DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Tel. (0221) 345 1503 Feature Jules Verne von der Heilanstalt Aus dem Leben eines verrückten Erfinders Von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz Redaktion: Ulrike Bajohr Regie: Wolfgang Rindfleisch Sprecher Janke: Hermann Beyer Sprecherin Ärztin: Astrid Meyerfeld Sprecherin: Nadja Schulz-Berlinghoff Sprecher: Ulrich Lipka Produktion: 14., 15., 18. April, Studio K11, DLR Berlin URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Sendung: 25. April 2008 Sprecherin Ärztin Gestern wollten sie Ihre Wäsche nicht wechseln. Als man sie dazu zwingen musste, haben sie um Hilfe geschrien und uns vorgeworfen, wir wollten sie ermorden. Sprecher Janke Entschuldigen sie, Fräulein Doktor, ich habe doch gedacht, in absehbarer Zeit hier rauszukommen. Und nicht, dass man diese Hilfe wider Willen so lange ausdehnt. Wenn ich die Wäsche abgebe, habe ich sozusagen alles abgegeben. Dann könnte doch der Fall eintreten, dass ich womöglich länger hier verweilen wollte. Sprecherin Ärztin So wenig geben sie auf ihr Äußeres? Sprecher Janke Die Polizei hat angedeutet, dass ich hierher gebracht wurde wegen Verwahrlosung. Das ist ein Wort, das unerhört ist eigentlich. Verwahrlost sind wir, unter uns gesagt, alle durch diese Zeit. Sprecher: Jules Verne von der Heilanstalt Aus dem Leben eines verrückten Erfinders Ein Feature von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz Sprecherin: An einem Tag im April 1949 klopfen Polizisten an eine Tür im sächsischen Großenhain. Der 40-jährige Umsiedler Karl Hans Janke betreibt hier eine kleine Werkstatt. Er tüftelt, zeichnet, baut technische Apparate - sein Geld verdient er mit dem Flicken von Töpfen und der Herstellung von einfachem Kinderspielzeug. Gekommen sind die Polizisten wegen eines Zettels, der draußen in seinem Schaukasten hängt: Sprecher Janke: Mit dem heutigen Tage dürfen keine Spielsachen für die Kinder mehr angefertigt werden, da wir das "Material" für Kanonen brauchen. A. Hitler Drei Dinge sollen sie haben: 1.) eine große Schnauze zum tüchtigen Angeben. 2.) einen Fußball zum Austoben 3.) ein Gewehr zum Kriegführen Musik hoch und weg Sprecherin: Die Befragung von Karl Hans Janke ist schwierig. Er redet von einem besonderen Baustoff, den er erfunden habe, von neuartigen Autos und Bahnen, von Kontakten zu höchsten Stellen. Mit dem Zettel habe er nur auf seine bedeutenden Erfindungen aufmerksam machen wollen. Die Polizisten wissen nicht, was sie von den wirren Erzählungen halten und schon gar nicht, was sie nun mit dem Mann machen sollen. Wenige Tage nach seiner Verhaftung wird er vom zuständigen Amtsarzt untersucht. Sprecher: Auf Antrag des Sozialamtes wurde um 10.00 Uhr der Häftling Hans Janke, geb. 21.8.1909vorgestellt. Er macht einen ziemlich verwahrlosten Eindruck. Seine Kleidung ist hochgradig defekt und besteht im Wesentlichen aus Lumpen. Die Untersuchung ergibt einen mäßig reduzierten Ernährungszustand ... Der psychische Eindruck ist der eines hochgradigen Neurasthenikers mit schizoiden Wesenszügen. Aufgrund dieser Tatsache wird er im öffentlichen Leben immer wieder Anstoß erregen, sich zu Handlungen hinreißen lassen, die mit der öffentlichen Meinung nicht in Einklang zu bringen sind. Um die Möglichkeit zu erwägen, in einer Pflegeanstalt seinen Zustand zu kontrollieren und zu bessern, müsste zumindest vorübergehend die Unterbringung in einer solchen versucht werden. Kreisgesundheitsamt Großenhain, 27.4.1949, Amtsarzt Sprecherin: Damit ist das Urteil über Karl Hans Janke gefällt. Sieben Wochen sitzt er in einer Zelle der Haftanstalt Großenhain, dann findet sich ein Platz in der Nervenklinik Arnsdorf. Am 4. Juni 1949 wird er von einem Polizisten dorthin gebracht. Es ist die Endstation vieler vom Krieg Entwurzelter, Verzweifelter, Kranker. Sprecher Janke: Durch den Krieg wurde ich in eine große Notlage gebracht. Ich stamme aus Kolberg/Pommern ... Meine Eltern besaßen dort ein größeres Eckhaus; später verkaufte mein Vater dieses und kaufte sich eine Landwirtschaft. Ich besuchte in Kolberg das Dom- und Realgymnasium. Als meine Eltern aus Kolberg fortzogen, übersiedelte ich nach Berlin-Lichterfelde (Hindenburg-Oberrealschule), wo eine Tante wohnt. Dort baute ich mein Abitur und ging dann nach Greifswald/Vorpommern. Auf die Universität. Als der Krieg kam, zog man mich zum Militär. Nachdem ich dreieinhalb Jahre lang Soldat war und eine linksseitige Beschädigung durch Sturz von einem Militärwagen erlitten hatte, verlor ich meine Heimat Kolberg. Als Flüchtling (nicht als Umsiedler!) wurde ich mit meiner 79-jährigen Mutter nach Großenhain/Sachsen gebracht. Ich verdiente uns dort das Brot durch Anfertigung kleiner Spielzeuge, um der Stadtfürsorge nicht zur Last zu fallen. Sprecherin: Für Karl Hans Janke wird ein ärztlicher Beobachtungsbogen angelegt. Hinter Familienstand notiert der Schreiber: ledig. Als Beruf wird Konstrukteur angegeben. Kinder hat Janke keine. Als Diagnose steht auf der ersten Seite: Schizophrenie. Gespräche mit dem Patienten werden sorgfältig dokumentiert und füllen viele Seiten. Atmo Sprecherin Ärztin: Das Kreisgesundheitsamt Großenhain gibt an, dass Sie einen ziemlich verwahrlosten Eindruck machten? Sprecher Janke: Meine Mutter ist am 6. August vorigen Jahres verstorben. Und seitdem stehe ich allein da und habe bloß ein Zimmer, das ist Werkstatt und Wohnraum zugleich. Da ich niemanden habe und ich muss doch arbeiten, um zu verdienen und arbeite jetzt dreimal so viel wie früher, damit ich die Mittel zusammen bekomme. Dadurch bin ich eben etwas in Verfall geraten mit meinem eigenen Ich. Sprecherin Ärztin: