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Sprecher Wo tanke ich nach Brent Spar und Deepwater Horizon? Sprecherin Macht es einen Unterschied, ob ich zur Großbank, Sparkasse oder Umweltbank gehe? Sprecher Soll ich meinen alten Kühlschrank benutzen, bis er kaputt ist oder das Ökomodell kaufen? Ansage: Otto Moralverbraucher Vom Sinn und Unsinn engagierten Einkaufens Eine Sendung von Caspar Dohmen Atmo Supermarkt Sprecherin Zehntausend Dinge besitzt jeder von uns durchschnittlich in den westlichen Industrieländern. In der Finanzkrise haben die Konsumenten in Deutschland sich kurzzeitig zurückgehalten. Dann aber wieder beherzt zugegriffen, befeuert von der Abwrackprämie für Autos. Stolz durften sich die Konsumenten als Retter der Wirtschaft sehen. 2010 kürte die Wirtschaftszeitung Handelsblatt den Kaufbürger zum "Menschen des Jahres". Und die Deutschen schaffen weiter an. Täglich fällen sie mehrere hundert Millionen Kaufentscheidungen. Täglich kaufen sie im Handel für etwa eine halbe Milliarde Euro ein. Und - 80 Prozent der Kaufentscheidungen treffen Frauen. Sprecher Unübersehbar sind die Schattenseiten unseres auf Massenkonsum basierenden Wirtschaftens. Müllteppiche schwappen auf dem Meer. Regionen verdorren wegen der Klimaerwärmung und viele Produzenten verdienen viel zu wenig an den Produkten. Würde aber alles gut, wenn wir fair und ökologisch einkaufen, also nachhaltig konsumieren? Song: Wise Guys (Album: Alles im Grünen Bereich, Song: Ich schmeiß mein Auto auf den Müll) Wär'n wir konsequent, zögen wir die Konsequenzen. Doch wir spielen lieber weiter Schumacher und Frentzen. Ab heute ohne mich. Ich mach' den ersten Schritt und spiele ab sofort nicht mehr mit: Ich schmeiß mein Auto auf den Müll, gleich morgen früh, dann hat die liebe Seele Ruh', und alle Leute schau'n mir staunend dabei zu. Ich schmeiß mein Auto auf den Müll und fahre lebenslänglich Rad und Bahn und Bus, mit meinem Auto mach' ich Schluss! O-Ton-Collage "Ich möchte vielleicht aufs Fliegen verzichten, ärgere mich aber doppelt, wenn alle anderen fliegen" - "Die Frage schließt sich da für mich an: Haben oder Sein?" - "Ich bin in der Erwartung gekommen, einen Leitfaden für meine Konsumentscheidungen praktisch zu bekommen." - "Es gab ja nun wirklich seit zehn Jahren diesen Bioboom eigentlich, und ich frage mich immer, wo kommt das ganze Zeug eigentlich her?" - "Einige Hirnforscher sprechen ja auch dann davon, dass wir Autobahnen in unserem Gehirn haben, die abgebaut werden müssen" - "Ich halte uns in der Beziehung weitgehend für Süchtige, für Abhängige." Atmo Foyer Sprecher Stimmen auf einem Kongress der "tageszeitung" im Berliner Haus der Kulturen. Einige hundert Besucher sind gekommen, um über das "gute Leben" zu diskutieren. Am Eingang steht ein mobiler Kaffeestand, an dem fair gehandelter Espresso aus Afrika und Bioplätzchen verkauft werden. Im Foyer diverse Gruppen, die sich mit alternativem Wirtschaften beschäftigen. Viele hier glauben dem guten und gerechten Leben mit gezieltem Einkaufen nachhelfen zu können. Bewusstes Konsumieren ist längst kein Nischenthema mehr für Ökos in Latzhosen, selbst gestrickten Pullovern und Jesuslatschen wie in den 80er Jahren. Je nach Studie interessieren sich zehn bis dreißig Prozent der Deutschen für diesen Lebensstil. Und darunter sind zunehmend "Lifestyle- Ökos", auch solche, die mit dem SUV zum Ökomarkt fahren. Sprecherin Als die Bürger im 18. Jahrhundert ihre Macht als Verbraucher entdeckten, haben sie zunächst gezielt Produkte verschmäht. Damals kämpften Menschen in Großbritannien für die Abschaffung der Sklaverei. Sklaven schufteten unter anderem auf Zuckerrohrplantagen, und die Aktivisten riefen