HINTERGRUND KULTUR UND POLITIK  Titel                           zum beispiel w. Tagung zum Werk von Michael Wildenhain AutorIn                       Dr. Jörg Plath RedakteurIn               Dr. Jörg Plath Sendetermin               18.11.2018 Ton                            Uwe Lauschke und Thorsten Juch                     Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig © Deutschlandradio Anmoderation: Auch junge Wilde werden älter. Der Schriftsteller Michael Wildenhain feierte im September seinen 60. Geburtstag, und ihm zu Ehren richtete das Berliner Literaturforum im Brecht-Haus ein kleines Symposium mit dem Titel „Geschichte und Individuum“ aus. Jörg Plath über die Vorträge und den, dem sie gewidmet waren, dem anwesenden Michael Wildenhain.    Autor: Anfangs galt er als „Chronist des Berliner Häuserkampfes“, inzwischen hat sich Michael Wildenhain nach und nach anderen Themen zugewandt, den Vätern etwa, dem Terrorismus und dem Nationalsozialismus. 1983 erschien sein Debüt „zum beispiel k.“ über einen jungen Berliner Hausbesetzer auf der Suche nach Lebenssinn, Intensität und Gemeinschaft. 35 Jahre später hat Wildenhain mehr als 30 Werke vorgelegt. So genau weiß er es selbst nicht, denn nicht nur Romane, Erzählungen, Gedichte, Jugendromane und Theaterstücke, auch Kinderbücher sind darunter. Die Referenten der Tagung im Berliner Literaturforum im Brecht-Haus, die von dem in New York lehrenden Literaturwissenschaftler Thomas Wild kuratiert wurde, bezogen sich auf wenige Prosatexte Wildenhains, zuweilen unterbrochen von lauten Lachern des Urhebers, der Fragen an ihn gern beantwortete und manche biographische Episode beglaubigte – wie jene, die Gabriele Dietze, Anfang der 1980er Jahre Literaturlektorin im Rotbuch Verlag in der Potsdamer Straße, von der ersten Begegnung erzählte.   O-Ton 1  „Auftritt Wildenhain. Wahrscheinlich schlurft er, allerdings mit einem gewissen Federn im Gang. Signalement Jungfreak, hat eine Kladde unterm Arm, sagt, er sei Haubesetzer. Aha, denke ich, die Stadt vibriert, es sind schon fast 100 Häuser besetzt, auch Rotbuch hat eine Patenschaft für ein Haus in der Potsdamer Straße übernommen. (…) Er hätte ein Buch geschrieben, sagt der Besucher. Manuskripte kommen normalerweise mit der Post, denke ich. Skeptische Blicke hin und her. Obwohl nur sechs, sieben Jahre jünger, sieht er in mir sicher eine Altlinke, die labern immer nur aber tun nix mehr‘. Ich sehe einen Chaoten, Militanz als Erlebniskultur. Das Manuskript sieht schmuddelig aus. Na lass mal da, sage ich. Dauert sicher ein paar Wochen, bis ich dazu komme und deute auf die Stapel der unverlangt eingesandten Manuskripte. Zögerlich und irgendwie enttäuscht reicht der Besucher mir die Kladde rüber. Begreife ich denn nicht, wie politisch dringlich das ist, mag er denken. Ich weiß es nicht, er schlurft davon, diesmal nicht federnd. Nun will ich gar nicht behaupten, ich hätte mich sofort auf das Manuskript gestürzt. Vielleicht was das so, weil der persönliche Auftritt meine Neugierde geweckt hat. Vielleicht hab ichs einfach nur oben auf den Stapel gelegt. Manuskripte von politischer Dringlichkeit und Wichtigkeit, jedenfalls im Auge der Autor*innen, gibt es jeden Tag, bei Rotbuch. Und doch scheine ich die Kladde bald zur Hand genommen zu haben. Kleinschreibung, stöhne ich, das ist so mühsam zu lesen. Impressionen in abgehackten Sätzen, keine narrative Grundlinie. Ich bin schon dabei das Manuskript für später, die Manuskriptablehnungstage, zur Seite zu legen, als ich auf die Zeilen stoße DIE STRASSEN KOMME ICH ENTLANG GEWEHT, VON WEICHEM GLUCKE GANZ BELAUBT. Ich stutze. Das ist ja fast nicht zu glauben. Ein Hausbesetzer zitiert meinen Lieblingslyriker, den Expressionisten Ernst Blass. Den kennen eigentlich nur Eingeweihte und Germanisten.“   Autor „zum beispiel k.“ heißt der Text, und es ist nicht der Stoff, der Gabriele Dietze gewinnt, es ist Wildenhains Ton. Er schreibt eine im Stakkato dem Augenblick hinterherhetzende, intensive Prosa, angereichert mit Zitaten von Expressionisten. Gabriele Dietze lektoriert auch die nächsten Veröffentlichungen des jungen Mannes im Rotbuch Verlag – darunter die Erzählung „Prinzenbad“, den Gedichtband „Das Ticken der Steine“ und den umfangreichen Roman „Die kalte Haut der Stadt“. Nach 1991 beginnt sie eine zweite, eine akademische Karriere, treibt American Studies, Gender and Race Studies und Cultural Studies an deutschen und internationalen Universitäten. In ihrem Vortrag ging sie ihrer anfänglichen Faszination für die Expressionisten in Wildenhains Debüt nach.   O-Ton 2 Der Titel „zum beispiel k.“ zeugt von einer gewissen Beiläufigkeit und Uneigentlichkeit des Protagonisten. K ist einer unter vielen, ein on and off bystander des politischen Kollektivs der Hausbesetzer, nicht wirklich wichtig, aber doch exemplarisch. Es ist insofern folgerichtig und kein Zufall, dass Wildenhain jedes seiner drei Kapitel mit Mottos der Prosa TUBUTSCH des Wieners und Kurzzeit-Berliners Albert Ehrenstein rahmt. Der Text handelt von einem, der verzweifelt versucht, sich zu erleben, ein ‚Ungeheuerliches‘ ersehnt, um sich zu spüren und immer wieder auf die Bedeutungslosigkeit seiner Existenz zurückgeworfen wird. (Folie X – Ehrensteinmotto – Das Buch ist von Zeichnungen Oskar Kokoschkas begleitet worden.) „Ich lebe immer in der Erwartung eines Ungeheuerlichen, das da kommen soll, eintreten, einbrechen soll. Ein Orang Utan etwa, ein Auerhahn mit glühenden Augen, oder am besten ein wütender Stier. Dann aber fällt mir ein, dassder ja gar nicht durch die Tür passen würde und ich lasse meine übergroßen Hoffnungen sinken.“  ‚Sinken‘ steht bei Ehrenstein, ‚singen‘ steht abgewandelt bei Wildenhain. Vertipper oder Absicht sei hier dahingestellt, die Variation jedenfalls passt. K ‚singt‘ seine übergroßen Hoffnungen. Ins Politische übersetzt schildert „zum beispiel k.