Wie alt sind Sie? Sprecher Janke: Ich werde 40. Sprecherin Ärztin: Sie haben es bisher doch zu nichts gebracht? Sprecher Janke: Das ist zuviel gesagt. Ich habe 10 000 Mark in meine Versuche gesteckt. Ich hatte ein Laboratorium bei Kolberg. Meine Eltern haben mich unterhalten. Sie hatten dort ein kleines Gut von 528 Morgen. Wir hatten 52 000 Mark zu verzinsen. Sprecherin Ärztin: Ihre Eltern haben nie darauf bestanden, dass Sie eine richtige Tätigkeit ausübten? Sprecher Janke: Meine Mutter wollte gern, dass ich Arzt werde, mein Vater wollte, dass ich Landwirt werden sollte. Sprecherin: Bereitwillig gibt Karl Hans Janke Auskunft, vor allem, wenn er nach seinen Erfindungen gefragt wird. Er verhält sich ruhig, ist freundlich und unterhält sich mit seinen Mitpatienten. Er bittet um 500 Bogen Papier, um seine Ideen aufzuschreiben und zu zeichnen. Nach einigen Wochen verzeichnet die Akte eine Veränderung seines Verhaltens. Sprecher: (auf Hall) Aus der Krankenakte: 15.8.1949: Patient wird zunehmend abweisender. Er habe mit keinem Menschen mehr etwas zu sprechen, seine Arbeiten seien bereits alle zu Protokoll genommen worden. Er verlangt sofortige Klärung seines Falles und droht wiederholt, dass er alles zerschlagen würde, wenn er nicht entlassen wird. 27. 9. Beginn der Elektroschockbehandlung, komplikationsloser Krampfanfall. 10.10. Ist bislang dreimal geschockt worden. Daraufhin am Tage der Behandlung etwas gelockert. An den folgenden Tagen gegenüber 20. 9. kaum geändert. 3.2.1950 Hat sich bei der Chefarztvisite wieder maßlos erregt. Beschuldigt seine Umgebung des getarnten Mordes, er werde zu Unrecht hier ruiniert. Verschwindet im Allgemeinen während der Visiten, ist immer gereizt und negativistisch, wenn er vom Personal angesprochen wird. ... Hat seine Konstruktionsarbeiten eingestellt. Atmo/Musik Sprecherin: Die Landesanstalt Hubertusburg gehört zu den ältesten psychiatrischen Kliniken in Deutschland. Ihr gewaltiges Haupthaus, das Schloss, ist schon vom weitem sichtbar. Wer sich ihm nähert, ist fasziniert von seiner barocken Schönheit, die die gesamte Anlage noch immer ausstrahlt. Wer aber die Türen öffnet, tritt ein in eine bedrückende Welt. - Hierher wird der schwierige Patient Karl Hans Janke an einem grauen Novembertag 1950 verlegt. 02 O-Ton /Dr. W. Winkler: Es gab ja neben der Psychiatrie, Neurologie, es gab eine Innere Abteilung, eine chirurgische Abteilung, eine gynäkologisch-geburtshilfliche, eine orthopädische Abteilung, Infektionsabteilung. So dass das ein sehr großer Krankenhausbetrieb gewesen ist. Wo doch alle wichtigen Fächer auch vertreten waren. Die Psychiatrie hatte damals 922 Betten. 03/Dr. P. Grampp: An der Wand kann man so bisschen den Eindruck gewinnen, wie es damals in der Psychiatrie aussah. Das sind so Bilder wie so die damalige Versorgung war. Mit Sanitäreinrichtungen, die dann letztendlich serienmäßig liefen, das heißt Waschräume bis zu 15, 20 Patienten, die dann sich parallel waschen konnten. Die Badewannen im Waschraum drin. Toiletten - drei Toiletten auf 40 Patienten. Und dann auch die großen Aufenthaltsräume - so zehn mal zehn Meter. Dazu muss man wissen, dass die Deckenhöhe im Schnitt um die sieben, acht Meter war. Das kann man vor allem auch daran sehen, dass diese ganzen Ofenbeheizungen die Wände zum Teil bis zur Decke hoch geschwärzt haben. 04 O-Ton/Dr. W. Winkler: Die Patienten hatten ihr Bett. Wenn `s hoch kam einen Nachtschrank, nicht unbedingt alle Patienten. Schränke zur Verwahrung der Kleidung gab es damals noch nicht. Die persönlichen Bekleidungsgegenstände der Patienten wurden in sogenannten Kleiderkammern verwahrt, und von den Schwestern und Pflegern ausgegeben. Das ist aber gängige Praxis in den Psychiatrien gewesen damals. Sprecher: Aus der Krankenakte 12.12.1950 Erklärt, dass er 593 Erfindungen gemacht habe, die nach gewissenhafter Schätzung zirka 20 Millionen Menschen eine neue Lebensgrundlage geben könnten. So habe er unter anderem ein neuartiges Verkehrsmittel entwickelt, welches der Wirtschaft und der ganzen Welt einen neuen Aufstieg geben wird. In der Landwirtschaft der ganzen Welt sei dadurch eine 30prozentige Ertragssteigerung ohne Mehrleistung der daran Tätigen möglich. Diese Sache und auch die übrigen, die er ohne Prahlerei zu den größten Erfindungen zählen könne, müssen zur Prüfung gebracht werden. Der Fall sei sehr dringend. 2.9.1952 Schreibt an das Präfektorat der Technischen Hochschule Dresden, wobei er seine Pläne entwickelt bzw. seine Erfindungen anpreist. So behauptet er, Fahrzeuge neuartiger Konstruktion für den Luftverkehr erfunden zu haben, ähnlich den von früher her bekannten Zeppelinen, unter Verwendung einer den Auftrieb bewirkenden ebenfalls neuartigen Einrichtung. Sprecherin: Als die junge Assistenzärztin Waltraud Winkler 1963 auf die Hubertusburg kommt, ist Karl Hans Janke bereits 13 Jahre hier. Die über 900 psychiatrischen Patienten werden zu dieser Zeit von drei Fachärzten betreut. 