die Verbraucher dazu auf, diesen Zucker nicht mehr zu kaufen. Einige hunderttausend Verbraucher beteiligten sich an der Aktion. Sprecher Den Namen für diese Protestform lieferte etwas später Charles Boycott, ein Gutsverwalter in Irland, das damals britische Kolonie war. Die Pächter waren arm und wurden ausgepresst. Doch sie organisierten sich und forderten von den Verwaltern einen Nachlass der Pacht. Boycott weigerte sich. Die Organisation der Pächter beschloss darauf eine Ächtung von Boycott: Alle Arbeiter kündigten ihm. Niemand verkaufte ihm mehr Lebensmittel und die Eisenbahner verweigerten den Transport seines Viehs. Wenig später gab er auf. Sprecherin Boykotte waren und sind populär. Die Schwarzen in den USA kämpften damit in den 19- sechziger Jahren für ihre Gleichberechtigung: In Alabama gingen sie fast ein Jahr zu Fuß anstatt Busse zu nutzen. Deutsche Verbraucher boykottierten in den 19-achtzigern Früchte aus Südafrika, um das dortige Apartheidregime unter Druck zu setzen. In den Neunzigern ließen Verbraucher Tankstellen von Shell links liegen, um eine Versenkung der Ölplattform Brent Spar in der Nordsee zu verhindern. Von Boykotten halten deutsche Verbraucher bis heute viel. Mehr als vier Fünftel bezeichneten in einer Studie von Allensbach 2011 die Kaufverweigerung als ihr wichtigstes Mittel, Einfluss zu nehmen. Atmo Theaterfoyer Sprecher Anfang Oktober in der Berliner Schaubühne. Bei einem Vortrag spricht der britische Soziologe Colin Crouch über den Zustand der Demokratie und kommt dabei auch auf die Rolle und die Möglichkeiten von Boykotten zu sprechen. O-Ton Colin Crouch Wir haben diese berühmten Boykotte der Unternehmungen. Das ist ein echter Teil der Politik geworden. Es funktioniert nur mit Konsumentenprodukten, Brandnames, besonders Kleider, Lebensmittel. Sprecherin Erreichen könnten die Konsumenten seiner Meinung nach jedoch nur etwas, wenn sie sich zusammenschließen. Das macht Crouch nach dem Vortrag deutlich: O-Ton Colin Crouch Ja, immer. Was können wir als Einzelne tun? Wenn ich geheim, nur zu mir selbst entscheide, dass ich ein besonderes Unternehmen nie mehr benutzen werde, das macht gar nichts. Wenn man sich als Teil einer großen Bewegung fühlt, dann kann man etwas tun. Sprecher Aktivsten rufen seit fast drei Jahrzehnten zum Boykott von Nestlé auf. Ins Visier geriet der Nahrungsmittelkonzern wegen seiner Verkaufspraktiken für Babymilch in Entwicklungsländern. Nestlé war einer vom mehreren Konzernen, der in den 1980er Jahren dort aggressiv Milchpulver verkaufte und beispielsweise Vertreterinnen in weißen Kitteln in die Krankenhäuser schickte, um das Produkt an die Frau zu bringen. Sprecherin Unicef sprach damals von mindestens einer Million Kindern in Entwicklungsländern, die wegen falscher und unzureichender Ernährung mit Muttermilch-Ersatz starben. Als Angriffsziel ihrer Aktionen wählten Aktivisten in fünfzig Ländern Nestlé aus, ein Konzern mit großem Namen und großer Angriffsfläche. In den USA bildete sich die "Infant Formula Action Coalition". Thomas Koch war 1978 einer von 20 hauptamtlichen Mitarbeitern. Er leistete über die Aktion Sühnezeichen seinen Zivildienst dort. O-Ton Thomas Koch Man hat also vor den Geschäften versucht, die Menschen vom Kauf von Nestlé-Produkten abzuhalten. Einige waren völlig desinteressiert, haben gar nicht weiter nachgefragt und andere waren entsetzt und sind sofort umgedreht. Und einen Großteil, durch den persönlichen Einsatz, also konnte man tatsächlich abhalten. Sprecher Koch sitzt in einem kleinen Ladenlokal in der Göttinger Innenstadt, dem Büro der Babymilchgruppe, die der heute 56-jährige Allgemeinmediziner nach seiner Rückkehr nach Deutschland