem, wir Trendforscher sagen dazu: einem Tipping-Point, also einem Punkt, an dem Strategien der Unternehmen umbrechen notgedrungen, zwangsläufig umbrechen müssen. Die Vision ist ganz einfach, die wollen alle eine Situation vermeiden, in der bislang sehr mobile Mitarbeiter plötzlich durch seine familiäre oder seine Lebensentwicklung nicht mehr so mobil sein möchte und sozusagen das Unternehmen verlassen würde, weil er um sich herum viele neue Angebote bekommt. Sprecherin: Einige Unternehmen bemühen sich schon jetzt, ihren mobilen Mitarbeitern das Leben zu erleichtern: So hat VW in Wolfsburg einen Shuttleservice eingerichtet, eine Autobahnzufahrt und 2000 neue Parkplätze gebaut. Und BMW in München ermöglicht immerhin der Hälfte seiner Mitarbeiter, die Arbeitszeit flexibel zu gestalten und sich Homeoffice-Tage zu nehmen - natürlich nur den Angestellten, die nicht in den Fabriken mit der Autoproduktion beschäftigt sind. Bemerkenswert ist, dass zumindest die gut Ausgebildeten die Mobilität an sich kaum in Frage stellen: Entweder, weil sie sich als Freiberufler selbst für diese Lebensform entschieden haben oder weil die Vorteile überwiegen. Dienstreisende, das belegt die Forschung von Arbeitssoziologin Gerlinde Vogl, sind meist von der Notwenigkeit ihrer Mission überzeugt und sie erleben vor allem Auslandreisen immer noch als Privileg. Deshalb machen sie sich kaum dafür stark, dass Arbeits- Reise- und Freizeit vertraglich klar geregelt sind, denn das würde das beschneiden, was sie am Unterwegssein genießen: Autonomie und Unabhängigkeit, ein großer Spielraum, Entscheidungen selbst zu treffen, außerdem unterliegen sie keiner direkten. Kontrolle. Diese Vorzüge genießt auch Manager Stefan Jenzowsky - bei 300 000 Kilometern Dienstreisen im Jahr unerlässlich: 30. O-Ton: Stefan Janzowsky Natürlich kann man von keinem Mitarbeiter so etwas wie Stempelkarten oder dass erwartet wird, dass er sagt, wann er anwesend ist oder wann er nicht anwesend ist, weil er immer unterwegs ist, und was jetzt Heimattage sind oder Ruhetage, das müssen die Mitarbeiter selbst bestimmen. Die müssen wissen, ich brauche jetzt einmal einen Tag, wo ich Homeoffice mache und die können das auch bestimmen, ohne das anzumelden bitte. Und dann passen natürlich die Arbeitszeitgesetze nicht mehr wirklich zu diesen immer mehr verwischenden Arbeitszeiten, auch unsere gesamte sehr durch Gewerkschaften und Arbeitgeber reglementierte Welt scheint mir ein wenig gestrig in diesem Zusammenhang, weil sie die Realität von Arbeit heute nicht mehr abbildet. Sprecherin: Doch nicht nur Unternehmen, die ganze Gesellschaft müsste auf den wachsenden Mobilitätstrend reagieren, wünschen sich die Betroffenen. Hochmobile Paare mit Kindern wie Oliver und Carola Reifenhäuser haben da ganz konkrete Vorstellungen: 31. O-Ton Carola Reifenhäuser Ich glaube, dass es zunimmt, dass beide auch mobil sein müssen und das hat dann auch Auswirkungen auf die Frage von Betreuung, da stecken wir noch alle in den Kinderschuhen: Dass man vielleicht auch mal Betreuungsmöglichkeiten schafft, die auch über Nacht stattfinden, ohne dass es gleich ne Katastrophe ist oder schwer zu organisieren. Also Elternabende, könnte man sich ja auch anders überlegen, dass da auch jemand, der mobil ist, teilhaben kann. Oliver: über Videokonferenzen. Carola: Also im Moment ist es noch so, dass alles noch sehr stark auf Leute ausgerichtet ist, die immobil sind oder zumindest einer, aber ich glaube, dass sich das verändern wird. Sprecherin: Fragt man Hochmobile, was ihnen das Leben erleichtern würde, so äußern sie meist relativ einfache Wünsche: Aufwärmmöglichkeiten auf Bahnsteigen, bessere Informationen, Abteile speziell für Pendler, wo diese ungestört arbeiten oder schlafen können. Vor allem jedoch müsste die Umwelt mehr Verständnis für ihre Situation zeigen, so die Universitätsprofessorin Martina Schrader Kniffki: 32. O-Ton: Martina Schrader-Kniffki Obwohl viele Leute sehr mobil sind, fehlt so ne bestimmte Art der Akzeptanz, dass man da immer wieder darauf hingewiesen wird, dass man eigentlich an dem Ort leben sollte, an dem man arbeitet. Das ist so ein kleines fast moralisches Ding, was an der Uni läuft, auch wenn man sehr präsent ist, dass man da gar nicht auf die Idee kommt, dass man da irgendwelche Forderungen stellen würde oder sagen würde, das müsste eigentlich anders laufen. Sprecherin: Das könnte sich mit dem wachsenden Fachkräftemangel ändern - und zwar nicht nur für heute schon gut bezahlte Akademiker, sondern auch für die unzähligen Monteure, Bau- und Facharbeiter, die als Wochenendpendler unterwegs sind. Denn ihre Situation ist ungleich schwieriger: Bis heute haben sie wenig Einfluss auf ihre Arbeitszeiten und ihr Lohn reicht meistens nicht einmal aus, um sich ein Einzelzimmer zu leisten. Jobnomaden Zwischen Traumberuf und (Selbst-)Ausbeutung Ein Feature von Brigitte Schulz Es sprach: Nadja Schulz-Berlinghoff Ton: Inge Görgner Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Martin Hartwig 1