07 O-Ton/ Dr. W. Winkler: Es gab ausreichend Schwestern und Pfleger, auch da hat es personelle Engpässe gegeben, die aber bei weitem nicht so gravierend gewesen sind, zu keiner Zeit so gravierend gewesen sind, wie bei den Ärzten. Dieser extreme Ärztemangel resultierte zum Teil auch daraus, dass mehrere Ärzte damals nach Westdeutschland gegangen waren. Und es keine Bewerbungen für die Psychiatrie gab. So dass also wirklich die Besetzung extrem minimal war. Atmo/Musik 08-O-Ton/Dr. P. Grampp: Das muss so 60er Jahre gewesen sein; das war Janke an seinem Arbeitplatz. Man muss sich das so vorstellen, das ist ein Flur gewesen, ca. fünfeinhalb Meter breit, in etwa bis 1,70 Meter mit einer Ölfarbe bestrichen, ein Tisch mit karierter Tischdecke. Und ein ganz einfacher Holzstuhl, ein Lineal, mehrere Stifte, Papier und das war `s. Und dort in dieser Ecke, die ein bisschen abgetrennt war von dem restlichen Flurstück saß Janke und hatte dort so eine kleine Enklave. Und durfte dort machen und konnte dort auch in einer relativen Zufriedenheit arbeiten.. Sprecherin: Stundenlang sitzt Karl Hans Janke an einem der Tische. In heißen Sommern, in denen die Sonne durch die Scheiben brennt, denn es gibt keine Gardinen. In eiskalten Wintern, wo Eisblumen an den Scheiben wachsen - die Flure können nicht beheizt werden. Der Mann, der unentwegt zeichnet und schreibt, wird nur selten von einem der Mitpatienten angesprochen, und es gibt mit ihm auch kaum Streit. 09 O-Ton/Dr. W. Winkler: Er war ein kleiner bis mittelgroßer etwas untersetzter Mann, sehr agil und von seinen Ideen, seinen Erfindungen so überzeugt, dass er also sprühte vor Enthusiasmus und Begeisterung, er hat also die Dinge sehr dringlich vorgetragen, hat dabei aber immer alle Höflichkeitsformen gewahrt und ist sehr zufrieden wieder gegangen, wenn ihm Gehör geschenkt war und wenn er die Zusicherung erlangt hatte, dass dafür Sorge getragen würde, dass seine Erfindungen erhalten bleiben. Sprecher Janke: An den Verlag der Leipziger Volkszeitung, 20. Januar 1959 Zuschrift aus dem Leserkreis Wir möchten unserer lieben Redaktion zur Kenntnis bringen, dass auch in Deutschland an einem Mondfahrzeug gearbeitet wird. Dasselbe wird, nach den bisher bekannt gewordenen Verlautbarungen, ca. 32 - 125 Personen durch den Weltraum befördern. Dieses Schiff ist ein Fahrzeug mit stromlinienförmigem Ganzmetall-Rumpf, etwa nach Art der früheren Zeppeline, die aber eine Stoffhülle trugen. Es kann auch als Kugel gebaut werden, die dann einen Durchmesser von 20 - 62 m haben wird. Zum Betrieb derselben ist sowohl im Schiff als auch in der Kugel eine Atom-Anlage eingebaut. Es handelt sich bei diesem "Atom" um ein anderes "Atom" als das der Sowjetunion. Der Erfinder dieser beiden Fahrzeuge ist ein junger Techniker, der durch den Krieg totalgeschädigt wurde, der aber den Willen hat, auch unserem Volke den Weltraum zu eröffnen, im freundschaftlichen Zusammenwirken mit allen übrigen Nationen und Völkern der Welt. Hochachtungsvoll, Karl Hans Janke Sprecherin: In der Landesklinik gibt es zwar viel zu wenige Ärzte, aber sie verfügt über alle Einrichtungen, um sich mit dem Nötigsten selbst versorgen zu können. Eine Schuhmacherei, eine Nähstube, eine Schlosserei und - für das marode Gebäude besonders wichtig - die Hubertusburg hat einen eigenen Baubetrieb. Manfred John kommt als junger Bauingenieur hierher. 10 O-Ton/M. John: Ich war kaum da 1965 und da stand Herr Janke eines Tages in meiner Tür und stellte mir also schon Modelle vor. Und, klar hab ich mich da erst mal erst mal erkundigt: Wer ist das? Und da hieß es, das ist der Raketenbauer. Und das hing natürlich mit meinem Beruf zusammen, wir hatten ja beide eigentlich (lacht) die gleichen Sorgen Ich brauchte Material für das ganze Krankenhaus und Herr Janke brauchte eben Material für seine Modelle, die er baute, seine Raketenmodelle und andere Dinge. Und da hab ich ihm, weil ich merkte irgendwo, das ist ein ganz Korrekter, der wollte dann auch einen ordentlichen Schein haben fürs Materiallager und da musste eben - da hat er drauf geachtet - auch die Nummer, die laufende Nummer drauf stehen, dass ihm also nicht unterstellt wurde, er nimmt hier was weg, was ihm nicht gehört. 11 O-Ton/Dr. P. Grampp: Janke war ein Meister des Organisierens. Also er ist in den Werkstätten innerhalb der Klinik, aber auch in Ergotherapie und in der Arbeitstherapie höchst bekannt gewesen. Er vermochte es, nahezu an jeder Ecke, an jedem Ende, wo irgendwo Werkzeug möglich war, das zu nutzen. Er hat auch da sehr viel Freiheiten besessen. Also man hat ihn auch an die Werkzeuge gelassen. Und hat dann so drei bis dreieinhalb Meter große Objekte selber gefertigt. Sprecherin: Die Patienten arbeiten in vielen der Abteilungen mit. In der Gärtnerei beispielsweise und in der Küche. Karl Hans Janke wird oft in der Kohlenkolonne eingesetzt. Sofort beginnt er, eine Maschine zur vollautomatischen Beschickung der Öfen zu erfinden. 12 O-Ton/M. John: Na ja, und dann entwickelte sich ein ständiges Kommen und Gehen. Herr Janke war dann mehr bei mir als mir lieb war, ich hatte ja auch noch bissel was anderes zu tun. Und er hatte aber irgendwie Vertrauen und fing dann an, mir die Zeichnungen zu zeigen. Seine Neuentwicklung über Raketen usw. Na ja, und es war ein absolutes Zeichentalent und auch orthografisch waren die Unterschriften und die Beschreibungen waren tiptop. Das hat bestimmt mancher nicht besser gekonnt in meinem Bereich. Sprecherin: Für den Patienten Janke funktioniert die Hubertusburg wie eines jener großen volkseigenen Kombinate, die draußen in der Republik ringsum entstehen und von denen er täglich liest und hört. Es gibt die Planung, die Materialbeschaffung, die Produktion - und er selbst, in seinem grauen Kittel, mit der Kollegtasche und der Papierrolle unterm Arm, könnte in die Konstruktionsabteilung gehören. 