Ende der 19-siebziger Jahre gegründet hatte. Er arbeitet immer noch aktiv im Vorstand der Aktionsgruppe, die sich für das Stillen und richtige Babyernährung einsetzt. Koch hält den Boykott für eine sinnvolle Sache: O-Ton Thomas Koch Das hat eben die Bevölkerung sensibilisiert und den Druck auf Nestle eindeutig erhöht. Ja, sie haben einen eigenen Mitarbeiterstab gehabt, um den Boykott zu bekämpfen sogar, also, das wissen wir. Also das zeigt uns, dass unsere Arbeit doch einen Effekt hat, dass die Macht der Verbraucher letztendlich doch größer ist, als man selber sich vorstellt und denkt: Wir können nichts ausrichten. Aber gerade der Boykott hat gezeigt, dass man die Firmen doch treffen kann. Sprecherin Bei einer denkwürdigen Anhörung vor der für Gesundheitsfragen zuständigen Senatskommission der USA warf Nestlé 1978 den Kritikern vor, sie attackierten die freie Marktwirtschaft. Das sah der demokratische Senator Ted Kennedy ganz anders. Er bezeichnete den Boykott der Verbraucher als eine kapitalistische Waffe, die im amerikanischen System durchaus legitim sei. Sprecher Die Aktivisten bliesen den Boykott gegen Nestlé 1988 ab. Schon einige Jahre später riefen Gruppen erneut dazu auf. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Sprecherin Auch manche Unternehmer halten die Verbraucher für politisch einflussreich, zumal sie sich dank der sozialen Medien heute viel besser austauschen und organisieren können. Paul Polman führt Unilever, einen der größten Nahrungsmittelkonzerne der Welt, der selbst schon häufiger von Verbrauchergruppen wie Foodwatch kritisiert worden ist. In einem Interview sagte Polman dem englischen Guardian im November 2011: Sprecher Die Konsumenten werden in fünf bis zehn Jahren die Macht in ihren Händen halten. O-Ton Timm Duffner Wenn es 17 Tage dauert, einen Staat zu Fall zu bringen, dann dauert es Sekunden, um ein Unternehmen in Zukunft zu Fall zu bringen. Durch die Möglichkeiten von Social Media, über die Vernetzung der Welt werden auch Missstände schneller aufgedeckt. Sprecher Timm Duffner arbeitet als Produktmanager bei der Unilever-Tochter Ben & Jerry. Ursprünglich hatten zwei Hippies, Ben Cohen und Jerry Greenfield, den Eisproduzenten 1978 in den USA gegründet. Sie blieben sich insofern treu, als sie sich beim Verkauf an Unilever ihre selbst definierte ökologische und soziale Mission vertraglich absichern ließen. Und tatsächlich konnte Ben & Jerry trotz des neuen Eigentümers seine Eisproduktion für die europäischen Verbraucher zuletzt komplett auf Rohstoffen mit Fair- Trade-Siegel umstellen. Das Beispiel zeigt auch die Schwierigkeiten, die man als Konsument heute hat. Einfach ist es, wenn sowohl ein Konzern als auch dessen Produkte als gut gelten. Aber was mache ich als Konsument, wenn ein guter Konzern schlechte Produkte oder ein schlechter Konzern gute Produkte verkauft? Sprecherin Trotz solcher Widersprüche meinen immer mehr Menschen, durch gezieltes Einkaufen die Wirtschaft nach ihren Vorstellungen beeinflussen zu können, wie die Autorin Kathrin Hartmann erstaunt feststellte. O-Ton Kathrin Hartmann Ausgerechnet diejenigen, die mich für meine Ökointeressen eigentlich immer ausgelacht haben, waren jetzt plötzlich diejenigen, die gesagt haben, muss man nur richtig einkaufen, und öko und dann wird das schon alles super. Und als ich dann etwas näher hingeschaut habe und mir solche Produkte aufgefallen sind wie Fischstäbchen, mit deren Kauf man ein Meeresschutzprojekt unterstützt, und alle fanden es super, paar Jahre vorher haben alle noch über Saufen für den Regenwald gelacht, aber Fischstäbchen essen zur Meeresrettung fanden dann plötzlich alle plausibel. Sprecherin Mit dieser