“ eine Generation, die ‚spät‘ in die politische Rebellion der 68iger eintritt. Statt eine Avantgarde zu sein, findet sie sich, zugespitzt formuliert, als Rear-Garde wieder: jene Pioniere, die den Rückzug decken. Die Generation davor wird als erschlafft und spöttisch wahrgenommen – Zitat: „Der gelehrte Professor: wogegen sind die überhaupt? Diese neue Jugendbewegung (spuckt das letzte Wort aus) wohl gegen Strukturen überhaupt, haha“  – die sogenannte Bevölkerung desinteressiert bis aggressiv – ein vom besetzten Haus gesponsertes Kontaktcafe nutzt sie nicht trotz kostenlosen Streuselkuchen. (…) Es werden von k. und Tubutsch allerdings nicht nur Bewusstseinstatsachen und Politik verhandelt, sondern die Stadt spielt mit. Die Großstadt ist Akteur. Bei den Expressionisten war sie eine Neuerfahrung. Innerhalb sehr kurzer Zeit war es zu perzeptiven Revolutionen gekommen: Es wird voller – innerhalb von 50 Jahren ist die Bevölkerung Berlins von 500.000 1860 auf 2 Millionen 1905 angeschwollen. Es wird lauter – zum Pferdegetrappel gesellten sich die ersten Motorvehikel, die Straßenbahnen quietschen. Und es wird heller – dank der Einführung von Gas- und ab 1882 elektrischen Straßenbeleuchtung. Ein Werbeplakat der Lampenfirma Osram zeigt einen weinenden Mond, der als Hauptbeleuchter nächtlicher Straßen seine führende Stellung verloren hat. Im Gegensatz zu den metropolenabgewandten Dichtern des Naturalismus und Symbolismus begrüßen die expressionistischen Dichter euphorisch die Großstadt, insbesondere Berlin, als Steinbruch für neue literarische Metapher ausbeuteten.    Friedrich Wilhelm Lotz schreibt 1913: (…) Die Nächte explodieren in den Städten, Wir sind zerfetzt vom wilden, heißen Licht, Und unsre Nerven flattern, irre Fäden, Im Pflasterwind, der aus den Rädern bricht.   Wildenhains Prosa fädelt sich direkt ein in die expressionistische Großstadteuphorie, auch in die sanfteren Töne wie die von Ernst Blass. K‘s. Stadterlebnis ist allerdings nicht kontemplativ wie dieses Beispiel eines expressionistischen Flaneurs, sondern aktiv, mit Steine Schmeißen gegen den Kapitalismus. Allerdings gemildert von Ernst Blass‘ elegischem Ton: (…) „und k, schmeißt und fühlt sich gut, im kopf die bilder von brokdorf noch frisch, im bauch die Lust, ein fiebern, und eine ahnung von frühling, revolution, k, flankt über den zaun zum mittelstreifen, wannen, wannen, ein brett auf die straße. Ein müllcontainer, DIE STRASSEN KOMME ICH ENTLANGGEWEHT / VOM WEICHEN GLÜCK GANZ BELAUBT, k rennt, rennt mit wenigen leuten […] k, läuft, die Luft ist lachen. (…) Das weiche glückliche Stadterleben – nicht nur paradoxerweise mit euphorischer Militanz kombiniert – ist ein eher seltener Gefühlsraum. Wenn es hart wird verbündet sich k. mit dem Berserker des Expressionismus, mit dem wilden Georg Heym, dessen ziellos explodierende Kraft ihm einen frühen Tod bescherte, als er versuchte, einen Freund zu retten, der beim Schlittschuhlaufen im Eis im Wannsee eingebrochen war und dabei im Alter von nur 25 Jahren selber ertrank. Heym, in ständiger Revolte gegen seinen autoritären Vater, bei dem er als Student zu wohnen gezwungen war, war immer auf der Jagd nach der Schärfe des Daseins. Er suchte seine lyrischen Sujets am Rand der Gesellschaft, bei Verdammten und Außenseitern. Es ist sicher kein Zufall, dass k sich des dunklen Tons von Heyms Gedichten über die ‚Irren‘ und das ‚Fieberhospital‘ bedient, wenn ihn kurzfristige Einsicht über die Sinnlosigkeit der symbolischen Konfrontation mit den ‚Bullen‘, ereilt, wenn er wieder einmal nach einer der vielen Niederlagen, die im Kampf von Rammen, Wasserwerfern und Kampfschilden gegen Pflastersteine und Vermummung erlitten werden, nach Hause geht. An Werbetafeln unter den Yorkbrücken vorbei heißt es: (…) „So läuft k, entlang derweil im dunkeln die tafeln treffen seine Augen nicht BEBÄNDERT STÜRZT EIN MAR DURCH IHRE BETTEN weil der Kopf zum Pflaster abgesenkt ist DER IHRE KÖPFE SCHLAGEND, SIE ERSCHRECKT während k, läuft, […] IM SCHWARZEN DUNKEL SCHLEICHT IN TRÜBEM LAUT / GEBORSTNER FLÖTEN DURCH DER NÄCHTE QUAL.“ Ich hatte oben von ‚Rahmung‘ durch Ehrensteins „Tubutsch“ gesprochen. Dreimal läßt Wildenhain ihn zu Wort kommen. Den Anfang ICH LEBE IMMER IN ERWARTUNG DES UNGEHEUERLICHEN habe ich bereits zitiert. Dieses Einstiegskapitel ist überschrieben mit ‚die gestalt‘, ein Held wird etabliert. Eine Gestalt entsteht, die sich der Erziehungsdiktatur des Vaters entwindet, die Monotonie der Industriearbeit im Ferienjob erfährt, der den Marxismus in der Kapitalschulung kennenlernt, sexuelle Erfahrungen sammelt und erkennt, „Das Leben will gefüllt sein, denkt K. muss gefüllt sein, sonst fällst Du tot in die Leere, nichts geschieht“ .  Im zweiten Kapitel ‚der gestalt‘ (man könnte auch dergestalt als zusammengeschriebenes Wort verwenden) wird das ‚Machen‘ entwickelt. Jetzt in Kleinschreibung wird der geplante Aufbruch mit Tubutsch skeptisch eingeleitet (…) „Was hält mich ab, dem Leben ein Ende zu machen, in irgendeinem See oder Tintenfass zur ewigen Ruhe einzugehen oder die Frage zu lösen. Welchem irrsinnig gewordenen Gott das Tintenfass gehört, in dem wir leben und sterben.“  Das Dritte Kapitel, gestalten, wird lapidar mit dem Tubutsch-Satz eingeleitet „Das Leben, was für ein großes Wort“ . Diesmal scheint sich der Autor seinem defätistischen Motto-Geber nicht einverstanden zu erklären. Denn das Buch endet mit den Sätzen: (…) „he, habt ihr gelesen, dass die in frankfurt mit dem zweiten baulos anfangen, gibs ne nationale demo. fahren wir zusammen hin wa, rückeroberung.  Also Ortsverlagerung, der Kampf geht weiter?  Ja und Nein. Hiermit komme ich zum letzten Teil. Der expressionistische Basso Continuo legt einen Schleier der Skepsis über den (Zweck-) Optimismus. Sowie Wildenhains Prosa vom ‚Zu spät‘ der Nach-Achtundsechziger Generation durchwirkt ist, ist die Welt der Expressionisten vom Stillstand gefesselt. Überall sonst in Europa haben sich Länder modernisiert, auch Demokratien durchgesetzt aber im wilhelminischen Deutschland sind die preußischen Junker mit dem Kaiser an der Spitze mit dem Kapital ein erstickendes Bündnis eingegangen. Es wird nach oben buckelt und nach unten getreten. Ein Freund sieht im Seelenzustand des Berliner Lyrikers Alfred Wolfenstein eine (…) „dauernd angespannte Haltung der Ablehnung und Auflehnung gegenüber allem Abgegriffenen, Aufdringlichen, angeberischen Wilhelminischen jener Zeit, wie sie der akademischen Jugend und überhaupt der durch Naturalismus und Sozialismus aufgerüttelten Jugend zueigen war.