13 O-Ton/Dr. W. Winkler: (Lacht) Ja, später dann, als ich Chefärztin des Bereiches Psychiatrie war, da hat er sich also auch - wie er das so machte - bei mir angemeldet, um einen entsprechenden Termin gebeten. Dann kam er ganz pünktlich und hat die Zeichnungen - meistens waren es ja Zeichnungen - technischer Art, vorgelegt und hat Erläuterungen dazu gegeben. Und dann bestand er darauf, dass der Dienststempel auf das (lacht) Papier kam und ´ne Unterschrift. Und das hab ich dann halt auch gemacht. Er ist aber nicht etwa nur zu den jeweiligen Chefärzten gegangen, sondern er ging auch zum Rat der Gemeinde, zum Bürgermeister, oder zum technischen Leiter und hat sich da die entsprechenden Unterschriften geholt. Sprecher: Technische Universität Dresden Herrn Karl Janke Betrifft: Radioaktiver Aktivierer Sie geben an, dass Ihre Erfindung in Hubertusburg vorregistriert wurde. Eine solche "Vorregistrierung" an einer anderen Stelle als beim Amt für Erfindungs- und Patentwesen ist nicht prioritätsbegründet. 14 O-Ton/M. John: Ich hatte einen Stempel dann, den es ja in jedem Büro gibt: sachlich und rechnerisch richtig. Also und den Stempel hat er geliebt. Den hätt` er am liebsten mitgenommen. Und den hab ich paar mal drauf gedrückt und dann hab ich meinen Namen drauf geschrieben. Also mich hat er, sagen wir mal, doch als ebenbürtigen Ingenieur gesehen. Ja und da war ihm die Unterschrift schon was wert. Atmo/Musik 15 O-Ton/Dr. P. Grampp: Seine Idee war, der Welt - also die Energie, die in der Welt einfach vorhanden ist, zu einer Antriebsenergie umzuformieren, quasi als ein energetisches Grundprinzip des Lebens überhaupt. Er selber hat ja auch das eigene Leben so definiert, dass es letztlich nur Energie ist. Und da sehen wir dann eben auf der einen Seite Maschinen, die aussehen wie rotorblattgetriebene Modelle. Allerdings mit einem Turbopropmodell, also die Antriebswellen nicht außen am Flugzeug angebracht, sondern innen in einer Turbine mit unterschiedlichen Verdichtungsstufen. Meistens finden wir an den Antriebssystemen eine sogenannte Energienadel. Diese Energienadel diente in der Regel dazu, die Energie einfach abzufassen. Es klingt erst mal alles ziemlich verrückt, aber es gibt aktuell durchaus Wissenschaftler, natürlich auch Para-Wissenschaftler, die dieses Thema für sich selber gefunden haben und die auch darüber spekulieren, wie könnte man die magnetischen Schwingungen, das ist auch nichts anderes als Energie, irgendwann zu Antriebsenergie, zu Strom umwandeln? 16 O-Ton/M. John: Er hat physikalische Gesetze beherrscht. Und wenn er vielleicht bei mir bei manchen Dingen tiefer gegangen wäre, da wär er der Sieger gewesen.(Lacht.) Is` so. Also das hat er schon drauf gehabt und er konnte auch rechnen wie ein Weltmeister. Algebra - das ist erstaunlich. Das hab ich längst nicht mehr gebraucht, ich glaubte zumindest, dass ich es nicht mehr brauche. Sprecher: Sehr geehrter Herr Janke! Wir möchten Ihnen nochmals mitteilen, dass wir an der Verwertung Ihrer epochalen Erfindung interessiert sind ... Ergänzend bitten wir noch, folgendes zu bemerken: Zunächst wären wir aus informatorischen Gründen an der Nummer des Ihnen erteilten Deutschen Reichspatents interessiert und wären darüber hinaus erfreut, wenn Sie uns einen Termin zu einer persönlichen Unterredung nennen könnten. Mit der von Ihnen vertretenen Meinung, dass die TU 114 einen Höchststand bedeutet, gehen wir nicht konform, möchten aber in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass das von Ihnen entwickelte nette Luftverkehrsfahrzeug ja in seiner Art etwas vollkommen Neues und Revolutionäres darstellt und sich deshalb neben den heute üblichen Typen wohl wird behaupten können. Wir glauben, dass es Ihnen aufgrund Ihrer fast 30-jährigen Erfahrung gelungen sein kann, ein derart leistungsfähiges Atomtriebwerk zu entwickeln. In diesem Falle erlauben wir uns, Ihnen den kollegialen Rat zu erteilen, diese einmalige Erfindung umgehend zum Schutz vor Nachahmung patentieren zu lassen Mit vorzüglicher Hochachtung Deutsche Akademie der Wissenschaften 17 O-Ton/Dr. P. Grampp: Und gerade dieses Trajekt - Trajekt ist ja ein Begriff, den es tatsächlich auch gibt - das wäre also sozusagen eine Fähre für Eisenbahnen. Diesen Begriff hat er ganz neu definiert, als eine Möglichkeit des trajizere, das heißt letztendlich aus dem Lateinischen genommen, des Transportierens, des Hin- und Herschaffens. Ja und am Schluss kommt dann bei ihm ein FDGB-Urlaubstrajekt heraus, mit dem dann der Bürger der DDR durchs Weltenall pilgert und dann mal so nebenbei den einen oder anderen Tantenbesuch mit erledigen kann. Sprecherstimmen: ( überblenden) Deutscher Fernsehfunk, Redaktion DIE UMSCHAU: Sehr geehrter Herr Janke, Nach genauer Überlegung möchten wir Sie bitten, Ihre Erfindungen oder Entwicklungen oder worum immer es sich handeln mag, doch zunächst dem zuständigen Patentamt oder anderen fachkundigen Beratern vorzulegen. Tribüne, Organ des Bundesvorstandes des FDGB: Werter Kollege Janke, Die Vorstellungen vom Wiederaufleben der Luftschifffahrt haben in anderen Ländern, zum Beispiel der Sowjetunion, einen Stand erreicht, der es uns nicht gestattet, reine Phantasieprodukte zu popularisieren Institut für angewandte Physik Sehr geehrter Herr Janke, Leider enthält Ihr Brief nicht die für uns erforderlichen Angaben. Aus ihm ist nur zu ersehen, dass Sie irgendeine Kraftanlage bauen wollen ... . aber nicht das Prinzip, nachdem diese Anlage funktionieren soll. Darüber hinaus enthält Ihr Brief Formulierungen ... die mir unverständlich sind und mich in Anbetracht der in der Physik und Technik üblichen exakten Ausdrucksweise mit starker Skepsis erfüllen. Professor R. Döpel Sprecherin: Der Radius von Karl Hans Janke reicht weit über die Mauern der Landesanstalt hinaus. Er verfolgt das Radio und später auch das Fernsehen der DDR. Dazu kauft er, was er im Ort an populärwissenschaftlichen Zeitungen bekommen kann und liest in der Bibliothek. 