Entwicklung hat sich auch der Politikwissenschaftler Oliver Geden beschäftigt: O-Ton Oliver Geden Ich glaube in der Bewegung, die wir seit Ende der sechziger Jahre hatten, mit dem schönen Wahlspruch "das Private ist politisch" hatten natürlich die Einzelnen die Möglichkeit, wenn sie in der politischen Arena bestimmte Forderungen nicht durchsetzen konnten, zu sagen: Dann packen wir das eben zu Hause an! Es ist im Grunde genommen, aus Sicht des politisch interessierten Verbrauchers, auch eine Möglichkeit, mit der eigenen Ohnmachtserfahrung im politischen Raum umzugehen. Musik (Gustav vier, Rettet die Wale) Rettet die Wale und stürzt das System, und trennt euren Müll, denn viel Mist ist nicht schön. .... Atmo Straße/Wagen/Teepflücken/ Vogelgezwitscher Sprecher Mit dem Geländewagen geht es hoch in die Berge des südindischen Distrikts Nilgiri Hills. Zwischen dunkelgrünen Sträuchern bewegen sich Frauen in bunten Kleidern über die Hänge. Mit ihren sonnengegerbten Händen pflücken sie geschickt die reifen Blätter und werfen sie in Plastiksäcke, die sie auf dem Rücken tragen. Hier wächst Tee, der in Europa konsumiert wird. Das Besondere an dieser Plantage: Burnside produziert Tee, der hierzulande das Siegel "Fair Trade", also "fairer Handel", trägt. Kondendera Chengappa Ponnappa managt die Teeplantage. O-Ton: Kondendera Chengappa Ponnappa We are currently exporting our tees to Teekanne from hear. We export to them and those tees are budget as fair trade tees. And other tees are sold to UK the main market. Übersetzer: Wir verkaufen unseren Tee von hier an Teekanne. Wir exportieren ihn und sie verkaufen den Tee als Fair-Trade-Tee. Den meisten Tee exportieren wir jedoch nach Großbritannien, unserem Hauptmarkt. O-Ton: Kondendera Chengappa Ponnappa The fact that we will selling the teas as fair trade teas we will naturally get the premium. It does really helped us, the workers to improve their living standards. That helped them a lot. Examples are many like we provide the workers help, financial help from the premium money, for the children education. Übersetzer: Weil wir den Tee als Fair-Trade-Tee verkaufen, bekommen wir die Fair-Trade-Prämie. Dadurch steigt der Lebensstandard der Arbeiter. Das hilft ihnen sehr, weil wir den Arbeitern dadurch finanzielle Hilfe zukommen lassen, zum Beispiel für die Ausbildung ihrer Kinder. Atmo Kindergarten Sprecher Im Tal liegt die Arbeitersiedlung. Jedes Häuschen ist etwa 25 Quadratmeter groß, fest gemauert und verfügt über Strom. Es gibt ein Gesundheitszentrum, einen Kindergarten und eine Grundschule. Hier hantieren Fünfjährige an nagelneuen Computern und malen mit der Maus. Die Besucher empfangen sie mit einem kleinen Spektakel. Atmo Kinder Sprecher Kauft ein Verbraucher einen "Fair Trade"- Tee von Burnside, fließt unter anderem Geld in die Ausbildung der Kinder auf der Teeplantage. Kaum eines dieser Kinder wird später den harten Job des Pflückers ausüben - viele dürften den sozialen Aufstieg schaffen, einige ihrer älteren Geschwister machen schon eine Ausbildung oder studieren. Atmo Cafe Sprecherin Es sind solche Erfolgsgeschichten, die Konsumenten darin bestärken, gezielt einzukaufen. Menschen wie Margrit Schmid, für viele wahrscheinlich der Prototyp eines Gutmenschen. Sie arbeitet als Logopädin bei der Stadt Berlin. Bei veganem Kuchen und Café Latte mit Sojamilch erläutert die 59-Jährige in einem Berliner Café ihre Ansprüche an die Warenwelt: O-Ton Margrit Schmidt Ich denke, man kann erreichen, dass zum Beispiel Tiere nicht mehr in diesen Massen gehalten werden, unter diesen unsäglich grausamen Bedingungen, wenn man dieses Fleisch nicht mehr kauft. Man kann auch erreichen, dass der Markt