“  Hermann Korte kommentiert Expressionismus 1988 als strukturellen Widerspruch zwischen „[…] euphorischer Allmachtsphantasie und depressiver dumpfer Ohnmacht.“ ^ Ist der expressionistische Aufschrei also ein Äquivalent zum Häuserkampf? Da muss natürlich auch mit Ja und Nein geantwortet werden. Wie wir wissen, wiederholt sich Geschichte nicht. Aber das kollektive Gedächtnis nimmt Schwingungen auf, insbesondere dann, wenn sich Parameter der Existenz ähneln. Deshalb spreche ich auch von Existenzweise.“   Autor In der Existenzweise der Hausbesetzer wie der Expressionisten spielen Frauen eine Nebenrolle. Gelebt wird eine „affektive Männlichkeit“, erläuterte Gabriele Dietze in ihrem Vortrag. Das ist auch in „Die kalte Haut der Stadt“ nicht wesentlich anders, Wildenhains umfangreichem, 1991 erschienenen Roman. Astrid Köhler, Professorin für neuere deutsche Literatur und Kulturvergleich an der Queen Mary University of London, verglich den Roman mit Klaus Schlesingers „Matulla und Busch“ und „Fliegender Wechsel“, eine auf den ersten Blick verblüffende Gegenüberstellung. Doch der aus der DDR ausgewanderte Schlesinger und Wildenhain kannten sich nicht nur – Schlesinger zog auch in das besetzte Haus in der Potsdamer Straße, in dessen Kinokollektiv Wildenhain aktiv war. Die gewaltsamen Räumungen von acht der zeitweise 165 besetzten Häuser durch Innensenator Heinrich Lummer 1981 führten zu Protesten, bei denen der Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay starb. Die Ereignisse stehen am Ende von Wildenhains „zum beispiel k.“ und am Anfang von „Die kalte Haut der Stadt“, und auf sie reagiert auch Klaus Schlesinger. Beide könnten, so Astrid Köhler, mit Fug und Recht als „Chronisten der Bewegung“ bezeichnet werden – nur fallen ihre Bücher sehr unterschiedlich aus. Unter anderem, weil Wildenhain von innen kommt und allmählich zum Beobachter wird, während Schlesinger von außen kommt und langsam nach innen rückt.    O-Ton 3 Über „Prinzenbad“ sagte Oliver Tolmein im Deutschlandfunk: „Wildenhains Roman ist kein Touristenguide, er führt die Szene nicht vor, sondern schreibt aus ihr heraus.“  Und in einer Radiosendung zu „Die kalte Haut der Stadt“ wird besonders die „Innenperspektive“ hervorgehoben. Es sei dies „ein Buch für Gleichgesinnte, zumindest für Gesinnungskenner, ehemalige Beweger und immer noch Bewegte. Auf jeden Fall ein Buch für Eingeweihte.“  Darüber, wie Wildenhain selbst zum ‚Eingeweihten‘ wurde, sagt er in einem Interview: „In Kreuzberg, Wedding, Schöneberg und Moabit gab es zu dieser Zeit Mieterinitiativen, die Häuser besetzten, um gegen die Kahlschlagsanierung zu protestieren. […] Am 12. Dezember 1980 kam es dann zu einer ersten größeren sozialen Eruption. Bis zu diesem Tag waren höchstens achtzehn oder zwanzig Häuser besetzt, und jeder weitere Versuch wurde von der Polizei vereitelt. In Folge wurden in ganz Kreuzberg Barrikaden errichtet, Supermärkte geplündert und es kam in der Nacht zu einer sehr heftigen Straßenschlacht. […] Die folgende Verhaftungswelle hat zu einer großen Solidarisierung geführt. Große Teile der nicht einmal sehr anpolitisierten Jugend, und dazu würde ich mich auch zählen, der 16- bis 25-Jährigen, die eher von politischen Rückzugsutopien geprägt waren, trafen sich in Versammlungen und waren auf einmal bereit, ein leerstehendes Haus zu besetzen.“  In der Rückschau auf die folgenden Jahre seines Lebens sagt er: „Aus heutiger Sicht war einer der eigentümlichsten Aspekte meines politischen Engagements […] die ungeheure und gerade deshalb auch sympathische Naivität und Selbstüberschätzung: Wir sind in der Lage uns außerhalb der Gesellschaft zu stellen und wir können den staatlichen Institutionen trotzen. Genau aus dieser Vermessenheit ergab sich, zumindest für eine gewisse Zeit, eine enorme Kraft.“  Gleichwohl konstatiert er eine Entwicklung: „Mich hat die recht weit verbreitete Theoriefeindlichkeit gestört. Der Grund dafür war, dass man sich gegen die vermeintlichen Laberköpfe und Theoretiker aus den K-Gruppen und von der Uni angrenzen wollte. Diese Abgrenzung ging von Studenten aus, die an der Uni diese theoretisierenden linken Intellektuellen im Übermaß kennengelernt hatten. Ich habe nach der Niederlage der Bewegung angefangen, Philosophie zu studieren.“  Walter Delabar bescheinigt ihm mithin eine „Entwicklung […] vom berichtenden Teilnehmer zum teilnehmenden Beobachter“ der Szene.  Letztere Bezeichnung passt nun auch exakt auf Klaus Schlesinger, der schon aufgrund der bereits beschriebenen Umstände von Anfang an keine Innenperspektive haben konnte. Ihm war der Beobachterstatus zugewiesen, selbst dort, wo er aktiv an den Aktionen teilnahm. In seinen Tagebucheintragungen und dem darauf basierenden Buch Fliegender Wechsel häufen sich die Hinweise darauf. So schreibt er darüber, wie er versucht sich im Gewühl Notizen zu machen, registriert erstaunt, dass und wann er mit der Menge mitbrüllt, notiert, dass er sich bisweilen daraus zurückziehen muss, auch vor Erschöpfung. Es ist der spezifische Nexus aus Fremd- und Selbstbeobachtung, der diese Einträge so spannend macht.  Dafür nur ein Beispiel:  „Veränderung meiner Rolle bei Demonstrationen. Auf den Tausenden Fotos […], mit denen die Polizei uns begleitet, müßte ich in unterschiedlichen Positionen zu sehen sein. Anfangs am Rand, immer ein wenig abseits vom Geschehen. Beobachter aus Neugier. Später eingesogen. Gründe wechselnd. Einmal, ich lief mit den Leuten aus der Potsdamer gegen Reagans Mittelamerikapolitik […], sagte jemand: Halt mal. – Er drückte mir die Stange eines Transparents in die Hand und verschwand. Ich hielt sie fest bis zum Ende und kam erst vor dem Tränengas dazu, die Parole über mir zu lesen: Yanks raus aus Salvador und Berlin.“ (Fliegender Wechsel, 254/4) (…) Aus seiner Beobachtungshaltung heraus sucht Schlesinger auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Fraktionen der Hausbesetzerszene zu ermitteln, insbesondere zwischen den NICHT mit dem Senat Verhandlungsbereiten (den „Mollis“) und den Verhandlungsbereiten (den „Müslis“), und zieht selbst in ein Haus der Müslifraktion.  Wir finden somit bei beiden Beteiligten changierende Perspektiven vor; in dem einen Fall zwischen Innen und Halb-Außen; in dem andern zwischen Außen und Halb-Innen. Schauen wir uns die ästhetischen Implikationen an.  