18 O-Ton/M. John: Herr Janke gehörte so bissel zur technischen Intelligenz unter den Patienten. Und ich hab ooch wirklich gedacht, weil das immer wieder so ein Gerücht war, er wäre Ingenieur in Peenemünde, in dieser Raketenstation von Wernher von Braun gewesen. Ich hab mich bloß gewundert, die Schrift war keine Normschrift, wie wir sie als Techniker haben, sondern war eine ausgefeilte künstlerische Schrift eigentlich. Aber sonst, die Konstruktionsteile, die hätte ich nicht besser zeichnen können. Ja also das hat mich schon irgendwie mit ihm bissel verbunden. Ich hab ihn dann auch mal direkt gefragt. Da hat er mich angeguckt und hat weder ja noch nein gesagt. Also er hat mich in dem Glauben gelassen. Sprecherin: Zu technischer Fachliteratur und Forschungsergebnissen hat er keinerlei Zugang. Und auch an einen Austausch mit Konstrukteuren, Ingenieuren und Wissenschaftlern ist nicht zu denken. Aber Karl Hans Janke sendet seine Ideen in die Welt. Zumindest in die Welt der DDR: An die Leipziger Volkszeitung, das Neue Deutschland, die Armeerundschau, die Berliner Zeitung, die Freie Welt, die Für Dich, die Zeitschrift Jugend und Technik, den Verlag Kultur und Fortschritt, die Tribüne, das Deutsches Sportecho, die Wochenpost, an die Populärwissenschaftliche Zeitschrift für Stadt und Land Wissen und Leben, an den Deutschen Fernsehfunk, die DEFA. Dazu an Patentanwälte, das Patentamt, die Kammer der Technik. In der Regel gibt er an, dass er auf der Hubertusburg als technischer Spezialist angestellt ist. 19 O-Ton/M. John: Ich kann mich nur an eine Sache erinnern, dass er ans Patentamt nach Berlin geschrieben hatte, und die hatten ihn eingeladen. Ich mein, als Ingenieur weiß ich, die laden nicht jeden ein. Und da hat unser Chef, unser Verwaltungsdirektor, hat versucht, dem Patentamt zu erklären, das ist ein psychiatrischer Patient und der entwickelt also auch Kaffeemaschinen mit Atomantrieb usw., die ließen davon nicht ab. Und dann ist er eines Tages nach Berlin gefahren in Begleitung eines Pflegers. Na ja und die haben dem wirklich eine ganze Weile auch zugehört. Aber nach `ner gewissen Zeit haben sie dann auch abgebrochen und gemerkt also hier - er wich dann ab. Sprecherin Viele seiner Schreiben erhalten einen Begleitbrief des ärztlichen Direktors. Der verweist auf die Geisteskrankheit des Absenders und entschuldigt sich für entstehende Umstände. Aber er setzt sich durchaus auch für seinen Patienten ein. Sprecher: Einschreiben: Herrn Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, Berlin Niederschönhausen, 24.4.1963 Sehr geehrter Herr Staatsratsvorsitzender! Der vorliegende Brief stammt von einem Geisteskranken, der an einer paranoiden Schizophrenie leidet. Der Patient glaubt, zahlreiche Erfindungen gemacht zu haben. Sein Denken kreist um kosmische Probleme und um Probleme der Raumfahrt. Seine "Erfindungen" sind meines Erachtens indiskutabel und entbehren aller realen Grundlagen. Ich habe dem Patienten, um ihm nicht unrecht zu tun, mehrfach Gelegenheit gegeben, sich an sachverständige Stellen zu wenden. Die Regierung - Zentrales Amt für Forschung und Technik beim Forschungsrat der DDR - bat uns schließlich, die Absendung von Schreiben des Herrn Janke in Zukunft zu verhindern. Der Patient ist in dieser Hinsicht leider völlig uneinsichtig. Er hat mich jetzt gebeten, mindestens das vorliegende Schreiben abzusenden und mir versprochen, weitere Schreiben zu unterlassen. Ich habe mich aus diesem Grunde entschlossen, dem Wunsche des Patienten noch einmal nachzugeben. Mit sozialistischem Gruß, Medizinalrat Arnold Asmussen, Ärztlicher Direktor Sprecherin: Ob Walter Ulbricht je geantwortet hat, bleibt offen. In den Akten findet sich darüber nichts. Dafür füllen Jankes Briefe viele Ordner. Er hat die meisten sorgfältig mit der Hand kopiert. Immer öfter gehen Forderungen an das Krankenhaus, Jankes Aktivitäten zu unterbinden. Sprecher: An den Leiter der Krankenanstalt in Hubertusburg In der Anlage wird Ihnen ein Brief mit Fotokopie des Patienten Karl Hans Janke übersandt.In letzter Zeit hat genannter Patient eine Vielzahl Volkspolizeikreisämter in der Republik mit konfusen Briefen belästigt. ... Ich bitte Sie, im Rahmen Ihrer Möglichkeiten Maßnahmen einzuleiten, um Briefe des Patienten Janke abzufangen bzw. zu unterbinden. VPKA Oschatz, der Leiter Sprecherin: Ihrem Wunsch entsprechend werde ich versuchen, die weitere Korrespondenz des Patienten soweit möglich einzuschränken. Da ich dem Patienten freien Ausgang gewähren muss und er meinen Anweisungen immer wieder zuwider handelt, kann ich allerdings nicht versprechen, dass die Beleidigungen völlig unterbleiben werden. Mit sozialistischem Gruß, Irmtraud Isenberg, Ärztlicher Direktor 20 O-Ton/M. John: Eines Tages stand also Janke in der Tür und hat gesagt: Mein Lebenswerk wird vernichtet und weinte. Ich war wie gesagt Mitte 20 und das war damals für mich schon ein alter Mann. Und es tat mir leid, das war alles. Und da hab ich gesagt: Herr Janke, komm se mal, mal sehn ob wir hier trotz der starken Belegung überall, das war wirklich so, wir haben jeden Winkel gebraucht, ob als Lager oder sonst was - und da hab ich eine Bodenkammer ausfindig gemacht und hab gesagt, so, Janke, das ist zukünftig ihr Büro. Atmo / Musik 21 O-Ton/Dr. P. Grampp: Hier haben wir auch noch die alten Koffer, die wir also finden konnten auf dem Dachboden. Haben sie zum Teil zum Darstellen auch genutzt. Da sieht man zum Beispiel seine Schriftwechsel, die er dann auch mit andern Kliniken hatte. Und die haben wir halt mal mit hineingelegt. Einfach, damit man einen Eindruck bekommt: was besaß der Mann eigentlich? Er lebte im Prinzip mit dem Inhalt von wenigen Koffern, und das 40 Jahre lang. Das war sein ganzer Besitz, das war seine persönliche Habe, die ihn