für Biobaumwolle steigt, weil immer mehr Menschen danach fragen, und auch bereit sind, dafür dann auch mehr zu bezahlen. Also ich glaube fest daran, dass das, was ich da tagtäglich entscheide, und auch wenn es noch so winzig ist, gemessen an den Bergen, die da produziert werden, dass das einen Einfluss hat, wenn ich bestimmte Dinge einfach nicht anrühre und nicht brauche. Sprecherin Schmidt ist Mitglied einer der beiden Berliner Gruppen von "Anders besser leben", bundesweit gibt es 20. Einmal im Monat treffen sie sich zum Abendessen. Jedes Mal drehen sich die Tischgespräche um das bessere Leben, das gesündere, das ökologisch korrekte, das Leben mit Rücksicht auf den Anderen und die Natur. Und es geht den Teilnehmern vor allem darum, sich in der alternativen Lebensweise gegenseitig zu bestärken. O-Ton Margrit Schmidt Es ist ja manchmal auch ganz schön schwer auszuhalten. Zu sehen es ist eigentlich klar, was wir anrichten durch unsere Lebensweise und der CO2-Ausstoss wächst, anstatt zu schrumpfen, trotz aller Bemühung und ja, dann nicht verzweifelt den Kopf in den Sand zu setzen und zu sagen, ist doch sowieso egal, es geht alles den Bach runter, sondern festzuhalten an so einer Hoffnung, dass es zwar sein kann, dass alles zerstört wird, aber dass wir dennoch immer noch die Möglichkeit haben, es aufzuhalten. Sprecherin Viele Zeitgenossen belächeln solche Konsumenten als naiv. Diese Erfahrung macht auch der Psychologe Jens Lönnecke, Gründer des Marktforschungsinstituts Rheingold. Seit mehr als zwei Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der Haltung von Konsumenten. Regelmäßig finden in dem Kölner Institut Gruppendiskussionen von Verbrauchern statt. Dann beobachtet Lönnecke die Teilnehmer durch eine Scheibe. Zuletzt ging es um nachhaltigen Konsum. O-Ton Jens Lönnecke Wenn jemand in einer solchen Gruppe auftritt und sagt, ja, ich trenne auch den Müll, dass sofort in einer Gruppendiskussion wenigstens zwei oder drei aufspringen und sagen, Du Idiot, Du trennst Müll, weißt Du denn nicht, dass das hinterher sowieso alles zusammengeworfen wird, und dann ist der erst mal ruhig. Also diese Fraktion der Guten hat es erst mal sehr schwer. Also es ist immer so ein Zynismus, der im Grund jeden Ansatz des vermeintlich Guten, auch wieder erstickt. Sprecherin Dabei sympathisiert insgeheim auch manch ein Skeptiker mit der Idee. O-Ton Jens Lönnecke Wenn wir dann sagen, es ist nicht mehr erlaubt, jetzt einfach so, jedem der mal etwas Gutes erzählt, niederzumähen argumentativ, das ist jetzt mal verboten, dann fängt es plötzlich an eine ganz andere Atmosphäre zu bekommen, dann offenbaren sich die Leute in solchen Runden, im Sinne, dass sie es eigentlich toll finden, dass sie ein Stück weit zur Weltrettung beitragen. Atmo Supermarkt darin: Musik (Wiss Guys,Song: Ich schmeiß mein Auto auf den Müll) Ich schmeiß mein Auto auf den Müll, gleich morgen früh, dann hat die liebe Seele Ruh', und alle Leute schau'n mir staunend dabei zu. Ich schmeiß mein Auto auf den Müll und fahre lebenslänglich Rad und Bahn und Bus, mit meinem Auto mach' ich Schluss! Sprecher Das Scheitern des Kopenhagener Weltklimagipfels 2009 markierte einen traurigen Tiefpunkt der kollektiven Umweltpolitik. Zwei Tage später sagte die Grünen- Fraktionsvorsitzende Renate Künast: O-Ton Renate Künast Jetzt muss jeder Einzelne vorangehen, jetzt muss man einen Wettbewerbsdruck auslösen: Wer hat das effizienteste, intelligenteste Gerät, wer produziert die modernsten Autos und Maschinen? Das ist jetzt die spannendste Frage. Jeder Einzelne macht jetzt bei sich zu Hause Kopenhagen, und zwar diesmal erfolgreich. Sprecher Solche Aussagen sind inzwischen typisch für Politiker: Sie propagieren mehrheitlich, die Veränderung der Gesellschaft durch die Verhaltensänderung des Einzelnen. Fast drei Viertel aller Abgeordneten halten Änderungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz für eine Sache des Einzelnen. So steht es in der Deutschen Parlamentarierstudie, für die Wissenschaftler im Juni 2010 2439 Abgeordnete aus Bundestag, Landtagen und den Kommunalparlamenten der 80 größten Städte befragt hatten. Auf den Einzelnen setzen vor allem die Parlamentarier von FDP, Grünen und CDU/CSU, skeptischer sind Vertreter der Linken und SPD. Wissenschaftler Oliver Geden nimmt vielen Politikern die Begeisterung für die Macht der Verbraucher jedoch nicht ab: O-Ton Oliver Geden Aber ich glaube auch nicht, dass es viele Politiker gibt oder viele Parteien gibt, die ernsthaft glauben, dass die Veränderungen über den Konsum kommen. Es scheint mir eher wie eine Ausweichstrategie. Wenn Dinge nicht durchgesetzt werden können, zum Beispiel von den umweltpolitisch eher engagierten Parteien, dann greift man auf das Argument zurück: "Der Konsument soll es richten", oder wenn sie umweltpolitisch nicht regulieren wollen, sagt man auch: "Der Verbraucher soll es richten!". Beim Einen ist es eine Ausweichstrategie, um, sag ich mal, zu verschleiern, dass er etwas nicht durchsetzen konnte, und bei der anderen Fraktion ist es sozusagen eher ein Verschiebebahnhof, wir wollen nicht regulieren, sagen, der Verbraucher soll es tun, wissen aber auch, der Verbraucher wird nicht wirklich viel verändern. Musik (Gustav vier, Rettet die Wale) ...Und nehmt euch an den Händen, und macht Liebe jeden Tag, und rettet die Wale ATMO Bauernhof Sprecherin Bad Vilbel. Am Stadtrand bewirtschaftet eine Gruppe Landwirte den Dottenfelder Hof. Schon Ende der sechziger Jahre haben sie hier mit ökologischem Landbau nach den strengen Demeter-Regeln begonnen. Es gibt dort sieben Sauen und einen Eber, 800 Hühner, dazu 80 Kühe und zwei stattliche Schwarzviehbullen. Es gibt eine Lagerhalle für Kartoffeln, die ohne Heizung auskommt, und eine Photovoltaikanlage. Solch einen modernen Bilderbuchbauernhof dürften die meisten Deutschen vor Augen haben, wenn sie auf dem Markt oder Laden "Bio" einkaufen. Wer glaubt, durch einen Aufpreis für Äpfel, Tomaten oder Weizenschrot diese Art der Landwirtschaft in Deutschland zu erhalten, liegt jedoch falsch. Darauf verweist der Landwirt Dietrich Bauer. O-Ton Dietrich Bauer Die Landwirtschaft ist nach wie vor Zuschussbetrieb. Und da ist das bisschen öko, oder biologisch-dynamisch, Demeter, was man mehr kriegt, gleicht das bei weitem nicht aus. Es geht allen wirklich schlecht und jeder hat eine andere Art, das doch noch am Leben zu erhalten. Und im Grunde lebt es sonst, wenn es ein Familienbetrieb ist, die leben halt von der Substanz und so ein landwirtschaftlicher Betrieb kann lange von der Substanz leben, bis er endgültig kaputt ist, ja. Sprecherin Rentabel ist der Dottenfelder Hof nur, weil die Landwirte ihre Milch, Gemüse und Getreide weiterverarbeiten, ob zu Käse, Brot oder Saft. Verkauft werden die Waren in dem Hofladen und auf den Märkten der Umgebung. Etwa doppelt so viel müssten sie für die unverarbeitete Ernte verlangen, um damit Geld zu verdienen. Kein Wunder, dass das Angebot an Bioware bei bestimmten Waren wie Fleisch unter der Nachfrage liegt. Auf eine entsprechende Studie der Universität Göttingen verweist Reinhild Benning, Leiterin Agrarpolitik beim BUND: Atmo Cafe O-Ton Reinhild Benning Das Potenzial der Verbraucher und Verbraucherinnen, die auch bereit sind für eine bessere Tierhaltung mehr Geld auszugeben und das sozusagen im Kaufverhalten fest zu verankern, wird auf 20 Prozent beziffert. Also