Bei Schlesinger haben wir es mit zwei sehr verschiedenartigen Texten zu tun. 1984 veröffentlichte er die Erzählung „Matulla und Busch“, deren größter Teil in einem besetzten Haus spielt und die mit der Sprengung desselben endet. 1990 erschien sein Buch „Fliegender Wechsel“. Eine persönliche Chronik, das auf Tagebuchaufzeichnungen aus den frühen 1980er Jahren beruht. Zentrales Thema ist der „Seitenwechsel“ des Autors von Ost nach West; die Erfahrungen in und mit der Hausbesetzerszene nehmen ein komplettes Kapitel („Der zweiundzwanzigste Neunte“) und ein paar Randbemerkungen ein, also insgesamt etwa vierzig von 300 Seiten.  1983, also kurz vor „Matulla und Busch“, erschien Wildenhains Erstling „zum beispiel k.“, gefolgt von „Prinzenbad“ (1987) und „Die kalte Haut der Stadt“ (1991), um nur die längeren Prosatexte zu nennen. Die drei erzeugen ein chronologisches Kontinuum (von 1981 bis 1987) und sind intertextuell miteinander sowie mit weiteren, dramatischen, lyrischen und Prosatexten verwoben. Sie zitieren und verweisen aufeinander und sind sämtlich Teil eines größeren literarischen Komplexes in Wildenhains Werk, der auch mit der kalten Haut nicht vollständig abgeschlossen ist (und sich etwa auch auf „Träumer des Absoluten“ erstreckt, über das Helmut Peitsch noch sprechen wird).  Ein Vergleich zwischen zwei so grundverschiedenen literarischen Zugängen zum Thema ist nicht unproblematisch. Zur Erleichterung meiner Arbeit werde ich mich zudem bei Michael Wildenhain auf „zum beispiel k.“ und „Die kalte Haut der Stadt“ beschränken, wissend, dass dem, auch wenn sie ungefähr zeitgleich mit „Matulla und Busch“ und „Fliegender Wechsel“ erschienen sind, eine gewisse Arbitrarität innewohnt. Eingangsszenen: „Die Geschichte vom zweiten Leben des Friedrich Gustav Matulla beginnt an einem Frühjahrsmorgen im schwäbischen Fellbach mit einem Einschreibebrief und endet, drei Monate später, in Berlin SO 36 mit einer Fünfkiloladung des Sprengstoffs Ekrasit.“ (Matulla und Busch, 1984, S. 7) „z.b. steht K. in einer Dachstube mit Doppelbett aus Stahlrohr, grünbezogenen Matratzen und einem Dachfenster, wenigen Stühlen, keinem Tisch und Schränken, die man Spinde nennt, weil sie zu schmal sind, um alle Sachen reinzuhängen, und auf dem Boden liegt Bettzeug, das ist blaukariert, und draußen ist ein Berg sehr groß, und um K. stehen noch drei Freunde, und alle sind 16, und es ist warm in der Dachstube, und vor K steht ein Bär.“ (zum beispiel k., 1983, S. 8)   Zunächst haben wir es mit vergleichbaren Erzählerperspektiven (3. Person) und vergleichbaren Eingangssituierungen zu tun: Jeweils ein Protagonist wird in einem Altersheim bzw. einer Jugendherberge situiert. (Wir finden sie jeweils in einem geschlossenen Raum vor, den sie im Begriff sind – vorzeitig – zu verlassen.) Darunter tun sich freilich sehr verschiedene Erzählstrategien auf. Schlesingers Erzähler macht von Anfang an seinen auktorialen Status deutlich, Wildenhains hängt sich von vornherein an den Horizont von k.  K steht gegen Friedrich Gustav Matulla (später ergänzt um Walther Matthias Busch), eine beispielhafte FIGUR also gegen zwei mit Individualbiographien ausgestattete Charaktere.  Schlesingers Erzähler umspannt die gesamte Geschichte im ersten Satz und erzählt dann in der Retrospektive, und zwar chronologisch (von einem Anfang, der vor dieser Eingangsszene liegt (1. Leben), bis zum klar markierten Ende.  Wildenhain präsentiert keine geschlossene Geschichte, sondern eine Abfolge von Episoden im Präsens (!), die durch die häufige Einleitung mit „z.b.“ (zum Beispiel) auch noch als zufällig ausgewählt daherkommen. Der hier zitierte Satz ist auch nicht der erste Satz, es gibt in dem Sinne keinen ersten Satz, keinen klaren Erzählanfang, ebenso wenig wie ein klares Erzählende: Der letzte Satz hat keinen abschließenden Punkt und leitet auf der Ebene des Plots einen neuen Handlungsabschnitt ein.  Die Handlung in „Matulla und Busch“ ist durchkomponiert, mit gezielt eingesetzten zeitlichen Rückgriffen und einem klaren Spannungsbogen. Ebenso durchkomponiert ist der Umgang mit Zeit und Geschwindigkeit; es fängt langsam an – das gesamte erste Drittel des Buches ist mit der Reise der beiden Alten von Fellbach nach Berlin gefüllt –, nimmt dann Fahrt auf und am Ende überschlagen sich die Ereignisse. Die Logik des Handlungsverlaufs in zum beispiel k. ist weit weniger klar und folgt durchaus keinem klassischen Erzählmodell. Desgleichen der Umgang mit der Zeit, der das Motto: „nichts geschieht“ (S. 6) mit erzählter Atemlosigkeit verbindet. Parataxe ist die dominierende Erzählform, eine An- bzw. Nebeneinanderreihung von Sätzen und Satzteilen, die oft den Eindruck einer Aufhäufung, wenn nicht eines Erzählstaus erzeugen (siehe Satz oben).  Genaugenommen sollte man „zum beispiel k.“ nicht als Erzähltext klassifizieren: es handelt sich vielmehr um eine Reihe von Darstellungen oder In-Szene-Setzungen, womit K. der offenen Dramenform viel näher steht als der Erzählung.  Beide Autoren arbeiten übrigens intertextuell, nur dass auch die Intertextualität sehr verschiedene Züge annimmt. In zum beispiel k. stehen deutlich markierte literarische Zitate neben Jargonphrasen, politischen Statements und Parolen, Songs, Filmen, Werbesprüchen, Zeitungsnachrichten. Das Ganze ist so dicht, dass man durchaus auch von „Collagearbeit“ reden kann.  Neben dem Authentizitätseffekt trägt es dazu bei, das Erleben der Figuren zu ent-individualisieren und als generations- und v.a. gruppenspezifisch zu kennzeichnen. Bei Schlesinger dient die Nutzung von wiederum Jargon, Liedfetzen, Sprüchen und Parolen der Charakterisierung und Gegenüberstellung der beiden Generationen, wie auch der zeitgenössischen Einbindung der Handlung.    