unterschied von anderen. Da sieht man mal, auf was man den Menschen letztlich reduzieren kann. Auf drei kleine Koffer. Sprecherin: Karl Hans Janke zeichnet Raketen, Flugzeuge, Raumfähren, Tauchkugeln, Lokomotiven, Motoren, Turbinen. Einige wenige seiner Bilder zeigen ihn selbst und Menschen die ihm nahe stehen: seine Eltern - und Christine! Am 5. Dezember 1961 wird die junge Frau in Hubertusburg eingeliefert. Sie ist 25, Hans Janke bereits 52 Jahre alt. Sprecher Janke: Liebe kleine Freundin! Sie sind ein sehr liebes kleines Mädel mit einem freundlichen und guten Charakter. Das Schicksal hat Ihren Lebensweg hier in die Anstalt geführt. So wird eines Tages auch für Sie wieder in der Freiheit die Sonne scheinen. Liebe Schwestern der P 13! Ich habe eine große Bitte an Sie! Die kleine Christine, mit der ich bekannt bin, geht immer ohne Strümpfe in Sandalen. Ich bitte die lieben Schwestern sehr höflich, der Kleinen doch Strümpfe anzuziehen; wenn sie es nicht freiwillig tut, mit Zwang. Bei Sonnenschein, wenn sie auf dem Hof ist, kann sie dieselben runterrollen! Ich danke Ihnen für diese Bemühung. Retten Sie dieses Menschenleben! Mit freundlichem Gruß, Karl Hans Janke 14.7.1963 Meine liebe Christine! Ich bringe Dir ein bisschen zum Knabbern! Schokolade ist nahrhaft und gesund! Ich denke immer an Dich und wünsche Dir gute Erholung, Dein Hans Sprecherin: Ein Foto von seiner Christine bekommt Karl Hans Janke nicht. Er zeichnet sie: Eine junge Frau mit langen offenen blonden Haaren sitzt auf einem Schemel am Fenster. Der große, schlanke, junge Mann neben ihr hat gerade das Gitter herausgerissen und bahnt für beide den Weg nach draußen. In die Sonne und in die Freiheit. Der Mann ist Karl Hans Janke. Sprecher: Meine liebe Christine, Ich kämpfe um Dich einen Kampf wie ihn selten ein Mann um eine Frau kämpfte. Zwei Gruppen von Menschen sind hier in Hubertusburg. Die eine Gruppe, das sind meine Freunde, die lieben Dich und auch mich. Die sehen auch gerne, wenn Du meine Frau würdest. Die andere Gruppe, das sind die Feinde. Deine Feinde, eben so wie meine! Die sehen am liebsten, wenn wir zwei, Du und ich dauernd drin blieben ohne zu heiraten. Diese reden mir dauernd das unsinnige Zeug vor, dass Du schon längst verheiratet seiest. Und schon drei Kinder laufen hättest und auch einen Mann hättest. ... Christinchen, sind das Lügen oder ist das wahr? Ich habe Dich sehr lieb und lasse mich nicht von Dir wegtreiben, Christine. In Liebe verbleibe ich, Dein Hans - Hänschen - Hansi Janke. Sprecherin: Es gibt für ihn auf Hubertusburg wenig Gelegenheiten, Christine zu begegnen. Da die Frauen von den Männern getrennt untergebracht sind, sieht Janke sie von weitem im Hof spazieren gehen, trifft sie hin und wieder bei der Arbeit in einer der Werkstätten und zweimal im Jahr, wenn in der Landesanstalt Tanz ist. Er macht ihr Geschenke, schreibt ihr Briefe - und wartet auf eine Antwort, die nie kommt. Zwei Jahre ist sie in der Hubertusburg untergebracht. Am 24. September 1965 wird sie entlassen. Sprecher Janke: Werter Herr Chefarzt! Man hat mich wieder auf die Stufe eines Idioten gestellt, der nichts zu sagen und zu fragen hat! Das arme kleine Mädel, meine Freundin Christine H., ist von einem unbekannten Mann abgeholt worden, vielleicht verschleppt worden! Und die Schwestern der P 13 haben es nicht für nötig befunden, mich vorher davon zu verständigen. Sprecherin: Karl Hans Janke macht sich auf die Suche. Er schreibt an Behörden, Krankenhäuser, an die Räte der Gemeinden. Antworten erhält er nur ganz selten. Sprecher: Schöna, den 28.2.1968 Werter Herr Janke! Das Fräulein H., das sie suchen, ist nicht Fräulein H. sondern Frau H. und Mutter von drei Kindern. Sie ist hier verheiratet und lebt zur Zeit nicht mehr bei uns in der Gemeinde, sondern getrennt von ihren Kindern und ihrem Mann. Sie hält sich unbekannterweise im Kreis Löbau auf. Wenn Sie sie unbedingt heiraten wollen, das können Sie, denn sie lebt zur Zeit in Scheidung. Weiter können wir Ihnen nichts mitteilen und nehmen an, dass wir Ihnen damit gedient haben. Bürgermeister Sprecherin: 20 Jahre lang schickt Janke kleine Päckchen, Zeichnungen, unbeholfene Liebesbriefe. Dass deren Annahme regelmäßig verweigert wird, ignoriert er. Christine ist und bleibt seine erste und einzige Liebe. Sprecher Jahnke: 25.8.1982 Meine liebe Christine! Ich bin so traurig, weil ich nicht weiß, wo und wie wir beide zusammen leben können! Ich mache Dir immer eine kleine Freude, jede Woche. Nun bleib schön gesund und auf Wiedersehen. Herzliche Grüße und Küsse, Dein Karl Hans Janke. Atmo / Musik 22 O-Ton/Dr. P. Grampp: Ja hier haben wir zum Beispiel die Urkeimzelle, wenn man sich diesen Roboter anguckt, das ist wieder wie ein Mensch gebaut, Elektronenkapsel im Gehirn, ein neurales Vitalganglion, kammermagnetisch gedrillt, also wenn man das so hört, da würde jeder Elektroniker erst mal sagen: Oh, das scheint `s wirklich zu geben, nicht? Oder auch von der Lebenswerdung in einem Hühnerei, selbst dort hat er ein Dotter mit Positronen und negativer Masse definiert. Also selbst dort ist es möglich, ein kleines Kraftwerk zu installieren. Für Janke war alles kein Problem, er konnte das. Sprecherin: Seine Erfindungen widmet Janke der Menschheit. "Nur für friedliche Zwecke!" steht unter vielen Zeichnungen. Das sogenannte "deutsche Atom" - die Gewinnung von Energie durch Magnetismus - will er überhaupt nur erklären, wenn Vertreter aller Völker der Erde zusammen kommen. 