sozusagen eine Nachfrage nach besonders artgerecht gehaltenen Tieren und deren Produkte. Und diese 20 Prozent sind bei weitem nicht ausgeschöpft. Das Angebot umfasst erst ein Prozent. Er spricht hier von Marktversagen. Und die Verfügbarkeit hat ja auch enorm viel damit zu tun, was Verbraucher tun können. Und wenn die Verfügbarkeit nicht gegeben ist, dann ist eben auch das Votum der Verbraucher nicht möglich, es abzugeben. Sprecher Außerdem werden Verbraucher nach Ansicht von Benning beim Einkaufen über die wahre Beschaffenheit von Waren getäuscht. O-Ton Reinhild Benning Derzeit ist es erlaubt, dass Fleisch aus Massentierhaltung mit Bildern gekennzeichnet wird oder mit Markennamen wie etwa Wiesenhof, die suggerieren, dass die Tiere auf der Wiese gelaufen sind. Die Bilder dazu sind Fachwerkhöfe, Baum und Wiesen umflort, und die Welt ist heil. Tatsache ist aber, dass 99 Prozent des Geflügels und über 70 Prozent der Schweine in Deutschland in Intensivtierhaltungen, in so genannten Massentierhaltungen gehalten werden und kaum den Platz haben, sich um die eigene Achse zu drehen. Und diese irreführende, erlaubte Werbung oder auch Beschriftung von Produkten, macht es Produkten, die dann tatsächlich aus Weidehaltung kommen, sehr schwer. Die haben keinen fairen Marktzugang. Sprecher Die Verkaufspreise für viele Biowaren liegen unter den Produktionskosten der Bauern; das Angebot mancher Biowaren ist zu gering; die Käufer werden durch Werbung irritiert. Den Ökonom Gerhard Scherhorn überrascht das alles nicht: Verbraucher seien abhängig vom Angebot, und das richte sich eben in erster Linie nach den Gewinn- und Selbsterhaltungsinteressen der Hersteller und Händler und erst in zweiter Linie nach den Bedürfnissen der Konsumenten. Scherhorn ist einer der Pioniere der Konsumforschung, und seiner Erfahrung nach reagieren Verbraucher eher, als dass sie agieren. Überhaupt lehnt er das heutige Verständnis von Konsumentensouveränität ab. Den wohl überlegenden und rational entscheidenden Konsumenten gibt es nicht. Im Alltag haben Konsumenten oder Verbraucherschützer nicht einmal die Möglichkeit, sich alle gewünschten Informationen zu beschaffen. Darauf verweist Thilo Bode, Gründer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch: O-Ton Thilo Bode Wir haben kein Recht Informationen von den Unternehmen zu erfragen und zu erfahren, wenn wir heute bei unseren Kampagnen abgespeist, sagen wir ihnen nicht, Geschäftsgeheimnis. Also das wäre erst mal die Voraussetzung, dass man das Verbraucherinformationsrecht, so wie wir es mühsam erkämpft haben im Hinblick auf die Informationen von Verwaltung und Regierung, auch ausweitet auf Unternehmen in bestehenden Grenzen. Dann kann ich natürlich Transparenz herstellen. Um diese Transparenz aber überhaupt zu erreichen, brauche ich den politischen Kampf, muss ich den politischen Kampf vorschalten. Sprecher Den Kampf um die Lebensmittelampel haben die Verbraucherschützer verloren. Entsprechend dem Gehalt von Salz, Fett oder Zucker wollten sie die Hersteller verpflichten, rote, gelbe oder grüne Signale auf die Verpackungen zu drucken. Dann sähe man auf einen Blick, ob man aufpassen muss. Ärztevertreter empfehlen das schon lange. Sprecherin Die europäische Lebensmittelindustrie ließ sich laut der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory ihre Lobbykampagne gegen die Lebensmittelampel eine Milliarde Euro kosten. Am Ende hat die Mehrheit der EU-Parlamentarier die Ampel tatsächlich abgelehnt. O-Ton Thilo Bode Bei der politischen Mobilisierung stellten wir fest, dass wie bei vielen Problemen, wir dem Verbraucher erst sagen müssen, dass das Problem besteht und unsere Mission ist, dem