Autor Chronisten der Bewegung seien beide, hebt Astrid Köhler am Ende ihres Vortrags im Berliner Literaturforum hervor, sie bewirtschafteten jedoch verschiedene Literatursegmente. Gemeinsam sei ihren Texten auch, dass sie zum Politikum wurden – Schlesinger habe irritiert, weil er nicht mit der DDR abrechnete, sondern sich mit der BRD kritisch auseinandersetzte, Wildenhain dagegen, weil er mit dem „Furor der Gegenwärtigkeit“ auf etwas Unabgegoltenem, Unerledigtem beharrte. Auch Walter Delabar rahmte Michael Wildenhains Texte, insbesondere den Roman „Die kalte Haut der Stadt“, jedoch nicht durch Werke der Expressionisten oder eines älteren Schriftstellerkollegen, sondern durch die linke Literatur der 1930er Jahre. Der außerplanmäßige Professor für Literatur in Hannover, Publizist und Herausgeber der Zeitschrift „Juni“ fragte sich in seinem Tagungsbeitrag „Rückblick auf eine Revolte“, wie Wildenhain den Widerstand der Autonomen begründet.   O-Ton 4 Auffallend sind im Werk Wildenhains die Bezüge zur literarischen Tradition, aber eben auch zur Lebenswelt seiner Peergroup. Textliche Verweise auf andere Autoren sind in den Roman ebenso zahlreich zu finden wie Aufnahmen von Sentenzen, Texten und Wendungen, die in der autonomen Szene kurrent sind. Hinzu kommen pop- und konsumkulturelle Anlehen, Songs werden ebenso zitiert und variiert wie Werbesprüche. Ausgewiesen sind diese Bezüge nicht, wohl weil deren Vielzahl den Band unzulässig aufgebläht hätte. Auf die Kenntnis Wildenhains von Geisslers „kamalatta“ ist ja bereits von Astrid Kohler hingewiesen worden. In einem Interview aus dem Jahr 1995 hat Wildenhain auf Vorbilder des frühen 20. Jahrhunderts hingewiesen, darunter insbesondere auf expressionistische Autoren, aber eben auch auf Anna Seghers Episodenroman „Die Gefährten“ aus dem Jahr 1932. Seghers‘ Text widmet sich dem Versuch, die kollektive Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung in den 1920er Jahre literarisch zu verarbeiten. Sie wählt dazu eine Episodentechnik, die als Variante der filmischen Short Cut-Technik gesehen werden kann. Anders als Franz Jung in „Die Eroberung der Maschinen“ aus dem Jahr 1923 löst Seghers das Problem, wie kollektive Akteure literarisch gefasst werden können, durch die Auflösung des Kollektivs in exemplarische Teilerzählungen. Das wird nicht zuletzt dadurch gefördert, dass sie die in ganz Europa tätigen antikapitalistischen Kämpfe aufnehmen und vorstellen will, sie also keine Gruppe vorstellen kann, die über mehr als ihr gemeinsames politisches Bekenntnis zusammenhängt. Dieses Konzept nimmt Wildenhain auf und wendet es auf seinen Fall an. Die beiden Erzählkomplexe unterscheiden sich jedoch schon dadurch, dass Wildenhains Roman nicht auf europäischer Ebene, sondern im deutlich kleineren Kreuzberger Milieu spielt. Wildenhain verknüpft seine Akteure zwar intensiv miteinander, dennoch bleibt er der Perspektive seiner Akteure zwingend verpflichtet. Der Roman ist weitgehend konsequent aus der subjektiven Perspektive seiner Akteure geschrieben, deren politisches Bewusstsein zwar vorausgesetzt wird. Aber auffallender Weise wird das nicht fruchtbar gemacht, sondern lediglich als Folie genutzt.  Wildenhain schließt mithin – so meine These - an den Auftakt der „Gefährten“ an, aber das Projekt der frühen 1930er Jahre, das eng an die Politik der KP angeschlossen war, unterscheidet sich deutlich von dem der Autonomen, wie es in Wildenhains Roman aufscheint. Um es mit Seghers Romananfang zu demonstrieren:  „Alles war zu Ende. / Das Dorf war eingekreist, die Dorfausgänge waren besetzt, die Luft war bitter, die Herzen hämmerten. / An einem Augusttag war es, der heiße Mittag drückte die braune und goldene Ebene, die flachen Hütten, blind und triefend von Erde. / Räte Ungarn war aus. Jetzt, da alles zu Ende war, hieß es, aus dem Ende ein wahres Ende machen, alle aus ihm herausholen, was sich aus einem Ende an Schrecken herausholen läßt.“  Auch Wildenhain führt seine Handlung einem „wahren Ende“ zu, aus dem er herausholt, „was sich aus einem Ende an Schrecken herausholen läßt“. Auch fehlt es seinen Akteuren nicht an politischer Selbstgewissheit – einige von ihnen können sich nur nicht mehr darin einrichten wie vordem. Das liegt an der Veränderung, die die Szene selbst durchläuft, aber eben auch daran, dass sie eben kein Binnenreich des besseren Lebens haben entwickeln können wie die Revolutionäre Seghers‘. Ihnen fehlt der Ruch des Heiligen, den Seghers einem Teil ihrer Akteure zuschreibt und der sich aus dem Missionarischen Projekt der KP in den 1920er und 1930er Jahren ableiten lässt –für einen profanen Autor und eine profane Szene, wie sie sich in Wildenhains „Kalte Haut der Stadt“ finden lässt, ist das aber auch kaum anders zu erwarten.  4. Das politische Projekt Aber lassen Sie mich noch weitergehen: Eine der weitreichendsten konzeptionellen Entscheidungen des Textes ist, dass er die so dezidiert politische autonome Szene politisch in der Luft hängen lässt. Es gibt zwar über den gesamten Verlauf immer wieder Verweise auf politische Themen. Die Hausbesetzungen um 1980 gehören zu den Initialereignissen der autonomen Szene, im Verlauf des Romans kommen Hinweise auf die Bezüge zur RAF hinzu, auf den schwelenden Palästinenserkonflikt, die Kernkraftdebatte oder andere politische Themen, die die 1980er Jahre bestimmt haben. Aber damit verlaufen sich die politischen Begründungen für das Handlungs- und Haltungskonzept der autonomen Szene im Roman bereits. Zwar ist man versucht, an das Ende des Textes eine Analogie zu einem anderen Text Anna Seghers‘ zu setzen: In der Anfangspassage ihres ersten Romans, der 1928 bei Kiepenheuer in Potsdam erschien, „Aufstand der Fischer von St. Barbara“ findet sich diese einschlägige Passage: „Aber längst, nachdem die Soldaten zurückgezogen, die Fischer auf der See waren, saß der Aufstand noch auf dem leeren, weißen, sommerlich kahlen Marktplatz und dachte ruhig an die Seinigen, die er geboren, aufgezogen, gepflegt und behütet hatte für das, was für sie am besten war.“  Der Aufstand ist mithin eine Essenz sui generis: Er lebt aus sich heraus, auch über den Fehlschlag hinaus, und er wird, weil er eine eigene Existenz für sich beansprucht, mit keiner Niederlage untergehen. Das ist eine schwerwiegende These, die dem Roman Wildenhains eine offene Perspektive gibt, trotz des eher niederdrückenden Abschlusses. Der Aufstand steht über seinem Anlass – er weiß, was für die Seinigen am besten ist. Allerdings steht in Seghers Roman ein vergleichsweise profaner Anlass hinter dem Aufstand: der Wunsch nach verbesserten Bedingungen, unter denen die Fischer von St. Barbara ausfahren wollen, die Behebung des Elends in dem sie und ihre Familien leben und der Kampf gegen ein zunehmend anonymes System, in dem es keine persönlich ansprechbaren Akteure mehr gibt, sondern nur noch Institutionen (…). Hier gibt es eine Reihe Anschlussmöglichkeiten – die Abstraktion der Verhältnisse, die Anonymität der Verantwortlichkeiten, das System als Struktur, die nicht mehr zu fassen ist und die nur noch durch Repräsentanten agiert, die am Ende nicht verantwortlich sind. Und die die Unterdrückung und Ausbeutung dennoch zum Extrem treibt.  