23 O-Ton/M. John: Er hat auch mal einen Vortrag gehalten über die Mondlandung. Und die passierte dann Monate später erst. Als die Amerikaner dort oben gelandet waren. Wir haben wie gebannt zugehört. Und das war genau so, wie wir das später dann in Wirklichkeit in der Zeitung lesen konnten. Das hat uns schon verwundert. Und da hab ich wieder fest dran geglaubt, dass Janke doch in Peenemünde war. Aber nach - na gut, ich will mich jetzt nicht festlegen - nach `ner Stunde, es war ein langer Vortrag, nach einer Stunde hat er dann angefangen wirres Zeug zu reden. Er ist in so `ner Zeit aufgewachsen, wo der Judenhass noch da war. Also er hat uns in der Richtung dann beschimpft und die Ärzte haben ihn dann behutsam rausgeführt und da war die Veranstaltung zu Ende. Sprecherin: Jankes Gedanken als Erfinder kreisen um den Weltraum, um Planetensysteme, um die Zukunft der Menschheit. Er selbst fühlt er sich permanent von Feinden umgeben. Hinter jeder Ablehnung wittert er Intrige, wer ihm nicht zuhört, ist ein Saboteur, was er nicht einordnen kann, erklärt er zur Verschwörung. Gegen die DDR, gegen das deutsche Volk. So klar und scharf sein mathematischer Verstand funktioniert, so verrückt ist das Gesellschaftsbild in seinem Kopf. Sprecher Janke: 1969: Höchste Alarmstufe! Adlige zerstören den Sozialismus. Sie bauen sich selbst einen nationalen Staat auf in unserem sozialistischen Staate. Exkönig Otto von Habsburg, zur Zeit in München (sofort gefangen nehmen!) Baron von Weizsäcker (Bundesrepublik) Brand (unter Beobachtung stellen) Baron von Schnitzler, Baron Dr. von Bülow, Freiherr von Wangenheim - alle in der DDR in der Nationalen Front Kronprinzessin Cecilie wird durch Walter Ulbricht durch Kranzspenden ... geehrt (eidesstattlich!) .Sie alle wollen einen Adligenstaat aufbauen ... die Werktätigen verbluten dabei nur! 24 O-Ton/M. John: Aber dann war eben mal wieder so ne Sache, dass er eines Tages kam und sagte: Herr John - ich will das hier ruhig mal erzählen - sie stehen auf der Todesliste. (lacht) Na ja, ich war ein junger Mensch, mich hat das nicht gestört. Aber der hatte dann tatsächlich ne Todesliste und hat all die aufgeführt, die ihm irgendwie mal im Leben mal in die Quere gekommen waren. Und ich weiß nicht mehr, welche Nummer ich hatte, aber ich hab `s bestätigt bekommen, die Todesliste hat man gefunden. die hat auch überlebt. 25 O-Ton/Dr. P. Grampp: Also am Anfang versuchte man, herumzumedizieren. Das heißt, er hat dann alles, was die damalige Chemie an Möglichkeiten gab, erhalten. Ohne dass sie den erwünschten Effekt hatten. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob der Janke die Dinger nicht einfach in die Backentasche schob und nach dem Motto: Keiner hat `s gesehen, ausgespuckt hat. Was viele unserer Patienten tun. Was ich ihnen auch überhaupt nicht übel nehme. Ich weiß nicht, ob ich sie schlucken würde. Also ich glaube, das gehört zum Normalen des Menschen dazu, dass er nicht einfach alles runter schluckt, was er nicht versteht. Und Janke hatte die Medikation nie verstanden. Er war ja in seinem Sinne auch nicht krank. Krank definierten ihn die anderen. Er selbst definierte sich als Erfinder. Sprecher Janke: Zur gefälligen Beachtung! In Anbetracht der großen mühevollen Arbeit, die ich für unser Volk und alle Menschen der Erde geschaffen habe, muss ich mich auf das Entschiedenste verwahren gegen jede Schädigung meines Körpers durch Spritzen und Medizin! Alle diejenigen, die das nicht einsehen mögen, dass dadurch den Räubern oder Zerstörern meiner Arbeit Vorschub geleistet wird, stehen unter der Anklage der Beihilfe zum Mord und zur Ausplünderung an mir, was einer Schädigung unseres Volkes entspricht! 31.12.1973, Karl Hans Janke 26 O-Ton/Dr. P. Grampp: Meine Befürchtung wäre, das ist jetzt hypothetisch, aber wenn man weiß, welche Medikamente damals zur Verfügung standen, dass diese Medikamente seine Denkprozesse mit beeinflusst hätten. Es wird immer gerne schön geredet, aber die meisten Substanzen, die damals, aber eigentlich auch noch heute für die Behandlung schizophrener Kranker zur Verfügung stehen, verändern durchaus das Denken. Natürlich sagen wir Psychiater: im Sinne des Gesunden, ist gleich Normalen. Dennoch müssen wir eingestehen, dass diese Medikamente das eine oder andere an Dynamik wegnehmen. Das heißt also, diese Kreativität, diese archaische und völlig ungezügelte Fähigkeit, dass Gedanken im Gehirn aufkommen, sich manchmal auch an keine Wirklichkeiten halten, sondern einfach frei überschwemmen - das was man ja dem Künstler immer wünscht. Was unsere psychisch Kranken zum Teil in brutaler Form auch haben. Ich befürchte, das wäre weg gewesen, und dann hätten wir nicht das Ergebnis seiner Bilder. Sprecherin: Der Psychiater und Psychotherapeut Peter Grampp ist 1996 aus Süddeutschland auf die Hubertusburg gekommen. Als die Chefärztin Waltraud Winkler in den Ruhestand ging und ihm die Geschäfte übergab, führte sie ihn auch auf den Dachboden. In Kisten und Koffern fand sich dort Jankes Hinterlassenschaft. Schon die ersten Zeichnungen, die der Arzt vorsichtig auseinander faltete, ließen ihn aufmerken. 