Verbraucher sozusagen zu erklären, dass er nicht alles oder das Wenigste durch seinen Einkaufskorb regeln kann, sondern dass wir ein Fehlfunktionieren des Marktes vorliegen haben, wo man die Regeln ändern muss. Sprecherin Und diese Regeln kann eben nicht jeder Einzelne ändern. Wenn es darum geht, neue Informationsrechte für Verbraucher zu schaffen, andere verpflichtende Informationen auf die Verpackungen zu drucken, bestimmte Substanzen zu verbieten, einen Dosenpfand einzuführen oder Autos, die besonders viel Sprit fressen wie etwa SUVs, zu verbieten, dann ist die Politik gefragt. O-Ton Oliver Geden Ich glaube, dass Bürger, die was verändern wollen, werden nicht umhin kommen, dorthin zu gehen, und sich dort zu engagieren, wo kollektiv verbindliche Entscheidungen getroffen werden und das sind die politischen Arenen. Atmo Zug Sprecherin Mit dem Zug geht es nach Verden, einer Kleinstadt zwischen Hamburg und Bremen. Hier arbeitet der Sozialwissenschaftler Felix Kolb. Er hat über politische Bewegungen promoviert und dann bei einem Studienaufenthalt in den USA das politische Onlineportal Moveon.org entdeckt. Die Idee fand er so gut, dass er sie mit Gleichgesinnten in Deutschland eingeführt hat. Das war die Geburtsstunde von Campact. In dem Besprechungsraum hängen Fotos von Aktionen wie dem Kampf für den Ausstieg aus der Atomkraft nach Fukushima oder für eine Kennzeichnungspflicht für Genmais: O-Ton Felix Kolb Wir versuchen halt Themen zu finden, wo das, was die Politik macht, in einem Widerspruch steht zu dem, was die Mehrheit der Bevölkerung will, und versuchen dann, dieser erstmal oft schweigenden oder nicht organisierten Mehrheit eine Stimme zu geben. Wir sind eher Verstärkerplattform für diese Menschen und haben dann die Erfahrung gemacht, dass Politiker, Politikerinnen, dann teilweise auch gegen die eigene Überzeugung Dinge machen, weil es die Mehrheit will. Also ich meine, die Energiewende ist das beste Beispiel, ja, wo ganz klar war, das war nicht eine freiwillige Entscheidung, das war Demos, die die Regierung da zum Jagen getragen hat. Sprecherin Die Aktivisten wollen erreichen, dass sich Bürger häufiger einmischen und sehen ihre Aufgabe darin... O-Ton Felix Kolb ...Leute zu ermuntern und zu befähigen, sich aktiv ins politische Gemeinwesen einzubringen und zwar über Wahlen hinaus. Dass die Leute Politik als was begreifen, was interessant ist, was irgendwie auch spannend ist, wo man sich einbringen kann und sollte. Sprecherin Und dabei gibt es einen entscheidenden Unterschied zum Einkaufen. Politik ist das Bohren dicker Bretter und entsprechend dauern Veränderungen oft lange Zeit. Kolb blickt zurück: O-Ton Felix Kolb Schwarze Bürgerrechtsbewegungen, Frauenbewegungen, die haben Jahrzehnte, teilweise Jahrhunderte gebraucht, um ihre aus unserer Sicht heute selbstverständlichen Ziele Aufhebung der Rassentrennung, Frauenwahlrecht durchzusetzen, insofern ist mir das auch wichtig, Leuten klar zu machen, ihr braucht Ausdauer. Supermarkt - Werbung Sprecher Mit neuen gesellschaftlichen Regeln wäre das Einkaufen wieder ein unbelastetes Vergnügen, hofft Thilo Bode: O-Ton Thilo Bode Will ich morgen Schweinebraten essen oder nicht, das ist dann die entscheidende Frage und die können Sie nur selber entscheiden. Absage: Otto Moralverbraucher - Vom Sinn und Unsinn engagierten Einkaufens Eine Sendung von Caspar Dohmen Es sprachen: Winnie Böwe und Maximilian Held Ton: Ralf Perz Regie: Friederike Wigger Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 Nächste Woche hören Sie an dieser Stelle: Schlagen und demütigen. Wenn Eltern die Kontrolle verlieren Die Zeitfragen können sie nachhören und nachlesen unter www.dradio.de. 1