Aus der Sicht der Szenerie in Wildenhains „Kalte Haut der Stadt“ ist die Gesellschaft der 1980er Jahre bestimmt von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einem anonymen System und Autonomen, die ihren Widerstand – und da wird es eben interessant – immer weiter verschärfen. Das aber spielt im Erzählkosmos des Romans nur eine untergeordnete Rolle. Zwar sind vor allem das erste Kapitel („Für einen Toten reicht uns nicht die Trauer“) und das fünfte („Ihr bezahlt uns alles“) von den Straßenschlachten mit der Polizei bestimmt. Aber deren Genese und politische Ableitung werden nicht weiter thematisiert. Der Gegensatz zwischen System und Autonomen ist gesetzt, das Konfliktprofil, das der Roman behandelt, ist hingegen auffallend verschoben.  Das aber führt zu einer offensichtlichen Abkoppelung der Aktion von politischen Begründungen. Die Anbindung an die Besetzerszene wird bedingt entwertet, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass die Hausbesetzung und deren Begründung nur bedingt mit den Motivationen der Autonomen zu tun haben. Diese Erkenntnis kommt zu einem relativ späten Zeitpunkt auch einer der Akteurinnen der Szene: „Ich glaube“, sagt sie, „daß es ein guter Versuch war, uns die Häuser zu nehmen, aber wir sind gescheitert. / Weswegen? / Weil wir, murmelte die Frau, stakste über den bemalten Boden, die Bevölkerung verachten, im Grunde genommen finden wir ihre Bedürfnisse albern.“ (Kalte Haut, S. 472) Die Begründung der politischen Aktion wird hingegen in der Erzählung in die persönlichen Konstellationen der Akteure verlagert – und deren Scheitern. Gegen Ende des Textes häufen sich die Verweise darauf, dass das eigentliche Projekt der Autonomen nicht der Widerstand gegen das System oder ein spezifisches politisches Anliegen wäre – weder die besetzten Häuser, noch die Verwertung von Wohnraum, noch die Kernkraft oder die Stationierung von Pershing-Raketen oder der Widerstand gegen die Stationierung der AWACS-Maschinen in Westdeutschland sind als eigentliches Anliegen zu identifizieren, sondern die Beziehungen zwischen den Akteuren, die Behauptung der eigenen Identität, die Avisierung des gelungenen Augenblicks, des Absoluten im subjektiven Befinden. Das klingt auf den ersten Blick wie eine Entwertung des Schreibprojekts Wildenhains für eine politische Positionsbestimmung der Autonomen, verweist aber meines Erachtens auf ihr spezifisches Profil wie der gesamten linksradikalen, spontaneistischen Szene, mit dem sich nicht zuletzt begründen lässt, warum sie in der politischen Landschaft derart isoliert geblieben ist.  Wenn dieselbe Frau, die Einsicht in das Verhältnis der Autonomen zur „Bevölkerung“ erhalten hat, nur wenig später darauf verweist, dass in der Szene „jeder dem anderen“ lediglich „Gegenstand, ein Möbel“ sei (Haut, S. 473), dann zeigt sie die Widersprüche, die sich zwischen der Radikalität der Bewegung, ja ihrer Militanz, und ihren inneren und äußeren Verhältnissen auftun. Man mag das, ein wenig altbacken leninistisch als Kinderkrankheit der sozialistischen Bewegung abtun. Damit würde aber die Nachhaltigkeit, mit der die Autonomen sich am Rand des linken Spektrums etabliert haben, vernachlässigt werden. In Wildenhains Roman aber scheint in dieser Konstruktion der unbedingte Anspruch des Autonomen auf den geglückten, den intensiven Augenblick auf, der eben nicht in der Lösung politischer Problemfelder realisiert werden kann, sondern nur durch eine intensive Existenz. Dafür aber steht die Formel vom Träumer des Absoluten (Haut, S. 480), dafür steht die Intensität des Straßenkampfes, dafür steht auch der Gegensatz zwischen Jugend und Alter, Offenheit und Saturiertheit, die den gesamten Roman durchzieht: „Wir werden dich nun killen, alte fettgewordene Wachtel Westberlin, schwimmen aus der Dachluke, zart, ein Bumerang der Jahre, laß dich fallen und vergiß – heute schlägt Loki Baldur – leicht schlucken lautlose Sohlen dich und die Stadt.“ (Haut, S. 415) Dafür aber sind die Akteure von 1981 sechs Jahre später dann schon zu alt. Sie sind „yesterday heroes“ (Haut, S. 508).  Sie haben nur noch ihre eigene Geschichte, und zwar eine jeweils individuelle, „Nicht wir, sondern ich“, beginnt einer der abschließenden Abschnitte (Haut, S. 521). Womit die Begründung der Autonomen aus der Unvollkommenheit des Subjekts abgeleitet wäre. Und zugleich der Grund für deren intensive literarische Verarbeitung.   Autor Keine Lösung der gesellschaftlichen Probleme und keine politische Traditionsbildung durch den unbedingten Anspruch der Autonomen auf den intensiven Augenblick – daraus folgt für Walter Delabar sowohl die Vereinzelung der Individuen wie auch ihre Tauglichkeit als literarische Gestalten. Denn ihre Wünsche bewahren das Unabgegoltene. Danach fragte Helmut Peitsch im Berliner Literaturforum, ob es nicht doch eine gemeinsame, vergesellschaftende Klammer für die Figuren Wildenhains gäbe – zumindest im Roman „Träumer des Absoluten“ aus dem Jahr 2008, dessen Titel als Wendung schon in der „kalten Haut der Stadt“ auftaucht. „Träumer des Absoluten“ wurde nämlich als Generationenroman gelesen, und Helmut Peitsch, emeritierter Professor für Neuere deutsche Literatur in Potsdam, setzte sich in seinem Vortrag zunächst kritisch mit diesem Begriff auseinander.   