27 O-Ton/Dr. P. Grampp: Als die Wende war, wurde die Psychiatrie der DDR stilisiert als rückständig. Um es mal höflich auszudrücken. Da kamen noch ganz andere Begriffe. Es gibt wie immer mehrere Sichtweisen. Ich denke, vieles an Außenfaktoren war ungünstig. Die Räume waren schlecht, die Sanitärverhältnisse waren ungünstig, das will ich alles nicht in Abrede stellen. Aber es gab trotzdem eine Kultur. Eine Kultur auch manchmal, die dahin ging, dass man jemanden sein ließ. Nach dem Motto: Ja irgendwie kann er einem ja leid tun. Sicherlich aus so einem Mitleidsaspekt - Mitleid hat ja immer eine Wertung und Wichtung, die unschön ist, aber sie hat auch was Positives drin, dass man sagt: wir lassen ihn jetzt einfach mal. Und dieses "Soll er man" hat ihm immerhin die Möglichkeit gegeben, seinen Stolz in einer Form der Verkapselung zu leben, die faszinierend ist. Sprecherin: Der Rahmen für diese Kultur des Umgangs mit psychisch Kranken war in Hubertusburg früh gegeben. Schon im Herbst 1948 wurde mit einer Arbeitstherapie begonnen, es gab bald Freigänger, zu denen auch Karl Hans Janke gehörte. In den 60er Jahren, nachdem zum ersten Mal in der DDR auf einer internationalen Tagung im sächsischen Rodewisch offen über Veränderungen in der Psychiatrie diskutiert worden war, wurden nach und nach die Stationen umstrukturiert, ab 1973 wurde die Patientenpost nicht mehr kontrolliert. Dennoch: Die Hubertusburg blieb Krankenhaus und war für viele Endstation. Karl Hans Janke hat fast sein halbes Leben hier verbracht. 40 Jahre, genau so lange, wie die DDR existierte. 28 O-Ton/Dr. W. Winkler: Also meines Erachtens hat sich Herr Janke im Laufe seines Lebens ganz im normalen Umfang verändert. Das heißt, er ist ein alter Mann geworden, der nicht mehr ganz so aktiv und mobil war, wie in jüngeren Jahren. Aber er hat im Grunde genommen nicht eingebüßt an Ideenreichtum. Und er ist also noch in den letzten Jahren auch im Rahmen der Ergotherapie eingesetzt gewesen und hat in der Ergotherapiezentrale ein paar besondere Aufgaben übernommen, indem er Schriften gestaltet hat und dergleichen. Ja, das ist schon etwas ganz Besonderes und man fragt sich natürlich in dem Zusammenhang, ob man ihm einigermaßen gerecht werden konnte. Ob er - ich denke schon, dass entsprechend unserer Möglichkeiten das Erforderliche für ihn getan worden ist. Mehr war leider zu dem damaligen Zeitpunkt nicht möglicht. Sprecher: Aus der Krankenakte 15.2. 1988 Isst sehr schlecht. Patient nimmt eine Abwehrhaltung ein und will niemand an sich heranlassen. Patient ist 18.55 Uhr verstorben. Sprecherin: Manche vergleichen Karl Hans Janke heute wegen der Schönheit und Feingliedrigkeit seiner Zeichnungen, wegen seiner Vielseitigkeit und seines Erfindungsreichtums mit Leonardo da Vinci. Andere wegen der phantastischen Ideen mit Jules Verne. In einer Ausstellung in der ehemaligen Raketenversuchsanstalt Peenemünde wurden Jankes technische Utopien den todbringenden Raketen Wernher von Brauns gegenüber gestellt. 29 O-Ton/Dr. P. Grampp: Was wir wissen, dass er - muss so in der Zeit gewesen sein - 37 seine ersten Patente eingereicht hat. Patente, die uns heute schon sehr irritieren müssen. Denn das eine Patent ist ein Stadtortanzeiger, wie er es nennt. Heute neudeutsch würden wir sagen, es ist ein Navigationssystem, bei dem er anhand von Funkwellen eine exakte Lokalisation seines momentanen Standortes zwischen diesen funkgebenden Sendern definieren konnte. Und das ganze mit einer Karte unterlegt hätte, bei dem dann ein Oszilloskop quasi einen Punkt setzt, der sich dann auf der Karte wiedergibt. Also es ist nichts anderes, als unser handelsübliches Navi, das wir im Auto haben und das uns vom Punkt A nach Punkt B bringt. Das zweite Patent, das wir besitzen, auch als Verein besitzen, ist ein Flugzeug mit schwenkbaren oder mit beweglichen Flügeln. Ein Umstand, der damals sicher völlig revolutionär war, einfach 40, 50 Jahre weit seiner Zeit voraus. Und das Patent wurde auch zu Recht angenommen. Ich denke das war auch Janke. Sprecherin: Auf Hubertusburg gibt es heute ein kleines Museum über den berühmtesten Patienten dieser Anstalt. Liebevoll eingerichtet und betreut wird es vom Verein Rosengarten. Der hat auch die beiden Patente entdeckt, die im Patentamt Dresden seit über sieben Jahrzehnten liegen. 30 O-Ton/Dr. P. Grampp: Ja wenn ich mir vorstelle, Janke heutzutage, das wär` ein Mann für eine therapeutische Wohngemeinschaft oder auch eine Wohngemeinschaft ohne therapeutische Begleitung, denn er war ja nicht wirklich gefährlich, er war nicht bösartig, er war ein bisschen schrulliger Mensch vielleicht, also er war eben ein bisschen anders. Ich mein, wenn er nicht ganz zurande gekommen wär´, hätte vielleicht eine ganz geringe Hilfeleistung ausgereicht. Das heißt, dass einmal in der Woche jemand vorbei kommt und guckt, ob er noch genügend zu essen hat und ob die Kleidung vielleicht noch ordentlich gewaschen ist. Aber mehr denke ich, wäre gar nicht notwendig gewesen. Sprecherin: Wäre ein Mann wie Karl Hans Janke heute als Erfinder anerkannt? Würden seine Ideen akzeptiert? Hätte er eine Chance auf Austausch mit anderen Fachleuten und Wissenschaftlern? Oder wäre er heute wie damals abgestempelt? Als Schizophrener, als Geisteskranker. 31 O-Ton/Dr. P. Grampp: Dass jemand anders ist, als wir nachvollziehen können, heißt noch lange nicht, dass er dumm ist. Denn viele Menschen sehen ja immer noch in dem Anderssein eine Form der Dummheit. Das heißt also dieses Verrückte, was wir unterstellen, ist vielleicht nur deshalb verrückt, weil wir es nicht verstehen. Sprecherin Jules Verne von der Heilanstalt Aus dem Leben eines verrückten Erfinders Sie hörten ein Feature von Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz Es sprachen: Astrid Meyerfeld, Hermann Beyer, Nadja Schulz-Berlinghoff und Ulrich Lipka Ton: Lutz Pahl Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Ulrike Bajohr Sprecher Janke: Und nun liebe Anwesende, beende ich meinen Vortrag mit einer herzlichen Bitte: Wenn Sie jemals an Raumfahrt denken - dann bitte - behalten Sie mich und meine toten Eltern in guter Erinnerung! Ich war der erste unseres Volkes, der alles hierfür fertig stellte. Und sagt dann: Recht schön danke - das hast du uns geschenkt, Karl Hans Janke. Sprecherin Eine Produktion des Deutschlandfunks 2008 19