O-Ton 5 Als „großen Generationenroman“, dessen Figuren „unvergesslich“ „bleiben“, empfahl der Verlag Klett-Cotta 2008 Michael Wildenhains Roman „Träumer des Absoluten“ Käuferinnen und Käufern. Der Klappentext benutzte damit einen Begriff, auf den zwei Jahre zuvor die bundesrepublikanische Expertin für ‚Erinnerung‘ die „neuere deutsche Erinnerungsliteratur“ gebracht hatte. Aleida Assmann, die demnächst mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet werden wird und – wie die „FAZ“ meldete – „selbst ein Teil unseres kulturellen Gedächtnisses geworden“ sei (Trinks 2018), grenzte den seit den neunziger Jahren entstandenen „drei […] Generationen umspannenden“ (Assmann 2006, 28) Familienroman von der ‚Väterliteratur‘ der siebziger und achtziger Jahre ab: „Während die Väterliteratur im Zeichen des Bruchs steht – ihr thematisches Zentrum ist die Konfrontation, die Auseinandersetzung, die Abrechnung mit dem Vater, steht der Familienroman im Zeichen der Kontinuität – hier geht es um die Integration des eigenen Ich in einen Familienzusammenhang, der andere Familienmitglieder und Generationen mit einschließt.“ (26) In Assmanns Familienroman als Drei-Generationen-Roman wird die Familie – ihrem Konzept von kulturellem Gedächtnis entsprechend, das über drei Generationen aus dem kommunikativen aufsteige – zur Metapher von Nation. Deren Identität soll Kontinuität und Diskontinuität dadurch vereinen, dass sich emotionale Nähe zu den vorangegangenen Generationen mit kognitiver Distanz verbinde. So präsentiert Assmann Uwe Timms „Am Beispiel meines Bruders“ als Beleg dafür, „dass eine retrospektive Bewertung der eigenen Erinnerung möglich ist, ohne diese umzufälschen. Timm bleibt emotional an die eigenen Erinnerungen und die seiner Familie gebunden und hält sie gleichzeitig kognitiv auf Distanz.“ (50) Assmann vermeidet aber, sich konkret auf die von den meisten Historikern in der heutigen BRD-Gesellschaft unterschiedenen Kriegs-, 68er und 1989er Generationen zu beziehen, wenn es um die Kritik an den Vorurteilsstrukturen der Großeltern durch die Eltern und um die Kritik der Enkel an den Vorurteilsstrukturen der Eltern geht. Timms Text von 2003 enthält jedoch eine hierfür einschlägige Passage; es ist die einzige des Buches, die sich auf das Leben des Autobiographen nach der Kindheit bezieht: „Meine Bewunderung für die Genossen, die im KZ gewesen waren und dort Widerstandsgruppen gebildet hatten […], hatte ihren Beweggrund auch in den von dem Vater eingeforderten alten Tugenden: Stetigkeit, Pflichterfüllung, Mut, die bei diesen Kämpfern verbindlich waren. Und so schloß ich mich ihnen an. Als die Differenzen zunahmen und ich die Partei verließ, peinigte mich […] das quälende Gefühl, einen Verrat zu begehen. [Leerzeile] Der Mut, allein auf sich gestellt nein zu sagen. Non servo. Der Sündenfall in der Religion und in jedem totalitären System, das auf Befehl und Gehorsam beruht. Nein zu sagen, auch gegen den Druck des sozialen Kollektivs.“ (Timm 2003, 150/151) Ein Jahr nach Erscheinen wurde Timms Text von Harald Welzer dafür gelobt, dass er sich des moralischen Urteils nicht enthalte (Welzer 2004, 59), aber Welzers eigene Version des Verhältnisses von Kriegs- und 68er-Generation fiel anders aus als Timms: Die Anklage der Söhne gegen die Väter sei damals ein „uneingestandener Identifikationswunsch“ gewesen; man habe „Krieg“ gewollt und deshalb „Schuld“ zugeschrieben, um sich zu suggerieren, „jetzt auf der anderen Seite zu stehen“; heute werfe man sich deshalb vor, „die gebührende Empathie verweigert zu haben“ (57). Was Timms und Welzers Stellungnahmen explizieren, ist eine stillschweigende (nur in den wiederholten Abgrenzungen (Assmann 2006, 44, 51) einer pluralistischen Erinnerungskultur von totalitärer Ideologie anklingende) Prämisse von Assmanns Generationenroman, ein Antitotalitarismus, der sich zugespitzt so formulieren lässt: die faschistischen Vorurteilsstrukturen der Großeltern ebenso wie die kommunistischen von Eltern, die die Großeltern kritisierten, werden von den Enkeln überwunden, die liberale Nationalisten werden können, indem sie in Eltern und Großeltern Deutsche lieben.                                                                                                                                                                                                           Autor Der Generationenroman, so Helmut Peitsch, versöhne für Aleida Assmann die Enkel mit den faschistischen und den kommunistischen Großeltern durchs Nationale – hatte also Michael Wildenhain, der vermeintliche „Chronist der Bewegung“, mit „Träumer des Absoluten“ einen, horribile dictu, nationalen Roman geschrieben? Peitsch vergleicht Wildenhains Roman mit Raoul Zeliks „Der Eindringling“ und Dietmar Daths „Deutsche Demokratische Rechnung“ – und gibt Entwarnung.   O-Ton 6 Doch Michael Wildenhain hat seiner Dreiecks-Liebesgeschichte eine andere „historische Parallele“ (Wagner 2011, 119) eingezogen als Zelik und Dath ihren Geschichten, wie er im Interview mit Thomas Wagner sagte: den Fall des Germanisten Hans Schwerte-Hans Ernst Schneider, des Aachener Emeritus der Germanistik Hans Schwerte, der sich 1996 dazu bekannt hatte, dass er bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges als Hauptsturmführer Hans Ernst Schneider im SS-„Ahnenerbe“ tätig gewesen war. Dabei, so Michael Wildenhain, „geht es […] um den Wechsel von Identitäten“, und in seinem Roman „geht“ die „Parallele“ „auf verschiedenen Ebenen“ (119). Nur vom Rezensenten der „taz“ wurde das vom Autor gelieferte Stichwort aufgegriffen, wenn er hervorhob, dass Tariq seine „Identität gewechselt [habe] wie der Schuldirektor, den er einst zur Strecke brachte“, „weil der – verstrickt in die deutsche Geschichte – seinen Namen geändert hatte“ (Rada 2008); dagegen stellte auf Auswechselbarkeit in einem anderen Sinn Walter Delabar ab, als er in „literaturkritik.de“ schrieb: „es ist beinahe austauschbar, ob sich die Auseinandersetzungen […der] drei Protagonisten dieses Romans […] gegen einen Schuldirektor, gegen das Establishment oder schließlich gegen die westliche, ja auch christliche Welt wenden“ (Delabar 2008).  Der Schuldirektor von Jochen, Tariq und Judith wird vom Schulsprecher Tariq 1977 auf einer Vollversammlung angegriffen, weil er für das von Tariq vorgeschlagene Fest der Demokratie, wie Tariq ihn zitiert, „‚uns als Schülern verboten [habe], uns über das Wahlprogramm zugelassener kleiner kommunistischer Parteien zu informieren.‘“ (127) Auf den Hinweis des Direktors, „dass den Mitgliedern“ dieser „verfassungsrechtlich fragwürdige[n] Organisationen“ „das Beamtenverhältnis verwehrt ist“ (128), erwidert Tariq: „Sie zitieren eine seit 1933 historisch gewachsene Tradition“, und verlangt eine Abstimmung: „Denn sie wird zeigen, dass die benannte Kontinuität, auch in der Person […] unseres Direktors, über den erklärten Wunsch der Schüler als Willkür triumphiert.‘“ Während Judith den zusammengesunkenen Direktor, der wenige Tage später kündigen wird, in die Arme nimmt, sagt Tariq: „‚Er hätte dich vergast, er ist ein Nazi. Er hätte aus deinen Knochen Leim oder Seife gemacht.‘“ (129) Dem Ich-Erzähler „fällt“ in den folgenden Tagen das Verhalten von Mitschülern und Lehrern auf, obwohl „keiner offen [Tariq] eine Schuld zuweist“ „für die gedrückte Stimmung“ und „den Weggang des beliebten Direktors“ (130). Dieser „Schwaerdtfeger, der, bald weiß es jeder an der Schule, eigentlich Schneidberger heißt“, hatte in einer Abschiedsrede in der Aula „weniger eine Verfehlung als einen Fehler ein[ge]räumt, indem er eingesteht, seinen Namen, Vater und Bruder folgend, in den ersten Tagen nach Kriegsende geändert zu haben (‚ich war zweiundzwanzig Jahre alt, kaum älter als Sie), dabei gleichzeitig betont, nie Mitglied er NSDAP gewesen zu sein“ (130). Jochen hatte vor der Entlarvung des Direktors als Verkörperung deutscher Kontinuität Tariq, der an seiner Facharbeit in Politischer Weltkunde über „Menschen unter falschen Namen“ schrieb, gefragt: „‚Warum […] soll jemand nicht versuchen, ein zweites Mal zu beginnen.‘ ‚Sie stehn nicht zu ihrer Schuld.‘“ (119) Am vierten Jahrestag des „faschistoiden Putsch[s] gegen Allende“ beobachtet Jochen, am 11. September 1977, wie Tariq bei dem in einer Kirche stattfindenden Abschiedskonzert für die Musiklehrerin der Schule ein von ihm mitgebrachtes Flugblatt „‚Sie haben verloren, Herr Direktor.‘“ (147) nicht verteilt, in dem von Chile „ein Bogen zur Kontinuität des deutschen Nationalsozialismus in der Person des Direktors gezogen“ (47) wird.    Sieben Jahre später, berichtet der Ich-Erzähler, im Februar 1981 besucht ihn, der beim alten Namen bleibt, Schwaerdtfeger im besetzten Haus. Gegen einen „Gedanken“, der „mir widerwärtig“ „ist“ (188), wechselt der Ich-Erzähler in eine Erzählergegenwart, in der seine Tochter „elf“ „ist“, nämlich 2002, um auf ihre Frage: ‚Ist er ein Nazi?‘“ zu antworten: „Ein alter Mann hat vom Krieg und der Gefangenschaft erzählt, er scheint keinen anderen Gegenstand zu kennen. ‚Hitler war ein Nazi.‘ Auch ihr jüngerer Bruder senkt die Stimme. ‚Hitler ist tot.‘“ (188) Der widerwärtige Gedanke, den er 1981 hatte, obwohl er nachträglich berichtet: „Ich hätte mir sagen können: Nazi“, lautete: „Ich bin zweiundzwanzig, knapp dreiundzwanzig Jahre alt, so alt wie Schwaerdtfeger als Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes gewesen ist, Teil einer Bewegung, die alles hatte verändern wollen.“ (187) Diesen Vergleich stützt, was der Ich-Erzähler von Schwaerdtfeger berichtet: „wie sehr er die Entscheidung und unsere Entschiedenheit bewundere“, „unser Anliegen gut“ „begreife“ (188): „Er werde seine ursprüngliche Absicht realisieren, Philosophie und Wissenschaftsgeschichte zu studieren, wie er es […] vor dem Wechsel seines Namens vorgehabt habe.“ (188) Entsprechend nimmt ihn einmal Jochen in einem Hörsaal wahr, als er und Judith an der TU zu wieder zu studieren begonnen haben: „in der ersten Reihe […] mit einer selbst aus der Entfernung akkurat wirkenden Schrift die Sätze des vortragenden Professors Wort für Wort mitschreib[end]“ „wie jemand, der aus der Zeit gefallen ist, der sich um Orientierung bemüht, die ihm allein die Mitschrift gibt“ (222). Das letzte Treffen Jochens mit dem „[s]ichtbar alt geworden[en]“ (310) Schwaerdtfeger , der „Spuren der Verwahrlosung“ (311) zeigt, geschieht 1999 im Prozess. Der Ich-Erzähler berichtet nichts, was Jochen auf Schwaerdtfegers Äußerungen über Tariq erwidert hätte: „‚Kein gerader Charakter. […] Zu ehrgeizig. Immer. Immer und überall. […] Andererseits ist es nicht ganz einfach, sich gegen etwas zu stellen, das man ganz und gar, mit Haut und Haar‘, er lacht beklommen, ‚gewesen ist. Viele würden das nicht schaffen, kaum einer eigentlich. Auch zweifelhaft, ob man jemandem dazu raten soll. Oder was meinen Sie, Joachim? Die meisten haben ja Glück, die stehen nie vor der Frage.‘“ (311)  Michael Wildenhains ‚historische Parallele‘ zwischen Schwerte-Schneider und dem Schuldirektor seiner drei Protagonisten geht nicht im ideologischen Dispositiv des Generationenromans auf, weil ihr jene antitotalitaristische Engführung fehlt, die z.B. Claus Leggewie in seiner Biographie Schwerte-Schneiders vornimmt. Nur rhetorisch fragt sich Leggewie einleitend: „Wie erzählt man eine solche Geschichte [...]?“ (Legewie 1998, 15) Indem er mehreren Versionen partiell Recht gibt, konstruiert er Schwertes-Schneider nationale Repräsentanz: „Schwertes Geschichte hat von allem etwas“ – „‚die deutsche Karriere‘“, „abgekartetes Stück Nazi-Kontinuität“, „Problemfall einer deutschen Wissenschaft“, „säkulare Konversion“ (15), indem in der Einleitung des Verfassers auch noch Stephan Hermlin dasselbe wie Schwerte-Schneider beweisen soll: „eine Umpolung kollektiver Identität, nach deren Muster ein führender Intellektueller der DDR seine persönliche Biographie ausschmückte“ (16). Leggewie stellt seine ‚Geschichte‘ als eine ‚politische Parabel‘ vor, als „in einer Person verdichtete Zeitgeschichte“ (16): „Schwerte hat seine Vergangenheit zwar nicht, wie von ihm immer wieder gefordert wird, coram publico aufgearbeitet, er hat sie aber professionell und im Rahmen seiner Institution abgearbeitet. Und damit hat er sich um die Bundesrepublik sogar verdient gemacht.“ (309) Der Ausgangspunkt für die Parallele Schwerte-Schwaerdtfeger in Wildenhains Roman dagegen ist die – bis heute nicht ‚abgearbeitete‘ – institutionelle Kontinuität zwischen Faschismus und Bundesrepublik Deutschland.    Abmoderation Noch ein Unabgegoltenes also, auf das Helmut Peitsch aufmerksam macht. Vier Lesarten von Michael Wildenhains Romanen trugen er, Gabriele Dietze, Astrid Köhler und Walter Delabar vor, allesamt politisch, wie nicht anders zu erwarten bei einem Symposium über diesen Autor. Jörg Plath fasste die Tagung im Berliner Literaturforum im Brecht-Haus zusammen, den Ton nahmen Ende September Uwe Lauschke und Thorsten Juch auf.